Prolog
Du bist König.
Natürlich war es eine Sache, etwas entsprechendes gesagt zu bekommen, und eine andere, es auch tatsächlich zu glauben.
Im Nachhinein war er sich nicht sicher, ob er es geglaubt hatte oder nicht.
Seine Glieder waren kalt und schwer, seine Lippen steif und unbeweglich, die Stille dröhnte in seinen Ohren.
Warum?
Er hatte sein ganzes Leben lang versucht, keine Angst zu haben, aber wenn man an so einem Ort aufgewachsen war wie er, war das nicht einfach. Kinder hatten vor vielen Sachen Angst, und manches wuchs eben nicht so einfach aus.
Selbstverständlich spürte er keinen Herzschlag; das war ja das Blöde, wenn man tot war, offensichtlich hatte man trotzdem noch Angst, aber der Körper merkte es nicht mehr.
Vielleicht war es auch bloß der Gedanke, dass er Angst hätte haben sollen, und die Erinnerung an das Gefühl. Die meisten Leute hatten Angst vor dem Tod, und er hatte nicht direkt damit gerechnet, um es milde auszudrücken.
Andererseits war er davon ausgegangen, wenn man schon tot war, dann merkte man eben gar nichts mehr, oder nicht? Dafür war ihm überraschend kalt.
Der Frost kroch seine Arme und Beine empor; er wollte dagegen ankämpfen, doch selbstverständlich rührte sich kein Muskel.
Feuer und Eis, Eis und Feuer, summte es in seinem Kopf, du bist kein König, Könige haben Narben von Schlachten, du bist nur…
In ihm regte sich unweigerlich das jugendliche Bedürfnis, zu widersprechen, doch seine Zunge gehorchte ihm ohnehin nicht, also ließ er es bleiben.
Es war immer noch kalt, die Luft gemischt mit dem Geruch von Schnee und Fichtennadeln, obwohl er unmöglich hätte sagen können, woher er das wusste.
Schnee und Fichtennadeln und Rauch und Blut und Verwesung, blaue Augen gegen den Winterhimmel.
Er war sich nicht ganz sicher, was er erwartet hatte.
Das Dunkel über ihm war frei von Sternen, der Schnee durchzogen mit schwarzen Flecken. Es ging Wind – er konnte ihn hören – aber er spürte ihn nicht. Die Kälte kroch in seinen Brustkorb.
Die Flecken im Schnee waren nicht schwarz, sondern dunkelrot.
Starks, Lannisters, Baratheons, Targaryens, flüsterte es, hast du denn wirklich gedacht, das spielt eine Rolle?
Die Nacht war dunkel und voller Schrecken.
Als kleines Kind hatte er öfters Angst im Dunkeln gehabt, aber es war immer jemand dagewesen; eine Septa, seine Mutter, der Maester, manchmal sogar sein Vater.
Jetzt war er allein. Er war noch nie allein gewesen.
Du hast Angst, wisperte die Stimme, ich dachte, du wärst ein Krieger?
Hab ich nie gesagt, dachte er ein wenig trotzig. Er war sich ziemlich sicher, dass weder die alten Götter noch die Sieben Verstorbenen Vorhaltungen zu machen pflegten, jedenfalls nicht auf diese Weise.
Gesichtslose Gestalten huschten durch den Wald, gehüllt in schwarze Pelzmäntel. Sie trugen Fackeln; gedämpfte Rufe drangen an sein Ohr, doch sie schienen eine Sprache zu nutzen, derer er nicht mächtig war. Blaue Augen glitzerten wachsam im Schatten.
Wenn es soweit ist, sagte die Stimme leise, glaubst du, dann fragt jemand, wer auf dem Thron sitzt?
Funken tanzten vor ihm in der Dunkelheit wie Schmetterlinge, Nordlichter und Fackeln und Glühwürmchen, er spürte seine Finger nicht mehr.
Wenn die Mauer fällt, wer kämpft dann für die Lebenden? Wer steht für den Sommer ein, wenn der Winter kommt?
Funken in der Dunkelheit gegen schwarzen Himmel…
Wer kämpft für die Lebenden?, wiederholte die Stimme hartnäckig und mit Nachdruck; die Worte klangen dumpf gegen sein Trommelfell.
Feuer gegen die Kälte, Licht gegen den Schatten, Leben gegen…
Und dann schmeckte er feuchte Erde und Gras, Schlamm und Staub und Sand, spürte den Himmel voller Sterne über sich und roch Salz und Seetang in der Luft.