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Neun Millimeter

[BangHim]
von

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Target o2 - Man sieht sich immer zwei Mal im Leben

Seine Erinnerung war verschwommen. Er konnte sich daran erinnern, was er gestern gemacht hatte und er erinnerte sich auch an diese fragwürdige neue Bekanntschaft, aber natürlich hatte er seinen Vorsatz, nicht mehr allein Alkohol zu trinken, erfolgreich verdrängt und vergessen. Und sein Kopf dröhnte, fühlte sich an, als hätte man ihn in Watte gepackt.

Er hatte keine Ahnung mehr, wie er in seine Wohnung gekommen war, aber er war allein und es sah auch nicht so aus, als wäre hier jemand anderes, außer ihm, gewesen. Gut so. Er hasste es, wenn er jemand abschleppte und sich dann nicht daran erinnern konnte. Noch ein Grund, wieso er eigentlich kein Alkohol trinken sollte. Das war dann wohl der Fluch, wenn man asiatische Gene hatte und dünn war. Man vertrug nicht viel von diesem Teufelszeug.

Mit einem kehligen, müden Knurren setzte er sich schließlich auf, legte die Hände an den Kopf und massierte seine Schläfen einen kurzen Moment. Die Sonne erhellte das unglaublich unordentliche Zimmer und Yongguk hatte keine Ahnung, wie spät es war. Er blinzelte etwas gegen die Helligkeit, hatte die Stirn in Falten gelegt und griff dann schließlich zu dem Handy, das auf seinem Nachttisch lag, sah auf die Uhr und stöhnte dann leise auf, widerstand dem Drang das Handy einfach achtlos zur Seite zu werfen und weiter zu schlafen.

Es war Nachmittag und er hatte bis eben geschlafen und sein Kopfweh war kurz davor ihn zu erschlagen. Er rieb sich die Augen kurz, unterdrückte ein halbherziges Gähnen und stieg dann aus dem Bett. Er musste unbedingt mal wieder aufräumen, dachte er sich, als er eine herumliegende Hose zur Seite trat und das Bad ansteuerte. Heute stand ja nichts an, als hätte er vielleicht Zeit dafür.

Heute stand doch nichts an, oder?

Yongguk war sich nicht sicher, aber das war ihm im Moment egal, er brauchte erst einmal eine Dusche und ein Frühstück mit einem starken Kaffee und dann konnte er nachdenken, ob heute Arbeit anstand, oder nicht. Wenn er einen Kater hatte, war er absolut kein Morgenmensch.

Es stand tatsächlich nichts an, stellte er satt, frisch geduscht, eine gute Stunde später, fest und während er sich fragte, was er denn jetzt mit seinem Tag anfangen würde, kratzte er sich im Nacken und betrachtete seine chaotische Zweizimmerwohnung.
 

Er hatte es tatsächlich geschafft die Hälfte des Zimmers aufzuräumen. Halbherzig zumindest; jetzt sah es nicht mehr ganz nach einem Schlachtfeld aus. Er fragte sich, wann er angefangen hatte so unordentlich zu werden und stellte dann fest, dass es eigentlich egal war. Dass sein Leben langsam aber sicher aus dem Ruder lief, bemerkte er nur am Rande. Langsam wurde alles um ihn herum irgendwie egal.

Vor allem, seitdem sie nicht mehr an seiner Seite war.

Eigentlich hätte er gedacht, dass er das Foto weggeworfen hatte. Aber vermutlich hatte er es nicht übers Herz gebracht. Vermutlich war er zu schwach gewesen und wollte an dieser schönen und bitteren Erinnerung festhalten. Yongguk konnte nicht loslassen. Zumindest nicht in dieser Situation.

Er saß auf dem Boden, an sein Bett gelehnt und betrachtete das alte Foto in seiner Hand, das ihm beim Aufräumen in die Hand gefallen war.

Sie war so schön. Er hatte ihre großen, stets dezent geschminkten Augen so vergöttert. Er konnte sich noch genau an ihre weichen Lippen erinnern, er wusste welches Parfüm sie getragen hatte und es war fast so, als könnte er es in der Luft riechen, wenn er nur an sie dachte. Er erinnerte sich daran, wie sie gekichert hatte, wenn er ihre Seite gekitzelt hatte, erinnerte sich an ihre Berührungen und an all die schönen Momente, die sie zusammen erlebt hatten. Und an all das andere wollte er gar nicht denken, weil all das andere, der Schluss, nur etwas war, was ihn deprimierte. Die gute Zeit hatte die schlechte überwogen, aber die Beziehung nicht vor dem Auseinanderbrechen bewahrt.

Egal wie sehr er es hasste, egal wie sehr sie seinen Hass verdient hätte; er vermisste sie. Sie fehlte ihm. Mit ihrem Gehen war irgendwie so viel zerbrochen. Aber gleichzeitig wusste er, dass er sie gar nicht mehr zurück wollte. Sie hatte ihn betrogen und wie ein Stück Dreck behandelt und dennoch waren die Erinnerungen an die schönen Tage da, dennoch erinnerte er sich daran, wie sehr er sie geliebt hatte.

Er hatte den Drang das Foto zu zerreißen, hatte Lust ihr schönes Lächeln zu zerkratzten und die Erinnerungen endgültig aus seinem Hirn zu verbrennen. Aber es ging nicht. Es war noch nie gegangen und vermutlich würde sie nie ganz aus seinem Leben verschwinden.

Das Handy, das noch irgendwo auf dem Bett lag, vibrierte und riss ihn aus seinen ätzenden Gedanken. Er tastete blind nach dem Handy, das irgendwo hinter ihm lag, fand es schließlich und sah wenig später auf das Display. Er verzog die Lippen kurz, nahm den Anruf dann jedoch entgegen.

»Ja?«, meldete er sich, während seine dunklen Augen noch immer auf das Gesicht der Dame auf dem Foto blickten, die ihn mit einem wunderschönen Lächeln anstrahlte.

»Und, genießt du deinen freien Tag?«, wollte die Männerstimme an der anderen Leitung wissen.

»Ja«, log er.

»Sehr gut. Gibt eine neue Planänderung. Morgen um vierzehn Uhr, du weißt wo.«

Er schwieg einen Moment. Planänderung hieß nicht immer was Gutes. Nicht immer, manchmal schon. Dennoch freute er sich nicht wirklich.

»Geht klar«, sagte er und warf das Foto achtlos zur Seite, stand schließlich auf. »Sonst noch was?«

»Nein.«

Und nach diesem Wort hörte er nur noch ein nervtötendes Piepen. Er nahm das Handy vom Ohr, legte ebenfalls auf und warf es zurück auf das Bett. Fühlte sich so an, als wäre sein Tag schon gelaufen, obwohl er für ihn erst vor ein paar Stunden angefangen hatte. Aber er verabscheute es, wenn er nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Er fühlte sich perspektivlos, wenn er nicht arbeiten musste. Und wenn er arbeitete, fragte er sich, was er tat.

Nicht darüber nachdenken war die Devise. Einfach nur machen, funktionieren wie eine Maschine. Nachzudenken war nur gefährlich. Für ihn, für alle anderen. Also sollte er es wohl besser lassen, wenn es um solche Themen ging.

Stattdessen sollte er sich überlegen, was er jetzt tat. Die Füße vertreten? Einkaufen? Was taten normale Menschen denn nach der Arbeit? Fernsehgucken? Frustessen? Vor dem PC sitzen? Er hatte keine Ahnung. Aber einfach nur hier sein und nichts tun wollte er auch nicht. Vielleicht wurde es mal wieder Zeit, dass er jemand abschleppte. Aber dachte er länger darüber nach, hatte er darauf auch keine Lust.

Ätzend. Seine Laune war im Arsch und es kotzte ihn an, weil er eigentlich kein Mensch war, der in so einer Stimmung feststeckte. Eigentlich war er meist ein ganz umgänglicher Mensch. Wenn er nicht gerade betrunken war, arbeitete oder einen Kater hatte. Dummerweise hatte er im Moment einen Kater...
 

Er stand vor dem Regal und hatte keine Ahnung, was er kaufen sollte. Irgendwie lachte ihn alles und doch nichts an. Aber wenigstens war der Kater inzwischen nur noch halb anwesend und er konnte sich wieder auf andere Dinge konzentrieren. Wie zum Beispiel seinen leeren Kühlschrank. Er griff zu der Reispackung, die kurz darauf in dem Einkaufskorb landete.

»Na sowas«, konnte er jemand sagen hören und war sich sicher, dass diese Person ihn ansprach. Vielleicht weil die Stimme nah war und vielleicht, weil da jemand in das Sichtfeld seiner Augenwinkel getreten war. Er hielt in der Bewegung inne und blickte zur Seite und sah in das Gesicht einer Person, die er im ersten Moment nicht zuordnen kannte. Er wusste nur, dass er sie schon mal gesehen hatte.

»Man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Und, den Kater überlebt?«

Yongguk erinnerte sich. »Offensichtlich«, antwortete er und grinste schief.

»Erinnerst du dich an mich?«

»Vage«, antwortete er ehrlich. »Hab ich irgendwas angestellt?« Seine Stimme war nicht ansatzweise so genervt wie gestern. Er klang locker und neutral gelaunt und wirkte alles andere als abwertend. Aber er war ja auch nicht mehr betrunken und sein Kopfweh war verschwunden.

»Wenn man davon absieht, dass ich nass durch die kalten Straßen laufen musste, nein.«

Er hob die Augenbraue an und sah ihn etwas ratlos an.

»Du hast ein Glas Wasser über mich gekippt«, sagte der Mann, dessen Namen Yongguk beim besten Willen nicht mehr wusste.

»Oh. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Und in meiner Erinnerung warst du auch nicht halb so groß«, bemerkte er dann. »Tschuldige für die Aktion, war wohl nicht gut gelaunt.«

»Du warst fürchterlich schlecht gelaunt, Yongguk«, antwortete der Mann grinsend.

Er hatte ihm sogar seinen Namen gesagt? Oh man, wie dicht war er eigentlich gewesen?

»Hmh, Alkohol«, rechtfertigte er sich, obwohl er wusste, dass das alles andere als eine Rechtfertigung war.

»Wusste gar nicht, dass du so freundlich sein kannst«, sagte der Mann mit den schwarzen Haaren, dessen Namen ihm noch immer nicht einfallen wollte.

»Du weißt vermutlich gar nichts über mich... Wie war dein Name noch gleich?«

»Himchan«, antwortete er.

Yongguk griff endlich nach der zweiten Reispackung und warf sie in seinen Korb. »Dafür, dass du dich so volllaufen lässt, ernährst du dich ganz schön gesund«, kommentierte Himchan und klang fast beeindruckt.

»Seh ich so aus, als würde ich von Chips leben?«, fragte er dann etwas irritiert und schenkte ihm ein mildes, schiefes Lächeln.

»Uhm, nein, natürlich nicht, aber... oh Gott, ich red mich hier gerade in den Schlamassel, oder?« Himchan kratzte sich am Nacken und Yongguk gluckste amüsiert. »Ein bisschen«, gab er dann zu.

»Aber ist ja keine Wasserflasche in der Nähe, die du über mich kippen kannst.«

»Aber Öl«, bemerkte er und machte eine kurze Bewegung mit dem Gesicht zu dem Sesamöl.

Himchan hob die Hände schützend. »Das wagst du nicht!«

»Keine Angst«, beruhigte Yongguk ihn.

»Bist du wirklich dieselbe Person, die ich gestern, oder eher heute früh, kennengelernt hab?«

»Ich weiß nicht, bin ich dieselbe Person?«, stellte er die Gegenfrage und diesmal hatte das Gespräch wohl vertauschte Rollen.

Himchan zögerte. »Erzähl mir was von dir.«

Und dann stockte Yongguk einen Moment. War das eine Fangfrage? »Ich bin ein Arschloch?«, sagte er und es klang mehr wie eine Frage, gefolgt von einem breiten Grinsen.

»Okay, ihr seid dieselbe Person.« Himchan schien etwas amüsiert und Yongguk verstand zwar nicht ganz genau, was hier passierte, aber es war in Ordnung. Vermutlich hatte er gestern einfach dasselbe gesagt. Aber hey, genau genommen war er ziemlich oft ein Arschloch.

»Ist das jetzt gut, oder schlecht?« Er setzte sich in Bewegung und es wunderte ihn nicht, dass Himchan ihm folgte.

»Da bin ich mir ehrlich gesagt noch nicht sicher«, sagte Himchan und schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Bist du heute Abend wieder in der Bar?«

»Gott bewahre. Nein.«

»Oh, okay. Steht was an? Ein Date?«

»Nein«, sagte er ehrlich.

»Wurdest du gestern also doch versetzt?«

»Nein, wurde ich nicht.« Er blieb stehen und drehte sich zu dem Schwarzhaarigen um, betrachtete ihn. »Hast du mich das gestern nicht auch schon gefragt?«

»Daran kannst du dich also noch erinnern.« Eine Feststellung von Himchan was die Frage damit wohl auch bejahte.

»Es interessiert dich also, ob ich eine Freundin habe?«, fragte er dann einfach.

»Hm, weiß nicht. Vielleicht. Generell interessierst du mich wohl. Hab dich ja nicht umsonst angesprochen.«

»Ach, und ich dachte, es wäre ein Hobby von dir nüchtern in einer Bar zu sitzen und betrunkene Menschen von der Seite anzureden und sich über sie lustig zu machen.« Dachte er darüber nach, würde er vielleicht sogar gefallen an diesem Hobby finden.

Himchan gluckste ertappt. »Nein, eigentlich nicht.«

»Ich interessiere dich also«, sagte Yongguk ruhig, während er sich wieder von ihm wegdrehte und weiter lief, versuchte zu überlegen, was er noch hatte kaufen wollen.

»Ich mag deine Haare«, sagte der andere.

Erneut hielt Yongguk inne und drehte sich zu Himchan, der gerade irgendetwas aus dem Regalen zog. Er runzelte die Stirn. »Okay? Danke.« Sie hatte seine roten Haare nie gemocht. Aber er verdrängte sie so schnell aus seinen Gedanken, wie sie gekommen war.

»Lust heute Abend was zu unternehmen?«, fragte Himchan und Yongguk stellte sich die Frage, ob dieser Kerl auch andere Hobbys hatte.

»Klingt fast nach nem One-Night-Stand«, sagte er trocken.

Himchan schwieg einen Moment und sah unsicher aus. »Ist das jetzt schlecht oder gut?«

Yongguk hatte eigentlich nicht mit so einer Frage gerechnet. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Also zuckte er nur mit den Schultern. »Weiß nicht.«

»Ich, uh, find' dich einfach interessant. Und na ja, das Angebot steht. Wenn du also Lust hast, ruf mich an.« Himchan hatte seinen Arm gehoben und ihn auf Yongguks Schulter gelegt und ihm kurz darauf einen Zettel unter die Nase gehalten. Er hatte ihn nur aus reinem Reflex entgegen genommen, betrachtete kurz die Zahlen, die offensichtlich eine Handynummer waren und sah dann zu Himchan, der ihm ein breites Grinsen schenkte, ihm winkte und hinter einem der Regale verschwand.

Perplex sah er ihm hinterher, senkte den Blick dann auf den Zettel in seiner Hand, sah wieder auf und hatte völlig vergessen, was er hier gewollt hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  queermatcha
2014-02-07T12:01:03+00:00 07.02.2014 13:01
Haha xD War ja klar, dass sie sich nochmal über den Weg laufen. Ich finds irgendwie ziemlich niedlich, dass Himchan sich so für Gukkie interessiert. Und was ich auch sehr mag, ist dein Schreibstil. Der liest sich wirklich sehr gut. Hat mir super gefallen, das Kapitel. *zum nächsten dackel*


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