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Stummer Schrei

von

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Kapitel 2

Gilbert sah seine Freunde schon aus der Entfernung auf ihn warten. Außer Atem kam er bei ihnen an. „Mensch Gil was hast du so lange gebraucht?“, begrüßte Antonio ihn. „Hab verschlafen“, brachte der Albino keuchend heraus. Er war den ganzen Weg her gerannt. Eigentlich hätte er sich nie so beeilt, aber sie hatten in der ersten Stunde den stellvertretenen Direktor in Mathe. Man tat also gut daran Donnerstagmorgens pünktlich zu sein. „Komm schon ich brauch nicht noch ne Mahnung, meine Eltern nehmen mir das Handy weg“, drängte Francis seine beiden Freunde. Der Franzose kam nicht ohne sein Handy aus, naja käme er schon, wenn er damit nicht Kontakt zu seinen Liebschaften halten müsste. „Wir haben noch 7 Minuten, also bleib ruhig“, Gilbert holte seine Zigaretten raus und steckte sich eine an. Er war zwar auch nicht scharf darauf ne Mahnung zu bekommen, aber die Zigarette musste sein.
 

5 Minuten später betrachten die drei das Klassenzimmer und setzten sich auf ihre Plätze im hinteren Teil der Klasse. „Siehst du, sind doch pünktlich.“ Gilbert kippte seinen Stuhl nach hinten und lehnte sich mit der Lehne gegen einen Schrank. „Beilschmidt Hören sie auf zu Kippeln, Bonnefoy Handy weg oder sie können es am Ende des Tages in meinem Büro abholen und würde bitte jemand Karpusi wecken. Den anderen einen Guten Morgen“, mit diesen Worten stellte der Stellvertretende Direktor seine Tasche auf dem Pult ab und sah streng in die Runde. Fast sofort wurde das Gesagte getan, nur Gilbert forderte sein Glück etwas heraus in dem er sich nur langsam richtig hinsetzte. Er hasste Mathe und er hasste diesen Lehrer. Gäbe es diese dämliche Schulpflicht nicht wäre er gar nicht hier, aber seine Meinung war dem Schulamt ja egal. Mehr oder in dem Fall weniger verfolgte er den Unterricht und starrte die meiste Zeit aus dem Fenster.
 

In der Pause liefen die drei in die Stadt um sich was beim Bäcker zu holen. Mit jeweils einem belegten Brötchen setzten sie sich an den Brunnen und Gilbert zog seine Zigaretten raus. „Gib mir mal eine Gil. Ich muss erst welche holen“, Francis nahm sich, ohne auf eine Antwort zu warten, die Schachtel aus Gilberts Hand. Der Franzose nahm sich eine heraus und steckte sie sich an. „Elendiger Schnorrer“, grinste Gilbert und holte sich seine Schachtel wieder. „Das war das erste Mal heute!“, verteidigte sich Francis und hob abwehrend die Hände. „Klar das erste Mal seit gestern.“ Antonio lachte und holte seine eigene Schachtel raus. „Gehen wir heut Abend in den Club?“ Antonio sah fragend zu Francis. Da Gilbert schon gesagt hatte er hätte keine Zeit. Der „Club“ war eine Jugenddisco nahe dem Einkaufzentrum. Das Bad Touch Trio gingen schon, seit sie sich seit 4 Jahren kannten, fast jedes Wochenende dort hin. Es war zu ihrem Treffpunkt geworden für die vielen Wochenenden.
 

Gilbert aß sein Brötchen eher lustlos. Ihm war der Appetit bei dem Gedanken ans Wochenende vergangen. Es war immerhin kein Tag um zu feiern. Doch so gerne wie er seine Traurigkeit in Alkohol ertränken wollte, so wusste Gilbert auch, er musste für Ludwig da sein. Er wollte nicht wie sein Vater enden. Wollte seinen Bruder nicht verlieren. Dieser das letzte war was er noch an Familie hatte. Ludwig war immer für ihn da gewesen. Noch vor dem Umzug und dem Schulwechsle war Gilbert zu seinem Bruder geflüchtet, hatte Angst allein zu schlafen. Angst vor den Alpträumen die ihn im Schlaf überfielen, wie ausgehungerte Wölfe. Seufzend schmiss er sein halbes Brötchen weg und die ausgegangene Zigarette fiel zu Boden. Seine Freunde waren in einem Gespräch vertieft und bemerkten Gilberts Stimmungsumschwung gar nicht.
 

Nicht daran denken, ermahnte sich Gilbert. Das hast du hinter die gelassen!, er sagte es sich immer wieder in Gedanken. Er zuckte bei einem dumpfen Schmerz zusammen. Erst jetzt bemerkte er dass er seine Finger in den linken Arm bohrte. Tief ausatmend löste er seine Finger. „Die Gedanken einfach wieder verdrängen dann passt das schon“, murmelte er leise zu sich, ohne das Antonio oder Francis es mitbekamen. Doch so leicht es war sich zu sagen, so wollten die Gedanken nicht verschwinden. „Ich geh schon mal“, murmelte Gilbert leise und ging los. Die fragenden Blicke seiner Freunde ignorierend. Den Blick zum Boden gerichtet, ging Gilbert durch die Stadt. Ihm war die Lust auf eine Zigarette vergangen. Er schob die Hände in die Taschen seiner Jacke und hob den Blick. So schwer es ihm auch viel, er durfte sich das nicht anmerken lassen. Er musste stark sein, für Ludwig. Doch er wollte nicht mehr stark sein. Die Kirchuhr, zeigte 9:30 Uhr. Eigentlich müsste er zurück in die Schule, doch Gilbert ging in die andere Richtung.
 

20 Minuten lief er ohne auf den Weg zu achten und kam schließlich auf dem stillgelegten Fabrikgelände an. Seine Beine trugen ihn weiter eine Treppe hinauf und durch verlassene Hallen. An seinem ersten Tag in der Stadt hatte er dieses Gelände gefunden, der Ort wo er allein sein konnte. Wo er sein konnte wie er innerlich wirklich war. Nicht diese aufgesetzte Fassade, die er allen zeigte. Er war nicht der starke große Bruder, den Ludwig in ihm sah. Im Grunde war er ein kleiner Junge, der sich einsam fühlte und nicht wusste was er tun sollte. Im oberen Geschoss angekommen setzte er sich auf den Boden, lehnte sich an die Wand und zog die Beine an. Sein Kopf legte sich auf seine Arme, die auf seinen Knien ruhten und er ließ alles raus. Sein Körper erbebte unter den ersten Schluchzern, die aus ihm brachen. Die Tränen folgten wenige Sekunden darauf. Salziges Wasser fand seinen weg auf seine Arme, hinterließen eine nasse Spur auf seinen Wangen und immer mehr Schluchzer fanden ihren Weg aus ihm heraus. Nach Luft ringend saß er da, vergoss immer mehr Tränen. „Warum?“, stieß er leise hervor, krallte seine Finger in die Arme, verkrampfte seine Muskeln und zog die Beine näher an sich. Er wusste nicht woher es plötzlich wieder kam, aber er konnte und wollte es nicht mehr in sich behalten.
 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das Beben seines Oberkörpers aufhörte, bis die Tränen versiegten und seine Atmung ruhiger wurde. Gilbert lockerte seine verkrampften Finger, ließ die Arme locker auf seinen Beinen liegen. Langsam hob er seinen Kopf und lehnte ihn hinter sich an die Wand. Die verweinten Augen schlossen sich und er konzentrierte sich auf seine Atmung. Das drücken in seinem Inneren ließ nach und seine Lippen verzogen sich zu seinem grinsen. Freudlos lachend wischte er die feuchten Spuren aus seinem Gesicht. Warum war er nur so schwach? Er ließ den Kopf etwas nach vorn fallen, nur um ihn dann mit kraft gegen die Wand hinter sich zu schlagen. Er war wütend. Wütend auf sich, dass er so schwach war.



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