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Nachtgestalten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die folgende Geschichte ist für Alaiyas Fanfic-Wettbewerb "Pokémon - Die etwas anderen Geschichten" entstanden. Es sollte dabei um Jemanden gehen, der weder Trainer, noch Koordinator, noch Ranger ist. Sprich um einen ganz normalen Menschen in der Pokémonwelt.
Nun, während ich darüber nachdachte, fiel mir Sable ein, ein junges Mädchen, dem nichts ferner liegt, als ihr trautes Heim für ein großes Abenteuer zurückzulassen und ja... während ich so am schreiben war, stellte ich fest, dass ich ganz nebenbei auch Shizanas Wünsche aus dem Wettbewerb "Kleine Pokémon ganz groß" erfüllt hatte. Überraschung!

Ist übrigens mal wieder ne Premiere. Komplett anzeigen

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Nachtgestalten

Dichter Nebel waberte um ihre Füße herum, erfasste das schwache Licht ihrer kleinen Laterne und verschluckte es, als wäre es ein besonders leckerer Keks. Sable schauderte, doch sie setzte tapfer weiter einen Fuß vor den Anderen. Links und rechts von ihr ragten Grabmale in die Höhe. Düster, bedrohlich. Erinnerungen an tote Trainer, Koordinatoren und Forscher, die zum Teil schon vor Jahren hier ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten.

Es hatte Zeiten gegeben, da wäre Sable gerne eine von ihnen gewesen. Doch dann war sie älter geworden und hatte sich nicht mehr vorstellen können ihre Heimat zu verlassen um Pokémonabenteuer zu erleben. Freunde von ihr waren losgezogen und hatten sich nie wieder gemeldet. Sie hatte nicht gewollt, dass auch ihre Eltern eines Tages voller Sorge am Küchentisch saßen und so hatte sie ihre Berufung hier gesucht. Weit weg von Pokémonarenen, Laboratorien und aufregenden Abenteuern in fernen Regionen, von denen hier in Kalos noch nie ein Mensch gehört hatte.

Ein Kramurx krächzte in den Bäumen und Sable spürte, wie ihre Gänsehaut sich verstärkte. Obwohl sie eigentlich nicht unzufrieden war, hasste sie diesen Teil ihres Jobs. Ganz gleich als wie wichtig Humbert es ihr beschrieb, mitten in der Nacht auf einem Friedhof herumzulaufen, jagte ihr nach wie vor eine Heidenangst ein. Unschlüssig blickte sie nach oben, wo der Vollmond nach Kräften mit den Nebelschwaden rang und es trotzdem kaum schaffte einen Strahl bis zu ihr hinabzuschicken.

Vielleicht sollte sie einfach umdrehen. Zurückgehen zum Eingang, um Humbert zu sagen, dass alles in Ordnung war und er abschließen konnte.
 

Immerhin war doch immer alles in Ordnung hier.
 

Noch nie hatte sie bei einem ihrer Rundgänge ein Alpollo dabei erwischt, wie es die gläsernen Vasen umkippt hatte oder die Blumen verwelken ließ. Noch nie war sie einem Digda begegnet, dass die Gräber umgegraben hatte und auch die berühmt berüchtigten, saufenden Teenager waren bei ihren Patrouillen nie zu finden gewesen. Es waren immer nur die gleichen, unheimlichen Silhouetten der Statuen, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten, wann immer sie sie zu Gesicht bekam und es war immer das gleiche, verdammte Kramurx, dessen heiserer Schrei sie auf dem Rundgang begleitete wie ein böses Omen.

Sable glaubte, dass es sein Nest auf dem Dach eines der älteren Grabmale errichtet hatte, aber sie war nicht gewillt, sich eine Leiter zu holen um nachzusehen. Immerhin tat das Kramurx niemandem etwas. Es machte ihr nur Nacht für Nacht ein wenig Angst, wenn sie mit ihrer kleinen Laterne zwischen den Gräbern umherstreifte um sicher zu gehen, dass wirklich niemand die Ruhe der Toten störte oder versehentlich eingeschlossen wurde, wenn sie nach getaner Arbeit das Tor hinter sich zufallen ließ.
 

Sable erreichte die Wasserstelle, stolperte fast über eine achtlos hingeworfene Gießkanne und musste ihre treue Laterne abstellen, um das grüne Plastikding neben den Anderen einreihen zu können. Die alten Frauen und Männer würden es ihr am Morgen danken, wenn der letzte Nebel sich verzogen hatte und sie kamen um die bunten Blumen zu gießen, die sie an ihre Liebsten erinnerten.

Sable seufzte.

Es war schon irgendwie deprimierend zu wissen, dass sie alle eines Tages hier enden würden und es war noch deprimierender, dass selbst der größte Pokémontrainer aller Zeiten Angst haben musste, dass ein gelangweiltes Gengar eines Tages seine Späße mit seinem Grab trieb.

Das Mädchen griff nach seiner Laterne, richtete sich auf und blickte direkt in ein paar große, rote Augen, die es böse anstarrten. Sable sprang zurück, ließ die Laterne fallen und schlug die Hände vor den Mund um einen panischen Schrei zu ersticken.

„Noctuh!“, kam es furchterregend aus der Dunkelheit. Dann breitete das Vogelpokémon seine Schwingen aus und flatterte knapp über ihren Kopf hinweg in die kalte Nacht hinein. Sable starrte ihm erschrocken nach und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Das Eulenpokémon hatte sie fast zu Tode erschreckt. Für einen Moment hörte sie nur das Hämmern ihres Herzens, dann atmete sie erleichtert auf.

Es war weg!

Noctuh waren vielleicht unheimlich, aber nicht gefährlich und das wusste sie eigentlich auch. Die Vogelpokémon jagten nachts nach umherstreifenden Rattfratz und anderen Nagern und verfüttern sie – und zwar nur sie – an ihre Jungen. Natürlich war der Friedhof mit seinen Bäumen, Büschen und Grabmalen ein beliebtes Jagdgebiet und zwar nicht nur für Noctuh. Humbert hatte angeblich sogar schon einmal ein Arbok gesehen, das sich ganz eng um einen Grabstein gewickelt und ihn böse angestarrt hatte, als er es im Halbdunkel angeleuchtet hatte.
 

Das alles war kein Grund um sich aufzuregen, kein Grund um panisch zum Eingang zu rennen und kein Grund um Humbert zu holen oder es ihm überhaupt zu erzählen. Er würde ja doch nur über sie und ihre Schreckhaftigkeit lachen.
 

Sable atmete noch einmal durch, dann blickte sie auf ihre zitternden Hände und bemerkte, es war noch dunkler als zuvor. Die Laterne! Sie musste ausgegangen sein, als sie sie fallen gelassen hatte. Das Mädchen seufzte zum gefühlten hundertsten Mal an diesem Tag. Heute hatte es scheinbar wirklich gar kein Glück.

Langsam ließ Sable sich auf die Knie sinken und tastete den Boden ab. Sie spürte ein paar Steinchen und Gras – Vielleicht war es auch Unkraut - nur die Laterne, die konnte sie nicht entdecken. Das schwache Mondlicht reichte nicht aus, um die Schatten zu erhellen und Sable wurde prompt noch kälter. Wenn sie die Laterne nicht fand und es schaffte sie wieder anzuzünden, würde sie fast völlig blind über den Friedhof irren müssen, bis es Humbert am Tor zu lange dauern würde und er kam um nach ihr und den Gräbern zu sehen. Bei der Geduld ihres Mentors konnte das aber noch die halbe Nacht dauern.

Sable wollte nicht die halbe Nacht auf dem Friedhof verbringen. Sie wollte heim, in ihr Bett und sich dort die Aufzeichnung von Dianthas neuem Film ansehen, in dem angeblich ein echtes Amagarga auftrat. Tränen stiegen ihr in die Augen, machten das Sehen noch viel schwerer und ließen sie noch unbeholfener auf dem Boden herumtasten.

Sie musste diese Laterne finden, unbedingt, und sie musste – Sable hielt in der Bewegung inne. Was wenn sie im Dunkeln versehentlich das Arbok ertastete? Was wenn sie es berührte und es sich bedroht fühlte und dann – Beinahe hätte sie schon wieder geschrien, aber das Mädchen riss sich am Riemen. Wenn sie jetzt hier die Nerven verlor, würde Humbert es ihr ewig vorhalten.

Sie würde das Mädchen sein, das Angst vor dem Friedhof hatte. Die Friedhofswärterin mit Angst vor Geistern. Die, die bei Vollmond anfing zu heulen und das ganz ohne ein Werwolf zu sein. Erneut schnappte sie nach Luft.

Was sollte sie nur tun? Wie sollte sie zum Eingang zurückkommen ohne das Gesicht zu verlieren? Wie lange sollte sie hier im Dunklen hocken?
 

Angestrengt starrte sie auf den Boden hinab, dorthin, wo ihre Finger sein mussten, doch egal wie sehr sie sich bemühte, sie konnte nichts erkennen. Nur Dunkelheit und grauen Nebel, der um ihre Hände herumwaberte, als wollte er sie verschlucken.

Da! War das dort etwas Hartes gewesen?

Sables Finger strichen über eine Stelle, dann noch einmal. Eindeutig, dort lag etwas. Sicher ihre erloschene Laterne. Vorsichtig streckte sie auch die zweite Hand danach aus und zog. Sie wollte es nicht riskieren, sie noch einmal fallen zu lassen und so vielleicht noch mehr zu beschädigen als der Sturz sie vielleicht schon beschädigt hatte.

Erleichterung machte sich in ihr breit. Jetzt würde es gleich heller werden und dann würde sie eilig zum Tor zurücklaufen und den Friedhof vergessen. Zumindest bis sie morgen wieder zur Arbeit kam.
 

Sable hob die Laterne an, führte sie ganz nah vor ihr Gesicht, um eventuelle Schäden zu erkennen und... hätte beinahe noch ein drittes Mal geschrien. Das was sie gerade in Händen hielt, war nicht ihre Laterne!

Es war ein Kürbis. Ein kleiner, runder, dicker Kürbis, der eigentlich so gar keine Ähnlichkeit mit ihrer Laterne hatte.

Und dann hatte das Ding auch noch Augen!

„Irrbis?“, kam es von dem Pokémon in ihren Händen und sehr zu Sables Erleichterung wurde es wenigstens ein bisschen heller um sie her. Zwei Lichter strahlten aus dem Körper des Pokémon heraus, als wären sie Suchscheinwerfer und erhellten erst sie, dann den Weg und schließlich auch etwas, dass wie ihre Laterne aussah!
 

Na Gott sei dank!
 

Sie war nach dem Aufprall also nach rechts und nicht nach links gerollt, wie sie gedacht hatte.

„Irrbis“, machte das Pokémon, fast als hätte es ihre Gedanken gelesen und blickte sie aus seinen gelben Augen neugierig an.

„Ich ähm...“, Sable kam sich dumm vor, aber im Pokémon-TV wurde so oft von namenhaften Professoren empfohlen, einfach ganz normal mit den Wesen zu sprechen, dass sie zumindest gewillt war es zu versuchen. Immerhin, eine Koryphäe wie Professor Platan irrte sich doch nicht bei so etwas banalem wie einem Gespräch. Oder doch?

„Es tut mir leid. Ich habe dich mit meiner Laterne verwechselt“, rang Sable sich eine Entschuldigung ab, wagte aber nicht, das runde Pokémon wieder loszulassen. Wenn es auf den Boden fiel, war es sicherlich nicht nur sauer, sondern bestimmt auch verletzt. Wenn das mal reichte, bei einem Wesen, das aussah, als wäre es in seinem letzten Leben ein Kürbis gewesenn. Wenn sie mit ihrer Tollpatschigkeit aus ihm eine Kürbiscremesuppe machte... Nein, das würde sie sich gewiss nicht verzeihen.

„Irrbis?“, kam es von dem Pokémon und Sable war sich sicher, dass sein Lichtstrahl einen Moment länger als nötig auf der Laterne ruhte. Vermutlich fragte es sich, wie man so dumm sein konnte, die Laterne mit ihm zu verwechseln. Wo sie sich doch gar nicht ähnlich sahen.

„Ich hab nun mal nicht so gute Augen“, murrte Sable das Wesen an und ging langsam auf ihre heruntergefallene Laterne zu. Jetzt wo sie Irrbis als Lichtquelle hatte, konnte sie das auch ausnutzen. Zumindest solange, bis das Pokémon keine Lust mehr hatte, für sie die Taschenlampe zu spielen.

„Sie kann auch leuchten. Fast so wie du“, versicherte sie dem neugierigen, kleinen Kürbis, während sie sich mit ihm neben die Laterne kniete, um sie erneut zu entfachen. „Siehst du?“

„Irrbis!“, kam es von dem Pokémon und Sable interpretierte das einfach mal als „Ja“. War halt schwierig etwas zu sagen, wenn man über die Silben „Irr“ und „Bis“ nicht hinaus kam. „Irrbis“ „Bisirr“, irgendwie klang das doch alles blöde.

„Danke, dass du mir dein Licht geliehen hast“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Das „Bisirr“ klang aber auch wirklich zu lächerlich in ihren Ohren. „Ohne dich wäre ich hier draußen verloren gewesen.“

Wahrscheinlich täuschte es, aber das Pokémon schien prompt noch praller zu werden, während es langsam in die Luft aufstieg. Spannend, ihr neuer Kürbisfreund konnte fliegen!

„Irrbis, Irrbis, Irrbis!“, machte es scheinbar erfreut und seine suchscheinwerfer-ähnlichen Lichter strahlten in zwanzig verschiedene Richtungen gleichzeitig. Sable grinste. Das war lustiger als die Geschichte vom Arbok und dem Grabstein und eigentlich auch viel weniger gruselig. Es gab keine Giftzähne, keine bösen Blicke, nur einen kleinen, schwebenden Kürbis, der aussah, als könnte er keiner Menschenseele ein Leid zufügen.

„Irrbis!“, verkündete er gewichtig, vielleicht ahnend, was sie sich gerade gedacht hatte, vielleicht aber auch einfach nur ein wenig herum blödelnd. Sable lachte. In der Gesellschaft dieses kugelrunden Clowns kam ihr der Friedhof kein bisschen gruselig mehr vor.

„He, hör mal“, versuchte sie die Aufmerksamkeit des Pokémon zurückzugewinnen, „Ich muss jetzt leider nach Hause, aber wenn du magst, können wir uns morgen Abend wieder treffen. Am besten gleich am Haupttor. Ich bring dir dann auch Pofflés mit, als Dankeschön, weil du meine Laterne wiedergefunden hast“, schlug sie vor und das Pokémon bedankte sich bei ihr, indem es in kleinen Runden um sie herum flog und wieder und wieder seinen Namen jauchzte. Nun, sie brauchte kein Professor zu sein, um zu wissen, was das bedeuten sollte.

Scheinbar war ihr neuer, kleiner Freund sehr angetan von der Idee, dass sie wiederkommen und ihm etwas Süßes mitbringen würde. Und vielleicht, nur vielleicht, würde der Rundgang auf dem dunklen Friedhof ja nicht mehr so unheimlich sein, wenn sie einen fröhlich schmatzenden Kürbis dabei hatte, der ihr ein warmes Licht schenkte und sie zum lachen brachte, wenn wieder einmal ein Noctuh aus dem Nichts erschien oder ein Kramurx seinen unheilbringenden Schrei ertönen ließ.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Von:  Ranik
2014-03-04T22:20:31+00:00 04.03.2014 23:20
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Du hast alles sehr detailreich beschrieben, sodass ich mir die Umgebung perfekt vorstellen konnte - ein richtiger kleiner Film vorm inneren Auge quasi <3
Auch Sables Gefühle und Stimmungen kamen klasse rüber und man hat richtig gemerkt, wie sie zuerst panisch wurde und dann, nachdem sie ihre erste Scheu vor Irrbiss verloren hatte, immer fröhlicher und entspannter/glücklicher wurde.
Ich hoffe, der nächste Kontrollgang mit dem Irrbiss ist ihr leichter gefallen und vielleicht hat sie ja auch endlich etwas Gefallen an den nächtlichen Rundgängen gefunden - mit so einem niedlichen und lustigen Begleiter :D
Antwort von:  _Delacroix_
04.03.2014 23:22
Danke, es freut mich das dir die Geschichte gefallen hat^^
Von:  Dragonie
2014-01-19T09:19:16+00:00 19.01.2014 10:19
Ich finde das Kapitelchen toll, das Kürbispokémon ist Dir richtig gut gelungen und Sable's Empfindungen und Gedanken dazu sehr passend.
Huhu, wie schön unheimlich die Umgebung doch ist! x3
Antwort von:  _Delacroix_
19.01.2014 10:30
Dank dir.
Das hör ich gerne.


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