Zum Inhalt der Seite

Die Trauerweide

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Kreis schließt sich

Der Kreis schließt sich
 

Sanftes, junges Licht ließ die Zeltwände weiß aufleuchten...Still war es noch, nur der scharfe Wind ließ die knorrigen Äste aufstöhnen. Fließend war der Übergang zwischen der Realität und der Traumwelt um diese Tageszeit, man konnte sich nicht sicher sein in welcher von beiden Welten man wandelte. In welcher war der Geist zu Hause? In welcher fand man das, wonach man sich so sehr sehnte? Träume und Sehnsüchte, unerfüllt und zurückgewiesen...

Zaghaft begannen Ryans Augenlieder zuflattern, ihr Körper regte sich leicht und sie schlug verschlafen ihre Augen auf.

Für einen kurzen Moment kehrte dieses merkwürdige Gefühl in ihren Geist zurück, dieses Gefühl, dass sie sich nicht sicher war wo sie sich überhaupt befand. Doch als ihr Blick die weißen Zeltwände streifte, begriff sie wo sich befand. Doch wo genau war dieser Ort eigentlich? Sie wusste es nicht, niemand wollte es ihr sagen.

"Sie haben angst", dachte Ryan und fuhr sich durch ihre zerzausten Haare. "Angst dass ich sie verraten könnte, dass ich den Wölfen sagen könnte wo sie sich aufhalten."

Müde und verschwommen war ihr Blick, ihr Geist schien immer noch in dieser Traumwelt zu weilen, und wollte sich noch nicht der Realität des Tages stellen. Seufzend rollte sich Ryan auf den Rücken, starrte gedankenverloren die Decke des Zeltes an. Was waren das nur für seltsame Menschen? Sie waren freundlich zu ihr, zwar reserviert und argwöhnisch, doch sie behandelten sie gut. Ihre Fesseln waren schon seit Tagen verschwunden. Seit Tagen...

So lange weilte sie schon hier? Tage, hatte sie sich nicht geschworen, dass sie sobald sich eine Chance zur Flucht offenbarte zu verschwinden? Warum tat sie es nicht einfach, es wäre ein leichtes bei Nacht und Nebel wie ein Schatten zu...

Irgendetwas hielt sie an diesem Ort, etwas das sie nicht einmal benennen konnte. Es war ein Gefühl, eine Art von Schuld und diesen Empfindungen konnte man keinen Namen geben. Unsichtbare Ketten hielten sie hier...War es wegen diesem seltsamen Mann welcher sich Markos nannte?

"Er weiß etwas", schoss es Ryan durch den Kopf. "Er weiß etwas über mich, über meine Vergangenheit, er weiß etwas über diesen Stein."

Der Stein...niemals hätte sie gedacht, dass sie dieses Ding vermissen würde. Ihr fehlte seine Wärme welche er ihr in dunklen und kalten Stunden geschenkt hatte.

Ihr fehlte diese Kraft die von ihm ausging und sie immer wieder aufgerichtet hatte, wenn sie im begriff war aufzugeben. Ihr fehlte dieser kleine Anhänger welcher sie mit ihrer Vergangenheit verband, einer Vergangenheit welche sie womöglich nicht einmal kannte...

Kraftlos schlossen sich Ryans Augen, Müdigkeit ließ ihren Geist hinab gleiten in dunkle Schatten, fing ihn zärtlich auf, umhüllte ihn und gaukelte ihm abermals seine Trugbilder vor.

Ein schiefes Lächeln breitete sich um Ryans Mundwinkel aus, ein warmes, ehrliches Lächeln wie sie es sonst niemandem schenkte. Kaum sichtbar bewegte sie ihre Finger, umschloss eine unsichtbare Hand, streichelte sie sanft. Sie blähte ihre Nasenflügel, schnupperte leicht...

Ja, sie konnte den Geruch ihres schwarzen Haares riechen. Kornblumen, sie vernahm den Geruch ganz genau. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie das grün ihrer Augenfarbe erblicken. Strahlend wie Sterne funkelten sie, tief und unergründlich wie ein See, Rein und voll Liebe.

Dieser Anblick schmerzte, machte Ryan deutlich wie sehr sich ihr Körper und ihr Geist nach eben diesem Bild sehnte. Sie verzehrte sich nachdem Wunsch dieses schwarze Haar zu berühren, diese Lippen zu küssen, diesen Körper in ihren Armen zu halten.

"Ayesha", wisperte Ryan und legte eine ihrer Hände auf ihrem Herzen nieder. Sie fühlte das leichte Klopfen. Fast im Takt zu ihrem ruhigen Atem schlug es, sehnte sich...

"Mein wunderschönes Mädchen", flüsterte Ryan leise und atmete tief durch. "Wie mag es dir gehen...Denkst du noch oft an mich? Ich denke jeden Augenblick an dich, vermisse dich...Verzeih mir, dass ich bis jetzt noch nicht zu dir zurückgekehrt bin...Die Chance war vorhanden. Warum habe ich sie nicht genutzt? Ich habe Angst, Ayesha. Angst davor was mir dieser Mann offenbaren könnte...Er weiß um ein Geheimnis...Es betrifft mich auch...Ich weiß es...Ich spüre es mit jeder Faser meines Körpers, etwas wird kommen, doch ich weiß nicht was...Ayesha, ich schwöre dir, wir werden uns wieder sehen...Bald...Sehr bald..."

Ruhig und entspannt blieb Ryan liegen, fixierte das Bildnis Ayeshas in ihren Gedanken. Wollte es nicht gehen lassen.

Vorsichtig schien sie ihre Hände zu heben, wollte dieses Trugbild vor sich berühren, es festhalten. Ein leichter Windhauch vernebelte das Bildnis, machte es an einigen Stellen durchlässig, und das Lächeln auf den Lippen Ayeshas verschwand.

"Nur eine Illusion", dachte Ryan bitter und presste ihre Lippen aufeinander. "Nur eine Illusion..."

Sanft trieb Ryans Geist hinfort, verlor sich in Empfindungen. Hinter ihren Augenlieder begann Schmerz sich zu verflüssigen. Plötzlich berührte sie etwas...Etwas vertrautes, etwas zärtliches...

Schneller entglitt Ryan ihr Atem, zischend presste er sich durch ihre Zähne hindurch. Was war das? So vertraut, so nahe, so liebevoll.

"Ayesha?" fragte Ryan flüsternd und traute sich nicht ihre Augen aufzuschlagen, zu nahe war die Präsens Ayeshas in diesem Moment, als das sie sich der Gefahr aussetzen wollte sie wieder zu verlieren.

Fest umklammerten Ryans Hände die weiche Decke, tief gruben sich ihre Fingernägel in den dicken Stoff.

"Ayesha...bist du das? Wie ist das möglich? Ayesha..."
 

Erschrocken regte sich Ayesha im Schlaf. Ihr Körper zittert leicht, irgendetwas schien sie zu rufen, nach ihr zu greifen. Feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und sie warf sich unruhig in ihrem Bett hin und her.

"Was ist das?" dachte sie und versuchte gegen diese Verlockung anzukämpfen. Sanft rief etwas nach ihr...Eine Stimme hallte in ihrem Kopf wider, wie das Echo in einer Schlucht...Sie war ihr vertraut, so schreckend vertraut das sich in ihr etwas zusammen zog.

Zischend entwich ihr Atem ihrer Kehle, immer schneller und schneller. Ihre Lungen begannen zu schmerzen, doch sie konnte ihre Augen nicht aufschlagen, etwas hielt sie fest. Wie sanfte Arme umfing dieses Unbekannte ihren Körper, hielt ihn fest. Klarer wurde die Stimme in Ayeshas Kopf, und sie keuchte leise. "Wer bist du?" fragte sie sich selbst, doch die Stimme in ihr antwortete nicht. Flüsterte nur weiterhin ihren Namen. Zärtlich, liebevoll erklang er in der Dunkelheit aus Traum und Sehnsucht.

Behutsam tastet es sich zu ihrem Unterbewusstsein, flüsterte diesem zärtliche Worte zu, und Ayesha drückte ihr Gesicht in die Kissen. Feuchtigkeit durchdrang das dünne Gewebe.

"Ryan?" flüsterte sie und Tränen glitten ihre Wangen hinab. "Bist du das? Du lebst? Wie ist das möglich...Ryan?"

Sanft liebkoste die ihr unbekannte Präsens ihren Geist, nährte ihn mit unterdrückten Empfindungen und Hoffnungen...

"Ryan...", stieß Ayesha hervor und krallte sich fest in die Laken ihres Bettes. "Wo bist du? Komm zurück...komm zurück..."

Heiß flossen Tränen Ayeshas Wangen hinab, kalter Schweiß ließ ihr Haar feucht werden.

Diese Nähe...wie lange hatte sie sich nach dieser gesehnt? Wie lange?

Ein Zeichen, war es das? Deutete sie es richtig? Sie spürte die eigene Verzweifelung und Sehnsucht der Präsens, des Geistes.

War es wahrlich Ryans Geist welcher sie rief, sie zu sich lockte. Wie war das möglich?

"Du bist so weit entfernt und mit dennoch so nahe", schluchzte Ayesha und kniff ihre Augen fest zusammen, wollte in diesem Gefühl verharren so lange es ihr vergönnt war. Sanft strichen ihre Finger über das Bettlaken.

"Fühlst du das?" fragte sie diese Stimme in sich. "Fühlst du meine Berührungen? Ryan...wo bist du...Wo bist du..."
 

Schweigend saß Markos in seinem Zelt. Seine Augen waren geschlossen, und weißes Licht umhüllte seinen Körper. Die zwei weißen Steine lagen in seinen Handflächen und begannen langsam die Farbe des Morgenhimmels anzunehmen. Heftig wurde sein Körper von Gefühlen getroffen und ihm schwindelte. Tief, ehrlich und rein waren sie.

Er kannte solche Gefühle, fühlte er nicht selbst so wenn er an eine bestimmte Person dachte, sie sich vor Augen führte. Dies war die größte Macht welche sie besaßen, welche ihnen von den Göttern geschenkt wurde. Die Macht Menschen zu berühren, in sie hinein zusehen, zwei verschiedene Geister miteinander zu verbinden.

Ja, dies war die größte Macht welche Menschen besitzen konnten. Kein Schwert, kein noch so starker Wille war dazu in der Lage einen Ort in Menschen zu berühren von dem sie selbst keine Ahnung hatte. Sie wusste nicht, dass er existierte.

Ruhig sog Markos die Luft in seine Lungen, er wusste das Ragan hinter ihm stand und ihm mit seinem eignen Geist Kraft gab, ihn stützte. Still und ruhig überwachte er diese Zusammenkunft und lächelte schief.

"Liebe", dachte er wehmütig. "So schwer zu finden, so leicht zu verspielen...Du liebst dieses Mädchen, nicht wahr. So sehr? Ich spüre wie sich dein Geist nach ihr verzehrt, deine Sinne führen dich zu ihr...Wollen eins mit ihr sein...Verzeih mir, aber das kann ich noch nicht zu lassen..."

Gelassen begann Markos seine Hand um den Stein Ryans zu ballen. Erstickte das Leuchten in ihm...Schreie hallten in seinen Ohren wider. Gequälte und markerschütternde Schreie. Sehnsuchtsvoll erklangen sie. Imaginäre Hände lösten sich, wurden von einander weggezogen, zurück in ihre eigenen Körper...

"Verzeih mir, Ryan", dachte Markos und umschloss den Stein nun völlig. "Die Zeit ist noch nicht gekommen...Noch nicht..."
 

Keuchend wandte sich Ryan in ihren Decken...Immer tiefer wurde ihr Geist in diesen Sog aus Empfindungen gerissen. Alte Wunden rissen erneut auf, begannen ihren Schmerz und ihre Hoffnung in Form von schwarzem Blut der Welt zu klagen. Doch plötzlich mischte sich in diese Gefühle ein weiteres. Ihr Geist wurde zurück geschleudert...hinfort von der Person nach deren Nähe sie sich so gesehnt hatte. Mit all ihren Sinnen versuchte sich Ryan zu wehren. Diesen unbekannten Feind welcher sie zurückzog zurückzudrängen.

"Nein", schrieen ihre Gedanken. "Nein...ich will nicht...Ich will nicht, lass mich hier...Verschwinde...Verschwinde...Ayesha...Bitte...Nein...Bitte...Ayesha..."
 

Stille herrschte um Ayesha, nur ihr keuchender Atem drang an ihre Ohren. Verklärt war ihr Geist, berauscht als wäre sie trunken. Dieses Gefühl, wie sehr hatte sie sich danach gesehnt? Wie viele Nächte und Tage lang?

"Ryan", flüsterte sie leise, doch abrupt spürte sie wie sich dieses Band löste...zu Staub zerfiel.

"Ryan...Nein, komm zurück...Lass mich nicht wieder alleine...Nicht..." Tränen des Glücks verwandelte sich in Tränen des Schmerzes. Verzweifelt versuchte sie sich an dem fremden Geist fest zu klammern, ihn nicht entweichen zu lassen, doch irgendetwas trieb sie immer weiter von einander fort. Welch grausames Spiel wurde hier veranstaltet? Welch schmerzliche Fügung?

"Ryan", keuchte Ayesha und weinte still. "Nein, komm zurück...Wo bist du? Sag mir wo du bist...Bitte...Verlass mich nicht...Verlass mich nicht erneut..."

Kraftlos lag ihr Körper in den Decken.

Schweißnass klebte ihr Haar an ihrer Stirn. Ihr Herz schlug laut und unregelmäßig, Tränenspuren glitzerten auf ihren Wangen. Doch als Ayesha die Augen aufschlug, den rötlichen Sonnenstrahlen welche durch ihr Fenster brachen gewahr wurde, war sie wieder alleine.
 

Kalter Wind riss an seinen blonden Haaren, wehte ihm einige lästige Haarsträhnen in die Stirn, doch er machte keine Anstalten sie fortzuwischen. Unbewegt waren seine Augen, Gefühle waren zu Grabe getragen worden. Schon vor so vielen Jahren.

Seine Schritte waren langsamer geworden, immer langsamer je näher er seinem Ziel kam.

Tief atmete Katlar durch, die kalte Winterluft schmerzte in seinen Lungen und er lächelte bitter. "Wenigstens fühle ich noch irgendetwas", dachte er und hüllte sich in seinen schweren Mantel ein. Nie zuvor war ihm diese Leere in sich aufgefallen, nie zuvor hatte er einen Gedanken daran verschwendet. Warum brachen diese Empfindungen gerade jetzt über ihn herein? Warum gerade jetzt?

Missmutig schüttelte er seinen Kopf, die Wunde an seinem Hals schmerzte noch leicht.

"Gerin", flüsterte er leise und sein Blick begann traurig zu werden. "Nun habe ich auch dich verloren, meinen letzten Verbündeten in dieser Welt. Mein letztes Bindeglied zur Vergangenheit...Ich wusste, eines Tages würde es zu diesem Bruch kommen. Ich habe es selbst zu verantworten...Du wirst die alten Fehler fortsetzten welche ich begonnen habe. Du vertraust ihnen blind, bemerkst nicht wie sie mit dir spielen.

Eine Spielfigur auf ihrem Brett bist du. Du magst dem Irrglauben verfallen sein, dass wir uns unterscheiden...Das tun wir nicht. Ebenso wie einst ich bist du jung, naiv und blind..."

Ein tiefes Seufzen entglitt Katlars Kehle und er verlangsamte seinen Schritt. Er wusste, sein Bruder hatte keine Ahnung wie sehr sie sich glichen. Er wollte es nicht begreifen, da sich Gerin fürchtete eines Tages doch noch in die Fußstapfen seines Bruders zu treten.

"Glaubst du wirklich, dass du anderes bist?" fragte Katlar sich selbst. "Glaubst du wirklich ich hätte damals eine Wahl gehabt, Gerin? Ich hatte keine, es gab nur den Weg einem anderen das Lebenslicht zu stehlen oder selbst zu verlöschen. Auch dich werden sie irgendwann vor diese Wahl stellen, und auch du wirst meine Flamme ausblasen...

Du wirst genauso handeln wie ich. Angst ist ein mächtiges Instrument, dass musst du noch lernen. Angst hat so große Macht über die Menschen, lässt ihre dunkle Seite ins Tageslicht treten, macht sie willenlos und einfach zu kontrollieren. Du musst noch viel lernen, kleiner Welpe."

Erinnerungen stiegen in Katlar auf. Ein großes Haus, eine Frau, seine Mutter. Tränen hatten damals ihr Gesicht überschwemmt, als sein Vater und er nach Barolon aufgebrochen waren. Es war ein schmerzlicher Abschied gewesen, und für seinen Vater ein Abschied für immer.

Katlar erinnerte sich wie seine Mutter ihn in ihre Arme gezogen hatte, ihm liebevolle Worte zu flüsterte und ihn auf die Stirn geküsst hatte. Kurz hatte er seine Mutter an sich gedrückt, sich dann von ihr gelöst und war auf sein Pferd aufgestiegen. Warm war es damals gewesen, eine besondere Art von Wärme welche im Eismeer nur alle zehn Jahre herrschte. Vielleicht erinnerte er sich aus diesem Grund so gut daran.

Schnell stampften die Hufe der Pferde über die Graslandschaft...Ein Ruf hatte Katlars Ohren ereilt, und er hatte sein Pferd angehalten. Ein scheues Lächeln huschte über Katlars Antlitz, als ihm seine Erinnerungen dieses letzte Bild vorspielten. Ein kleiner Junge, Tränen in den Augen, schnell trugen ihn seine kleinen Füße zu ihnen herüber.

"Ihr kommt doch wieder?" hatte er gefragt und seine großen Augen hatten Katlar flehend angeblickt. Sanft hatte er Gerin über sein Haar gestreichelt und im versichert, dass sie wiederzurückkehren würden...

So viele Jahre waren seitdem ins Land gegangen. Wie sehr hatte Katlar seinen jüngsten Bruder einst geliebt? Wie sehr war auf das Wohlergehen des Kleinen bedacht gewesen? Was war daraus geworden?

Verachtung, Abscheu und Misstrauen.

Schnell verschloss Katlar seinen Geist vor diesen Gefühlen, er durfte nicht schwach sein. Er durfte es nicht...

"Wer Schwäche zeigt, wird früher oder später an ihr zugrunden gehen. Niemals darfst du dich jemanden so sehr öffnen, dass er dein wahres Wesen erahnen könnte. Niemals, hörst du Katlar?"

In seinem Geist hallte die Stimme seines Vaters wider.

Wie viele Jahre lang hatte er nach dieser Order gelebt? Niemals hatte ihn jemand tief in seiner Seele berühren können. Nicht einmal seine Frau welche er so geliebt hatte. "Für niemanden öffnest du dich, oder Katlar?" hatte sie ihn einmal gefragt. "Für jeden bist du unnahbar, niemand kann wissen wer du wirklich bist. Nicht einmal ich."

Traurig senkte Katlar seinen Blick, der neu gefallene Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Ja, er war für niemanden je greifbar gewesen...

Er kannte sich nicht einmal selbst.

Der Weg vor ihm gabelte sich. Zur linken, erinnerte sich Katlar, führte er zu seinem alten Haus. Groß und mächtig war es, ein Symbol für seine Stellung. Hatte er diese nicht bereits verloren? Hatte er dort nicht Stunden des Glücks erlebt. Jahre war das her.

Zur rechten führte er ihn an sein Ziel. Langsam lief Katlar weiter, kahle Bäume säumten seinen Weg. "Wie passend", dachte er und ballte seine Hände zu Fäusten. "Tote Blätter zu toten Körpern. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Blätter im Frühling wiedergeboren werden."

Unstet wanderte sein Blick über die weiße Landschaft die sich vor ihm erstreckte. Ein runder, kleiner Platz. Zwei graue Felssteine ragten aus dem Schnee heraus, und Katlars Herz schlug schneller. Ihm schwindelte und er keuchte leise.

Mit langsamen Schritten nährte er sich den zwei Steinen, strich zärtlich über die kalte Oberfläche und lächelte sanft. Es war ein Lächeln welches nur sehr selten bei ihm sichtbar wurde. Es war ehrlich, aufrichtig und voll Liebe.

"Hallo Maris", sagte Katlar leise. "Ich weiß, ich bin ein Schuft. So lange war ich nicht mehr hier. Glaube nicht, ich hätte unseren Tarik und dich vergessen. Ich kann euch nicht vergessen, vielleicht liegt genau darin mein größtes Vergehen an mir selbst."

Schweigend nahmen die zwei Steine seine Worte auf, leise heulte der Wind in den knorrigen Ästen.

"Maris, warum mache ich so viele Fehler? Warum? Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Ich bin am Ende, meine Kraft...Sie ist versiegt. Ich kann nicht mehr. Ich will zu euch, ich will euch sehen. Doch ich kann meinem Leben nicht selbst ein Ende setzten. Wenn man, wie ich, bereits unehrenhaft lebt will ich wenigstens ehrenhaft diese Welt verlassen. Verstehst du das?"

Immer noch hüllte sich die Welt in Schweigen, ein heftiger Schauder jagte Katlars Rücken hinab, und er schloss kraftlos seine Augen.

"Was soll ich nur tun?

Mein Ende ist beschlossen, doch wann werden sie mich erlösen? Wann wird endlich diese erlösende Stille über mich herein brechen, mich verschlucken, zu euch führen, wann? Sag es mir Maris, wann werde auch ich erlöst?"

Fest umklammerte Katlar den kalten Stein unter sich, spürte wie die Kälte durch seine Haut drang, sein Inneres befiel und ihn lähmte. "Ich vermisse dich und Tarik, ich brauche euch.

Früher hätte ich so etwas nie gesagt, nie auch nur daran gedacht. Man merkt wahrlich erst was man hat, wenn man es verliert. Ich hoffe du kannst mir diesen Fehler irgendwann einmal verzeihen. Verzeih mir, dass ich zu spät erkannt habe...Verzeih mir."

Unbewegt verharrte Katlar in dieser Position, er war es müde zu kämpfen, zu suchen und sich zu verschließen.

"Ich bin mir nicht mehr sicher was ich tun soll. Du hättest bestimmt einen Ausweg gewusst, du wusstest ihn immer. Rache...wie sehr habe ich mich nach ihr verzehrt. Doch was hat sie mir bis jetzt gebracht? Kurze Gefühle von Überlegenheit, kurze Momente in welchen ich glaubte ich wäre am Ziel. Sie ist entkommen, weißt du.

Ich habe versagt...Sie wird sich wieder verstecken, sich nach ihrer kleinen Freundin sehnen. Sehnen wir uns nicht alle nach einem zu Hause? Was soll ich nur tun, Maris? Ich bin so müde, aber ich kann den Mord an euch doch nicht ungesühnt lassen...Ich kann es nicht."

Nachdenklich starrte Katlar in den grauen Himmel. Wie lange war er jetzt schon auf der Jagd? Zu viele Jahre lang. Katz und Maus hatten sie miteinander gespielt, doch immer wieder waren die Rollen anders verteilt gewesen. Immer wieder...

"Ich weiß, sie war damals noch sehr jung", wisperte er und wandte seinen Blick wieder dem Stein zu. "Aber ist das eine Entschuldigung? Nein, auch ich kann mich nicht einfach so für den Mord an meinem Vater entschuldigen. Auch ich war damals noch jung. Jugend ist keine Entschuldigung, du hast bestimmt ihre Augen vergessen. Ich weiß welch ein Wesen noch tief in ihr schlummert, eines das sich an den Schmerzen und dem Tod ihrer Gegner weidet. Wir kennen es, haben in diese Augen geblickt..."

Ein Windstoß wirbelte einige Schneeflocken in Katlars Gesicht, die kleinen Flocken verflüssigten sich auf seiner warmen Haut, vermischten sich mit den Tränen welche ihm über die Wangen flossen.

Ein schiefes Lächeln bildete sich um seine Mundwinkel. "Du hättest bestimmt nicht gedacht, dass ich einmal Tränen vergießen würde, nicht wahr?" fragte er leise und leckte sich über seine Lippen. Schmeckte das Salz seiner Augen, schmeckte verdrängten Schmerz und Gefühle.

"Meine Geliebte, wir sehen uns wieder. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern. Ich spüre das der Tod näher kommt...Niemals hätte ich gedacht, dass er mir einmal als ein Freund erscheint...

Als ein Freund der mich erlöst, als ein Freund welcher mich zu euch zurückführt. Nein, niemals hätte ich gedacht, dass der Tod das Gesicht eines Freundes besitzen könnte...Niemals..."
 

Graue Wolken verhüllten die Sonne, verschluckten ihr wärmendes Licht. Kalter Wind wehte über die Landschaft, streifte durch die kahlen Baumkronen, ließ Schnee herab rieseln und legte über die Welt ein eisiges Schweigen.

Starr stand Markos auf einer kleinen Lichtung, blickte hinauf in den grauen Himmel.

Sein Atem bildete kleine weiße Wolken, doch sein Körper fror nicht. Hitze schien ihn zu versengen, bemächtigte sich seinen Gedanken als würde sein Körper durch Fieberschübe gepeinigt. Feine Schneeflocken legten sich auf die Kapuze seines Umhanges, doch er schien dies nicht einmal zu bemerken.

"Kara", flüsterte Markos leise und seine Hand umkrampfte den Anhänger welcher über seiner Brust hing. Augenblicklich erwärmte sich der weiße Stein, versprühte einen verhaltenden Schimmer.

Markos lächelte leicht.

"Du hörst mich also. Das ist gut, Schwester. Ich habe jetzt ein schweres Gespräch vor mir. Ich muss es diesem Mädchen sagen, ich muss ihr alles erklären...Nein, keine Sorge, ich werde behutsam vorgehen, doch ich glaube als zu sanft darf ich nicht sein. Sie begreift sonst nicht...

Keine Sorge...Alles wird sich so fügen wie es gedacht ist...Alles."

"Mit wem redet ihr da?" hörte Markos hinter sich eine Stimme irritiert sprechen, er löste den Griff um seinen Anhänger, verbarg ihn unter seinem Gewand und wandte sich der Person zu.

Argwöhnisch blickte Ryan ihn an, runzelte leicht die Stirn. Warum hatte man sie hier her geführt? Wollten diese Männer sie vielleicht jetzt doch töten?

"Nein", sagte Markos uns lächelte schief. "Wir wollen dich doch nicht töten, Ryan."

Erschrocken weiteten sich Ryans Augen. Dieser Mann war ihr unheimlich, konnte er ihre Gedanken lesen?

Vorsichtig wich sie einige Schritte vor ihm zurück, doch seine gelbgrünen Augen beobachteten belustigt jeden ihrer Schritte.

"Du musst dich nicht vor mir fürchten. Schau, ich bin unbewaffnet. Ich will dich gewiss nicht töten. Welchen Grund hätte ich dafür?"

"Manche Menschen brauchen nicht einmal einen Grund um zu töten", entgegnete Ryan und blieb stehen.

Die Luft war klirrend kalt, die feinen Haare in ihrem Nacken richteten sich auf.

"Da magst du Recht haben. Es ist wie mit der Liebe, dafür gibt es oftmals auch keinen Grund, es geschieht einfach."

Ein bitteres Lächeln breitete sich auf Ryans Antlitz aus, und sie nickte leicht.

"Ja, und sie kann verdammt wehtun..."

"Du wirst deine kleine Freundin wieder sehen", unterbrach sie Markos und bemerkte ihren erschrockenen Blick.

"Woher wisst ihr...", begann Ryan, doch Markos gebot ihr zu schweigen.

"Ich habe euch beide heute Morgen gespürt...Ich habe euere Sehnsucht gespürt. Vertrau mir, du wirst sie wieder sehen."

"Habt ihr etwas damit zutun?" fragte Ryan und ihr Blick wurde zornig. Röte stieg ihr in die Wangen und sie ging einige Schritte drohend auf Markos zu.

"Wart ihr derjenige welcher uns getrennt hat?"

"Ja", bekannte Markos ruhig und gelassen. "Ich konnte nicht zu lassen, dass ihr beide mit einer Macht spielt welche keine von euch kontrollieren kann. Ihr hättet auf ewig dort in dieser Traumwelt gefangen bleiben können. Das konnte ich nicht zu lassen"

Ein höhnisches Lachen schallte über die kleine Lichtung, und Ryan schüttelte angewidert ihren Kopf.

"Da war es euch wohl lieber als stiller Beobachter zu fungieren, oder? Ich hoffe ihr hattet euren Spaß."

Markos seufzte leicht und wandte Ryan den Rücken zu. "Du hast keine Ahnung von was du sprichst, Kleine", sagte er und seine Stimme schwoll an vor Zorn. "Du weißt gar nicht mit welcher Macht du gespielt hast..."

"Macht", schnaubte Ryan und musterte ihr Gegenüber argwöhnisch. "Ich besitze keine Macht, noch nie."

Nun war es Markos der leise lachte. Er schüttelte seinen Kopf. Unverständnis, so viel davon in einem Satz...

Das Mädchen wusste wirklich überhaupt nichts.

"Ich habe dich nicht hier her bringen lassen um mich mit dir zu streiten", sagte er etwas ruhiger, wandte ihr sein Gesicht zu und legte den Kopf schief. "Ich wollte eigentlich mit dir sprechen. Dir erklären was das alles soll..."

"Das würde mich allerdings brennend interessieren", versetzte Ryan und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

"Was wollt ihr eigentlich von mir? Ich bin nicht wertvoll, und verkaufen könnt ihr mich auch nicht. Wozu haltet ihr mich dann hier fest?"

"Genauer gesagt", flüsterte Markos und senkte seinen Blick. "Halte nur ich dich hier fest. Nur ich habe davon vielleicht einen Nutzen, wenn du es so formulieren willst."

Langsam ließ Markos eine Hand in seine Tasche gleiten und holte Ryans Kette hervor. Er hörte wie sie scharf die Luft ein sog.

"Weißt du eigentlich, dass dieser Anhänger dir das Leben gerettet hat?" fragte Markos und betrachtete den weißen Stein in seiner Hand. "Ich wollte dich eigentlich töten. Dieser Anhänger hat dir wahrlich dein Leben gerettet, Kleine."

"Was ist das für ein Ding?" fragte Ryan und ihr Blick fixierte ihre Kette. "Was hat es damit auf sich?"

"Hat der Stein jemals mit dir gesprochen, Ryan?"

"Gesprochen?" wiederholte Ryan die Frage und hob irritiert eine Augenbraue an. "Wie meint ihr das? Das einzige was er hin und wieder tut, ist, dass er Wärme oder Kälte versprüht."

Markos lächelte leicht und nickte dann.

"Eben das meinte ich. Solch ein Stein transportiert die Gefühle seines Trägers nach außen. Jedes Gefühl saugt er in sich auf. Angst, Trauer, Hass, Glück und Liebe. Je heftiger das Gefühl, umso intensiver die Wärme oder Kälte. Der Stein symbolisiert die seelische sowie körperliche Verfassung seines Trägers und wenn der Träger stirbt, erlischt auch das Licht in seinem Anhänger, verstehst du? Außerdem ist es ein Symbol, ein Erkennungszeichen"

Ryan nickte kaum merklich und runzelte dann skeptisch ihre Stirn.

"Ich glaube schon. Aber von was für einem Symbol faselt ihr da?"

Markos seufzte leicht und winkte sie näher zu sich heran.

"Vor langer Zeit lebte eine Vereinigung von Priestern und Priesterinnen hier in Barolon. Das war lange bevor die Wölfe einfielen und das Land unter ihre Kontrolle brachten. Es ist lange her...

Die Priester und Priesterinnen dienten der Göttin Onone.

Sie verehrten die Traumwelt und die Welt jenseits des wachen Zustandes. Ihr Erkennungszeichen waren solch weiße Steine. Sie waren ihr Instrument, durch die Kraft welche in ihnen steckte war es den Anhängern dieser Vereinigung erlaubt die Traumwelt zu betreten. Dort zu verweilen, und mit längst verstorbenen Wesen und Zeiten in Verbindung zu treten.

Es war eine große Macht und Verantwortung welche diese Vereinigung inne hatte, die Traumwelt ist eine mächtige Welt. Dort sind die Wünsche und Hoffnungen der Menschen verborgen..."

"Und?" fragte Ryan ungerührt. Sie verstand nicht was das alles mit ihr zutun haben sollte.

"Lass mich weitererzählen", rügte sie Markos und senkte seine Stimme. "Diese Vereinigung gibt es schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie löste sich irgendwann auf, wodurch kann ich dir leider nicht beantworten. Vielleicht durch Kriege unter den Priesterschaften oder durch andere Ereignisse.

Doch die Steine blieben bestehen, von Generation zu Generation wurden sie und das alte Wissen an die Nachkommen weitergegeben.

Bis heute existieren immer noch Krieger, Priester und einfache Menschen die dieses Zeichen tragen. Sie fanden sich sogar einst zusammen, gründeten ein Dorf...alles längst vergangene Zeiten..."

"Das ist ja eine sehr rührende Gesichte", fiel Ryan Markos ins Wort und beäugte ihn skeptisch.

"Aber, was soll ich bitte mit all diesem Unsinn zutun haben?"

Markos seufzte leise. Er hatte es gewusst, sie konnte und wollte nicht verstehen. Er musste anders vorgehen. "Habe ich gesagt, dass diese Geschichte bis jetzt etwas mit dir zutun hat?" entgegnete er und sein Blick verfinsterte sich.

Alles was Ryan zustande brachte war ein verhaltendes Kopfschütteln. Ihr gefiel der Ausdruck in den Augen ihres Gegenübers nicht im Geringsten...er war ihr unheimlich.

"Weißt du Ryan", begann Markos von neuem und er lächelte sie leicht an. "Du bist nicht die einzige auf dieser Welt die leidet. Genug Menschen leiden, sind unglücklich und von Schuld geplagt. Der Stein hat mir einige Erinnerungen von dir gezeigt...Sie waren dunkel und grausam...

Doch du bist nicht alleine..."

"Ach nein", spie Ryan verächtlich aus. Ihr behagte es ganz und gar nicht, dass dieser Kerl womöglich in ihren Erinnerungen herum gestöbert hatte, auch wenn sie seiner Geschichte keinen Glauben schenkte. Man konnte nie wissen...

"Ich bin nicht allein? Was wisst ihr von mir? Nichts, überhaupt nichts. Maßt euch nicht an, dass ihr über mich bescheid wisst. Ihr wisst nichts..."

Lange starrte Markos Ryan schweigend an, sah, wie ihr Körper zitterte, wie sich in ihren Augen Zorn und Furcht sammelte.

Sie hatte Angst vor ihm...

Langsam und ohne Hast ließ Markos seine Hand in sein Gewand gleiten. Er hörte einen erstickten Laut welcher aus Ryans Kehle entfuhr, als er seinen eigenen Anhänger hervor holte und ihn ihr vor die Augen hielt.

"Woher...Woher habt ihr den?" stotterte Ryan und starrte fassungslos den zweiten weißen Stein an.

"Meine ältere Schwester Kara und ich erhielten sie als wir geboren wurden. Einst war es ein Stein, doch als ich geboren wurde, zerteilte unser Vater den Stein in zwei kleine damit Kara und ich immer wissen konnten ob es dem anderen gut ging.

Es war eine unsichtbare Gedankenbrücke zwischen uns. Wie lange ist das schon her?" fragte sich Markos und lächelte schief.

"So viele Jahre lang. Meine Schwester, Ragan und ich wuchsen in einem Dorf auf. Das letzte Dorf der Nachkommen der Priesterschaft. Mein Vater war das Oberhaupt aufgrund seiner Verdienste in vergangen Zeiten, und als er starb übernahm Kara diesen Posten.

Es war damals noch eine gute Zeit. Ich glaube, sie war die glücklichste in meinem ganzen Leben...Doch dann fielen die Wölfe in unser Land ein...Selbst ich wusste was das bedeutete...Krieg...Es gab Krieg..."

Kurz hielt Markos inne, Erinnerungen überschwemmten seinen Geist...Quälende Erinnerungen...Schmerzliche.

"Markos", hörte er die zitternde Stimme Ryans und er schaute auf. Ihre Augen...Angst lag nun in ihnen. Angst vor dem was er ihr noch erzählen würde.

"Warum erzählt ihr mir das alles? Ich verstehe euch nicht..."

"Krieg", stieß Markos hervor und schien die Frage Ryans zu ignorieren. "Viele Kämpfen kamen auf uns zu...Kara, meine Schwester, sie war so wunderschön.

So stark, ich wünsche mir heute noch ich hätte einen Funken mehr von ihr in meinem verdammten Leib. Sie führte uns sicher durch diese Kämpfe. Wir überfielen diese Bastarde aus dem Hinterhalt, löschten ganze Züge von ihnen aus.

Doch eines Nachts überfielen sie unser Dorf...

Kara, sie hatte wenige Tage zuvor ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Lukan, der Vater des Kindes war während einem Kampf gefallen...

Er konnte sein Kind nicht einmal sehen...Nicht einmal..." stockend war Markos Stimme bei seinen letzten Worten geworden, er schluckte hart, richtete seinen Blick auf Ryan und sprach weiter: "Wir flohen, niemals in meinem Leben zuvor hatte ich solche Angst. Ich wusste, sie würden uns verfolgen. Sie wollten uns...

Es war ihr Auftrag uns zur Strecke zu bringen. Ich weiß nicht mehr wie weit wir liefen. Stunde um Stunde.

Es war eine dunkle und kalte Nacht...

Ich weiß noch, dass meine Lungen schmerzten und ich blutete aus vielen Wunden. Schwach war ich damals und Ragan musste mich irgendwann stützen. Kara...sie, sie schlug vor das wir und trennen sollten.

Wir sollten in unterschiedlichen Richtungen fliehen, und uns später an einem bestimmten Punkt treffen...

Ich stimmte ihr zu. Warum habe ich das damals nur getan? Ich hätte bei ihr bleiben müssen...Ich hätte sie nicht alleine lassen dürfen...Es ist meine Schuld, alles..."

Abrupt verstummte Markos, Tränen liefen seine Wangen hinab und Ryan starrte ihn entgeistert an.

Warum erzählte er ihr das alles? Was war Sinn und Zweck seiner Worte...Sie verstand sie nicht...

"Markos", sagte sie sanft und legte ihm eine Hand auf seine Schulter. "Warum erzählt ihr mir das alles? Es gibt doch keinen Grund dafür..."

"Den gibt es, Kleine", erwiderte Markos schnell und blickte ihr in ihre verwirrten Augen.

"Kara erschien nicht an unserem Treffpunkt. Wir suchten sie, einen ganzen Tag lang durchkämmten Ragan und ich die Wälder nach ihr...Wir fanden sie...Diese Bestien hatten sie ermordet. Durchlöchert hatten sie Karas Körper mit ihren Pfeilen und ihr beide Hände abgehackt...

Starr war ihr Blick in den Himmel gerichtet, um sie herum war dunkles, getrocknetes Blut...

Doch ihr Kind, es war nicht mehr bei ihr...Ich weiß nicht mehr wie viele Wochen wir die Gegend durchkämmten, wir suchten in jedem Dorf, in jedem Wald, in jeder Höhle, doch wir fanden es nie...Nie."

"Ihr habt mein Mitleid für euren Verlust", sagte Ryan und es klang aufrichtig. Sie konnte diesen Mann verstehen, sie kannte selbst das Gefühl einen Menschen zu verlieren. Sie kannte es gut.

"Aber, ich kann euch bei euerer Suche nicht helfen."

"Du verstehst wohl auch gar nichts, oder?" schrie Markos plötzlich und funkelte sie aus wütenden Augen an. "Das Kind, ein kleines Mädchen. Nie zu vor habe ich solch ein Kind gesehen.

Eigensinnig und kratzbürstig war es damals schon gewesen. Stark war es, es schrie nie. Selbst in jener Nacht, in welcher Tod und Schreie um es herum tobten, war es still...

So still, dass wir hin und wieder dachten es wäre bereits tot. Doch es schlief friedlich in seinem Weidenkorb.

Meine Schwester brachte ein kleines Mädchen zur Welt, und als ich meine Schwester tot auffand, fehlte ihr Stein. Er war weg...

Ein dichter Wald war in der Nähe ihrer Leiche, ein Fluss...Kommt dir das bekannt vor, Ryan?"

Erschrocken weiteten sich Ryans Augen, sie taumelte einige Schritte zurück und in ihrer Brust zog sich etwas schmerzhaft zusammen.

"Warum tut ihr das?" fragte sie, doch ihre Stimme war ohne es zu wollen lauter geworden. "Warum erzählt ihr mir solche Lügen? Warum? Ist das wieder eines von Katlars Spielen um mich zu quälen? Warum erzählt ihr mir solche Dinge?"

Ein lautes Seufzen entglitt Markos aus seiner Kehle und sein Blick wurde weich, als er Ryan ansah.

Er wusste, die Tragweite seiner Worte hatte sie nicht verstanden, sie hatte höchstens eine ungefähre Vorstellung von dem was er eben gesagt hatte.

"Ich erzähle dir keine Lügen.

Dein Stein hat mir einige Erinnerungen von dir offenbart. Du weißt nicht wer deine wirkliche Mutter ist, oder? Du weißt es nicht...Woher willst du wissen, dass ich lüge? Oder muss ich dir meine Worte erst beweisen?"

"Beweisen?" fragte Ryan verächtlich und ihr Körper spannte sich an wie die Sehne eines Bogens. "Lügen kann man nicht beweisen."

Markos nickte leicht, nahm ihren Stein in die rechte und seinen in die linke Hand. Mit zittrigen Fingern führte er beide Steine zusammen.

Die zwei Anhänger verschmolzen zu einem, die Bruchstellen die Ryan schon vor einigen Jahren aufgefallen waren passten ineinander. Zischend entwich ihr die Luft aus ihren Lungen, ihre Knie gaben nach und sie sackte zu Boden als habe man sie geschlagen.

Fest krallten sich ihre Fingernägel in den Schnee hinein, ihr Denken war im Fieber. Gefühle rauschten durch ihren Geist...Sie starrte den Mann vor sich an, sah wie er sie liebevoll betrachtete.

"Nein", dachte sie und wehrte sich gegen diese neue Erkenntnis. "Das kann nicht sein...Er lügt...Er lügt...

Aber warum sollte er, was ist wenn er die Wahrheit spricht...Was wenn er...wenn...Nein..."

Knirschende Schritte kamen näher, eine Hand legte sich auf ihr Haupt und streichelte ihr beruhigend über ihre vom Schweiß durchtränkten Haare.

"Du bist die Tochter meiner Schwester, Ryan.

Du kannst dich nicht dagegen wehren, es ist die Wahrheit...Ich habe dich so lange gesucht", flüsterte Markos und lächelte als sie ihn anblickte und er das Verständnis in ihren Augen aufkeimen sah.

"Du bist die Tochter Karas. Du hast ihre Augen...Ich habe dich so viele Jahre lang gesucht, und nie die Hoffnung aufgegeben dich wieder zu finden. Nie, nicht einmal Ragan konnte mich davon abhalten...Ich wusste, irgendwann werde ich dich finden...Irgendwann..."

Keuchend starrte Ryan den Mann über ihr an, sie fühlte sich so kraftlos in diesem Moment. Ihr Geist versuchte das eben gesagt zu verarbeiten, es in Einklang mit ihren Gefühlen zu bringen. Es war vergebens, verwirrt und geschockt kniete sie im Schnee. War unfähig sich zu bewegen, sie konnte nicht einmal ihre Hand heben.

Sanfte Hände umfingen ihre Schultern, zogen sie hoch. Zärtlich umfing Markos ihren Oberkörper drückte ihn an sich und streichelte ihr weiterhin beruhigend über ihr Haar.

"Ich habe dich endlich gefunden...Endlich..."

Doch Ryan vernahm seine Worte nicht mehr. Still und unbewegt verharrte sie in dieser Umarmung. Ihr Herz schlug laut und schnell...Was war das für ein Gefühl in ihr? War das Freude oder Angst? War es Begreifen? Sie wusste es nicht, sie fühlte und hörte nichts...

Nichts außer der Worte Markos. Der Worte welche womöglich alles für immer verändert hatten, und diese hallten deutlich, klar und laut in ihrem Geist wider: "Du bist die Tochter meiner Schwester...Du bist die Tochter Karas...Du bist es Ryan..."
 

Nachwort:

Kapitel fertig! Endlich, dachte schon ich kriege das diese Woche nicht mehr hin. Tja, was soll ich hier schreiben.

Erst einmal am Anfang diese Szene zwischen Ryan und Ayesha...Herr Gott, ich konnte sie doch nicht als leiden lassen, oder? Irgendwann war mal Zeit, dass sie sich wieder sehen egal auf welcher Ebene. Ich hoffe, diese Szene wurde nicht all zu kitschig und somit erträglich.

Ja, der liebe Katlar hat auch Gefühle! Ich habe schon oft gesagt, ich hasse diese ultimativen Bösewichter, da man sie (meiner Meinung nach), nicht nur darauf reduzieren darf. Hinter jeder bösen Maske steckt ein Mensch...

Und so, jetzt ist es raus. Jetzt wisst ihr wie Markos und Ryan zusammenhängen, ich hoffe auch ich konnte die Sache mit dem Stein einigermaßen glaubhaft schildern. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich hoffe, dass mir es jetzt gelungen ist endlich die Brücke zum Prolog zu schlagen. Hat ja lange genug gedauert, oder?

Wir sind aber noch lange nicht am Ende, es kommen weitere Überraschungen.

Also, bleibt mit gewogen! Einen lieben Gruß an meine treuen Leser Igel und Mondscheinelfe. Danke an euch!

Adios
 

© 2003 by seen



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Nex_Caedes
2003-12-07T20:24:31+00:00 07.12.2003 21:24
Ich stimme Igel voll und ganz zu.
nex
Von:  Igel242002
2003-12-07T18:27:53+00:00 07.12.2003 19:27
Hey!

Das bisher längste Kapitel, und es ist jede siner Zeilen wert! Besonders gefällt mir die erneut sehr gelungene Wortwahl.
Ich finde die Szene zwischen Ryan und Ayesha nicht kitschig sondern passend, schliesslich haben sie einiges mitgemacht und sich länger nicht gesehen.
Die Sache mit den Steinen ist in sich stimmig und somit gelungen.

Mag sein das es an der Länge des Kapitels liegt, aber dir sind einige Fehler(Rechtschreibfehler, falscher Numerus, fehlende Buchstaben)unterlaufen.

Ich bin gespannt, wie Ryan mit all den neuen Informationen klar kommt. Und wie wohl Ayeshas mit den Erfahrungen der Traumwelt umgeht, da sie keinen Ansprechpartner hat.

Bis dann
Chris


Zurück