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NOT ALONE

von

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Das dunkle, warme Blut sickerte ihr über die Lippen, lief hinunter zum Kinn und tropfte auf den kalten grauen Steinboden auf dem sie saß. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt und die letzten Sonnenstrahlen vielen durch die Bäume auf die Alte Ruine. Ihre Tränen waren schon vor Minuten versiegt. Ein letztes Mal sah sie auf den leblosen, blutüberströmten Körper bevor sie aufstand und ging.
 

Micaela stand da, unschlüssig was sie nun tun sollte. Es war ihr erster Tag an der neuen Schule. Nervös kibbelte sie auf der Stelle herum. Massen von Schülern strömten an ihr vorbei in ihre Klassenzimmer.

Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder lautlos.

Langsam wurde sie sauer. Sie musste doch zum Rektorat, hatte aber keine Ahnung wo es war und dazu kam noch das sie es nicht schaffte jemanden anzusprechen.

Den nächsten würde sie fragen, ja das würde sie, ganz sicher!

Es klingelte und die Halle leerte sie langsam.

Micaela stand da und der Nächste ging an ihr vorbei und der Übernächste ohne dass sie jemanden fragte.

Warum zur Hölle schaffte sie es nicht? Warum war sie nur so schüchtern? Da wäre doch nicht viel dabei, oder?

Nun stand sie da, alleine und ohne Plan.

Vor lauter Wut sammelten sich die Tränen in ihren Augen an. Stinksauer drehte sie sich in Richtung Ausgang um. Jetzt war ihr wirklich alles egal, sollte die Schule doch bei ihr anrufen!

Erschrocken blieb sie stehen und starrte zu dem - gut zwei Kopf größeren - Jungen mit dem dunklen Haar hinauf, der auf einmal vor ihr stand.

Warum hatte sie ihn nicht bemerkt?

Micaela lief knallrot an als sie bemerkte dass sie gerade mal 30 cm von ihm entfernt stand: „Tut mir leid“ stotterte sie.

Der Junge nickte nur und ging an ihr vorbei.

„Warte!“ Jetzt hatte sie es gesagt. „Könntest du mir bitte sagen wo ich das Rektorat finde?“

Sie hatte es wirklich geschafft. Darüber war sie unglaublich froh und erleichtert.

Der Junge sah kurz zu ihr, drehte sich dann aber wieder weg und ging weiter.

Wahnsinn was ist das denn für ein Typ, dachte sie eben in dem Moment als er sagte: „Der Gang rechts von dir.“

Micaela drehte sich in die ihr beschriebene Richtung und am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Über dem Gang hing ein großes Schild auf dem in Fettdruck „zum Rektorat“ stand.

Verlegen sah sie zu dem Fremden zurück, musste aber feststellen dass er bereits verschwunden war.
 

So einen komischen und düster aussehenden Kerl hatte sie wirklich noch nicht oft gesehen bzw. kennen gelernt.

Es dauerte keine fünf Minuten und sie hatte alles hinter sich gebracht was sie im Rektorat erledigen musste.

Dann machte sie sich auf die Suche nach ihrem neuen Klassenzimmer, was sich als nicht so schwer herausstellte. Im Gegensatz zu ihrer alten Schule war diese hier wirklich klein, mit gerade einmal 200 Schülern.

Micaela klopfte am Raum 11 an und trat dann ein.

Oh wie sie es hasste irgendwo rein zukommen und das als Letze. Warum musste es immer so sein, dass alles still war und jeder zur Tür glotze?

Leise stotterte sie ihrem neuen Lehrer ihren Namen zu.

Dieser nickte nur und wies ihr einen freien Platz in der ersten Reihe zu.

Schnell setzte sie sich und versuchte das Gestarre ihrer neunen Mitschüler zu ignorieren.

Ihr neuer Lehrer wollte gerade einen Satz beginnen, als die Tür aufsprang und der seltsame Junge von vorhin eintrat.

„Alles erledigt?“ wurde er gefragt, er nickte und setze sich auf den Platz direkt neben Micaela.

Sie bemerkte wie er sie kurz musterte und sich dann seinem Buch zuwandte.

Das Zweitschlimmste was nach dem Reinkommen und dem Gestarre kam, war es sich vorstellen zu müssen, zumindest für Micaela.

Etwas über sich zu erzählen mochte sie nicht wirklich und überhaupt gab es da wirklich nicht viel.

Als sie gerade mal drei Jahre alt war starben ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall. Seit dem lebte sie, da sie sonst keine weiteren Verwandten hatte, bei einer Pflegefamilie.

Dort war es wirklich mehr als super, da die beiden für sie genau wie richtige Eltern waren.

Sie vermisste auch nie ihre richtigen Eltern, vermutlich aus dem Grund da sie einfach keine Erinnerungen an sie hatte.

Das einzig spannende in letzter Zeit war eigentlich der Umzug von einer sozusagen Großstadt in das ländliche Dorf das irgendwo zwischen einem Haufen von Bergen lag.

Ihre Eltern hatten das Stadtleben irgendwann satt gehabt und da ihr leiblicher Sohn, so dämlich wie er war, nicht wusste wo die Milch her kam beschlossen sie einfach ihre Sachen zu packen, das Haus zu Verkaufen und zurück in ihr Heimatdorf zu ziehen.

Micaela hatte das nicht wirklich gestört, sie war auch nicht traurig gewesen oder so etwas, da sie sowieso keine Freunde hatte und ihre Freizeit damit verbrachte zu zeichnen oder Gedichte zu schreiben.

Und sonst war sie eigentlich ziemlich langweilig.

Das positive an dieser Klasse war wenigstens, das sich nicht nur Micaela vorstellen musste, sondern auch alle anderen.

Zwar interessierte sie sich nicht wirklich dafür ob jemand Judo machte oder seine Freizeit damit verbrachte das Geld seiner Eltern auszugeben, aber dennoch hörte sie aufmerksam zu.

Schließlich war das nur höflich da alle ihr ja auch zugehört hatten.

Aber aus einem unerklärlichen Grund interessierte sie sich für einen ihrer neuen Klassenkameraden doch und wie es nicht anders zu erwarten war, war derjenige natürlich der schwarzhaarige Junge.

„Mein Name ist Nic, ich bin wie die meisten hier 16 Jahre alt. Was ich mag und was ich nicht mag? Hm eigentlich weiß ich das gar nicht so genau, ich mag eigentlich einiges und ich mag weniges nicht. Und was meine Hobbys betrifft, habe ich wirklich keine besonderen über die es sich lohnt zu reden.“
 

Das war’s? Sollte das etwa ein schlechter Witz sein? Denn wenn, dann war es wirklich der schlechteste den Micaela je gehört hatte.

Na klasse! Jetzt wusste sie gerade einmal seinen Namen und diesen noch nicht mal Vollständig.

Sie seufzte laut. Eigentlich hätte sie damit rechnen müssen, schließlich sah er nicht wirklich so aus als würde er sehr viel über sich erzählen, aber dennoch hatte sie es gehofft.

Warum eigentlich?

Sie lief knallrot an. Was dachte sie da bitte? Sie sollte aufhören! Das durfte doch nicht wahr sein!
 

Die restlichen Unterrichtsstunden verliefen eigentlich recht normal, bis auf die Tatsache dass sie sich öfter dabei erwischte wie sie zu Nic starrte.

Auch die Pause war ganz ok, nur wurde sie dort von ihren Mitschülern regelrecht verhört.

Wie ihre alte Schule so war oder wie viel Geschwister sie hatte.

Das alles war Micaela schon etwas unangenehm, da sie es ganz und gar nicht gewohnt war so im Mittelpunkt zu stehen.

Als der Schultag endlich endete, war sie wirklich froh endlich nach Hause gehen zu dürfen.

Und wie es aussah musste auch niemand sonst in dieselbe Richtung wie sie.

Betrübt starrte sie auf den kalten grauen Asphalt vor ihr.

Bald wäre wieder alles genau wie in den anderen Schulen zuvor auch schon. Ihre neuen Klassenkameraden würden merken dass sie gar nicht so interessant war wie sie glaubten und letzten Endes wäre sie wieder ganz alleine.

Micaela machte sich darüber solche Gedanken das sie sich zum Schluss wieder einmal selbst verletze.

Auf einmal tippte jemand ihr auf die Schulter.

Vor lauter schreck ließ sie dabei ihre Schulbücher fallen.

„Oh das tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sagte Nic, der sich blitzschnell bückte um die Bücher aufzuheben.

Dummerweise tat Micaela das im selben Augenblick auch und dadurch knallten ihre beiden Köpfe mit voller Wucht gegeneinander.

Von dem schmerz betäubt taumelte sie und viel unsanft auf ihr Hinterteil.

Und weil es nicht schon peinlich genug war, landete sie auch noch in einer schönen großen Regenpfütze.

„Tut mir leid“ Sagte Nic wehrend er sich seinen schmerzenden Kopf rieb, dann reichte er ihr seine Hand.

Micaela zögerte kurz, lies sich aber dann aufhelfen: „W-war meine Schuld.“

„Gehen wir ein Stück zusammen?“

Sie sah ihn überrascht an: „Ähm du musst nicht mitgehen.“

„Schon ok ich muss in dieselbe Richtung.“

Sie legte keine Widersprüche mehr ein und so stapften beide nebeneinander los.

Diese Bild musste wohl für die meisten Zuschauer genial gewesen sein. Ein Mädchen mit total nassem Hinterteil, die ihre Bücher fest umklammerte und so aussah als würde sie gleich schreiend wegrennen wollen. Neben einem Jungen mit fast schwarzen Haaren in dunklen Klamotten, mit einem wirklich emotionslosen Gesichtsausdruck.

Micaela starrte Nic vorsichtig an, der es aber gar nicht zu bemerken schien. Warum war sie denn nur so nervös?

„W-wo wohnst du eigentlich?“ brachte sie stotternd hervor.

Nic sah sie nicht einmal an, als er antwortete: „Einfach gerade aus und dann rechts. Gar nicht schwer zu finden, da unser Haus Kiwi grün ist.“

„Kiwi grün?“ Fragte sie ungläubig.

„Ist das etwa so unwahrscheinlich?“ Konterte er mit einer Gegenfrage und sah sie dabei an.

Er hatte wirklich wunderschöne dunkelbraune Augen. Sie wirkten fast wie ein Strudel in den Micaela hineingezogen wurde.

„Ähm… ähm, n-nein… ich ähm dachte nur weil du naja so und ähm dann so ähm eine Farbe.“

„Du meinst weil ich so düster rüber komme?“ Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Micaela nickte leicht und sah ihn dabei nur leicht an, doch Nic sagte kein Wort. Sofort begann sie sich zu schämen, weil sie so etwas Rücksichtsloses gesagt hatte.

„T-tut mir leid!“

„Schon ok, es stimmt ja irgendwie.“

Warum war er nicht sauer? Micaela war etwas verwirrt und starrte stur nach vorn.

Es dauerte keine zehn Minuten und man sah das Kiwi grüne Haus mit den weißen Fenstern bereits.

Er hatte wirklich nicht geschwindelt und sie auch nicht auf den Arm genommen.

Nic blieb auf einmal ziemlich abrupt stehen, er starrte nach vorne zu seinem Haus, naja besser auf den schwarzen BMW davor.

„Alles ok?“

„Sicher…“ antwortete er schnell, aber seine Stimme klang etwas zittrig. „Du sag mal wo wohnst du eigentlich?“

Micaela sah ihn kurz forschend an und antwortete dann.

„Ah alles klar, ich begleite dich noch, ist doch schließlich dein erster Tag.“

Sie antwortete nicht. Sie fand das es mehr nach einem Befehl als eine ganz normale Entscheidung klang die man traf. Und überhaupt hatte seine Stimme einen seltsamen rauen Ton angenommen, der ihr irgendwie Angst machte.

Keiner von beiden sagte ein Wort, auf dem ganzen Weg zu Micaela nach Hause.

Erst als sie vor dem kleinen alten rostigen Gartentor stehen blieben, traute sie sich etwas zu sagen.

„Ähm naja, danke ich ähm… bis morgen.“ Das war alles was sie herausbrachte bevor sie im Haus verschwand. Sie hatte noch nicht mal auf eine Antwort gewartet.
 

Sie schlug ihre Zimmertür zu und lehnte sich an ihr an.

Verdammt, er war wirklich angsteinjagend!

Vorhin war er doch ganz anders, was hat sich verändert?

Micaela dachte scharf nach und dann viel es ihr ein: Der BMW!

„Aber warum? Das ist doch Quatsch! Sicher habe ich mir das nur eingebildet“

Versuchte sie sich einzureden, während sie eine CD von „The Gazette“, einer Japanischen Band, in den CD-Player legte und einschaltete. Während sie dem Sound von Filth in the Beauty lauschend in ihrem Bett lag, musste sie die ganze Zeit an Nic denken. Sie machte sich irgendwie Sorgen um ihn.

Warum überhaupt? Sie kannte ihn doch gar nicht! Und warum wurde sie in seiner Nähe so nervös? Und warum dachte sie immer zu an ihn?

„Wähhhhhh!“ rief sie und zerzauste sich das Haar.

Das ist doch krank! Micaela du bist krank!!! Oder?

Sie starrte an die weiße Decke. So viele Gedanken schwebten ihn ihrem Kopf herum, das sie gar nicht anders konnte, als irgendwann einzuschlafen.
 

Am nächsten Tag, was Micaela irgendwie betrübte und gleichzeitig wahnsinnig machte, da es sie betrübte, fehlte Nic.

Er war nicht einmal entschuldigt!

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und meldete sich, als der Lehrer fragte wer ihm die Hausaufgaben bringen könnte.

Nach dem Unterricht wollte sie gleich los, als Sina – ein Mädchen aus ihrer Klasse – sie aufhielt.

„Hey Micaela, ich ähm finde es wirklich nett das du Nic die Sachen bringen willst, aber lass es!“

Sagte sie scharf.

Micaela sah das dicke blonde Mädchen erstaunt an: „Warum?“

„Naja es ist ähm er ist nicht normal, das merkt man doch gleich. An seinem Auftreten und überhaupt hat seine ganze Familie ziemliche Probleme. Unter anderem mit Drogen.“

Micaela legte den Kopf leicht schief. Für ihren Geschmack hatte Sina wirklich zu viel Fantasie.

Sie konnte es sich einfach nicht verkneifen und lachte los, hielt aber sofort inne als sie merkte das Sina es wirklich ernst meinte.

„Pass einfach auf.“ Sagte sie bevor sie an Micaela vorbei, aus dem Klassenzimmer, ging.
 

Auf dem Weg zu Nic nach Hause dachte sie über das nach was Sina ihr erzählt hatte. Sie wusste nicht so recht was sie davon halten sollte.

Es waren sicher nur Gerüchte, was auch sonst? Nic war krank, das war alles. Oder?

Seufzend sah sie auf den Boden. Warum war sie sich nicht sicher? Diese Zweifel waren wirklich unerträglich, aber schließlich kannte sie ihn ja auch kaum.

Micaela blieb vor der Haustüre stehen und drückte ohne lange zu überlegen auf den Klingelknopf, aber wie es aussah war niemand da.

„Vielleicht ist er alleine und schläft?“ Dachte sie laut und ging ums Haus.

Warum sie das tat wusste sie nicht, aber darüber brauchte sie auch nicht lange nach zu denken.

Die Tatsache dass die Terrassentür sperrangelweit aufstand machte ihr irgendwie viel mehr Sorgen.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus.

„Hallo? Ist jemand zu Hause?“ rief sie, lauter als sie eigentlich wollte, in das Wohnzimmer. Doch wieder antwortet niemand.

Micaela ging vorsichtig hinein und blieb erschrocken stehen.

Die gesamte Wohnzimmereinrichtung war vollkommen zerstört worden. Bücher, Vasen, Lampen, einfach alles war heruntergerissen worden und lag verstreut auf dem Boden.

Sie blieb mitten im Raum stehen und sah sich um. Was zur Hölle war hier nur geschehen?

Plötzlich wurde sie von hinten gepackt und jemand drückte seine kalte Hand auf ihren Mund.

Das alles ging so schnell das Micaela gerade einmal Zeit hatte die Augen aufzureißen.

Wie aus Reflex schlug sie wie eine Irre um sich, hielt aber sofort inne als sie erkannte das es Nic war.

„Leise!“ Zischte er mit eiskalter Stimme und lies von ihr ab.

„N-Nic?“ Mehr brachte sie nicht heraus.

Nic sah sie kalt an, unter seinen rotverheulten Augen befanden sich tiefe dunkle Augenringe und er war leichenblass.

„Was soll das?“ Fragte sie mit zittriger Stimme und sah ihm in die Augen.

Er antwortete überhaupt nicht, sondern zog sie einfach mit sich in einen anderen Raum, der sich als das Badezimmer herausstellte.

„Warum bist du hier?“ Fragte er als er die Tür verschloss.

Als sie gestern dachte Nic wäre angsteinjagend gewesen, hatte sie sich wirklich getäuscht. Jetzt war er es und zwar mehr als ihr lieb war.

Sie wollte antworten, doch ihre Stimme versagte, also hielt sie ihm einfach die Hausaufgaben hin.

Nic sah sie komisch an, dann riss er die Hefte aus ihren Händen und warf sie wie ein Bekloppter gegen die Wand und schrie dabei: „Und nur wegen dem Scheiß kommst du hier her? Bist du bescheuert oder einfach nur naiv?“

Micaela zuckte zusammen und wich ängstlich und mit Tränen in den Augen vor ihm zurück.

Nics Gesicht war wutverzerrt, doch als er sich im Spiegel hinter ihr so sah wurde seine Wut durch entsetzen abgelöst.

„E-es tut mir leid“ rief er und stolperte nach hinten wo er an der Wand nach unten rutschte.

Er legte seinen Kopf auf die angewinkelten Knie und begann zu weinen.

Micaela wusste nicht warum, aber er schien völlig fertig zu sein. Was war mit ihm los? Was war hier los?

„Nic? Was ist passiert? Warum hast du das gemacht?“ Mutig ging sie auf ihn zu und setzte sich in die Hocke vor ihn.

Nic sah leicht hoch, einzelne Tränen liefen ihm über die Wangen: „E-er ist tot! Alle sind tot! Und ich bin schuld, ich allein!“

„Wer ist tot? Von was redest du?“

„Sie haben sie alle umgebracht, alle… und ich bin der nächste…“

Micaela verstand rein gar nichts, sie wusste nicht was sie machen sollte. Für sie waren das alles nur Wörter die keinen Sinn ergaben.

„Nic! Rede Klartext!“

Ein zittern durchfuhr ihn bevor er antwortete: „Meine Mutter und Alex, beide sind tot!“

Micaelas Augen weiteten sich. War das etwa war?

„W-was? Wer? Du? Warum?“ Fragte sie Fassungslos.

Nic schüttelte den Kopf: „Nicht ich. Die!“

„Wer sind die?“ Die Wörter sprudelten nur so aus Micaelas Mund heraus her aus. Das alles war sowieso nur ein Witz, zumindest redete sie sich das ein.

Nic zog sie auf einmal an den Schultern zu sich: „Ich habe Mist gebaut Micaela. Ich hab mich mit Leuten eingelassen und nun muss ich dafür bezahlen.“

Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, als ihr Blick plötzlich auf seine Arme vielen.

Sein ganzer Arm war voller Einstichstellen, manche frischer und andere bereits älter.

Sie sah ihn an: „Du nimmst Drogen?“

Er nickte leicht zur Antwort.

Micaela schüttelte den Kopf, erst langsam, dann immer schneller. „Nein, nein, nein das ist ein Traum! Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr! Sicher nicht! Wach auf!“

„Micaela! Beruhige dich!“ Rief er und schüttelte sie leicht.

Ein zittern durchlief ihren Körper und sie sah ihn mit ihrem,von ihren Tränen verschleierten, Blick an: „Warum?“

„Ich weiß nicht… es fühlt sich besser an als wenn man in der Realität ist. Es ist eben wie eine Flucht.“

„SCHWACHSINN!“ Schrie sie wütend.

Nic senkte den Blick und seine Arme sanken herab und ließen sie los.

„Nach einer Weile hat mein erspartes nicht mehr gereicht und ich habe mich mit Typen eingelassen, die nur auf solche Idioten wie mich warten. Ich hab mir Geld geliehen ohne darauf zu achten was sie als Zinsen wollten…,“ er hielt inne und presste die Augen zusammen, „Schulden immer mehr und jetzt haben sie das hier getan. Meine Mama und Alex, sie haben sie kaltblütig getötet und ich konnte nichts machen, nichts, gar nichts!“

Michaela bekam das alles nur noch am Rande mit, ihr ganzer Körper zitterte, sie konnte das nicht mehr steuern. Es war wie in einem Traum aus dem man schnell erwachen wollte. Doch sie konnte es nicht.
 

Nic und Michaela sahen beide erschrocken auf, als ein Auto laut vor dem Haus quietschte.

„Shit, das sind sie!“

„W-was? A-aber die waren doch schon hier“

„Das ist doch egal! Die wollen mich!“ Nic sprang auf und stürzte zum Fenster um hinaus zu sehen.

„Wir müssen weg!“ Rief er und riss das Fenster auf.

„Wohin denn?“

„Egal. Hauptsache weg!“

Das war nicht wahr! Es durfte nicht wahr sein!

„Komm schon.“ Sagte er und packte ihre Hand, dann sprangen sie beide zusammen aus dem Fenster.

Michaela stolperte als sie unten aufkam, doch Nic hielt sie fest bevor sie auf den harten Boden fiel.

Ein Schreckensschrei fuhr durch ihren Körper als plötzlich eine dunkle Männerstimme rief: „Da ist der kleine Mistkerl!“

Nic blickte geschockt zu in seine Richtung, dann packte er Michaelas Hand wieder und spurtete einfach los.

Sie wurde einfach hinterher gerissen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie was es bedeutete wirkliche Todesangst zu verspüren. Sie hatte keine Ahnung wie Nic es geschafft hatte seine Beine zu

bewegen, denn ihre hatten sich in Stein verwandelt als sie die Stimme des Mannes gehört hatte.
 

Die beiden Jugendlichen rannten durch die Straßen als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihnen her. Nic legte noch einen Zahn zu als sie das Auto hinter sich hörten. Es war Gott sei Dank noch ein gutes Stück weit weg, doch das würde sich schnell ändern.

Michaela bekam jetzt schon kaum noch Luft, doch Nic und ihre Angst trieben sie erbarmungslos vorwärts, von einer in die nächste Straße.

Nic zog sie weiter hinter sich her, ohne sie loszulassen, in Richtung Wald.

Beide schlüpften bzw. schlitterten unter einem Weidezaun hindurch und rannten über die nasse rutschige Wiese um den zweiten Zaun hinter sich zu bringen und mit einem Sprung im Unterholz zu verschwinden.

Kurz bevor Nic mit ihr zwischen den Bäumen verschwand hörten Michaela den ersten Weidezaun zerbarsten und als sie ihren Kopf zurückdrehte erkannte sie gerade noch wie ihre Verfolger durch die Wiese fuhren und der Dreck nur so an der Seite vorbeispritzte.
 

Erst nach weiteren zehn Minuten blieben sie völlig fertig stehen. Michaela ließ sich schwer atmend auf den nassen Waldboden fallen. Sie zitterte noch mehr als am Anfang.

Der Schreck saß ihr immer noch in Mark und Bein und dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen.

„Es tut mir leid.“ Sagte Nic, der ebenfalls schwer und stockend atmete.

Mit zittrigen Beinen setzt er sich neben sie.

Sie hätte ihn am liebsten angeschrien, konnte sie aber nicht als sie sein mit Tränen verschmiertes Gesicht sah.

„Ich weiß nicht ob ich dir verzeihen kann. Und ich verstehe nicht wie man nur so dumm sein kann umso was zu tun.“

„Ich wollte einfach vergessen… und sie lagen einfach so auf dem Tisch meines Bruders rum. Ich wollte die Probleme vergessen die ich hatte. Ich weiß doch selbst nicht warum ich so ein Vollidiot bin!“

Michaela schüttelte den Kopf, sie vergrub das Gesicht zwischen den Beinen und fing bitterlich an zu weinen.

Nic wollte sie beruhigen und legte eine Hand auf ihre Schulter, doch sie schlug sie einfach weg und schrie wütend: „Fass mich nicht an!“

„T-tut mir leid.“ Sagte er und zog seine Hand zurück.

„Hör auf damit! Wegen dir müssen wir beide vielleicht sterben!“ Sie schluchzte heftig und wischte sich die Tränen weg, was allerdings Sinnlos war, da sie immer noch weinte.

Sie sah ihn wütend an.

„Es tut mir leid.“

Ihre Hand zuckte kurz und dann wischte sie ihm eine: „Glaubst du etwa das wenn du es oft genug sagst, alles wieder gut wird?“

Nic hielt sich die gerötete Wange und flüsterte: „Ja, das glaube ich.“

Michaela sah ihn überrascht an. In diesem Augenblick wirkte er wirklich wie ein kleines Kind.

Sie sah ihre Hand an, die sie zu einer Faust geballt hatte.

Bis jetzt hatte sie ihm wirklich nur Vorwürfe gemacht und nur an sich gedacht, aber sie wusste nicht einmal annähernd wie er sich fühlte. Schließlich war er derjenige der seine Familie eben verloren hatte und sich dadurch auch noch schuldig fühlte.

„Tschuldigung“, sagte sie und umarmte ihn einfach und ohne etwas zu sagen erwiderte er die Umarmung und drückte sie fest an sich.

Michaela wusste nicht wie lange sie so dasaßen, aber es war ihr auch egal. Sie schloss die Augen und lauschte seinem Schluchzen und spürte wie seine Finger sich fest in ihren Rücken drückten.

„Ich werde zur Polizei gehen“, sagte er als er sich von ihr löste.

„A-aber“, sie hielt kurz inne, „willst du ihnen wirklich alles sagen?“

„Nein, aber es ist das einzig richtige.“

Sie wusste dass er Recht hatte.

„Weißt du, es ist mir egal ob ich heute sterbe, aber ich würde es nicht ertragen wenn ich wüsste dass du es auch müsstest.“

Er sah sie an und ein leichtes aufmuntertes lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Das nächste Polizeirevier ist im Nachbar Ort oder?“ Fragte sie und versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, das seine Worte ihr Herz zum Hüpfen gebracht hatte.

„Ja, das sind ca. fünf Kilometer.“

„Das schaffen wir!“ Sagte sie mit fester Stimme. Michaela hatte zwar immer noch Angst und ihre Beine fühlten sich immer noch wie Gummi an, aber Nic war bei ihr und das machte ihr jede Menge Mut.

Ohne noch länger zu warten standen beide gleichzeitig auf und liefen los.

Nic hatte wieder Michaelas Hand genommen und drückte sie leicht.
 

Nach einer gefühlten halben Stunde blieb Nic auf einmal stehen und zeigte mit dem Finger nach vorn. Michaela folgte der Richtung und erblickte das auf das er deutete.

Es war eine kleine alte Kirchenruine, die auf einer kleinen Lichtung lag wo die Sonne genau drauf schien.

Sie glaubte noch nie etwas Schöneres gesehen zu haben und begann zu lächeln. Für wenige Sekunden verflogen die ganze Ängste und die Anspannung.

Doch dann ertönte ein lauter Knall und zerriss das schöne Bild.

Nic ließ ihre Hand los und drückte sie gegen seine Brust. Er schwankte und ein Blutschwall lief aus seinem Mund.

Michaela blickte ihn geschockt an, sie war wie betäubt.

Nic drehte sich mit schmerzerfülltem Gesicht nach hinten um und starrte einen Mann in einem braunen Anzug an, der immer noch seine Waffe auf ihn richtete.

„Jetzt ist es aus.“ Sagte er eiskalt.

Nic schwankte in seine Richtung und noch ein Schuss ertönte, der ihn an der Schulter traf.

Michaelas Augen füllten sich mit Tränen, als Nic aufschrie.

Doch er ging einfach weiter.

Der Mann im Anzug würde wieder scheißen das war sicher.

Panisch blickte sie sich um und entdeckte einen heruntergerissenen Ast am Boden.

Wie der Blitz duckte sie sich und hob ihn auf und warf ihn mit voller Wucht.

Der Überraschte Gegner konnte dem Geschoss nicht mehr ausweichen und bekam ihn mitten ins Gesicht.

Schreiend viel er nach hinten, aber nicht bevor er seine Waffe verlor, die zu Nic schlitterte.

Dieser hob sie auf und zielte auf den Mann am Boden. Dann drückte er ab: PENG.
 

Michaelas Hände zitterten, ihre Füße zitterten, einfach ihr gesamter Körper zitterte und dann übergab sie sich.

Ihre Psyche hielt das einfach nicht aus. Sie war schwach, ja das war sie, aber das war ihr egal.

Sie wischte sich den Mund ab und sah zu Nic.

Er hatte die Waffe fallen lassen und war in Richtung Kirche getaumelt, wo er vor der großen Eichentür zusammengebrochen war.

Schnell lief sie zu ihm und kniete sich neben ihn.

Sein ganzes Hemd und die Hose hatten sich mit Blut vollgesogen, mit seinem Blut.

Er zitterte furchtbar und seine Augen waren glasig.

„Nic.“ Schluchzte sie.

Er versuchte zu lächeln.

„Ich geh Hilfe holen!“ sagte sie unter Tränen und wollte aufspringen, doch er packte ihre Hand und zog sie zurück.

„B-bleib...“, es schien ihm schwer zu fallen zu sprechen, denn er röchelte fürchterlich. Die erste Kugel musste wohl seine Lunge getroffen haben, da ein furchtbarer Blutschwall aus seinem Mund floss.

„W-weißt du vor was ich am meisten Angst habe?“

Sie schüttelte leicht den Kopf.

„Alleine zu streben.“

Michaelas Blick verschleierte noch mehr und sie wischte sich immer und immer wieder über das Gesicht.

Nic legte seinen Kopf unter Schmerzen auf ihren Schoß und sah sie von unten an.

„I-ich wünschte“, er hustete, „ich wünschte das wir noch mal anfangen könnten, wo anders unter anderen Umständen.“

Michaela streichelte ihm über die Stirn: „Ich auch…“

Nic lächelte leicht und hob seine Hand um ihr zum ersten und letzten Mal über die Wange zu streicheln, dann viel sie leblos nach unten.

Michaelas Blick wurde leer und sie machte nicht einmal mehr Anstalten die Tränen wegzuwischen, stattdessen beugte sie sich vor und küsste ihn zärtlich auf den Mund.

Leb wohl.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war einmal eine Arbeit für eine Schülerzeitung, jedoch ist es leider nie dazu gekommen das sie veröffentlicht wurde.
Ich hoffe inständig das sie euch gefällt und euch vielleicht sogar inspiriert^.^ Komplett anzeigen

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