Zum Inhalt der Seite

Night's End

Der Wiedergänger
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

In der Falle

Die Höhle, in die Thorn ihn führte war ein unterirdisches Gewölbe, eine Kaverne, die – obwohl nah an der Ursprungsquelle des Flusses Anthys - schon hier eine starke Strömung und eine beachtliche Breite hatte, erleuchtet von den Fackeln und Laternen vieler Söldner aus Orpheus Heer. Luca ahnte - nein er wusste - bereits zuvor, was ihn dort unten erwartet. Der Gestank nach Fäulnis und Verwesung verschlug ihm bereits lange bevor sie diesen Ort erreichten, den Atem. Das bisschen Tee und Käse, dass er im Magen hatte, konnte er kaum bei sich behalten. Es kostete ihn einige Überwindung und noch mehr Kraft, diesen Anblick zu ertragen. Das hier war eine Art Beinhaus, wenn man dafür überhaupt eine noch so zivile Beschreibung wählen wollte. An sich ließ es sich nur so zusammenfassen, dass hier unzählbar viele Leichen in unterschiedlichen Verwesungszuständen lagen. Teils hatte der Fluss sie wohl fort getragen, andere bis auf die Knochen Blank gespült, wieder andere lagen als zur Unkenntlichkeit aufgeblähte Bälger im Wasser. Gleich wie, so hatten doch die Leichen dazu geführt, dass der unterirdische Fluss über die Ufer getreten war und sich einerseits staute, andererseits aber nun auch einen vielleicht einhundert Ellen messenden See gebildet hatte, der beharrlich stieg. Abfluss musste er immer noch haben, denn die Strömung war stark, aber das Wasser war das, mit dem Mano kochte, mit dem Luca und die ganzen Heiler Wunden versorgten.

Allein das Wissen sorgte bei Luca für einen tiefen Schock. Das erklärte auch das Aussehen der Wächter hier. Sie alle hatten etwas von Ghulen, schwammigen Leichenfressern. Und er war sich nun sehr sicher, dass sie sich über die Monate hin mit diesem Wasser von innen heraus vergiftet hatten.

Die Tatsache, dass die Leichen hier allerdings auch Verwundungen und Entstellungen trugen, entsetzliche Todesmasken in ihrer Mimik trugen, die darauf schließen lassen konnten, dass jemand sie im noch lebendigen zustand verstümmelt hatte, sie so zu Tode gequält, oder sie nah an den Rand dessen getrieben hatte und sie dann hier her gebracht wurden, um endgültig wie ein Waidwundes Tier zu verenden, ließ in Luca etwas zerbrechen. Darunter befanden sich Leichen von Kindern, denen jemand haken durch den Leib gebohrt und aneinander gekettet hatte, Körper, denen die Haut fehlte, wie sie schlicht von kochendem Wasser herabgebrüht worden war und Leiber denen diverse Knochen fehlten.

Luca klammerte sich an dem feucht schimmligen Fels fest, lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. Er hörte wie Orpheu sich von dem Bild abwendete und zu ihm hinüber schritt. „Was befehlt ihr, Lysander?“ fragte er. Seine Stimme bröckelte deutlich. Zum ersten Mal schien er erleichtert zu sein, keine Entscheidung fällen zu müssen.

„Das darf nicht nach oben dringen“, flüsterte Luca und zwang bei jedem Wort seinen Ekel und das Gefühl sich übergeben zu müssen, erneut nieder. Er hob die Lider und fühlte, wie seine Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Empfinden konnte er zu Zeit noch gar nichts. Das würde kommen, denn hier war das Grab tausender unerfüllter Träume und Wünsche. Momentan schob er es eher auf den immer erfolgloseren Kampf gegen sein Grauen und seinen Ekel.

„Die Leichen müssen hier aus dem Wasser. Sie vergiften es. Damit vergiften wir unsere Schützlinge und...“

Luca wurde es schwindelig und schwarz vor Augen. Im nächsten Moment fuhr er herum und übergab sich würgend, bis nur noch Galle hervor kam.

Orpheu stützte ihn, als der Magier sich zitternd aufrichtete und sofort drohte wieder auf die Knie herab zu sinken.

“Geht es, Lysander?“, fragte er führsorglich.

Der Magier deutete ein Nicken an, was ihn wieder schwindeln ließ. Er verfluchte sich für seinen gedankenlosen Automatismus in seinen Bewegungen. Allerdings war er im Moment auch dankbar, dass Tambren seine Gedanken vor ihm verbarg. Die Intensität dessen, was er an Emotionen auffing, würde Lucas Verstand zur Zeit nicht aushalten können. Dessen war sich der Magier nur zu sicher.

Orpheu nickte. „Verbrennen, oder?“

„Ja, ich denke die einzige Methode, die nur geringe Gefahren birgt.“

In Lucas Schädel baute sich ein gewaltiger Druck auf. Er spürte, wie sich in wenigen Augenblicken brennende, bohrende Kopfschmerzen bildeten.

„Aber wer soll das machen?“, fragte der Hauptmann besorgt nach. „Keiner meiner Männer könnte es.“

In Lucas Schläfen pochte jedes Wort Orpheus mit der Gewalt eines Paukenschlages.

„Nein,“, antwortete er mühsam. „das wird nicht eure Aufgabe sein, sondern die unserer Gefangenen. Sie sollen sehen, was sie getan haben. Sie sollen unter dem Ergebnis leiden!“ Tiefer Zorn bohrte sich nun seinen Weg und machte sich in der Schärfe seiner Worte und dem grellen Schmerz in seinem Kopf deutlich bemerkbar. „Deine Männer müssen sie überwachen, aber sie werden es tun. Sie sollen die Leichen aus dem Fluss bergen und ihnen die letzte Ruhe geben!“

„So viel wie dabei vonnöten wären können wir nicht unter Kontrolle halten.“, warf Orpheu ein.

„Mein Fluch wird sie unter Kontrolle halten, sogar ganz ohne Ketten und Waffen.“

Die Worte stieß er hervor als wolle er schon jetzt seine Ankündigung in die Tat umsetzen. „Sie werden nichts tun, sondern brav allen Anweisungen folgen!“

Luca schlug mit der Faust gegen die schmierige Felswand. Er brauchte den Schmerz um die tiefe seiner Wut in sich zu ersticken.

Dann sah er zu Orpheu. „Bitte lass nach anderen Möglichkeiten suchen unverseuchtes Wasser zu bekommen. Näher an der Quelle vielleicht.“

Der Hauptmann nickte. „Ich habe schon einige Männer los geschickt.“

„Gut.“, flüsterte Luca, sah sich aber erneut um. „Ihnen gegenüber ist es unfair. Sie haben sicher Freunde und Gefährten dort oben gehabt. Aber davon werden diese sicher nichts mehr erfahren. So wenig wie wir jemals erfahren werden, wer sie waren.“

„Aber es ist die weiseste Entscheidung, die ihr fällen konntet, Lysander.“, erwiderte Orpheu.

Luca hob kraftlos die Schultern und nahm einen weiteren Stich in seinem Schädel hin. Der Drachling schwieg verbissen. Normal hätte er sich schon mehrfach über eine solche Behandlung beschwert, aber dieses Mal traf ihn das Bild hier offenbar selbst viel zu sehr.

Luca nahm ihn von seiner Schulter in die Arme und sah in seinen großen Augen. „Du musst nicht hier bleiben, mein Kleiner“, flüsterte Luca. „Dich trifft das hier noch stärker als mich. Flieg zurück zu unserem gefiederten Freund.“

„Ich bleibe bei dir!“, beharrte der Drache dennoch stur. „Hier lasse ich dich nicht allein.“

Luca drückte ihn sanft an sich.

Ein unmenschlicher Aufschrei ließ Luca auffahren, zeitgleich wurde einer der Söldner am Arm von einem Bolzen getroffen.

Der Mann wurde durch die Wucht des Geschosses herumgerissen und taumelte. Es gelang ihm das Gleichgewicht wieder zu erlangen. Das war sein Tot. Ein zweiter Bolzen traf ihn in der Kehle. Ohne ein Geräusch kippte er zur Seite und blieb liegen.

Ohne einen weiteren kostbaren Moment zu verschwenden rief Orpheu seine Männer zum Rückzug. Hier, in dieser unübersichtlichen Höhle mit all den Leichen, die ihren Gegnern gute Deckung boten, konnten sie nicht gewinnen.

Noch während die Söldner sich rasch sammelten, ergingen Salven von Pfeilen und Bolzen über sie. Luca konnte von seiner Position lediglich für einen minderen Schutz seiner Gefährten sorgen. Die Nachhut der Krieger ging rückwärts, um nun ihrerseits dabei eine Salve nach der anderen gegen ihre schier unsichtbaren Feinde abzugeben und ihnen jede Chance zu nehmen noch einen weiteren Mann zu treffen. Jeder, der den Schutz des Felsentunnels erreicht hatte, gab nun sein Bestes, die Anderen zu unterstützen. Da sich die meisten von Orpheus Männern dicht an Luca vorüber drängten, konnte der junge Magier wenig zaubern. In seinen Worten und Gestiken dürfte er sich für einen erfolgreichen Zauber nicht stören lassen, aber allein die Entdeckung des Beinhauses hatte ihn schwer getroffen und machte ihm jeden Anlauf, sich auf den Kampf zu konzentrieren, schwer. Aber er bekam aber auf diesem Weg die Chance zu beobachten. Ihm fiel auf, dass die Salven ihrer Gegner nicht von dem jenseitigen Ufer kamen sondern aus der Masse der toten Körper heraus. Also waren einige der Toten gar nicht tot. Es gab eine Chance diese Männer aufzuscheuchen. Die Dunkelheit in der Höhle sorgte dafür, dass sich ihre Augen an das wenige Licht von Fackeln gewöhnt hatten, aber sie vermutlich automatisch erblindeten, wenn sie grellem Sonnenfeuer ausgesetzt waren.

Würde Luca über den Drachling seinen Gefährten eine Warnung zukommen lassen, wären sie vor der Helligkeit sicher und könnten im Anschluss einfach nur noch ihre Gegner einfangen.

Er sah zu Tammy, der sich auf seinem Arm reckte, um etwas besser sehen zu können. Der kleine Drache hatte im gleichen Moment den Gedanken seines Herren erfasst, in dem Luca ihn formuliert hatte und gab ihn an Orpheu weiter, der seine Männer fast schon automatisch informierte. Dieses System hatte sich im Lauf der letzten Jahre immer wieder bewährt.

„Wir geben noch drei Salven ab, Lysander“, flüsterte Orpheu. „Seid ihr dann mit eurem Zauber soweit?“

Luca nickte. Er würde die Sekunden für Vorbereitung und Maximierung des Zaubers brauchen. Ihm fehlte leider immer noch einige Konzentration. Dennoch versuchte er sich nun mehr denn je zu sammeln und alle Kräfte zusammenzurufen, die in ihm schlummerten.

Die letzt hinzugestoßenen Männer Orpheus duckten sich in den Schutz der Felsen und niederen, natürlichen Wälle.

Der Hauptmann nickte Luca zu und der Magier schloss die Lider. Hinter seiner Stirn formulierten sich die Worte des Zaubers bereits zu der Kanalisierung der Energie, bogen sie in eine neue, starke Form und zwangen sie zu etwas Gleißendem, dass sich aus Lucas Seele herausbahnte. Der junge Mann spürte dass der Zauber eine andere Form annehmen, als er ihm gestatten wollte. Alle Bemühungen ihn zurück zu zwingen scheiterten kläglich. Bevor er allerdings dieses machtvolle Brennen in sich verlor, was eindeutig gewaltiger als alles Sonnenfeuer dieser Welt war, gab er nach und ließ die Magie selbst die Form wählen.

Fast hilflos, wie ein unbeteiligter Beobachter, musste er zusehen wie sich grelle Energie aus ihm herauszwang. Es war weder schmerzhaft noch schlecht, aber er fühlte seine Kraft weichen. Stumm breitete er die Arme aus und ließ sich von dem Lichtsturm mitreißen.

Fr einen winzigen Moment spürte er eine gewaltige, verborgene Energie, die sich seit seiner Kindheit nicht mehr gezeigt hatte, anders als all das, was er über die letzten Jahrzehnte gelernt hatte und fremder, aber ihm dennoch warm und vertraut. Er begriff für einen winzigen Moment seine Bestimmung und Natur, nur um den Gedanken so schnell wieder zu verlieren, wie er gekommen war.

Das einzige, was ihm auf ewig in Erinnerung bleiben sollte war das tiefe Gefühl von Frieden, unendlichen Glücks und der vollkommenen Freiheit.

Durch seine geschlossenen Lider sah er ein solch helles Gleißen, dass es Sonne auf frischem Schnee noch übertraf. Er selbst glaubte fast sein Augenlicht zu verlieren. Aber zugleich schützte es ihn und die Männer um seine Person.

Aber dann war es vorüber. Die Woge der Kraft, die ihn mit sich gerissen hatte, ebbte ab und ließ ihn in kalter, feuchter Finsternis zurück, leerer und verzweifelter als zuvor. Und es gab keine gnädige Ohnmacht grenzenloser Erschöpfung, die ihn in ihre dunklen Arme schloss.
 

Ausgebrannt von dem gewaltigen Zauber taumelte Luca und fühlte wie starke Hände ihn auffingen, bevor er zu Boden sank. Schwindel und tosende Kopfschmerzen erwachten in ihm, als er mit dem Metall von Orpheus Rüstung in Kontakt kam. Seine Haut und sein Nackenhaar elektrisierten merklich. Er fuhr zusammen.

„Lysander!“, rief Orpheu alarmiert und wollte nachgreifen um seinem Kampfgefährten zu helfen. Luca zwang sich die Lider zu öffnen und wehrte sofort ab. „Lass!“, bat er ihn. Im Gleichen Moment glaubte er der Boden unter seinen Füßen würde beginnen zu bocken. Keuchend tastete er nach der Wand, zumindest dorthin, wo er sie vermutete und griff ins Leere. blutige Kreise und graues Flirren tanzten und flackerten vor seinen Augen. Es dauerte mehrere Sekunden bis sich sein Blick wieder so weit klärte, dass die Bilder zu seinen Gefährten und einer Höhle gerannen. Dann wurde ihm auch das Gewicht seines Freundes Tambren bewusst, der sich hilfesuchend wie ein Kind an ihn klammerte. Dem Drachling ging es deutlich schlecht und er brauchte Lucas Nähe und Wärme dringender denn je.

Wo immer er noch Kraftreserven fand, brachte er sie auf und zog seine gesammelte Energie für Tam zusammen um ihn fester an sich zu drücken und ihn in seinen Armen zu wärmen.

Die Schuppen des Drachlings klapperten leise vor Erschöpfung und binnen Sekunden dämmerte er weg in fiebrigen Schlaf.

Luca wusste dass er seinem Freund zu viel zugemutet hatte.

Er warf einen kurzen Blick in die Höhle hinein.

Dieses Mal war er nicht darauf vorbereitet gewesen was ihn erwartete. Die Gegner, die noch bei Bewusstsein waren saßen in einer Pose vollständiger Verwirrung und Hilflosigkeit inmitten ihrer Waffen. Einer von ihnen, ein scheußliches Exemplar Mensch mit ungesunder, gelber Haut, hielt seine Armbrust in den Händen ohne zu wissen, was er hatte, ließ sie achtlos fallen und schaute an sich herab. Dann wendete er den Kopf und fing hilflos an zu weinen. Luca glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Alle ehemaligen Wächter und Kerkermeister hatten entweder ihren Verstand verloren, oder das, was sich aus seiner Seele herausgebahnt hatte, musste jeden bösen Gedanken verbrannt haben, denn diese Männer waren nichts weiter als hilflose und naive Kinder, die sich vor den Kriegern Orpheus versteckten und zu weinen begannen, oder sich an den Händen nehmen und wegführen ließen. Sie schienen sogar das zu fürchten in dem sie bislang gelebt hatten. Im Moment wollte Luca darüber nicht genauer nachdenken müssen.

„Unheimlich!“, wisperte Orpheu tonlos und sah zu Luca. „Die Macht, die sich in euch verbirgt, ist furchtbarer als alle Schwerter dieser Welt, Lysander.“

Der Magier schwieg betroffen. War es so schrecklich, was sich in ihm befand? Für den Moment verschob er nur zu gerne den Zeitpunkt einer Diskussion mit Orpheu. „Die Brunnen“, lenkte Luca willentlich ab, „von denen wir Wasser beziehen kommen aus dieser Quelle, Orpheu. Bitte sorge dafür dass wir bald wieder reines Wasser haben. Eine Seuche können wir uns zu all den anderen Problemen, die wir im Moment haben, nicht auch noch leisten.“

Fassungslos starrte der Hauptmann Luca an, rang scheinbar nach einer Antwort, bekam aber keine Chance mehr dazu, denn der Magier wendete ihm den Rücken zu und ging ohne ein weiteres Wort.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Anfang 2015 erscheint im Incubus-Verlag ein weiterer Roman der in Äos (der Welt von Night's End) spielt.

Mehr zu meinen Projekten findet ihr auf Facebook und meinem Blog Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück