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Wo die Liebe hinfällt (Arbeitstitel, wird noch geändert)

von

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Prolog

Es ist Samstag Nachmittag.
 

Die Leuchtanzeige meiner Digitaluhr zeigt 14:50 an.
 

Noch 10 Minuten...
 

Ganz gleich, wie oft ich auf dieses kleine Wunderwerk der Technik blicke: Die Zeit möchte einfach nicht voranschreiten. Ja, die Gute scheint sich regelrecht gegen mich verschworen zu haben und extra langsamer zu vergehen. Dass dies im Endeffekt schwachsinnig ist, weiß ich selber. Aber trotzdem...
 

Ruhelos schweift mein Blick durch den Park, ohne wirklich etwas zu sehen. Weder die verliebten Pärchen, welche das herrliche Wetter und die für einen Spätherbstnachmittag ungewohnte Wärme genießen, noch die an der Donau spielenden Kinder oder die Jogger, welche mit Kopfhörer im Ohr ihre Runden laufen.
 

Nein, das alles interessiert mich nicht, immerhin warte ich doch auf Jemanden.
 

Aufgeregtes Herzklopfen lässt meine Brust sacht vibrieren und das Blut in meinen Ohren rauschen, meine Hände erzittern. Aber wenigstens hält sich das Taubheitsgefühl in Letzteren heute zurück, welches sich sonst für gewöhnlich des Öfteren einschleicht und vor Allem meine rechte Hand lang unbeweglich werden lässt.

Unruhig wippen meine Füße hin und her, wobei das Leder meiner Stiefel leise knarzt.

Abermals unruhige Blicke auf die Uhr.
 

14:55.
 

Hoffentlich verspätet er sich nicht...
 

Ich habe mich schon öfter mit ihm getroffen.

Eigentlich ist es nichts Weltbewegendes: Nur eine Verabredung zum Spazierengehen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Und doch bin ich so nervös, dass ich am Liebsten umgekehrt wäre.
 

Um mich etwas abzulenken zücke ich einen kleinen Schminkspiegel, um zu überprüfen, ob mein schwarzer Kajal verlaufen ist. Er ist immer noch so perfekt wie beim Auftragen, ebenso wie meine Frisur.

Aber gut, offen gestanden ist Letzteres auch nicht verwunderlich angesichts der Tonnen an Haarspray, welche das bisschen Haar auf meinem Kopf zusammenhalten.
 

Mittlerweile ist die Nervosität beinah unerträglich geworden und der Wunsch, aufzustehen und doch noch fortzulaufen, bevor ER auftaucht, wird immer stärker.

`Ganz ruhig bleiben, du schaffst das schon`, versuche ich mir immer wieder gut zu zu reden. Und ein wenig hilft dies sogar. Mein Atem wird ruhiger, der Herzschlag wieder gleichmäßiger.

Immerhin ist es ja nichts, weshalb man am Rad drehen müsste.
 

15:00 Uhr

Langsam müsste er doch erscheinen...

Und tatsächlich erspähe ich ihn schon von Weitem.

Das ist aber auch nicht sonderlich schwierig, denn immerhin ist er ebenso ein Paradiesvogel wie ich.

Nun macht sich doch wieder eine milde Aufregung in mir breit und ich entschließe mich dazu, von der Parkbank aufzustehen und auf ihn zu zu gehen.
 

Doch meine Beine gehorchen mir nicht.

Bleischwer und doch irgendwie unförmig, schwabbelig fühlen sie sich an. Wie Pudding.

Vorsichtig will ich mich erheben, ziehe mich mit den Händen hoch, denke, dass ich auf ihn zulaufen kann. Immerhin ist er nur noch wenige Schritte entfernt.

Doch als ich den ersten Schritt tun will, verstärkt sich das ungewohnte Gefühl in meinen Beinen, entwickelt sich zu einem unangenehmen Kribbeln.

Angst erfasst mich, umklammert mich eisern wie eine Hand, welche mich fest im Griff hält. Und um ehrlich zu sein, so war das Gefühl gar nicht so ungewohnt...

Die Angst steigert sich nun langsam aber sicher zur Panik, ist das beklemmende Gefühl doch das Selbe wie jenes, welches meine Hände ab und an taub werden lässt.

Kein gutes Zeichen...
 

Kaum habe ich das Gefühl, einigermaßen sicher zu stehen, nehme ich meine Hände von der Bank. Keine gute Idee...

Denn prompt strauchle ich, wobei meine Hände ins Leere greifen, als ich versuche, mich fest zu halten.

Langsam falle ich, spüre einen dumpfen Schmerz am Hinterkopf, als Jener auf einem scheinbar harten Untergrund aufschlägt...
 

Dumpf nehme ich Geräusche wahr, welche langsam lauter werden. Auch das Wort "Notarzt" dringt an meine Ohren...

Und da ist noch etwas...

Immer wieder höre ich, wie ER meinen Namen ruft und mir scheint, als halte mich jemand fest.

Doch noch bevor ich fragen kann, was los ist, verschwimmt meine Umgebung zu einem vagen Farbenmeer, ehe sanfte Dunkelheit mich einhüllt...

An Tagen wie diesen... sollte man besser nicht aufstehen

Es gibt Tage, an denen man das Bett geschweige dem das Haus verlassen sollte. Und wenn der Heutige so weitergeht, ist er auf dem besten Weg, ein Solcher zu werden... Denn zuerst hab ich mich beim Duschen verbrüht, der Kaffee ist ausgegangen und mein Hausschlüssel hat beschlossen, mit mir Verstecken zu spielen. Eine geschlagene halbe Stunde hat es mich gekostet, dieses Mistding zu finden, welches ich letztlich im Bad gefunden habe. Wie der dahin gekommen ist, ist mir immer noch ein Rätsel. Aber gut, zumindest ist der Schlüssel wieder aufgetaucht.
 

Allerdings gerate ich nun ziemlich in Zeitnot, wenn ich mir noch einen Kaffee beim Bäcker kaufen und pünktlich in der Schule erscheinen möchte. Ich könnte mir zwar auch Kaffee am Automaten in der Berufsschule kaufen, aber gerade morgens herrscht dort immer so ein Gedränge, dass man entweder bis Unterrichtsbeginn warten und in Kauf nehmen muss, zu spät zu kommen oder aber man riskiert, keinen Kaffee mehr zu bekommen, da der gern mal ausgeht. Der Kaffeeverbrauch an dieser Schule scheint sehr hoch zu sein, doch anders ist dieser Laden wohl auch nicht wirklich zu ertragen. Zum Glück gibts unweit der Schule einen Bäcker, der ganz guten und vor Allem auch erschwinglichen Kaffee verkauft, doch wenn ich dort noch hin will, kann ich es mir nicht leisten, mit dem Bus zu fahren.
 

Im Klartext heisst das, dass ich mich wohl auf meinen alten klapprigen Drahtesel schwingen muss, welcher sich Fahrrad schimpft, um zur Schule zu kommen. So fahre ich nur wenig später nach Regensburg, in einem Ohr einen Kopfhörer, aus welchem der prägnante Sound der Band Subway to Sally das schneidende Zischen des eisigen Windes übertönt, der mir ins Gesicht peitscht. Offen gestaden, bin ich nicht wie Andere, höre keine "Mainstream-Musik" wie Rap oder Pop, sondern steh mehr auf mitelalterliche, metallastige oder melancholische Klänge. Und auch sonst schwimme ich nicht wirklich mit dem Strom. Denn an meiner Berufsschule bin ich das einzig männliche Wesen, welches jeden Tag mit kajalumrundeten Augen erscheint und manchmal lackiere ich mir auch die Fingernägel schwarz und trage Lippenstift. Doch Letzteres sieht man bei mir nur, wenn ich ausgehe. Doch auch die Tatsache, dass ich überwiegend schwarze Klamotten trage, in Plateaustiefeln rumrenn und stets entweder einen schwarzen Leder- oder Bondagemantel trage macht mich leider nicht wirklich beliebt bei meinen Mitschülern. Im Klartext heißt das, dass diese mich eher meiden und über mich herziehen, obwohl ich mich eigentlich stets sehr darum bemühe, Anschluss zu finden. Aber wahrscheinlich sollte ich dieses Unterfangen endgültig einstellen, denn immerhin werde ich wohl an meinem letzten Jahr an dieser Schule, welches heute beginnt, ohnehin nicht wirklich Zeit dafür finden, Freundschaften zu pflegen. Immerhin werde ich mich bereits in einigen Monaten auf meine Abschlussprüfungen vorbereiten müssen. Als seien diese bescheidenen Umstände nicht schon schlimm genug, fühle ich auf einmal, wie etwas Feuchtes auf meine Wange tropft und hinabrinnt, was sich schließlich verstärkt und sich als fieser Nieselregen entpuppt, welcher dafür sorgt, dass ich mir ein genervtes Seufzen nicht verkneifen kann. Das hat mir gerade noch gefehlt...
 

Zum Glück rückt die Schule und die kurz davor befindliche kleine Bäckerei bereits in meine Reichweite, doch noch bevor ich die Kreuzung überqueren kann rast ein Motorrad auf mich zu und wenn ich nicht noch auf den Grünstreifen ausweichen hätte können, hätte der Fahrer mich sicher erwischt. Doch den scheint das nicht im Geringsten zu stören, denn obwohl ich ihm noch wutentbrannt hinterherbrülle, was für ein Lackaffe er denn doch sei, dreht er sich nicht mal um, geschweige dem dass er anhalten würde. Aber obwohl ich mir das Kennzeichen leider nicht gemerkt habe, ist mir doch zumindest seine Lederjacke aufgefallen, welche ziemlich abgewetzt aussah und auf welcher einige Bandaufnäher angebracht waren. Zudem hatte er einen sehr markanten schwarzen Helm auf, auf dessen Rückseite ein fies grinsender Totenkopf prangte. Solch einen Helm hat doch sicher nicht jeder und da er aufs Schulgelände zugesteuert ist, wird er mir sicher nochmal über den Weg laufen. Und dann werde ich ihn aber ordentlich zur Schnecke machen, soviel ist sicher! Vor lauter Ärger hätte ich beinah mein Vorhaben vergessen und der Blick auf die Uhr zeigt mir deutlich, dass ich mich sputen muss, wenn ich nicht zu spät kommen möchte. Also steige ich rasch vom Rad und betrete die kleine Bäckerei, wo ich mir einen kleinen Latte Macchiato bestelle, welchen ich sogleich gierig zu mir nehme. Allerdings war ich da wohl etwas zu naiv, hatte ich doch nicht bedacht, dass Selbiger ziemlich heiss ist, weshalb ich mir gehörig den Mundraum verbrenne. Aber wie heisst es doch so schön? Wer nicht hören will... Etwas klüger geworden warte ich ab, bis der Kaffee etwas abgekühlt ist, ehe ich mir auch noch den Rest einverleibe, ehe ich den Laden eilig wieder verlasse, um mich erneut auf mein Rad zu schwingen und die Schule anzusteuern, welche ich zehn Minuten vor acht Uhr erreiche.
 

Als ich die Eingangshalle betrete, schlägt mir sofort ein Gewirr aus Stimmen entgegen, welche Schülern gehören, die sich angeregt mit ihren Freunden über die Ferien unterhalten oder die neu an der Schule sind und sich bei den "alten Hasen" nach dem Ablauf hier erkundigen. Doch mich lässt das kalt, denn Freunde habe ich hier keine und nach belangloser Kommunikation seht mir nach diesem verhagelten Morgen nicht wirklich der Sinn, obwohl ich an und für sich doch ein recht geselliger Zeitgenosse bin. Lieber schiebe ich mich an den unzähligen Sitzgruppen vorbei, um an das Schwarze Brett zu gelangen, an welchem verzeichent ist, welche Klasse wo unterrichtet wird. Aha, Zimmer 86, also auf ins erste Stockwerk. Schnell nehme ich die Treppenstufen nach oben und wende mich nach rechts, um den langen Gang hinter zu gehen, ehe das gesuchte Zimmer vor mir auftaucht. Dass meine Pädagogik- und Psychologielehrerin von letztem Jahr nun meine Klassenleitung sein wird begeistert mich zwar nur mäßig, aber ändern kann man auch nicht wirklich etwas daran. Aber noch ätzender ist die Tatsache ,dass ich auch dieses Jahr wohl wieder das Einzige männliche Wesen in unserer Klasse sein werde, denn der Beruf des Kinderpflegers scheint nach wie vor nicht allzu beliebt bei den Herren zu sein. Also auf in die Höhle des Löwen... oder in dem Fall: der Löwinnen...
 

Kaum habe ich das Zimmer betreten, werde ich wieder einmal von 24 Augen angestarrt wie ein giftiges Insekt, passe ich schwarze Gestakt dich so gar nicht in "ihre Welt" und ich musste mir schon oft genug anhören, dass ich die Kinder in meinem Praktikumsbetriebe doch sicher reihenweise so verstören würde, dass diese sicher einen Psychologen benötigen. Dass die Kleinen wunderbar mit mir auskommen und ich mit ihnen, wollen sie nämlich nicht wirklich wahrhaben. Das passt eben nicht in ihr Bild von mir. Doch mir soll es Recht sein. Sollen die denken, was sie wollen, irgendwie werde ich dieses Jahr sicher auch noch überstehen. Seelenruhig begebe ich mich zu meinem Stammplatz in der hintersten Reihe, eo ein einzelner Tisch am Fenster steht, um mich dort niederzulassen und meine schwarze Umhängetasche abzulegen, ebenso wie meinen Mantel. Anschließen suche ich in aller Seelenruhe meine Schuluntensilien heraus. "Entschuldige. Ist hier noch frei?", reisst mich plötzlich eine tiefe, wohlklingende männliche Stimme aus meinen Gedanken und als ich aufblicke, triff mich der Blick sanfter brauner Augen, welche einen leichten orangenen Stich aufweisen und mir einen regelrechten Schauer über den Rücken jagen, ebenso wie die diese wunderschöne Stimme... Ich bekomme keinen einzigen Ton raus und kann mich auch nicht mehr bewegen, sondern lediglich zustimmend nicken. Doch noch bevor ich das Objekt meiner Begierde weiter in Augenschein nehmen kann, bleibt mein Blick an etwas haften, der mein Hochgefühl rasch in Ärger umschlagen lässt: Einen schwarzen Helm, mit einem grinsenden Totenkopf drauf.

Erster Schultag

Ich kann einfach nicht anders, als weiterhin fassungslos auf den Helm zu blicken. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich genau diesen Helm gesehen habe, nachdem ich beinah angefahren worden wäre. Am Liebsten hätte ich den Typen angeschnauzt, allerdings ist dies wohl keine gute Idee. Denn sollte ich mich tatsächlich irren, wäre ich danach garantiert bei diesem unten durch und das wäre ziemlich schade. Immerhin ist es durchaus angenehm, in dem zickigen Hühnerhaufen, der sich Klasse schimpft, nicht das einzige männliche Wesen zu sein. Und wenn man sich mit dem anderen Individuum einigermaßen gut versteht, um so besser.

Zudem zerreißen sich meine werten Klassenkameradinnen sicherlich ohnehin wieder das Maul, wenn ich mich mit einem Kerl unterhalte. Denn nicht nur der Umstand, dass ich mich schminke, schwarz kleide und mit Leib und Seele Goth bin, ist ein Grund für sie, mich zu schikanieren... Zum Einen wäre nämlich noch zu erwähnen, dass ich mit meinen 20 Jahren der Älteste bin und mir diesbezüglich permanent dumme Sprüche anhören darf. Doch warum ich noch die Schulbank drücke, interessiert sie nicht und wenn ich ehrlich bin, bin ich auch ganz froh darüber. Denn dieses Thema vermeide ich gern.

Aber die eigentliche Ursache für den Umstand ,dass ich fast täglich Spott und Anfeindungen ausgesetzt bin, ist die Tatsache, dass mich einige meiner Mitschülerinnen letztes Jahr nach Schulschluss mit einem Kerl knutschend erwischt hatten. Ich bin schwul und steh dazu, auch wenn sich leider bisher noch nichts Festes ergeben hat. Ab und an mal einen One-Night-Stand oder was für ein paar Tage, doch länger als einen Monat hats noch nie einer mit mir ausgehalten. Doch da ich ein meist positiv eingestellter Mensch bin, versuche ich mich in Geduld zu üben, bis ich den für mich Richtigen gefunden habe.
 

"Hallo? Hey, ich rede mit dir!", reißt mich eine energische männliche Stimme aus meinen Grübeleien, wobei ich peinlich berührt feststelle, dass ich die ganze Zeit über den Helm wie hypnotisiert angestarrt habe. Aber nicht nur deswegen wende ich den Blick von dem Neuen ab, denn wenn ich ihn weiter angesehen hätte, wäre ich unter Garantie errötet und hätte ihn permanent angestarrt. Diese Augen... Eine solche Färbung der Iris habe ich noch nie gesehen und ich dachte bisher immer, ich hätte schon eine außergewöhnliche Augenfarbe. Diese hat mir schon des Öfteren das ein oder andere Kompliment oder gar bewundernde Blicke eingebracht, weshalb ich ziemlich stolz auf sie bin. Aber die Augenfarbe des Neuen mit ihrem dunkelbraunen Grundton und den orangefarbenen Facetten haben sicher schon Einige aus der Fassung gebracht. Ich bin mir sicher, dass mein Tischnachbar ein richtiger Mädchenschwarm ist. Immerhin werfen meine Klassenkameradinnen ihm oft schmachtende Blicke zu oder senken schnell den Blick, wenn er sie ansieht. So schnell kommt man also zu Verehrerinnen... Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, bin auch bereits angetan von dem hochgewachsenen Punk mit dem blauen Haar und den ungewöhnlichen Augen. Dennoch ist mir durchaus bewusst, dass ich mir keine Hoffnungen machen darf, kenne ich ihn doch noch gar nicht. Doch dass er nicht schwul ist, ist in meinen Augen klar ersichtlich, weshalb ich mich lieber auf meinen Gesprächspartner konzentriere, bevor er noch sauer wird. Wobei ich ja eigentlich mehr Grund dazu hätte, angesäuert zu sein... So hole ich schon Luft, um all meinen Ärger eine Stimme zu verleihen, jedoch bringt er mich mit einer knappen Geste zum Schweigen. "Bevor du mich rund machst... Es tut mir Leid, dass ich dich vorhin beinah zusammengefahren hätte... Ich war zu schnell dran, weil ich nicht zu spät kommen wollte an meinem ersten Tag hier", versucht er, sich zu rechtfertigen, doch so leicht will ich es ihm nicht machen. "Es mag ja sein, dass nichts passiert ist, aber ist dir klar, dass du mir eine Scheißangst eingejagt hast, als du auf mich zugerast bist?", sprudelt mein Unmut nur so aus mir heraus, wobei alle Blicke auf mich gerichtet zu sein scheinen. Na super, jetzt wird mir sicher wieder der Stempel des überempfindlichen Mimöschens aufgedrückt, doch vor ihnen zu kuschen kommt mir so gar nicht in den Sinn.

Aber noch bevor ich weitersprechen kann öffnet sich die Zimmertür und unsere Klassenleitung betritt den Raum, ehe sie mit uns den Stundenplan für dieses Jahr durchgeht und uns den Neuen als Nicholas Zeiss vorstellt. Diesem werfe ich während des Unterrichts ziemlich giftige Blicke zu, welche ihre Wirkung auch nicht zu verfehlen scheinen, da der Punk immer wieder schuldbewusst zusammen zu zucken scheint. Das Getuschel vor mir ignoriere ich gekonnt, war doch klar, dass eine solche Situation für die "Damen" wieder ein gefundenes Fressen ist... Außerdem habe ich mir fest vorgenommen, diese Ausbildung so gut wie möglich abzuschließen und mich von nichts und niemandem davon ablenken zu lassen. Wenngleich dies alles Andere als leicht fällt bei dem gutaussehenden Punk neben mir... Aber meine Gedanken schweifen schon wieder ab, das ist nicht gut...

Dementsprechend erleichtert bin ich, als die Klingel nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich das Unterrichtsende für heute verkündet und ich eilig das Klassenzimmer verlassen kann. Zwar versucht der Neue wie schon in der Pause, mich zurück zu halten und sich nochmals für den morgendlichen Vorfall zu entschuldigen, doch ich ignoriere ihn gekonnt. Wenn er meint, dass das Ganze mit einer Entschuldigung getan sie, hat er sich geschnitten. Ja, in diesem Punkt bin ich stur, wie ich ehrlich zugeben muss.
 

Noch bevor Nicholas ein weiteres Mal versuchen kann, mich zurückzuhalten schwinge ich mich abermals auf meinen klapprigen Drahtesel und mache mich eilig auf den Weg in meine Wohnung in einem Regensburger Vorort, welche ich schließlich nach einer gut halbstündigen Fahrt und dem Gang in den vierten Stock eines Mehrfamilienhauses erreiche. Auch wenn der Tag an sich eigentlich nicht so anstrengend gewesen ist, fühle ich mich dennoch furchtbar müde und erschöpft. Wahrscheinlich ist das dem Schock des vereitelten Unfalls geschuldet.

Aus diesem Grund begebe ich mich erst einmal in die kleine Küche, um mir Tee zu machen, ehe ich an meinen Laptop gehe, um diesen hochzufahren und und mich im Internet in eine Chat-Community einzuloggen, wobei ich dabei sehr aufgeregt bin wie immer, wenn ich diese Website besuche. Aufmerksame huscht mein Blick über meine virtuelle Freundesliste, suchen einen bestimmten Nicknamen und als ich sehe, dass "er" online ist, schlägt mein Herz bis zum Hals. Und das, obwohl ich "ihn" nur virtuell kenne, ihn noch nie getroffen und auch noch nie ein Bild von ihm gesehen habe. Er hat auch noch nie ein Foto von mir ein Foto gesehen, da ich Vorurteile und blöde Kommentare vermeiden wollte bisher. Und die Chat-Dialoge mit ihm zu verlieren wäre wirklich sehr schade, teilen wir doch einige Ansichten diskutieren oft bis spät in die Nacht hinein oder stehen einander mit gutem Rat zur Seite. Und das schon seit vier Monaten, obwohl wir einander völlig fremd sind. Jedoch kommt es mir so vor, als würden wir einander schon ewig kennen und ich habe mir fest vorgenommen "One Winged Angel", wie er sich nennt, wenigstens einmal persönlich zu treffen.
 

Doch noch bevor ich mich dazu durchringen kann, ihn anzuschreiben, höre ich, dass das Teewasser fertig gekocht ist, weshalb ich mich raschen Schrittes in die kleine dunkelrot lackierte Küche begebe, um mir dort eine Tasse Lycheetee aufzubrühen. Ich besitze einfach ein enormes Faible für außergewöhnliche Teesorten und auch wenn mein Nebenjob in einer Bibliothek nicht allzu viel abwirft, kaufe ich mir trotzdem ausschließlich losen Tee aus dem Teeladen meines Vertrauens. In manchen Belangen bin ich eben ein recht eigenwilliger Mensch.

Rasch bereite ich mir noch ein Käsebrot zu, habe ich doch gerade festgestellt, dass ich den ganzen Tag lang noch nichts zu mir genommen habe außer des Kaffees am Morgen. So kehre ich schließlich wenig später mit meinem Brot, sowie einer Tasse dampfenden Tees "bewaffnet" in mein owhnzimmer zurück, um auf dem Couchtisch Beides abzustellen und es mir anschließend auf dem Sofa mit dem Laptop gemütlich zu machen. Ob ich One Winged Angel anschreiben soll? oder gehe ich ihm damit nur auf die Nerven? Immerhin haben wir fast täglich Kontakt miteinander, da kann es durchaus sein, dass er mal eine Weile seine Ruhe vor mir haben will. Denn leider besitze ich die leicht nervig werdende Angewohnheit, mir wichtige Personen alles anzuvertrauen, was mir auf dem Herzen liegt, ob sie wollen oder nicht. Ich bin so in meine Grübeleien vertieft, dass ich gar nicht bemerkt hab, das ich angeschrieben wurde. Doch als mein Blick schließlich doch zum Monitor abdriftet, auf welchem die Nachricht One Winged Angel hat dich angesprochen erscheitn kann ich einfach nicht anders, als zu grinsen, während sich eine angenehme Aufregung in mir breitmacht.
 

One Winged Angel: hi süßer, wie gehts dir? hast du den ersten schultag gut überstanden?
 

Auch wenn wir einander noch nicht allzu lange "kennen", hab ich ihn bereits unheimlich lieb gewonnen. Zu meiner Schande muss ich sogar gestehen, dass ich mich ziemlich in ihn verguckt hab. Oder vielmehr in seinen Charakter, immerhin weiß ich weder wie er aussieht, noch wie er heißt. Und dennoch kann ich nicht umhin, mir wieder einmal einzugestehen, dass ich ihn unheimlich gern mag. Auch die Tatsache, dass wir einander mit "Süßer" ansprechen zeigt, dass wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander besitzen und ich freu mich immer wieder ungemein auf schöne Gespräche mit ihm, seien es tiefgründige Diskussionen oder kleine, kindische Albereien. Und auch heute ist mir dies ganz Recht, hoffe ich doch, auf diese Weise genug Ablenkung zu bekommen, um nicht permanent an die umwerfenden Augen eines gewissen Punks denken zu müssen... Außerdem sollte ich meinem Chatpartner nun auch langsam mal antworten, nicht, dass dieser am Ende noch eingeschnappt ist, weil keine Erwiderung meinerseits kommt. Also ran an die Tastatur, wobei das Lächeln gar nicht mehr aus meinem Gesicht weichen will. Zum Glück kann mein Gesprächspartner nicht sehen, wie ich gerade dämlich grinsend wie ein schwärmerischer Teenager vor meinem Laptop hocke und aufgeregt eine Antwort verfasse.
 

Shadowdancer: hi süßer! schön, dich zu lesen! mir gehts gut und dir? wie war denn dein erster schultag?
 

One Winged Angel: der war ganz okay, ich komm mit meinen neuen klassenkameraden gut aus, denk ich mal. man kann ja am ersten tag noch nicht all zu viel sagen. auch wenn mich der erste klassenkamerad schon nicht sonderlich leiden kann, aber... that`s life :) kennst ja wohl selber, dass wir "paradiesvögel" eben nicht immer gut ankommen xD
 

Unweigerlich drängt sich mir während des Lesens wieder die Szenerie vom Morgen auf, wobei ich ein leicht genervtes Seufzen nicht vermeiden kann. Denn die Tatsache, diesen Kerl morgen wiederzusehen und neben mir sitzen zu haben erfreut mich nicht gerade. Oder bin ich etwas zu ungerecht und hart ihm gegenüber? Immerhin hat er doch versucht, sich zu entschuldigen... Aber ich bin eben nun mal ein sturer Mensch, weshalb ich mir auch felsenfest vornehme, diesen Nick auch erstmal in den nächsten Tagen weiterhin zu ignorieren. Das mag vielleicht etwas kindisch anmuten, aber ich bin nun einmal so. Ob ich meinem Chatpartner von dem Vorfall erzählen soll? Nach einigem Überlegen entscheide ich mich doch dagegen, will ich diesem mit meinen läppischen Problemen nicht auf den Nerv fallen.

So will ich ihn gerade nach seinem sonstigen Befinden fragen, als ich merke, dass ich in meiner rechten Hand kein Gefühl mehr besitze. Panik macht sich in mir breit, denn meine Hand ist nicht einfach wegen der monotonen Haltung der Selbigen durch das Stifthalten in der Schule oder Ähnlichem eingeschlafen. Nein, das hat ganz andere Ursachen... Denn seit 5 Jahren leide ich an Multipler Sklerose, einer Erkrankung des Zentralen Nervensystems, welche sich bei jedem Erkrankten anders äußert. Das kann sich wie bei mir anhand vom Taubheit an manchen Körperstellen oder auch extremer Müdigkeit bemerkbar machen. Aber es kann auch so weit gehen, dass Lähmungserscheinungen auftreten oder man komplett im Rollstuhl landet. Und Letzteres ist meine größte Angst. Es ist zwar nicht gesagt, dass die Krankheit bei mir auch so verlaufen muss, aber dennoch kann ich nicht verhindern, dass dieser Gedanke mich einfach nicht mehr loslässt.
 

Auch wenn es meinem Chatpartner gegenüber nicht wirklich gerecht ist, so ist mir die Lust auf ein Gespräch gerade gehörig vergangen und da ich mit einer Hand nur schwerlich tippen kann, verabschiede ich mich nicht einmal von ihm, auch wenn dies wirklich nicht gerade die feine englische Art ist. Aber ich habe gerade irgendwie das Gefühl, es in meiner Wohnung nicht mehr auszuhalten. Aus diesem Grund streife ich mir abermals meinen langen Bondagemantel über, schnappe mir meine Kampftasche mit Schlüssel und Geldbeutel, um mich zu einem Spaziergang aufzumachen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Auroria
2013-10-03T23:43:04+00:00 04.10.2013 01:43
bin gespannt wie es weitergeht :)


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