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Rachedämmerung

[Ciel & Sebastian]
von

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Morgendämmerung

Kapitel 1
 


 

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Wenn euch Dunkelheit umhüllt, sagt:

»Die Dunkelheit ist eine Morgendämmerung,

die darauf wartet, geboren zu werden;

und  wenn die Qualen der Nacht auf mir lasten,

der Morgen wird geboren sein,

in mir wie auf den Hügeln.«

 

Khalil Gibran (1883 - 1931)

 

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Schmerzen.

Bisse, Risse durch seine Knochen, Schläge, Tritte.

Schmerzen.

Er schrie in die Dunkelheit, die ihn gefangen hielt in einer Welt aus Qual,  kein Laut verließ seine Lippen, die vor Trockenheit und Schlägen aufrissen. Sein Mund geöffnet, ohne, dass ein Ton seine Kehle verließ, seine Augen vor Tränen blind.

»Ihn für unsere Macht.«

Das Flüstern erhob sich zu einem Sprechgesang. Der Schatten bohrte ein Messer in seinen Arm, wo er Blut über die Haut fließen spürte. Ein Lachen.

Dann spürte er Leere.

Mit einem Ruck saß er aufrecht im Bett, starrte in das Zimmer, ohne einen Punkt zu fixieren. Durch das Fenster drang das Licht des Mondes. Stille herrschte, wo seine Atemzüge sie nicht verscheuchten. Sein Herz polterte, dröhnte in seinen Ohren.

»Es war ein Traum, my Lord«, flüsterte eine Stimme. Mit den Worten drehte er seinen Oberkörper, fuhr mit seinem Blick die in den Schatten verhüllte Silhouette nach.

»Sebastian«, herrschte er und räusperte sich. »Was machst du hier?«, verlangte er zu wissen und fixierte Angesprochenen mit Herablassung. Die Lippen seines Butlers kräuselten sich.

»Ihr habt nach mir gerufen, my Lord«, erwiderte er seiner Mimik zum Trotz mit ergebenem Ton und der Andeutung einer Verbeugung, die Respekt zollte. Wie immer trug sie Spott mit sich.

Ciel zog seine Augenbrauen zusammen, musterte den Butler mit Skepsis. Seine Kehle brannte.

»Ich habe Durst!«, fuhr er ihn an, ohne seinen Butler eines weiteren Blickes zu würdigen.

»Was möchtet Ihr trinken? Ich kann Euch einen Tee –«

»Wasser, einfach  Wasser«, unterbrach er ihn. Sebastian nickte, verbeugte sich und verschwand ohne ein Geräusch aus dem Zimmer.

Er stürzte das Glas Wasser mit wenigen Schlucken hinunter, verlangte wortlos nach einem zweiten. Das dritte drückte er Sebastian halbvoll  in die mit weißem Handschuh überzogene Hand, schnaubte leise und ließ sich zurück in die Kissen fallen. Starr blickte er an die Decke, die der Sichelmond erhellte.

Es war still, unangenehm still. Als wären nach einem Angriff die Angreifer  verschwunden, nichts als Chaos und Stille hinterlassend, während die Überfallenen ohnmächtig auf den nächsten Angriff warteten.

Ciel verzog seine Lippen mit Verachtung bei dem Gedanken.

»Was hast du gehört, Sebastian?«, raunte er.

»Ihr habt geschrien und um Hilfe gerufen.«

Ciels Atem stockte, ehe er betont ruhig weiteratmete. Er verabscheute es. Er verabscheute Schwäche und noch mehr verabscheute er es, diese nicht unter Kontrolle zu haben. Heißer Zorn sammelte sich in seinem Bauch wie eine ätzende Säure.

»Ihr habt in Eurem Schlaf geschrien und dann meinen Namen gerufen«, wiederholte Sebastian und Ciel warf ihm einen Blick der Mahnung zu. Es sah, dass Sebastian die Situation genoss. Mit einem diabolischen Vergnügen.

»Geh endlich«, herrschte Ciel ihn an, »ich möchte endlich schlafen! Verschwinde.«

Sebastian senkte seinen Kopf.

»Natürlich, mein junger Herr«, erwiderte der leise mit diesem Blick, den Ciel ignorierte. Sebastians Gegenwart erdrückte ihn. Als Ciel das knarzende Geräusch der Tür und das Türschloss, das einrastete, vernahm, atmete er tief aus. Er war allein. Mit einem Schnauben fuhr er sich durch den Pony. Seine Muskeln schmerzten, seine Haut brannte. Die Schatten tanzen an den Wänden. Die Einsamkeit verschlang ihn.

Er verbarg sein Gesicht in den Händen und zog die Beine bis an den Bauch.

»Sebastian«, flüsterte er in das Kissen und spürte den Wind die Wange entlang streifen.

»Ja, mein Herr?«, flüsterte die Stimme.

»Bleib, bis ich eingeschlafen bin.«

In diesem Moment klammerte sich die Schwäche an seine Glieder. Wie ein Überfallener, der ohnmächtig auf den nächsten Angriff wartete.

»Ja, mein Herr.«

Sebastian würde bei ihm sein, bis zu seinem Tod.

 

Die Wintersonne strahlte in das Schlafgemach, in dem das Bett zwischen Gemälden und Statuen stand, der Blick hinaus in den Garten. Ein Windzug, der die Kälte des nahenden Winters in sich trug, streichelte über die Wange Ciels, der blinzelte und die Augen öffnete. Die Worte seines Butlers drangen auf ihn ein, weswegen er sich mit einem Grummeln umdrehte.

»Bocchan. Eure Pflichten sind heute zeitlich dicht gedrängt. Nach dem Frühstück wird Monsieur Maurice Lacroix mit Euch die –«

Ciel schnaubte und zog sich die Decke über den Kopf.

Er wusste, dass Sebastian ihn nicht aus den Augen ließ und überlegte, ob eine Decke dessen Blick behinderte. Seine Gedanken zerrissen, als ihn die Kälte des Zimmers packte.

»Sebastian! Gib mir die Decke zurück! Sofort! Sebastian! Das ist ein Befehl!«

 

Mit verschränkten Armen und überschlagenen Beinen saß Ciel zwei Stunden später an seinem Schreibtisch und tippte mit den Fingern gegen seinen Arm. Er starrte aus der Fensterfront, die dunkelrote Vorhänge umrahmte, ließ seinen Blick über den Garten schweifen, die alten Bäume, die Hecken und Blumen, deren einziger Zweck  darin bestand, zu beeindrucken. Er schnaubte, als er Sebastian eintreten hörte.

»Zeitverschwendung«, erklärte er sogleich, »Monsieur Maurice Lacroix ist und bleibt ein ahnungsloser Trottel.«

»Und ein wichtiger Handelspartner und Verbündeter, Bocchan

Ciel funkelte ihn mit zusammengepressten Lippen an.

»Ich brauche keine Verbündeten«, zischte er und spannte seine Finger zu Fäusten. Sebastian verbeugte sich leicht, ohne den Blick von ihm abzuwenden.

»Natürlich, mein junger Herr«, erwiderte er in Demut,  das Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln. Ciel wusste, dass Sebastian der beste Beweis war, diese Behauptung als Lüge zu enttarnen.

»Dennoch gibt es Fragen, auf die Ihr nicht alleine Antworten finden könnt.«

Anspannung durchdrang jeden Muskel Ciels, ließ sein Herz in den Ohren dröhnen. Als sein Blick Richtung Fenster schweifte, gelangweilt über das weite Anwesen glitt, presste er seine Lippen aufeinander. Er verabscheute Abhängigkeit, aber es gab Ziele, nach denen er gierte.

»Sebastian, lass die Pferde einspannen. Wir statten einen Besuch ab«, befahl er ohne ihn anzusehen, ohne seine innere Anspannung in seiner Gestik widerspiegeln zu lassen, ohne die Furcht, die ihn in der Nacht lähmte.

»Yes, my Lord

Schmerzen. Dunkelheit. Leere. Das war alles, an das er sich erinnerte.

Seine Vergangenheit. Seine Gegenwart. Seine Zukunft. Es hätte keinen Unterschied gemacht. Es wäre eine Erkenntnis, die ihm nachts den Atem geraubt, mit messerscharfen Krallen in die Lungen gestochen hätte. In ihm hätte ein Gedankenchaos, ein Gefühlssturm geherrscht, der ihn wie eine Welle mitgerissen hätte. Die Erinnerung. Sie hätte ihn ertränkt, wie eine Flut, die ihm in einem schwachen Moment den Atem geraubt und den Brustkorb zusammengequetscht hätte. Er wäre darin versunken, darin untergegangen, es hätte ihn vernichtet. Bis nichts mehr übrig geblieben wäre. Die Leere des Todes. Ein sinnloser Tod.

Es hätte keinen Unterschied gemacht, hätte er nicht diese letzte Aufgabe.

»Wir finden sie und sie bezahlen dafür«, murmelte Ciel.

Rache.

 

Er atmete sie. Die Verstümmelten, die die Dunkelheit glutrot färbten und die Leere anfüllten mit einer Stimme, die in die Seele drang und jedes Stück besudelte. Er hörte sie, spürte das Zittern in der Luft, sah die angefachte Glut in Ciels kühlem Blick. Keine Wand, keine Tür verhinderte das. Nichts konnte Ciel vor ihm verbergen.

Seine Augen glühten zinnoberrot, als seine Schritte in den Gängen des Anwesens hallten.

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, eine Sehnsucht, eine Gier durchdrang sein Innerstes, die er mit Mühe kontrollierte. Er hörte die Schreie durch die Vergangenheit hindurch, schmeckte das Blut, das die Haut entlang lief, vernahm das Flüstern und die Versprechen.

»Ihn für unsere Macht.«

Er sah in seinen Augen, wie sein Geist vor ihm zersprang, als er ihm seine Seele verkaufte.

Die Pferde trabten die Straße entlang, die Hufen klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, ihr Geschirr raschelte. Der Atem wirbelte in Nebelschwaden vor ihren Nüstern, die sie angespannt in die Luft streckten.

Ciel  stierte  aus dem Fenster der Kutsche, hielt mit zwei Fingern den dunkelroten Vorhang zurück. Sein Blick flog über die eng aneinander gebauten Häuser in der Stadt. Dann lehnte er sich zurück, ließ den Vorhang  seinen Blick versperren.

Es kostete ihn Konzentration, drinnen ruhig auf der gepolsterten Bank der Kutsche sitzen zu bleiben und nicht einfach herauszuspringen und eigenmächtig umzukehren. Es kostete Überwindung. Sein Stolz war ihm dabei eine große Stütze; nie würde er aus freien Stücken vor Sebastian eine Schwäche offenbaren, nie Unruhe, Anstrengung oder Angst oder  eine andere erbärmliche Gefühlsregung. Er wusste sich zu präsentieren und er wusste seine Stärken zu betonen, während seine Schwächen –

»Ihr habt natürlich einen Plan und wisst wie Ihr vorgehen wollt«, sagte Sebastian, riss ihn damit aus seinen Gedanken, während sein Blick jede Distanz durchbrach.

Die Löcher der Straße schüttelten sie an mancher Stelle durch. Ciel kniff seine Augen zusammen und schwieg.

»Oder stürzt Ihr Euch einfach wie ein Kind planlos in ein aufregendes Abenteuer?«, spöttelte Sebastian, lehnte sich  zurück,  dieses Funkeln in seinen Augen ließ eine Welle des Zorns durch Ciels Körper wandern.

»Sebastian«, warnte er und sofort fing Genannter den Blick seines Herren auf, »natürlich habe ich einen Plan. Einen herausragenden.«

Die Lippen Sebastians kräuselten sich zu einem Lächeln voller Ironie, welches er unter einer angedeuteten Verbeugung zu kaschieren wusste.

»Natürlich, my Lord

Ciel wusste, was er dachte. Dafür reichte ein Blick. Ihm missfiel, was er darin erkannte, ihm widerstrebte dieser subtile Hohn. Diese Arroganz, die Erhabenheit, die übermenschliche Stärke, die falsche Demut, gegen die er machtlos war.

Er sah ihn an, wie Erwachsene Kinder ansahen.

»Und dieser Plan beinhaltet hervorragende Schachzüge«, fuhr Sebastian fort. Sein Blick nahm ihn gefangen, als suchte er nach Antworten, die er aus seinen Augen herauszulesen gedachte. Ciel riss sich davon los, wich aus, indem er seinen eigenen Blick wieder nach draußen wandern ließ, lauschte dem Lärm der Stadt, dem Hufgeklapper, den Stimmen, die durch die Holzwände der Kutsche schwebten.

»Wir sind da«, erwiderte Ciel und ließ die Frage, die niemand stellte, unbeantwortet verklingen, atmete  aus, sich erst jetzt bewusst darüber, dass er den Atem angehalten hatte.

Die Tür der Kutsche öffnete sich, Sebastian stieg als erstes aus, reichte ihm unaufgefordert die Hand, welche er ignorierte, und sah sich dann um. Ciel schritt dem verwinkelten Haus entgegen, seine Hand verstärkte den Druck um seinen Gehstock, seine Mimik verhärtete sich, er wandte sich nicht um, als er seinen Diener anherrschte.

»Trödel nicht, Sebastian!«

Sein Butler ging wenige Schritte hinter ihm, wie sein zweiter Schatten, der ihn  in der finstersten Dunkelheit nicht verlassen würde. Ohne einen Blick zurück klopfte er mit seinem Gehstock gegen die Holztür. Sein hervorragender Plan bestand bisher darin, den Weg weiterzugehen und nicht  umzukehren.

 

Knarzend, wie in Zeitlupe öffnete sich die Tür. Stickig, als stünde hier die Zeit still und als würde die Dunkelheit in die Winkel des Raumes kriechen, bildete der Raum einen Kontrast zu der belebten Straße davor. Eine Gänsehaut wanderte über Ciels Haut. Es war, als stiege er in eine Gruft, in der die Luft  begrenzt, das Licht  ein Dämmern war, das Leben am seidenen Faden hing. Er atmete tief ein, ehe er den entscheidenden Schritt über die Türschwelle machte.

In den Ecken raschelte es, er glaubte für einen Augenblick, einen Rattenschwanz zu sehen, dann wandte er sich ab mit diesem Ekelgefühl, das nicht abzuschütteln war, und konzentrierte sich auf den abgenutzten Tresen. Eine fette Spinne seilte sich darauf ab.

Er verzog sein Gesicht, klopfte mit seinem Gehstock gegen den maroden Boden und wartete. Die Präsenz von Sebastian spürte er hinter sich, die sich über ihn wie ein kalter Schauer legte, der ihm heiße Stöße durch den Körper jagte. Adrenalin, wie es ein Reh bei der Jagd erlebte. Er schüttelte seinen Kopf. Was für ein lächerlicher Gedanke.

Mit einem Knall riss ein Sarg auf, etwas huschte über den Boden und  quietschte. Ciel machte einen Schritt zurück, was er im Nachhinein natürlich geleugnet hätte, stieß mit seinem Rücken gegen Sebastian, der sich keinen Zentimeter rührte, machte  eine Bewegung nach vorne, um die Nähe abzuschütteln, seine Mimik missbilligend, und spießte mit seinem Blick den verstaubten Sarg auf.

»Der Tod«, durchdrang eine Stimme den Raum mit einem Hauch Dramatik, »ist Euer einzig wahrer Freund. Er gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, er kommt zu Euch, wenn es  keiner mehr tut und er nimmt Euch auf.«

Er verbeugte sich in schwarzer Kleidung, graue Strähnen fielen in sein Gesicht, als wäre das Leben  ein Schauspiel, ein vorübergehendes Theaterstück. Dann kam er Ciel entgegen, lehnte sich in einer ausladenden Geste zu ihm, bis sein Gesicht, an seinem Ohr verweilte. Ciels Mimik versteinerte, doch er wich keinen Schritt zurück.

»Für immer«, flüsterte sein Gegenüber ihm ins Ohr, Atem streifte seine Haut. Ciel schnaubte, unterdrückte den Impuls, umzukehren, Sebastian den Auftrag zu geben, Informationen zu beschaffen und ihm etwas Süßes zu backen. Er betrachtete die Särge, die gegen die Wände lehnten.

»Ohohoh! Ich wusste, Ihr würdet kommen«, raunte der Mann aufgeregt, sprang einige Schritte von ihm zurück und verschränkte die Hände, »weil Ihr immer hierher kommt – wenn Ihr nicht weiter wisst. Welches Geheimnis lüftet ihr dieses Mal?«

Es war als überlegte er laut, erwartete keine Antwort von den Anwesenden. Er schaute  auf seine Füße, die unter der langen Kleidung nicht auszumachen waren, dann schweifte sein Blick im Raum umher, als stünde die Antwort in einer der zahllosen Ecken geschrieben.

Ciel verlagerte sein Körpergewicht vor Ungeduld von einem Bein auf das andere, atmete durch, unterdrückte das Gefühl, aus diesen Räumen zu verschwinden, ehe er das sinnlose Murmeln des Totengräber mit seinen harschen Worten unterbrach: »Ich bin hier, weil ich Informationen benötige, Undertaker

Mit einem Kichern blickte der ihn an, der Blick unter seinen Strähnen verborgen, ging einige Schritte, ehe er sich nach rechts wandte, dann nach links. Es erschien wie ein wirrer Tanz, ohne Rhythmus, ohne Melodie. Ciel wurde schlecht allein vom Zusehen. Übelkeit kämpfte sich seine Lungen hoch. Er schob es auf die stickige Luft, das ekelerregende Rascheln zwischen den Schränken und Hölzern und die Anspannung, die seinen Brustkorb zusammenquetschte.

»Was wollt Ihr für die Informationen?«, fragte Ciel, besonnen darauf die Contenance zu wahren.

»Was wollt Ihr für Informationen, junger Phantomive?«, erwiderte der Bestatter. Ihn schien Ciels Frage zu amüsieren, was Ciel irritierte. Er straffte seine Schultern.

»Ich brauche Informationen zu dem Vorfall im Anwesen der Phantomives von vor sieben Jahren.«

Der Totengräber legte nachdenklich einen Finger an seine Lippen, wiegte seinen Kopf hin und her.

»Dann müsst Ihr einfach sieben Jahre zurückgehen.«

»Was meint Ihr damit?«, herrschte Ciel ihn an. »Ich kann  kaum sieben Jahre zurückgehen. Ist das alles, was Ihr zu sagen habt?«

Der Totengräber kicherte, machte einige Schritte und blickte ihn herausfordernd an, während er in einem Singsang antwortete.

»Wenn Ihr es nicht könnt, dann muss es  jemand für euch tun, der es kann

Ciels Mundwinkel zuckte in Verachtung, dann schnaubte er. Er würde sich nicht zu einem Narren halten lassen. Sein Blick wanderte von dem Leichenbestatter zu den Särgen. Er wandte sich ab, als ginge ihn das alles nichts an, und fragte im Gehen: »Was erwartet Ihr für die ernüchternden Informationen? Das Übliche?«

Dabei wandte sich der junge Earl wie gewohnt an seinen Butler.

»Sebastian, du –«

»Nein«, wandte der Undertaker ein, »Ihr habt mich heute  genug amüsiert. Diese Information hat einen anderen Preis.«

Ciels Augenbraue zuckte verärgert, als er sich zu seinem Geschäftspartner drehte, um ihn entschlossen anzufunkeln. Er würde sich nicht über den Tisch ziehen lassen. Egal von wem. Egal für was.

»Ich möchte das, was Ihr sucht«, hauchte der Totengräber. Ciels Körper spannte sich an, wartete auf die Kosten für eine Information, die wertlos war.

»Eine Umarmung«, flüsterte der Bestatter und ging mit ausladenden Armen auf ihn zu.

Ciels Mimik versteinerte sich, während er Sebastians Lippen zucken sah.

 

»Zeitverschwendung«, knurrte Ciel.

»Dennoch hat er bisher immer weitergeholfen, Bocchan

Ciel funkelte ihn an und presste die Lippen aufeinander, drückte sich zurück in die Sitzpolster der Kutsche und starrte vor sich hin. In seinem Magen biss Unzufriedenheit.

»Sieben Jahre zurückgehen. Jemand, der es kann. Das ist Schwachsi-«

Mit geweiteten Augen starrte er  sein Gegenüber an, als erkannte er  zum ersten Mal die Anwesenheit des anderen.

»Sebastian, kannst du – die Zeit zurückdrehen und –«

Sebastian blickte ihn einen Augenblick lang an, als müsste er abwägen, ob er es  ernst meinte und in diesem Moment spürte Ciel den Spott, der in Sebastians Gesichtszügen lauerte.

»Eure Kreativität und das Vertrauen in mich in Ehren, aber meine Fähigkeiten haben ihre Grenzen«, erwiderte er sanft, zu sanft. Mit diesem Glitzern in den Augen und einem Amüsement über solch eine Naivität, was Ciel innerlich zum Rasen brachte.

»Wie  auch immer«, murmelte er. »Und was sollte das mit dieser unangemessenen Umarmung? Ich suche sicherlich keine Umarmung«, er spuckte die Worte  aus, als handelte es sich um eine Krankheit. Sebastian zog es vor, zu schweigen, das Zucken der Mundwinkel sah Ciel trotzdem.

 

Ciel vergrub sich in Geschäftsunterlagen, Verträge und Wertpapiere. Doch in seinen Gedanken rauschten die Worte des Bestatters.

Zurückgehen. War es möglich in der Zeit zurückzugehen? Sebastian hatte es verneint.  Ihm war es  nicht möglich. Oder verirrte er sich gerade auf Wege, die ihn in Sackgassen führten?

Der Gedanke daran, dass seine Rache ein Irrweg war, presste sich auf seine Lungen und ließ ihn nach Atem schnappen. Er musste sich beruhigen. Röchelnd griff er nach seinem Hals. Panik stieg auf, das Gefühl zu ersticken, raubte ihm jede Rationalität.

Die Tür schlug auf. Mit wenigen Schritten beugte sich ein Schatten über ihn.

Schmerzen.

Bisse, Risse durch seine Knochen, Schläge, Tritte.

Schmerzen.

Er schrie in die Dunkelheit, die ihn gefangen hielt in einer Welt aus Qual,  kein Laut verließ seine Lippen, die vor Trockenheit und Schlägen aufrissen. Sein Mund geöffnet, ohne, dass ein Ton seine Kehle verließ, seine Augen vor Tränen blind.

»Ihn für unsere Macht.«

Das Flüstern erhob sich zu einem Sprechgesang. Der Schatten bohrte ein Messer in seinen Arm, wo er Blut über die Haut fließen spürte. Ein Lachen.

»Ciel!«

Ein Flüstern rauschte in seinen Ohren, eine Stimme, die er so vermisste, dass es ihm die Brust zu zerbersten drohte, ihn zwischen Wärme bettete und jeden Schmerz heilte. Er wagte nicht, sich umzusehen, schwebte in dem Licht, das jeden Schatten vernichtete.

»Sag meinen Namen, Ciel, und ich erlöse dich.«

Er wollte den Kopf schütteln, aber sein Körper gehorchte ihm nicht.

Schmerz durchdrang seinen Brustkorb und er schnappte nach Luft.

»Nein«, presste er hervor, »keine Erlösung. Rache. Sie sollen leiden.«

Sein Körper und seine Seele kämpften gegen jede Silbe, doch er bezwang sie.

»Ciel«, hauchte die Stimme, doch er weigerte sich.

»Rache!«, schrie er. »Macht! Rache! Schmerz!«

Das Flüstern verwehte in seinen Gedanken. Die Qual zersplitterte seinen Körper, drosch auf ihn ein. Kälte schnitt in sein Fleisch, das Licht verglühte und hinterließ Finsternis.

Schläge, Tritte, Blut.

»Ihn für unsere Macht.«

Er kannte und fürchtete sie, aber es gab Schlimmeres als Furcht oder Schmerz oder Dunkelheit.

»Ciel«, grollte eine Stimme. Die Finsternis streckte sich nach ihm aus, berührte sein nacktes Fleisch, strich ihm die Wange entlang. Seine Haut entflammte. Er schrie.

»Du wählst deine Rache? Bist du bereit, dafür alles aufzugeben?«

Schatten tanzten um ihn herum. Das Feuer ergoss sich wie Wasser über seine Glieder. Die Dunkelheit packte ihn, drängte ihn, atmete in sein Ohr.

»Alles«, schrie er.

»Auch deine Seele?«, hauchte der Schatten, riss ihn herum und strich über seine Brust, seinen Bauch hinab.

»Ja«, brüllte er, »räche mich! Lass sie leiden!«

»Ich frage dich nochmals«, raunte die Finsternis, »bist du bereit, deine Seele aufzugeben?«

Ciel wandte sich unter ihrer Berührung, Kälte und Hitze vermischte sich zu Qual. Seine Wunden rissen auf, jede Narbe platzte und Blut tropfte seine Gelenke hinab. Die Männer lachten, rieben ihre Hände an seinem Fleisch, berührten seine Haut.

»Ja!«, schrie er in die Dunkelheit.

 

»Ciel!«, rief eine Stimme, erleichtert und voller Zuneigung. »Er wacht auf!«, sagte sie.

Sein Hals brannte und seine Glieder schmerzten. Das Flüstern in seinem Kopf verstummte, doch die Kälte hockte in seinem Körper, wie Dunkelheit, die kein Licht vertrieb. Er schlug die Augenlider auf.

Elisabeth saß zu seiner Seite und betrachtete ihn mit ihren großen, grünen Augen. Sebastian stand im Hintergrund. Regentropfen klopften gegen die Glasscheibe mit eintöniger Beständigkeit, prasselten hinab auf die Blätter der Bäume davor. Das gräuliche Grün ein Kontrast zu den grauschwarzen Wolken, die sich im kräftigen Wind am Himmel zusammendrängten.

»Ciel! Ich bin so froh, dich –«

»Ich muss mit Sebastian sprechen. Allein«, schnitt er ihr das Wort ab. Er hatte keine Zeit für Höflichkeiten. Obwohl er sah, dass es sie verletzte, nickte sie ihm zu und strich ihm  wie nebenbei über die Wange, beugte sich über ihn.

»Ruf nach mir, wenn du soweit bist, Ciel«, flüsterte sie, ehe sie sich umdrehte. Er würde sie nicht rufen und er wusste, dass sie das wusste. Die Tür schloss sie mit einem gedämpften Geräusch, woraufhin sich Ciel sofort an seinen Butler wandte.

»An dem Tag des Vertrages – was hast du gesehen?«

Sebastian hob die Augenbrauen.

»Ich war davon ausgegangen, Eure erste Frage wäre, was vorhin passiert ist.  Ihr überrascht mich.«

»Ich weiß, was vorhin passiert ist«, entgegnete Ciel gelangweilt. »Ein Asthmaanfall. Sebastian, beantworte meine Frage.«

Sebastians Lippen kräuselten sich, als er ihm antwortete. Seine Stimme, als erinnerte er sich an das Wetter.

»Ihr wart kurz vor Eurem Ende. Euer Körper war schwach und Euer Geist gebrochen. Gefangen, Ihr lagt in Eurem eigenen Dreck. Verwundet in jeder Hinsicht.«

Ciel fröstelte. Die Erinnerung an Schmerz und Dunkelheit und Schreie. Das Lachen, das in ihm hallte und jeden Gedanken wegfegte. Berührungen, als wäre er eine Ware, Hände, die nach ihm griffen. Er schüttelte den Kopf, als könnte er ihn so klären.

»Warum hast du auf meinen Ruf geantwortet?«, raunte er und erwiderte den Blick, obwohl er ihm ausweichen wollte. Sein Butler zog die Decke höher, als kümmerte er sich um sein Wohlergehen.

Ein Lächeln waberte über Sebastians Lippen.

»Eure Seele«, antwortete er und Ciels Finger klammerten sich in den Stoff der Bettdecke. Was kümmerte ihn seine Seele? Er brauchte sie nur, um seine Rache zu bekommen. Danach sah er keinen Wert mehr in ihrer Existenz.

»Die Täter. Was hast du gesehen?«, hakte Ciel nach. Die Menschen, die ihm den Geschmack der Hölle serviert hatten.

»Menschen, die Euch opferten. Jeden Tag von Neuem.«

Sebastians Augen funkelten. In seinem Ton klang kein Mitgefühl oder Ekel.

»Was hast du mit ihnen gemacht?«

Ciel atmete tief ein. Sein Herz raste. Er erinnerte sich an Schreie, an Gebete, die Hohn entsprachen, Stimmen, die ihm alles versprachen und Leere, die sich durch seinen Körper, seinen Geist, bis in seine Seele fraß. Was war seine Seele? Wann hatte er beschlossen, dass sie weniger wert war als seine Rache?

Sein Blick wanderte zu seinem Butler, der ihn beobachtete, wie Katzen es bei Mäusen taten.

»Es war der Beginn Eurer Rache«, erklärte Sebastian und Ciel betrachtete sein Gesicht, dessen Mimik nichts preisgab. Es war ein Spiel, das Fingerspitzengefühl erforderte, andernfalls verlor er mehr als die Hand. Ciel würde nicht aufhören.

»Was war mit meiner Seele?«, verlangte er zu wissen,  Sebastian lächelte ihn  an. Er schritt auf ihn zu und schenkte ihm ein Glas Wasser ein, reichte ihm Gebäck und schaute ihn dann wieder an, während Ciel weder trank noch aß.

»Das würde ein Mensch nicht verstehen.«

Ciel verabscheute es, wenn Sebastian sprach, als wäre das Menschsein ein Makel, wie eine Krankheit, die einen befiel, nur, dass sie einem seit Geburt anhaftete.

»Die Täter leben noch. Warum findest du sie nicht, selbst wenn ich es dir befehle?«

Sein Atem klang schwer in dem Zimmer. Das Geräusch des Regens unterstrich die Stille zwischen ihnen.

»Meine Seele für meine Rache«, raunte Ciel und stützte sich mit den Ellbogen ab, fixierte seinen Butler, als müsste er ihn an ihren Vertrag erinnern.

Seine Rache war das, was ihn am Leben erhielt. Es war das, was die Scherben seines Geistes miteinander verband. Ohne seine Rache würde er zerspringen. Und damit hätten sie gewonnen.

»Ich bin nicht Gott«, spöttelte sein Butler. »Vielleicht habt Ihr den falschen Vertragspartner gewählt?«

Sebastians Antwort ließ die Narben seines Geistes  bluten.

»Es gibt nur einen Grund, der meine Fähigkeiten beschränkt«, fuhr er fort und Ciel horchte auf.

Sebastian sprach nie von seinen Grenzen, nur von seinen Möglichkeiten.

»Die Täter umgeben sich ebenfalls mit Kreaturen, die nach Seelen gieren«, behauptete er. »Und es gibt eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen.«

»Warum hast du mir das nicht sogleich offenbart?«, drängte Ciel und starrte in Sebastians glühende Augen. Sein Butler beugte sich über ihn, ließ seinen Finger die Wange des Jungen entlanggleiten und spürte den warmen Atem.

»Die Möglichkeit«, flüsterte er, »hat ihren Preis.«

»Dir gehört meine Seele, was kann noch teurer sein als das?«, spottete Ciel, doch er verstummte, als Sebastians Finger seine Lippen entlangstrichen.

»Ciel, Ciel«, murmelte er ganz dicht an seinem Ohr und Ciel durchflutete das Verlangen, ihn wegzustoßen. Er tat es nicht. Sein Körper erstarrte, seine Gedanken kreisten um die Stimme an seinem Ohr, die all sein Innerstes einnahm. Sebastians Hand streckte sich nach ihm aus, berührte seinen Hals, das Schlüsselbein. Seine Haut entflammte, wo seine Finger entlang tasteten. Seine Lippen schwebten nahe seines Gesichts.

»Deine Seele, dein Geist und dein Körper«, hauchte Sebastian.

 

Er atmete sie. Die Dunkelheit, die aus der Seele leckte. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er hörte die Schreie durch die Vergangenheit hindurch, schmeckte das Blut, das die Haut entlang lief, vernahm das Flüstern und die Versprechen.

»Ihn für unsere Macht.«

»Ciel«, grollte er und streckte sich nach ihm aus, berührte sein nacktes Fleisch, strich ihm die Wange entlang. Seine Haut entflammte. Der Mensch schrie. Es klang wie Musik.

»Ich frage dich nochmals«, raunte er, »bist du bereit, deine Seele aufzugeben?«

Der Mensch wandte sich unter seiner Berührung. Die Männer lachten, rieben ihre Hände an seinem Fleisch, berührten seine Haut.

»Ja!«, schrie der Junge in die Dunkelheit und er suhlte sich darin.

»Du wirst mit mir deine Rache vollenden. Danach gehört deine Seele mir«, raunte er. »Wo ist der rechte Ort für das Zeichen unseres Vertrages?«

»Überall.«

Er lachte, als er nach ihm griff und sah in seinen Augen, wie sein Geist vor ihm zersprang, als er ihm die Seele verkaufte.

 

Jede Nacht endete. Jede Dunkelheit stieß an Licht. Die Sonne tauchte die Welt in ihre Strahlen. Die Morgendämmerung deckte alle Narben auf, die die Dunkelheit der Nacht verschleierte.

Mit der Morgendämmerung begann sein Aufgang.

Und sein Untergang.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: Swanlady
2016-01-05T11:11:27+00:00 05.01.2016 12:11
Hallo!

Du hast einen überaus blumigen und metaphernreichen Schreibstil, der mir in einem anderen Fandom vielleicht „zu viel“ gewesen wäre, aber überaus gut zu Black Butler passt. Ich bin, was Sebastian und Ciel angeht, ziemlich wählerisch, vor allem was die Charakterisierung der Figuren angeht, aber deine Darstellung hat mich gefesselt, da sie größtenteils damit übereinstimmt, wie ich die Dynamik zwischen den beiden wahrnehme. Die subtilen (oder auch weniger subtilen) Machtspielchen, die sich regelmäßig zwischen ihnen abspielen (in bestimmten Kreisen auch „Flirten“ genannt, habe ich gehört :D), Sebastians Überlegenheit, obwohl er der Diener ist – all das lese ich unheimlich gerne. Gleichzeitig bin ich froh, dass du dich vorwiegend mit Ciels Gefühlswelt beschäftigst, da er mein Lieblingscharakter ist. So toll Sebastian auch ist – als Figur ist und bleibt Ciel komplexer.

Man merkt deutlich, dass du geplant hast, die Handlung mit der Zeit noch düsterer werden zu lassen und dass das hier nur ein Auftakt ist. Im ersten Moment grinst man nämlich noch über Undertakers Wunsch, umarmt zu werden, im nächsten erlebt man hautnah mit, wie sehr Ciel noch unter seinem Trauma zu leiden hat. Die sich abwechselnden humoristischen und dunklen Aspekte der Geschichte gehören mitunter zu dem, was ich an der Serie besonders mag. Ich bin also froh, dass das bei dir auch vorkommt.

Etwas gewöhnungsbedürftig finde ich, dass Sebastian Ciel an ein paar Stellen mit seinem Vornamen anspricht. Das kann ich mir einfach nur schwer vorstellen, aber das ist sicher Geschmackssache. Außerdem ist mir aufgefallen, dass du zwischen „My Lord“, „Bocchan“ und „junger Herr“ wechselst – ich pers. hätte mich da für eins entschieden, damit es einheitlicher wirkt, aber das ist natürlich ganz deine Entscheidung.

Ich würde mich auf jeden Fall über weitere Kapitel freuen, die Geschichte verspricht auf alle Fälle überaus interessant zu werden. :)

Viele Grüße
Swanlady
Von:  kuschelmietz
2015-12-12T15:53:35+00:00 12.12.2015 16:53
woah, wie toll deine ff ist. :)
dein schreibstil ich auch in dieser ff wieder mal super bombastisch gut
ich hoffe sehr dass du weiter schreiben wirst
ich habe nämlich blut geleckt (*funkel*) und möchte unbedingt wissen wie es weiter geht ^^

LG
mietze


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