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Ein zweites Leben

von

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Die nächste Bekanntschaft

„So, und nun zu euch!“, begann Alain, als er mit Andre und Oscar alleine am Tisch blieb. Mit einem Schlag wechselte sich seine Gemütsverfassung. Er sah ernst und skeptisch aus. „Verratet mir ehrlich wer ihr seid und woher ihr kommt?! Ihr verhaltet euch eigenartig, als hättet ihr etwas zu verbergen!“
 

„Wir haben nichts zum verbergen“, rechtfertigte sich Andre, worauf ihm Oscar gleich ihre Hand sachte auf den Arm legte und ihrer Stimme einen sanften Klang verlieh: „Schon gut, Andre. Ihm können wir es doch ruhig sagen.“
 

Alain riss überrascht die Augen auf. Das sah und hörte sich auf keinen Fall nach einem waschechten Mann an! Dazu noch der zarte Blick dieses blondgelockten Jünglings, den er Andre gerade zuwarf! Ihm war eigentlich schon vorher sein feingliedriges Äußeres aufgefallen, aber er hatte geschwiegen und nun wollte er endlich wissen, was mit diesem Kerl nicht stimmte!
 

„Ja, Oscar, du hast recht.“ Andre schmunzelte sie kurz an und sie entzog ihm ihre Hand, um nicht noch anderen Gästen aufzufallen. Die Gaststube hatte sich schon deutlich gefüllt. Man hörte laute Stimmen und das derbe Lachen angeheiterter Männer, das in der ganzen Gaststube erschallte. Es wäre nicht ratsam, deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
 

Oscar verzog ihre undurchschaubare Miene und in ihren himmelblauen Augen fehlte jegliche Wärme. „Sei versichert Alain, wir verbergen wirklich nichts. Wir hoffen in der Tat hier auf Bernard Chatelet zu treffen und wollen mit ihm über eine gerechte Sache sprechen. Unsere Namen stimmen ebenfalls. Wir haben dir nur unsere Familiennamen verschwiegen, aber es hatte seine Gründe. Wir wollten kein Aufsehen erregen und deswegen bleiben wir vorläufig nur Oscar und Andre. Wobei, Andre kann dir eigentlich mehr von sich verraten, als ich von mir. Er ist deinesgleichen, mehr sage ich nicht.“
 

Alain schluckte einen Kloß herunter. Ein Adliger also! Er hatte es ja geahnt! Aber was hatte denn bitteschön ein einfacher Bürgerlicher wie Andre mit ihm zu schaffen?! Wenn er seinesgleichen war, dann durfte er eigentlich mit diesem merkwürdigen, blondköpfigen Burschen, wenn das denn überhaupt ein Bursche sein sollte, nicht allzu vertraulich umgehen!
 

Andre öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, aber da ging erneut die Tür der Gaststube auf und es entstand ein heftiger Luftzug. Ein Mann mit gepflegtem Äußeren, aber bürgerlich gekleidet trat herein und schloss die Tür hinter sich. Andre erhob sich. Das Glück stand heute offensichtlich auf ihrer Seite. „Das ist doch Bernard!“ Er ging unverzüglich auf ihn zu: „Seid Ihr Bernard Chatelet, der Gerichtsschreiber?“
 

„Ja, der bin ich.“ Der junge Mann zog seine Augenbrauen missmutig zusammen - anscheinend war er es ungewohnt, von Fremden angesprochen zu werden, aber dieser kannte ihn offensichtlich. „Und mit wem habe ich es zu tun, Herr?“
 

Andre lud ihn stattdessen feierlich zu dem Tisch ein. „Kommt zu uns, wenn es Euch nichts ausmacht. Danach können wir uns alle vorstellen, würde ich vorschlagen.“
 

„Meinetwegen“, willigte Bernard ein und folgte ihm. Er hatte ohnehin nach einem freien Tisch gesucht, aber da er keinen erspäht hatte und dieser Unbekannte ihn einlud, nahm er dankend an. Bei seiner Ankunft erhoben sich Oscar und Alain gleichzeitig von ihren Plätzen, wie es die Höflichkeit gebot.
 

„Das ist Bernard Chatelet, der Gerichtsschreiber“, stellte ihn Andre vor und reichte ihm selbst die Hand entgegen: „Ich heiße Andre Grandier. Ich bin ein Befürworter Euren Reden und Idealen.“
 

„Ich habe bisher noch keine großartigen Reden geführt, aber es erfreut mich trotzdem, Eure Bekanntschaft zu machen.“ Bernard schlug ein und seine Mundwinkel zogen sich nach oben. Andre war ihm auf Anhieb sympathisch. Noch dazu sah er ihm ähnlich, bis auf die Augenfarbe und die Länge der Haare. „Ihr seid nicht zufällig adlig, Andre? Ihr sprecht so vornehm.“
 

„Ich bin nicht adlig, Bernard“, beruhigte ihn Andre zuversichtlich. Er wusste noch genau, dass Bernard den Adel nicht sonderlich mochte. „Ich bin nur in einem Adelshaus aufgewachsen und stehe in den Diensten der Familie de Jarjayes.“
 

„De Jarjayes also, hmm...“ Dieser Name schien Bernard nicht unbekannt zu sein.
 

Auch Alain horchte auf, aber da er als nächster an der Reihe war, verschob er das auf einen späteren Zeitpunkt. Andre machte ihm Platz und er stellte sich vor: „Alain de Soisson. Ich bin nur ein einfacher Handwerker.“
 

„Sehr genehm.“ Bernard schüttelte ihm die Hand und ließ sie auch gleich los.
 

Alain machte dann gleich kehrt und raunte im Vorbeigehen kaum hörbar zu Andre: „Ich muss unbedingt ein Wörtchen mit dir wechseln, mein Freund.“
 

„Jederzeit, Alain.“ Andre gesellte sich Abseits zu ihm, um Oscar vorzulassen.
 

„Was hast du mit dem Hause de Jarjayes zu schaffen?“, fragte ihn Alain ganz diskret.
 

Andre schaute flüchtig zu Oscar, die gerade vor Bernard trat. „Ich habe da eine Freundin, die ich sehr schätze und liebe...“
 

„Eine Freundin?“ Die missmutige Miene bei Alain verwandelte sich in Neugierde. Zeitgleich vernahm er mit einem Ohr, wie sich Oscar Bernard vorstellte: „Mein Name ist Oscar Francois de Jarjayes, Kommandant des königlichen Garderegiments.“
 

Alain starrte unfassbar und ganz baff in ihre Richtung. Ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf und die Sprache versagte ihm den Dienst.
 

„Aha, Ihr seid also die Tochter von General de Jarjayes und steht in den Diensten Ihrer Majestät“, stellte dagegen Bernard missbilligend fest. Er weigerte sich, Oscar die Hand zu reichen.
 

Oscar konnte ihm das nicht verdenken. Sie blieb ruhig und gelassen. „Ihr habt recht, ich stehe in Diensten Ihrer Majestät. Aber glaubt mir, ich bin nicht gerade stolz darauf, adelig zu sein.“
 

„Das sagt Ihr mir, um mich weich zu kriegen“, murrte Bernard ablehnend und verschränkte seine Arme vor sich.
 

„Keineswegs. Wenn Ihr mir nicht glaubt, fragt Andre. Er ist mein bester Freund seit Kindestagen und mein... nun ja, das andere dürft ihr noch nicht wissen.“ Oscar schmunzelte geheimnisvoll und schenkte Andre einen dahin schmelzenden Blick. Das brachte Bernard in völlige Verwirrung. Und Alain, der neben Andre schon sowieso perplex den Kiefer weit aufschlug, bekam einen weiteren Stoß vor den Kopf.
 

Andre erwiderte Oscar offen den Blick und raunte Alain von der Seite an: „Jetzt weißt du über meine Freundin und Geliebte Bescheid.“ Er ging zu ihr und stellte sich wie selbstverständlich an ihre Seite. Der kurzfristige Glanz der Liebe, war schon bei beiden erloschen. „Wollen wir uns nicht hinsetzen, Oscar? Sonst fallen die zwei noch um.“
 

„Ich verzichte!“, brummte Bernard verstimmt. Von Alain kam gar keine Antwort, so als wäre ihm die Sprache gänzlich abhanden gekommen.
 

„Da hast du die Antwort, Andre.“ Oscar konnte man nicht ansehen, ob sie beleidigt war oder nicht. Sie sprach gefasst weiter zu Bernard: „Ich will Euch nichts aufdrängen, aber gestattet mir bitte, Euch morgen zum Mittag in mein Haus einzuladen. Ich möchte Euch nur jemanden vorstellen.“
 

„Ich lege keinen Wert auf Eure Bekannten, Kommandant de Jarjayes und verkehre sonst nicht in Adelshäusern.“ Bernard verlieh seiner Haltung und seinem scharfsinnigen Blick sogar etwas verächtliches und missbilligendes.
 

„Schade.“ Oscar verkniff sich dagegen ein Grinsen. Jetzt verkehrte er natürlich noch nicht in den Adelshäusern, aber in paar Jahren würde er dies als schwarzer Ritter umso mehr tun. Das würde sie ihm allerdings versuchen zu vereiteln. Jetzt jedoch galt es, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Oscar verdrängte ihr Wissen und startete einen erneuten Versuch, um ihn zu überzeugen: „Rosalie Lamorielle ist ein sehr nettes Mädchen und Euresgleichen, Bernard. Sie vertritt die gleichen Ideale wie Ihr. Ihre Mutter wurde von der Kutsche einer Adligen überfahren und ich habe ihr geholfen, die Mörderin zu finden. Seit dem wohnt sie bei mir und ich schätze sie sehr. Falls Ihr näheres über sie erfahren wollt, kommt einfach morgen zu mir. Auf eine Tasse Tee oder ein Glas Wein, je nachdem was Ihr zu Trinken beliebt.“
 

„Ich werde es mir überlegen“, äußerte sich Bernard nicht mehr ganz bei der Sache. Sein Kopf arbeitete und in seinem geistigen Auge entstand das Bild eines blonden Mädchens mit großen, blauen Augen, dessen Mutter mitten auf der Straße von der besagten Kutsche überfahren wurde. Aber was hatte bitteschön das hübsche Mädchen mit dem hartherzigen Kommandanten zu tun? Oder war diese Aristokratin doch noch nicht so kaltblütig wie er annahm? Langsam plagte ihn Zweifel. Er musste das unbedingt herausfinden! Das hieß, dass er womöglich doch noch Oscars Einladung annehmen würde. Er würde sie aufsuchen, um sich mehr Gewissheit darüber verschaffen zu können!
 

„Ich werde Euch mit meiner Anwesenheit nicht weiter stören“, verabschiedete sich Oscar von ihm unerwartet: „Vielleicht sehen wir uns morgen ja doch noch.“ Sie wandte sich von ihm ab und dabei fiel ihr Blick auf Alain: „Du bist natürlich auch eingeladen. Über deinen Besuch würden wir uns sehr freuen, besonders Andre.“
 

Alain fand sogleich seine Fassung und seine Sprache zurück. „Morgen ist mir ungünstig“, meinte er knapp und sagte damit aus, dass er auch nicht darauf erpicht war, ein Adelshaus aufzusuchen.
 

Mit einem Nicken deutete ihm Oscar, dass sie ihn verstanden hatte. Sie ging an die Theke und bezahlte das Bier. Andre verabschiedete sich derweilen von Bernard und Alain. Danach verließ er mit ihr die Gaststube.
 

„Eine seltsame Frau...“, murmelte Bernard vor seiner Nase: „So einer wie ihr bin ich bisher noch nicht begegnet...“
 

„Ich auch nicht.“ Alain war bei ihm und musste seinem Gemurmel zustimmen: „Und am Anfang habe ich sie mit einem Burschen verwechselt...“ Sogleich kamen ihm die anzüglichen Gespräche über die Königin, die Frauen und den Kommandanten der königlichen Garde in den Sinn. Sofort wurde ihm mulmig zumute. Auf Anhieb begriff er Oscars Verhalten am Tisch und fragte sich insgeheim, warum sie keinen von ihnen zur Rechenschaft gezogen oder verhaftet hatte, wie es ein vornehmer Adliger normalerweise tun würde?! Etwas stimmte nicht mit dieser Frau in Männerkleidern! Und was hatte Andre gesagt? Sie sei seine Freundin und Geliebte? Wenn das herauskommen würde, wäre Andre seinen Kopf definitiv los! Der arme Kerl! Ob Oscar sich für ihn einsetzen würde, wie er es vielleicht glaubte? Und überhaupt: Liebte sie ihn denn wirklich oder spielte sie nur mit ihm, um ihn für ihre eigenen Zwecke auszunutzen? Denn Adligen konnte man doch nicht trauen!
 

„Alain!“, entriss ihn Bernard aus seinen Grübeleien.
 

Alain sah von der Tür der Gaststube auf ihn. „Was ist?“
 

„Ist das dein Hut?“ Bernard zeigte auf den Tisch, wo zwischen zwei halbwegs geleerten Krügen ein schlichter Strohhut lag.
 

„Nein, den hat Oscar getragen.“ Alain kam plötzlich ein Geistesblitz durch den Kopf geschossen. Er schnappte sich den Hut und legte auf den Tisch seine Zeche fürs Bier. „Ich werde ihn ihr bringen. Kommst du mit, Bernard?“
 

„Nein, ich bin mit gewissen Mann Namens Robespierre verabredet.“
 

„Alles klar, Bernard. Ich wünsche dir noch viel Spaß!“
 

„Ich dir auch, Alain!“, verabschiedete ihn Bernard und Alain eilte schon hinaus.
 

Alain brauchte nicht weit aus dem Gasthaus hinauszulaufen, da hatte er sie alle beide schon entdeckt, mitsamt ihren Pferden. Der weiße Schimmel stach besonders gut heraus, trotz der Dunkelheit des späten Abends. Auch Oscars goldblondes Haar verriet sie bei der näheren Betrachtung. Am Rand der kaum beleuchteten Straße stand sie direkt vor Andre.
 

In der Luft lag ein frischer Geruch nach vergossenem Regen. Er hatte Pfützen hinterlassen und es glänzte alles nass in der Umgebung. Der Himmel war weiterhin bewölkt, aber nicht mehr so dicht verhangen. Vereinzelte Sterne und der klare Mond zeigten sich zwischendurch. Keine Menschenseele war mehr auf den dunklen Straßen unterwegs. Nicht einmal Streuner oder Trunkenbolde. Alle schienen sich in ein trockenes Plätzchen verkrochen zu haben und hatten nicht mehr die geringste Lust, heraus zukommen.
 

Oscar und Andre flüsterten miteinander. Alain verstand nichts von ihrem Gespräch, aber dennoch verlangsamte er seinen Schritt. Andre berührte ihre Wange und fuhr mit seinen Fingern unter ihr Haar an der Schläfe. Sie scheuchte ihn nicht weg, sondern verharrte reglos. Ihr genaues Mienenspiel konnte Alain bei dem düsteren Licht nicht deuten, aber er meinte Worte wie „Ich liebe dich“ vernommen zu haben. Von ihr! Andre flüsterte das Gleiche und neigte seinen Kopf tiefer, zu ihrem Gesicht. Es sah so aus, als würde er sie küssen wollen, aber aus unerklärlichen Gründen hielt er mitten in der Bewegung inne.
 

Irgendwie rührte Alain diese Szene im tiefsten Winkel seines Herzens - obwohl er zu einem wortkargen und rauen Mann zählte. Und weil er so ein ungehobelter Bursche war, störte er vorlaut dazwischen: „Kommandant!“
 

Oscar und Andre fuhren auseinander, aber zeigten nicht, dass sie erschrocken waren. Vielleicht eher überrascht. „Was gibt es Alain?“, fragte Oscar bei seiner Ankunft in ihrem kühlen Ton.
 

Das stieß Alain wieder von den Kopf. Hatte er nicht eben ein weiches, zartes „Ich liebe dich“ aus ihrer Stimme vernommen? Entweder hatte er sich verhört oder diese Frau konnte sich gut verstellen! „Ihr habt Euren Hut vergessen“, meldete er stattdessen barsch und reichte ihn ihr.
 

„Danke.“ Oscar entriss ihm rüde den Strohhut aus den Händen und stülpte ihn sich aufs Haupt. „Jetzt können wir getrost nach Hause reiten.“
 

„Wollt Ihr etwa sagen, Ihr habt hier nur darauf gewartet?“ Alain wurde nicht schlau aus dieser Frau.
 

„Nein.“ Oscar schob ihren Fuß in den Steigbügel und stieg galant auf ihr Pferd. Sie hielt die Zügel locker und erklärte ihm aus dem Sattel etwas genauer: „Ich hatte mir überlegt den Hut zurückzuholen, aber Andre war der Meinung ich bräuchte ihn nicht, da ich üblicherweise so etwas nicht trage.“
 

„Eigentlich gehört der Hut mir“, ergänzte Andre noch genauer: „Deswegen wollte sie ihn zurückhaben. Da ich aber für gewöhnlich so etwas auch nicht trage, standen wir hier und diskutierten.“
 

„Wenn du meinst...“, Alain beäugte ihn misstrauisch. Er hatte ja etwas anderes gesehen, was sich definitiv nicht nach einer Diskussion angehört hatte.
 

Andre zuckte darauf mit seinen Schultern und stieg auf sein Pferd. „Hast du am Ende der Woche etwas vor, Alain?“, fragte er ihn gleich aus dem Sattel.
 

„Nein, wieso?“
 

„Wir beide könnten ein Bierchen trinken gehen.“
 

„Wenn du dienstfrei hast, Andre, gerne!“ Alain schielte vorsichtshalber zu Oscar.
 

„Andre ist ein freier Mann, Alain“, bekam er die feste Aussage von ihr: „Ich finde, dass sollte jeder Mensch sein. Jeder sollte seine eigene Meinung bilden können, egal welcher Herkunft er sein mag. Andre und ich sind zusammen aufgewachsen und vertrauen uns seit wir uns kennen. Daher gibt es keinen Unterschied zwischen uns. Wir sind gleich.“
 

„Ich muss sagen, Ihr seid bemerkenswert, Kommandant Oscar“, meinte Alain eindrucksvoll zu ihr.
 

„Du kannst Oberst zu mir sagen.“ Oscar sah auf ihn mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck herab.
 

Alain verengte seine Augen zu Schlitzen und zog eine Braue fragend nach oben. „Wieso?“
 

„Es gefällt mir irgendwie besser“, erwiderte ihm Oscar ungerührt.
 

Alain beäugte sie weiterhin fragend, aber sogleich nahm er eine gelassene Haltung an. „Mir soll es eigentlich egal sein, wie ich Euch nenne, Oberst Oscar Francois de Jarjayes.“
 

„Das klingt schon wesentlich besser.“ Oscar schenkte ihm auf einmal ein geheimnisvolles Lächeln.
 

„Du sag mal, Alain...“, mischte sich diesbezüglich Andre ein. Er ahnte worauf Oscar damit anspielte. „...hast du dir schon mal Gedanken gemacht, einer Söldnertruppe beizutreten?“
 

„Wieso willst du das eigentlich wissen?“ Jetzt warf Alain ihm einen fragenden Blick zu.
 

„Nur so, aus Neugier“, wich ihm Andre knapp aus.
 

„Andre will damit sagen, dass er vielleicht Soldat werden will. Und da er bürgerlicher Herkunft ist, darf er nicht der königlichen Garde beitreten“, kommentierte Oscar beiläufig.
 

„Ist es wahr?“ Alain blinzelte ungläubig von Andre zu Oscar und zurück. „Ich habe mir vor kurzem überlegt, mich als Söldner in der Kaserne anzumelden. Das verdiente Geld wird nämlich immer knapper und die Steuern höher.“ Er schielte wieder verstohlen zu Oscar, als trage sie die Schuld dafür.
 

Auf Oscars Lippen erstarb das Lächeln. Sie kannte die Not der einfachen Bürger, aber konnte leider nichts dagegen tun. „Schau mich nicht so an, Alain. Ich weiß was du meinst und kann daher die Abneigung des Volkes gegen den Adel vollkommen nachvollziehen.“
 

„Oscar ist der gütigste Mensch den ich kenne, Alain, das kannst du mir glauben“, fuhr Andre für sie fort: „Sie tut ihr Bestes um einiges zum Guten zu wenden. Aber was kann schon ein Tropfen gegen ein ganzes Meer ausrichten?“
 

„Andre, bitte...“
 

„Ist doch aber wahr, Oscar...“
 

Je mehr Alain sich bei den beiden aufhielt, desto mehr bekam er über sie einen anderen Eindruck, als zuvor in der Gaststube. Er geriet in Zwiespalt: Einerseits war er weiterhin misstrauisch gegenüber Oscar, aber andererseits hatte sie schon etwas an sich, was ihr eine gewisse Glaubwürdigkeit verlieh. Und Andre sah irgendwie nicht danach aus, als würde er lügen. Er schien Alain aufrichtig zu sein. Was allerdings Oscar anging, nun... Es wäre gut möglich, dass sie das auch war. Vielleicht würde es ihm mehr auf die Sprünge helfen, wenn er sie etwas mehr kennenlernte. „Verzeiht mir, Oberst, ich habe Euch falsch eingeschätzt.“ Er reichte Oscar unvermittelt seine Hand entgegen: „Ich merke erst jetzt, dass Ihr ein wenig anders seid.“
 

„Schon gut, Alain.“ Oscar ergriff seine große Hand und drückte sie fachmännisch. „Ich bin einfach nur müde.“ Sie bezog das nicht auf die Müdigkeit, die beim Schlafen eintrat, sondern sie war eher von ihrer Bürde erschöpft.
 

Das sah Alain ihr an, als er sich einen tieferen Einblick in ihre Augen erlaubt hatte. Trotz der Dunkelheit erkannte er die gut verborgene Traurigkeit in ihnen. Sie besaß wirklich schöne, blaue Augen und angenehm, zarte Hand – obwohl sie sie fest, wie ein Soldat, drückte. Er ließ sie los und wandte sich an Andre. „Wir sehen uns wie versprochen, mein Freund.“ Zum zweiten Mal an diesem Abend reichte er ihm seine Hand. „Und bringe sie sicher Heim. Sie wirkt wirklich erschöpft.“
 

„Das mache ich, sei gewiss, Alain.“ Andre drückte ihm wesentlich stärker die Hand als Oscar. „Und ich freue mich schon auf ein Bierchen mit dir!“ Er grinste zum Anschluss und galoppierte mit Oscar davon.
 

Alain sah den beiden eine Weile nach, bevor er selbst ging. Eine seltsame Aura durchströmte ihn. Es kam ihm so vor, als wäre er schon mit den beiden vertraut. So, als hätte er sie vor langer Zeit gekannt und konnte sich nur nicht mehr daran erinnern. „Lächerlich“, dachte er bei sich und lachte über sich selbst. Das Bier war ihm bestimmt zu Kopf gestiegen und deshalb kam ihm das so vor. Auf jeden Fall war das aber eine angenehme Bekanntschaft. Zwar gehörte er nicht zu denjenigen, die mit Adligen Bekanntschaft schlossen, aber er hatte auch nichts dagegen einzuwenden. Zumindest nicht, was Oscar anging. Ein wenig merkwürdig und seltsam war sie schon, aber nicht so übertrieben. Vielleicht war sie in der Tat ganz anders als Ihresgleichen. Das würde er von Andre schon herausfinden. Alain setzte breitbeinig seinen Heimweg fort und legte seine Hände hinter den Kopf. Andre war etwa genauso alt wie er selbst und von dem ersten Augenblick an, hatte er eine vertrauliche Wirkung auf ihn vermittelt. Er frohlockte insgeheim auf ein Bierchen mit ihm und fragte sich, wo diese Bekanntschaft noch hinführen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  hunny123
2014-07-23T15:49:57+00:00 23.07.2014 17:49
Bernard und Alain kommen wirklich sehr authentisch rüber. ich fand es mutig und riskant, dass Oscar ihren vollen Namen gesagt hatte, aber das zeigt halt perfekt Oscars Charakter. Herrlich! Sehr bildlich, ich bin im Flow der Szenen! sehr gute Arbeit.
Antwort von:  Saph_ira
23.07.2014 20:31
Ein herzliches Dankeschön für den Lob. Es ist schön zu wissen, dass ich Oscar, Alain und Bernard so glaubhaft wie möglich darstellen konnte. :-)
Von: abgemeldet
2014-03-15T22:09:48+00:00 15.03.2014 23:09
Du lässt es wirklich nicht langweilig werden! Es erstaunt mich immer wieder wie du einen Spieler nach dem nächsten zum Zug kommen lässt. Bernard ist dir wirklich sehr authentisch gelungen. Seine Skepsis und sein Misstrauen umschreiben sehr gut seine Person und die Rolle, die ihm
Antwort von: abgemeldet
15.03.2014 23:13
Heeeyyy!!! Ich war noch nicht fertig! ich glaub meine Tastatur ist zu klein oder eben meine Finger zu... aber lassen wir das lieber. XP

Also: du stimmst uns mit Bernard Auftreten auf eine vorherbestimmte Rolle ein. Und gerade das finde ich klasse: dass deine Charaktere glaubwürdig erscheinen.

Mach weiter so!
So. Jetzt bin ich fertig. ;)
Antwort von:  Saph_ira
16.03.2014 09:32
Dankeschön für dein netten Kommentar und die Antwort gleich darauf. XD
Es freut mich zu wissen, dass auch Bernard mir gelungen ist. Es ist nicht immer leicht für mich, viele Personen einen nach dem anderen zum Zug kommen zu lassen, ohne das jemand von ihnen unbeteiligt bleibt. Umso mehr erfreut mich zu wissen, dass ich auch das gut hinbekommen habe. ;-)
Liebe Grüße :-)
Von:  FeelLikeParadise
2014-03-15T13:41:38+00:00 15.03.2014 14:41
Ein sehr schön beschriebenes Kapitel, gut vorstellbar!
Ich bin echt gespannt auf das Treffen von Andre und Alain. Was ich auch noch gut finde, ist wie du aus der Sicht von Alain und Bernard geschrieben hast, besonders als sie sich über Oscar Gedanken gemacht haben.
LG:)
Antwort von:  Saph_ira
15.03.2014 18:54
Dankeschön für die nette Worte. Ich fand es auch zur Abwechslung gut, mal etwas auch von den anderen die Denkweise zu beschreiben. Ich freue mich, dass dir das gefällt und du auf die weitere Handlung gespannt bist. ;-)
Liebe Grüße :-)


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