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Das erste Mal

[KaiSoo]
von

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Die Chance nutzen

Vor fünf Jahren war Monggu zur Familie dazu gestoßen. Jongin war damals siebzehn gewesen und der kleine, braune und fürchterlich lockige Pudel war der Grund gewesen, wieso er damals nach Wochen wieder angefangen hatte zu lächeln und lachen. Es war platonische Liebe auf den ersten Blick gewesen und Jongin konnte sich keinen Tag mehr vorstellen, an dem er aufwachte und nicht gleich von seinem hungrigen kleinen Vierbeiner begrüßt wurde. Vermutlich konnte er sich nicht einmal einen regnerischen Tag vorstellen, in dem es in seinem Zimmer nicht nach nassem Hund roch. Und auch wenn der Geruch des nassen Fells wirklich nicht angenehm war, würde er ihn vermutlich vermissen. Genau wie die langen Spaziergänge, in denen Monggu nur damit beschäftigt war sein Revier zu markieren, das er einfach für Sein erklärt hatte.

Jongin liebte diesen Hund vom ganzen Herzen und er war nicht nur so etwas wie sein Bruder und engster Freund in jeder Situation, sondern auch sein ewiger Lichtblick. Monggu machte ihm gute Laune, er tröstete ihn und er war immer an seiner Seite, wenn es ihm nicht gutging. Es war, als hätte Monggu ein Gespür für Jongins Stimmung. Als würde er immer wissen, was in ihm vor sich ging und wenn es angebracht war, ihm seine kalte Schnauze gegen die Hand zu drücken, wenn er von irgendwelchen unangenehmen Situationen aufgefressen wurde.

Und auch wenn er seit zwei Jahren volljährig war und eigentlich dazu fähig auf eigenen Beinen zu stehen, gab es immer wieder diese düsteren Momente. Jeder Mensch hatte Tage, an denen es so aussah, als würde es das Schicksal nicht gut mit einem meinen. Inzwischen kam Jongin jedoch sehr gut damit klar. Was auch an dem braunen Hund lag, der selten eine Nacht außerhalb seines Zimmers verbrachte.

Vor fünf Jahren hatte er sich in einer Phase gefunden, die sein Therapeut als ‚sehr schwer, aber bestreitbar‘ und seine Mutter als ‚suizidal‘ abgestempelte hatte. Dachte er jetzt darüber nach, würde er seinem Therapeuten mehr zustimmen, konnte die Aussage seiner Mutter aber auch nicht ganz abstreiten. Die meisten pubertierenden Menschen, kamen irgendwann an einem Zeitpunkt in ihrem jungen Leben an, in dem sie sich wünschen, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Selbst erwachsenen Menschen ging es so. Es war nichts wofür man sich schämen musste, es war viel mehr etwas, das man bekämpfen und bezwingen musste.

Jongin hatte sein Leben damals nicht weggeworfen, auch wenn er es wirklich oft gern getan hätte. Weil es der einfachste Weg gewesen wäre. Aber eigentlich war er viel zu stolz dafür um kampflos aufzugeben, eigentlich war er damals schon der Ansicht gewesen, dass es irgendwann besser werden würde. Und es war besser geworden. Nicht vom einen auf den anderen Tag. Nur schleppend und langsam und Jongin würde lügen, würde er behaupten, dass es inzwischen alles gut war. Es war nicht alles gut. Aber er kam damit klar. Er kämpfte noch immer.

Nur mit dem Unterschied, dass er angefangen hatte sein Leben zu genießen und zu leben. Und Monggu hatte wohl seinen Teil dazu beigetragen.

Er war das schönste Geschenk gewesen, das seine Mutter ihm je gemacht hatte. Und seine Mutter hatte ihm viele, schöne Geschenke gemacht.

Jongin saß auf dem Bett und Monggu lag über seinen Beinen, die er im Schneidersitz hatte. Eigentlich mochte Jongin es nicht so gern, wenn er im Bett war, aber heute war das in Ordnung. Weil er jemand brauchte, der ihm leise Mut zusprach. Monggu sprach ihm zwar nicht wortwörtlich Mut zu, aber seine Anwesenheit und sein ruhiger Atem beruhigten ihn. Außerdem konnte er ihn ansehen, während er durch sein braunes Fell strich und wie ein Wasserfall erzählte, ohne seinem besten Freund auch nur einen Blick zu schenken.

Jongin wusste, dass Yixing kein Problem damit haben würde, dass er auf einen Mann stand. Bei Zitao hatte es ihn auch nie gestört. Aber er war nicht Zitao und er stand nicht nur auf jemand, den er mal eben gesehen und als attraktiv befunden hatte. Er hatte sich verliebt. Wirklich verliebt. In eine Person, mit der er noch kein Wort gewechselt hatte.

Mit der er vermutlich nie ein Wort wechseln würde.

»… auf jeden Fall hab ich ihn dann in Facebook geaddet und er hat angenommen. Ich hab mir eigentlich vorgenommen ihn anzuschreiben, aber mir ist nie etwas eingefallen, was ich hätte schreiben sollen. Du weißt ja, dass ich nicht unbedingt fähig bin normale Gespräche zu führen. Und letztens hat er mich angeschrieben, einfach so. Und ich Idiot war so hibbelig und nervös, dass ich es dir geschrieben hab, ohne mich daran zu erinnern, dass ich dir nie sagen wollte, wieso der Stuhl vor dem Fenster steht. Weil es dämlich ist. Ich bin nicht normal, oder? Ich mein, das macht man doch nicht.«

Erst als er seine Erzählung, fast ohne Punkt und Komma, beendet hatte, hob er den Kopf und blickte in das Gesicht seines besten Freundes, der auf dem Schreibtischstuhl, der nun gute zwei Meter von seinem Bett im Zimmer stand, saß. Zuerst hatte er nicht mit der Sprache herausrücken wollen, weil es alles so dämlich klang, wenn man es sich vor Augen führte. Aber als er dann angefangen hatte zu erzählen, hatte er nicht damit aufhören können. Und plötzlich hatte es sich gut angefühlt. Es hatte sich gut angefühlt, das alles rauszulassen.

Auch wenn es wirklich, wirklich dämlich klang.

»Dass du nicht normal bist, ist kein Geheimnis, Jongin. Aber wenn ich ehrlich bin, klingt das schon ein wenig… abgedreht. Ich mein, wow, du stalkst diesen Typen ja fast.«

Jongin schluckte, während er durch Monggus lockiges Fell strich. »Ich weiß. Aber ich… ich wollte einfach nur ein bisschen was von ihm kennenlernen, verstehst du?« Seine Stimme war leise und schuldbewusst geworden.

Yixings Antwort dauerte ein paar Sekunden. »Ja, ich versteh es«, sagte sein bester Freund ruhig.

»Ich weiß, das klingt alles blöd und unlogisch, aber ich glaub, ich bin richtig, richtig böse in ihn verliebt. Obwohl ich nicht einmal weiß, wieso.« Hätte er nicht zu seinem Hund gesehen, hätte er bemerkt, dass Yixing verwirrt geblinzelt hatte.

»Das ist das erste Mal, dass ich von dir höre, dass du verliebt bist.« Zum Glück ließ er den peinlichen ‚richtig, richtig böse‘-Teil weg. Jongin lächelte auf die Aussage etwas bitter.

»Ich möchte ihn kennenlernen. Ich möchte ihn so gut kennenlernen, wie ich dich kenne.«

»Das wird sicher nicht so einfach«, gab Yixing zu. Er und Yixing kannten sich immerhin aus Kindergartentagen. Sie waren zwar nicht schon immer beste Freunde gewesen, aber irgendwie waren sie immer befreundet gewesen. Sogar in der Zeit, als Yixing für zwei Jahre in der Volksrepublik China gewesen war.

»Ich weiß«, sagte Jongin mutlos und seufzte dann. »Ich versteh ja selbst nicht mal, wieso ich mich verliebt habe. Ich habe nicht einmal gewusst, dass ich auch auf Kerle stehe…«

»Jongin, man kann Gefühle nicht steuern. Du musst dich nicht dafür schämen, dass du Schmetterlinge im Bauch hast, oder nervös wirst, wenn dich jemand anschreibt, für den du Gefühle hast. Man braucht keinen offensichtlichen Grund um sich zu verlieben.«

Jongin atmete hörbar durch die Nase aus, Monggu in seinem Schoß bewegte sich etwas und ordnete seine Füße bequemer.

»Aber es ist im Moment so aussichtslos. Ich glaub das ist mein größtes Problem. Weil ich weiß, dass ich nicht plötzlich vor seiner Tür stehe und ihn frage, ob er mit mir ins Kino oder die Spielhalle möchte. Obwohl ich es wirklich gern tun würde. Es geht nicht darum, dass ich mich nicht traue, sondern dass ich mich einfach blamieren würde. Du weißt ja selbst, wieso ich keine einfache Beziehung führen kann.«

Yixing drückte seine Lippen aufeinander und Jongin wusste, dass er ihm gern Mut zureden wollte. Aber Yixing kannte ihn. Yixing wusste, dass er die Worte nicht sagte, weil er kein Selbstbewusstsein hatte oder ein Feigling war, nein, Yixing wusste, dass Jongin mit seiner Aussage Recht hatte.

»Vielleicht solltest du einfach öfters mit ihm chatten. Freunde dich doch erst einmal mit ihm an. Vielleicht klappt es dann ja.«

»Oh«, machte Jongin plötzlich und blickte auf, als hätte er vergessen etwas Wichtiges zu erzählen. »Er ist am Freitag im Tanzstudio und holt seine Schwester ab.«

»Das solltest du nutzen«, sagte Yixing, der ihm ein schmales Lächeln zuwarf und dabei das Grübchen seiner rechten Wange auftauchen ließ.

Jongin wusste, dass er das nützen sollte. Weil es eine wirklich gute Chance war. Vermutlich die einfachste, in seinem überschaubaren Leben, das plötzlich so kompliziert geworden war.

Jongin nahm sich vor die Chance zu nutzen.
 

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Kung Fu Panda und Wu Yifan sind jetzt befreundet.

(Gefällt mir · Kommentieren · Wu Yifan als Freund hinzufügen · Vor zwei Stunden)
 

Wäre Jongin nicht mit dem Mauszeiger über den unbekannten Namen von Wu Yifan gefahren, hätte er das Profilbild wohl nicht gesehen und registriert, dass Wu Yifan ‚Kris‘, aus der Bar am Samstag, war.

Jongin hatte sich ein Grinsen nicht verkneifen können. Ob das an der Tatsache lag, dass Zitao (der einen sehr merkwürdigen Namen in Facebook hatte) offensichtlich noch Kontakt mit diesem Kerl, den er beliebäugelte, hatte, oder eher an Han, wusste er nicht so genau.
 

Lu Han gefällt das.

Lu Han Ich hab dir doch gesagt sprich ihn an v^_^v

(vor etwa einer Stunde · Gefällt mir)

Kung Fu Panda sei still und verschwinde!

(vor etwa einer Stunde · Gefällt mir)

Lu Han Das ist nicht der Dank den ich erwartet habeㅋ_ㅋ

(vor etwa einer Stunde · Gefällt mir)

Lu Han und datet ihr schon?

(vor etwa einer Stunde · Gefällt mir)

Kung Fu Panda oh gott! du bist so peinlich

(vor 45 Minuten · Gefällt mir · Lu Han gefällt das)

Lu Han hehehe ich hab dich auch lieb!  ̄ ▽ ̄

(vor 40 Minuten · Gefällt mir)

Wu Yifan Wenn du das nächste Mal in die Bar kommst hoffe ich, dass du einen guten Freund hast, der deine Getränke vorkostet.

(vor 5 Minuten via Handy · Dir, Kung Fu Panda und Zhang Yixing gefällt das)

Lu Han ㅇㅁㅇㆀ

(vor 5 Minuten · Gefällt mir)

Lu Han Wieso hat das so viele likes? Was soll das??

(vor 2 Minuten · Gefällt mir)

Wu Yifan Sieht aus als würden sie dich leiden sehen wollen. Nur so ein spontaner, vermutlich absolut abwegiger Gedanke.

(vor 2 Minuten via Handy · Gefällt mir)

Oh Sehun also wenn Tao nicht mit dir ausgeht solltest du mit mir ausgehen. ich finde dich fürchterlich sympathisch

(vor etwa einer Minute · Gefällt mir · Zhang Yixing gefällt das)

Kung Fu Panda hisses

(vor einigen Sekunden · Gefällt mir · Lu Han gefällt das)

Lu Han Gefällt mir nicht! ㅠㅠ

(vor einigen Sekunden · Gefällt mir · Kung Fu Panda gefällt das)
 

Jongins Freunde waren dumme und peinliche Idioten, die ihn amüsierten und deren größtes Hobby es wohl war, sich selbst bloßzustellen. Anstatt der Unterhaltung, die durchaus komische Züge angenommen hatte, zu folgen, scrollte Jongin weiter in die endlosen Tiefen seiner teilweise gruseligen Facebookseite. Dabei kam ihm der Gedanke, dass er sehr froh war, dass seine Freunde nicht kommentiert hatten, dass er mit Kyungsoo befreundet war. Aber den kannten sie zum Glück ja auch nicht. Am Ende würde sich Jongin nur für sie schämen müssen. Und Jongin wollte, dass Kyungsoo nur das Beste von ihm dachte.

Vermutlich dachte Kyungsoo aber gar nichts von ihm.

Facebook war eine Seite, die nicht nur allein wegen des Datenschutzes schon sehr fragwürdig war, sondern auch durch die Tatsache, dass er wirklich alles von seinen Freunden erfuhr. So zum Beispiel auch, dass Sehun und Han gestern im Cofioca im Apgujeong-Viertel Bubbletea getrunken hatten, was Luhan mit einem freudigen Smiley kommentiert hatte. Han kommentierte generell alles mit Smileys, was sehr seltsam war, wenn man Han im richtigen Leben auch kannte. Denn irgendwie wollte das nicht so zu seiner männlichen Attitüde passen, auf die er immer so viel Wert legte. Vielleicht war das auch genau der Haken. Denn so wirklich männlich wie er gern wäre, wirkte er nicht immer. Nicht, dass Jongin ihm das je ins Gesicht sagen würde. Das könnte unter Umständen dann doch unangenehm ausgehen. Mit Fußballspielern oder Fußballfans sollte man sich niemals anlegen.

Er scrollte weiter und bemerkte, dass Kyungsoo vor ein paar Stunden ebenfalls etwas gepostet hatte.
 

Do Kyungsoo

Heute wollte einer der Gäste den Koch seines Gerichtes persönlich sprechen – was in diesem Falle ich war. Und zuerst dachte ich, er würde mir ins Gesicht sagen, dass es ihm nicht geschmeckt hatte, stattdessen hatte er mindestens zehnmal gesagt, dass er noch nie so ein unvergleichliches Haemultang gegessen hat. Und jetzt bin ich 30000 Won reicher.

Schön, wenn sich ein anstrengender Tag lohnt.

(Gefällt mir · Kommentieren · vor 3 Stunden)

Park Chanyeol gefällt das.

Park Chanyeol ha dann kannst du mich ja mal wieder einladen^^

(vor 3 Stunden via Handy · Gefällt mir)

Do Kyungsoo Darf ich dich daran erinnern, dass du der Ältere von uns beiden bist und mich eigentlich einladen solltest?

(vor 3 Stunden · Gefällt mir)

Park Chanyeol aber du hast mehr geld!

(vor 3 Stunden via Handy · Gefällt mir)

Do Kyungsoo Ich arbeite ja auch hart dafür! Aber weil du es bist, lade ich dich vielleicht trotzdem ein. Wann hast du Zeit?

(vor 3 Stunden · Gefällt mir · Park Chanyeol gefällt das)

Park Chanyeol warte ich schreib dich privat an^^

(vor 3 Stunden via Handy · Gefällt mir)
 

Wer war dieser Park Chanyeol? Und wieso konnte er sich mal soeben bei Kyungsoo einladen? Jongin hatte sein Profil ansehen wollen, aber dummerweise sah er bis auf das Profil- und Titelbild nur, dass seine Informationen nur für Freunde sichtbar waren. Aber Jongin war sich ziemlich sicher, dass dieser Park Chanyeol ein ziemlicher Idiot war. Zumindest sah er so aus. Vielleicht lag das auch an seinen Ohren. Oder dem breiten Grinsen. Oder der Tatsache, dass er und Kyungsoo sich wohl kannten.

Jetzt fing er sogar schon an auf die Freunde von seinem Nachbarn neidisch zu werden. Langsam wurde die Sache fürchterlich ungesund.

Fast so, als könnten seine Freunde wissen, dass seine Laune, aus total schwachsinnigen Gründen, dabei war, den Bach herunter zu gehen, hörte er erneut das Geräusch, das eine neue Nachricht ankündigte.

Er fand schnell heraus, dass jemand die Freundschaftsschließung von Zitao und diesem Kris, kommentiert hatte.
 

Lu Han Gefällt mir nicht! ㅠㅠ

(vor 3 Minuten · Gefällt mir · Kung Fu Panda gefällt das)

Kim Minseok Ich hab gedacht er ist hetero?

(vor wenigen Sekunden · Gefällt mir)

Kim Jongin das ist die einzig richtige antwort die man geben kann wenn tao einen anspricht

(vor wenigen Sekunden · Gefällt mir)

Kung Fu Panda ihr seid echt beschissene freunde!!

(vor wenigen Sekunden · Dir, Kim Minseok und Oh Sehun gefällt das)
 

Jongin konnte sich ein amüsiertes, kurzes Lachen nicht verkneifen und als er die kalte Nase seines vierbeinigen Freundes am Arm spürte, erinnerte er sich daran, dass es Zeit für den abendlichen Ausgang Monggus war.

Er schloss den Browser und erinnerte sich beim Erheben vom Bett daran, dass er später bei Kyungsoos Status noch das ‚Gefällt mir‘ drücken musste.
 

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Er konnte nicht schlafen.

Und das lag nicht daran, dass morgen Freitag war, oder dass er um diese Uhrzeit noch Simon Curtis hörte und sich dummerweise in seinen durchaus eindeutig zweideutigen Lyrics verlor, sondern daran, dass er einfach nicht müde war. Irgendwas in ihm war völlig nervös, die andere Seite war völlig ruhig und ausgelassen. Er spielte mit dem Gedanken noch einen Film anzusehen, aber es fiel ihm keiner an, der ihn wirklich ansprach.

Auch wenn er die Chance nutzen wollte, wusste er nicht, wie er das anstellen sollte. Es war ein Vorteil, dass er im Tanzstudio war, aber dennoch löste das sein Problem nicht ganz in Luft auf. Er hatte keine Ahnung, wie er die Sache angehen sollte. Er wollte ja irgendwie beeindruckend rüberkommen, aber wie tat er das denn? Er wusste genau genommen nichts über Kyungsoo. Er wusste, dass er ein Koch war, was den Schichtdienst erklärte, und dass er an Frauen interessiert war, seinen Geburtstag, sein Alter. Aber das war es dann auch schon. Er wusste nicht, was für Leute er mochte, oder was er gar nicht ausstehen konnte. Es war ein Fakt, der ihn irgendwie unangenehm traf – er wusste nichts Relevantes über Do Kyungsoo.

Er wollte es so gern ändern, er wollte sich mit ihm unterhalten, wollte ihm so viele Fragen stellen und wollte mehr über ihn erfahren. Und das war eigentlich so einfach, aber in seiner Situation wiederum nicht.

Monggu seufzte im Schlaf und Jongin drehte sich etwas auf die Seite, beobachtete die helle Anzeige seiner Stereoanlage und seufzte, hob die Hand und drehte die Lautstärke etwas herunter.

Er schloss die Augen und lauschte weiterhin Flesh, bevor die Müdigkeit dann doch irgendwann angerannt kam und ihn ins Reich der Träume zerrte.
 

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Vielleicht hätte er nicht Simon Curtis hören sollen, bevor er eingeschlafen war.

Denn der Tag hatte durchaus merkwürdig gestartet. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass er von einer Morgenlatte begrüßt wurde, aber es war durchaus das erste Mal gewesen, dass ihm das passiert war, ohne dass er einen Sextraum gehabt hatte.

Denn so weit war es im Traum gar nicht gekommen. Dass er von seinem unwissenden Nachbarn geträumt hatte, musste man wohl nicht erwähnen. Aber man musste wohl erwähnen, dass Jongin den Gedanken, dass er auf seinem Schoß saß und ihn hemmungslos küsste, durchaus attraktiv fand.

Er verfluchte den Wecker, der ihm aus diesem schönen und gleichzeitig tödlichen Traum gerissen hatte und er verfluchte seine angeheizten Hormone. Die kalte Dusche nach dem Aufstehen verdammte er dennoch am meisten.

Es war das erste Mal gewesen, dass er sich unter die kalte Dusche gestellt hatte, um eine Erektion loszuwerden. Ansonsten tat er das, was jeder gesunde junge Mann in seinem Alter tat. Und in jedem anderen Alter vermutlich auch. Handanlegen. Jongin würde sich nur noch komischer vorkommen, würde er sich tatsächlich einen runterholen und dabei an den hübschen Nachbarn mit den vollen Lippen denken. Es war schon schlimm genug, dass er so einen Traum gehabt hatte, es war schon schlimm genug, dass er zu einem gruseligen Stalker mutiert war.

Plötzlich waren ihm Zweifel gekommen. Das hier war sicher nur eine dumme Phase. Eine dumme, extrem späte nachpubertäre Phase. Es war doch unmöglich sich in jemand zu verlieben, den man praktisch gar nicht kannte. Er war doch – im Gegensatz zu gewissen anderen Kung Fu Pandas – nicht schwul. Jongin war keine Schwuchtel. Auch wenn er Tänzer war; gerade weil er Tänzer war. Weil es nichts Heterosexuelleres gab als einen heißen Tanz mit einer Frau.

Die Gedanken änderten nichts an der Tatsache, dass er unglaublich nervös wurde, wenn er an heute Abend dachte.

Während er gefrühstückt hatte und mit Monggu spazieren gegangen war, hatten seine Gefühle eine rasante Achterbahnfahrt durchlebt, in der er versucht hatte sich einzureden, dass er nicht verliebt war, und dann zu akzeptieren, dass es doch der Fall war. Gekotzt hätte er trotzdem gern, vielleicht hätte das nicht nur seinen Mageninhalt, sondern auch seinen Kopf erleichtert. Aber sein Frühstück blieb im Magen und die Arbeit fing schließlich auch schon an nach ihm zu rufen. Jongin hoffte, dass er dort wenigstens etwas Ablenkung finden würde.

Die gemischte Gruppe und Marias spanisches Temperament führten tatsächlich dazu, dass er sich zumindest darauf konzentrierte den Schülern Tango beizubringen und nicht ständig an seine Gefühle zu denken, die aus heiterem Himmel gefallen waren. Dummerweise war das nur solange gut gegangen, bis er einer der Damen geholfen und sie geführt hatte.

Tango war ein sehr erotischer Tanz mit viel Körperkontakt. Jongin hatte eine Schwäche für ihn und genauso für die Musik. Jedes Mal, wenn er auch nur etwas hörte, das in Richtung Tangomusik ging, fiel es ihm unsagbar schwer, nicht aufzustehen, sich eine beliebige Person zu schnappen und zu tanzen.

Früher war Ballett seine Nummer eins gewesen, aber als er Tango gelernt hatte, rutschte das auf der Liste der nicht modernen Tänze ganz nach oben und thronte dort seitdem wie ein König über sein Reich.

Jongin hatte nie ein Problem damit Mädchen (manchmal auch Jungs) aus dem Kurs zu führen. Er hatte keine enge oder gar existierende Beziehung zu diesen Menschen und deswegen waren sie nur Personen, die dieselbe Leidenschaft teilten. Mehr Verbindung war da nicht und dementsprechend war auch sie nur ein Tanzpartner. Das Problem war, dass Jongin auf den verführerischen Gedanken kam, wie es wohl sein würde, mit Kyungsoo zu tanzen. Zwar brachte ihn das nicht aus dem Takt oder führte gar dazu, dass er sich vertrat, denn die einfachen Tangoschritte waren ihm quasi ins Gedächtnis gebrannt und bestimmt dort für die Ewigkeit zu bleiben (Tanzen war wie Fahrradfahren. Man verlernte es nicht, man kam immer wieder hinein, wenn man nur der Musik lauschte und sich dem Takt und dem Rhythmus hingab. Das genügte. Zumindest für Jongin), führte jedoch dazu dass er sich daran erinnerte, dass es sicher kaum etwas reizenderes geben würde, als seinen Nachbarn an seinen Körper zu drücken, ihn über den glatten, sauberen Tanzboden zu führen und ihn mit einem stabilen, durchdringenden Blick anzusehen und ihm nur durch die Stimmung klar zu machen, dass er sein werden sollte.

Allein der Gedanke, und diese Vorstellung in seinem Kopf, sollten ihm klar machen, dass er wohl wirklich von allen guten Geistern verlassen worden war und sich Hals über Kopf in Do Kyungsoo verliebt hatte.

Rational gesehen war das absolut schwachsinnig und weit hergeholt, aber offensichtlich wohl nicht unmöglich. Und als die zwei Stunden endlich geendet hatten, hatte Jongin sich auch mehr oder minder damit abgefunden, es nun einen Fakt zu nennen.

Als er mit Yixing gesprochen hatte, hatte er noch davon geredet, dass er glaubte richtig, richtig böse verliebt zu sein. Und heute war er so weit, dass er es sich eingestand. Das war durchaus ein beachtlicher Schritt.

Das machte den Tag nicht minder merkwürdig, denn es war durchaus ein komisches Gefühl sich damit abgefunden zu haben. Es zu akzeptieren. Gerade, weil er wusste, dass es irgendwie aussichtslos war.

Jongin war kein Feigling. Jongin hatte einfach nur ein großes Problem, mit dem er bis dato immer gut zurecht gekommen war. Aber gerade jetzt machte ihm dieses Problem einfach nur einen fetten, ekligen Strich durch die Rechnung. Das war frustrierend. So frustrierend, dass er sich kaum selbst positiv zureden konnte. Weil er glaubte zu wissen, was passieren würde.

Und das wäre nicht schön, oder das, was er sich gewünscht hätte.
 

Heute lief nichts, wie Jongin es geplant hatte. Wirklich nichts. Außer vielleicht die zwei Tangostunden mit Maria. Die waren aber auch das einzige gewesen, was an diesem Tag normal verlaufen war. Denn als die Ballettstunde begann, war ihm aufgefallen, dass Kyunghee nicht anwesend war. Seine Mutter hatte erwähnt, dass sie mit Grippe im Bett lag, als er nachgefragt hatte, wo sie war und Jongin hatte bemerkt, dass das bedeuten würde, dass er Kyungsoo nicht sehen würde. Diese Erkenntnis war unangenehm gewesen, weil sich seine Gedanken heute nur um seinen Nachbarn handelten, der ihm den Kopf verdreht hatte.

Dennoch war die Stunde in Ordnung gewesen. Und inzwischen konnte man schon ganz gut sehen, wer seinen Körper gut beherrschte und wer nicht. Aber sie waren alle lernfähig und Jongin war gern hier, auch wenn seine Mutter das theoretisch alles allein machen konnte. Aber vielleicht war es für den anwesenden Jungen durchaus beruhigend, wenn er nicht der einzige seines Geschlechtes war.

Durchschnittlich waren sie aber alle ziemlich gut, weswegen sie schon zehn Minuten früher als geplant die Stunde beendet hatten. Und Jongin hatte spontan Besuch von Yixing bekommen, der ihm offenbart hatte, dass er eigentlich nur gekommen war ‚weil er in der Nähe gewesen war‘ und weil er sich natürlich nicht entgehen lassen konnte, diesen unbekannten Nachbarn, auf den sein bester Freund so sehr stand, live zu sehen. Jongin hatte ihm erklären müssen, dass seine Schwester krank im Bett lag und er deswegen nicht gekommen war. Oder kommen würde.

»Das ist scheiße. Tut mir Leid, Mann«, sagte Yixing unverblümt.

Kai winkte ab. Sie waren inzwischen allein in dem Raum, die Schüler zogen sich um und seine Mutter hatte selten eine Minute, in der sie nicht irgendetwas tun musste. »Gibt sicher noch mehr Chancen.« Dennoch konnte er sich ein leichtes Seufzen nicht verkneifen.

»Guck nicht so«, versuchte Yixing ihn aufzuheitern und umarmte ihn von hinten, grinste leicht. »Wenn du willst, kann ich ihn ja mal ansprechen und sagen, dass du ihm gern eine private Tanzstunde geben würdest.«

Kai schlug mit seinem Ellbogen leicht nach Yixing. »Lass das«, sagte er. »Außerdem denkt er sicher eh schon, dass ich ein komischer Kerl bin. Da muss er nicht noch denken, dass ich gruselig bin.«

»Genau genommen bist du manchmal ziemlich gruselig.«

»Das hilft mir nicht, Yixing.« Jongins Stimme war für einen Moment streng, ehe er sich aus der Umarmung seines besten Freundes befreite und sich auf den Boden setzte und an die Wand mit den Fenstern, vor denen geschlossene Rollladen hingen, sah. Er fuhr sich durch die Haare. »Ich weiß eh nicht, ob ich nicht einfach versuchen soll, damit aufzuhören. Ich mein, selbst wenn ich irgendwie einen Draht mit ihm aufbaue und mich vielleicht mit ihm anfreunde… das würde dann doch sicher schon alles sein. Er ist ein Mann und ich bin unfähig eine Beziehung zu führen.«

Yixing setzte sich neben ihn. »Hör auf es schlecht zu reden, bevor du es nicht versucht hast. Ja, vielleicht klappt es nicht, aber du solltest es wenigstens versuchen. Wenn du das nicht tust, ärgerst du dich dann nur darüber und machst dir Vorwürfe. Und das ist beschissen. Lieber bekommst du einen Korb und die Erkenntnis, dass es wirklich nicht klappt, als es nicht zu versuchen. Und du hast doch keine Ahnung, ob es klappt, oder nicht. Wenn er weiß was los ist, zeigt er zumindest Verständnis.«

»Aber ich kann ihm das nicht so einfach sagen, das geht nicht…«

»Dann mach ich das. Oder deine Mutter. Irgendjemand. Hör auf so beschissen deprimiert zu sein, das ist zum Kotzen.«

»Ich bin nicht deprimiert«, erwiderte er sofort.

»Ja, natürlich ni-« Yixing brach seinen Satz ab, als plötzlich das Klingeln eines Handys zu hören war. Jongins war es nicht, weil er es im Moment nicht in der Hosentasche hatte. Sein bester Freund zog das Mobiltelefon aus der Tasche, blickte auf das Display und erhob sich. »Komme gleich wieder. Renn nicht weg«, sagte er ihm, nahm dann das Gespräch entgegen und verließ den Raum.

Jongin blieb sitzen, verzog die Lippen und blickte an die weiße Wand. Er wollte sich nicht aufregen. Er wollte nicht alles schwarz malen, aber irgendwie war es gar nicht so einfach, wenn man verliebt war und keine Ahnung hatte, wie man die Person, für die man ein paar Gefühle hatte, auf sich aufmerksam machen sollte.

Natürlich konnte er es ihm schreiben. Aber er wollte es ihm nicht beim Chatten sagen. Er wollte es ihm ins Gesicht sagen.

Das wollte er wirklich gern tun.

Ein paar Minuten vergingen und Jongin zog seine Beine an, schloss die Augen und wartete darauf, dass Yixing wieder kommen würde. Er musste sich ablenken. Diese Gedanken machten ihn noch irre. Und er wollte weder verrückt noch frustriert werden.

Er konnte hören, wie die Tür aufging und Jongin verharrte in seiner Position, öffnete jedoch den Mund.

»Wollen wir eine Runde tanzen?«, fragte er dann und öffnete seine schweren Augenlider etwas. Das würde ihn ablenken, das Tanzen.

»Ich bin kein guter Tänzer«, hörte er dann eine Stimme, die absolut nicht zu Yixing gehörte.

Jongin riss seine Augen erschrocken auf, drehte sich im Sitzen auf dem glatten Boden etwas zur Seite und starrte zu der Person, die den Raum betreten hatte, die eigentlich Yixing hätte sein sollen.

Jongin öffnete seinen Mund, der sich auf einen Schlag unglaublich trocken anfühlte und starrte geradewegs in Kyungsoos Gesicht. Sein Herz klopfte schneller, ob vor Aufregung oder Schock konnte er nicht sagen, und er fragte sich, was er hier tat, und ob er möglicherweise einfach nur halluzinierte.

Jongin schloss seinen Mund wieder und erhob sich, weil er sich komisch vorkam, auf dem Boden zu kauern und ihn überrascht anzusehen.

Und plötzlich überkam ihn vollkommene Panik.

Als hätte Yixing einen Sensor installiert, der Jongins Furcht spürte, wurde die Tür erneut geöffnet und sein bester Freund trat ein, grinste breit.

»Guck mal, wer draußen gewartet hat«, sagte Yixing, blickte zu Kyungsoo. »Ich bin im Übrigen Zhang Yixing. Jongins bester Freund.«

»Oh, hi. Do Kyungsoo«, sprach er ruhig und verbeugte sich sogar etwas, was Yixing leicht erwiderte.

Kais Augen sprangen von Yixing zu Kyungsoo und wieder zurück und landeten schließlich wieder auf seinen Nachbarn und diese Situation war so surreal, dass er glaubte, dass er bei einer versteckten Kamera gelandet war.

»Wieso bist du hier? Deine Schwester ist doch krank?«, wollte Yixing wissen. Kyungsoo kratzte sich am Hals und schielte kurz zu Jongin, schenkte der Person, die die Frage gestellt hatte, dann jedoch wieder seine volle Aufmerksamkeit. »Sie meinte, dass ich mir nicht entgehen lassen sollte, wie Jongin tanzt. Aber ich glaub das hab ich verpasst. Und immerhin muss ich doch wissen, wen sich meine kleine Schwester als Vorbild rausgesucht hat.«

»Vorbild? Jongin und ein Vorbild?«, fragte Yixing und lachte dann amüsiert und Jongin warf ihm einen unzufriedenen Blick zu. »Aber hey, wir haben eben über dich geredet und Jongin hatte beiläufig bemerkt, dass er gern mit dir tanzen würde.« Jongin sah Yixing an, als wäre er von allen guten Geistern verloren und versuchte ihm mit einer Handbewegung zu deuten, dass er schweigen sollte.

Aber sein bester Freund wäre nicht sein bester Freund, wenn er auf ihn hören würde.

Kyungsoo hatte den Kopf wieder zu ihm gedreht und sah ihn mit großen Augen an und Jongin hätte niemals gedacht, dass es eine Person mit solchen großen Augen geben konnte. Auch wenn er durchaus schon mehr Personen, auch männliche, mit großen oder noch größeren Augen, gesehen hatte - aber im Moment kam es Jongin so vor, als würden diese Augen nur ihn sehen. Das war zumindest ein heimlicher Wunsch. »Wirklich? Wieso?«

Die Frage war an ihn gerichtet und Jongin hatte das Gefühl, dass ihm irgendjemand die Kehle abgeschnürt hätte und dabei war ihn zu strangulieren.

»Ja, Jongin, wieso?«, wiederholte Yixing Kyungsoos Frage und Jongin sah ihn an und wünschte ihm die Pest auf den Hals. Er sollte den Mund halten. Er sollte den Mund halten.

Er sollte den Mund halten…

Jongin öffnete die trockenen Lippen, schloss sie wieder und sah auf den Boden.

»Wisst ihr was?«, fragte sein bester Freund und Jongin wollte ihm entgegen brüllen, dass er die Fresse halten sollte, aber es trat kein Wort aus seinem Mund. Es war, als hätte er plötzlich das Sprechen verlernt.

Kyungsoo sah verwirrt zu Yixing, der sich in Bewegung gesetzt hatte und die CD der Anlage wechselte. Jongin beobachtete ihn mit wachsender Furcht, weil er seinen Freund gut genug kannte, um zu ahnen, was er da gerade tat. Jongin wusste nicht, ob er ihn dafür schlagen oder umarmen wollte. Die plötzliche Nervosität, fast so wie richtig starkes Lampenfieber, kroch ihm über den Rücken und verschwand auch nicht, als die Musik ertönte. Geigen, Cello, Akkordeon. Jongins Gehirn wusste sofort, dass es Tangomusik war, aber es war das erste Mal, dass sich seine Beine nicht von selbst bewegten. Er stand da wie angewurzelt und sah nur völlig überfordert dabei zu, wie Yixing seine Hände in Kyungsoos Rücken legte und ihn regelrecht in seine Richtung schob, bis sie voreinander standen.

»Viel Spaß«, feixte Yixing und Jongin musste spontan an Zitaos Zitat denken.

Seine Freunde waren wirklich beschissen.

Yixing verließ den Raum und Jongin starrte in Kyungsoos Gesicht, und es war so schwer den Blick abzuwenden. Es war so schwer sich nicht in diesen dunklen Augen zu verlieren, war so schwer seine schönen Züge zu ignorieren und den Blick auf den Boden zu senken. Viel schlimmer war die Tatsache, dass Kyungsoo seine vollen Lippen plötzlich zu einem Lächeln zog und dass Jongin daran denken musste, dass seine Lippen wie ein verdammtes Herz aussahen, wenn er das tat.

»Ich trete dir sicher auf die Beine«, sagte er und gluckste danach sehr leise. »Ich glaub, das ist keine gute Idee.«

Und Jongin erinnerte sich daran, dass er die Chance nutzen sollte, dass es keine bessere gab und er sich für immer verdammen würde, würde er jetzt nicht einfach das tun, was ihm den halben Tag im Kopf herumgespukt hatte.

Ohne, dass ein Wort seine Lippen verlassen hatte, hatte Jongins Kyungsoos rechte Hand mit seiner linken gepackt und seine eigene rechte, unter Kyungsoos Arm hindurch, an seinen Rücken gelegt. Es war reiner, verwirrter Reflex, dass Kyungsoo seine Hand zögernd an seine Schulter gelegt hatte. Und jetzt war es Kyungsoo, der ihn völlig überfordert ansah. Jongin kannte diesen Blick. So sahen ihn die Leute immer an, wenn er mit ihnen tanzen wollte und wenn diese Personen absolut keinen blassen Schimmer davon hatten, was sie tun sollten. Das war nicht schlimm, denn er hatte automatisch die Position des Mannes eingenommen. Er würde führen, Kyungsoo musste nur seinen Schritten in die gegengesetzte Richtung folgen. Das würde er wissen, das würde er schnell herausfinden.

Kyungsoo gab ein überfordertes, unsicheres und leises »Ah!« von sich und man hörte ihm an, dass er überlastet war.

Jongin blickte ihm weiterhin ins Gesicht, umgriff seine Hand schließlich richtig und zog ihn mit der anderen näher an seinen Körper. So nah, dass sie sich leicht berührten. So nah, dass Jongin sich einbildete, den Herzschlag seines Gegenübers zu spüren. Noch immer konnte er die Augen nicht von diesem schönen Gesicht lassen, das ihn ansah, als wäre er völlig übergeschnappt.

Kyungsoo hatte gerade den Mund öffnen wollen, hatte Jongin sagen wollen, dass er nicht tanzen konnte, als der Jüngere der beiden anfing sich zu bewegen, als die Musik beim passenden Takt angekommen war. Er startete mit dem linken Fuß und irgendwie stolperte Kyungsoo tatsächlich mit nach hinten, senkte seinen Blick jedoch sofort, um auf ihre Beine zu sehen. Jongin hielt in der Bewegung inne, ließ seine Hand los und legte sie kurz an Kyungsoos Kinn, sodass er es automatisch anhob und zu ihm sah. Er löste die Berührung, auch wenn alles in ihm danach schrie, dass er dort verharren und die schönen Lippen mit seinen eigenen in Anspruch nehmen sollte. Aber alles was er tat, war eine Bewegung mit Zeige- und Mittelfinger von seinen und Kyungsoos Augen, die ihm sagten, dass er nicht auf den Boden blicken, sondern nur ihn ansehen sollte.

Er sollte nur ihn ansehen.

Wenigstens für diesen kurzen, absolut seltsamen Moment, der sein Gegenüber überforderte. Jongin wollte egoistisch sein, wollte ihn wenigstens für einen kurzen Augenblick ansehen, als wäre das zwischen ihnen für die Ewigkeit gemacht.

Jongin wollte die Chance nutzen.

Seine Hand griff wieder um die kleinere von Kyungsoo und erneut setzte er sich in Bewegung, fing von vorn an, kam aber nicht weit, weil Kyungsoo damit beschäftigt war ihn anzusehen und ihm aus Versehen auf den Fuß zu treten, weil er keine Ahnung von den Bewegungen und den Abläufen des Tanzes hatte.

Kyungsoo brach Jongins intensiven Blickkontakt und sah erneut auf den Boden, wirkte absolut peinlich berührt. »Tut mir Leid«, sagte er dann.

Es musste ihm nicht leidtun, ihm war schon deutlich öfter auf den Fuß getreten worden und Kyungsoo konnte ihm so oft auf den Fuß treten, wie er wollte. Es war nicht schlimm. Nichts an dieser Situation war schlimm. Weil Jongin, je länger in seiner Nähe war, bemerkte, was für ein angenehmer Duft an Kyungsoo hing. Weil er nach jeder Sekunde, in der er Kyungsoo sanft an seinen eigenen Körper drücken konnte, glaubte, dass er absolut in diese Person verliebt war.

Jongin wollte weiter tanzen, doch Kyungsoo löste sich schließlich aus ihrer engen Berührung und Jongin ließ ihn ohne zu zögern los, auch wenn es ihm vorkam, als hätte er ihn nicht nur losgelassen, sondern verloren.

»T-tut mir leid, ich glaub ich bin nicht zum Tanzen geschaffen«, fing Kyungsoo dann an, während die leidenschaftliche Musik weiter spielte, als würde es für sie kein Ende geben, als wäre der Tanz für sie noch nicht vorbei.

Aber der Tanz war vorbei und Jongin sah Kyungsoo an und kam sich vor wie ein großer Trottel, der die Chance zwar genutzt, aber absolut vergeigt hatte.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen ihnen.

»Waren die Worte von… deinem Freund«, er hatte Yixings Namen offensichtlich vergessen, »wahr? Wolltest du wirklich mit mir tanzen?« Kyungsoo sprach langsam, leise und verunsichert und Jongin brach diesmal den Blickkontakt, konnte spüren wie sich sein Adamsapfel bewegte, als er schluckte und dann leicht nickte.

»Wieso?«, fragte Kyungsoo dann erneut und Jongin sah einen Moment panisch in dieses schöne Gesicht.

Es war, als hätte ihn all sein Mut verlassen. Als würden die Fragen nur dazu führen, dass Jongin vergaß, wie man sprach.

Er hatte die Lippen erneut geöffnet, aber wie auch vorhin wollten keine Worte über sie treten. Jongin blieb still und gab ein absolut erbärmliches Bild von sich.

»Du kannst mir antworten«, sagte Kyungsoo dann ruhig. Aber vermutlich meinte er es eher fordernd. Er wollte eine Antwort und Jongin wusste nicht, was er sagen sollte.

Er fing an sich zu blamieren. Schon seitdem Kyungsoo den Raum betreten hatte.

»Ich reiß dir schon nicht den Kopf ab.« Ein kurzes Lächeln huschte auf Kyungsoos Lippen und Jongin hätte ihm allein dafür wirklich gern geantwortet.

Er konnte das doch tun. Er konnte doch reden. Sie waren in diesem einen Raum, in dem er es sonst immer schaffte. Er fühlte sich hier doch so wohl, er konnte doch einfach mit ihm reden.

Als Jongin den Blick erneut in Kyungsoos Gesicht wandte, verschwanden seine Worte aber, als hätten sie nicht einmal in seinem Gehirn existiert. Er war so attraktiv, dass Jongin sich fragen musste, wie sehr man sich zu einer Person hingezogen fühlen konnte.

Er biss sich auf die Lippen und griff im nächsten Moment zu Kyungsoos linker Hand, die er eben noch gehalten hatte. Kyungsoo zog seine Hand nicht zurück und Jongin beobachtete ihre Hände für einen Moment. Er wollte ihn nicht loslassen. Weil er plötzlich Angst hatte, dass es die einzige Chance war, die er bekommen würde. Und wenn er schon dabei war, sie zu vergeigen, wollte er ihm wenigstens irgendwie klar machen, dass er ihn nicht gehen lassen wollte.

»Jongin? Alles klar?« Jetzt konnte er einen besorgten Unterton hören.

Ein schwaches Nicken von seiner Seite war die Antwort, auch wenn es eine Lüge war.

Stille.

Ein paar Augenblicke vergingen und Jongin hielt seine Hand noch immer, ehe Kyungsoo plötzlich ein leises »Ähm« von sich gab.

Jongin spürte seinen Herzschlag bis hoch in seinen Hals und wusste nicht, ob er nervös oder ängstlich war. Er wusste im Moment überhaupt nicht was passierte. Er wusste nur, dass er seinen Blick nicht von ihren Händen abwenden konnte und dass er ihn nie wieder loslassen wollte.

Er wollte es genießen, solange er konnte. Auch wenn es nur eine völlig banale Situation war.

Jongin bemerkte nicht, dass Kyungsoo die Stirn gerunzelt und ihn mit einem verwirrten und fragenden Blick ansah. Jongin bemerkte nicht, dass Kyungsoo diese Situation fürchterlich unangenehm war, weil er nicht verstand, was er da tat.

Jongin bemerkte nur, dass er es vergeigt hatte, bevor das wirklich passiert war.

Kyungsoo zog seine Hand zurück. »Sag mir das nächste Mal gleich, dass ich eine Wand ansprechen kann«, sagte er schroff. »Und wenn du nicht vorhast mit mir zu reden, gehe ich besser wieder. Denn ich bin eigentlich nicht hier her gekommen, damit du mich anschweigen kannst.«

Jongin spürte wie sich etwas in seinem Magen zusammenzog. Er konnte nicht sagen, was es war, er wusste nur, dass es unangenehm war.

Er vermisste die weiche Hand des anderen in seiner und er vermisste das Lächeln auf den Lippen von ihm, als er den Kopf wieder leicht hob.

Kyungsoo sah ihn einen Moment an, ehe er seufzte und an ihm vorbei trat und die Tür ansteuerte.

Jongin bewegte sich nicht, sah in die verspiegelte Wand und folgte Kyungsoo mit seinen Augen.

Er sollte nicht gehen. Nicht so.

Sag doch irgendetwas, fauchte er sich in Gedanken an.

Jongin blieb still und Kyungsoo verließ den Raum, ließ ihn allein zurück, zusammen mit der laufenden Tangomusik.

Sein Kiefer zitterte und Jongin glaubte, dass das der beschissenste Tag seit Langem gewesen war. Weil er alles versaut hatte. Weil er seinen verdammten Mund nicht aufgemacht hatte.

Es war das erste Mal seit langem, dass er eine so gute Chance einfach versaut hatte.



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