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Die Trauerweide

von

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Das Lied der Trauerweide

Das Lied der Trauerweide
 

Kleine Sonnenstrahlen brachen durch die dichte schwarze Front aus Wolken. Glitten auf die Erde hinab

und wärmten die jungen Blätter mit ihrem sanften Licht. Die Luft roch noch schwer und dennoch frisch.

Es hatte seit Tagen geregnet und das Wasser sammelte sich in winzigen Seen. Sanft tanzten die kleinen

Lichtreflexe auf den trüben Oberflächen und verliehen dem brackigen Wasser einen Moment der

Schönheit.

Vielleicht hatte die Welt während der letzten Jahre zu viel Schreckliches erdulden müssen, hatte zuviel

Blut der Menschen in sich aufgenommen, um etwas wahrhaft schönes hervor bringen zu können.

Manch einem erschienen deshalb die Blumen weniger farbenprächtig, der Gesang der Vögel weniger

melodisch und für viele hatte sich die Sonne auf ewig verdunkelt, da ihr eigenes Licht in der Schwärze

aus Krieg und Verlust verglüht war...

Mit eiligen Schritten lief der kleine Junge der schwarzen Wölfin hinterher. Vergrub seine winzigen

Fingerchen tief im schwarzen Fell. Gutmütig lies das alte Tier es geschehen, stupste ihr Anhängsel

leicht mit der ergrauten Schnauze an und trottete dann schwerfällig weiter. Lächelnd beobachtete

Ayesha das Schauspiel. Loba war alt geworden, doch das hatte an ihrem sanften Wesen nichts

verändert.

"Wir sind alle älter geworden", dachte sie und spielte mit einigen Haarsträhnen, durch die sich bereits

jetzt schon einige graue Schleier zogen. Es waren die vielen dunklen Stunden gewesen, die ihre Jugend

schneller vergehen hatte lassen, als ein Herzschlag. Es war soviel geschehen. Ihr Vater hatte den Tod in

der Schlacht gefunden, das erste Opfer von vielen in diesem Krieg über den so viele weinten.

Sie erinnerte sich noch genau, wie Krieger den geschundenen Leichnam ihres Vaters in das Dorf

gebracht hatten. Deutlich vernahm sie die klagenden Gesänge der Alten, sie selbst war in diesem

Moment nicht fähig gewesen auch nur eine Träne zu vergießen.

Alles war seit jenem Tag nun Gewissheit, sie war die Nachfolgerin und schützte die Menschen nach all

ihren Kräften. Doch nicht nur Arlon war von ihnen gegangen. Auch Markos hatte in die trüben Augen

Ferons geblickt, ebenso wie der schwarze Schatten...

Eine leichte Gänsehaut ließ Ayeshas Nackenhaare erzittern. In ihrem Geist hörte sie die fassungslose

Stimme Ryans, gezittert hatte sie und geweint, damals, als sie nach der Überbringung der Nachricht an

Nima, die ihr drittes Kind unter dem Herzen getragen hatte, zu ihr gekommen war. "Jetzt verstehe ich

ihn", hatte sie gesagt und ihre Augen waren wie aus Glas. "Jetzt, da er nicht mehr ist..."

Immer zu, wenn Ayesha sich an Ryan erinnerte, sah sie das abgekämpfte, geschundene Gesicht, das

nun eine breite Narbe über die rechte Wange zierte. Der Kampf mit dem schwarzen Schatten hatte nicht

nur äußerliche Spuren hinterlassen.

Manchmal erschreckte es Ayesha, dass Ryan seit jenen Tagen noch ernster geworden war. Sie war oft

nachdenklich, in sich gekehrt und nicht wirklich im Hier und Jetzt sonder weit fort. Wie sie selbst trug

Ryan nun Verantwortung, eine gigantische Last auf ihren Schultern.

"Zu wenig Zeit", flüsterte Ayesha und setzte sich zu den Füßen der großen Trauerweide und blickte

nachdenklich über den See hinweg. An diesem Ort fühlte sie sich Ryan nahe, der weiße Stein glühte

dann stets auf und ließ sie wissen, dass sie nicht alleine war. Und doch war sie es, ihrer Begegnungen

waren so wechselhaft wie das Wetter und doch war Ayesha auf eine merkwürdige Art und Weise

zufrieden.

"Mutter", winselte eine trotzige Stimme hinter ihrem Rücken und die zuvor nachdenklichen

Gesichtszüge Ayeshas wurden weich. "Was hast du denn, mein Schatz?"

Missmutig stampfte der kleine Junge mit seinem Fuß auf, wischte sich über die Nase und sein

schwarzes Haar hing ihm in die Stirn. "Loba läuft immer vor mir weg. Dabei will ich ihr doch gar nichts

tun, ich möchte doch nur mit ihr spielen."

Sanft lächelte Ayesha, zog den Jungen in ihre Arme und strich ihm mit der flachen Hand die Tränen aus

den Augen. "Du musst geduldig sein. Loba ist alt geworden, geh noch einmal zu ihr aber dieses Mal

nicht ganz so laut und stürmisch, in Ordnung?"

Stumm nickte ihr Sohn und lief so schnelle er gekommen war auch wieder von dannen. Erst, als er

einige Meter vor der Wölfin stand wurde er langsamer, nährte sich Loba mit Vorsicht und diese wedelte

auffordernd zum Spiel mit ihrer Rute.

Seufzend blickte Ayesha ihrem Sohn nach, und wie so oft dankte sie den Göttern, dass er kaum etwas

von seinem Vater besaß, sondern rein äußerlich eher in ihre Richtung schlug. Es verging kein Tag, an

welchem sie in das Gesicht ihres Kindes blickte, dass sie sich nicht fragte, warum sie dem Drängen

Torats nachgegeben hatte. Er war wenige Monate nach Kriegsausbruch in ihr Dorf gekommen und hatte

sich darauf berufen, dass es der Wille ihrer Väter gewesen war einander zu ehelichen.

Es hatte Ayesha einige Tage Überredung gekostet um diesem Mann klar zu machen, dass sowohl er als

auch sie keine tiefere Verbindung wollten und es einzig und alleine darauf ankam die Nachfolge ihrer

beider Stämme zu sichern. Selbst jetzt empfand es Ayesha immer noch als das unrühmlichste Motiv ein

Kind zu zeugen, aber man sagt ja zu recht, dass auch unrühmliche Motive einen guten Zweck

herbeiführen mögen und so war es auch.

Nur ein einziges Mal zuvor hatte Ayesha solch eine tiefe und reine Liebe empfunden, wie jetzt zu ihrem

Sohn.

Jedoch im gleichen Atemzug schlug ihr schlechtes Gewissen heftig und greifbar, denn nur sie selbst

wusste, dass sie damals womöglich, als sie Torat nachgab, auch Ryan verletzten wollte. Und Ryan war in

der Tat verletzt gewesen, sie hatte es nie in Worte gefasst, wohl auch nicht fassen können, aber es

hatte sich etwas in ihren Augen verändert.

Die Selbstverständlichkeit war gewichen und hatte bitterer Erkenntnis platz gemacht. Erkenntnis, dass

auch alles anders hätte sein können. Vielleicht besser oder schlechter, aber anders.

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erhellte Ayeshas Antlitz, wie sehr sie Ryan vermisste wusste nur sie.

Es verging kein Tag der Hoffnung, der Erwartung oder der Enttäuschung wenn sie keine Nachricht

erreichte. Sie beide waren älter, rationaler geworden, und doch fühlte sich Ayesha in jenen Momenten,

wenn sie einander nahe waren wie in dieser Nacht, als sie Ryan in ihren Armen gehalten und in den

Schlaf gesungen hatte. Sie fühlte die Liebe und Geborgenheit, welche nie verschwunden war.

Selbst das Rad der Zeit hatte sie weder mildern noch vernichten können. Jeden Augenblick war sie für

Ayesha präsent.

Sacht stützte sie sich mit der linken an dem mächtigen Stamm der Trauerweide ab. Ein lauer Wind fuhr

durch das Geäst, und die Weide sang leise ihr Lied von Klage und Demut.

Sanft glühte der weißte Stein auf, kündete von dem Besuch eines geliebten Menschen. Kleine

durchsichtige Perlen rannen Ayeshas Wangen hinab, doch dieses Mal waren es keine Tränen der

Verzweifelung, sondern Tränen der Vorfreude. Sie hatte nun gelernt, die Zeichen zu lesen, welche ihr

die kleine Kostbarkeit zusendete.

Ryan war nicht mehr weit von ihr entfernt.

Durch einen leichten Tränenschleier hindurch sah Ayesha wie die langen Äste der Trauerweide über den

Boden kleine Kreise zogen und letztendlich bei ihren eigenen Wurzeln zur Ruhe kamen. Sie lächelte und

flüsterte leise: "Wie diese Weide kraft in ihren Wurzeln findet, so findest auch die sie. Selbst wenn du es

immer noch nicht begreifen kannst, Ryan. Hier sind deine Wurzeln und ich werde immer auf dich

warten. Immer..."
 

Ende
 

Nachwort:

So, jetzt ist diese Geschichte doch wirklich zu ende *schnief*

Ja, ich behandle sie mit großer Liebe, sie ist meine erste wirklich abgeschlossene, lange Geschichte.

Und ich hab auch gar nicht lang für gebraucht, nein, wie komme ich nur auf diese Idee?!

Für diejenigen, die evtl. die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben, sei gesagt, das hat

alles schon so seine Richtigkeit. Nicht nur im Anbetracht auf eine baldige "Fortsetzung" sondern auch,

weil ich irgendwie Ayesha noch mehr eine Art Eigenständigkeit geben wollte. Es sollte nicht nur so

aussehen, als würde sie ein Abbild von Teleri werden, was ich nie beabsichtigt hatte. Das Markos den

Tod gefunden hat war vorhersehbar, jedenfalls sehe ich das so. Dies war auch seine Motivation dafür

Ryan mit allen Mitteln mit sich zunehmen. Dass es keinen öffentlichen Showdown gab möchte ich

ebenfalls erklären. Ich persönlich habe mir lange überlegt ob es mit einfließen soll, doch dann dachte

ich, dieser Epilog soll Ayesha gehören, wie auch der Anfang der Geschichte fast nur ihr gehört hat. Ein

leises Versterben Katlars sollte ihm den Frieden geben, der dieser Charakter irgendwie verdient hat. An

dieser Stelle möchte ich mich wie so oft bedanken. Igel, du warst wirklich unglaublich, mit wie viel

Verständnis du diese Geschichte gelesen und verbessert hast, geht über - für mich - über vieles

bekannte hinaus. Danke.

Auch Biggi möchte ich an dieser Stelle danken, weil sie einfach wahnsinnig gut motivieren kann. Danke,

dass auch du bis zum Schluss durchgehalten hast.

Danke auch an die vielen anderen, die diese Geschichte gelesen haben und hoffentlich gut unterhalten

wurden. Aber das war bei weitem noch nicht alles, ich melde mich bald zurück und hoffe, es gelingt mir

dieser Geschichte treu zu bleiben.

Bis bald, seen.
 

© 2006 by seen



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-02-06T22:38:23+00:00 06.02.2007 23:38
Nun sitze ich wieder hier...hb die geschichte grade zum 2. mal gelesen...und heule schon wieder wie nen schlosshund...mir ist das schon fast peinlich,aber diese geschichte is so toll und ergreifend!!!die charaktere sind alleauf ihre eigene art besonders...wie gut du ihr inneres dargestellt hast fasziniert mich am meisten.jeder war/ist glaubwürdig in seinem wesen...das ist echt bewundernswert...als ich sah wie lang das letzte kapitel ist,dacht ich erst du machst es wie in vielen fantasybüchern...nämlich einfach aufhören und den leser in der ungewissenheit sterben lassen *augenroll* aber ich muss sagen das ende ist top...es fällt irgendwie aus der reihe,weil du gar nicht mehr auf diese geschehnisse eingehst aber wie du dann wieder mit ayesha alles enden lässt...das rundet die sache echt ab und das ende ist nicht aufgesetzt...sie leben nicht in firede freude eierkuchen...sie leben so wie es mit den umständen möglich ist...das ist schön und liest sich auch wirklich gut....es passt halt einfach alles *strahl* oh mann...hab ja ziemlich rum gesülzt *lach*

das ist echt eine geschichte die man immer wieder lesen kann...nur in buchform wäre sie noch schöner,da könnte man sie wenigstens überall mitnehmen *lach* zum ausdrucken ist sie ja nun leider doch zu lang..*grins*

aber echt daumen hoch!du hast talent!wirklich! freu mich auf mehr =)

liebe liebe grüße von nem großen fan *g*
Von:  -Fuu-
2006-03-05T22:03:26+00:00 05.03.2006 23:03
Hey seen;)
Das Kapi hab ich schon seit einigen Tagen verschlungen, aber zu meinem Kommi komme ich leider erst jetzt.

Ich möchte mich ganz herzlich und wirklich ehrlich bei Dir bedanken, für die vielen unterhaltsamen, spannenden, traurigen, lustigen aber auf ergreifenden Stunden, die ich mit dieser Geschichte erleben durfte. "Die Trauerweide" gehört wirklich zu einer der besten Geschichten auf dieser Plattform und ich bin froh, dass ich durch Zufall über Deinen Epos, (jawohl, in meinen Augen ist diese Geschicht ein Wahrhafter) gestolpert bin.
Zudem möchte ich anmerken, dass ich Dir eine Menge Respekt und Anerkennung zolle. Trotz der vielen Arbeit an der Uni, Deiner Familie, die Dich mit Sicherheit auch nicht sooo oft zu Gesicht bekommt und persönlichen Scherrereien, denen man ja hin und wieder auch immer ausgesetzt ist, hast Du Dich immer wieder an Dein Werk gesetzt und es weitergesponnen; letztendlich beendet.
Dafür DANKE!
Zum Epilog, gibt es in meinen Augen, nicht viel zu sagen. Die Saga endet rund und gelungen. Ein Kreis schließt sich. Alles begann mit Ayesha und mit ihr endet auch die Geschichte.
Für mich war es klar, das Markos stirbt, sonst hätte er Ryan nicht dieses Leid zugesprochen und sie von ihrer Liebsten getrennt. Er litt unter diesen Umstand ja beinahe so sehr wie seine Nichte. Mit dem Schicksal Katlars bin ich zufrieden. So wie Du es zwischen Ryan und ihm enden lässt ist es passend. Mehr, der Kampf in all seinem Ausmaß beschrieben, wäre einfach zu umfangreich geworden und zu einem Epilog einfach nicht passend. Ich bin rund um zufrieden mit dem Ende, besonders auch im Hinblick darauf, dass Du genug Raum offen lässt für eine Fortsetzung *.*
Ich freue mich schon jetzt, Neues von Dir lesen zu können und verbleibe mit erwartungsvollen Grüßen *gg*
Wir lesen uns!
Biggi^^v


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