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Night's End

Der Wiedergänger
von

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Verfolgt

Das Lager befand sich im Aufbruch. Männer beluden Pferde, sattelten ihre Reittiere auf und rüsteten sich. Sicher war es noch nicht in den Bergen. Jederzeit rechneten sie mit Angriffen. Luca konnte die Bedrohung auch noch immer fast körperlich wie eine eisige Hand in seinem Nacken fühlen.

Er hatte Orpheu gewarnt und ihn beschworen wachsam zu bleiben, was der schwarze Söldnerführer auch sorgsam beherzigte. Luca kannte ihn schon recht lang und sie vertrauten einander. Natürlich war es nicht die Art des Vertrauens zweier enger Freunde, sondern das von Waffenbrüdern. Sie konnten aufeinander zählen, denn sie kannten ihre Fähigkeiten bestens. Ein Grund weshalb Orpheus Wahl immer wieder auf Luca fiel, wenn er sich einen Magier aussuchte.
 

In seiner matten, zerbeulten Rüstung machte Orpheu einen genauso erschöpften Eindruck wie das gesamte kleine Söldnerheer. Sie alle hassten die ständigen Entbehrungen und das Wissen, dass ihr Leben dem Tode näher stand als das anderer Geschöpfe.

Er sattelte gerade seine Stute und belud sie mit all den leichten Dingen, die er den ohnehin schon zu wenigen Packpferden nicht auch noch zumuten wollte, als Luca zu ihm trat.

„Nun, habt ihr euch wieder etwas gefangen, alter Freund?“

„Ich werde in Valvermont Dein Heer verlassen, Orpheu.“

Der Söldner hielt mitten in der Bewegung inne, sah dann seinen Magier an. Fast schon zornig, so erschien es Luca, musterte ihn der Elf.

Unbeeindruckt hob Luca das Zaumzeug auf und half Orpheu.

„Was soll das heißen?“, fragte der Elf lauernd.

„Ich will Zeit um meinen eigenen Weg zu gehen, Orpheu“, entgegnete Luca leise. „Ewig Krieg zu spielen ist nicht mein Lebensweg und sicher nicht mein Ziel.“

In seiner Stimme schwang ein stolzer und entschlossener Unterton mit.

Die Mimik Orpheus verriet dem Magier deutliche Wut. Die Kiefer mahlten und die Muskeln spannten sich unter der schwarzen Haut.

„Denkt ihr ernstlich, dass das ein Spiel ist, Lysander?“

Die Frage, sowie die Modulation seiner Stimme, die Schärfe in jedem Wort, ließen nicht offen, was er in der Sekunde dachte und der Söldner konnte kaum verbergen, wie sehr er momentan Lucas Einstellung verachtete.

„Was ich zu den Kriegen und denen die sie schüren denke, mein lieber Orpheu, ist nicht relevant...“

„Offensichtlich habe ich mich in euch und eurem Wesen in den vergangenen Jahren täuschen lassen, Lysander“, unterbrach der Hauptmann Luca hart. Er sprach nicht laut, aber die Kälte in seinen Worten jagten Luca eisige Schauer über den Rücken. Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte Orpheu direkt anzusprechen. Das Gesagte würde ihn noch weiter aus der Gemeinschaft dieser Krieger ausschließen.

„Es bedarf keiner weiteren Worte mehr, Lysander. In Valvermont werde ich um einen eurer Ordensbrüder bitten.“

Über Lucas Züge huschte ein mildes, bedauerndes Lächeln. Er hob den Kopf und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

Als er sich bedacht langsam umdrehte spürte er schmerzhaft die glühenden Blicke des Hauptmannes in seinem Rücken. Orpheu wollte er nicht auch noch die Genugtuung einer erzwungenen Debatte geben, bei dem jedes Wort des Magiers ein weiterer Spatenstich für sein Grab war.
 

Ruhig trat Luca aus dem diszipliniert eiligen Kreis der Söldner heraus und lehnte sich gegen einen losen, recht gewaltigen Gesteinsbrocken. Mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete er das kleine Heer, ohne ihre Handlungen jedoch zu erfassen. Gleich wie kalt er nach außen wirken mochte, so krampfte sich doch sein Herz schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken den einzigen freundlichen Mann, seinen vielleicht einzigen Freund hier, verletzt und vor den Kopf gestoßen zu haben.

Am liebsten hätte er noch einmal mit Orpheu gesprochen, den Versuch gemacht ihm alles zu erklären, aber er zählte nicht zu den Männern, die mit ihrem Hauptmann bei einem vertraulichen Becher Wein oder Bier persönliche Sorgen austauschten.

Sollte der Elf doch von ihm denken was er wollte. Irgendwann würde es vielleicht eine Zeit geben, die für Erklärungen besser geschaffen war als diese jetzt.

Tam grollte leicht in seinem Hemd und peitschte mit seiner Schwanzspitze unangebracht hart gegen Lucas Bauchdecke.

Der junge Mann wusste, dass sein Drache eher für den friedvolleren Weg war und ihm diese Situation mit Orpheu nicht gefiel.

„Bitte nicht“, flüsterte Luca. „Sprich nicht aus, was du denkst. Ich weiß es ohnehin und mir steht jetzt nicht der Sinn nach Diskussionen.“

„Außer dir hat bis eben keiner auch nur ein Wort gesagt.“, gab Tambren spitz zurück und bohrte seine spitze kleine Schnauze durch die Schnürung des Hemdes. Eines der Lederbänder drückte ihm scheinbar unangenehm gegen den langen dünnen Hals. Der Drachling biss es durch, worauf hin Lucas Hemd weiter aufklaffte und Tam selbst fast den Halt verloren hätte, wenn ihn der Magier nicht geistesgegenwärtig aufgefangen hätte.

„Danke“, murmelte der Drache widerwillig.

Luca setzte ihn auf dem Felsen ab und ignorierte ihn.

Seine Finger malten Symbole in die leere Luft, während er fast ohne darüber nachzudenken uralte Worte in einer längst vergangenen Sprache murmelte.

Wie so viele Zauber hatte er auch diesen abgewandelt und ihn in seine eigene Sprache transferiert um ihn leichter nutzbar zu machen. Das Volk der Seraphin und ihre Geschichte waren ein von Magie durchwoben und in ihren Worten schlief ungeheure Macht.

Wie einfach es doch für ihn war, aus den Schatten Materie zu gewinnen und die feuchte Kälte zusammen mit den Resten der Nacht zu einer nebulösen grauen Pferdegestalt zusammen zu zwingen.

Der Zauber sah eigentlich vor Zugriff auf die Ebene der Untoten und der Dunkelheit zu nehmen, aber er ging einen Schritt weiter. Viel einfacher war es doch die momentanen Gegebenheiten zu nutzen. Die klamme Kälte der Berge und die feuchte Morgenluft zusammen mit den Schatten die in den zerklüfteten Felsen hingen, erschienen ihm näher als eine andere Ebene.

Das Geisterpferd gewann immer mehr an Stofflichkeit und zugleich bannte Luca einen Teil seiner Lebenskraft in das Geschöpf.

Dieses Ritual der Erschaffung nutzte er sehr oft, wenn er sich von den anderen distanzieren wollte.

Tam flatterte unbeholfen von seinem unfreiwilligen Sitzplatz auf und testete die Stabilität der Kreatur. Langsam ließ er sich auf dem Rücken des Schattentieres nieder, das reglos da stand.

Er sank kurz in der Nackenmähne ein, arbeitete sich dann aber wieder hoch.

„Weich wie Federn, Luca“, versicherte er.

Der Magier nickte nur leicht, sammelte seine wenige Habe, Schlafrolle und Sattel mit den Satteltaschen auf und warf es dem Geisterpferd über den Rücken.

Mit einem leisen Aufschrei rettete sich der Drachling auf den Nackenkamm des Pferdes, umschlang dann aber das Sattelhorn mit seinem Schwanz und ließ sich auf der rechten Flanke herab, um Luca, der die Riemen festzurrte, böse anzusehen. Luca beachtete ihn nicht.

Wortlos zäumte er das unwirkliche Geschöpf auf und schwang sich dann gewohnt kraftvoll in den Sattel.

Ein weiteres Mal brachte sich Tambren gerade so in Sicherheit, verkroch sich dann aber zischend und Zähne klappernd in Lucas Schoß, um wenige Minuten später, noch vor Aufbruch der Gruppe, einzuschlafen.
 

Luca folgte in geringem Abstand von zwei Pferdelängen dem Tross als Schlusslicht. Einerseits genoss er die einsame Stille am Ende der Gruppe, aber andererseits oblag es nun ihm die Wacht über die Männer zu halten.

Seine Sinne waren geschärft und offen für jeden noch so geringen Hauch einer Gefahr. Allerdings konnte er sich nicht nur auf Augen und Ohren verlassen, sondern musste mehrere Zauber weben, die ihn vor allen Arten magischer Ausspähung, Angriffen und Wesen warnten, beziehungsweise die anderes Leben - insbesondere solches mit feindlichen Absichten - erfassen sollten.

Am Rande seines Bewusstseins spürte Luca immer wieder einige kleine Dinge, die ihn nervös machten. Allerdings konnte er – gleich wie viel Mühe er sich gab – sie nicht lokalisieren.

Den Morgen hindurch verbrachte er dicht bei der Gruppe, blieb aber oftmals ein Stück zurück, um die Umgegend gründlich zu beobachten.

Sie ritten auf einem Felspfad dem Pass entgegen. Rechts neben Luca fiel die Klamm um zwanzig und mehr Fuß in die Tiefe ab und links türmte sich eine zerfurchte Felswand auf.

Die Pferde vor ihm hatten einige Mühe auf dem teilweise sehr rutschigen Untergrund mit ihren beschlagenen Hufen Halt zu finden. Noch konnten Reiter und Pferde gefahrlos vorwärts kommen, aber eine Regennacht hätte fatale Folgen gehabt. Das alte, zerklüftete Gestein bröckelte manchmal. Stürme und Unwetter hatten es zu einem nicht ungefährlichen Weg gemacht.
 

Die anfänglich Kälte, seine Erschöpfung, der Streit mit Orpheu und seine persönlichen Sorgen machten ihm nach einigen Stunden die Konzentration sehr schwer und zogen seine Aufmerksamkeit in eine völlig falsche Richtung. Er spürte, dass ihn das geringste Geräusch nervös machte und er sich immer wieder anspannte, sobald auch nur das Geringste am Rande seiner Aufmerksamkeit kratzte. Überreaktionen dieser Art konnte er sich nicht erlauben. Das beeinträchtigte die Sicherheit der Gruppe.

Immer wieder rief er sich zur Ordnung. Aber letztlich brauchte er eine Pause und die Ruhe zu meditieren, um wieder zu Kräften und zu neuer Konzentration zu kommen.

Er schloss kurz die Lider und massierte seinen Nasenrücken. Schon seit einer Weile schmerzte die Sonne in seinen Augen und brannte sich mit wirren Bildern imaginärer Gefahren in seinen Verstand.

Für wenige Augenblicke konnte er so sogar klarer sehen, hinter geschlossenen Lidern die Gefahren wesentlich besser lokalisieren; die ganzen winzigen Lebewesen der Berge, die Vögel hoch über ihm und den unsichtbaren Verfolger, der sich hinter ihm auf dem Pfad lautlos wie ein Berglöwe bewegte.

Luca lächelte in sich hinein. Wenn er sie verfolgen wollte, so sollte er das ruhig noch eine Weile tun. Gefährlich erschien er dem Magier weniger. Einfach nur ein Mann auf dem ein schwacher Unsichtbarkeitszauber lag. Wenn sich Luca genauer auf ihn konzentrierte, konnte er auch keinerlei weiteren magischen Schwingungen von ihm wahrnehmen. Vermutlich nutzte er einen Trank oder magische Gegenstände um seine Gestalt zu verbergen.

Was also bewog einen einzelnen Mann einer Gruppe bis an die Zähne bewaffneter Söldner zu folgen? Eine Falle?

Der Magier konnte sich die Frage anhand der landschaftlichen Gegebenheit der Berge recht einfach beantworten. Wenn der Mann sie in eine Falle treiben wollte, so hätte das ein feindlicher Söldnertrupp von langer Hand und mit einiger Vorbereitung angehen müssen, sollte heißen sie hätten Orpheus Heer schon länger in ihrem Fokus haben müssen. Aber er folgte ihnen erst seit kurzer Zeit. Außerdem bot sich in dieser Gegend so nah an den Pässen auf den schmalen Bergpfaden keine Möglichkeit für einen Hinterhalt. Höhlen gab es hier keine und die Felswände waren schlicht zu steil und zu glatt um darauf herumzuklettern, wenn man nicht unbedingt ein Affe oder eine Bergziege war. Im Umkehrschluss war es also recht unwahrscheinlich, dass sie an einer größeren Gruppe vorüber gezogen waren, ohne sie bemerkt zu haben. Wahrscheinlich war er ein einzelner Wachposten, der nun ihren Weg verfolgte und mit ziemlicher Sicherheit versuchen würde, an ihnen vorbei zu seinen eigenen Leuten zu kommen.

Wenn der Gedankengang stimmte, boten sich Orpheu und Luca schöne Möglichkeiten ihrerseits ihren Beobachter zu bespitzeln.

Vielleicht, wenn sie rasteten, würde diese Person versuchen am Lager vorbei zu kommen. Dennoch warnte Luca Orpheu vorsichtshalber mit einem geflüsterten Zauber. Trügerische Sicherheit hatte schon mancher Armee den Todesstoß versetzt.

Aber zumindest sollte sein Beobachter den Eindruck eines ermüdeten Heereszuges suggeriert bekommen.

Luca gähnte hinter vorgehaltener Hand. Die Müdigkeit musste er nicht einmal spielen. Zurzeit fühlte er sich mehr als erschöpft und schwindelig. Der Aufbruch ohne ein Frühstück war zwar in letzter Zeit normal, schon weil die Männer mit ihren Vorräten haushalten mussten, aber Hunger, gepaart mit Rückenschmerzen durch die Stunden auf dem Rücken eines Pferdes, beziehungsweise der Nächte, die sie in Etappen auf hartem, steinigen Boden verbrachten, froren und wechselweise Wachen übernahmen, zehrten an jedem einzelnen von ihnen. In den vergangenen Jahren hatte Luca sich als einer der genügsamsten Esser dieser Gruppe heraus gestellt und als der, der zäher war als Orpheu. Aber wenn selbst er eine verzerrte Wahrnehmung hatte, wollte er nicht genau wissen, wie es seinen Kameraden ging.

Eine Rast allerdings war erst am frühen Nachmittag möglich, nachdem die Sonne bereits den Zenit überschritten hatte. Ein etwas breiteres Felsplateau bot allen Mann Platz um abzusteigen, ihren Tieren eine Pause zu gönnen und selbst etwas von der spärlichen Nahrung zu sich zu nehmen.

Schales Wasser und getrocknetes, zähes und versalzenes Fleisch mit trockenem Brot lockte keinen von ihnen ernsthaft. Dennoch schlangen die Meisten herunter, was Orpheu ihnen zuteilen ließ.

Einige von ihnen stiegen ab und ließen sich zu Boden sinken, kümmerten sich nicht einmal um ihre Pferde, sondern schliefen dort ein, wo sie saßen.

Luca sehnte sich selbst nach Schlaf. Als er Tam hoch nahm und sich aus seinem Sattel schwang, zitterten ihm die Knie und eine Welle von Übelkeit und Schwindel ließen ihn taumeln. Nein, gut ging es ihm wirklich nicht, aber vergleichsweise blendend gegenüber denen, die in den letzten Kämpfen Verletzungen davon getragen hatten. Bei gar manchem schwärten eitrige Wunden.

Manchmal baten sie Luca um seine Hilfe. Justins Wissen über Kräuter und Heilung war nicht spurlos an dem damaligen Knaben vorüber gegangen. Aber die wenigen Tinkturen und Salben, die er bei sich gehabt hatte, waren aufgebraucht und er konnte die Männer nur mit Magie versorgen, allerdings schwächte ihn diese Art des Zauberns selbst sehr, so sehr, dass Orpheu ihm dies untersagt hatte. Luca kehrte seine nekromantischen Zauber um und gab Lebenskraft, die seine eigene war anstatt sie zu rauben.

Auch das hatte ihm viel von seiner Stabilität geraubt. Im Augenblick fühlte er sich nicht wie ein gesunder, junger Mann, sondern eher wie ein dreihundertjähriges Wrack.

„Du solltest dich ausruhen“, warnte ihn Tambren.

Auch dieses Mal überhörte ihn Luca geflissentlich. Er musste schon einige Sekunden dazu aufwenden sich wieder zu fangen, aber nicht so lange als dass er die Mahnung seines Drachlings überhört hätte. Im Moment wollte er einfach nicht mit ihm sprechen.

Tam seufzte leise. „Du hörst nie auf mich.“

Lucas schlechtes Gewissen meldete sich sofort wieder. „Tut mir Leid, mein Kleiner“, flüsterte er und küsste den schuppigen Drachenkopf.

Die Goldaugen des Drachen verdrehten sich, um Luca im Blick zu behalten.

“Ich muss mit Orpheu reden. Unser Verfolger ist immer noch in der Nähe.“

„Ich weiß.“, entgegnete Tambren. „Momentan kann ich ihn sehn. Angst hat er. Der Trupp hier verunsichert ihn ziemlich, Luca.“

Der Magier lächelte. „Danke für die Information, kleiner Freund. Kannst Du vielleicht näher an ihn heran kommen und versuchen klarere Eindrücke von ihm zu sammeln?“ Er räusperte sich. „Es wäre schon sehr peinlich, wenn ich das ganze Heer verrückt machen würde und nur ein verängstigter Dörfler, der dem Massaker entkommen ist, würde uns hinterher laufen.“

Der Drachling nickte, sprang aus Lucas Armen hoch auf seine Schulter und reckte sich dort, wobei er es nicht unterlassen konnte seine Schwanzspitze in einem eleganten Schwung um Lucas Hals zu schlingen und ihm dabei beiläufig mit der Quaste einen Nasenstüber zu geben.

„Das musste sein, oder?“, fragte Luca gereizt.

Tam hob eine Braue und schwieg dazu.

Dann hüpfte er in den Sattel und stieß sich unelegant ab.

Luca sah ihm lächelnd nach. Er liebte den kleinen Drachen sehr. Allein zuzusehen, wenn er seine kleinen Flügelchen ausbreitete und versuchte seinen dicken Wanst mit einigen schnellen Schlägen der Gravitation zu entreißen, mutete fast schon lächerlich an. Aber das was Luca an Nahrung verweigerte, nahm Tambren im Dreifachen zu sich. So wurde der Drachling immer runder und Luca sah seine Kleider an sich flattern wie Lumpen an einer Vogelscheuche.

Pass auf dich auf, Tammy, lass dich nicht entdecken, mein kleiner Freund, warnte Luca ihn noch einmal wortlos.

Das einzige was ihm antwortete war ein geistiges Zunge herausstrecken seines kleinen Drachen.

Mit leichter Sorge im Herzen und immer noch wackligen Knien ging er durch das Lager zu Orpheu hinüber.
 

Der Hauptmann hatte seine Stute abgesattelt und rieb ihr Fell mit einer rauen Wolldecke ab. Er hatte Luca mit sehr großer Sicherheit bemerkt, sprach ihn aber weder an, noch wendete er sich ihm zu.

„Ein einzelner Mann, wenige Meter hinter dem Lager und er hat Angst, Orpheu.“, berichtete Luca knapp.

„Bedeutet er Gefahr?“ fragte Orpheu. Seine Stimme klang gereizt, stellte der Magier beiläufig fest. Aber das interessierte Luca wenig.

„Jemand mit Angst im Herzen ist immer gefährlich, Orpheu. Aber das muss ich dir wohl kaum erklären.“ Luca lehnte sich mit dem Rücken an eine Felswand. Die Kälte des Steins machte ihm bewusst, dass die trügerische Sonne hier nicht die Kraft hatte zu wärmen.

Orpheu zögerte, nickte dann aber und fuhr mit seiner Arbeit fort. Seine braune Stute schnaubte leise. Auch sie war müde und sehnte sich nach dem heimatlichen Stall und einem vollen Hafersack. Ihr Fell hatte allen Glanz verloren und der Sattel rieb ihre Haut immer weiter auf. Orpheu hatte schon mehrfach das Pferd ausgewechselt. Seine Stute trug manchmal nur leichtes Gepäck, mal das Kochgeschirr oder Feldverpflegung.

Offenbar aber kannte das Tier diesen Weg durch die Berge zu gut. Sie wusste, dass es nicht mehr weit nach Hause war. Die letzten Tage würde sie auch noch treu ihren Herren tragen.

Orpheu streichelte liebevoll ihren Hals und schmiegte seine Wange in ihre Mähne.

Ross und Reiter waren eine Einheit. Luca wusste, dass Orpheu immer diese Stute mit sich nahm. In allen Schlachten trug sie ihn geduldig.

Die Freundschaft zwischen Elf und Tier war intensiv, bis auf die telepatische Verbindung vermutlich genauso stark wie die zwischen ihm und Tambren.

Er lächelte still in sich hinein. Wenn er ehrlich war mochte und bewunderte er Orpheu sehr. Respekt vor seiner Person, aber besonders vor seiner Persönlichkeit wahrte Luca immer.

Dennoch stritten sie oft über bestimmte Methoden und einigten sich immer auf die weiseste Lösung.

Es tat ihm fast leid diesen Mann verlassen zu müssen, denn in sich fand er einige freundschaftliche Gefühle für Orpheu.

„Gibst du mir ein oder zwei deiner Männer mit, wenn sich unser Verfolger in sein eigenes Lager verabschiedet?“ fragte Luca leise.

Orpheu sah ihn nun endlich an. „Wollt ihr wirklich selbst mitgehen, Lysander?“

Der Magier nickte. „Zum einen ist es von Vorteil wenn deine Männer unerkannt bleiben, und zum anderen kann ich dich auch mental zu Hilfe rufen, wenn wir in eine Falle geraten sollten.“

Orpheu klopfte seiner Stute sanft auf den Rücken. Das Pferd drehte den Kopf und stupste seinen Herren an. Ihr Schweif peitschte einmal durch die Luft.

„Was macht euch so sicher, dass er ein Beobachtungsposten ist?“ Der Hauptmann wendete sich Luca zu und sah ihn aus schmalen, schwarzen Mandelaugen an.

„Ein Posten wäre das logischste nach seinem Verhalten zu urteilen. Er unternimmt nichts außer uns zu folgen, Orpheu“, entgegnete Luca.

„Was nehmt ihr an ist hier? Ein feindliches Heerlager?“

Luca hob die Schultern. „Entweder das, oder es sind Rebellen. Vielleicht auch einfach nur ein verängstigter Trupp der Dörfler aus den umliegenden Ortschaften, durch die wir kamen. Ich weiß es nicht.“

Orpheu löste sich von seinem Tier und schritt durch das Lager. Er erwartete dass Luca ihm folgte. Der Magier stieß sich auch von der Wand ab und schloss zu ihm auf.

„Warum fangt ihr ihn nicht ein, Magier? Ihr seid doch begabt darin wenig Schaden anzurichten.“

Luca ignorierte die Spitze gegen sein pazifistisches Wesen. „Kaum, Orpheu. Wenn du denkst es ist klug aus einem verängstigten Mann Antworten zu pressen, wirst du nur eine Mauer des Schweigens antreffen.“

Nachdenklich nickte der Elf. „Wahrscheinlich habt ihr recht.“, murmelte er. „Und was, wenn er nur weiter hinter uns her läuft?“

Luca wiegte den Kopf. „Im Moment sind seine Chancen an unserem Heer vorbei zu kommen sehr gering. Wenn wir unser Nachtlager aufschlagen hat er eine Möglichkeit, oder wenn wir nicht mehr im Bereich dessen sind, was er als durch uns gefährdetes Gebiet ansieht.“

Orpheu nickte. „Wir werden auf der anderen Seite des Passes unser Nachtlager aufschlagen. So schlecht wie hier die Wege sind, werden wir sicher noch den ganzen Nachmittag zum Überschreiten des Gebirges brauchen.“

Er deutete den immer steiler ansteigenden Pfad hinauf.

„Was wenn sie uns hinter dem Pass erwarten? Es ist fast wie ein Tor. Wir können nur hintereinander und einzeln hindurch.“

Luca senkte den Blick, während er über die Beine eines Söldners stieg, der sich einfach nur auf dem nackten Boden ausgestreckt hatte und eingeschlafen war.

„Du hast zwar recht, dass sich diese Stelle für einen Hinterhalt eignen würde, aber von wie langer Hand müsste das geplant werden? Dann müssten unsere Gegner mehr sein als versprengte Truppen aus den Nordlanden und sie müssten mächtige Magier bei sich haben. Unser Verfolger lässt eher auf einem ziemlich dilettantischen Haufen schließen.“

„Das zeugt wieder von eurem grenzenlosen Hochmut, Lysander!“, zischte Orpheu wütend. „Ihr glaubt auch, alle Magier dieser Welt sind unfähig im Vergleich zu euch.“

Luca spürte dass Orpheu mit seiner Anschuldigung Recht hatte. Oft klang er unglaublich überheblich. Diese Selbstüberschätzung konnte nur daher kommen, dass er selbst noch jung für einen Meistermagier war; noch keine dreißig Jahre alt, aber von hohem Ordensrang, auf einer Stufe mit den Großmeistern anderer Orden.

Seine Auffassungsgabe war höher als die einfacher Menschen und weitaus schneller als die der Elfen, deren endloses Leben der Hauptgrund für ihr langsames Lernen war.

Im Alter von neun Jahren hatte der Orden ihn als jüngsten Lehrling aufgenommen. Wenig später, lernte er von Justin Musik, Gesang und Tanz, das Spiel mit Zaubern, Melodien und Bewegung, die Energie der Magie aus der Lust und dem Verlangen heraus. Seine Rasse, sein Wesen, all das, was er immer so sorgsam in dem menschlichen Körper, den er als Gefängnis ansah, verbarg, waren der stärkste Antrieb. Die natürliche Magie der Seraphin gab ihm zusätzliche Kraft alles zu erreichen.

Aber der Preis war Einsamkeit, falscher Stolz und verbohrte Eitelkeit.

„Du hast recht, verzeih.“, sagte er leise. Er bedauerte wirklich zutiefst wieder einmal über die Strenge geschlagen zu haben.

„Manchmal glaube ich einen kleinen Jungen vor mir zu haben.“, knurrte Orpheu.

Luca ließ diese Worte klaglos zu. Der Hauptmann war alt, erfahren und weise. Er hatte Recht.

Dann hob Luca den Blick und sah über das Lager.

Die Männer taten ihm leid. Viele lehnten an den Steilwänden und dösten, versuchten ihren Hunger und den bohrenden Durst zu vergessen. Andere versorgten ihre verwundeten Kameraden.

„Bald, in den Blutbergen, werden wir wieder jagen können. Da gibt es reichlich klarer, frischer Quellen.“

Überrascht wendete Orpheu den Blick zu Luca. „Ihr denkt an die anderen?“

Das Gefühl als habe der Elf ihm ein Messer in die Brust gerammt, machte sich in Lucas Herzen breit. „Solch ein Unmensch bin ich auch nicht, Orpheu.“, sagte er leise.

„Das ist wahr.“

Der Hauptmann blieb vor einem seiner Männer stehen. Gähnend blickte der Halbzwerg zu ihm auf und kratzte sich an seinem Bauch. Stechend grüne Augen richteten sich auf Luca. Thorn Rotbart konnte man mit fug und recht als einen der besten, aber auch der missmutigsten Krieger aus Orpheus Heer bezeichnen.

Seine Künste mit Äxten und Hämmern waren berühmt. Das wilde, von roten, verfilzten Haaren umrahmte Gesicht und die vielen Falten, die ihm das Leben und der Krieg in die blassen Züge geschnitten hatten, gaben ihm einen furchtbaren, harten und hasserfüllten Ausdruck. Obwohl er und Luca seit dem ersten Tag zusammen in Orpheus Heer dienten, konnte der Magier nicht zu dem Halbzwerg durchdringen.

„Was, Hauptmann?“, fragte er knapp, ließ aber Luca nicht aus den Augen.

„Wenn Meister Lysander es von dir verlangt, wirst du ihm Waffenhilfe leisten.“

Die Augen verengten sich und wurden zu lauernden Schlitzen. „Ja, Hauptmann.“

Er richtete sich weiter auf und zog ein Bein an den Oberkörper um sich mit dem Ellenbogen darauf abzustützen.

„Um was geht es, Meister?“, fragte er und blickte zu Luca.

Der Magier setzte sich Thorn gegenüber auf den Boden, die Beine untergeschlagen und den Mantel eng um seine Schultern geschlungen. Orpheu blieb ruhig hinter ihm stehen.

„Wir werden von einem einzelnen Mann verfolgt. Er ist schon den ganzen Vormittag hinter uns her. Aber ich denke, er ist keine ernstliche Gefahr. Wenn er sich heute Nacht - oder wann immer - von unserem Tross verabschiedet, will ich ihm dort hin folgen wo er herkommt. Damit wissen wir, mit wem und mit was wir es zu tun haben.“

Thorn schnaubte und spie aus.

„Das können wir auch einfacher haben. Einfangen, foltern und er redet.“

Lucas Blick verdüsterte sich. „Dann sind wir nicht besser als die, gegen die wir kämpfen.“

„Ihr seid ein Träumer, Magier.“ Seine Stimme troff vor Verachtung. „Glaubt ihr, wir unterscheiden uns in irgendeiner Art von allen anderen Soldaten? Wir werden nur von einem anderen Herren besoldet.“

Einige Sekunden schwieg Luca, dann flüsterte er: „Ich weiß, dass du nicht anders bist, Thorn, aber ich unterscheide mich davon. Und auf diesen Unterschied lege ich recht großen Wert. Meine Hände müssen sich nicht blutrot färben.“ Sein Tonfall war kalt.

Thorn lachte humorlos auf. „Mit euch kann man auch keinen Krieg gewinnen. Krieg heißt töten, sonst wird man selbst getötet.“

„Das mag dir so vorkommen, Thorn. Krieg heißt die Macht- und Geldgier einer oder mehrerer Personen zu befriedigen und das über viele schuldige und unschuldige Leben hinweg.“

„Warum seid ihr dann ein Kriegsmagier geworden, Lysander?“ fragte Thorn nun ehrlich verwirrt.

„Weil ich als Kind kaum gefragt wurde, was mir für mein Leben vorschwebt.“, antwortete Luca nun wesentlich weniger zornig. Er atmete tief durch. Der Blick des Zwerges flackerte etwas. Scheinbar dachte er darüber nach, dass Luca nicht als Magier geboren worden war und vielleicht eine für ihn völlig verwirrende und befremdliche Kindheit und Jugend gehabt hatte. Der Mann, den so viele im Lager nicht mochten und schon gar nicht verstanden, hatte sein Schicksal nicht selbst gewählt.

„Ich war zu persönlich“, gestand Thorn. „Vergebt mir, Meister.“

Luca sah ihn still an, zog die Knie an den Leib und umschlang sie mit seinen Armen.

„Kannst du mir versprechen vorerst keine Gewalt einzusetzen, Thorn?“, fragte Luca. In seine Stimme kehrten wieder sein Gleichmut und seine Ruhe ein.

Thorn nickte knapp. „Ich will es so tun, Meister. Also verfügt über mich.“

„Danke“, murmelte Luca und erhob sich.

Reglos blieb er stehen und hörte in sich hinein. Tambrens leises, geistiges Zupfen hätte er fast nicht bemerkt.

„Was habt ihr, Lysander?“ fragte Thorn nun alarmiert.

Doch bevor er sich aus seiner sitzenden Position erheben konnte, winkte Luca rasch ab. „Warte, still...“, bat er ihn.

Thorn verharrte reglos, lauschte nun aber auch. Außer den Gesprächsfetzen und lautem Schnarchen trug der Wind nur noch das Atmen der Tiere mit sich.

Luca schloss die Augen und konzentrierte sich auf Tambrens Geist.

Der Drachling übermittelte ihm den fast körperlich wahrnehmbaren Gestank wilder Angst, Panik die bereit war Dummheiten zu machen. Bruchstückhaft Erinnerungen, Wissen und Imaginationen eines anderen Menschen drangen zu Luca. Wirre Eindrücke einer Höhle, eines recht gewaltigen Felsdoms brachen sich mit Szenen von Folter, Gier und unbändigem Hass, der sich in Blutorgien erging, sowie der panischen Angst vor Entdeckung und einem verwahrlosten Haufen von Kriegern.

Luca hob die Lider.

„Ein Gefangenenlager. Das ist es.“, flüsterte er. „Hier oben gibt es in einer der Höhlen ein Gefangenenlager, und wir sind so nah daran, dass er eine Entdeckung durch uns fürchten muss.“

Thorn stand nun doch auf. „Gegner?“, fragte er leise.

Luca senkte den Kopf und sah zu Thorn herab, der ihm gerade bis zur Brust reichte.

„Gegner haben wir zu erwarten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es ein Gefangenlager der Stämme aus dem Norden, oder ob es eines der Kaiserlichen ist.“

„Kann eure Flugechse nicht feststellen, wie der Kerl aussieht?“ fragte Thorn, der sich offenbar zusammenreimen konnte, dass Luca seinen Drachling genutzt hatte um den Beobachter auszuspähen.

„Er ist unsichtbar. Gedanken sind oft keiner festen Sprache zugeordnet, sondern eher eine Abfolge von Eindrücken und Bildern. So nehme ich sie auch über Tambren wahr.“

„Sagt eurem Drachenvieh, dass es sich vielleicht noch mal bemühen soll, Eindrücke des Lagers genauer zu definieren, vielleicht auch von denen, die Gefangene, beziehungsweise denen, die Wächter sind.“

Luca ignorierte die Spitze gegen Tam, unterließ es aber auch die volle Wortwahl an seinen Vertrauten weiter zu geben. Ihm stand wenig der Sinn nach einem Hin und Her über ihn als Mittler.

Der kleine Drache gab sich offenbar noch mehr Mühe so viele Informationen zu sammeln wie es ihm nur irgend möglich war.

Bilder von schimmeligen Felswänden wurden deutlicher, flackernder Fackelschein, verzerrte Schattenbilder an den Wänden, pendelnde Ketten und Haken, rostige Gitterstäbe und verkrustete Blutrinnen im Boden.

Das Bild einer Person nahm immer mehr Gestalt an, hervorgezerrt aus den Tiefen einer halb verdrängten Erinnerung, die immer noch mit schwarzen Spinnenfingern versuchte das Szenario zurückzureißen.

Doch dann, für einen schrecklichen Moment, nahm alles klare Formen an.

Es war ein einzelner Mann, nackt bis auf die Hose, die vor Schmutz und Blut starrte. In einer Hand hielt er eine Kette mit einem feinen Haken daran und zog etwas, dass verdächtig an Gedärm erinnerte aus einem Körper heraus, durch eine einzige, kleine, offene Wunde.

Doch das Opfer war nicht tot.

Luca ballte die Fäuste, bis seine Nägel die Handballen aufrissen. Sein Kiefer presste sich mit ungeheuerer Gewalt zusammen und seine Zähne drohten kurz der Spannung nicht stand zu halten. Dann verschloss er seinen Geist. Die Verbindung zu Tambren war da, aber er wollte diese Bilder nicht mehr sehen. Keuchend entspannte er sich. Alles in ihm musste sich verkrampft haben. Selbst sein Herz und sein Magen schienen ihm hart wie Steine.

Langsam kehrte um ihn wieder das Bild des Heerlagers zurück, immer noch durchbrochen von wirren Lichtblitzen, die Überreste seiner Vision waren.

„Was habt ihr gesehen, Lysander?“, fragte Thorn nervös.

„Eine Folterkammer.“, flüsterte Luca. Er spürte, dass er weder seine Mimik noch seine Stimme unter Kontrolle hatte. Alles an ihm schwang mit der Woge an Ekel und Zorn, aber auch hilfloser Fassungslosigkeit.

„Sind es unsere Feinde?“

Thorns kaum verhohlene Vorfreude regte wieder neue Wut in Luca an.

„Ich kann es dir nicht sagen.“, flüsterte er tonlos.

Er hatte erkennen können, dass es sich nicht um einen Mann aus den Nordlanden handelte, sondern um einen Sarriner. Aber er bezweifelte auch, dass dieses Gefangenenlager im Sinne des Kaisers war, auch wenn es sich an den Landesgrenzen befand.

Einmal mehr wünschte er sich nichts von diesen sinnlosen Kriegen wissen zu müssen und wohlbehütet von Prinz Mesalla in seiner Heimatstadt Valvermont zu leben. Doch allein das Wissen, dass Mesalla Valvermont und die Grenzen der Freistadt zwar frei von allen Kriegen hielt, aber mit seinen fünf Magier-Orden andere Reiche unterstütze, gab dem Bild des Friedens einen bösen Riss.

„Wenn es welche von unseren Leuten sind...“, begann Thorn, verstummte aber als Orpheu näher trat.

„Lysander, was habt ihr gesehen?“

Der Magier drehte sich um und ergriff Orpheu am Arm. „Ich muss mit dir reden, Hauptmann.“
 

Der Blick Orpheus ging durch Luca hindurch. Lange starrte er einen imaginären Punkt, jenseits der Brust des Magiers und der Felsen hinter seinem Rücken an. Beide wusste, dass die Angst, die ihr Verfolger hatte - von seinen eigenen Leuten entdeckt zu werden - nur einen Schluss zuließ. Es waren Renegaten und das Lager hatte nicht die kaiserliche Zustimmung.

„Wisst ihr, wer die Gefangenen sind, Lysander?“

Der Magier schüttelte den Kopf. „Nein.“, sagte er dennoch bekräftigend. „Ich will es auch gar nicht wissen. Solche Methoden sind grausam. Das kann nicht im Sinn des Kaisers liegen.“

Orpheu nickte schwer. „Das sind Wege, die allem wiedersprechen, was mein Herrscher je gelebt hat. Gefangenenlager schön und gut, bis vor kurzem war Kampfhandlungen und der Krieg ist sicher nicht auf lange vorüber, aber das ändert nicht viel daran, dass das einfach nur eine vollkommen kranke Form des Abschlachtens ist. Das sind Tiere.“

Luca atmete tief durch und bestätigte Orpheu.

„Ich weiß nicht, wo der Eingang zu diesen Höhlen ist, wo sich das Lager genau befindet, aber ich bin allemal dagegen, dass ihr euch allein mit Thorn auf die Suche begebt.“, sagte Orpheu.

Luca legte nachdenklich den Kopf in den Nacken und starrte in den wolkenlosen Himmel.

Tam, mein Kleiner, kannst du aus seinem Geist herausfinden, wo der Zugang des Lagers ist? fragte Luca wortlos.

Die Rückantwort erging sich in einem einzelnen Bild.

Felswände ragten an diese Stelle auf, allerdings wuchs auch schon die erste spärliche Form von Vegetation aus den Ritzen der Steine und Moos überwucherte einige Stellen.

Der Magier konnte sich zurzeit keine genaue Vorstellung davon machen, wo dieser Ort war. Es blieb ihm wenig anderes, als Tambren ein weiteres Mal um Hilfe zu bitten.

Suche diesen Ort, Tammy. Bitte, mein Freund.

Der Drachling gehorchte ohne Wiederworte zu geben.

„Lysander?“

Orpheus Stimme drang von weit her an Lucas Ohr. Verwirrt blickte der Magier in die schwarzen Elfenaugen. „Tambren sucht den Zugang. Ich glaube, wir sollten nicht erst warten, bis unser Verfolger die Initiative ergreift.“

Der Hauptmann nickte. „Gut. Dann sollten wir auch wieder aufbrechen. Das lange Lagern macht es zu schwer wieder in den Sattel zu steigen.“
 

Allein der Gedanke wieder im Sattel sitzen zu müssen, machten ihm das Aufsteigen schwerer. Unwillkürlich schmerzten ihm Rücken und Gesäß. Er hasste es wirklich immer wieder gegen seine Natur zu handeln. Dennoch zog er sich müde in seinen Sattel und ließ das Schattenpferd antraben.

Vor ihm formierte sich das Heer erneut. Die Ausgeruhtesten übernahmen die Spitze und den Schluss, während die Verwundeten in die Mitte genommen wurden.

Mit ihnen setzte sich auch ihr Verfolger wieder in Bewegung. Luca strich ihn aus seinem Kopf. Das was er für einen kurzen Augenblick gesehen hatte, sagte ihm, dass dieser Mann von Grund auf verdorben sein musste. Er wollte im Moment keinen Gedanken daran verschwenden. Anstatt dessen verfing er sich erneut in düsteren Grübeleien über den Orden und Justin. Ihad würde Luca sicher zur Rechenschaft ziehen wollen, wenn er sogar dem Ordensleben den Rücken kehrte. Allerdings würde es nicht schwer sein den Namen Lysander abzulegen und wieder als Luca ein freies Leben zu führen. Nur wer war er außerhalb des Ordens? Ein Nichts. Einen wirklichen Familiennamen besaß er nicht mehr. Luca war alles was ihm gelassen wurde. Sein Heim war das der Armen und Vergessenen, tief verborgen in der Dunkelheit des Labyrinthes.

Er wollte ohnehin nach dem Elf suchen, sich vielleicht für immer von seiner Heimat und seiner Vergangenheit trennen. Allerdings machte Justin ihm große Sorgen. Er würde seinen Freund und Geliebten verraten, auf der Suche nach dem Mann, dem sein Herz wirklich gehörte.

Was wenn er diesen Mann fand, sich ihm aber nicht wirklich nähern konnte? Die Vorstellung dass sie niemals miteinander sprechen würden, oder schlimmer, sie Freundschaft verband – tiefe, brüderliche Freundschaft – aber er dem Elf niemals seine Gefühle sagen und zeigen zu dürfte, erschütterte ihn zutiefst.

Die Scherben seines Daseins machten ihm ein weiteres Mal klar, dass - wenn er sich auf die Suche machte - er alles für eine vollkommen ungewisse Zukunft aufgab.

Justins Güte aber hatte er nun lange genug ausgenutzt, seine Liebe genommen und ihm nur Freundschaft und seinen Körper gegeben. Aber er genoss auch die Wärme und Zärtlichkeit des VampirElf. Er war ihm immer Schutz und Liebhaber gewesen. Justin scheute sich nicht davor Luca so zu nehmen wie er war. Er wusste, dass der Magier ihn nicht liebte und Luca ließ auch nie eine Sekunde Zweifel daran, dass er sich nicht in ihn verlieben konnte. Aber nun hatten sich die Vorzeichen geändert. Das angenehme, vertraute Verhältnis stand unter dem Schatten dessen, was kommen würde. Er fühlte sich wie ein Verräter an seinem treusten Freund.

Wie Justin reagieren würde, konnte Luca sich in mehreren Richtungen ausmalen. Sie kannten einander sehr gut, und so sanft und liebevoll der Vampir sein konnte, so brutal und grausam zeigte er sich oft Luca gegenüber. Zwei Seelen wohnten in Justins Brust und die anstehende Entscheidung würde sicher kein Verständnis zur Folge haben.

Schon mehrfach im Verlauf ihrer gemeinsamen Jahre hatte Luca andere Gefährten gehabt. Justin hatte sie ertragen, akzeptierte sie aber nicht. Er alleine besaß Luca und war es der das Herz des Magiers für sich in Anspruch nahm.

Seine Gedanken umwölkten sich zusehends mit Melancholie und Finsternis.

In seiner Vorstellung Justin ergriff ihn mehrfach und zwang ihn an seiner Seite zu bleiben, war bereit ihn einzusperren und zu zwingen sein Bett zu teilen. Das hatte er schon einmal getan, fast im gleichen Zug wie sein anderer Liebhaber. Luca kannte ihn aber auch vollkommen anders, verträumt, überschwänglich, die Liebe in reinster Form, Gestalt geworden und wunderbar. Normal zog er es vor von diesem Justin zu denken und wenn er über ihn sprach, war es der Heilige, nicht das Monster.

Dieser Mann, verflucht zu ewiger Nacht, war das Herz des Labyrinthes, dunkel und gefangen, krank in Seele und Geist, aber dennoch bereit für alle, die sich ihm anvertrauten, der Engel zu sein, der ihnen Hoffnung gab.

Luca wusste, dass er einen beträchtlichen Teil an Finsternis in Justins Herz gezwungen hatte, aber zugleich war er es auch, der Justins Liebe weckte.

Seine hoffnungslosen, schmerzlichen Gedanken lenkten ihn so sehr ab, dass er Tambren erst bemerkte, als dieser auf seiner Schulter landete. Schmerzhaft machte sich das Gewicht des Drachlings bemerkbar.

„Du hast mich gar nicht wahr genommen!“, zischte Tam. „Wäre ich ein hungriger Greif gewesen, wärest du nun...“

„Erspar’ dir die Ausführungen Tammy. Der Greif hätte sich an meinen spitzen Knochen bestenfalls verschluckt.“

Tambren krabbelte nun langsam über Lucas Schulter hinab und rollte sich im Schoß des Magiers zusammen. Nachdem er sich mehrfach erneut platziert hatte, gähnte er herzhaft und schloss die Augen.

„Ich habe den Eingang gefunden.“, erwähnte er beiläufig und schmatzte danach leicht.

Luca hob eine Braue. „Und, wo ist er?“

„Auf der anderen Seite des Passes, wenn der Berg abfällt, auf der vom Weg abgewandten Seite.“

Tambren machte den Eindruck gerade wegdämmern zu wollen.

„Weiß Orpheu schon davon?“ fragte Luca nach.

„Da du mir nicht zugehört hattest, musste ich ja mit jemand reden. Da war der schwarze Elf der Passende, dachte ich mir so...“

In seiner Stimme schwang wieder beißender Hohn mit.

Luca hielt ihm wortlos die Schnauze zu. Er wollte nicht ständig von Tambren Strafpredigten hören. Nach einigen Sekunden sagte er: „Ich weiß es. Du musst mir nicht ständig klar machen, dass ich nicht mit Leib und Seele bei der Sache bin. Das bin ich nie, zumindest nicht, wenn es um das Töten geht!“

Tam wollte etwas erwidern, aber Luca hielt bei ihm immer noch beide Kiefer aufeinander gepresst.

„Hat Orpheu schon einen Plan?“ fragte der Magier um das Thema wieder umzulenken.

Die Antwort verstand Luca nur mental.

Wenn du meine Schnauze frei gibst, kann ich auch antworten!

„Verzeih mir.“, sagte er leise und nahm die Finger weg.

„Scheinbar die direkte Methode: hineinstürmen - einnehmen - befreien.“ Tam sprach mit ihm ohne Luca den Kopf zuzuwenden. Er wollte den Magier spüre lassen, dass er beleidigt war.

„Völlig sinnloses Gemetzel also.“, brachte Luca es auf den Punkt.

„Willst du ihn von etwas anderem überzeugen?“

„Ich weiß nicht ob ich das kann. Aber ich denke mal, wenn wir einfallen wie ein Heuschreckenschwarm, wird es Konsequenzen haben, die sich Orpheu nicht überlegt hat. Vermutlich werden in dem näheren Umkreis des Eingangs mehr Wachen herumstreunen und damit ist die Gefahr, dass den Gefangenen im Vorfeld etwas passiert recht hoch, genau wie die Tatsache dass unsere Gegner so kämpfen werden, als hätten sie nichts zu verlieren. Das haben sie auch letzten Endes nicht mehr. Wenn uns ihre Gesichter bekannt sind, werden sie nie wieder ein normales Leben führen können.“

„Sag du ihm das, Luca. Er wird vielleicht auf Dich hören.“

Der Magier schwieg nachdenklich, rieb sich dabei ohne es zu merken den schmerzenden Rücken und versuchte sich anders im Sattel zu positionieren. Das Ergebnis waren nur noch größere Schmerzen.

Leider kam er an dem Tross nicht vorüber. Die Männer ritten zu dicht an dem steil abfallenden Grat.

Ihm blieb wieder nur die Methode mit Hilfe von Magie Kontakt zu Orpheu aufzunehmen. Aber der Hauptmann konnte ihm auf diesem Wege nicht antworten.

„Fliegst du bitte vor zu ihm, Tam?“ bat Luca leise.

Der Drachenkopf hob sich und die Goldaugen Tambrens richteten sich auf Luca. Er schien etwas entgegnen zu wollen, aber er beließ es bei einem anklagenden Blick, bevor er sich wieder sehr unelegant in die Lüfte erhob.

Der Disput zwischen Orpheu und Tambren war kurz. Ganz offensichtlich hatte der Hauptmann wirklich Lucas Bedenken durchdacht und er forderte ihn auf mit ihm zu reden, allerdings erst auf der anderen Seite des Passes, wenn sie Platz für ein Lager hatten. Luca nahm das hin, machte sich aber auf dem ganzen Weg ziemliche Gedanken darüber, wie sie ungesehen diese Folterkammer betreten konnten.

Anhand dessen, was Tambren ihm an Bildern übermittelt hatte, konnte Luca wenigstens eine grobe Einschätzung des Geländes geben und dass es wenig bis gar keine Deckung gab, außer man machte sich unsichtbar. Aber Luca konnte kein ganzes Heer mit diesem Zauber belegen.

An sich sah er diese Lösung auch als vollkommen unsinnig an. Der beste Weg war, eine Gruppe besonders guter und geschickter Söldner auszuwählen, die ihn dort hin begleiteten.

Aber das musste er in Ruhe mit Orpheu besprechen.
 

Die Sonne sank bereits, als sie endlich einen geeigneten Rastplatz fanden. Während sich die Söldner in gewohnter Routine an den Aufbau des Lagers machten, sattelte Luca das Geistertier ab und ließ es mit dem letzten Licht im aufziehenden Abendwind vergehen. Allerdings konzentrierte er sich die ganze Zeit hindurch auf den Mann, der ihnen den ganzen Tag hindurch gefolgt war. Noch immer verbarg er sich in der Nähe. Luca konnte seine Position genau lokalisieren. Dennoch vermied er einen fixierten Blick in die Richtung der Felsengruppe, hinter der er lauerte. Der Magier hatte über Jahre hin gelernt, dass es immer gut war sich unauffällig zu verhalten, besonders in Gegenwart von Feinden.

Still sammelte er seine Sachen vom Boden auf, Sattel, die Taschen, den Rucksack und die Schlafrolle.

Tambren hatte sich dazu entschieden Luca ausnahmsweise mal nicht im Wege zu sein und lief neben ihm auf seinen breiten Hinterpfoten her. „Soll ich dir etwas abnehmen, Luca?“, fragte er und reckte sich so weit, dass er seinem Herren bis zu den Knien reichte. Der Magier lächelte gutmütig und schüttelte den Kopf.

„Nein, mein lieber Freund, diese Belastungen kann ich Dir wohl kaum zumuten.“

Tambren zuckte mit den Schultern. Diese Geste war wieder eine Spiegelung menschlicher Verhaltensweisen. Er hatte rein gar nichts mehr von den kleinen Zauberdrachen.

Langsam ging der Magier weiter, damit Tam, der für einen Schritt Lucas fünf oder sechs kleine Trippelschrittchen machen musste, hinterher kam.

Auf halbem Wege kam ihnen bereits Orpheu entgegen.

Er hatte sein Tier bereits abgeschirrt und versorgt.

„Nun, Magiermeister?“ Er sah Luca auffordernd an, als erwarte er, dass dieser einen Plan präsentiere.

Der junge Mann drückte ihm seinen Rucksack in die Arme und nickte ihm zu. „Danke dass du mir tragen hilfst.“

Über den wütenden, allerdings auch hilflosen Blick des Elf amüsierte sich Luca still. In solchen Situationen wusste Orpheu selten eine schlagfertige Antwort.

„Lass uns erst mal weiter gehen.“, bat Luca.

„Gut.“, stimmte Orpheu zu. „Und habt ihr eine Idee, einen Plan oder sonst etwas Brauchbares?“

Luca zuckte mit den Schultern. „Ein paar Leute nur, maximal ein Dutzend, sollten dabei sein. Und ich kann keine Schlächter gebrauchen, die plötzlich in einen Blutrausch verfallen.“

Er umging einige Männer, die gerade enger zusammen rückten und sich gegenseitig aus ihren Harnischen halfen; steuerte tiefer in den Kreis der Krieger und blieb in ihrem Zentrum stehen. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit ließ er dort seine Sachen zu Boden und schlug sein Lager auf.

Orpheu ahnte, dass der Magier einfach die Masse suchte um darin unterzutauchen. Allerdings fiel es Luca allgemein schwer unbemerkt zu bleiben. Er war größer als die anderen, insofern sie keine Elfen waren und er trug als einziger keine Rüstung sondern die grauen Ordensroben. Zudem hatte nur er solch langes Haar. Die Meisten vermieden Frisuren, die ihnen in einem Gefecht zum Nachteil gereichten.

Luca ließ sich an der Stelle, die er sich gesucht hatte, nieder und legte den Mantel ab. Vor ihm erhoben sich gerade einige Männer und sammelten sich um sich Verpflegung und Wasser zu holen.

Die Chance nutzte der Magier um unbemerkt seinen Mantel und die Robe über den Kopf zu streifen. Augenblicklich wurde es ihm kalt, nur mit Hemd und Hose bekleidet.

Orpheu beobachtete ihn.

„Was tut ihr da?“

„Wer ist der Auffälligste von uns allen?“, fragte Luca knapp.

Der Frage musste Orpheu nicht antworten. Er nickte nur still.

Dann nahm er seinen Mantel von den Schultern und legte ihn Luca um. „So sieht man euer Haar weniger.“, begründete er sein Tun mit hochgezogener Braue. Luca grinste schief. Orpheu hatte viel eher mitbekommen, dass Luca fror. Aber er nahm die Ausrede seines Hauptmannes gerne hin.

„Ein Dutzend?“, wiederholte Orpheu. „Ich werde dabei sein, Magier, seid euch dessen sicher.“

Luca hatte nichts anderes erwartet. Insgeheim war ihm das auch am liebsten, denn er kannte den beruhigenden Einfluss, den Orpheu auf seine Männer hatte.

„Gut, dann Thorn und noch ein paar andere. Aber sie dürfen keine Rüstungen tragen, die sie versehentlich verraten könnten. Auch keine gewaltigen Waffen, mit denen wir uns gegenseitig behindern. Am Besten wären Bögen, Armbrüste, Kurzschwerter und Dolche.“

Orpheu nickte. „Das hört sich nach einem Angriff an, der schnell und still vonstatten gehen soll.“

„Muss er auch. Wenn eine Wache auf der andern Seite des Passes stand, werden sicher hier noch etliche Posten mehr sein, vielleicht auch schon welche, die uns entdeckt haben. Wahrscheinlich sind die Männer dort in Alarmbereitschaft, aber wenn wir uns friedlich zeigen und uns normal verhalten, wird sie das in einer gewissen Sicherheit wiegen. Das ist unsere Chance unsichtbar mit einer kleinen Gruppe dort einzudringen und das Lager schnell zu übernehmen.“

„Einen solchen Plan hatte ich auch schon im Kopf, Lysander. Schön dass wir uns ausnahmsweise mal einig sind.“

„Wann also sollten wir uns auf den Weg machen?“, fragte der Magier.

„Wenn wir gestärkt und etwas ausgeruhter sind, denke ich. Darin stimmt ihr mir doch zu, oder?“

Luca betrachtete ihn eine Weile nachdenklich, durchdachte dabei den Stand der drei Monde, das Licht, dass sie ihnen auf dem Weg spendeten und die Möglichkeit für sich zuvor die Gegend magisch zu erkunden.

Er nickte leicht. „Bevor die Monde aufgehen, sollte ich die Krieger unsichtbar machen. Dann ist die Sicht unseres Verfolgers weitestgehend eingeschränkt.“

Luca erkannte den Denkfehler, den er gemacht hatte, im gleichen Moment in der er ihn aussprach. Allerdings noch bevor er sich revidieren konnte, unterbrach der Hauptmann ihn.

„Was wenn unser Verfolger so menschlich ist wie ich oder ein Zwerg? Wir können in der Finsternis sehen.“

Luca nickte. „Das ist mir auch gerade erst eingefallen.“, sagte er mit einigem Ärger in der Stimme. „Es wird sich eine Möglichkeit finden unauffällig aus unserem Lager zu verschwinden. Darüber kann ich mir in der nächsten Zeit ja Gedanken machen.“

Orpheu lächelte. „Gut. Wir sammeln uns zum Aufbruch bei euch, Magier. Unsere Bewaffnung wird leicht sein. Was immer uns erwartet, euer Drache wird die Gefahren doch sicher vorher für uns ausspähen, oder?“ Sein Blick glitt zu Tambren, der zusammengerollt auf Lucas Schlafrolle lag und zumindest so tat als würde er dösen. Nun, wo der Elf ihn direkt angesprochen hatte, hob er ein Augenlid und seine goldene Pupille fixierte Orpheus schönes und ebenmäßiges Elfengesicht.

„Lysanders Drache“, erwiderte er spitz. „- will erst nett gebeten werden und nimmt nur Befehle von seinem Meister an, klar?“

Der Elf verzog die Lippen. „So klein und so frech? Ihr habt euren Vertrauten nicht gut im Griff, Magier.“

Luca zog ärgerlich die Brauen zusammen, entspannte sich dann aber. „Ich habe auch meinen Hauptmann nicht gut im Griff, Orpheu. Letztlich bin ich ranghöher als du. Aber ich lasse dir die Freiheiten deine Männer zu führen wie du es willst. Dasselbe gewähre ich auch Tambren. Er ist intelligent und kann tun und lassen, was ihm gefällt.“

Die Augen des Elfes verengten sich zu schwarzen Schlitzen. Er hasste es wenn Luca ihn daran erinnerte. Zumeist fühlte er sich in seinem Rang unumstößlich als Befehlshaber. In manchen Situationen allerdings spielte Luca diese Karte gegen ihn aus.

Er erhob sich nun und verabschiedete sich für den Moment von dem Magier.

Für Lucas Geschmack war der Aufbruch zu schnell und hektisch, Orpheus Miene zu angespannt und die Wut in seinen Augen unübersehbar.

Der junge Mann wollte sich nicht entschuldigen, nicht dafür. Er hatte lediglich die Positionen verdeutlicht, nichts sonst.

„Wir kommen später zu euch, Lysander. Bis dahin solltet ihr eure Kräfte sammeln und etwas zu euch nehmen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging.
 

„Danke.“, murmelte Tambren und sprang in Lucas Schoss. Die schmalen Finger des Magiers strichen über Kopf, Hals und Rücken des Drachlings und brachten ihn in Sekunden zum Schnurren. Luca genoss die friedfertigen und nahen, gefühlsintensiven Momente zwischen seinem Vertrauten und sich. Dann berührten ihre Seelen sich und wurden oft zu einer einzigen.

Tambren war die zweite Drachenechse, die er zur Seite gestellt bekam. Aber mehr als Goldy, Tambrens Schwester, stand ihm dieser blaue Drachling nah. Das junge Echsenwesen hatte sich eine unglaublich dunkle und schwermütige Seele zu seinem Partner erwählt. Das wussten sie beide, und Luca bewunderte die innere Stärke Tambrens, der ihm immer zur Seite stand und seine gesamten Sorgen und Ängste, alles Leid und den Schmerz mit ihm teilte. Alles was Luca belastete traf auch das kleine Wesen. Dennoch blieb er seinem Freund und Meister treu.

„Ich werde tun worum der Elf gebeten hatte, Luca,“, sagte Tammy leise. „Er hat Recht. Ich kann die Zeit nutzen um für dich zu kundschaften. Ihr solltet nicht einfach in die Arme einer Wache laufen.“

Luca streichelte Tambren weiter. „Danke mein kleiner Freund.“, flüsterte er. „Dieses Mal lasse ich mich nicht ablenken, versprochen.“

Der Drachenkopf hob sich und Tam sah Luca von unten herauf an. Dann sprang er von seinem Schoß herab auf den Stein und huschte zwischen den Männern hindurch in die Felsen. Luca verlor ihn schnell aus dem Blick. Seine Beine waren noch warm von dem kleinen geschuppten Drachenkörper und er spürte noch recht lange das ihm so vertraute und lieb gewordene Gewicht des Drachlings. Dann schloss er die Augen und konzentrierte seine Gedanken auf Tambrens Geist.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Anfang 2015 erscheint im Incubus-Verlag ein weiterer Roman der in Äos (der Welt von Night's End) spielt.

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