Zum Inhalt der Seite

Zeitstillstand

[Taoris]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eins

Seine dunklen Augen waren auf das Flimmern der Hitze gerichtet, das die trockene und dünne Luft sichtbar werden ließ. Irgendwo in der Ferne konnte er ein Geräusch hören, das er nicht so recht zuordnen konnte, das dem trostlosen, öden Anblick des Landes vor ihm wenigstens etwas Leben einhauchte. Der Schatten, der von dem widerspenstigen, zähen Baum gespendet wurde, war bei dem Wetter vielleicht ein kleiner Trost, aber letztendlich machte es eigentlich keinen großen Unterschied. Er spürte die feinen Schweißperlen auf seiner Stirn, schloss die Augen und fuhr sich mit der rechten Hand über die Stirn, sank an dem Stamm des Baumes herunter und drückte seine nackten Füße in die brüchige, fast sandige Erde. Ein lautloses Seufzen drang über seine trockenen Lippen.

Es war so furchtbar heiß.

Erneut hörte er ein tiefes Grollen. Er konnte hören, dass es weit genug weg war, aber dennoch führte es dazu, dass er eines seiner Augen öffnete und in den strahlend blauen Himmel, an dem nicht ansatzweise eine Wolke zu erkennen war, sah. Er konnte dieses heiße Wetter nicht leiden, es machte träge und müde und sorgte dafür, dass er die Lust an jeder Bewegung verlor.

Er schloss das Auge wieder, bewegte seinen rechten Fuß ein wenig und spürte den harten, brüchigen Boden unter seinen nackten Füßen. Es drang viel zu viel Helligkeit durch seine geschlossenen Lider, weswegen er seinen linken Arm hob und die Armbeuge über seine Augen legte. Er rutschte das letzte Stück an der Rinde herunter und schließlich lag auch sein Oberkörper auf dem Boden und dem stellenweise vertrockneten Gras, das sehnsüchtig auf den nächsten Regen wartete.

Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig und ruhig und er war gerade kurz davor in den Halbschlaf zu fallen, als er etwas an seiner Schulter spürte. Er verzog unbewusst die Lippen und tastete mit der Hand des Armes, der über seinem Gesicht lag, zu seiner Schulter. Seine Finger streiften etwas Weiches und im nächsten Moment schreckte er hoch und saß aufrecht auf dem Boden, hatte seine Augen aufgerissen und blickte zur Seite und genau in das Gesicht eines weißen Alpakas. Sein Herzschlag hatte durch den plötzlichen Schock zugenommen und als er das Tier und die Situation erkannte schnaubte er amüsiert. Das Tier, das ihn aus seinem Schlaf gerissen hatte, hatte wohl gerade Gefallen daran gefunden seinen Ärmel zu fressen; oder anzusabbern.

»Phueng«, machte er und seine Stimme war eine Mischung aus Überraschung und Amüsement. Er drehte sich etwas und hob den rechten Arm, legte seine Hand vorsichtig auf die Nüstern des Alpakas und streichelte über das Fell oberhalb der Nase. Er spürte den warmen Atem des Tieres und hörte ein kurzes, typisches Blöken.

»Was machst du denn hier?«, fragte er mit einer sanften Stimme, die er immer hatte, wenn er mit Tieren sprach. Oder mit Kindern.

Schade nur, dass das Tier ihm nicht antwortete, sondern den Kopf hob und Anstalten machte, seine schwarzen Haare anzukauen. Schade für das Alpaka, dass Tao schneller war und seinen Kopf wegzog und schließlich auf seinen Beinen, vor dem noch nicht ganz ausgewachsenen Tier, stand.

Tao streckte seine Hand aus und wollte eigentlich den Kopf des Tieres, das ungefähr auf seiner Brusthöhe war, streicheln, als Phueng sich bewegte und seinen Kopf gegen sein Bauch boxte. Er gab einen erschrockenen Laut von sich, stolperte einen Schritt nach hinten. »Hey«, beschwerte er sich glucksend und schlug dem Tier ohne irgendwelche Gewalt auf die Schnauze. »Außerdem glaube ich nicht, dass du hier sein solltest.«

Phueng betrachtete ihn verständnislos aus den großen, dunklen Augen und machte ein komisches Geräusch und Tao glaubte im nächsten Moment, dass es ihn anspucken wollte. Und genau aus diesem Grund trat er zur Seite, bemerkte dann aber, dass das Tier den Kopf senkte und das verdorrte Gras fraß, auf dem er eben noch gesessen hatte. Er betrachtete es einen Moment etwas skeptisch, lächelte dann flüchtig und legte seine Hand auf den Rücken des Alpakas, das erst vor gut einem Monat geschoren worden war. Was bei der Hitze des Sommers auch dringend notwendig war. Anders würden die Tiere hier elendig eingehen.

Etwas planlos sah er sich um, strich sich kurz durch die Haare, die ihm in die Stirn fielen und fragte sich, ob niemand aufgefallen war, dass Phueng sich von der Herde gelöst hatte. Offensichtlich nicht. Zum Glück war es nicht heute seine Aufgabe sich um die Tiere zu kümmern, er wollte sich gar nicht vorstellen, wie ätzend die Strafpredigt werden würde. Die Tiere waren wichtig, ihre Einnahmequelle, und es wäre schrecklich, wenn sie eines davon verlieren würden. Es reichte schon, dass sie letzten Monat zwei durch einen dieser Savannenschakale verloren hatten.

»Phueng«, fing er dann an und das Tier schien ihn geflissentlich zu ignorieren, »komm, ich bring dich zurück.« Keine Reaktion.

Tao seufzte, verpasste dem Alpaka einen Klaps gegen das Hinterteil und es hob empört den Kopf und sah ihn mit einem vorwurfsvollen und verurteilenden Blick an. »Los, stell dich nicht so an, deine Mutter vermisst dich sicher schon.«

Für einen Moment fragte er sich, wie sich seine Sprache für das Tier wohl anhören musste. So wie es ihn ansah wirkte es immer so, als würde es davon ausgehen, er würde es beleidigen. Nicht, dass er es über das Herz bringen würde Phueng ernsthaft zu beleidigen. Immerhin war es sein Lieblingsalpaka.

Und schließlich, mit etwas liebevoller Gewalt hatte er es geschafft Phueng dazu bringen zu können, ihm zu folgen. Seine Hand lag in dem Nacken des Wesens, das nur widerwillig neben ihm herlief und Tao hob die Hand, legte sie zum Schutz vor dem Sonnenlicht, an seine Augenbrauen, verengte die Augen etwas und betrachtete die karge Landschaft vor ihm.

Ihre Sommer waren heiß und lang und Wasser war in dieser Zeit nicht nur knapp, sondern auch viel zu teuer. Ein Glück, dass sie einen eigenen Brunnen besaßen, denn ihre Tiere mussten ja versorgt werden. Tao fragte sich schon gar nicht mehr, wer seiner Vorfahren auf die Idee gekommen war, sich diese dämliche Farm anzulachen. Aber vielleicht war das der einzige Grund irgendwie in der herrschenden Monarchie zu überleben. Wer sich keine Steuern leisten konnte, musste eben mit etwas anderem bezahlen. Wolle, Fleisch, Milch. Vermutlich war ihr Leben zwar stressig und voller Arbeit geprägt, aber dafür überlebten sie auch und das sogar mit nur wenigen Sorgen. Und das bedeutete hier einiges. Entweder man schwamm im Gold, oder man hatte keins davon. Etwas dazwischen gab es selten und vermutlich würde sich das in naher Zukunft auch nicht ändern. Und kein Gold bedeutete Sorgen, Stress und Ärger.

Das Tier hielt inne, Tao zog etwas am Nackenfell und schließlich lief es wieder mit ihm mit und er näherte sich der teilweise grasenden Herde. Vermutlich hatten sich die Tiere hier einfach schon an die Hitze der Luft gewöhnt und an das trockene Gras. Irgendwie bewundernswert. Tao schwitzte schon in seinen leichten, luftigen Klamotten.

Sie traten den anderen Alpakas langsam näher und Tao fragte sich, wo sein Onkel war, der eigentlich auf sie aufpassen sollte. Was normalerweise gar nicht so wirklich nötig war, weil die Tiere sich eigentlich nur in der Herde bewegten, aber es gab immer so ein paar kleine Ausreißer, wie Phueng, die immer ihren eigenen Auftritt brauchten.

Er gab dem Tier einen sanften Klaps und sah dabei zu wie es ein paar Schritte auf die Herde zu machte, dann jedoch wieder anhielt und ihn aus den großen Augen ansah. Tao beobachtete es aus den Augenwinkeln, während er sich zu dem nächsten, schattigen Platz begab, der aus einer kleinen Holzwand mit einer dürftigen Bedachung bestand und eigentlich für die Tiere gedacht war. Er war nicht irre genug um freiwillig in der Hitze stehen zu bleiben. Und schließlich trat Phueng wieder zu ihm und Tao fragte sich, ob sie vielleicht hoffnungslos in ihn verliebt war.

Er musterte das Tier nur einen kurzen Augenblick, berührte es diesmal nicht, sondern ging in die Hocke und betrachtete die anderen Tiere. Sah so aus als hätte er sich gerade selbst dazu verdonnert zu arbeiten. Wobei man das Aufpassen auf die Alpakas nicht unbedingt als Arbeit bezeichnen konnte. Das einzig Schlimme war der Gestank, der hier doch deutlich zu riechen war. Aber mit der Zeit gewöhnte man sich an solche Dinge, er nahm ihn schon gar nicht mehr bewusst wahr. Mit der Zeit gewöhnte man sich an alles, auch an die Tatsache dass man Durst hatte und vorerst nicht zum Trinken kam. Man gewöhnte seine nackten Füße an die Hitze und Unebenheit des Bodens und man gewöhnte sich daran, dass man sehen konnte, wie andere Menschen in ekligem Reichtum lebten, während man selbst für die eigene Existenz kämpfen musste. Irgendwann fand man sich damit ab. Die Zeit regelte alles.

Und Tao hatte genug Zeit.

»Hier stinkt es«, konnte er sich eine fremde, eindeutig männliche Person, beschweren hören. Und Tao musste die Person nicht sehen um zu wissen, dass sie vermutlich gerade ihre Nase rümpfte. Das war alles reine Routine, das passierte jeder Person, die zum ersten Mal hier war und sich an einem Ort aufhielt, wo die Herde meistens war und eben auch gewisse Ausscheidungen hinterließ.

Jedoch wusste er eigentlich nichts von einem Besuch. Kunden, Steuereintreiber oder was auch immer, kündigten sich eigentlich immer an. Und es wäre neu, wenn er etwas nicht mitbekommen würde; aber auch nicht unmöglich.

Er raffte sich schließlich auf und hörte einem Gespräch zu, das sich offensichtlich hinter der kleinen Holzmauer abspielte. Die Stimmen wurden von Augenblick zu Augenblick lauter und deswegen ging er davon aus, dass er gleich Besuch haben würde.

»Das ist bei solchen Tieren völlig normal, Eure Hoheit«, konnte er die Stimme seines Onkels hören.

»Vielleicht hab ich es mir doch anders überlegt«, hörte er die fremde Stimme sagen und Tao wollte wissen, wer zur Hölle das war. Denn die Bezeichnung ‚Eure Hoheit‘ hatte ihn etwas stutzig gemacht. Er wollte gerade um die Ecke der offenen Holzhütte, oder wie man es auch immer nennen wollte, gehen als er sofort inne hielt, weil er sonst mit einer Person kollidiert wäre, die von der anderen Seite kam.

Taos Reflexe waren gut und er trat sofort einen großen Schritt zurück und betrachtete die Person, deren Stimme er noch nie gehört hatte. Dafür kannte er das Gesicht. Mehr oder weniger. Zumindest gab es hier nicht viele Leute mit so hellen, fast goldenen Haaren. Er betrachtete die Gesichtszüge und die fast schon auffällig makellose Haut und bemerkte dann die zusammengezogenen, hellen Augenbrauen und den verständnislosen Blick, der ihm zugeworfen wurde.

Was machte so eine Person auf ihrer Farm? Er warf einen fragenden Blick in die Richtung seines Onkels und bemerkte noch eine Person, die er nicht kannte und vermutlich zu dem blonden, jungen Mann gehörte.

»Und wer bist du?«, wollte die Person mit einem Ton wissen, dessen Arroganz man förmlich greifen konnte.

Im ersten Moment hätte er am liebsten gesagt, dass er ein besonders attraktives Alpaka war, weil er Lust hatte ihm in sein hübsches Gesicht zu spucken, aber Tao war nicht lebensmüde. »Mein Name ist Tao«, stellte er sich mit gespielter Höflichkeit vor und verbeugte sich sogar. Gute Manieren besaß er durchaus. Und würde er die nun nicht anlegen, wollte er gar nicht wissen, wie sein Vater reagieren würde.

»Aha«, machte der junge Mann nur abwertend, desinteressiert und Tao versuchte ihn mit einem neutralen Gesichtsausdruck anzusehen. Ein herablassender Ton war für ihn nichts Neues und vielleicht war auch nur das der Grund, wieso er sich beherrschen konnte. Denn eigentlich war er eine Person, die auf einen gewissen Respekt bestand. Aber den konnte er hier wohl nicht erwarten.

Denn der Mann vor ihm war niemand anderes als der verwöhnte und offensichtlich arrogante Prinz ihres Königreiches. Tao hatte ihn noch nie persönlich gesehen und eigentlich hätte er nicht damit gerechnet, dass sich so eine feine Persönlichkeit auf ihre stinkende Farm trauen würde. Und seine Anwesenheit machte die Sache nicht besser, denn ihm würden nur negative Gründe einfallen, wieso sich diese Person hier blicken lassen sollte.

Tao verstand nicht, wieso man ihm nachsagte, dass er der geborene Drachenreiter, Drachenbezwinger oder was auch immer war, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass diese Person überhaupt in der Lage war sich morgens allein anzuziehen. Wie sollte er dann da mit Wesen wie Drachen umgehen können? Bestimmt war das nur ein Gerücht.

Taos Blick fiel auf den anderen, fremden Mann, der offensichtlich zu dem Prinzen gehörte. Das sah man an der Kleidung und an den Händen. Man brauchte kein geschultes Auge um die Hände eines Arbeiters und die Hände eines wohlhabenden Mannes zu unterscheiden.

Der blonde Mann setzte sich in Bewegung, trat an ihm vorbei und Tao hätte eigentlich damit gerechnet, dass er sich vorstellte, aber das hielt er wohl für überflüssig. Klar. Natürlich. Hier kannte ihn jeder. Aber dennoch hätte er mit dieser lächerlichen Höflichkeit gerechnet; vergebens.

»Seltsame Tiere«, sagte der Mann, der vor Phueng stehen geblieben war und dem Tier einen skeptischen Blick schenkte. Tao war sich nicht sicher, ob er tatsächlich skeptisch war, oder ob das einfach nur an der Form seiner Augenbrauen lag. Zumindest war er sich sicher, dass sein arrogantes Verhalten nicht an selbigen lag, aber dadurch durchaus noch unterstrichen wurde.

Seltsame Tiere. Das sagte ein Prinz, in dessen Schlosskeller Drachen wohnten. Was war an Alpakas bitteschön seltsam, wenn man jeden Tag gewaltige, feuerspeiende Bestien sah? Na, vielleicht war es die Einfältigkeit, die er nicht gewohnt war.

»Pass auf, sie spuckt gern«, warnte er den jungen Prinzen vor, der auf den – mehr oder weniger – klanghaften Namen „Kris“ hörte.

Kris schielte zu ihm und zog eine Augenbraue hoch. »Und aus welchem Grund sollte sie es wagen mich anzuspucken?« Er stellte die Frage so, als wäre es eine vollkommen abwegige Idee überhaupt auf den Gedanken zu kommen, ihn anspucken zu wollen.

»Sie ist ein besonders launiges Tier. Sie spuckt, wenn sie sich bedrängt oder in Gefahr fühlt.« Eigentlich waren Alpakas nicht unbedingt Tiere, die das oft taten – zumindest Menschen gegenüber. Und zum guten Glück bemerkte man sofort, wenn sie kurz davor waren einen anzuspucken, weil sie durchaus seltsame Geräusche machten. Also noch seltsamere Geräusche als ohnehin schon.

»Wenn sie mich anspuckt, wird sie als Drachenfressen enden.«

Tao zog seine Augenbrauen zusammen. »Das glaube ich nicht«, platzte es ihm mit einem kritischen, bestimmenden Ton heraus. Und genau diese Aussage führte dazu, dass Kris sich in seine Richtung drehte und ihm einen hochnäsigen, urteilenden Blick zuwarf und Tao bemerkte erst jetzt, dass der Junge ein paar Zentimeter größer war als er. Nicht, dass ihn irgendwas davon beeindrucken würde.

»Denkst du, es interessiert irgendjemand, was du glaubst oder nicht? Vielleicht weißt du nicht, wer vor dir steht, aber ich bin freundlich genug um dir klar zu machen, dass mein Wort das Gesetz ist und wenn ich möchte, dass sie meinem Drachen zum Fraß vorgeworfen wird, dann wird sie das auch. So einfach ist das.«

Taos Blick verfinsterte sich und er öffnete gerade den Mund, als sein Onkel das Wort ergriff. »Tao«, sagte er mahnend und automatisch schloss er den Mund wieder. Kris schenkte ihm ein schiefes, zynisches Grinsen und drehte sich wieder zu Phueng, die ein warnendes Blöken von sich gab.

»Vorsicht«, hörte Tao seinen Onkel sagen und auch Tao verstand, was hier gleich passieren würde. Und er streckte seine Hand nur aus, griff um den Oberarm des vorlauten Prinzen und zog ihn aus der Schussbahn, weil er nicht wollte, dass seine kleine, geliebte Phueng unter den launischen Urteilen eines Idioten mit zu viel Macht leiden musste.

Das Alpaka spuckte, verfehlte Kris nur durch Taos Einschreiten, dafür blieb der leicht grünliche Speichel jedoch auf der Stirn von Kris‘ Begleitung kleben.

Es war schwer keine Miene zu verziehen. Und zu seiner Überraschung konnte er ein kurzes, amüsiertes und tiefes Lachen von Kris hören, den Tao natürlich sofort wieder los gelassen und genug Abstand zwischen sie gebracht hatte.

Während sein Onkel panisch anfing sich zu entschuldigen und dem Mann den Speichel mit einem Tuch aus dem Gesicht wischte, drückte Tao seine Lippen aufeinander, trat zu Phueng und legte seine rechte Hand auf ihren Rücken.

»Ich will es haben«, sagte Kris dann und auf seinen Lippen lag ein schiefes Grinsen.

»Was?«, fragte Tao und glaubte sich verhört zu haben. »Sie steht nicht zum Verkauf.«

»Glaubst du wirklich ich rede hier vom Kaufen?«

Tao weitete seine Augen ein wenig, wollte gerade etwas sagen, als Kris weiter sprach. »Wie heißt sie?«

»Phueng«, antwortete Tao plump.

»Was für ein dämlicher, unpassender Name. Jetzt heißt sie Ace Junior.«

Tao wusste nicht ob er empört oder entsetzt sein sollte. Oder ob er lachen wollte, weil dieser Mensch einfach unfassbar war. Tao warf einen hilflosen Blick zu seinem Onkel und hoffte, dass ihm irgendjemand sagen würde, dass das hier nur ein dämlicher Scherz war.

»Sie heißt Phueng und sie steht nicht zum Verkauf«, sagte Tao noch einmal mit Nachdruck und so, als hätte Kris ihn missverstanden.

Der Prinz hob die Augenbrauen unbeeindruckt an. »Ich hab nicht vor euch Gold für das durchaus amüsierende Tier zu geben. Es sollte eher ein Geschenk der Dankbarkeit von euch sein.« Er machte eine leichte, wegwerfende Bewegung mit dem Kopf und Tao starrte ihn fassungslos an. Wie kackendreist konnte eine einzige Person sein?

»Natürlich, niemand würde Eure Wünsche in Frage stellen«, kam von seinem Onkel und Tao warf ihm einen unverständlichen, entsetzten Blick zu.

»Na, offensichtlich schon«, sagte er kühl und schenkte Tao einen Seitenblick.

»Sie gehört mir und ich sehe keinen Grund Euch irgendetwas zu schenken«, sagte er dann mit ruhiger Stimme, jedoch konnte man ihm anhören, dass ihn die Situation durchaus entsetzte. Er wollte sein Lieblingsalpaka nicht hergeben. Davon abgesehen waren das eh Herdentiere.

»Es interessiert mich nicht, ob sie dir gehört oder nicht. Jetzt gehört sie mir. Und keine Angst, ich werde sie nicht dem Drachen vorwerfen. Vorerst zumindest.«

Tao öffnete seinen Mund, holte schon Luft für seine zerstörende Antwort und spürte im nächsten Moment die Hand seines Onkels auf seinem Arm. »Lass gut sein«, sagte er mit einer leisen, gedämpften Stimme. »Widersprich ihm nicht.«

Tao blieb stumm, betrachtete das siegessichere Grinsen in dem Gesicht des Prinzen ihres Königreiches, und hatte Lust  es ihm zu zerkratzen. Oder ihm einfach seinen dreckigen Fuß in selbiges zu treten. Verdient hätte dieser arrogante Arsch es durchaus.

Aber er wusste, dass es nur Stress machen würde, wenn er nun widersprechen würde. Und er wollte nicht, dass seine Familie nur wegen seines störrischen Verhaltens Ärger mit dem Königshaus bekommen würde. Das konnten sie nicht gebrauchen.

Und trotzdem war es nicht fair. Weil Phueng ihm gehörte und weil das Tier seine Herde brauchte und nicht einen dämlichen Prinzen, dem man alles in den Arsch schob, wenn er mit etwas liebäugelte. Tao konnte sein perfektes Gesicht und das leichte, schiefe Grinsen auf seinen Lippen nicht leiden.

Aber die Familie ging immer vor dem eigenem Wohl. Und deswegen blieb er still, biss sich fest auf die eigenen Zähne und versuchte Kris mit einem Blick, den man nur schwer deuten konnte, zu erdolchen.

Er war sich nicht sicher, ob er das tat, weil er das Tier tatsächlich wollte – einfach nur um es zu haben, einen anderen Grund gab es sicher nicht – oder ob er es nur tat, weil er wusste, dass es Tao stören würde. Weil er ihm einfach zeigen konnte, dass er bekam was er wollte, ohne dafür irgendetwas zu tun, außer zu reden. Und wären sein Onkel und dieser andere Kerl nicht da, würde er seinen Mund nicht halten. Oh nein. Er würde ihm seine verdammte Meinung geigen und dann wäre ihm auch egal, wie die Situation ausgehen würde.

Zu seinem Glück waren sie nicht allein und Tao sah ein, dass er die Situation wohl nicht ändern konnte. Wenn sein Onkel zusagte, war es sowieso verloren. Und in ihrem Reich gab es wohl niemand, der die Courage hatte dem Prinzen der Drachen zu widersprechen.

Und sein Titel war genau so lächerlich wie sein Auftreten.

Tao wandte den Blick zur Seite und gab ein leises, verächtliches Geräusch von sich, nahm in den Augenwinkeln war, wie Kris näher trat, und im nächsten Moment griff der andere junge Mann um sein Kinn und drückte es nach vorn, sodass er ihn ansehen musste. Er sah in sein Gesicht, bemerkte dieses höhnische Grinsen und Tao starrte einfach nur zurück, versuchte keine Miene zu verziehen und einfach nur seinen abwertenden Blick sprechen zu lassen.

»Wenn du brav bist, dann kannst du Ace Junior vielleicht mal besuchen.« Dass seine Aussage voller Spott war, musste man nicht erwähnen.

Tao antwortete nicht und Kris ließ ihn wieder los, drehte sich dann zu seinem Onkel und sagte ihm, dass sie das Tier in den Palast bringen sollten. Und dann verschwand er mit den Worten, dass er den Gestank nicht länger aushalten konnte.

Tao war froh, dass niemand das Knirschen seiner Zähne hörte.
 

Er hatte den entschuldigenden Blick seines Onkels geflissentlich ignoriert und hatte gewartet, bis er wieder allein bei den Tieren zurückgeblieben war. Er wusste nicht, ob er sauer, enttäuscht oder einfach nur wütend war. Vermutlich war sein Gemütszustand eine Mischung aus all diesen Dingen und keine davon überwog.

Er biss sich auf die Lippen und strich durch das weiche Fell des Tieres, das wohl keine Ahnung hatte, dass man gerade über seine Zukunft entschieden hatte, ohne dass es einen Wunsch hätte äußern können. Aber vermutlich wäre der Wunsch auch egal gewesen. Es war demütigend am eigenen Leib zu spüren, wie egal die eigene Meinung war, wenn das Königshaus eine Entscheidung fällte.

Seine Fingerkuppen strichen gedankenverloren über den Hals des Alpakas, das so wie immer reagierte und seinen Kopf gegen Taos Brust schlug und ihn danach anblökte. Die Tat zauberte ein mildes Lächeln auf seine Lippen, das im nächsten Moment aber traurig wurde.

Er wollte nicht, dass Phueng gehen musste. Er wollte nicht, dass die Zeit weiterlaufen würde. Sie sollte einfach anhalten, nur für ein paar Augenblicke.

Und sie tat es.

Die Zeit hielt einfach an; alles um ihn herum fing an zu erstarren und er betrachtete das Alpaka, das ihn aus seinen dunklen Augen anblickte und ebenfalls wie eine Salzsäule geworden war. Er hob seine Arme, legte sie an den Hals des Tieres und drückte seinen Kopf gegen das Fell und wusste nicht, wie lange er einfach nur da stand und das Tier berührte, während die Welt nur für ihn stillstand.

Er wusste nicht wieso er das konnte, woher diese Kraft stammte und manchmal war er sich nicht sicher, ob das wirklich passierte, oder ob er einfach nur dachte, dass die Zeit stehen bleiben würde. Vielleicht war er auch einfach nur verrückt und bildete sich die Sache nur ein. Vielleicht besaß er aber auch eine unglaublich große Gabe, die ihm, je länger er sich damit beschäftigte, überflüssig vorkam.

Was half es ihm, wenn er die Zeit anhalten konnte und die einzige Person war, die sich bewegen konnte? Was half es ihm, wenn alles erstarrte außer ihm? Nichts. Denn auf die Dauer wirkte es nur so, als würde er in einer toten, trostlosen Welt leben.

Aber so hatte er wenigstens ein paar Minuten länger mit Phueng.

Natürlich war es kein Weltuntergang, aber er mochte dieses Tier so unglaublich. Weil es so eigenwillig war. Es war stur und launisch und spuckte gern herum. So ein Tier musste man einfach lieben. Und Tao wollte es nicht hergeben. Zumindest nicht in die Hände eines Menschen, der vermutlich nicht einmal wusste, was Alpakas fraßen.

Die Stille war erdrückend. Es wirkte alles so fürchterlich unnatürlich und schließlich ließ Tao wieder von dem Tier ab, betrachtete die starren Augen für einen Moment und senkte seine eigenen Augenlider, atmete ruhig durch und glaubte, dass es nötig war, dass die Zeit wieder weiter lief.

Und ein einfacher Gedankengang reichte, dass das Tier sich wieder bewegte und blökte, als wäre nichts gewesen. Nicht, dass es bemerkt hätte, dass etwas gewesen war.

Er schenkte Phueng ein letztes, trockenes Lächeln und tätschelte ihre Schnauze. Alles was er tun konnte war zu hoffen, dass es ihr gut gehen würde. Er flüsterte ein leises »Pass auf dich auf« und drehte sich dann um. Er wurde viel zu emotional für so eine Situation. Es war ja nur ein Tier, würde sein Vater sagen, aber für Tao war es vielleicht ein wenig mehr als nur ein Tier. Phueng war eine Freundin, die es liebte seine Ärmel oder Haare anzufressen.

Der trockene, unebene Boden knirschte unter seinen nackten Füßen, als er sich durch die Hitze zurück zu ihrem schattigen Haus kämpfte und versuchte über gar nichts nachzudenken.

Zwei

»Ich glaub es fühlt sich nicht wohl«, bemerkte der Mann mit den hellen Haaren und einer ruhigen Stimme, während seine Augen das Tier betrachteten, das aufgeregt blökte und wild im Kreis lief, während es hin und wieder einen der Männer, die sich um das neue Gehege für das Wesen kümmerten, anspuckte. Das Blöken klang unglaublich bösartig und Luhan war sich sicher, dass er noch nie ein Tier gehört hatte, das solche satanischen Geräusche von sich gab. Würde das Alpaka nicht so niedlich aussehen, dann würde er sich vielleicht auch Sorgen machen, dass es vorhatte sie nicht nur anzuspucken…

Er hatte Mitleid mit dem Tier, das sich hier offensichtlich nicht wohl fühlte.

»Es wird sich schon dran gewöhnen«, sagte Kris, der neben ihm stand, seine Hände auf den Holzzaun gelegt hatte und das Alpaka beobachtete und offensichtlich davon amüsiert war. Luhan war sich nicht sicher, ob das an den komischen Geräuschen lag, die das Tier machte, oder an der Tatsache, dass es immer noch nicht müde davon wurde die empörten Männer anzuspucken, die ihm zu nah kamen, weil sie das Gehege perfektionierten.

»Wie alt ist es?«, wollte Luhan dann wissen und betrachtete Kris von der Seite. Egal wie arrogant Kris auf die meisten Leute auch wirkte, und vermutlich auch war, Luhan kam gut mit ihm klar. Vermutlich waren sie sogar so was wie sehr gute Freunde. Nicht, dass Kris das zugeben würde, aber Luhan wusste, dass er ihn gut leiden konnte. Er zeigte es nur nicht, aber das war in Ordnung. Seine Attitüde gehörte zu seinem Stand und vermutlich war auch wichtig, dass er genau diese Maske niemals absetzen würde.

»Ich weiß es nicht.« Kris zuckte träge mit den Schultern und betrachtete das Alpaka weiterhin.

Luhan runzelte die Stirn und betrachtete Kris etwas fassungslos, ehe er gluckste. »Hast du überhaupt irgendeine Ahnung von dem Tier, oder hast du es nur gewollt, weil es spuckt?«

»Genau deswegen.« Wenigstens war er ehrlich.

Luhan lächelte etwas amüsiert und sah dann wieder zu dem Tier, das aussah als würde es sich langsam beruhigen. »Willst du es wirklich hier behalten? Es wirkt nicht so, als würde es sich hier einleben. Das ist doch sicher ein Herdentier, oder?«

»Dann halte es mit den Ziegen und Schafen, dann ist es nicht mehr allein.«

»Kris, die Ziegen und Schafe leben nicht mehr. Dein Drache hat sie gefressen, als er das letzte Mal durchgedreht ist«, erinnerte er ihn.

»Oh«, machte Kris nur. »Passiert.«

Luhan seufzte, verdrehte die Augen, behielt das leicht amüsierte Grinsen jedoch immer noch auf den entzückenden Lippen. »Ja, passiert«, bestätigte er etwas ironisch und sah zu wie Kris sich im nächsten Moment über den hellen Holzzaun schwang, fest auf beiden Füßen landete und schließlich zu dem Alpaka trat, das den Kopf hob und ihn argwöhnisch musterte.

Luhan hoffte, dass das Tier den Prinzen nicht anspucken würde. Wobei das sicher unterhaltsam wäre. Nicht, dass er es wagen würde diesen Gedanken laut auszusprechen. Aber gut, im Moment konnte er sich wohl nur gegen den Zaun lehnen und die Show genießen.

Kris verlangsamte seinen Schritt, blieb jedoch erst stehen, als er direkt vor dem Tier stand, das sich nicht bewegt hatte. Luhan glaubte für einen Moment, dass die zwei störrischsten Lebewesen der Welt gerade aufeinander getroffen waren.

Und einige Augenblicke passierte einfach gar nichts und Kris blickte das Alpaka nur an, das das Starren erwiderte. Und dann hob der Prinz seine rechte Hand und legte sie auf den Kopf des Tieres, das ein komisches Blöken von sich gab und danach mit seinem Maul nach dem Ärmel von Kris‘ Oberteil schnappte. Und darauf herumkaute.

»Sieht aus als wäre es verliebt«, bemerkte Luhan dann. Kris legte seinen Kopf zur Seite und blickte über seine Schulter zu ihm, sagte jedoch nichts und drückte schließlich die Schnauze des Tieres weg. Es gab einen empörten Laut von sich und zog im nächsten Moment beleidigt in die nächste Ecke, um dort weiter zu grasen.

Wenigstens war das Gras hier um einiges saftiger, als auf den Weiden, wo es herkam. Aber gut, das Königshaus hatte ja auch genug Wasser für eine perfekte Bewässerung im Sommer.

Luhans dunkle Augen sahen dabei zu wie Kris den feuchten Ärmel angewidert musterte, ehe er schließlich wieder zu ihm lief, sich über den Zaun hievte und wieder neben ihm stand.

»Ich hätte damit gerechnet, dass es dich anspuckt«, sagte Luhan und schenkte seinem Freund ein schmales Lächeln.

»Das würde es nicht wagen«, sagte er.

»Natürlich nicht«, bestätigte Luhan, seine Stimme klang jedoch nicht überzeugend. Und der Prinz schien das zu bemerken und warf ihm einen mahnenden Blick zu.

Letztendlich war es vielleicht auch deswegen so brav, weil es den Drachen in Kris roch. Nicht, dass er einer war, aber es gab immerhin genug Gründe, wieso man ihm nachsagte, dass er jede dieser gewaltigen, feuerspeienden Bestien zähmen konnte. Wieso sollte er dann also bei einem lächerlichen, kleinen Alpaka scheitern?

»Kümmere dich gut um Ace Junior, verstanden?«, befahl er ihm dann.

»Als würde ich dich jemals enttäuschen«, war Luhans lockere, aber ehrliche Antwort.

Und dann verzog sich der stolze Prinz auch schon und Luhan blickte ihm einen Moment hinterher, ehe er wieder zu dem Alpaka namens Ace Junior sah und sich fragte, wie genau er sich um es kümmern sollte. Er hatte keine Ahnung, was er mit dem Tier anstellen sollte. Ehrlich gesagt hatte er noch nie in seinem Leben ein Alpaka gesehen. Vermutlich fraß es Gras, aber die Tiere musste man ja – wie Schafe – auch hin und wieder von ihrem Fell befreien. Und da fing schon das erste Problem an.

Er seufzte und betrachtete Ace Junior nachdenklich, sah kurz zu wie die zwei Männer sich endlich verzogen und sich lautstark über das spuckende Ungetüm beschwerten und fragte sich, was er nun mit dem Wesen anstellen sollte.
 

Tao war skeptisch. Er war fürchterlich skeptisch. Und er wusste nicht, ob er sich bewegen wollte. Aber letztendlich hatte er gar keine Wahl. Die Einladung war nämlich keine Einladung sondern einfach nur ein Befehl in einem höflichen Mantel. Denn solche Einladungen konnte man gar nicht abschlagen, das wäre respektlos. Dennoch war er sich nicht sicher, was diese Einladung sollte. Sein einziger Gedanke war, dass es etwas mit Phueng zu tun hatte, aber selbst das machte keinen großen Sinn.

Etwas verwirrt warf er einen Blick zu seiner Mutter, die wohl genauso viel Ahnung hatte wie er, wieso eine der schicken, verzierten Kutschen, die von zwei adretten Schimmeln gezogen wurde, auf ihn wartete. Er zögerte einen letzten Moment, ehe er sich schließlich einen Ruck gab, sich in Bewegung setzte und in die Kutsche mit den weichen und bequemen Sitzpolstern stieg. Er verbeugte sich etwas vor dem Mann, der dort saß, setzte sich dann hin und bemerkte, dass er sich unglaublich unwohl fühlte.

Er hatte keine Ahnung, was ihn da erwarten würde. Und er konnte sich nichts Gutes vorstellen. Und das war beunruhigend. Sehr beunruhigend. Und der Mann in der Kutsche machte auch keine Anstalten ihn aufklären zu wollen. Also verbrachte er die Fahrt damit aus dem Fenster der Kutsche zu sehen und die Gebäude, die, je länger sie fuhren, von heruntergekommen zu stattlich mutierten, zu beobachten. Es war erstaunlich wie die Gegend optisch schöner wurde, je näher man zu dem Palast kam, den er noch nie aus der Nähe gesehen hatte. Und so erstaunlich wie es war, so traurig wirkte es auch.

Die Kutsche hielt für einen kurzen Moment an und er konnte fremde, laute Stimmen hören und wenig später hörte er das Geräusch, das vermutlich von den riesigen Toren stammte, die sich langsam öffneten. Tao lehnte seinen Kopf aus der Kutsche und betrachte eines der goldenen Tore und fragte sich, wie viele Männer erforderlich waren, um es zu öffnen. Sicher eine Menge. Und dann setzte sich die Kutsche weiter in Bewegung und Tao zog seinen Kopf wieder zurück in die Kutsche, konnte sich aber nicht an dem Staunen hindern. Hinter den edlen, großen Mauern und dem Tor lag mehr als nur das gewaltige Haus mit den spitzen Türmen. Tao hätte nie damit gerechnet, dass hinter der Mauer so viele Häuser zu finden waren und noch erstaunlicher waren die Leute, die auf den Straßen waren und sich unterhielten. Und wenn er diese Personen beobachtete, fühlte er sich unglaublich schäbig in seinen schlichten Klamotten. Davon abgesehen trug er noch nicht einmal Schuhe. Nicht, dass er je gefunden hatte, dass das merkwürdig oder seltsam war, aber wenn er sich diese Menschen ansah, dann wirkte es einfach, als wäre er in einer völlig anderen Welt.

Schließlich hielt die Kutsche und Tao warf einen fragenden Blick zu dem Mann, der die Fahrt über nur geschwiegen hatte, und bemerkte dann, dass jemand die Tür öffnete. Der Mann, der in der Kutsche saß, gab ihm ein Zeichen, dass er aussteigen sollte, und ohne ein Wort zu sagen, tat er das dann auch.

Der gepflasterte Boden war fürchterlich heiß und Tao verzog kurz die Lippen, zog seine Zehen etwas an und folgte dann dem Mann aus der Kutsche, der ihn bat ihm zu folgen. Er war froh, dass er sich in Bewegung setzen konnte und noch froher war er, als er in den Schatten treten konnte. Und erst jetzt bemerkte er, dass man ihn gar nicht zu dem gigantischen Palast führte, sondern zu einer Art Stallung. Okay, es musste wohl doch um Phueng gehen. Irgendwas in ihm hoffte, dass er sie wieder mitnehmen durfte, aber vermutlich war das nur ein Wunschdenken.

Der Mann blieb stehen und Taos Blick fiel auf einen jungen Mann, vielleicht so alt wie er, möglicherweise sogar etwas jünger, er hatte ein rundes Gesicht und blonde Haare und schenkte ihm ein freundliches Lächeln.

»Das ist er«, sagte der Mann, der die schweigsame Kutschenfahrt mit ihm verbracht hatte, zu dem jungen Mann, und mit diesen Worten verzog er sich auch wieder und Tao sah ihm nur kurz etwas verwirrt hinterher und blickte dann zu dem anderen.

»Hallo«, wurde er freundlich begrüßt.

»Hallo«, sagte Tao etwas zögerlich, deutete dann eine Verbeugung an, weil er keine Ahnung hatte, wer diese Person war und was er hier sollte. Was für eine seltsame Situation. Man hatte ihn wohl erfolgreich ins kalte Wasser geworfen.

»Du bist also Tao«, stellte der Mann fest und der Angesprochene nickte. »Mein Name ist Luhan und… du siehst nicht so aus, als hättest du eine Ahnung, was du hier sollst.«

»Das liegt vielleicht daran, dass mir niemand gesagt hat, was ich hier tun soll.« Er versuchte nicht so hilflos zu klingen, wie er sich im Moment fühlte.

Luhan schenkte ihm ein Lächeln, das erstaunlicherweise ehrlich wirkte. »Komm mit«, fing er dann an, drehte sich um und Tao folgte ihm hinter das Haus; im nächsten Moment sah er einige abgezäunte Wiesenstücke, deren Gras so grün war, wie er es nur aus dem frühen oder späten Winter kannte. »Ich hab die Aufgabe bekommen mich um das Alpaka zu kümmern, das von eurer Farm stammt. Das stimmt doch, oder?«

»Ja«, sagte Tao und die Sympathie für den Menschen war für einen kurzen Augenblick gefallen, weil er ihn daran erinnert hatte, dass sie sein Lieblingsalpaka verschleppt hatten. Und dann glaubte er, dass er froh sein sollte, dass sich eine Person, die freundlich wirkte, die Aufgabe hatte sich um die launische Dame zu kümmern.

Luhan steuerte einen abgezäunten Bereich an und Tao konnte Phueng sofort erkennen. Die beiden blieben an dem Zaun stehen und Tao blickte von dem jungen Mann, der einige Zentimeter kleiner als er selbst war, zu dem Tier, das gemütlich graste und ihn nicht bemerkt hatte. Er fragte sich, ob sie ihn überhaupt noch erkennen würde. Immerhin waren seit ihrem Abschied schon ein paar Tage vergangen. Vielleicht war sie ja auch nachtragend oder wütend auf ihn.

»Ich hab keine Ahnung, wie ich mich um Ace kümmern soll«, sagte Luhan dann mit einer ruhigen Stimme.

»Sie heißt Phueng«, beharrte Tao und klang unbewusst sogar etwas barsch, was ihm im Nachhinein leidtat, weil Luhan das ja nicht wissen konnte.

»Oh? Mir wurde sie als Ace Junior vorgestellt.«

Tao verzog die Lippen. »Sie heißt eigentlich Nam Phueng.«

Luhan beobachtete ihn von der Seite, Tao hingegen starrte noch immer zu dem Tier und bemerkte, wie sehr er vermisste, dass Phueng seinen Ärmel anfraß oder den Kopf gegen seine Brust boxte. »Hat sie dir gehört? Du wirkst nicht sehr begeistert«, stellte Luhan vorsichtig fest.

»Natürlich bin ich nicht begeistert, wenn man sie grundlos verschleppt. Ich vermisse sie«, sagte er und hatte seine Stimme bei dem letzten Satz etwas gesenkt und dann hatte ihn das Tier, über das sie gesprochen hatten, auch schon bemerkt. Es gab ein Blöken von sich und rannte im nächsten Moment zu ihnen, blieb auf der anderen Seite des Zaunes stehen und Tao hob seine Hand, legte sie auf die flauschige Schnauze des Tieres und kraulte dessen Nasenrücken. »Na du?«, sagte er zu ihr, hatte seine Stimme gesenkt und der Ton war wieder weicher geworden. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen blassen Lippen. Er kraulte das Tier, das ihn wohl offensichtlich noch kannte und auch nicht so wirkte als wäre es böse auf ihn. Diese Erkenntnis war erleichternd.

Und im nächsten Moment hatte er Spucke im Gesicht.

Tao starrte sie für einen Moment mit einer eingefrorenen Mimik an und Luhan wirkte im ersten Moment entsetzt und schließlich konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. Tao hob seine Hand und wischte sich den Speichel des Tieres angewidert aus dem Gesicht. »Wow, das hatten wir schon lange nicht mehr«, sagte Tao etwas künstlich angesäuert. Er verzog das Gesicht noch immer und schmierte den Speichel, der nun an seiner Hand war, an dem Holzbalken ab, der sie trennte. »Ich hab dich auch lieb. Urgh.«

Luhan räusperte sich und sah dabei zu, wie Tao den Kopf des Tieres kraulte, das den Kopf über den Zaun streckte und seinen Kopf schließlich gegen Taos Kopf drückte. Er bemerkte, dass Tao sich auf die Lippen biss und dem Alpaka hinter den Ohren kraulte. Er hatte auch versucht das Tier zu streicheln, aber wirklich zugelassen hatte es dies nicht. Und ja, er war auch schon ein Opfer von der gemeinen Spuckattacke geworden. Zum Glück hatte er den Speichel nicht ins Gesicht, sondern nur gegen die Brust bekommen. Aber man konnte sehen, dass Ace Junior, oder Phueng, Tao wirklich mochte.

»Muss man sie scheren?«, fragte Luhan dann neugierig und Tao wendete den Blick kurz von dem Tier, um zu ihm zu sehen.

»Ja, aber wir haben unsere Tiere erst vor ein paar Wochen geschoren. Im Sommer ist es durchaus wichtig, ihr Fell kurz zu halten, sonst könnten sie eingehen, wenn es zu heiß ist. Aber so schnell wächst es nicht nach. So in drei Monaten sollte man es eventuell in Erwägung ziehen.«

»Und wie macht man das?«, fragte Luhan und Tao sah wieder zu ihm und war einen Moment lang nicht sicher, was er sagen sollte.

»Ich kann das machen«, sagte er dann. Immerhin war es sein Alpaka. Und ja, natürlich war es sein Tier und nicht das von diesem idiotischen Prinzen, der das bekam, was er nur ansah.

Phueng hob ihren Kopf wieder und rieb den Hals an dem Holzzaun, ehe es den Kopf wieder senkte und das Gras vom Boden riss und zerkaute.

»Das wäre sicher praktisch«, sagte Luhan ruhig und lächelte etwas, drehte sich in Taos Richtung. »Gibt es sonst noch wichtige Dinge, die ich wissen muss?«

Tao überlegte einen Moment. Für ihn war das alles selbstverständlich, aber er hatte keine Ahnung, was der blonde Mann alles wusste. »Letztendlich hält man sie wie ganz normale Ziegen und Schafe. Sie sind eigentlich Herdentiere. Oh, und Phueng liebt es, wenn man sie am Hals streichelt, hier«, sagte er und demonstrierte es Luhan. »Eigentlich mögen es die meisten Alpakas nicht, wenn man ihnen zu nah kommt, aber Phueng liebt Aufmerksamkeit.« Zumindest von ihm. Er hatte manchmal Tage damit verbracht nur dieses Tier zu streicheln, während er im Schatten saß und den Rest der Herde ‚im Auge behalten‘ hatte. Aber er wusste, dass das Tier nicht jede Person an sich heranließ, ganz logisch – Tao gab sich ja auch nicht mit jeder Person ab.

Irgendwie war die Situation bitter. Ja, er hatte es akzeptiert, aber es war trotzdem falsch sie hier zu sehen. Sein einziger Trost war, dass dieser Luhan sich offensichtlich versuchte zu bemühen und dass sie wenigstens saftiges Gras zum Fressen hatte.

»Hat da jemand Sehnsucht bekommen?« Es dauerte nicht lange, bis Tao die dritte, neue Stimme einordnen konnte. Er stützte sich von dem Holzzaun, drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam und entdeckte niemand anderes als Kris. Wie sollte es auch anders sein?

»Ich hab ihn hierher bestellt«, sagte Luhan dann, ehe Tao etwas antworten konnte.

Kris hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte Tao genau und eigentlich rechnete er spätestens jetzt mit irgendeinem Witz, der mit seiner Kleidung oder seinem Leben zu tun hatte, aber es kam nichts.

»Dann konnte er sich ja wenigstens überzeugen, dass es ihr gut geht.«

Tao verzog die Lippen. »Was das Fressen angeht, sicher.« Den Rest seines Kommentars sparte er sich besser. Er hatte eigentlich nur wenig Lust eine ätzende  Unterhaltung zu starten.

Kris schenkte ihm ein mildes, schiefes Grinsen. Und zu seinem königlichen Glück, sagte er auch nichts, trat näher und betrachtete das grasende Tier einen Moment, ehe er zu Tao sah. Tao bemerkte den Blick aus dem Augenwinkel und drehte den Kopf schließlich leicht zur Seite, zog eine Augenbraue hoch.

»Schon mal einen echten Drachen aus der Nähe gesehen?«, fragte er dann und Tao hatte im ersten Moment Lust künstlich zu lachen. Die Antwort war wohl offensichtlich. Aber gleichzeitig fragte er sich, worauf  er hinaus wollte.

»Nein«, war letztendlich die ehrliche Antwort.

»Komm mit«, sagte er in einem Befehlston, drehte sich um und gab ihm ein Zeichen mit der Hand, dass er ihm folgen sollte. Tao betrachtete den Rücken, dem er ihm nun zugedreht hatte, misstrauisch und  blickte dann zu Luhan, der ihm ein leichtes Lächeln schenkte und nickte. Und dann bewegte sich Tao schließlich und folgte Kris, auch wenn er das eigentlich gar nicht tun wollte.

Er holte schnell auf, lief noch minimal versetzt hinter und neben Kris und betrachtete ihn von der Seite. Es war selten, dass er jemanden traf, der größer war als er. Vermutlich war Tao schon überdurchschnittlich groß, aber der Prinz setzte da noch mit ein paar Zentimetern drauf. Natürlich.

»Du bist zum ersten Mal hier, nehme ich an«, fing Kris an und seine Stimme klang nicht halb so  arrogant, wie sie zu dem Satz gepasst hätte.

»Ja. Was soll ich hier denn auch?«, fragte er neutral.

Kris antwortete drauf nichts und die beiden traten wieder vor den Stall und auf die Straße, die ungewöhnlich belebt war. Tao bemerkte, dass die meisten der Leute aufhörten irgendetwas zu machen und einen ehrfürchtigen Blick in ihre Richtung warfen. Offensichtlich war Kris der Grund dafür und Tao bemerkte erst jetzt, dass seine Haltung ungewohnt gerade und beeindruckend war. Natürlich, ein Prinz musste sich und das Land repräsentieren. Und innerhalb der Stadtmauer gab es sicher auch nur wenige, die einen Groll gegen die Königsfamilie hatten. Natürlich, hier sahen die Leute nicht so aus, als hätten sie irgendwelche Probleme, wie sich am Leben zu halten.

Und er bemerkte auch, dass er, dank der Tatsache, dass er in Kris‘ Begleitung war, ebenfalls Opfer der Neugierde wurde. Blicke lagen auf ihm und manche sahen ihn verächtlich an, andere neutral oder eben nur völlig neugierig. Tao versuchte sie einfach zu ignorieren. Vermutlich würde er in nächster Zukunft sowieso nie wieder hier sein. Außer Luhan brauchte ihn noch einmal. Nicht, dass er glaubte, dass der junge Mann ihn wirklich gebraucht hatte. Das, was er ihm gesagt hatte, hätte er auch irgendwann herausgefunden. Vielleicht hatte er dem Tier nur einen Gefallen tun wollen; oder ihm.

Nicht, dass das jetzt eine Rolle spielen würde, denn Tao musste zugeben, dass dieser Ort ihn hier durchaus irgendwie faszinierte. Zwischen dem was er hier sah und der Farm, weit draußen auf den trockenen Feldern, lagen einfach Welten. Unglaubliche Welten. Vermutlich hatten er und seine Familie noch das Glück zu behaupten, dass sie nicht arm waren, aber trotzdem war das etwas völlig anderes als das hier. Allein die Lebensumstände waren schon anders. Das sah er an den Frauen, an den vielen Früchten, die hier angeboten wurden und die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte; an den lachenden Kindern. Hier war alles anders. Belebter, lebendiger, aber Tao wusste nicht, ob er sich wünschen würde hinter einer Mauer aufzuwachsen. Natürlich faszinierte ihn das jetzt – einfach weil er es nicht kannte – aber vermutlich war es gar nicht so schön, wie es im ersten Moment schien. Aber er musste sich ja keine weiteren Gedanken darum machen, denn das hier war nur ein Ausflug in eine Welt, die er nie wieder erleben würde. Und das war in Ordnung.

Der Schwarzhaarige fragte sich im Moment eher, ob Kris wirklich vorhatte ihm einen Drachen zu zeigen. Es war nicht unbekannt, dass die Königsfamilie Drachen besaß. Damit wurden Kriege gewonnen, damit wurde das Land verteidigt. Es gab so viele Geschichten und Legenden über diese gewaltigen Wesen und Tao glaubte, dass die Hälfte davon der Wahrheit entsprach. Er hatte noch nie einen Drachen aus der Nähe gesehen und er hätte nie gedacht, dass er je in den Genuss kommen würde. Wobei er nicht sicher war, ob er diese Tiere wirklich sehen wollte. Die Erzählungen waren angsteinflößend, die Tiere waren eigensinnig, schlau und brutal; angeblich sogar blutrünstig. Nicht, dass er davon ausging, dass Kris vorhatte, ihn zum Drachenfutter zu degradieren, aber er war sich nicht sicher, ob ihm wohl bei dem Gedanken war, oder nicht.

Sie schwiegen und Tao folgte dem Mann mit den fast goldenen Haaren, sah sich immer wieder etwas um und betrachtete den Ort, der für ihn unbekannt und neu war. Und dann bemerkte er, dass sie den gewaltigen, aus hartem Stein gebauten Palast ansteuerten, der trotz seiner grauen Farbe stattlicher war, als jedes Haus, das er je gesehen hatte. Aus der Ferne hatte er immer nur zwei der fünf Türme erkennen können; die höchsten, logischerweise. Genauso wie die Fahnen, die das Wappen der Königsfamilie trugen und nur selten in dem schwachen Wind wehten.

Die bewaffneten Wachen mit der adretten Uniform traten ehrfürchtig zur Seite, als sie die Treppen hochstiegen und schließlich durch das geöffnete Tor schritten, und Tao fühlte sich fast schon unwohl in seiner Haut. Er passte hier nicht rein. Er war wie ein hässlicher Fettfleck in einem wunderschönen Bild.

Die Wände waren hell, die Bilder, die an selbigen hingen, waren aus Ölfarbe und die Bilderrahmen waren vermutlich aus reinem Gold. Genau wie alles andere, das nicht aus Stein oder Holz war. Der Teppich war ein sattes Rot und Tao spürte den unglaublich angenehmen und sanften Stoff unter seinen nackten, schmutzigen Füßen. Das Gebäude wirkte anders als erwartete nicht einmal trost- oder charakterlos; er sah sogar große Pflanzen in edel verzierten Töpfen, die dem gigantischen Flur eine viel gemütlichere Atmosphäre gaben. Ehrlich gesagt hätte er sich das hier alles viel grauer vorgestellt, aber davon war hier absolut keine Spur.

Er hörte ein kurzes, dunkles Lachen, das von Kris stammte, und Tao sah zu ihm und bemerkte erst jetzt, dass er sich wohl mit offenem Mund umgesehen hatte. »So beeindruckend?«, wollte Kris wissen.

»Du hast gesehen, wo ich aufgewachsen bin. Ich sehe so einen großen Raum zum ersten Mal. Und von der Ausstattung wollen wir erst gar nicht reden.« Tao sah zu Kris, bemerkte, dass er noch immer etwas amüsiert grinste und erwiderte es schließlich etwas. Dass er ihn nicht mehr höflich ansprach, schien Kris nicht zu stören.

Eine kurze Stille trat zwischen ihnen ein, die Tao schließlich brach. »Wieso nimmst du mich mit?«, fragte er dann, weil ihn dieser Grund wirklich interessieren würde.

»Vielleicht möchte ich einfach nur ein wenig angeben«, sage Kris trocken. Tao gluckste daraufhin trocken.

»Dafür hättest du mich nicht hierher nehmen müssen«, merkte er an.

»Beschwerst du dich?«

»Nein«, sagte er. »Im Moment nicht.«

»Du kuschst nicht«, stellte Kris dann fest und Tao war sich nicht sicher, ob er vielleicht nicht besser den Ausgang suchen sollte, solange er das noch konnte. Aber vermutlich war er zu stolz dafür und Kris klang nicht bösartig. Er war sogar um einiges angenehmer als bei ihrem ersten, unvermeidlichen Treffen.

»Natürlich kusche ich nicht«, sagte er mit einem Ton, als wäre es selbstverständlich. »Es reicht schon, wenn ich jeden Tag den Stall säubern muss, da hab ich nicht auch noch Lust Leuten wie euch in den Arsch zu kriechen. Mein Leben ist auch so schon schmutzig genug«, sagte er und man erkannte sogar etwas Humor in der Stimme.

»Du wirkst nicht so, als würde dich das stören.«

»Wieso sollte es das? Ich bin damit aufgewachsen, es ist normal für mich.« Tao zuckte mit den Schultern. »Und genauso normal ist es für dich wohl das zu bekommen, was du möchtest.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Du bist mir immer noch wegen dem Alpaka böse.« Ebenfalls eine Feststellung.

»Ein bisschen, ja.«

»Zur Entschädigung bekommst du die einmalige Gelegenheit einem Drachen ins Gesicht zu sehen, ohne dass er dich frisst. Das sollte Ehre genug sein.«

Tao wollte sagen, dass er diese Ehre nicht brauchte. Er wollte anmerken, dass er einfach Phueng wieder bei sich haben wollte, aber Tao war sich gar nicht sicher, ob es dem Tier hier vielleicht nicht sogar besser ging. Es hatte frisches, saftiges Fressen und dieser Luhan schien sich auch ernsthaft um sie zu kümmern. Also war es vielleicht in Ordnung, wenn sie hier war. Auch wenn Tao sie ein bisschen vermisste. Und wenn er ehrlich war, war er durchaus gespannt und nervös den Drachen zu sehen. Wie auch immer Kris auf diese Idee gekommen war. Vielleicht meinte er das mit der ‚Entschädigung‘ wirklich ernst.

Sie traten in einen Seitenraum, liefen durch einen engeren, kleineren Flur und steuerten wieder eine Tür an, die bewacht wurde, und schließlich betraten sie einen Raum, der mit einer Treppe, die in die Tiefe führte, begann. Es war dunkel und an der kalten Steinwand hingen brennende Fackeln, die Licht spendeten.

»Sind sie im Keller?«, wollte Tao dann wissen.

»Auch. Natürlich können wir die Wesen nicht nur im Keller halten, davon abgesehen lassen sie sich auch gar nicht einsperren. Aber allein können sie eben auch nicht raus. Ace ist im Moment in seinem Nest.«

»In seinem… Nest?«, wollte Tao ungläubig wissen. »Warte. Heißt der Drache auch Ace?«

»Nein, er heißt nur Ace, das Alpaka heißt Ace Junior.«

Tao schüttelte den Kopf unbewusst und wusste nicht ob er lachen oder lieber weinen sollte. Der junge Prinz war durchaus kreativ…

Die Steine unter seinen nackten Füßen waren ungewöhnlich kühl, aber das störte ihn im Moment überhaupt nicht. Denn er war nervös. Er war sehr nervös. Immerhin würde er gleich einen Drachen sehen. Einen richtigen Drachen. Lebensecht und lebensnah. Was kümmerten einen kalte Füße und ein leichtes Frösteln auf den nackten Armen?

»Und die Drachen haben ein Nest?«, wollte er dann fragend wissen und folgte Kris noch immer die Treppe hinunter, die irgendwie gar kein Ende mehr nehmen wollte.

»Du wirst gleich sehen, was ich meine.«

Tao antwortete nichts darauf, sondern hörte Kris‘ hallenden Schritten zu und nahm irgendwann auch ein leises gutturales Knurren wahr. Und erst jetzt bemerkte Tao, wie unheimlich die Situation eigentlich war. Das Königshaus ihres Landes hielte sich Drachen in ihrem Keller. Gefährliche, gewaltige Bestien, die mit einer Leichtigkeit ein halbes Dorf auslöschen konnten. Was würde passieren, wenn diese Drachen irgendwann anfangen würden selbstständig zu werden? Das wäre wahrscheinlich der Untergang für sie alle. Aber vermutlich musste man dem Königshaus lassen, dass sie wussten, wie man die Biester zähmte, denn die Drachen schienen hier schon zur Tradition zu gehören. Und er konnte sich an keine Geschichte von ihrem Land ohne Drachen erinnern. Sie gehörten dazu, aber je weiter er in die Tiefe stieg, desto klarer wurde der Gedanke, dass das hier eigentlich verdammt gruselig war.

Und dann endeten die Steinstufen endlich und Kris führte ihn durch ein gewaltiges, geöffnetes Stahltor und im nächsten Moment weitete er seine Augen und gaffte einfach nur auf das unglaublich große Wesen, das er auch aus der Ferne schon erkennen konnte.

Der Raum war von Fackeln und einem Art Freudefeuer erhellt und am anderen Ende konnte er sogar Tageslicht erkennen. Tao vermutete, dass es durch eine Art vergitterte Falltür in den gigantischen Raum fiel, der von ein paar dunklen Säulen an den Seiten gestützt wurde. Die Decke war unglaublich hoch und Tao wurde jetzt erst bewusst, wie riesig diese Tiere waren. Oder wurden.

In seiner Begeisterung und Überwältigung bemerkte er nicht, dass Kris ihn von der Seite anstarrte und sich offensichtlich still über sein Verhalten amüsierte. Doch das, was er hier sah, war auch ein Anblick, den er sicher nie erwartet hätte. Vermutlich hätte er sich das nicht einmal erträumt. Es war nicht so, dass er unbedingt einen Drachen aus nächster Nähe hatte sehen wollen – aus der Weite hatte er sie schon immer als dunkle Silhouetten am Himmel erkannt; aber es war eben nie ein großer Wunsch gewesen, sie so direkt zu sehen – aber das hier war trotzdem einnehmend, unfassbar und einfach nur imposant.

»Fertig mit Starren?«, wollte Kris wissen, der neben ihm stehen geblieben war, als Tao angefangen hatte sich umzusehen. Und dann riss er den Blick von dem Wesen, das aussah als würde es schlafen, und blickte wieder zu dem Prinzen, grinste ertappt.

»Ich glaub das wäre ich in zwei Tagen noch nicht.«

Kris gab ein kurzes, amüsiertes Schnauben von sich, machte ein Zeichen mit der Hand, das Tao zeigte, dass er ihm folgen sollte und lief dann weiter. Tao folgte ihm zögernd und bemerkte erst jetzt, dass der Boden nicht halb so kalt war wie die Treppen. Lag vielleicht an den ganzen Feuern hier. Möglicherweise kam die Wärme auch von den Wesen, aber das war nur eine spontane Spekulation.

Sie traten dem Wesen, das so groß war, dass Tao gar keine Ahnung hatte, womit man es vergleichen sollte, näher und er bemerkte, wie groß sein Respekt vor diesem schlafenden Wesen mit den schwarzen Schuppen war. Angsteinflößend, einnehmend. Dieses Tier war so vieles und Tao konnte sich nicht entscheiden, ob er lieber den Feigling spielen und zurück zu seinen Alpakas rennen sollte, oder ob er es gar nicht erwarten konnte, das Tier noch genauer zu sehen.

Tao blieb gute zwanzig Meter vor dem Kopf stehen, dessen Schnauze ungefähr einen halben Meter größer als er war und sah zu Kris, der ohne Hemmungen, ohne zu zögern zu dem Wesen lief und schließlich seine blasse Hand neben die Nüstern des Tieres auf dessen Schnauze legte, und Tao rechnete eigentlich damit, dass der Drache ihn jeden Moment verschlingen würde. Kris drehte den Kopf zu ihm und nickte in seine Richtung.

»Komm her, er wird dir nichts tun, wenn ich dabei bin. Vorausgesetzt ich sag nicht, dass er dich fressen soll.«

Tao lächelte etwas gezwungen und trat dann schließlich leise und mit gewählten Schritten vorwärts. Sein Herz klopfte viel zu schnell und er konnte selbst gar nicht glauben, dass er so aufgeregt war. Nicht, dass er im Moment irgendwelche Gedanken in seinem Kopf hatte, denn die Situation verbrauchte gerade all seine Konzentration um das Geschehen zu fassen.

Er hätte niemals gedacht, dass die Tiere so groß wurden. Ob er schon ausgewachsen war? Besser, er würde das gar nicht fragen.

Neben Kris kam er schließlich zum Stehen und er musterte das Tier aus der Nähe, konnte den raschelnden, fast brodelnden Atem des Tieres nun deutlicher hören und schluckte leise. Seine dunklen Augen richteten sich auf die schwarzen Schuppen und er fragte sich, wie sie sich anfühlten.

»Schläft er?«, fragte Tao dann, der seinen Kopf etwas angehoben hatte und das Auge mit den geschlossenen Lidern bemerkte.

Kris zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht will er dich auch einfach nur täuschen.«

Tao fragte sich, wieso das Tier ihn täuschen sollte; so viel Eindruck wie es hinterließ.

»Du kannst ihn ruhig anfassen, wenn du möchtest«, sagte Kris dann ruhig, der wohl seine Blicke bemerkt hatte oder im Moment einfach Gedanken lesen konnte. Unsicher blickte der Dunkelhaarige zu dem Prinzen, der nur leicht nickte und seine Aussage damit wohl noch unterstrich.

Taos Herz bebte, als er sich traute den Arm zu heben und schließlich legte er die Hand auf die Schuppen, die unerwarteterweise sehr warm waren und sich wie poliertes Holz oder ein glatter Stein anfühlten. Und dann schlug der Drache das Auge auf. Tao zog sofort seine Hand weg, stolperte vor Schreck einen Schritt zurück und stieß gegen Kris. Die gelben, stechenden Augen mit der katzenförmigen Pupille starrten ihn an und er hörte ein dunkles Knurren, das ganz tief aus der Kehle kommen musste. Der Mund des Tieres blieb jedoch geschlossen und Tao bemerkte, wie es ihn fixierte.

Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und ein leises, amüsiertes Glucksen von Kris, ganz dicht an seinem Ohr. »Keine Angst, ich hab doch gesagt, dass er nichts tun wird.« Seine Stimme war gesenkt und Tao schielte angespannt zu ihm und dann wieder zurück zu dem Tier, das seine Augen wieder geschlossen hatte. Na, vielleicht wollte es ihn ja doch täuschen.

Kris‘ Hand war noch immer auf seiner Schulter und Tao glaubte, dass ihn das sogar ermutigte den Arm erneut zu heben und die Hand oberhalb des Mundes des Tieres zu legen. Diesmal behielt es die Augen geschlossen und Tao bewegte die Hand über die Schuppen, die glatter waren, als sie aussahen. Nur der Übergang von einer zur anderen Schuppe machte sich deutlich bemerkbar. Tao spürte, wie Kris seine Hand von seiner Schulter zog und die Nähe des anderen verschwand schließlich. Tao zog seine Hand wieder zurück und Kris‘ Hand tätschelte das Schuppenkleid des Tieres, das schließlich wieder seine Augen öffnete. Tao zuckte zusammen, ihm stockte kurz der Atem und schließlich bewegte sich das Tier und Tao riss seine Augen auf und trat zurück, als sich der Drache langsam erhob.

Kris packte sein Handgelenk. »Wenn du zu sehr zurückschreckst, hinterlässt das keinen guten Eindruck bei ihm. Er bemerkt dann viel schneller, dass du Angst vor ihm hast.«

»Ich geh davon aus, dass es meine Angst riechen kann«, sagte Tao und seine Stimme war leise, während er seinen Kopf etwas in den Nacken legte und zusah, wie sich das Tier vollständig aufgerichtet hatte. Und irgendwie wurde es noch größer. Es hatte große Krallen an den Vorder- und Hinterbeinen und Tao bemerkte sein Spiegelbild in selbigen und fragte sich, ob das Tier damit schon mal einen Menschen getötet hatte. Okay, eigentlich wollte er die ehrliche Antwort gar nicht wissen.

»Vermutlich kann er das«, antwortete Kris, während Tao das schwarze Tier beobachtete. Es hatte Stacheln auf dem Rücken, ebenfalls auf dem langen Schweif, sowie dem Kopf. Und er bemerkte etwas auf dem Rücken des Tieres, direkt hinter dem Hals. War das ein Sattel? Vermutlich.

Kris trat ein paar Schritte zurück und zog Tao ungehobelt mit, damit sie das Tier besser sehen konnten. Tao hob den Kopf, sodass er nicht nur die Pranken sah, und sah mit geweiteten Augen dabei zu, wie das Tier den langen Hals beugte und den Kopf zu ihnen senkte. Er hörte den lauten Atem des Drachens und Tao kniff die Augen etwas zusammen und roch einen unangenehmen Geruch. Das Tier kam ihm näher und Tao wollte zurückweichen. »Woah«, machte er erschrocken und Kris legte seinen Arm um Taos Schultern, damit er nicht zurückweichen konnte. Auch wenn er das gerade wirklich, wirklich gern tun wollte, denn die gigantische Schnauze des Tieres war ihm viel zu nah. Er spürte sogar einen Windzug, als das Tier an ihm roch. Tao drehte den Kopf zur Seite und schloss seine Augen und verzog die Lippen angewidert. Kris hatte seinen rechten, freien Arm gehoben und legte die Hand schließlich zwischen die Nasenlöcher des Tieres.

»Ace, das reicht.«

Tao glaubte nicht, dass die Worte von Kris reichen würden, aber das Tier hob den gigantischen Kopf  und betrachtete die beiden jungen Männer von oben.

»Ist er ausgewachsen?«, wollte Tao dann doch wissen, als Kris ihn wieder los ließ.

»Fast. Vermutlich wird er noch einen halben Meter größer. Aber bald ist er ausgewachsen.«

»Und du… fliegst auf diesem Wesen?«

»Natürlich.« Kris klang verständnislos.

»Wow«, machte Tao und stellte sich vor, wie es wohl war auf dem Rücken eines Drachens zu fliegen. Und irgendwas in ihm wollte Kris fragen, ob er es ihm zeigen würde. Und dann fiel ihm wieder ein, wer er war und dass er nicht das Recht hatte so einen Gedanken überhaupt zu haben. Immerhin war er nur der Sohn eines Bauers einer Alpakafarm.

»Du willst auch mal, hm?«, fragte Kris und Tao sah ihn an und fühlte sich ertappt. Und dann versuchte er sofort wieder lässig zu wirken. Kris sprach weiter. »Ich sehe das an deinen Augen. Sie sprechen Bände.«

Tao wandte den Blick von ihm ab und sah hoch zu dem Tier, das sie anstierte und den Kopf und Hals leicht schüttelte. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte.

»Vielleicht beim nächsten Mal.«

Tao sah etwas verwirrt zurück zu Kris und zog die Augenbrauen zusammen. »Huh?«, machte er skeptisch und betrachtete Kris‘ Profil. »Wie, beim nächsten Mal? Was soll das bedeuten?«

Kris drehte den Kopf etwas zur Seite und warf Tao einen Blick zu, den er nicht zuordnen konnte. »Genau das, was ich gesagt habe. Oder was verstehst du an dem Satz nicht?« Und da war sie wieder, die Spur seiner Arroganz.

Er hatte seine Stirn gerunzelt. »Soll das bedeuten, dass demnächst wieder unangekündigt eine edle Kutsche vor unserem Haus steht und möchte, dass ich mitkomme?«

Kris hob die Schultern etwas an. »Möchtest du das denn?«

Tao öffnete seinen Mund und hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Das hier war irgendwie zu viel Eindruck auf einmal. »Ich weiß nicht.« Die Antwort war wenigstens ehrlich.

Kris hatte daraufhin nichts zu diesem Thema gesagt und Tao hatte die Zeit damit verbracht den Drachen anzustarren, der vor ihnen stand und viel größer als ihr Haus war. Vermutlich war er sogar doppelt so groß. Oder dreimal. So sicher war er sich nicht wirklich. Fakt war, dass dieses Biest einfach gewaltig war. Und Tao war sich nicht sicher, ob er Angst oder Respekt vor diesem Tier haben sollte. Vermutlich war es beides.

Drei

»Luhan?«

Keine Antwort.

»Luhan?« Seine Stimme war etwas lauter geworden.

Eine Antwort bekam er aber immer noch nicht. Er gab ein überlegendes Geräusch von sich und sah sich erneut um. Es war seltsam, wenn er Luhan hier nicht traf, und er hatte keine Ahnung, wo er jetzt noch suchen sollte. Unzufrieden zog er die Lippen zusammen, ebenfalls die Augenbrauen und kratzte sich am Hinterkopf, während er sich umsah und die ganzen Zäune und exotischen Tiere betrachtete. Und dann bemerkte er etwas Neues.

Es war nicht selten, wenn hier ein neues Tier war, denn irgendwie war das hier schon ein kleiner, privater Zoo der Königsfamilie. Oder von dem Prinzen. Wie auch immer.

Der Mann mit den hellbraunen Haaren setzte sich schließlich etwas zögerlich, vielleicht sogar schon verloren in Bewegung und sah sich noch immer nach seinem langjährigen Freund um. Sehen konnte er ihn nicht; vielleicht war es eine Überlegung wert hier einfach auf ihn zu warten.

Er könnte natürlich auch einen der anderen Stalljungen fragen, aber das traute er sich dann nicht. Das war so eine Macke von ihm, er sprach verdammt ungern mit Leuten die er nicht kannte, auch wenn es eigentlich gar keine große Sache war. Viele sagten, dass er schüchtern sei und vermutlich traf das auch zu, wenn er mit Personen reden musste, die er nicht kannte. Unter Bekannten war er jedoch alles andere als schüchtern. Letztendlich war es dann vielleicht doch immer eine kleine, unbewusste Beleidigung, wenn ihn jemand anderes als schüchtern bezeichnete. Weil er sich eigentlich gar nicht schüchtern fühlte. Meistens. Manchmal.

Okay, vielleicht schon.

Er blieb neben dem neuen, eingezäunten Bereich stehen und betrachtete das Tier mit neugierigen Augen. War das ein Alpaka? Er war sich nicht sicher, ging aber davon aus. Zumindest sah es aus wie ein kleines, wolliges Lama. Oder Kamel. Irgendwie so etwas. Und Alpakas waren angeblich kleine wollige Kamele oder Lamas. Also war das vermutlich ein Alpaka. War eigentlich ganz logisch. Mit Sicherheit konnte er das aber dann doch nicht sagen.

Das Tier – das möglicherweise ein Alpaka war – graste friedlich und der Mann, der durchaus älter war als er aussah oder wirkte, betrachtete das Schauspiel, das sich ihm bot, einige Augenblicke. Und dann hatte er keine Lust mehr. Immerhin wollte er eigentlich zu Luhan.

Aber der war offensichtlich nicht hier.

Er seufzte und betrachtete dann den Stall von außen. Vielleicht war er ja da drin. Aber eigentlich ging er da nur sehr ungern rein. Er bekam zwar keinen Ausschlag, wenn er das Heu berührte, aber es juckte immer in seiner Nase – auch wenn er den Geruch eigentlich mochte. Es war eine reine Zwickmühle. Davon aber mal abgesehen, war der Stall nicht unbedingt gutriechend, und staubig und schmutzig. Aber wohl die einzige Möglichkeit, die ihm noch einfallen würde, wo er Luhan finden würde.

Also verabschiedete er sich wortlos von dem Holzzaun und dem Tier, das vielleicht ein Alpaka war, und trat auf das Gebäude zu, das schon seit er denken konnte, als Stall diente. Und er war noch nicht oft drin gewesen.

Vorsichtig öffnete er das kleine, quietschende Tor, das ihm gerade bis zu dem Bauch reichte und trat ein. An den Geruch der Tiere gewöhnte man sich schnell, aber dennoch fiel es ihm immer wieder auf. Nicht, dass er es wirklich tragisch fand. »Luhan?«, fragte er erneut in den kühlen, schattigen Raum, in dem die Tiere nachts waren.

Eine Antwort bekam er hier auch nicht. Er seufzte, setzte sich erneut in Bewegung und steuerte eine kleine, mitgenommene Tür an, die in den hinteren Bereich des Stalls führte, in dem das ganze Heu und das andere Fressen der Tiere gelagert wurde. Er rümpfte die Nase ungewollt und versuchte sich an den Lichtunterschied zu gewöhnen. Es war nicht so als würde er nichts sehen, denn Licht fiel durchaus in den Raum, aber es war eben im Vergleich zu draußen dunkel.

Er trat an vollen und angebrochenen Säcken mit irgendwelchen Früchten und Gräsern vorbei und hörte irgendwann ein Rascheln. Er blinzelte und beschleunigte seinen Schritt, bog um eine Steinmauer und sah schließlich den Teil des Raumes, der mit getrocknetem Stroh gefüllt war. Der Geruch biss in seiner Nase, aber das bemerkte er nicht wirklich, weil seine dunklen Augen auf einen blonden Jungen gefallen waren, der mitten in dem Strohberg stand und dabei war Heu in einen hellen Leinensack zu stopfen.

Wieso stand er mitten in dem Berg, wenn er Stroh holte? Wieso blieb er nicht einfach am Rand stehen und nahm das naheliegende Heu? Irgendwie wollte das nicht viel Sinn in seinen Augen ergeben, nicht, dass er Luhans Taten je in Frage stellen würde.

Er beobachtete ihn einige Augenblicke, ehe er seine Hände hob und sie im nächsten Moment nach vorn stieß, als würde er etwas Unsichtbares von sich schlagen. Stroh wirbelte auf und im nächsten Moment gab Luhan ein erschrockenes Geräusch von sich und landete, als hätte ihn irgendjemand oder etwas geschubst, mit dem hübschen Gesicht voran, in dem Berg voller kratzigem Stroh. Sofort drehte er sich wieder um und im nächsten Moment blickte er zuerst erschrocken und dann breit grinsend zu ihm.

»Sehun«, machte Luhan freudig und raffte sich wieder auf die Beine, während Sehun sich schließlich die Schuhe abstreifte und in das stechende Heu sprang und nach ein paar Augenblicken neben Luhan stand.

»Ich dachte, du bist im Unterricht«, sagte Luhan und Sehun hob seine rechte Hand und zog ein paar Strohüberreste aus Luhans blonder Mähne.

»Das denken die anderen wohl auch«, sagte er grinsend und er konnte nichts dagegen tun, dass er die Zischlaute nicht wirklich gut aussprechen konnte. Aber Luhan hatte das noch nie gestört.

Luhan grinste leicht. »Du solltest aufhören den Unterricht nicht ernst zu nehmen«, tadelte der Blonde ihn, klang jedoch absolut nicht bösartig. Seine Stimme war ruhig und freundlich wie immer. Sehun blickte zur Seite und zog eine Schnute. »Ich nehme ihn sehr wohl ernst. Aber erstens nehmen die mich nicht ernst und zweitens hab ich sowieso keine Lust in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.«

»Vermutlich bist du der einzige Mensch, der das nicht machen will, hm?« Eine rhetorische Frage. Sehuns Vater war der Schatzmeister des Palastes und kümmerte sich dementsprechend nicht nur um das Gold, sondern auch um die Steuern. Und Sehun konnte Zahlen schon seit Jahren nicht mehr sehen oder gar mit ihnen umgehen. So gesehen war diese Arbeit aber ziemlich begehrt, weil man in Saus und Braus leben konnte. Aber Sehuns Idealen entsprach das absolut gar nicht.

»Vermutlich«, sagte er leise und nahm im nächsten Moment den Leinensack entgegen, den Luhan ihm mit einem »Halt mal« reichte.

Sehun beobachtete wie Luhan Stroh in den halbvollen Sack stopfte und konnte sich ein feines Grinsen nicht verkneifen. Und dann fiel ihm etwas ein. »Da steht was Neues auf der Weide. Was ist das? Ein Alpaka?«

»Ja, genau. Es heißt eigentlich Phueng, aber Kris hat es nach Ace Junior umbenannt.«

Sehun gab ein amüsiertes Schnauben von sich. »Na dann. Und das Heu ist für… Phueng Ace Junior?«

»Auch, ja.«

Der Beutel war schnell gefüllt und Luhan drückte das vorhandene Stroh noch einmal etwas zusammen, packte eine letzte Hand voll Heu rein und wischte sich dann kurz über die Oberlippe.

»Du hast immer noch überall Stroh. Ich hab keine Ahnung, wie du das gemacht hast.«

Luhan blickte sich kurz um, um sicher zu gehen, dass das niemand sonst hörte. »Manchmal, wenn niemand da ist, roll ich den Strohhaufen runter.«

»Was?«, wollte Sehun amüsiert und gleichzeitig verwirrt wissen und betrachtete Luhan, der gluckste. »So wie der Büffel?« Einer der braunen Büffel hatte die seltsame Angewohnheit sich immer auf den Rücken zu werfen und ein wenig herum zu rollen, vermutlich kratzte er sich somit einfach. Und Luhan tat das wohl auch hin und wieder. Im Stroh.

»Ja, genau«, sagte Luhan grinsend und kratzte sich offensichtlich etwas peinlich berührt im Nacken. Sehun fing an ihn erheitert auszulachen.

Luhan schenkte ihm einen strafenden Blick und warf sich im nächsten Moment gegen Sehun, der in dem Stroh natürlich das Gleichgewicht verlor und nach hinten flog. Und dann rollten die beiden ein paar Meter durch das Stroh und kamen irgendwann zum Halt, wobei Luhan breit grinsend zu Sehun sah, der halb unter ihm lag und leise lachte.

»Ich glaub ich hab eine neue Beschäftigung gefunden. Es ist zumindest unterhaltsamer als der ätzende Unterricht«, meinte Sehun.

Luhan hob die Augenbrauen etwas an, das Grinsen war noch immer auf seinen Lippen, aber deutlich etwas milder geworden. »Aber der Unterricht ist wichtig. Am Schluss endest du noch so wie ich.«

»Da wäre nichts schlechtes dran«, stellte er fest und Luhan schnaubte, schüttelte kurz den Kopf.

»Du hast was Besseres verdient als das, was ich hier mache. Ich bin mir sicher, dass du ein reizender Schatzmeister wärst.«

»Von wegen. Lieber würde ich den Hofnarr spielen. Das passt wenigstens zu meinem dämlichen Sprachfehler, die Leute würden sicher herzlich lachen.«

Luhan warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Sag nicht so was! Du bist ein wunderbarer Mensch und ich mag dich so wie du bist.« Seine Stimme klang sanft und er hob eine seiner Hände und legte den Zeigefinger auf Sehuns Nase. »Außerdem kannst du nichts dafür«, er meinte vermutlich seinen Sprachfehler, »und wenn dich deswegen jemand auslacht, kann diese Person gern mal eine Begegnung mit meiner Mistgabel machen!«

Irgendwie schaffte es Luhan nicht, eine Drohung wirklich bedrohlich klingen zu lassen und sein böser Blick half auch nicht so wirklich nach. Vermutlich lag das einfach an seinem runden Gesicht, das einfach viel zu sanfte Züge hatte um ernst genommen zu werden. Und dennoch waren die Worte aus Luhans Mund beruhigend, weil ihm egal war, was alle anderen sagten. Für ihn war nur wichtig, dass Luhan ihn mochte; nichts anderes zählte.

»Danke«, flüsterte Sehun leise und schenkte ihm ein Lächeln, dass Luhan ehrlich erwiderte. Und dann hob er seine Hände, legte sie sachte an Luhans Wangen und strich mit dem rechten Daumen kurz über die weiche Haut des anderen. Seine Augen betrachteten die blassen Lippen des anderen für einen Moment, ehe er seinen Blick hob und Luhan in die Augen sah. Langsam löste er die linke Hand von Luhans Wange, nur um sie kurz darauf in den Nacken des Blonden zu legen. Und im nächsten Moment hob er seinen eigenen Oberkörper etwas an, zog die rechte Hand zurück, nur um sich damit in dem Stroh abstützen zu können. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter von einander und Sehun konnte Luhans warmen Atem auf seiner eigenen Haut spüren. Langsam schloss er seine Augenlider, ehe er seine Lippen vorsichtig gegen die trockenen von Luhan drückte.

Es war jedes Mal dasselbe. Egal wie oft sie sich schon geküsst hatten, sein Herz raste immer wieder und er spürte wie die Nervosität langsam über seinen Rücken kletterte und in seinem Nacken sitzen blieb. Jedes Mal wenn sich ihre Lippen berührten wurde er aufgeregt und meistens sogar noch eine Spur erregt; besonders dann, wenn Luhan den Kuss erwiderte und versuchte die Oberhand über das, was sie hier taten, zu bekommen – so wie im Moment.

Luhans Hand drückte gegen seine Brust und Sehun ließ sich nach hinten in das Stroh nieder, ohne dass sie die Berührung lösten. Er hielt die Augen geschlossen, spürte sein Herz bis in den Hals schlagen und den leichten Biss in seiner Unterlippe. Der Kuss wurde für einen kurzen Moment gelöst und Sehun öffnete seine Augenlider ein Stück, spürte Luhans Lippen wieder auf seinen eigenen und genoss den fordernden Kuss. Seine linke Hand war hoch in die blonden Haare des anderen gewandert und unbewusst hatte er in sie gegriffen, nur damit er nicht auf die Idee kommen würde, den Kuss erneut zu lösen.

Und dann hörten sie wie die Tür geöffnet wurde. Die innige Berührung wurde sofort gelöst und Luhan sah ihn einen Moment erschrocken an, drehte dann den Kopf herum und konnte eine unsichere Stimme hören, die Luhans Namen sagte.

»Ich bin hier hinten«, sagte Luhan, der sich neben Sehun gesetzt hatte, der sich ebenfalls aufraffte und die Person, die er nicht kannte, verfluchte. Er leckte sich kurz über die feuchtgeküssten Lippen und sah dann zu der Person, die um die Ecke bog.

Eigentlich hätte er eher damit gerechnet, dass jemand auftauchen würde, der nach ihm suchte, aber so wie es aussah, wollte die Person irgendetwas von Luhan. Und es war offensichtlich, dass sie nicht von hier war. Ein Blick auf die Kleidung genügte in solchen Fällen.

»Hallo«, begrüßte die Person, die auf den ersten Blick ziemlich groß wirkte und Sehun schenkte ihm ein leichtes Lächeln, nickte ihm zu. Er war durchaus nicht gut darauf zu sprechen, dass man sie störte, aber das zwischen ihm und Luhan durfte niemals irgendjemand erfahren. Das war viel zu riskant. Sein Vater würde ihm den Kopf abreißen. In seiner Stellung konnte er sich so etwas nicht leisten. Nicht, dass Intimität zwischen Männern hier etwas Seltenes war, aber angesehen war es eben nicht von allen. Viele behaupteten immer, dass sich das nur bestimmte Leute leisten konnten, aber Sehuns Vater würde ihn höchstpersönlich den Drachen vorwerfen, würde er erfahren, dass er Hals über Kopf in den Stalljungen verliebt war.

»Du lebst ja noch«, stellte Luhan grinsend fest, der sich schließlich aufgerafft hatte und den weißen Leinensack mit dem Stroh holte, ehe er einen entschuldigenden Blick zu Sehun warf und aus dem Heu trat um kurz darauf neben dem schwarzhaarigen Fremden zu stehen. Nicht, dass er Luhan je böse sein konnte, war ja nicht seine Schuld.

»Ja«, sagte der andere. »Auch wenn ich durchaus hin und wieder dachte, dass ich als Drachenfutter enden würde.«

Luhan grinste und Sehun stand schließlich ebenfalls aus dem stechenden Stroh auf und trat zu den anderen beiden, schlüpfte wieder in seine Schuhe und klopfte sich das Heu aus den Klamotten und den Haaren.

»Wie kann ich dir helfen, Tao?«, fragte Luhan dann, der Sehun kurz beobachtet hatte, ehe er wieder zu der Person sah, die anscheinend Tao hieß.

»Uhm«, machte er. »Wie komm ich zurück?«

»Oh!« Luhan sah ihn an, als hätte er das völlig vergessen. »Ich kümmere mich darum.«

Der Blonde drehte sich zu Sehun, der den Blick erwiderte. »Tut mir Leid, Sehun. Ich bin gleich wieder da.«

»Schon okay«, war seine Antwort und er schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. Und dann sah er dabei zu wie Luhan Tao ein Zeichen zum Folgen gab und wie die beiden aus der Tür in den eigentlichen Stall verschwanden.

Sehun seufzte, schloss die Augen für einen Moment und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, leckte sich dann flüchtig über die Unterlippe und stellte fest, wie unglaublich verknallt er in Luhan war.
 

Einige Tage waren seit dem Besuch im Palast vergangen und sein üblicher Alltag war recht schnell zurückgekehrt. Aber Tao erwischte sich immer wieder dabei, wie er an die Umgebung hinter den Mauern dachte. An die schönen Häuser, an die vielen Stände mit den fremden, leckeraussehenden Früchten. Er erinnerte sich an die spielenden Kinder, die lachten und wirkten als würden sie kein Unheil kennen. Er erinnerte sich an die vielen, edlen Kleidungen, an die verschiedenen Tiere und vor allem an das gewaltige Palastgebäude und den lebenden, realen Drachen.

Er wusste nicht, ob er dort leben wollte, aber er bemerkte, dass er gern mehr Zeit dort verbracht hätte. Denn es war so viel schöner gewesen als hier. Nicht nur optisch; die ganze Stimmung war anders gewesen. Unbesorgter, freier. Aber vermutlich war das alles nur ein trügerischer Schein gewesen, bestimmt war die Welt hinter den Schlossmauern nicht halb so glücklich, wie sie wirkte. Probleme gab es sicher auch dort, wo viel Gold war. Vielleicht sogar besonders dort.

Er erinnerte sich an Kris‘ Worte und fragte sich, ob es tatsächlich ein nächstes Mal geben würde. Und je länger er darüber nachdachte, desto schöner würde er es finden. Ihm war bewusst, dass das nicht seine Welt war und nie sein würde, aber es war sicher in Ordnung einfach mal dort hin zu verschwinden. Für ein paar Tage oder nur ein paar Stunden. Vielleicht hatte dieser Besuch ihm klar gemacht, wie wenig er über das Land eigentlich wusste. Er kannte nur ihre Farm, ihre Felder und ein wenig von der Umgebung. Aber das war es dann auch schon und das war irgendwie traurig, weil er sich so vorkam, als würde er sein Leben verschwenden.

Es war bewölkt und das war selten. Zwar schien die Sonne hin und wieder trotzdem unerbittlich auf das Land, aber es war kühler als sonst. Und das begrüßte er, denn es gab nichts Schlimmeres als sich in der Hitze zu bewegen. Und Tao war eine Person die Bewegung zum Ausgleich brauchte. Er war beweglich und sportlich und er war auch stolz darauf, dass er seinen Körper so fürchterlich gut beherrschen konnte.

Auf die Dauer war es ihm jedoch trotzdem zu heiß geworden. Und deswegen hatte er sich auf den Baum mit den wenigen Blättern zurückgezogen und genoss den Schatten und die kühlen Luftzüge, in deren Genuss er hin und wieder kam.

Er hatte seinen Kopf seitlich gegen den Baumstamm gelehnt, atmete ruhig durch und beobachtete die Landschaft aus halb geschlossenen Augenlidern. Seine linke Hand gab ihm etwas sicheren Halt, indem er den Baumstamm halbwegs umarmte, sein anderer Arm hing schlaff von seinem Körper. Seine Augenlider waren träge und Tao glaubte, dass er gerade dabei war zu tagträumen.

»Hallo«, hörte er plötzlich eine Stimme, ganz dicht an seinem Ohr und Tao riss die Augen auf, zuckte zusammen und es war ein reiner Reflex, dass er mit seinem Ellbogen nach hinten schlug. Er spürte, wie der Ellbogen mit einem Wangenknochen kollidierte und verlor im selben Moment das Gleichgewicht, weil er nur auf einem der dünnen Äste des Baumes saß. Er hörte ein kurzes Wehklagen und konnte gerade noch eine goldene Haarmähne erkennen, ehe die Welt an ihm vorbei zog und er von dem Ast flog. Er gab einen Schrei von sich, den er nicht verhindern konnte, und seine Hände versuchten nach den Ästen zu greifen und sich zu halten.

Der feste Griff um sein Handgelenk kam wie aus dem Nichts und Tao griff im selben Moment um einen der Äste, schürfte seine Haut dabei ein wenig auf und hing dann wie eine hilflose Frucht vom Baum. Er hatte den Kopf gehoben und blickte zu der Person, die ihn festhielt, suchte blind mit den Füßen irgendwelche Äste, um mehr Halt zu finden.

»Was machst du denn hier?«, wollte er von niemand anderem als Kris höchst persönlich wissen, der ihn wieder los ließ, als Tao wieder stand.

»Dir auch einen schönen Tag«, erwiderte Kris, der sich die leicht gerötete Wange rieb. »Der Schlag hat ganz schön gesessen.« Er klang alles andere als angetan von der Situation und Tao kletterte wieder etwas nach oben, damit sie auf einer Höhe waren.

»War ein Reflex. Tut mir Leid.« Er meinte die Entschuldigung sogar ernst. Kris runzelte die Stirn, nahm die Hand dann von seiner Wange und sah zu Tao, schenkte ihm ein leichtes Grinsen.

»Wieso bist du hier?«, wollte Tao dann erneut wissen und konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso der junge Prinz hier war. Kris sah ihn einen Moment lang an, drehte den Kopf dann weg und beobachtete offensichtlich die Umgebung.

»Einfach so. Mir war danach.«

Tao runzelte die Stirn und lächelte schließlich etwas. »Sag bloß dir hat es mein tristes Leben angetan?«

Kris Antwort darauf war ein höhnisches Schnauben. »Von wegen. Ich bin froh, dass ich hier nicht leben muss.«

»Aber?«

»Kein Aber.«

Tao hatte sich inzwischen wieder auf einen der Äste gesetzt und betrachtete Kris einen Moment, ehe er auf das Brennen in seiner Handfläche aufmerksam wurde. Bei dem plötzlichen Halt an der rauen Rinde war ein bisschen seiner Haut abgeschürft worden, stellenweise konnte er sogar etwas Blut erkennen, aber tragisch war die Verletzung nicht.

»Hast du dich verletzt?«, wollte Kris wissen.

»Nicht so schlimm«, sagte Tao und winkte ab. »Mir sind schon durchaus tragischere Dinge passiert.«

»Hm«, machte Kris und nickte nur.

»Also«, fing Tao wieder an, »wieso bist du hier?«

»Einfach so. Mir war danach. Das ist alles.«

»Dir war also danach irgendwo auf einen Baum zu klettern und mich zu erschrecken?«

»Offensichtlich.«

»Na dann«, machte Tao nur etwas ratlos. »Und wie bist du hier her gekommen, ohne dass ich dich bemerkt habe?«

Kris schenkte ihm ein schiefes Grinsen. »Du warst offensichtlich abgelenkt genug, um das nicht zu bemerken.« Sah ganz danach aus.

»Wusste gar nicht, dass du klettern kannst«, scherzte Tao dann mit einem leichten Grinsen. »Tut es arg weh?« Das war natürlich auf den Schlag bezogen, nicht auf das Klettern.

»Hast einen ziemlichen Schlag drauf, da könnte man meinen, du machst so etwas öfters«, bemerkte Kris, antwortete damit aber wohl dennoch nicht auf die gestellte Frage.

»Ich wäre zumindest in der Lage so etwas öfters zu machen«, antwortete Tao ehrlich. »Aber das war das erste Mal, dass ich einen Prinzen in sein hübsches Gesicht geschlagen hab.« Vermutlich war der Satz durch seine Betonung etwas zwischen Ironie und einer amüsierten Herablassung. Auch wenn er nicht leugnen konnte, dass Kris durchaus ein schönes Gesicht hatte. Er erinnerte sich daran, dass es ihn bei ihren ersten Treffen gestört hatte, aber inzwischen tat es das nicht mehr. Vielleicht, weil er mitbekommen hatte, dass Kris auch eine andere Seite neben seiner Arroganz hatte, die die meiste Zeit nur gespielt war.

»Das fasse ich einfach mal als Kompliment auf. Nicht, dass du mir das hättest sagen müssen.« Okay, vielleicht war die Arroganz doch nicht immer gespielt.

Tao senkte den Kopf etwas und gluckste amüsiert. Als er den Kopf wieder anhob bemerkte er Kris‘ Blick, der auf ihm lag. »Willst du mir wirklich nicht verraten, wieso ausgerechnet jemand wie du in einem Baum sitzt?«

»Ich wollte zu dir.«

»Und wieso?«, wollte er misstrauisch wissen.

»Weil ich möchte, dass du mit mir kommst.«

»Was? Wieso?« Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er verwirrt war.

»Musst du alles, was ich sage, in Frage stellen?«

»Wenn es keinen Sinn für mich ergeben möchte, durchaus.«

Kris seufzte auf seine Antwort hin etwas. »Du möchtest also nicht noch einmal zu uns.«

»Das hab ich nicht gesagt«, antwortete Tao sofort.

»Wieso sagst du dann nicht einfach, dass du gern mitkommen würdest?«, fragte Kris, als würde Taos Reaktion für ihn keinen Sinn machen.

Tao drehte den Kopf minimal weg, behielt Kris jedoch immer noch in den Augen und schenkte ihm einen unsicheren Blick. »Aus welchem Grund kommt dieses Angebot?«

»Aus dem Grund, dass ich gesehen hab, dass du die Zeit bei uns genossen hast.«

Tao bemerkte, wie sehr ihn diese Aussage traf. Nicht, weil sie falsch oder verletzend war, sondern weil sie stimmte. Er hätte nicht gedacht, dass jemand wie Kris in der Lage war solche Dinge zu erkennen. Vielleicht sollte er langsam aufhören noch immer nach seinen Vorurteilen zu gehen, denn Kris hatte ihm eigentlich schon oft genug gezeigt, dass er nicht so war, wie Tao dachte.

»Ich hab es an deinen Augen gesehen«, sprach Kris ruhig weiter. »Und deine Faszination hat mir gefallen. Deswegen biete ich dir das an.«

»Ich weiß nicht, ob dein stechender Blick, oder das was du sagst, gruseliger ist.«

Kris hob auf diese Aussage hin eine Augenbraue an. »Dir ist schon klar, dass es nicht viele Menschen gibt, die das aus meinem Mund hören, oder?«

»Mir ist auch klar, dass du nicht spaßhalber auf Bäume kletterst«, erwiderte er ruhig. Tao war verunsichert und vermutlich konnte man ihm das ansehen. Er konnte nicht mit der Situation und Kris‘ Worten umgehen.

»Du möchtest mich also mitnehmen, weil du gesehen hast, dass es mir gefallen hat?«, fasste er das, was er verstanden hatte, zusammen.

»Was spricht dagegen? Denkst du, dass ich ein schlechter Mensch bin?«

Tatsache war, dass Tao vor Wochen tatsächlich noch davon ausgegangen war, dass die Leute, die hinter den Mauern und in Saus und Braus lebten, schlechte Menschen waren. Weil er es nach wie vor nicht verstand, wieso nicht einfach jeder auf einem selben Niveau leben konnte. Nun war das Problem allerdings, dass er gesehen hatte, dass die Personen hinter der Mauer auch nur normale Menschen waren. Normale Menschen mit anderen Lebensumständen, für die die meisten vermutlich genau so wenig konnte, wie die Tatsache, dass Tao hier lebte. Letztendlich machte sie das aber nicht zu schlechten Menschen, nur weil sie mehr hatten, als Tao oder andere Bauernjungen je besitzen würden. So etwas war wohl einfach nur Schicksal.

»Nein«, antwortete er also und bemerkte, dass er die Tatsache ehrlicher meinte, als er vermutet hatte.

»Und trotzdem bist du misstrauisch«, stellte der Prinz fest.

»Natürlich bin ich das! Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wie du hier auftaucht und jemanden wie mich kurzerhand zu einem Besuch einlädt? Ohne einen ausschlaggebenden Grund.«

»Es ist also nicht ausschlaggebend, wenn ich dir einen Gefallen tun möchte?« Tao bemerkte, dass Kris Ton etwas genervt klang.

»Einfach so?«, hakte Tao nach.

»Einfach so«, bestätigte Kris.

»Aber-«, Tao wurde unterbrochen.

»Das Gespräch führt zu nichts. Willst du nun mit? Ich kann auch ohne dich gehen.«

Tao öffnete seinen Mund einen Moment und sah zur Seite. Er wollte schon. Aber im einen war da noch immer sein Misstrauen. Zum anderen wusste er auch gar nicht, was er seinen Eltern erzählen sollte. Es war einfach eine Situation mit der er nicht gerechnet hatte, weil sie so unlogisch klang.

»Okay«, sagte er schließlich.

»Geht doch«, sagte Kris und im nächsten Moment sprang er mit einer unglaublichen Leichtfüßigkeit vom Baum und Tao starrte ihm mit leicht offenem Mund hinterher. Vielleicht sollte er wirklich dringend aufhören Kris mit seinen Vorurteilen zu beurteilen. Denn offensichtlich hatte Tao nicht einmal eine leise Ahnung über diese Person.

Er hangelte sich von dem Baum, sprang den letzten Meter dann und lief zu Kris, der auf ihn wartete.

Tao hatte langsam das Gefühl, dass er keine Ahnung mehr hatte, was die letzten Tage passierte. Aber irgendwie wurde sein einstudiertes Leben ziemlich durcheinander geworfen.

Und das alles nur wegen diesem jungen Mann, aus dem er nicht schlau wurde.
 

Er bemerkte nicht, dass die Blicke der Leute auf ihm lagen. Schon vor Jahren hatte er sich daran gewöhnt der Mittelpunkt des Geschehens zu sein, wenn er irgendwo in der Öffentlichkeit war. Und meistens schmeichelte es ihm und wenn er keine Lust darauf hatte, dann ignorierte er es eiskalt. So wie im Moment. Denn gerade zählten die ehrfürchtigen Blicke der Bewohner nicht.

Im Moment zählten nur die Reaktionen des Schwarzhaarigen, die ihn aus irgendwelchen Gründen unglaublich beeindruckten. Er hatte noch nie eine Person gesehen, die über so banale Dinge so fürchterlich erstaunt gewesen war. Er liebte dieses Glitzern in seinen Augen und wenn er den Mund vor Erstaunen leicht geöffnet hatte.

Kris glaubte, dass ihn das Verhalten von Tao in seinen Bann gezogen hatte. Noch nie hatte er eine Person erlebt, der er solche Begeisterung und Freude ansehen konnte. Und das war faszinierend. Alles an ihm war faszinierend. Seine große Klappe, die Tatsache dass er nicht einmal das Haupt vor ihm verbeugte. Kris glaubte, dass er sich in seiner Gegenwart nicht halb so unter Druck gesetzt fühlte, wie sonst.

Alle erwarteten immer, dass er ein perfektes, adrettes Abbild eines jungen Prinzen abgab und Kris wusste, dass er das konnte. Aber auf die Dauer war es ermüdend und die ganze Heuchelei, die er täglich erlebte, führte nur dazu, dass er sich übergeben wollte. Wahrscheinlich gab er sich nur mit Tao ab, weil er sich in seiner Gegenwart irgendwie entspannen konnte. Und weil irgendetwas in ihm dafür sorgen wollte, dass der Junge glücklich war.

Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, ihm das Alpaka wegzunehmen. Er hatte sogar wieder daran gedacht, es ihm zurück zu geben. Vielleicht hatte er auch so einen Vorwand die Mauern hinter sich zu lassen. Je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher wirkte dieser Grund für andere. Aber wenn er nicht zu dem Berg wollte, musste der Berg eben zu ihm. Immerhin wusste Kris durchaus, wie er seine vorhandene Macht einsetzen konnte. Auch wenn er selbst nicht so wirklich klar verstand, wieso er diesen jungen Mann so dringend in seiner Nähe wollte. Wahrscheinlich war es einfach nur diese Faszination und Kris war es gewohnt das zu bekommen, was er wollte. Natürlich, würde sein Vater abtreten, würde er über das Land herrschen – da war es ganz logisch, dass er das bekam, was er wollte. Letztendlich gehörte ihm das alles ja auch schon irgendwie.

»Was ist das da?«, wollte Tao wissen, der auf eine rötliche Frucht zeigte und die gut gebaute Dame hinter dem Stand voller Obst und Früchte ansah. Die Frau schenkte ihm ein Lächeln, das so wirkte, als wäre es eigentlich nur für kleine, neugierige Kinder bestimmt und antwortete ihm schließlich. »Ein Strauchpfirsich, die wachsen ausschließlich im Norden des Landes. Es ist eine sehr süße und vor allem saftige Frucht. Möchtet Ihr eine probieren?«

Tao betrachtete die Frucht, deren Farbe schon so fürchterlich verlockend war, öffnete den Mund und bevor er zustimmen konnte, fiel ihm ein, dass er es gar nicht bezahlen konnte. »Ich hab kein Gold bei mir«, sagte er dann. Wobei die Aussage wohl auch schon ohne dem ‚bei mir‘ richtig gewesen wäre.

Die Dame lächelte freundlich, griff zu einer der Früchte und lehnte sich über den Stand und drückte Tao den Strauchpfirsich in die Hand. »Der geht aufs Haus. Ich hoffe, dass er schmeckt.«

Etwas überfordert blickte er von der angeblich süßen Frucht in seiner Hand zu der freundlichen Dame, die ihm ein Lächeln schenkte. »Danke schön«, sagte er zögernd und erwiderte das Lächeln schließlich. Tao war sich nicht sicher, ob diese Person Mitleid gehabt hatte, sich von Kris hatte einschüchtern lassen, oder ob sie einfach wirklich freundlich gewesen war. Aber er wollte es gar nicht hinterfragen und einfach als eine freundliche Geste im Kopf behalten.

Kris setzte sich wieder in Bewegung und er konnte aus den Augenwinkeln erkennen, dass Tao sich ehrfürchtig vor der Dame verbeugte und ihm dann folgte.

»Lass es dir schmecken«, sagte er nur ruhig, als Tao aufgeholt hatte und wieder neben ihm lief. Er schielte zu Tao der die Frucht in den Händen hin und her drehte und grinste etwas. »Traust du dich nicht?«

»Sei still«, fauchte Tao leise. »Vielleicht hab ich ja einfach noch gar keinen Hunger.«

Ja, natürlich. Kris glaubte, dass er tatsächlich Hemmungen hatte, den Pfirsich einfach zu probieren. Aber gut, vielleicht fühlte er sich auch nicht so wohl im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu liegen. Es hatte halt nicht immer Vorteile neben ihm zu laufen. Tao wirkte nicht so, als würde er es genießen, aber auf ihn machte er nun auch nicht den Eindruck, als wäre es unerträglich.

Kris führte ihn über den Markt, den Garten seiner Familie und schließlich zu dem Stall, an dem Tao seine ehemaliges Alpaka begrüßte und es einige Augenblicke streichelte, ehe sie erneut in den großen Palast traten. Den Pfirsich hatte er noch immer nicht gegessen; vielleicht wollte er ihn sich einfach aufheben – war ja auch egal.

Tao hatte das Gebäude mit gigantischen Augen beobachtet und es wirkte so, als würde er aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Und genau dieser Anblick ließ ihn jünger wirken, als er vermutlich war. Er wirkte wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal eine leckere Süßspeise sah oder aß und irgendwie war die Tatsache, dass Tao so sprachlos war und nur staunen konnte, fürchterlich entspannend. Kris glaubte, dass es sonst keine Person gab, die ihm so etwas bieten konnte; vielleicht fühlte er sich aus diesem Grund auch irgendwie stolz.

»Wow«, machte Tao langegezogen, als sie den Raum betreten hatten, den Kris sein Eigen nennen konnte. »Das ist dein Zimmer? Das ist größer als unsere Räume zusammen.« Ja, das hatte er sich schon gedacht. Aber davon abgesehen, wohnte Taos Familie auch nicht in einem großen Haus.

Der Schwarzhaarige wanderte zu dem Fenster, legte den Pfirsich dort ab und sah durch das Glas. »Was für ein Ausblick«, begann er, »dagegen ist es ja gar nichts, wenn man auf Bäume klettert.«

Kris konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, schloss die Tür und trat schließlich ebenfalls über den roten Teppich neben Tao, der noch immer an dem Fenster stand und nach draußen starrte.

»Erinnerst du dich noch daran, was ich letztens gesagt habe?«, fragte Kris dann schließlich und Tao riss den Blick nur widerwillig von der Aussicht um zu ihm zu sehen.

»Du hast mehrere Dinge gesagt«, stellte er dann fest, zögerte kurz ehe er weiter sprach. »Meinst du das mit dem Drachen?«

»Genau das.«

»Oh«, machte Tao und schien trotzdem nicht wirklich genau zu wissen, worauf er hinaus wollte.

»Ich geh davon aus, dass du noch nie außerhalb des Landes warst«, sagte Kris.

Tao nickte und sah ihn mit einem unsicheren Blick an. »Worauf willst du hinaus?«

»Ich muss in zwei Tagen auf ein Treffen in den Westen. Wenn du willst, nehm ich dich mit. Immerhin hab ich gesagt, dass du beim nächsten Mal vielleicht auf Ace reiten kannst.«

Tao sah ihn mit leicht geöffnetem Mund an. »Wieso fragst du ausgerechnet mich das?«

»Du bist angenehme Gesellschaft.«

»Bist du dir da sicher?«, wollte Tao misstrauisch wissen.

»Sonst hätte ich das nicht gesagt.«

»Was ist das für ein Treffen?«, wollte er dann wissen.

Kris seufzte etwas. »Reine Routine. Ein bisschen Heuchelei, ein bisschen Wirtschaft. Letztendlich ist es nur ein Treffen der Königshäuser, damit der Frieden gewährt bleibt. Vermutlich gibt es ein paar Attraktionen zur Unterhaltung und gutes Essen. Das Übliche eben.«

Tao zögerte einen Moment. »Und wie kommst du auf mich? Ich bin doch eine dieser Personen, die auf so etwas völlig fehl am Platz ist.«

»Wieso?«, wollte Kris wissen.

»Wieso?! Weil ich auf einer Alpakafarm arbeite, weil ich der Sohn eines Bauers bin und mir nicht einmal Schuhe leisten kann. Deswegen. Vielleicht ist dir ja entfallen, dass du der Prinz bist und ich nicht eine Person bin, mit der du dich abgeben solltest. Rein aus optischen Gründen.«

Kris schnaubte etwas amüsiert. »Offensichtlich ist dir entfallen, dass ich der Prinz bin und nicht anders herum. Weißt du wie einfach es ist dir angemessene Klamotten zu besorgen? Und rein aus optischen Gründen laufe ich lieber neben dir, als neben der Hälfte der Bürger. Sieht so aus als hätte ich deine Aussage widerlegt.«

»Ja, das hast du«, sagte Tao zögerlich.

»Auch wenn ich vielleicht nicht so wirke, halte ich meine Versprechen. Aber wenn du das Angebot nicht annehmen möchtest, ist das deine Sache.«

»Nein«, sagte Tao sofort und stockte dann einen Moment. »Also ich… ich würde gern mit. Aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich mein…«

»Sei still«, unterbrach Kris ihn. »Was eine gute Idee ist, entscheide noch immer ich. Ich hoffe, dass du das nicht vergessen wirst. Also, tust du mir den Gefallen und kommst mit?«

»Warte… Das wäre ein Gefallen für dich?«

»Ja.«

Der Schwarzhaarige biss sich auf die Lippen. »Ich bin dabei«, sagte er dann.

»Überlass deine Sorgen mir«, sagte Kris und schenkte ihm ein schiefes Grinsen.

Vier

Seine Mutter hatte ihn angestarrt, als wäre er ein Wesen von einem anderen, unbekannten Planten gewesen, als er ihr alles erzählt hatte. Und Tao konnte ihr das nicht verübeln, denn wie wahrscheinlich war es schon, dass sich ausgerechnet der Prinz des Landes mit jemand wie ihm abgab? Hoch war die Wahrscheinlichkeit absolut nicht. Und deswegen hatte er auch die Verblüffung verstanden und irgendwie hatte es ihn geehrt und geschmeichelt; aber gleichzeitig hatte sie ihm irgendwie auch leidgetan, weil sie es nicht so recht verstand. Tao tat das ja auch nicht. Sein Vater hingegen hatte ihm gesagt, dass er ja guten Eindruck hinterlassen sollte. Klar, er repräsentierte nun ja vermutlich ihre Farm und wahrscheinlich wäre es nur fair für seine Familie, wenn er Kris dazu überreden würde, dass sie ruhig die Steuern erlassen könnten, oder so einen Spaß. Das Problem war nur, dass Tao das nicht wollte. Er wollte keinen Vorteil aus der Situation ziehen, denn er hatte das Gefühl, dass er anfing Kris zu schätzen. Nicht als Prinzen; nein, absolut nicht als Prinzen, sondern viel mehr als Freund. Oder so etwas in der Art zumindest. Tao war sich nicht sicher, was er von Kris halten sollte, weil er seine Taten nicht nachvollziehen konnte, aber es war ein absoluter Fakt, dass er ihn irgendwie leiden konnte. Ihr Anfang war zwar ziemlich unter aller Sau gewesen, aber Kris hatte ihm vielleicht doch die ein oder andere interessante und liebenswürdige Seite gezeigt.

Vielleicht wollte er auch einfach nochmal in den Genuss des Strauchpfirsichs kommen, der das Beste war, das er je geschmeckt hatte.

Man hatte ihn wieder zum gewaltigen Palast gebracht und Tao war dezent verwirrt gewesen, als er das riesige Badezimmer gesehen hatte. Kris hatte ihm gesagt, dass der Schneider gleich vorbei kommen würde und dass ihm ein Bad wohl nicht schaden würde. Und jetzt stand er hier und wohin Kris verschwunden war, wusste er nicht.

»Alles in Ordnung?«, wurde er von dem Jungen, der einige Zentimeter kleiner war als Tao und dunkelbraune Haare hatte, gefragt. Tao drehte den Kopf zu ihm und fragte sich, was die Person hier suchte. Und was er hier suchte. Was er hier suchte war wohl die bessere Frage.

»Ehm«, machte er. »Ja. Denke schon.«

Sie sahen sich einen Moment peinlich schweigend an und Tao hatte keine Ahnung, was er tun oder sagen sollte.

»Ich vermute, dass du Tao bist?«, wurde er dann gefragt und Tao wunderte sich, dass ihn hier jeder kannte. Also entweder hatte es sich herumgesprochen, oder Kris hatte mit dem Jungen einfach Bescheid gesagt. Er hoffte ja, dass es letzteres war.

»Ja«, sagte er nur. »Aber ich weiß nicht so genau was ich hier soll.« Irgendwie sagte er immer nur dasselbe zu den Leuten hier.

»Na ja, es gibt nicht allzu viele Dinge, die man in einem Bad machen kann.« Der junge Mann schwieg einen Moment, sah weg, öffnete den Mund und sah, als würde er seine Aussage revidieren wollen, ließ es dann aber doch. »Wie auch immer. Ich bin Baekhyun und soll dir… uh, helfen?«

Tao öffnete die trockenen Lippen etwas, sah zur Seite und dann wieder zu Baekhyun und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. »Ich glaub das bekomm ich selber hin.«

Baekhyun gluckste. »Davon gehe ich aus.«

Tao bewegte sich nicht, sondern sah ihn nur an.

Und Baekhyun sah zurück.

Keiner von beiden sagte auch nur ein Wort und irgendwie wurde die Situation nur noch seltsamer, ehe der andere die Stille schließlich brach.

»Würdest du dich bitte, uh«, Baekhyun zögerte einen Moment, »du weißt schon.«

»Was?!«, machte Tao. Er glaubte sehr gut zu wissen, was er da ansprach.

»Na ja, du solltest nicht mit Klamotten ins Wasser.« Baekhyun machte eine Handbewegung zu der dampfenden Wanne und Tao folgte mit dem Blick und betrachtete den weißen Dampf einen Moment und sah dann wieder zu Baekhyun. Anstalten sich auch nur irgendwie zu bewegen, machte Tao immer noch nicht.

»Uh«, machte Tao dann nur. »Würdest du rausgehen?«

Baekhyun sah ihn einen Moment aus großen Augen an, senkte den Blick dann und kratzte sich am Hals. »Ich mach nur meine Arbeit. Du wärst nicht die erste Person, die ich nackt sehe. Das muss dir nicht peinlich sein. Ich… kann mich auch einfach umdrehen.«

Tao wusste nicht, was er sagen sollte. Das hier war komisch. Alles hier war so fürchterlich komisch. Er starrte Baekhyun einfach nur etwas fragend, verwirrt und perplex an. Baekhyun seufzte leise, schenkte ihm dann ein Lächeln und trat näher, griff zu seinem Stoffgürtel und knotete ihn auf und Tao blickte zu ihm herunter und wollte etwas sagen, hatte aber keine Ahnung, was. Er war so überfordert, dass er sich nicht einmal wehrte. Der Gürtel landete auf dem Marmorboden und Baekhyun griff zu seinen Oberarmen und drehte ihn ein wenig zur Seite. »Dreh dich bitte um«, sagte er und Tao tat es, starrte nun an die Wand.

»Du kannst dich wieder bewegen«, stellte Baekhyun amüsiert fest. »Zieh dich aus, ich kümmere mich derzeit um das Wasser.«

Baekhyun trat an ihm vorbei und Tao sah ihm kurz hinterher, drehte sich dann noch ein Stück zur Seite und zog das Oberteil über den Kopf, warf es achtlos auf den Boden und zog schließlich, nach einem kurzen Zögern, auch den Rest seiner Kleidung aus.

Und wenig später saß er auch schon in der heißen Wanne. Und er hätte niemals gedacht, dass Wasser so unglaublich brennen konnte. Und im nächsten Moment schüttete Baekhyun ihm einen Eimer Wasser über den Kopf und Tao gab ein erschrockenes Geräusch von sich.

»Zu heiß?«, wollte Baekhyun wissen, der an der Wanne kniete und etwas grinste.

»Ich wusste nicht, dass Wasser so verdammt heiß werden kann«, gestand er dann und Baekhyun gluckste.

»Wie habt ihr euch kennengelernt? Du und der Prinz«, fing der andere dann mit dem Smalltalk an und Tao schielte zu ihm, konnte sehen, dass er irgendwelche kleinen Gefäße öffnete, und er bemerkte den Geruch verschiedener Kräuter sofort, konnte sie aber nicht zuordnen.

»Auf unserer Farm«, sagte er wahrheitsgemäß.

»Was für eine Farm?«

»Meine Familie züchtet Alpakas.«

»Oooh!«, machte Baekhyun begeistert. »Ich liebe Alpakawolle.«

Tao lächelte etwas, wusste aber nicht so recht was er sagen sollte und spürte im nächsten Moment, wie Baekhyun ihm irgendetwas auf den Kopf kippte und dann anfing selbigen zu massieren. Und das entspannte, plötzliche Stöhnen, dass ihm über die Lippen kam, hatte er nicht aufhalten können. Und als ihm aufgefallen war, was er da gerade getan hatte, spürte er Wärme im Gesicht, die nicht von dem Wasser stammte. Er hörte Baekhyun amüsiert lachen. »Angenehm?«

»Oh ja«, sagte Tao ehrlich und grinste schließlich leicht und entspannt. Vielleicht konnte er sich doch an diesen überflüssigen Luxus gewöhnen.

»Du hast schöne Schultern«, bemerkte Baekhyun dann und Tao legte seinen Kopf zur Seite, beobachtete seine Schulter und schielte dann zu dem anderen, der ihm gerade ein Kompliment gemacht hatte. Er ging zumindest davon aus, dass es etwas Positives war, wenn man schöne Schultern hatte.

»Danke«, sagte er zögernd und man konnte hören, dass er sich wohl nicht sicher war, ob das nun etwas wirklich Gutes war, oder nicht.

»Man merkt sofort, dass du nicht von hier bist«, sprach er dann weiter. »Wenn man deinen Körper betrachtet, mein ich.«

Tao wusste nicht, ob er es gut finden sollte, dass man seinen Körper betrachtete und bemerkte, dass er nicht hier lebte. Er wusste allgemein nicht so recht, auf was Baekhyun hinaus wollte. Aber irgendwie dachte er hier schon gar nicht mehr wirklich nach, weil ihn sowieso alles verblüffte und sprachlos machte.

»Ist das gut oder schlecht?«, wollte er dann wissen. Dass Baekhyun darauf hin etwas verwirrt blinzelte, bemerkte er nicht.

»Kommt wohl drauf an. Ich finde es durchaus was Gutes. Du hast Muskeln.« Passend zu der Aussage saß Baekhyun nun nicht mehr hinter ihm, sondern – natürlich noch immer vor der Wanne – neben ihm und griff zu seinem Arm und schließlich zu seiner Hand. Tao beobachtete ihn fragend, ließ ihn jedoch machen. »Und deine Hände sind auch ganz anders. Aber sie sehen nicht einmal wie Arbeiterhände aus. Deine Finger sind sehr schlank.« Das bekam er sogar öfters zu hören. »Wenn es Leute gibt, die hier so einen Körper haben, sind sie Krieger. Oh, und ich glaube, dass die Frauen dir  hier reihenweise hinterherlaufen würden.«

»Gehört es zu deinem Job mit Komplimente zu machen, oder meinst du es ernst?«

Baekhyun schien etwas verwirrt von seiner dreisten Frage zu sein, schenkte ihm dann aber ein schönes Lächeln. »Ich ziehe keine Vorteile daraus dir Komplimente zu machen, oder? Ich bin ehrlich. Und uh, ich wollte wohl einfach nur etwas mit dir reden. Immerhin ist es noch nicht vorgekommen, dass Kris jemand wie dich anbringt. Was nicht böse klingen soll! Ich kann aber auch die Klappe halten, wenn ich dich nerve, tut mir Leid.«

»Was, nein, schon okay. Ich bin es nur nicht gewohnt.« Tao schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln und dann bemerkte er, dass Baekhyun seine Hand massierte und Tao beobachtete die fremden Finger auf seinen Händen und musste feststellen, dass es fürchterlich angenehm war. Tao atmete entspannt aus und Baekhyun grinste etwas.

»Kris liebt das«, sagte er dann und Tao hob seine Augenbrauen an.

»Handmassagen?«, fragte Tao und Baekhyun nickte.

»Massier ihm seine Hand und er ist für die nächsten Minuten unbrauchbar, weil ihn das so entspannt.«

Tao musste sich auf die Lippen beißen um nicht dämlich zu grinsen. »Verständlich«, sagte er dann nur und reichte Baekhyun seine andere Hand mit dem größten Vergnügen, als er ihn darum bat. Er lehnte sich zurück an den Rand der Wanne, schloss die Augenlider langsam und genoss die gekonnten Berührungen.

Dass Baekhyun grinste bemerkte er natürlich nicht und erst als ihm plötzlich ein Eimer Wasser über den Kopf geschüttet wurde, war er wieder völlig aufmerksam, hatte die Augen fest zusammengekniffen und ein empörten Laut von sich gegeben. Er hob die Hand, wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und öffnete die Augen wieder.

»Das hättest du ruhig ankündigen können«, beschwerte sich Tao und Baekhyun gluckste, sagte aber nichts dazu.

»Ich lass dich einen Moment allein und such mal nach Kris«, sagte er. »Er wollte ja den Schneider holen, oder mit dir zu ihm gehen.« Baekhyun schien nicht so richtig Bescheid zu wissen, aber Tao ging es nicht anders.

»Bis gleich. Die Handtücher liegen da hinten.« Er deutete in eine Richtung und erhob sich schließlich und verschwand im nächsten Moment aus dem Raum. Tao sah ihm kurz hinterher, seufzte dann etwas und genoss das Wasser noch für ein paar Momente, wusch sich noch mit einem leicht kratzenden Schwamm, der neben der Wanne gelegen hatte und erhob sich dann schließlich. Das Fenster war offen und die warme Luft kam in das Zimmer und dennoch spürte er den Temperaturunterschied an der Luft sofort. Er tapste zu den Handtüchern, nahm sich eins und trocknete sich schließlich damit ab. Er hatte den Blick zum Fenster gerichtet, stand jedoch noch immer einige Meter von ihm entfernt und spähte hinaus in den hellblauen, wolkenlosen Himmel. Er realisierte noch gar nicht so genau, wieso er hier war und was wohl bald passieren würde. Und er kam auch gar nicht auf den Gedanken, dass Kris ihn anlügen würde. Nein, das dachte er inzwischen nicht mehr. Bevor das alles passiert war, hätte er Kris nicht einmal ein Stück Dreck anvertraut. Und jetzt? Jetzt fand er ihn wirklich irgendwie sympathisch. Auf seine eigene Art und Weise.

Die Tür ging auf und Tao drehte sich zu selbiger und wollte Baekhyun angrinsen, starrte stattdessen jedoch in Kris‘ Gesicht und war im ersten Moment etwas geschockt. Weil er nicht mit ihm gerechnet hätte. Er hatte den Mund geöffnet, sagte aber nichts und bemerkte, dass Kris ihn offensichtlich musterte.

»Du riechst eindeutig besser«, bemerkte er uncharmant und Tao runzelte die Stirn und grinste dann schließlich etwas unbeholfen.

»So ein Glück«, sagte er nur.

Er bemerkte, dass Kris auf seine Knie sah und Tao zog die Augenbrauen zusammen und blickte schließlich ebenfalls zu seinen Knien und bemerkte, dass er dort ein paar blaue Flecke hatte. Nicht, dass das etwas Ungewöhnliches für ihn war. Kris sagte jedoch nichts und im nächsten Moment erschien auch Baekhyun wieder. Die Tür wurde wieder geschlossen und Baekyhun sah von Kris zu Tao und wieder zurück. Und noch einmal zurück. »Stör ich?«, wollte er dann unsicher wissen.

»Nein«, sagten Kris und Tao gleichzeitig und blickten zu ihm und Baekhyun zog die Augenbrauen etwas hoch, grinste dann und trat schließlich zu den Handtüchern, griff zu einem, ging auf die Zehenspitzen und warf es Tao über den Kopf. Und dann fing er an seine Haare abzutrocknen. Kris ließ sich davon nicht wirklich stören und beobachtete die beiden mit einem ruhigen Blick.

»Du kommst gleich mit mir mit, ins Zimmer nebenan«, sprach Kris weiter und sah dann zu Baekhyun. »Baekhyun, du kannst seine Klamotten entsorgen.«

»Was?!« Tao war damit nicht einverstanden. »Ich brauch meine Klamotten noch! Im Gegensatz zu dir kann ich nicht jeden Tag etwas Neues tragen!«

Baekhyun sah unsicher zu Kris und Kris nickte ihm nur leicht zu und schien sein Befehl nicht zurückziehen zu wollen.

»Jawohl«, sagte Baekhyun dann.

»Hey, ignoriert mich nicht«, beschwerte sich Tao und schließlich zog Baekhyun ihm wieder das Handtuch vom Kopf und Kris beobachtete die abstehenden, noch etwas feuchten Haare des anderen. »Du bekommst neue Kleidung«, sagte er dann nur und packte Tao am Handgelenk und zog ihn grob mit. Und Tao wollte sich beschweren, weil er noch immer nichts, außer dem Handtuch, trug, glaubte dann aber, dass es keinen Sinn machen würde. Er warf Baekhyun noch einen hilfesuchenden Blick zu, aber der Dunkelhaarige sah ihnen nur etwas ratlos hinterher, lächelte dann schließlich und winkte zum Abschied.

Sie verließen den Raum und im Flur war es um einiges kühler, und nach ein paar Schritten betraten sie einen neuen Raum und Tao wurde ein Mann mittleren Alters vorgestellt, der sich als Schneider entpuppte.

Und er hatte sich in seinem Leben noch nie so kontrolliert gefühlt, wie dort. Und auch wenn er es fürchterlich interessant gefunden hatte, war es auf die Dauer anstrengend gewesen. Er hatte ihn mit einem Maßband abgemessen und es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der der Mann verschiedene Farben und Stoffe an ihm ausprobiert hatte.

Und dann stand er vor dem gigantischen Spiegel und betrachtete seine neuen Klamotten mit großen Augen. Er drehte sich zur Seite, betrachtete selbige und beobachtete sich dann wieder von vorn. Der Stoff fühlte sich unglaublich angenehm an und er hatte keine Ahnung, was das war. Seide? Baumwolle? Auf jeden Fall etwas, was er sich normalerweise niemals leisten konnte. Es lag schön auf der Haut und es sah gut aus. An den Säumen war eine hübsche, goldene Borte angebracht worden und der Rest des Stoffes war in dunklen Farben gehalten, was er sehr angenehm fand. Und Tao liebte die Haremshose, die zwar irgendwie simpel gehalten war, aber dennoch edel aussah.  

»Na, so kannst du dich neben mir wenigstens halbwegs sehen lassen«, stellte Kris fest, der die ganze Zeit zugesehen und letztendlich auch die Wahl der Farben getroffen hatte. Kris erhob sich aus dem Stuhl. »Sieht aus als wärst du fertig«, sagte er zu Tao. »Und, bist du bereit?«

»Ich denke schon«, antwortete er dann und bemerkte, dass er plötzlich nervös wurde. »Wann genau geht es denn los?«

»Bald.«

Wieso konnte Kris ihm nie genaue Antworten geben?
 

»Was ist das?«, wollte Tao von Baekhyun wissen, mit dem er wieder im Raum war. Der Dunkelhaarige beobachtete ihn nicht, sondern rührte mit einem Pinsel in einer schwarzen Substanz, die Tao nicht zuordnen konnte – natürlich, sonst hätte er gefragt.

»Khol«, antwortete Baekhyun.

»Uhm«, machte Tao unsicher. »Schminke?«

»Ja, genau.«

Tao wusste was Schminke war. Natürlich wusste er das. Und das war hier auch keine Seltenheit – aber wenn es um das Leisten ging, dann war es wie immer. Auf dem Königshof gab es vermutlich mehr Leute mit geschminkten Augen. Tao war sich nur nicht sicher was ihm das nützen sollte.

»Und was genau hast du jetzt vor?« Tao beobachtete Baekhyuns dunkelgeschminkte Augen und hatte Lust wegzurennen.

Baekyhun beobachtete ihn und sah aus, als könnte er seine Gedanken lesen. Er schenkte ihm ein Lächeln. »Schau nicht so, als würde ich dich verunstalten wollen. Du weißt nicht, dass Khol auch einen anderen Effekt hat, als schöne Augen zu machen?«

Tao blickte zur Seite und überlegte einen Moment, ob er seine Aussage anzweifeln sollte, ließ es dann aber. »Nein?!«

Baekhyun schenkte ihm ein leichtes Grinsen, lehnte sich ihm etwas entgegen. »Die schwarze Farbe schluckt das Sonnenlicht. Deswegen laufen hier auch so viele damit herum. Es macht einen sonnigen Tag also durchaus etwas angenehmer.«

Er war sich nicht sicher, ob er ihm glauben sollte, aber letztendlich gab es auch keinen Grund, wieso er ihn anlügen sollte. »Wirklich?«, fragte er dann unsicher.

Baekhyun nickte. »Natürlich.« Seine Aussage wurde mit einem breiten, strahlenden Lächeln unterschrieben. »Und da es heute sowieso ein heißer Tag wird, ist das auf dem Rücken eines Drachens sicher angebracht. Du bist aufgeregt, hm?«

»Ja, schon. Alles andere wäre auch bedenklich. Ich hab sehr großen Respekt vor diesen Wesen«, antwortete er schließlich nur auf die letzte Frage und ließ das andere Thema ruhen. Baekhyun würde ihm schon keine Lügen erzählen. Wieso denn auch? Nein, sein Gegenüber wirkte unglaublich sympathisch und höflich, respektvoll… Tao mochte ihn.

»Alles andere wäre auch Selbstmord«, sprach Baekhyun weiter, »und jetzt schau nach oben.«

Tao öffnete den Mund, wollte etwas fragen, schaute dann aber einfach nach oben. »Versuch einfach nicht so oft zu blinzeln, sonst siehst du später wie ein Panda aus.« Tao wusste nicht, was ein Panda war.

Und es war gar nicht so einfach das Blinzeln abzustellen, wenn einem irgendwelche Öle, oder was auch immer Khol bestehen mochte, an die Augen gepinselt wurde. Nach ein paar Minuten, die für Tao die Hölle gewesen waren (er hatte sogar bemerkt, dass sich Tränenflüssigkeit in seinen Augen gebildet hatte), hatte er sich von Baekhyun verabschiedet und wurde dann von einer Wache (Oder einem Dienst…mann?) in den Keller begleitet, in dem sich der Hort der Drachen befand.

Und er bemerkte, wie seltsam es war in Schuhen zu laufen. Nicht schlecht oder unbequem, aber eben sehr ungewohnt. Wenigstens spürte er nicht so die kalten Steine der Treppe. Nicht, dass er sich im Moment große Gedanken über Treppen und Schuhe machen würde. Bei ihm drehte sich im Moment nur alles um das, was ihm bevorstand, und genau das führte dazu, dass sein Herz langsam anfing schneller als nötig zu schlagen. Er war aufgeregt und nervös, und er spürte, wie die Spannung bei jeder Treppenstufe stieg. Sie stieg ins Unermessliche und als sie schließlich den gigantischen unterirdischen Raum betraten, wollte Tao am liebsten wieder umdrehen.

Seine dunklen Augen lagen auf dem gigantischen Drachen mit den tiefschwarzen Schuppen und kurz darauf bemerkte er – zu übersehen war es ja nicht – einen anderen Drachen. Sein Schuppenkleid war ein sehr dunkles Rot, stellenweise besaß er sogar fast schwarze Schuppen und zwar war Ace im Gegensatz zu ihm nicht klein, aber er erinnerte sich daran, dass Kris ihm gesagt hatte, dass Ace noch nicht ausgewachsen war. Und jetzt sah er den Vergleich. Es waren nur ein paar Meter, aber beeindruckend war es trotzdem.

Tao glaubte, dass das der Drache von Kris‘ Vater sein musste und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass das wohl auch hieß, dass er die Ehre haben würde, den König höchstpersönlich zu treffen. Daran hatte er, vor lauter Aufregung, noch gar nicht gedacht.

Tao hatte keine Ahnung, was er hier tat. Das war alles zu viel für einen ‚einfachen Bauerverstand‘.

Schließlich registriert er Kris, der ihn ansah und schließlich mit einer kurzen Geste zu sich winkte. Tao setzte sich wieder in Bewegung, versuchte die Angst vor den großen Drachen herunterzuschlucken und kam kurz darauf bei Kris und Ace, der auf dem Boden lag, an.

»Du wirkst plötzlich ganz anders«, bemerkte Kris, der Tao gemustert hatte. »Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass du nicht einmal wüsstest, was ein Alpaka ist.«

Der Schwarzhaarige war sich nicht sicher, ob das ein Kompliment war und erwiderte Kris Grinsen nur halbherzig. Seine Hände schwitzten und er schielte zu dem Drachen, der seinen langen Kopf auf den Steinboden gelegt hatte. Und dann konnte er ein lautes, gutturales Knurren hören und etwas, das sich fast wie ein Peitschenschlag anhörte. Er fuhr herum und sah dabei zu wie sich der rote Drache minimal vom Boden abhob und mit den gigantischen Flügen schlug, die eine durchaus bemerkenswerte Luftwelle erzeugten. Tao war automatisch einen Schritt zurückgegangen, kniff die Augen gegen den Wind zusammen und bemerkte, dass der Mann auf dem Drachen, der mit hübschen Klamotten vermummt war, zu ihnen blickte und Kris irgendein Zeichen gab. Tao glaubte, dass es bedeutete, dass er sich beeilen sollte.

Kris drehte sich zu ihm und Tao konnte den Blick nicht von dem Drachen wenden, der sich letztendlich in Bewegung setzte und durch die gigantische Falltür, die heute geöffnet war, verschwand. Und so schnell wie der Wind aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden.

»Kommst du allein hoch?«, wollte Kris schließlich wissen, deutete zu dem Sattel und warf ihm im nächsten Moment einen Mantel um. »Wird windig und deswegen kalt werden.« Daran hatte Tao noch gar nicht gedacht. Er zog sich den Mantel fest und blickte dann hoch zu dem Sattel.

»Uhm, ich kann‘s versuchen.« Tao fragte sich, wie Kris überhaupt darauf kommen würde. Tao war sportlich, ob Kris das auch war, wusste er nicht. Aber je länger Tao hoch zu dem Sattel sah, desto weniger wusste er, ob er hochkommen würde. Vermutlich, weil er immer noch etwas Schiss hatte.

Kris nickte nur, deutete dann hoch. »Versuch es«, sagte er, trat an ihm vorbei und Tao sah ihm etwas verwirrt hinterher und bemerkte nur, dass er schließlich zu dem großen Kopf des Drachens schritt und dem Tier kurz über die schuppige Schnauze strich, ehe er auf die andere Seite trat.

Verwirrt blickte er zu ihm, dann zu dem Sattel, und atmete ruhig durch. Für einen Moment war Tao froh, dass Kris nicht mehr im Sichtfeld war, denn der erste Sprung ging deutlich daneben und er kam nicht mal ansatzweise in die Nähe von dem Sattel. Also hatte er sich zum Glück nur vor den Wachmännern, die weit genug wegstanden, blamiert.

Letztendlich nahm er etwas Anlauf und glaubte, dass er es tatsächlich schaffen würde einen der Steigbügel zu erreichen.

Er gab einen leisen, unerwarteten Laut von sich als Kris plötzlich sein Handgelenk umgriff und ihn somit festhielt. Tao hatte den Blick gehoben und stellte fest, dass Kris fast wie aus dem Nichts im Sattel aufgetaucht war. Er zog ihn hoch und Tao griff mit der zweiten Hand nach einem Lederriemen des Sattels und zog sich letztendlich irgendwie hoch. Mehr schlecht als recht, aber letztendlich saß er hinter Kris. Er sah kurz zur anderen Seite und hätte eigentlich eine Leiter erwartet, aber da stand nichts. Besser er würde gar nicht fragen, wie Kris da hoch gekommen war.

»Bereit?«, fragte Kris ihn, der über seine Schulter sah.

»Ich glaub schon.« Die Unsicherheit war hörbar.

»Du kannst dich entweder da hinten«, Kris deutete zu einer Lederschlaufe hinten am Sattel, »festhalten, oder an mir. Und komm nicht auf die Idee dich zu sehr zur Seite zu lehnen. Wir wollen ja nicht, dass du runterfällst.« Der Prinz schenkte ihm ein schiefes Grinsen und Tao wollte lieber gar nicht daran denken zur Seite zu sehen. Er zögerte einen Moment, lehnte sich minimal nach hinten und griff dann zu den Lederschlaufen, die ihm Halt geben sollten.

»Ace«, sagte Kris mit einer festen Stimme und im nächsten Moment bewegte sich der Drache und Tao gab ungewollt ein erschrockenes Geräusch von sich, ließ die Zügel los und legte die Arme um Kris, um sich an ihm festzuhalten. Er konnte ein amüsiertes Glucksen hören und Tao kniff die Augen zusammen und spürte, dass der Drache auf seinen Beinen stand. Tao konnte spüren, dass Kris sich bewegte und er wagte es seine Augen zu öffnen und sah dabei zu, wie Kris die Kapuze über den Kopf warf und ein Halstuch über die Nase zog (zumindest glaubte er, dass er das tat; sehen konnte er es immerhin nur etwas von hinten).

Und dann schlug der Drache geräuschvoll mit den Flügeln und erhob sich, und alles wurde unglaublich wacklig. Tao schluckte und griff etwas fester um den Stoff von Kris‘ Mantel. »Wie lang fliegen wir denn?«, wollte Tao dann plötzlich wissen und offensichtlich hatte Kris seinen Zweifel an der Sache gehört.

»Wir müssten zur Dämmerung ankommen.« Seine Stimme war gedämpft und Tao glaubte, dass er mit dem Tuch richtig gelegen hatte, schielte vorsichtig über Kris‘ Schulter und konnte sehen, dass sein Vordermann zu ihm sah. »Entspann dich einfach, halt dich gut fest und dir wird nichts passieren. Und schau am besten nicht nach vorn; sonst werden deine Augen zu schnell trocken.«

Tao wollte gerade fragen, ob ihm das nichts ausmachen würde, doch im nächsten Moment bewegte sich der Drache schließlich in der Luft und Taos Mut blieb offensichtlich zurück auf der Erde. Er hörte das Schlagen der gigantischen Flügel, spürte den leichten, kühlen Wind und schließlich flog der Drache durch das geöffnete Gitter direkt in die Luft. Und die Helligkeit brannte im ersten Moment in den Augen, aber irgendwie konnte er sie jetzt nicht mehr schließen.

Er hörte laute Stimmen und kurz darauf das Geräusch von Ketten und konnte nur noch vermuten, dass die gigantische Falltür wieder geschlossen wurde.

Die Angst war schließlich verflogen und stattdessen traten die Überwältigung und das Staunen ein. Tao hatte seinen Kopf seitlich an Kris‘ Rücken gelegt und blickte nach unten und sah dabei zu, wie der Palast und die Stadt, die Stadtmauer und das Dorf immer kleiner wurden. Und im nächsten Moment erhöhte der Drache die Geschwindigkeit und Tao bemerkte, dass er sich etwas panisch verkrampfte und sich an Kris‘ klammerte, als würde sein Leben an ihm hängen. Was es wohl auch irgendwie tat.

Zum Glück war die Dämmerung schon bald. Und zum Glück entspannte sich Tao auch mit der Zeit – sonst hätte er Kris möglicherwiese noch das Blut abgedrückt. Irgendwann realisierte Tao dann, dass es ein unglaubliches Gefühl war. Es war zwar kalt und windig und er konnte nicht wirklich etwas außer die vorbei zischende Luft und die Flügelschläge des Drachens hören, aber dieses beflügelte Gefühl in seiner Magengegend war beeindruckend. Genau wie die Landschaft über die sie düsten. Tao hatte die meiste Zeit damit verbracht mit verengten Augen zur Seite zu starren und die fremde Landschaft in sich aufzusaugen. Hin und wieder hatte er auch den Schatten des gigantischen Drachens beobachtet und nach einer guten Stunde, vielleicht sogar zwei, bemerkte er, dass das Wesen zur Landung ansetzte. Tao registrierte, dass es bereits dunkel geworden war, und viel erstaunter war er über die Tatsache, dass er noch nie so sattes Grün gesehen hatte. Soweit das Auge reichte konnte er dichtes, grünes Gras und Bäume, die er zuvor noch nie in seinem Leben gesehen hatte, erblicken.  Es war so unglaublich beeindruckend und als das Tier langsamer wurde traute Tao es sich auch über Kris‘ Schulter nach vorn zu gucken.

Er bemerkte ein großes Haus mit vielen weißen Säulen und einem grünen Dach. Tao glaubte, dass dort Pflanzen wuchsen. So ein Gebäude hatte er noch nie gesehen und die Bauart war ihm unbekannt, aber sehr beeindruckend. Am ehesten würde er es mit einem Tempel vergleichen. Aber dafür war es viel zu groß, viel zu gewaltig. Und offenbar wohnten dort Menschen. Er nahm vage Licht wahr und im nächsten Moment war der Boden so nah, Ace landete und der Ruck war so plötzlich gekommen, dass Taos Stirn mit Kris‘ Rücken kollidierte und er ein  leises »Outch« von sich gab.

»Alles klar?«, wollte Kris wissen, der sich das Tuch vom Gesicht gezogen hatte und zu ihm schielte. Tao rieb sich die Stirn unter den schwarzen Haaren und nickte. »Ja«, sagte er und bemerkte, dass er den Flug durchaus spannend gefunden hatte, jetzt aber auch froh war, dass der Drache stand.

Er ließ schließlich von Kris ab und der Prinz schwang eines seiner Beine auf die andere Seite und rutschte im nächsten Moment von dem Sattel, landete gekonnt auf dem Boden, drehte sich um und sah zu ihm hoch. »Runter kommst du ja hoffentlich allein«, sagte Kris provozierend.

Tao verzog kurz die Lippen. »Natürlich«, sagte er, beobachtete kurz die Zügel des Drachens, die – wie ihm erst jetzt auffiel – gar nicht am Mund des Drachens, sondern an einer Stelle des Halses gefestigt waren (Wieso auch immer – für ihn gab es nicht viel Sinn, aber er wollte gar nicht darüber nachdenken) und sprang dann kurz darauf ebenfalls von dem Rücken des Tieres, landete härter als geplant auf seinen Beinen und spürte ein unangenehmes Brennen in seinen Knien. Und dann ging er einen Schritt und im ersten Moment fühlte es sich so an, als würde er versuchen auf Treibsand zu laufen. Er schwankte etwas und spürte kurz darauf Kris‘ Hand um seinen Oberarm. »Daran gewöhnst du dich nach ein paar Mal«, erklärte er ihm und kurz darauf hatte Tao auch wieder sein Gleichgewicht gefunden.

Männer in Uniformen des Königshauses, in dem Kris lebte, traten zu ihnen und Tao fragte sich, wo die hergekommen waren, erinnerte sich aber daran, dass es ja auch Kutschen und Schiffe gab. Immerhin waren sie ein Stück über das Meer geflogen. Vermutlich waren die Männer schon vor mehreren Tagen losgereist um hier zu sein.

»Kümmert euch gut um ihn«, sagte er zu einem der Männer, der nickte, und schließlich sah Kris wieder zu ihm.

»Komm mit.« Kris deutete schließlich in die Richtung des weißen Anwesens, während er seinen Mantel auszog und ihn einem der Männer reichte. Tao tat es Kris zögerlich gleich und folgte ihm dann.
 

Auf dem Dach wuchsen tatsächlich Pflanzen und neben dem Weg standen viele Kerzenständer mit unzähligen, brennenden Kerzen und Tao fragte sich, was für eine Arbeit es wohl gewesen war die alle anzuzünden. Das Haus war innen unglaublich hell, sodass man kaum glauben konnte, dass die Sonne gerade dabei war unterzugehen. Er bemerkte an fast jeder Ecke Brunnen; manchmal nur kleine, manchmal sogar große, beachtliche Springbrunnen. Es roch frisch und die Fenster waren groß und zumindest in der Eingangshalle glaslos.

Man hatte sie voller Ehre und Respekt willkommen geheißen und Tao fühlte sich ein wenig fehl am Platz. Besonders dann als er die Person bemerkte, die offensichtlich Kris‘ Vater war. Er hatte dieselbe Haarfarbe wie Kris und eine noch gefährlichere, aber auch durchaus königliche Ausstrahlung. Lag aber vielleicht auch einfach nur an der Krone, die er trug. Tao hatte sich natürlich vor ihm verbeugt und schließlich waren sie in einen Raum getreten, der ungefähr so groß war wie der Keller, in dem die Drachen schliefen. So groß, dass Tao es gar nicht in Worte fassen konnte.

Die Stimmen der Anwesenden hatte man schon von draußen wahr genommen und jetzt verstand Tao auch ganz gut, wieso er es so deutlich gehört hatte. Der Raum war unglaublich voll. Duft von Essen lag in der Luft, der Tao daran erinnerte, dass er heute noch kaum etwas gegessen hatte. Er hörte Menschen lachen und laut diskutieren, beobachtete die Frauen und Männer, die Essen servierten, und folgte Kris, während er nicht mehr aus dem Staunen herauskam.

Sie setzten sich in eine Ecke, die eher ruhiger war; jemand, den Tao nicht kannte, hielt eine Rede und letztendlich wurde das Bankett eröffnet und Tao hätte am liebsten alles probiert. Das meiste der unbekannten Speisen war unglaublich gut gewesen; manche Gerichte waren ein wenig bitter gewesen, aber im Großen und Ganzen hatte sich der Flug allein schon für das Essen gelohnt.

Man hatte sich unterhalten und Tao hatte die meiste Zeit geschwiegen, war sich ein wenig überflüssig vorgekommen und hatte die Zeit damit verbracht den Raum und die Leute mit großen Augen zu mustern. Alles hier war so unglaublich schön, beeindruckend. Fast wie in einem Traum. Und er war mitten drin und wusste nicht so recht, wieso.

Irgendwann erhob sich Kris, verabschiedete sich von seinem Vater und seiner Mutter und noch ein paar Leuten seines Königreiches, die Tao noch nie gesehen hatte, die aber offensichtlich einen hohen Stellenwert hatten und gab Tao ein Zeichen zum Folgen.

Sie verließen den Raum und wurden von einem Mann abgefangen, der fragte, ob er etwas für sie tun könnte. Kris sagte ihm, dass er ihnen bitte das Zimmer zeigen sollte. Er führte sie durch Gänge, die von weißen Kerzen erhellt wurden und einen wunderbar verzierten Boden hatten, den er sich nicht einmal in seinen extravagantesten Träumen hätte vorstellen können.

Und während Tao die Umgebung musterte bemerkte er nicht, dass Kris ihn mit einem leichten Lächeln beobachtete.

»Hier wären wir«, sagte der Mann höflich, öffnete die Tür, blieb jedoch draußen stehen. Kris trat ein und Tao zögerte, folgte ihm dann aber und sah sich in dem Raum um, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Wow«, machte er zutiefst beeindruckt.

Der Raum war sehr geräumig, hatte einen verzierten, zum größten Teil roten, Teppich auf den Boden. Die Gardienen vor den Fenstern waren ebenfalls in roten Tönen gehalten. Er registrierte ein sehr großes Bett, das ihn an das von Kris‘ Zimmer erinnerte, danach einen großen Haufen mit Kissen, die so weich aussahen, dass Tao sie einfach nur anfassen wollte. Er bemerkte einen verzierten Holzschrank, einen Tisch und ein paar Stühle, die mit Stoff bezogen waren. Er bemerkte ein Kamin an der Wand, der aber nicht an war, und natürlich weitere Kerzenständer, die brannten und das Licht in einen sanften, warmen Ton erhellten.

Kris lief zu einem der Fenster und öffnete es schließlich und Tao konnte kurz darauf ein leises Zirpen hören. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas gibt«, sagte er dann ehrlich, während er sich umsah. Seine Mutter würde ihm das hier sicher nicht glauben, würde er es ihr erzählen. Und das würde Tao um jeden Preis.

»Glaub ich dir. Sieht man dir an«, bemerkte Kris, der sich mit dem Rücken an das Fenster gelehnt hatte und in seine Richtung blickte. Tao fühlte sich etwas ertappt, blinzelte und bemerkte, dass ihm das wohl doch etwas peinlich war. Bestimmt hatte er wieder gestarrt, während er sich umgesehen hatte. Aber wer würde das in seinem Fall nicht tun? Das hier für ihn waren Welten, von denen er sonst eigentlich nur träumte und selbst seine Träume sahen nicht so erfüllt aus.

Er grinste also etwas verlegen, kratzte sich im Nacken. »Danke, dass ich mitkommen durfte.«

Kris hob die Augenbrauen dezent an. »Wie gesagt, deine Anwesenheit ist angenehm. Sonst hätte ich dich gar nicht eingeladen. Ist nicht so, als hätte ich nicht auch aus Eigennutz gehandelt.«

Tao grinste etwas schief und wusste nicht so recht, was er glauben sollte, aber letztendlich war es egal. Weil Kris freundlicher war, als er es je von ihm erwartet hätte und weil das hier so unglaublich faszinierend war. Faszinierend, beeindruckend, überwältigend… Tao kannte nicht genug Worte um seine Meinung im Moment zu beschreiben.

»Ich schuld dir trotzdem einiges«, sagte Tao dann, weil es sich einfach gehörte so etwas zu sagen.

»Allerdings.«

Tao hob den Blick wieder von den weichen Kissen, die auf dem Boden lagen und bemerkte Kris‘ Grinsen. »Und was?«, fragte er.

Kris zuckte mit den Schultern. »Irgendwas.«

Tao blinzelte und sah ihn etwas ratlos an. »Okay…«, sagte er skeptisch. Offensichtlich wusste Kris nicht, was er ihm schulden sollte. Aber vielleicht würde er irgendwann darauf zurückkommen. Natürlich… wahrscheinlich würde es einfach ein Gefallen sein, denn alles andere würde Kris auch von anderen Leuten bekommen. Und um einiges leichter. Immerhin war er ein beeindruckender Prinz mit genug Macht.

Tao fragte sich, ob er auch hier schlafen würde und wenn ja, wo. Aber vermutlich wäre der Teppich hier angenehmer als seine Strohmatratze zu Hause. Alles hier war vermutlich gemütlicher als sein eigenes, kleines Zimmer. Bestimmt sogar der Marmorboden.

»Möchtest du dich draußen etwas umsehen? Anders als bei uns ist es hier in der Nacht auch sehr angenehm warm.«

»Sehr gern! Also… wenn es dir nichts ausmacht.«

»Sonst hätte ich nicht gefragt.«
 

Sie hatten das Haus schließlich durch einen der vielen Ein- und Ausgänge verlassen und schritten über eine Steinterrasse. Es war tatsächlich unglaublich angenehm in der Nachtluft und jetzt wurde das Zirpen der Grillen auch deutlich lauter. Außerdem vernahm er irgendwann ein tiefes Knurren in der Ferne, das sicher von einem der Drachen stammte. Tao fragte sich, wo die während des Aufenthaltes waren, aber eigentlich interessierte ihn die Gegend hier viel mehr. Zumindest im Moment.

»Was genau wird hier eigentlich passieren?«, fragte er dann an Kris gewandt, der neben ihm lief.

»Es wird geredet. Viel geredet. Der König der östlichen Könighauses Eranian ist auch anwesend. Vermutlich ist dir nicht unbekannt, dass unsere Familien Generationen vor unserer Krieg geführt hatten. Eigentlich ist der Sinn dieses Treffens hier nur die Hoffnung, dass der kühle Frieden, der zwischen den Ländern herrscht, auch bleibt. Es ist wichtig, auch wenn eigentlich nicht viel passiert. Ein Fest für die hohen Tiere mit einem leichten Nebeneffekt«, erklärte Kris ihm dann vage. Tao nickte und glaubte, dass er verstanden hatte.

»Du bist also eigentlich nur dabei, weil es sich so gehört?«, fragte er dann und Kris nickte.

»Genau. Den anderen anwesenden Prinzen und Prinzessinnen geht es nicht anders. Reine Förmlichkeit.«

»Aber wenigstens ist das Essen gut, was?«, sagte Tao mit einem Grinsen, das Kris mit einem amüsierten, kurzen Glucksen erwiderte.

»Richtig.«

»Na, wenn das nicht unser Drachenflüsterer und angehender Echsenkönig Kris ist«, kam von einer unbekannten Stimme und Tao drehte sich um. Er blickte in das Gesicht eines jungen Mannes mit dunklen Haaren, vollen Lippen und einem arroganten Blick. Er trug edle Kleidung und ein silbernes, verziertes Diadem (Oder eine kleine Krone – Tao war sich nicht sicher unter was es fallen würde) auf dem Kopf.

Kris hatte sich ebenfalls umgedreht und beobachtete die Person mit einem ausdruckslosen Blick.

»Hallo Kai.«

Fünf

Warnung: Der Absatz nach Baekhyuns Sicht beinhaltet eine Inzest-Lime-Szene. Wer das nicht lesen möchte, kann den Post gern überspringen.

Sollte das wegen dem schon unter adult fallen entschuldige ich mich bei den Freischaltern. Aber ich denke, dass das noch ohne geht?
 

-------
 

»Na, eine neue Begleitung?«, fragte die Person, die Kris Kai genannt hatte, und beobachtete Tao mit kritischen Augen.

»Offensichtlich«, sagte Kris nur matt. Tao blieb still und erinnerte sich daran, dass er den Namen Kai schon mal irgendwo gehört hatte. Zuordnen konnte er ihn im Moment aber nicht. So wie die Person vor ihm aussah, war sie sicher ein Prinz oder zumindest etwas in der Art, da wäre es zumindest möglich, dass er mal von ihr gehört hatte. War fast peinlich, dass Tao hier auftauchte und nichts von diesen Leuten hier wusste. Wenigstens schien Kris die Anwesenden zum größten Teil zu kennen, aber besonders begeistert wirkte er nicht. Das Gegenteil traf eher zu.

Kai trat näher und Tao glaubte, dass er ihn fixierte. Mit einem stechenden, kritischen Blick, der ihm gar nicht gefiel. Kurz linste Tao unsicher in Kris‘ Richtung und blickte dann wieder zurück zu Kai, der ihm plötzlich ein unglaublich schiefes Grinsen zuwarf.

»Wenigstens ist er schöner als dieser… dieser… wie hieß er? Baekon oder so.« Tao glaubte, dass er von Baekhyun sprach. Aber er hatte nicht gewusst, dass Baekhyun das letzte Mal Kris begleitet hatte. Letztendlich ging ihn das ja auch gar nichts an. Er sollte froh sein, dass er hier stehen durfte, auch wenn er ganz und gar nicht hier hereinpasste. »Wie heißt du?«, wollte Kai von ihm wissen.

»Tao«, sagte er und überlegte, ob er ein ‚Sir‘ hinzuhängen sollte, ließ es aber bleiben. Vermutlich konnte man seine Unsicherheit deutlich hören.

»Kai, lass ihn in Ruhe«, forderte Kris mit einem mahnenden Unterton.

»Ooooh, drohst du mir?«, wollte der Schwarzhaarige wissen, der seinen stechenden Blick von Tao zu Kris gewandt hatte.

»Würde ich dir drohen, würde das anders klingen. Aber im Gegensatz zu deinem Vater bin ich nicht daran interessiert, dass sich unsere Länder wieder bekriegen.« Kris‘ Stimme hatte einen Ton angenommen, den Tao noch nie von ihm gehört hatte. Er klang plötzlich unglaublich erwachsen und reif, gleichzeitig mit einer Spur gesunder Arroganz – eben so wie man es von einem pflichtbewussten Prinzen erwartete.

Kai schnaubte. »Ganz schön große Töne für dich, Kris.« Ein schiefes Lächeln zierte seine Lippen und er drehte sich wieder zu Tao, der am liebsten unauffällig mit dem weißen Terrassenboden verschmelzen würde. Die Atmosphäre war ekelhaft angespannt und es war wohl nicht schwer zu erkennen, dass Kai und Kris sich nicht leiden konnten. Was vermutlich größtenteils an der Vorgeschichte ihrer Generationen lag, wie Tao vermutete.

»Also, Tao«, fing Kai an, »ich seh‘ dich das erste Mal hier. Was genau bist du? Laufbursche? Masseur? Oder einfach nur eine Hure, die dafür bezahlt wurde, Kris zu begleiten?«

Tao wusste nicht, was er darauf sagen sollte, aber sicherlich nicht die Wahrheit.

»Er ist ein Das-geht-dich-gar-nichts-an«, antwortete Kris für ihn.

»Also letzteres«, sagte Kai stumpf. »Wenigstens wurde das Geld nicht aus dem Fenster geworfen.«

»Ich bin ein Freund«, mischte sich Tao mit einem höflichen Ton in das Gespräch ein und offenbar schien Kai mit der Antwort nicht gerechnet zu haben. Kris aber auch nicht.

»Oh, ein Freund also. Wusste gar nicht, dass du so etwas wie Freunde hast, Kris.«

»Es gibt so einiges, das du nicht weißt«, erwiderte Kris trocken.

»Ja, ja«, sagte Kai nur und winkte ab, blickte wieder zu Tao, der sich fühlte, als wäre er eine Zielscheibe. War nur die Frage, für was genau. »Wie auch immer; du scheinst nett zu sein. Wenn du Lust hast könnten wir zusammen wa-«

»Kai!« Eine unbekannte, kräftige Stimme war zur hören und Kai hielt in seinem Satz sofort inne und drehte sich ertapp um. Tao konnte die fremde Person entdecken, stellte fest, dass sie recht ähnliche Klamotten wie Kai, jedoch eine durchaus pompösere Krone (Ja, das war schon eher eine Krone; vielleicht noch ein Krönchen, aber ganz bestimmt kein Diadem), trug.

»Oh, D.O«, sagte Kai etwas unsicherer und schenkte ihm ein wackliges Lächeln. War Di-oh ein Name? Oder hatte sich Tao einfach nur verhört? Wahrscheinlich war es ein Name. »Was machst du denn hier? Ich dachte du wärst in deinem Zimmer.«

»Ich bin hier um aufzupassen, dass du keinen unnötigen Kleinkrieg anzettelst.« Die Person, D.O, oder wie auch immer, schien um einiges vernünftiger als Kai zu sein; seine Haltung war gerade und durchaus beeindruckend. Vielleicht lag das aber auch an der kleinen Krone auf seinem dunklen Haar. Oder seiner Stimme.

»Wer sind die beiden?«, fragte Tao, der sich vorsichtig in Kris Richtung gelehnt und ihm die Frage zugeflüstert hatte, während Kai von D.O abgelenkt war.

»Die Prinzen von Eranian«, antwortete Kris mit gedämpfter Stimme. »Der kleinere, D.O, ist der ältere und Kronprinz. Das andere ist Kai, der ist einfach nur da, geht Menschen wahllos auf den Sack und hält sich für was Besseres.« Seine Abneigung in der Stimme musste man nicht erwähnen.

Tao hatte verstanden und beobachtete die beiden. D.O hatte große, dunkle Augen und volle Lippen hatten beide. Schön anzusehen waren sie auf jeden Fall.

»Hallo, Prinz Kris«, sprach D.O mit einer ruhigen Stimme und nickte Kris zu, blickte dann für eine einen Wimpernschlag zu Tao und schenkte ihm ein Lächeln, von dem er sich nicht sicher war, ob es ehrlich oder aufgesetzt war. »Ich freue mich dich wieder zu sehen.«

»Mhm«, machte Kris nur. Er erwiderte die Freude offensichtlich nicht. »Vielleicht solltest du deinem Bruder einen Maulkorb umlegen, dann wäre eure Anwesenheit sicher nicht ganz so negativ.«

D.O schnaubte amüsiert. »Zu beißen traut er sich gar nicht; da würde ein Maulkorb auch nicht viel bringen. Du weißt doch, Kojoten die bellen beißen nicht.«

»Hey«, beschwerte sich Kai lautstark. »Hast du mich gerade mit einem stinkenden Flohsack verglichen?«

Kai bekam keine Antwort und D.O führte sein Gespräch mit Kris weiter. »Ich hoffe, dass ihr das Verhalten meines Bruders verzeihen könnt. Sein Temperament geht manchmal mit ihm durch, aber das weißt du ja schon.« Kai sah seinen älteren Bruder empört an und Tao war sich nicht so recht sicher, was er von der Situation halten sollte. Offensichtlich hatte der Kronprinz seinen jüngeren – wenn auch um einiges größeren – Bruder durchaus im Zaum.

»Allerdings«, sagte Kris nur.

»Wollen wir uns ein bisschen unterhalten? So ganz unter Prinzen?«, fragte D.O und schielte kurz zu Tao, der glaubte, dass er bei dem Gespräch wohl nicht erwünscht war. Ein Blick in Kris‘ Gesicht zeigte ihm aber deutlich, dass Kris darauf wohl keine Lust hatte. Der Prinz mit dem goldenen Haar seufzte lautlos, blickte dann zu Tao.

»Warte hier«, befahl er ihm mit einem ruhigen Ton und sah danach zu Kai. »Und du kommst mit.«

Tao bemerkte wie dankbar er Kris dafür war, dass er Kai nicht bei ihm ließ. Kai schien für einen Moment nicht begeistert, folgte dann schließlich seinem Bruder, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, und Kris warf Tao einen letzten, fast entschuldigenden, Blick zu, ehe er den anderen beiden folgte.

Schweigend und noch immer überrumpelt blickte er den drei Prinzen hinterher und fragte sich, was zur Hölle er hier tat. Wenn es einen Ort gab, in den er absolut nicht passte, dann war das eindeutig dieser hier. Auch wenn er traumhaft schön war. Tao mochte das grüne Gras, das in der Dunkelheit und dem matten Kerzenlicht fast schwarz wirkte. Er sah dabei zu wie die drei außer seiner Hörweite schließlich stehen blieben und Tao glaubte, dass Kris es manchmal gar nicht mochte, dass er ein Prinz war. Irgendwie wurde ihm wohl jetzt erst bewusst, dass Kris durchaus auch Verantwortung und Arbeit hatte. Nicht so dreckige wie Tao, aber vermutlich dennoch manchmal unangenehme.

Noch immer war sein Blick auf die drei jungen Männer gerichtet, ehe er sich zur Seite drehte und zu der Balustrade der weißen Terrasse lief. Er legte seine Hände auf die kühle Oberfläche, lauschte den Grillen und blickte in den Garten, in dem eine große Trauerweide stand (Nicht, dass er den Namen des Baumes wusste…). Ein Springbrunnen war ganz in der Nähe und man hörte das sanfte Plätschern des Wassers und Tao fragte sich, ob das hier wirklich real war.

Er atmete ruhig durch, lächelte sanft und genoss die warme Nachtluft auf seiner Haut. Seine Mutter würde diesen himmlischen Ort hier lieben. Vermutlich würde man sie nie wieder von dieser Insel bekommen, würde sie diese betreten.

»Ich wünsche einen angenehmen Abend«, hörte er plötzlich eine tiefe Stimme dicht hinter seinem Ohr. Tao weitete seine Augen, drehte sich sofort um und starrte einem jungen Mann, minimal größer als er selbst, ins Gesicht. Auf den Lippen des Fremden lag ein sympathisches Lächeln.

»H-hallo«, stotterte Tao ungewollt, weil er ihn wirklich unglaublich erschrocken hatte. Er hatte ihn nicht einmal kommen gehört.

Er trug feine Klamotten, die in roten Tönen gehalten waren, aber keine Krone oder sichtbaren Schmuck. Dennoch wäre es Blasphemie ihn als schäbig zu beschreiben. Trotz des nicht vorhandenen Schnickschnacks in Form von Schmuck wirkte er durchaus sehr erhaben und das Lächeln auf seinen Lippen ließ ihn sehr human wirken.

»Du bist also Beakhyuns Ersatz?«

Entweder sprach sich das schnell herum oder Tao war ein Aufmerksamkeitsziel.

»Ich ersetze ihn nicht«, sagte er dann sofort. Allein weil er sich sicher war, dass er Baekhyun gar nicht ersetzen konnte oder wollte. »Aber mir wurde die Ehre zugeteilt Kris dieses Mal zu begleiten.« Er versuchte nicht so unsicher zu klingen, wie er war und schlug sich gut.

»Verstehe«, sagte sein Gegenüber mit den sanft gelockten, braunen Haaren. Tao mochte sein Lächeln. Es wirkte ehrlich und seine Anwesenheit war bis jetzt eigentlich auch angenehm. Zumindest angenehmer als die von Kai oder D.O. Auch wenn D.O durchaus freundlich gewesen war, hatte es in Taos Augen nur aufgesetzt gewirkt. Von Kai wollte er erst gar nicht reden.

Tao sah ihn etwas unsicher an und wusste nicht, was er sagen sollte.

»Du weißt nicht, wer ich bin, oder?«

Vermutlich war sein Zögern schon Antwort genug. »Nein. Verzeiht. Ich… ich bin hier generell ein wenig überfordert.«

»Du arbeitest nicht im Schloss von Ilha, richtig?« Es war seltsam jemand den Namen des Königreiches aussprechen zu hören, in dem er lebte.

Tao biss sich auf die Lippen, schüttelte dann leicht den Kopf, weil er nicht lügen wollte. Oder konnte. Vermutlich war die Person ihm gegenüber so sympathisch, dass er sich schlecht fühlen würde, würde er ihm ein Ammenmärchen erzählen. Davon abgesehen wusste er eh nicht, was genau er hätte erfinden sollen. »Nein«, war dann die ehrliche, leise Antwort.

Sein Gegenüber griff zu Taos rechter Hand, hob sie an und beobachtete sie ein bisschen. »Baekhyun hatte sanftere, schönere Hände«, bemerkte der Unbekannte.

Sah so aus als hätte Baekhyun hier eindeutig besseren Eindruck hinterlassen hatte, als er es je könnte. Aber bei ihm hatte Baekhyun ja auch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Also lag das vielleicht auch einfach an dem Braunhaarigen und seinem Charisma.

Dennoch wusste er nicht so genau, was er sagen oder tun sollte und sah nur dabei zu, wie der Mann mit dem gewellten Haar über seine Fingerkuppen mit dem Daumen strich. »Schlanke Arbeiterhände. Sag bloß Kris hat einen einfachen Bauern hierher gebracht.«

Tao fühlte sich ertappt und wusste nicht, was er nun tun sollte. Also entschied er sich dazu, das zu sagen, was er vorhin auch gesagt hatte. »Ich bin ein Freund«, sagte er dann und klang nicht halb so überzeugend, wie vor wenigen Minuten.

Sein Gegenüber ließ Taos Hand los und gluckste danach kurz. »Ein Freund also. So, so… Das klang nicht sehr überzeugend. Aber es ist nicht so, als würde ich schlecht von dir denken, wenn du auf dem Land arbeiten würdest. Das sind immerhin die wichtigsten Leute im Volk.« Das Lächeln seines Gegenübers nahm etwas Unsicherheit von Taos Schultern und führte dazu, dass er ebenfalls schwach lächelte.

»Das sind sie wohl tatsächlich«, kam von Tao.

»Schläfst du mit ihm?«, wurde er dann plötzlich gefragt und Tao blickte den Fremden aus großen, verwirrten Augen an.

»Wa- nein, ich… was?!« Was war das denn für eine Frage?

»Nicht? Du kannst mir nicht erzählen, dass er dich mitgenommen hat, weil er so eine gute Seele ist. Was würde er denn sonst von einem Landwirt wollen?« Der junge Mann schnaubte amüsiert, sprach weiter. »Wenigstens hat er einen annehmbaren Geschmack.«

Irgendwie fühlte es sich an, als hätte man ihn mit kaltem Wasser übergossen, denn er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Aber je länger er darüber nachdachte, desto verwirrter wurde er. Weil er tatsächlich nicht wusste, wieso Kris ausgerechnet ihn und nicht Baekhyun – wie immer – mitgenommen hatte. Weil er ihm, einem einfachen Bauern, und sich einen Gefallen tun wollte? War das Grund genug für Kris? Fakt war, dass Tao selbst keine Ahnung hatte, wieso er hier war und sein Gegenüber ihn nun auch noch verunsicherte.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll…«, brachte Tao dann unsicher hervor und die Person ihm gegenüber fing amüsiert an zu lachen.

»Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen«, sagte der Mann ihm gegenüber, hob seine Hand erneut und legte sie an Taos Kinn, drückte es etwas hoch. »Aber lass mich dir einen Tipp geben«, fing er an und Tao sah in seine dunklen Augen, wusste nicht, was jetzt kommen würde, »wenn du hier nicht negativ auffallen willst, halte dein Kinn oben. Schultern zurück; achte auf jeden Fall auf deine Ausstrahlung. Gerade neben Kris ist das wichtig. Mach dich nicht kleiner als du bist und sei nicht so unsicher; selbst wenn ein König mit dir sprechen würde.«

»Nimm deine verdammten Finger von ihm.« Kris‘ Stimme war laut und Tao wandte den Blick zur Seite, spürte wie sein Gegenüber seine Finger zurückzog und ebenfalls zu Kris sah, der mit wehendem Umhang  und großen Schritten zu ihnen lief. Die anderen beiden Prinzen näherten sich ebenfalls, aber deutlich langsamer.

»Dir auch einen wunderschönen, guten Abend, Prinz Kris.« Er schenkte Kris ein amüsiertes Grinsen.

»Steck dir deinen Grinsen sonst wo hin, Chanyeol. Und ich hoffe, dass ich mich nicht wiederholen muss. Fass ihn an und es ist mir egal, ob du der neue König von Aschenschlund bist.«

Chanyeol gluckste und Tao starrte den Mann mit den hellbraunen Haaren aus großen Augen an. Das war ein König? Ein ganz schön junger König.

»Wieso hast du Baekhyun nicht mitgebracht?«, wollte er wissen, ohne auf Kris‘ Drohung einzugehen.

»Aus demselben Grund.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dich gestört hatte, als ich mit deiner letzten Begleitung geredet habe. Und an deiner Stelle würde ich aufpassen, was du mit deiner gespaltenen Zunge sagst. Vielleicht kann ich deinen Drachen nicht rösten, aber es wäre keine große Herausforderung dich in Flammen zu setzen.«

»Scheint eines der Hobbys zu sein Prinzen zu töten, was? Verdammter Usurpator.«

Chanyeol schenkte Kris, der etwas lauter geworden war, nur ein schiefes Lächeln, das wohl mehr Spott war, als alles andere. »Höre ich da einen Funken Neid, weil ich auf dem Thron sitze und du noch Jahre warten musst, bis dein alter Herr dahinscheidet?«

Kris verengte die Augen gefährlich und hätte D.O sich nicht eingemischt, wäre die Situation sicher noch unangenehmer geendet.

»Lasst es gut sein. Euer Verhalten ist kindisch. Außerdem befinden wir uns auf einem neutralen Grund und Boden. Und nicht einmal Leute wie ihr können ihn mit euren hitzigen Gemütern entehren. Hier gelten die Regeln von Emeralt und auch ihr müsst euch daran halten. Gerade ihr…«

Kris schnaubte und Chanyeol lächelte nur matt. »Ich hör mir nur ungern von einem Prinzen an, was ich zu tun und zu lassen habe«, verteidigte Chanyeol seine Tat mit einer lässigen Stimme.

Tao fühlte sich, als wäre er der Grund für dieses eisige Gespräch und fühlte sich schlecht. Vielleicht hätte er nicht hier her kommen sollen. Aber viel Zeit um sich selbst zu bemitleiden und unwohl zu fühlen war nicht, weil Kris zu seinem Handgelenk griff und ihn wortlos mit sich zog, sich von den anderen Dreien entfernte.

»Richte Baekhyun aus, dass ich nach ihm gefragt habe«, rief Chanyeol ihnen nach und Tao sah etwas verwirrt über seine Schulter, während Kris ihn zurück ins Gebäude führte.

»Halte dich fern von ihm. Und auch von Kai, verstanden?«, sagte Kris zu ihm und seine Stimme war gereizt. Tao biss sich auf die Zähne.

»Tut mir Leid«, entschuldigte er sich kleinlaut, auch wenn er gar nicht wusste, für was genau.

Kris schnaubte wütend und erinnerte ihn kurz an einen gefährlichen Drachen.

»Ist er… ist er wirklich der König? Er sieht so jung aus.«

»Ja, leider. Vor einem halben Jahr ist er auf den Thron gestiegen. Er war nicht einmal Mitglied der Königsfamilie, sondern nur so etwas wie ihre Geheimwaffe; ihr Leibwächter… Er macht nicht einmal ein Geheimnis daraus, dass er die eigentliche Königsfamilie umgebracht hat, nur um auf dem Thron zu sitzen. Er ist ein verdammter Thronräuber.«

»Aus welchem Königreicht kommt er?« Tao wollte lieber gar nicht fragen, wie eine Person eine Geheimwaffe sein konnte.

»Aschenschlund«, erklärte Kris. »Ich war nie dort, aber angeblich ist der Name Programm. Eine karge, dunkle Gegend. Und das sagt jemand, der in der Wüste aufgewachsen ist.«

»Wo liegt das Reich?«, wollte Tao wissen und bemerkte, dass Kris ihn noch immer festhielt und mitzog, ohne zurückzublicken.

»Im Nordwesten.«

»Du wirkst nicht so, als würdest du die anderen Prinzen mögen.« Er schloss Chanyeol nun einfach auch mit ein.

»Die, die du kennenlernen durftest nicht. Kai ist ein aufgeblasener und arroganter Volltrottel und sein Bruder ist ein Heuchler. Was ich von Chanyeol denke, weißt du vermutlich. Der Sohn des Gastgebers ist zwar kein Prinz, aber wohl mit einem zu vergleichen. Der ist in Ordnung, wenn auch nur manchmal. Den Thronfolger von Kar’ahl kann ich auch halbwegs leiden.«

»Kar’ahl war im Norden, oder?«, fragte Tao, der absolut keine Ahnung von ihrem Kontinent hatte.

»Im Nordosten um genau zu sein. In den Bergen. Das gesamte Land besteht fast nur aus Bergen und Wäldern.«

»Was ist mit den Südlanden?«, fragte Tao dann. Von dem Königreich wusste er. Vermutlich weil es das größte auf dem Kontinent war und für die Bauern in seinem Dorf oft als Handelspartner ganz weit oben stand.

»Hm«, machte Kris nur, während sie durch den Flur liefen und hin und wieder irgendwelchen Leuten begegneten von denen Tao nicht sagen konnte, ob es Gäste oder Gastgeber waren. »Ich kenn ihn kaum. Er wird auch erst morgen eintreffen, aber sein Vater und mein Vater verstehen sich ganz gut. Zumindest wenn es um die Wirtschaft geht. Sind unsere wichtigsten Handelspartner, wie du vielleicht sogar selbst weißt.«

Tao nickte, auch wenn Kris das nicht sehen konnte. Zumindest hatte er jetzt einen besseren Überblick. Er hatte noch nie eine ganze Karte des Kontinentes gesehen und kannte seine Ecken und Enden nicht, aber er wusste, dass Ilha, das Wüstenreich aus dem er und Kris kamen, recht zentral lag. Die Wüste war auf dem Kontinent sehr präsent. Die Südlande hingegen waren grün und perfekt für den Anbau für Gemüse und Obst und die Zucht von Tieren, die bei ihnen in der klaffenden Hitze eingehen würden. Eranian lag im Osten; und der Aschenschlund und Kar’ahl teilten sich wohl den Norden. Emeralt, die Insel auf der sie sich befanden, lag im Westen.

Und je mehr er darüber erfuhr, desto größer wurde das Verlangen, die fremden Länder zu sehen. Früher hatte sich Tao nicht einmal in die Hauptstadt gewagt. Und jetzt? Jetzt war er in einem fremden Land und glaubte, dass er langsam größenwahnsinnig wurde. Die Welt, die Kris ihm hier offenbarte, machte ihn wohl langsam übermütig.

Kris ließ sein Handgelenk los, nachdem sie im Zimmer angekommen waren und Tao sah sich etwas unsicher um, erinnerte sich an Chanyeols Worte.

»Vielleicht haben wir morgen mehr Glück und Zeit und werden nicht an jeder Ecke von Idioten abgefangen.« Irgendwie war die Vorstellung schwer zu glauben, dass jemand mit dem sympathischen Lächeln von Chanyeol eine ganze Königsfamilie auf dem Gewissen hatte, nur damit er auf dem Thron sitzen konnte. Aber offensichtlich waren Taos Menschenkenntnisse fürchterlich. Vielleicht konnte er Bauern durchschauen, aber offensichtlich keine höherrangigen Tiere. Das war wohl eine ganz andere Liga.

»Alles in Ordnung?«, wollte Kris, der nur einen Meter von ihm entfernt stand, wissen.

Tao bemerkte, dass er gedankenversunken war, sah dann rasch zu Kris und schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. »Ja. Ist nur alles ein wenig… viel auf einmal.«

Kris schenkte ihm ein so sanftes Lächeln, das so unerwartet war, dass es Tao ein wenig aus der Bahn warf.

»Baekhyun scheint hier beliebt zu sein«, sprach Tao dann weiter.

»Hmh«, machte Kris, wieder weniger gut gelaunt. »Das wäre mir die letzten Male nicht unbedingt aufgefallen. Er ist nur jetzt ein Gesprächsthema, weil er nicht da ist.«

»Bist du sehr gut mit ihm befreundet? Was ist mit Luhan?«, sprach er dann neugierig weiter.

»Luhan wäre immer meine erste Wahl gewesen. Aber er hat Höhenangst und hält sich von den Drachen lieber fern. Deswegen hatte ich die ersten Male Baekhyun mitgenommen. Allein zu reisen ist langweilig. Vor allem dann, wenn man mehrere Tage unterwegs ist. Und Baekhyun ist in Ordnung. Ich kann ihn gut leiden.«

Tao blickte ihn einen Moment schweigend an. »Wieso hast du ihn nicht diesmal mitgenommen?«

»Ich kann dich besser leiden«, antwortete Kris und zuckte dann mit den Schultern.

»Obwohl ich dir ins Gesicht geschlagen hab?« Tao grinste etwas.

»Vielleicht genau deswegen«, sagte Kris und klang nicht so, als würde er seine Aussage ernst meinen.

Tao blickte sich in dem großen und schönen Zimmer um. »Oh«, machte er dann leise. »Wo darf ich denn schlafen?« Ein eigenes Zimmer würde er wohl nicht bekommen, das wäre auch zu viel verlangt. Aber vielleicht gab es ja ein extra Zimmer für Leute wie ihn, das er sich mit anderen teilen durfte. Ihm war das egal, denn er würde auch glatt auf dem Teppich schlafen. Bequem sah es auf jeden Fall aus.

»Wo du möchtest«, war die Antwort, die er von Kris bekam.

Tao sah sich um. Wo er mochte. Das Bett war sicher am bequemsten, aber das wollte er Kris nicht streitig machen. Vermutlich würde seine Wahl auf die Ecke mit den vielen Sitzkissen fallen. Das wäre sicher ein Traum auf Erden. Wie alles hier.

Die Wahl fiel tatsächlich auf die Kissen und Tao glaubte, dass es die beste Entscheidung der vergangenen Tage gewesen war.
 

Baekhyuns Arme hingen schlaff über dem Holzzaun und seine dunklen Augen waren motivationslos nach vorn gerichtet, sahen dabei zu wie Luhan dabei war das störrische Alpaka zu bürsten. Das Alpaka, das im Moment gar nicht so störrisch wirkte, sondern nur graste und Luhans Taten offensichtlich genoss. Als er das Tier zum ersten Mal gesehen hatte, war es ziemlich unruhig gewesen, hatte sich fast wie eine Diva verhalten, aber im Moment schien es ein paar gute Minuten zu haben. Oder es hatte angefangen Luhan zu mögen.

Vermutlich hatte es angefangen ihn zu mögen, aber Luhan fütterte es ja auch. Wäre ja dumm von dem Wesen, wenn es die Hand beißen würde, die ihn fütterte.

Baekhyun gab ein Seufzen von sich.

»Alles in Ordnung?«, hörte er plötzlich eine Stimme irgendwo hinter sich und an dem Lispeln erkannte er auch sofort, wer es war. Er drehte seinen Kopf und sah zu Sehun, der sich im nächsten Moment neben ihn an den Zaun lehnte und für einen Moment mit einem leichten Lächeln zu Luhan blickte, ehe er sich zu ihm wandte.

»Glaube schon«, antwortete er und zuckte mit den Schultern, so gut das in seiner Position eben ging.

»Nichts zu tun? Oder bist du deprimiert, weil er dich diesmal nicht mitgenommen hat?«, wollte Sehun wissen und Baekhyun verfluchte ihn für die Tatsache, dass er sehr richtig lag.

Baekhyun seufzte lautlos durch die Nase und sah dann wieder nach vorn zu Luhan, der Sehun offensichtlich noch nicht bemerkt hatte. »Ein bisschen. Ich hab mich eigentlich drauf gefreut. Aber es ist auch völlig in Ordnung, wenn er Tao mitnimmt.« Erneut hob er die Schultern leicht an. »Er scheint ihn ja sehr zu mögen. Und Tao ist in Ordnung, ich gönne es ihm wirklich.«

Sehun beobachtete Baekhyun prüfend von der Seite und schien seinen Kummer wohl irgendwie nachvollziehen zu können. Zumindest laut seinem Gesichtsausdruck. »Wieso hast du nicht gefragt, ob du trotzdem mitkannst? Wäre doch sicher kein Beinbruch gewesen, wenn du auch noch mitgegangen wärst.«

»Mhmm«, machte er lustlos. »So viel Recht hab ich nicht. Ich kann den Prinzen nicht einfach um so einen Gefallen bitten. Das ist unhöflich.«

»Oh, Sehun!« Luhan hatte sich umgedreht und den Neuzugang bemerkt und war, noch immer mit der Alpakabürste in der Hand, zu ihnen an den Zaun gelaufen. Auf seinem hübschen Gesicht lag ein erfreutes Lächeln. »Wie geht’s dir?«

»Besser als ihm«, war Sehuns Antwort, während er zu Baekhyun deutete, der sich langsam aus der doch recht unbequemen Situation hob und die Unterarme schließlich auf den Zaun legte.

Luhan, der noch immer auf der andren Seite des Zaunes stand, warf ihm einen fast schon bemitleidenden Blick zu. »Können wir dich irgendwie aufheitern?«

»Nein, mir geht’s gut«, sagte Baekhyun, wusste jedoch nicht, ob es wirklich zutraf. Er setzte schließlich ein Lächeln auf. »Ich lass euch beide dann mal allein. Muss sowieso noch ein paar Dinge erledigen.« Er entfernte seine Arme von dem Zaun.

»Uh, okay. Aber wenn du Gesellschaft brauchst, weiß du ja, wo wir sind.« Luhan schenkte ihm ein ehrliches Lächeln und Baekhyun bedankte sich, winkte ihnen, verließ die Ställe und lief Richtung Palast.

Er seufzte und versuchte seinen Trübsal zu vergessen. Vermutlich war er tatsächlich enttäuscht und deprimiert, dass er nicht hatte mitgehen dürfen. Dabei hatte er sich so darauf gefreut Chanyeol wieder zu treffen.

Vor zwei Jahren hatten sie sich das erste Mal, auf dem Treffen im neutralen Land Emeralt, getroffen. Er hatte ihn damals angesprochen und Baekhyun hatte sich auf Anhieb gut mit ihm verstanden. Baekhyun glaubte, dass es sein Lächeln gewesen war, das ihm so unglaublich gut gefallen hatte. Sie hatten sich bis spät in die Nacht unterhalten und Baekhyun hatte damals sogar vergessen, dass er ja eigentlich bei Kris hätte bleiben sollen. Zum Glück war ihm der Prinz nicht nachtragend gewesen.

Die Erinnerung an das letzte Treffen wollte aber auch nicht aus seinen Gedanken weichen.
 

»Du solltest mit mir mitkommen«, hatte Chanyeol zu ihm gesagt.

Und Baekhyun hatte ihn mit großen, fassungslosen Augen angesehen. Er hatte den Mund geöffnet, ihn wieder geschlossen und schließlich die Sprache wieder gefunden. »Ich kann nicht. Du weißt, dass ich im Palast arbeite un-«

»Es gibt genug Leute, die deine Arbeit ersetzen können. Aber bei uns gibt es niemand, der dich ersetzen kann«, hatte Chanyeol ihn unterbrochen und Baehyun hatte ihn angestarrt und war sich nicht genau sicher gewesen, wie sein Gegenüber das gemeint hatte.

Chanyeol hatte leise durch die Nase geschnaubt. »Niemand in Aschenschlund schenkt mir so ein ehrliches Lächeln wie du es tust. Der Prinz behandelt mich wie Dreck, der Respekt des Königs ist aufgesetzt und die Bürger trauen sich nicht einmal mich anzusehen, weil sie Angst vor mir haben. Für diese Personen bin ich kein Mensch. Für sie bin ich nur der Phönix, der aus der Asche gestiegen ist. Ich soll sie beschützen und gleichzeitig behandeln sie mich als wäre ich ein Monster.«

Baekhyun hatte beobachtet wie der junge Mann mit den gelockten Haaren sich schmerzhaft auf die Unterlippe gebissen und weggesehen hatte. Es hatte ihn durchaus Überwindung gekostet seine Hand zu heben und nach der von Chanyeol zu greifen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass er nie gewusst hatte, was er darauf hätte sagen sollen. Er hatte ihn trösten wollen, hatte ihn wieder lächeln sehen wollen.

»Du bist kein Monster«, hatte er ihm leise gesagt und war von seiner Aussage überzeugt gewesen.

Chanyeol hatte seinen Kopf in Baekhyuns Richtung gedreht, ihn beobachtet und dann hatte er bemerkt, wie er den Druck seiner Hand etwas verfestigt hatte.

»Komm mit mir mit«, hatte Chanyeol wiederholt. »Sonst veranstalte ich da drüben noch ein Massaker.«

Wäre er kein so verantwortungsbewusster junger Mann gewesen, hätte er sofort zugesagt. Er hatte schnell angefangen Chanyeol zu mögen; er liebte es sich mit ihm zu unterhalten und auch wenn sie sich in zwei Jahren nur ein paar Tage gesehen hatten, hatte es zwischen ihnen immer gestimmt. Als wären sie auf einer Wellenlänge gewesen.

Er hatte ihm gesagt, dass er das leider nicht konnte. Und dann hatte er ihn damit getröstet, dass sie sich in einem Jahr ja wieder sehen würden.
 

Baekhyun hatte ein schlechtes Gewissen. Weil er ihn wohl irgendwie angelogen hatte. Und eigentlich tat er das nicht gern. Vor allem hatte er Chanyeol nicht anlügen wollen. Er hatte sich wirklich auf dieses Treffen gefreut; so wie immer.

Aber diesmal lief wohl alles ohne ihn ab. Er hoffte nur, dass Chanyeol ihm nicht böse war. Das war das Letzte, was er hatte erreichen wollen.

Und zu seinem Glück wusste er nicht, was in Aschenschlund passiert war – hätte er es erfahren, hätte er sich vermutlich durchaus Vorwürfe gemacht. Große Vorwürfe.

Stattdessen blieb es nur bei dem schlechten Gewissen, weil er ein leeres Versprechen gegeben hatte.
 


 

Er registrierte das Zwitschern der Vögel in den letzten Augenblicken seines Traumes, dessen Erinnerungen sofort verflogen waren, als er die Augenlider öffnete und gegen das helle Licht blinzelte. Er schloss die Augen wieder, drehte sich auf die Seite und fühlte sich fürchterlich ausgeschlafen.

Er rieb sich die Augen, gab ein leises entspanntes Stöhnen von sich und drehte sich auf dem Kissenberg um. Die Erinnerungen an den vergangenen Tag traten sofort ein, als er sich müde umgesehen hatte und ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen.

Es war kaum zu realisieren und der Kummer von gestern Abend war auch verschwunden. Vielleicht weil er seit Langem so gut geschlafen hatte, vielleicht auch weil es so ein unglaublich schöner Tag war.

Schließlich zog er die Decke, die Kris ihm netterweise gegeben hatte, zur Seite und stand vorsichtig auf, blickte zu dem Bett und stellte fest, dass es leer war. Und sehen konnte er Kris auch nicht. Er fragte sich wo er war, kam aber zu keiner Antwort. Und dann bemerkte er, dass etwas auf dem Tisch stand. Offensichtlich Essen. Und wow, das kam wie gerufen, denn Tao hatte unglaublichen Hunger.

Er hatte gezögert, hatte sich gefragt, ob das Essen überhaupt für ihn war, sich dann jedoch einfach dafür entschieden das Risiko einzugehen, weil Kris nicht anwesend war.

Schließlich hatte er gegessen, war zum Fenster gelaufen und hatte hinausgeguckt und im Licht war die Umgebung noch viel beeindruckender. Mit großen Augen und leicht geöffneten Mund sah er aus dem Fenster, das er geöffnet hatte, und bemerkte, dass er noch nie so viel Grün auf einmal gesehen hatte. Er sah Bäume, die er noch nie zuvor gesehen hatte und bemerkte, dass das Weiß der Brunnen, die in dem gewaltigen Garten standen, wunderbar mit dem saftigen Grün harmonierte. Und der blaue, fast wolkenlose Himmel sah hier viel schöner aus, als in ihrem Land.

Er stand einige Minuten an dem Fenster, sah hinaus und genoss die warme Luft auf seiner Haut. Er wollte raus und fragte sich kurz darauf, ob er das einfach so konnte. Er wusste nicht wo Kris war, aber er glaubte auch nicht, dass es schlimm sein würde, würde er das Zimmer verlassen.

Er zögerte trotzdem einige Minuten, ehe er das Zimmer vorsichtig verließ und sich umsah. Vielleicht würde er jemand treffen, der ihm sagen konnte, wo Kris sich aufhielt.

Gesehen hatte er niemand und als er auf der weißen Terrasse stand, auf der er gestern Kai, D.O und Chanyeol kennengelernt hatte, seufzte er. Das Wetter war herrlich, die Umgebung war wunderbar und es wirkte, als wäre das hier einem Traum entsprungen.

Er sah sich um, schwang sich dann über die Balustrade und als er das kühle Gras unter seinen Füßen spürte, bemerkte er, dass er seine Schuhe vergessen hatte. Macht der Gewohnheit. Aber vermutlich hätte er das angenehme Gras eh unter seinen nackten Füßen spüren wollen.

Ohne zu wissen, wohin er wollte, lief er durch den Garten, sah sich um, bemerkte seltsame Vögel in den Bäumen sitzen und kurz gesagt, kam er aus dem Staunen einfach nicht mehr heraus.

Sein Morgenspaziergang wurde länger als erwartet und irgendwie hatte Tao gar keine richtige Lust umzudrehen. Es gab hier einfach zu viel zu sehen und er hoffte, dass er den Weg zurück noch finden würde, aber er glaubte, dass es recht einfach sein würde, das weiße, gigantische Anwesen wieder zu finden. Hier war ja sonst nur alles grün.

Als er dann aber den See gesehen hatte, war der Gedanke umzudrehen, verschwunden. Taos Augen beobachteten die Oberfläche des Wassers, das das Sonnenlicht fast schon glitzern ließ, voller Bewunderung. Er kannte nur kleine Oasen und das Meer, das er von dem Drachen aus gesehen hatte, aber das hier war eindeutig etwas anderes. Er konnte das Ufer der anderen Seite sehen und dennoch war es ein sehr großer See mit einem recht klaren Wasser.

Nach ein paar Sekunden Starren setzte er sich in Bewegung, tapste über den steinigen und kühlen Boden und hielt kurz darauf seine Zehen in das Wasser, das eine angenehme, minimal kühle Temperatur hatte. Und würde sein Verstand ihn nicht aufhalten, würde er mitsamt seinen Klamotten einfach in das Wasser springen. Da das aber eher eine suboptimale Idee war, ließ er es lieber bleiben. Verführerisch war es trotzdem.

Tao bewegte sich zu ein paar größeren Steinen, die am Ufer lagen und fast einen kleinen Vorsprung bildeten und ließ sich auf den Stein, der durch das Sonnenlicht angenehm warm geworden war, nieder. Er gab ein entspanntes Seufzen von sich, zog seine Beine an und starrte auf das Wasser. Und im nächsten Moment hörte er irgendwo ein leises Plätschern. Und kurz darauf ein Fluchen.

Tao runzelte die Stirn.

»Ouch, ich hab gesagt, du sollst vorsichtig sein«, hörte er jemand aufgebracht fluchen und Tao glaubte, dass er die Stimme kannte. War das Kai?

Er hörte ein leises Schnauben. »Wir wissen beide, dass du darauf stehst.«

Tao blickte in die Richtung, aus der die Stimmen kamen und er war sich ziemlich sicher, dass die zweite Person D.O sein musste. Und dass die beiden sich wohl auf der anderen Seite der kleinen Steinbrocken befanden.

»Ach, halt die Kla-« Der Satz wurde mit einem schmerzhaften Stöhnen abgebrochen und Taos Blick, der noch immer auf den Stein gerichtet war, nahm neue Dimensionen des Wortes ‚verwirrt‘ an.

Er hörte D.O amüsiert glucksen und danach etwas, das sich vielleicht wie ein lautes Ausatmen angehört hatte. Tao war sich nicht sicher, da die beiden Stimmen doch noch etwas entfernt von ihm waren, was dazu führte, dass er nur spekulieren konnte.

Kurz darauf hatte er sich etwas erhoben, war aus reiner Neugierde etwas höher geklettert und warf, oben angekommen, er vorsichtig einen Blick über den höchsten Stein.

Es war ein reiner Reflex, dass er seinen Mund fassungslos etwas öffnete und die Augen weitete. Vielleicht war das ein Bild gewesen, das er absolut nicht erwartet hätte. Nein… absolut nicht. Er schluckte und starrte auf D.O, der völlig entkleidet bis zum Bauch im Wasser stand und Kais nackte Oberschenkel festhielt und an seinen eigenen Körper drückte. Kai hatte seine Arme um den Hals seines Bruder geschlungen und seinen Kopf gefährlich nahe an D.Os. Der Jüngere der beiden hatte seinen Mund leicht geöffnet, die Augenlider genüsslich geschlossen und Tao glaubte, dass er ihn angestrengt, wenn auch leise, atmen hören konnte.

Kai griff mit einer Hand in D.Os Haare und drückte seine Lippen kurz darauf verlangend auf die des anderen um ihn in einen verlangenden Kuss zu ziehen.

Tao zog seinen Kopf wieder zurück und starrte gegen den grauen Stein vor seinem Gesicht und glaubte, dass sein Verstand ihm gerade einen ziemlich dämlichen Streich spielte, oder dass die beiden Prinzen von Eranian eine etwas andere brüderliche Beziehung führten.

Sein Herzschlag war rascher geworden, wieso genau wollte er lieber gar nicht wissen. Das Bild, das er eben gesehen hatte, hatte ihn schon so genug aus der Bahn geworfen. Er blinzelte kurz und hörte Kais heiseres Stöhnen.

Oh Gott.

Oh Gott.

Vielleicht hätte er doch umdrehen sollen.

Vorsichtig und darauf bedacht keinen Laut von sich zu geben, kletterte er die grauen Steine wieder nach unten und glaubte, dass es besser wäre, wenn er sich ganz schnell verziehen würde. Er wollte ja auch nicht stören und ehrlich gesagt wollte er auch nicht Zeuge ihres Techtelmechtels werden.

Oh Gott, er hoffte nur, dass er die beiden nicht noch einmal sehen würde, denn er war sich sicher, dass ihre Anwesenheit ihn an genau dieses Ereignis erinnern würde.

So leise es nur irgendwie ging trat er über die kleinen, piksenden Steine des Ufers und erreichte schließlich wieder das weiche Gras. Er atmete auf, sah kurz zurück zu den Steinen, die das Bild der beiden Prinzen verdeckten und lief schließlich wieder zurück Richtung Anwesen.

Tao war verwirrt.

Einfach nur verwirrt. Weil er sich nicht sicher war, ob das in ihrem Land normal war. Möglich wäre es durchaus. Andere Länder, andere Sitten. Und eigentlich war es ihm völlig egal, was andere Menschen trieben; war ja nicht seine Sache. Er respektierte die Vorlieben anderer Menschen, aber das zu sehen hatte ihn nun doch etwas… überrascht.

Und stören in ihrer lieblichen Zweisamkeit wollte er sie ja auch nicht…
 

Er hatte den Weg zurück gefunden, war sogar halbwegs auf andere Gedanken gekommen, was wohl nur daran gelegen hatte, dass er einen großen, weißen Vogel mit sehr langen Beinen und einem riesigen Schnabel gesehen hatte, der irgendwo in der Wiese stand und sich nicht bewegte. Er war nicht näher zu ihm getreten, hatte ihn jedoch einige Minuten aus der Ferne beobachtet und erst als er festgestellt hatte, dass das Tier wohl keine Lust hatte sich zu bewegen, hatte er seinen Weg weiter gesetzt. Das Gebäude war dann recht schnell in Sichtweite gekommen und Tao hoffte, dass er Kris treffen würde. Vielleicht war er wieder in ihrem Zimmer. Er würde das zumindest sehr begrüßen. Denn jetzt hatte er keine Ahnung mehr, was er mit sich anfangen sollte, außer sich weiter umzusehen. Und eigentlich wollte er auch nicht weg sein, wenn Kris vielleicht zurückkommen würde. Zurückkommen von was auch immer.

Er betrat das Gebäude und bemerkte sofort, dass der edle Boden durchaus kühler als das Gras draußen war. Lag wohl daran, dass der Flur größtenteils im Schatten lag. Es hatte sicher eine Ewigkeit gebraucht dieses Gebäude aufzubauen. Jede der Säulen war wunderbar verziert, viele der Wände besaßen ebenfalls wie der Boden ein mosaikähnliches Muster und von den Tischen und Vasen die an manchen Stellen standen, wollte er erst gar nicht anfangen. Es war auf jeden Fall eine ganz andere Liga als das Schloss von Kris‘ Königsfamilie. Nicht unbedingt schöner, aber eben anders. Man bemerkte die andere Kultur sofort.

Schließlich trat er durch die Tür und war froh, zu sehen, dass er das richtige Zimmer erwischt hatte. Dummerweise war der Raum noch immer leer und Tao fragte sich wo Kris war. Vielleicht hatten sie sich in der Zeit, in der draußen gewesen war, verpasst. Das wäre irgendwie bitter.

Er schloss die Tür hinter sich und trat dann in das Zimmer und warf sich im nächsten Moment spontan in den Kissenhaufen, drückte die weichen Kissen an seine Wange.

Still blieb er so liegen, umarmte eines der Kissen schließlich halbherzig und fragte sich, was seine Eltern gerade taten. Und wie es ihren Tieren ging und ob sie ohne seine Hilfe auch keine Probleme hätten. Gut, okay, das war wohl höchst wahrscheinlich, weil Tao nur einfache Aufgaben tat. Aber an sich bedeutete seine Abwesenheit durchaus mehr Arbeit für die Familie.

Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

Tao fühlte sich plötzlich etwas unwohl, weil er hier im reinsten Luxus lag und nicht an seine Familie gedacht hatte. Er war doch sonst kein egoistischer Mensch und dachte erst an seine Familie und die Farm. Seine Familie brauchte ihn, das wusste er.

Unbemerkt hatte er sich auf die Lippen gebissen und versuchte sich einzureden, dass es ja nur für ein paar Tage war und dass dann sicher alles wieder beim Alten war. Vielleicht hätte Kris niemals auf der Farm auftauchen dürfen – wieso zur Hölle hatte er das eigentlich getan? Tao glaubte, dass er Kris das irgendwann mal fragen sollte.

Er seufzte schließlich und drückte sein Gesicht in das weiche Kissen und verfluchte sich, weil er sich Sorgen und Vorwürfe machte und das eigentlich im Moment gar nicht tun wollte. Er wollte den Aufenthalt hier genießen, weil es etwas Einmaliges war. Tao wusste, dass er keine zweite Chance bekommen würde und er konnte sich nur schwer vorstellen, dass Kris ihn nächstes Jahr noch einmal hierher mitnehmen würde. Natürlich würde er nicht Nein sagen, aber Tao glaubte, dass dieses Verhältnis, das er und Kris im Moment hatten, nicht lange halten würde.

Weil er ein einfacher Alpakabauer und Kris ein Prinz war. Das passte nicht, weder hinten noch vorn. Kurz musste er an die Frage denken, die Chanyeol ihm gestellt hatte, verwarf sie dann aber wieder, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Kris auf so etwas aus war. Und wenn, dann hätte er das wohl schon lange bemerkt, war ja nicht so, dass Tao beschränkt im Kopf war.

Irgendwie wurden sein Leben sowie seine Gedankenwelt hier gerade ziemlich auf den Kopf und die Probe gestellt.

Ein Klopfen riss ihn – zu seinem Glück – aus den unangenehmen Gedanken und Tao erhob sich etwas, blieb jedoch immer noch halbwegs in dem Kissenhaufen sitzen und blickte zu der dunkelbraunen Holztür, die geöffnet wurde. Ein dunkelbrauner Haarschopf war zu sehen und Tao war im ersten Moment enttäuscht, dass es nicht Kris war, der das Zimmer vorsichtig betreten hatte.

»Ah, Ihr müsst Tao sein!« Das war mehr eine Feststellung, als eine Frage. »Oder?« Das war eine Frage.

Auf seinen Lippen erschien ein amüsiertes Lächeln und im nächsten Moment erhob er sich aus seiner faulen Position. »Ja«, antwortete er einsilbig, aber nicht unhöflich – eher ein wenig fragend.

»Gut geruht? Ich hoffe, ich habe Euch nicht geweckt.«

»Nein, ich bin schon seit einigen Stunden wach«, erklärte er dann. Zumindest war er sich ziemlich sicher, dass er einige Stunden unterwegs gewesen war.

»Sehr schön«, sagte der Unbekannte, dessen Frisur ihn fast an seine eigene erinnerte. »Prinz Kris schickt mich.« Damit wollte er wohl seine Anwesenheit erklären.

»Oh«, machte Tao und wartete darauf, dass er weiter sprach, weil diese Aussage nicht alle seine Fragen beantwortete.

»Er würde sich freuen, wenn Ihr mit mir mitkommen würdet. Ich bring Euch zu ihm – natürlich nur, wenn Ihr wollt.« Die Person, die ihn zu Kris führen sollte besaß eindeutig gute Manieren. Er sah gepflegt aus, hatte schöne, helle Haut und ein Lächeln, das durchaus vertrauenswürdig erschien. Aber das von Chanyeol hatte auf ihn im ersten Moment auch so gewirkt, was er jedoch erfahren hatte, war alles andere als vertrauenswürdig.

»Sehr gern«, antwortete Tao dann sofort weil es erstens höflich und zweitens ehrlich war. Er schlüpfte in seine Schuhe und bewegte sich dann mit großen Schritten zu der Tür, und wenig später lief er neben dem jungen Mann, der gut zehn Zentimeter kleiner als Tao war, her.

»Und, gefällt es Euch hier?«, fing die Person dann locker an mit ihm zu reden, jedoch ohne die Höflichkeit zu verlieren.

»Ja, es ist sehr schön.«

»Etwas ganz anderes als die ewige Wüste, hm?«

»Kann man sagen«, antwortete er mit einem Lächeln.

»Ah! Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt! Entschuldigt meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Suho. Ich gehöre zum Gesinde des Kar’ahl Könighauses.«

Erstaunlich, was für Leute er hier kennenlernte. Leider konnte er schlecht sagen, dass er aus einer stinkenden Alapakafarm stammte und nur hier war, weil er Kris bei ihrem ersten Treffen wohl so gut im Gedächtnis geblieben war, dass er angefangen hatte ihn zu registrieren und nicht wie alle anderen zu ignorieren. Er war also etwas ratlos, was er darauf sagen sollte und bemerkte dann, dass er ja noch gar nichts über das Königreich im Nordosten wusste, außer dass es wohl in den Bergen lag.

»Kann ich Euch eine Frage stellen?«, fragte er deswegen vorsichtig.

Suho nickte. »Natürlich. Alles was Euch auf dem Herzen liegt.«

»Wie genau kann ich mir Euer Königreich vorstellen?«

»Hm«, machte er kurz überlegend. »Unser Land wird sehr von Bergen dominiert. Im Gegensatz zu den Temperaturen hier ist unser Land wohl als sehr kalt zu beschreiben. Dort wo keine Berge sind wachsen grüne Nadelbaumwälder. Im Gegensatz zu Eurem Land ist unser Sommer sehr kurz und der Winter ist immer verschneit.«

»Verschneit?«, fragte Tao verwirrt. »Was ist das?«

»Sagt dir Schnee etwas?«, wollte Suho wissen.

»Nein«, gestand Tao unsicher.

Suho schenkte ihm ein leichtes Lächeln. »Schnee ist gefrorener Regen. Und weiß.«

»So kalt ist es bei euch?«, wollte er ungläubig wissen. Das konnte er sich kaum vorstellen.

Suho gluckste amüsiert und Tao registrierte die vielbeschäftigten Menschen, die hin und wieder an ihnen vorbei eilten nur am Rande. Er war eher damit beschäftigt Suho mit großen Augen von der Seite anzusehen. »Kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Genauso wenig kann ich mir einen Winter ohne Schnee vorstellen.«

Tao schenkte ihm ein Grinsen. »Dann ist das Klima hier wohl auch schon recht warm für Euch, oder?«

Suho nickte. »Gute Sommertage sind mit viel Glück so wie das Wetter heute.«

Tao wusste, in welches Königreich er nur ungern gehen würde. Wobei er Kälte an manchen Tagen durchaus begrüßen würde. »Wow«, machte er dann leise, weil es durchaus beeindruckend klang. Vermutlich war für einen Bauersjungen alles beeindruckend.

Sie liefen noch ein paar Minuten und Suho erzählte ihm, dass in ihrem Königreich besonders viel Holz und Erze gewonnen wurden und dass ihr Königreich auch genau dafür bekannt war. Und für Gold. Vermutlich war es sogar eines der reichsten Länder, wenn man von dem materiellen Wert ausging. Was Nahrung anging, waren sie wohl nur sehr einseitig. Es gab zwar viele Nutztiere, aber dafür wuchsen nur sehr wenige Obst- und Gemüsesorten in ihrem Reich.

Und schließlich traten sie auf eine Art überdachte Terrasse. Das Dach wurde von großen Säulen gehalten, in der Mitte des runden Bereiches stand ein großer, weißer Springbrunnen und Tao konnte gehörnte Pferde auf selbigen erkennen. Und danach bemerkte er Kris, er auf einer Chaiselongue, überzogen mit rotem Stoff, lag. Tao musste feststellen, dass der Prinz heute verboten attraktiv aussah. Gerade in so einer Umgebung wirkte er fürchterlich anmutig.

Tao erinnerte sich daran, dass er Kris sein makelloses Gesicht bei ihrem ersten Treffen am liebsten zerkratzt hätte. Heute war er einfach nur beeindruckt davon.

Und kurz darauf bemerkte er auch eine weitere Person, die auf der Liegecouch, gegenüber von Kris, saß. Er hatte kurzes, braunes und wildes Haar und als er in ihre Richtung sah, stellte Tao fest, dass er ein hübsches, rundes Gesicht hatte. Und markante Augenbrauen. Er schenkte ihnen ein leichtes Lächeln und winkte sie in ihre Richtung und Tao folgte Suho, der, bei ihnen angekommen, seinen Kopf senkte und wohl eine Verbeugung andeutete. Tao wusste nicht so recht, was er tun sollte und tat es deswegen auch, weil er davon ausging, dass die andere Person vermutlich der Prinz von Kar’ahl war.

»Entschuldigt unsere Verspätung«, sagte Suho.

»Ihr seid nicht zu spät«, bemerkte die Person, deren Namen Tao nicht kannte.

Suho drehte sich minimal zu Tao. »Tao, darf ich Euch Prinz Xiumin, den Thronfolger von Kar’ahl vorstellen?« Jetzt wusste Tao seinen Namen.

»Es ist mir eine Ehre Euch kennenzulernen«, sagte er und hoffte, dass seine Aussage angebracht und nicht zu unhöflich war. Kris hätte ihm vielleicht wenigstens sagen können, wie er sich am besten vor solchen Hoheiten verhalten musste. Er selbst hatte ja keine Ahnung. Er kannte nur das im Dreck auf den Knien um Gnade betteln – eben das klassische Bild, das ein Bauer im Kopf hatte, wenn es um Könige ging. Aber im Moment gab es ja keinen Grund um Gnade zu bitten – hoffte er zumindest.

»Die Ehre ist auf meiner Seite«, sagte Xiumin, der eine sehr angenehme, ruhige Stimme hatte. »Und können wir dieses förmliche Gerede lassen? Das muss ich später noch lang genug hören.«

»Natürlich«, sagte Suho und klang noch immer so respektvoll wie zuvor.

Tao blinzelte kurz und registrierte Kris minimales Grinsen, der ihn schließlich zu sich winkte. Einen Moment zögerte der Schwarzhaarige, ehe er sich schließlich in Bewegung setzte. Kris setzte sich auf und Tao glaubte, dass er ihm Platz machen wollte. Sicher, ob er sich setzen konnte, war er jedoch nicht. Er wollte nicht dreist erscheinen. Erst als Kris eine eindeutige Kopfbewegung machte, setzte sich Tao neben ihn und musste sich die Frage, wo er heute früh gewesen war verkneifen.

»Du siehst ausgeschlafen aus«, bemerkte Kris und Tao bemerkte, dass sein Blick anders als gestern, als sie allein gewesen waren, war. Und dachte er darüber nach glaubte er, dass Kris in der Anwesenheit der anderen inzwischen immer etwas anders war.

»Bin ich auch«, gestand er.

Kris zog seinen linken Mundwinkel zu einem kurzen, aber sehr schiefen Grinsen hoch.

»Hab gehört ihr habt Chanyeol gestern getroffen«, sagte Xiumin. »Hat sich ganz schön verändert, oder bilde ich mir das nur ein?«

»Zumindest ist er noch etwas größer geworden«, sagte Suho, der noch immer neben Xiumins Chaiselongue stand, bis selbiger ihm mit dem Klopfen auf das Polster ein Zeichen zum Setzen gab.

Kris‘ Blick hatte sich etwas verfinstert. »Zumindest ist jetzt offensichtlich, dass seine gute Laune nur ein Vorhang ist. Hätte mir das letztes Jahr jemand erzählt, hätte ich diese Person wohl ausgelacht.«

»Na ja, wenn man daran denkt, was er ist, ist das eigentlich gar nicht so abwegig. Sei nur froh, dass dein Drache nicht auf den Thron passt, sonst würde er vielleicht auch sehr schnell zum Usurpator werden.« Xiumin schenkte Kris ein amüsiertes Grinsen.

»Es gibt keine loyaleres Wesen als Ace.« Kris sagte es mit so einer Überzeugung und so einer Arroganz, dass Tao ihm sofort glaubte.

»War’n Scherz«, sagte Xiumin dann. »Hatte er nicht immer mit deiner letzten Begleitung rumgehangen?«

»Ja«, sagte Kris und man konnte hören, dass er nicht gut gelaunt war. »Ich bin froh, dass ich ihn diesmal nicht mitgenommen hab. Mit jemand wie Chanyeol möchte ich nichts zu tun haben.« Tao bemerkte den kalten Ton in der Stimme seines Prinzen.

Es klang hart, dachte Tao darüber nach, war Kris‘ Aussage wohl nachvollziehbar. Dennoch konnte Tao die Geschichte nicht so recht fassen. Chanyeol hatte wirklich nett gewirkt.

»Können nur hoffen, dass er in seinem jungen Leichtsinn nicht plötzlich einen schweren Streit anzettelt oder Krieg provoziert«, mischte sich Suho in das Gespräch ein.

»Das würde er gar nicht wagen«, sagte Xiumin und zuckte mit den Schultern. »Er weiß, dass unser Königreich sich bei so etwas quer stellen würde und er weiß auch, was mein Vater damals getan hat.«

Tao verstand nicht, wovon der Prinz von Kar’ahl sprach. Kris offensichtlich schon.

»Außerdem glaube ich nicht, dass er so etwas vorhat. Vielleicht ist er ein Thronräuber, aber ich denke, dass es falsch wäre ihn als dumm zu beschreiben. Chanyeol war zwar nie bestimmt dafür auf dem Thron zu sitzen, aber jetzt, da er es tut, kann man durchaus bemerken, dass er Qualitäten hat. Auch wenn ich das nur sehr ungern zugebe«, sprach Xiumin weiter.

Kris gab ein missgelauntes Geräusch von sich. »Ich würde ihn trotzdem am liebsten von seinem hohen Ross holen«, brummte er dann.

»Auf deinem Drachen sitzt du doch sowieso höher«, bemerkte Tao plötzlich.

Kris warf ihm einen skeptischen Blick zu und Xiumin gab ein amüsiertes Lachen von sich. »Wo er Recht hat«, kommentierte er.

Kris zog seine Lippen zu einem leichten Grinsen und warf dann einen Blick in den Garten. »Ich werde mich mal nach dem Wohl von Ace erkundigen«, sagte Kris und stand auf. »Tao, du kommst mit.«

Ohne ein Widerwort erhob er sich, schenkte Suho und Xiumin ein leichtes Lächeln.

»Wir sehen uns später«, verabschiedete Xiumin sich von Kris, der nur nickte und sich in Bewegung setzte. Tao folgte ihm. Es war um Welten besser Kris zu folgen, als allein im Zimmer zu sitzen und sich mit unangenehmen Gedankengängen herumzuschlagen.

Sechs

Kris hatte ihm nur kurz erzählt, dass der König aus den Südlanden angekommen war, weswegen er schon so früh aufgestanden war. Er hatte ihn nicht wecken wollen und gehofft, dass Tao sich nicht zu sehr gelangweilt hatte. Tao hatte ihm erzählt, dass er sich etwas umgesehen hatte – den See hatte er lieber nicht erwähnt. Die Gedanken daran wollte er sich lieber sparen, am Schluss würde ihm die Schamesröte noch ins Gesicht huschen. Und das wollte er beim besten Willen vermeiden.

Sie liefen ein paar Minuten und irgendwann konnte Tao die großen Wesen auch schon erkennen. Neben einem nennenswert großen Berg lagen die gigantischen Wesen und Tao bemerkte zügig, dass die Tiere mit gigantischen, silbernen Ketten befestigt waren. Die Ketten endeten in einem Art Eingang in dem Hügel und waren dort drin wohl irgendwie und irgendwo befestigt. Tao wollte sich gar nicht vorstellen, was für eine Gewalt nötig war, um diese Tiere im Notfall ruhig zu halten.

»Hält sie das auf?«, wollte Tao dann von Kris wissen, während Kris sich auf den Weg machte seinen schwarzen Drachen anzusteuern.

»In einer Gefahren- oder Wutsituation nicht. Aber sie sind das hier gewohnt und auch wenn es ihnen nicht gefällt, bleiben sie die meiste Zeit ruhig. Dafür haben wir ja auch extra Angestellte, die sich den ganzen Tag um sie kümmern. Egal ob wir hier oder in Ilha sind. So bleiben die Tiere gezähmt.« Tao bemerkte einen der Männer, der sie begrüßte, und stellte fest, dass er ihn in dem Drachenkeller schon mal gesehen hatte. Das waren dann wohl die ganz persönlichen Dienstmädchen der Drachen. Nur dass sie keine Frauen waren. Und vermutlich besser bezahlt wurden, dafür aber auch einen sehr riskanten Job hatten. Tao konnte sich gut vorstellen, dass so ein Drache kurzen Prozess mit einem kleinen Menschlein machen konnte, wenn ihm danach war.

»Wie alt ist er eigentlich?«, fragte Tao dann, während seine Augen den gefährlichen, schwarzen und vermutlich dösenden Drachen beobachteten, dem sie immer näher kamen.

»Ace? Sechs Sommer jünger als ich«, antwortete er dann.

Tao bemerkte, dass er nicht wusste, wie alt Kris war. »Und wie alt bist du?« Die Stimme seiner Frage war vorsichtig und leise gewesen, weil er Kris nicht zu nahe treten wollte.

Der Prinz warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Zweiundzwanzig Sommer.«

»Oh«, machte Tao nur. Er hatte nie genau gewusst, wie alt er Kris hätte schätzen sollen. Eigentlich hätte er ihn eher mehr in sein eigenes Alter gesetzt, vielleicht etwas älter, aber so lange nun doch einige Sommer zwischen ihnen. »Dann bist du ungefähr drei Sommer älter als ich.« Wenigstens war er älter als Ace. »Hast du ihn aufgezogen? Woher kommt er überhaupt?«

»Der Drache meines Vaters ist seine Mutter«, erklärte Kris ihm, während sie beinahe bei Aces gewaltiger Schnauze angekommen waren. »Sein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben. Geboren ist Ace in unserem Schloss. Schon seit Generationen hausen die Tiere bei uns, im Moment befinden sich acht Stück in unserem Besitz. Aber nur Ace und seine Mutter sind so groß. Die anderen sind eine völlig andere Rasse und nicht halb so mächtig. Laut den Legenden stammen die Drachen eigentlich aus dem Norden. Kar’ahl bedeutet in der alten Sprache ‚Drachenberge‘. Heute befinden sich in der Region jedoch keine der Wesen mehr. Zumindest laut unseren Informationen, aber ausschließen, dass es ansonsten noch welche gibt, kann man nicht. Immerhin gibt es mehr Kontinente als unseren und Drachen sind kluge Wesen. Wenn sie nicht wollen, dass man sie findet, findet man sie auch nicht, egal wie groß sie sind.« Kris war neben die Schnauze seines schwarzen Drachens getreten und tätschelte mit der Hand über die Schuppen und Tao fragte sich, ob das Tier diese Berührung überhaupt bemerkte. Als Ace jedoch seine Augen öffnete, ging er durchaus davon aus, dass das wohl der Fall war. Vielleicht war es ja nur wie ein Kitzeln für ihn; Tao hatte keine Ahnung.

Auch wenn er auf dem Rücken des Tieres geflogen war, ganz geheuer war ihm dieses Wesen nicht. Deswegen stand er mit genug Abstand zu Kris und auch Ace und beobachtete sie schweigend. Kris sah dem Tier in das große, helle Auge und irgendwie wirkte es fast, als würden die beiden schweigend kommunizieren.

Schließlich drehte Kris den Kopf wieder in seine Richtung. »Immer noch Angst?«, fragte er mit einem leichten Grinsen.

»Ja, irgendwie schon«, antwortete er ohne sich zu schämen. Man musste sich nicht schämen, wenn man offenbarte, dass man Angst vor einem verdammten Drachen hatte. Das konnte vermutlich sogar der Prinz nachvollziehen.

»Er wird dir nichts tun«, sagte Kris ihm wieder. »Zumindest nicht, wenn ich dabei bin.«

»Wie kannst du dir da sicher sein?«, wollte Tao wissen.

»Ich bin mit ihm aufgewachsen, ich hab ihn erzogen. Ace ist mein bester Freund, ich weiß alles über ihn und er über mich. Und wenn ich nicht möchte, dass er dir etwas tut, dann wird er das auch nicht tun. Außer du würdest versuchen mir in seiner Gegenwart zu schaden, aber davon geh ich nicht aus.« Kris hatte sich wieder zu dem Wesen gedreht und den letzten Satz hatte er so betont, als würde Tao nicht einmal wissen, wie man anderen Menschen schaden konnte. Vermutlich war das nicht richtig, aber allein die Tatsache, dass Kris zu denken schien, dass er ihm nichts antun wollte, beruhigte ihn. Denn Tao wollte ihm ganz bestimmt nicht in den Rücken fallen, er wollte das bei niemand. Er brachte es ja noch nicht einmal übers Herz die ganzen Fliegen im Stall, die bei den Alpakas klebten, umzubringen. Dafür hatte er wohl ein zu sanftmütiges Wesen. Oder ein zu törichtes. Wie man es eben sehen wollte.

Tao sagte nichts, sondern beobachtete das ungleiche Paar, das gleichzeitig doch irgendwie ein Herz und eine Seele war. Tao konnte sogar ein konstantes, wenn auch leichtes Lächeln auf Kris‘ Lippen erkennen. Man konnte sehen, dass Kris‘ Worte wohl wahr gewesen waren, denn in der Gegenwart des Drachens wirkte er um einiges ruhiger und besonnener. Vermutlich war das wohl so, als wäre Tao bei seinen Lieblingsalpakas. Wenn man eine Bindung zu einem Tier oder einem Mensch hatte, bemerkten das Außenstehende auch meist.

»Los, komm her«, sagte Kris dann plötzlich und riss Tao aus seinen Gedanken. Der Angesprochene zögerte einen Moment, schluckte den plötzlichen Kloß im Hals hinunter und trat zu dem Drachen und Kris. Er glaubte Kris ja und er hatte das Wesen ja schon oft genug berührt. Aber der große Respekt wollte einfach nicht weichen. Der Gedanke, dass der Tier sein Leben in einem Atemzug aushauchen konnte, war konstant in seinem Unterbewusstsein. Vermutlich war es einfach sein vernünftiger Verstand und Instinkt, der ihm sagte, dass er dem Drachen nicht mit Leichtigkeit und gutem Gewissen näher kommen sollte. Aber wenn der Prinz ihm das sagte, war das natürlich etwas anderes. Auch wenn Tao bemerkte, dass er angefangen hatte in Kris nicht nur einen Prinzen zu sehen, sondern eine Person, die er inzwischen sogar respektierte und mochte. Wie seltsam das auch klingen mochte, wenn man an ihr erstes Treffen zurück dachte.

»Du und Ace würdet euch sicher gut verstehen«, sagte Kris dann, nachdem Tao neben ihm angekommen war und in das geöffnete, riesige Auge des Wesens sah, in dessen dunkler Pupille er sein und Kris‘ Spiegelbild sehen konnte. »Vorausgesetzt du würdest die Angst vor ihm ablegen.«

»Ich glaube, das kann ich nicht«, gab Tao leise zu.

Kris schnaubte amüsiert und leise durch die Nase und drehte sich schließlich in Taos Richtung. »Heute Nachmittag gibt es ein großes, wichtiges Treffen, bei dem auf meine Anwesenheit gesetzt wird«, fing Kris an zu erzählen und Tao hatte Mühe ihn und nicht den Drachen anzusehen. »Wenn du möchtest, könnten wir noch eine Runde mit ihm fliegen. Du könntest mehr von der Insel sehen.«

Tao blinzelte etwas und sah dann von Kris zu dem Drachen und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Er öffnete für einen Moment den Mund und bevor er etwas antwortete, sprach Kris weiter.

»Ace würde die Freiheit ruhiger stimmen und du hattest nicht so gewirkt, als hätte es dir nicht gefallen.« In seinen Augen sah Ace verdammt ruhig aus – vielleicht schon so ruhig, dass es schon wieder gefährlich wirkte, eben weil man nicht wusste, was in dem Gehirn des Wesens vor sich ging. Und ja, der Flug hatte ihm durchaus gefallen, aber er wusste nicht, ob das nun eine so gute Idee war. Aber er wollte natürlich auch gern mehr von dieser wunderbaren Insel sehen.

»Wenn du möchtest, begleite ich dich gern«, war dann seine Antwort.

»Tao, hier geht es nicht um meinen Willen. Wenn ich dir schon die seltene Ehre erweise die Entscheidung zu fällen, dann solltest du das auch tun.«

Vielleicht war ihm erst nach diesem Satz aufgefallen, wie viel Kris eigentlich für ihn tat. Und wie seltsam freundlich er zu ihm war. Er war anders freundlich, als er in Xiumins Gegenwart gewirkt hatte und es war auch nicht schwer zu erkennen, dass er anders war als in Kais oder D.Os Anwesenheit. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob er undankbar in Kris‘ Augen wirkte. Nicht, dass er es war, aber für ihn waren diese ganzen Dinge hier eben zu viel und er wollte nicht ständig seinen Dank vor Kris‘ Füße werfen, aber er wollte auch nicht so wirken, als würde ihn das hier alles kalt lassen, denn das tat es beim besten Willen nicht. Das hier war mit Abstand das Beeindruckendste, das er je erlebt oder gesehen hatte.

Er biss sich für die Dauer eines Wimpernschlages auf die Lippen und blickte zur Seite, beobachtete das schwarze Schuppenkleid des Tieres, das die Sonne matt spiegelte. »Ich möchte keine Umstände bereiten«, sagte er nur ehrlich.

Kris gab ein Schnauben von sich und Tao warf vorsichtig ein Blick zu ihm und im nächsten Moment packte der Prinz seine Oberarme und drückte seinen Rücken gegen die Schnauze des Drachens. Tao konnte die Schuppen von Ace in seinem Rücken spüren und augenblicklich fing sein Herz an schneller zu schlagen, als er eine Bewegung, die er nicht zuordnen konnte, irgendwo in seinem Rücken spürte. Für einen kurzen Moment bekam er etwas Panik, vor allem machten es Kris‘ leicht verengte Augen auch nicht einfacher. Tao glaubte, dass der Drache die Zunge oder einfach den Kiefer etwas bewegt hatte. Beruhigen tat ihn diese Sache aber auch nicht. Denn es war absolut nicht tröstend gegen die Seite einer Drachenschnauze drückt zu werden. Würde Ace sein verdammtes Maul öffnen, wollte Tao lieber gar nicht dran denken, was genau passieren würde. Und ehrlich gesagt wollte er auch gar nicht wissen, was Kris nun sagen würde, denn sein Blick wirkte durchaus irgendwie gereizt.

»Hör mir zu«, sagte er mit einer gedämpften Stimme. »Ich hab dich mitgenommen, damit du etwas siehst, damit du für ein paar Tage vergisst, dass du nur ein lausiger Alpakaflüsterer bist. Wenn ich dir schon die Ehre gebe in meiner Gegenwart zu sein, dann hör auf mir wie alle anderen in den Arsch zu kriechen, verstanden? Ich brauch deine Rücksicht nicht, wenn ich sie wollen würde, dann würdest du nie all das hier erleben. Tu wenigstens so als wärst du jemand anderes als die Leute in deinem Dorf.«

Tao glaubte, dass das die ersten Worte seit Langem waren, die ihn wirklich getroffen hatten. Nicht in einem positiven Sinne, sondern eher in einer schmerzhaften Art. Er biss sich auf die Zähne und glaubte, dass es keine gute Situation war um seine sentimentale Seite zu zeigen, denn blamiert hatte er sich schon genug. »Aber ich bin niemand anderes. Ich bin eben nur ein lausiger Alpakaflüsterer«, wiederholte er Kris‘ Worte mit einer festen Stimme. »Du kannst nicht verlangen, dass ich mich vom einen auf den anderen Tag ändere. Vor ein paar Wochen hätte ich noch nicht einmal damit gerechnet, dass ich überhaupt in die Lage kommen würde, dich persönlich zu sehen. Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich weiß wie ich mich verhalten soll. Ich kenn dieses Leben hier nicht und ich weiß nicht was in deinem Kopf vor sich geht und was genau du von mir hören willst. Ich kann damit doch gar nicht umgehen; du kannst das nicht verlangen.«

»Natürlich kann ich das verlangen. Ich bin der Kronprinz von Ilha und auch wenn wir hier nicht in unserem Land sind, bist du verpflichtet meinen Worten zu gehorchen. Stell meine Autorität nicht in Frage.« Kris tiefe Stimme war gefährlich und leise und Tao war sich nicht sicher, ob er mehr Angst vor Kris oder dem Drachen in seinem Rücken hatte.

Es war schwer dem stechenden Blick standzuhalten und Tao wusste gar nicht, was er sagen sollte. Er wollte Kris‘ Autorität und Macht doch gar nicht in Frage stellen. Er wollte doch nur, dass ihm klar wurde, dass er sich nicht wie jemand aus seinem Königshaus benehmen konnte, weil er gar nicht wusste, wie sich die Leute dort benahmen.

Er drückte die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab, starrte stattdessen auf Kris‘ Brust. Leise schluckte er, sein Puls schlug noch immer deutlich erhöht und der Griff um seine Oberarme war auch alles andere als angenehm. Schließlich öffnete er den Mund, verwarf die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte jedoch wieder, weil es alles so falsch klang.

Der Griff um seine Oberarme wurde schließlich etwas leichter, aber Tao traute sich trotzdem nicht Kris wieder ins Gesicht zu sehen.

»Du hast gesagt, du seist ein Freund von mir. Dann tu mir den Gefallen und verhalte dich auch wie einer. Wenn ich dir etwas anbiete und du es möchtest, dann sag einfach Ja. Und wenn es dir nicht gefällt, dann kann ich auch mit einem Nein leben. Hör auf mir alles Recht machen zu wollen, wenn ich versuche etwas für dich zu tun.« Die Gefahr in seiner Stimme war verschwunden, jedoch konnte man sie auch nicht als sanft oder weich beschreiben. »Und komm jetzt nicht auf die beschissene Idee dich entschuldigen zu wollen, verstanden?«

Tao hatte es geschafft Kris wieder ins Gesicht zu sehen und es war schwer sich ein ‚Tut mir Leid‘ herunter zu schlucken.

»Okay«, sagte er dann nur und Tao spürte, dass Kris ihn los ließ.

Ace gab ein leises, gutturales Knurren von sich und Tao spürte eine gruselige Vibration in seinem Rücken und nahm sofort Abstand von dem Drachen. Er hob seinen Blick wieder zu Kris und versuchte sich zu beruhigen.

»Ich würde gern etwas mehr von der Insel sehen«, sagte er dann ehrlich.

Kris schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Geht doch.«
 

Einige der Wächter hatten dem Tier die Fesseln abgelegt und Tao hatte es mit Kris‘ Hilfe wieder in den Ledersattel geschafft und war beeindruckt davon gewesen, dass der Prinz mit so einer Leichtigkeit auf den Rücken des Tieres hatte steigen können. Offensichtlich war Kris durchaus sportlicher als Tao – dass da mehr als nur Sportlichkeit am Werk war, konnte Tao natürlich nicht ahnen.

Die erneute, aufsteigende Aufregung hatte das angespannte Gespräch von eben erfolgreich verdrängt und Tao legte seine Hände zögerlich um Kris‘ Körper, weil er glaubte, dass das ein durchaus besserer Halt war als die Schlaufen hinter ihm. Er sah dabei zu, wie Kris zu den Zügeln griff, und im nächsten Moment war das geräuschvolle Schlagen der Flügel zu hören. Das Tier erhob sich plötzlich in die Luft und Taos Körper verkrampfte sich aus reinem Reflex etwas. Er drückte die Oberschenkel erneut fest gegen den Sattel, achtete jedoch darauf, dass er Kris diesmal nicht zu sehr das Blut mit seinen Armen abdrückte.

Sie gewannen schnell an Höhe und Tao konnte das grüne Dach des großen Anwesens erblicken und bemerkte auch erst jetzt, wie groß das Gebäude eigentlich war. Von seinem ersten Blickwinkel hatte er nur die Hälfte gesehen. Tao glaubte, dass der Drache langsamer als beim ersten Mal flog, dennoch bereute er den Blick über Kris‘ Schulter sehr schnell. Ein paar Tränen hatten sich in seinen Augen gebildet und Tao blinzelte sie weg, legte seinen Kopf dann wieder seitlich an den Nacken seines Vordermannes und blickte wie zuvor zur Seite. Sie flogen über Wälder, Tao glaubte sogar kurz den See zu erkennen (die Gedanken an das Ereignis dort verschwanden jedoch schnell wieder). Er sah Felder, bunte Blumenwiesen und Weiden mit Pferden oder ähnlichen Tieren.

Und irgendwann landete das Tier auf einem leeren, grünen Feld. Tao konnte den Anfang eines Waldes in der Ferne erkennen. Der Aufprall war dieses Mal nicht ganz so hart und unangenehm gewesen und Tao hatte keine Ahnung, was Kris hier wollte. Fragend sah er sich um, ehe er Kris über die Schulter blickte. »Was machen wir hier?«, fragte Tao dann und Kris drehte seinen Oberkörper ein wenig in seine Richtung.

»Na, traust du dich die Zügel in die Hand zu nehmen?«, wollte er wissen und Tao weitete seine Augen.

»Ich?«, er zeigte auf sich, danach auf den Drachen, »Den Drachen?«

Kris nickte ruhig.

Tao zögerte einen Augenblick. »Wie geht das überhaupt?«

»Kannst du Pferde reiten?«, wollte Kris wissen. Tao schüttelte den Kopf. »Es ist eigentlich ganz einfach. Zudem musst du keine Angst haben, dass er plötzlich vorhat uns abzuwerfen.«

»Und wenn ich was falsch mache?«, wollte Tao mir gerunzelter Stirn wissen und stellte sich vor, was wohl passieren würde, wenn der Drache plötzlich irgendetwas tun würde, was nicht geplant wäre.

»Ich bin da, im Notfall rette ich die Situation. Ace lässt sich nicht nur durch diese Zügel führen; er hat auch durchaus einen eigenen Willen und vor allem hört er auf meinen Willen.«

Er warf Kris einen skeptischen Blick zu, wollte aber lieber gar nicht nachfragen. Zudem vergaß er die Aussage sowieso sofort, als Kris sein linkes Bein vom Sattel zog und schließlich nur noch im rechten Steigbügel stand und Tao deutete, dass er nach vorn rutschen sollte.

Und als er in Kris‘ dunkle Augen sah, die ihn auffordernd beobachteten, bemerkte er, dass er etwas nervös und vielleicht sogar leicht panisch wurde. Er drückte seine Lippen kurz aufeinander und rutschte dann auf dem Ledersattel nach vorn und sah dabei zu wie der Drache seinen gewaltigen Kopf etwas schüttelte. Offenbar hatte er keine große Lust hier tatenlos herum zu stehen. Tao war nur froh, dass er sich nicht von allein in Bewegung setzte.

Tao spürte wie Kris sich schließlich hinter ihn setzte und sah zu Kris‘ Armen, die in seinem Blickfeld auftauchten. Kris legte seinen Brustkorb minimal gegen Taos Rücken und der Schwarzhaarige sah etwas verloren dabei zu, wie Kris zu den Zügeln griff. »Du musst sie so in die Hände nehmen«, erklärte er Tao und zeigte ihm, wie genau er die ledernen Zügel festhielt. Aufgeregt griff er schließlich selbst nach ihnen, als Kris sie ihm in die Hand drückte, und glaubte, dass er sie sogar gleich mit dem ersten Versuch richtig hielt. Und da kein Einwand von dem Prinzen kam, war wohl alles so, wie es sein musste.

»Die Zügel sind vorn am Hals befestigt, da dort die Schuppen am dünnsten sind. Wenn du deine rechte Hand nach hinten ziehst, dann geht er nach rechts. Und natürlich anders herum.«

»Und wie steigt er auf?«, wollte Tao vorsichtig und neugierig wissen. Sein Herz klopfte vor Aufregung und er war froh, dass er nicht stand, denn er glaubte, dass seine Knie nachgeben würden.

»Zieh die Zügel hoch. Aber fest. Jede deiner Bewegungen muss kräftig sein, sonst nimmt er es nicht wirklich wahr.«

Tao nickte leicht und glaubte, dass das hier noch etwas ganz anderes war, als nur hinten drauf zu sitzen. Er atmete ruhig aus und schließlich legte Kris seine Hände auf Taos. »Schluck deine Angst runter; dir wird nichts passieren.«

Und dann zog Tao seine Hände tatsächlich nach oben; ob er das nur tat, weil Kris ihm nachhalf, oder weil er wirklich neugierig und gleichzeitig aufgeregt war, wusste er nicht. Aber das war auch egal, weil der Drache sich im nächsten Moment bewegte, Tao uncharmant nach vorn rutschte und beinahe hätte sein Schritt Bekanntschaft mit dem Sattelknauf gemacht – zu seinem Glück flog aber eher nur sein Oberkörper etwas nach vorn. Er spürte den linke Arm des Prinzens im selben Moment über seiner Brust und wie er ihn zurück, in eine aufrechte Position zog. »Gerade sitzen bleiben, nicht nach unten gucken. Du musst hinsehen wo der Drache hinfliegt«, sagte Kris, der seine Stimme etwas erhoben hatte, da der Flügelschlag des Drachens alles andere als lautlos war.

Tao fühlte sich als hätte er keinen richtigen Halt. Er drückte seine Oberschenkel gegen den Sattel und war froh, dass Kris, der hinter ihm saß ihn noch halbwegs in die richtige Position drückte. Es kam ihm plötzlich alles viel wackliger vor und vor allem war es unglaublich schwer die Zügel richtig in der Hand zu behalten. Wenigstens stand der Drache nun nur in der Luft und flog noch nicht los, denn das wäre alles auf einmal doch zu viel für ihn gewesen. Tao schielte kurz zur Seite, sah dabei zu wie sich das Gras in dem erzeugten Wind beugte und war wirklich sehr froh darum, dass er nur wenige Meter über dem Boden war.

»Bekommst du das hin?«, fragte Kris dann und Tao schielte zu ihm.

»Wenn er nicht ganz so schnell fliegt, sicher. Wie kann ich überhaupt die Geschwindigkeit beeinflussen?«

»Du gar nicht.«

Tao blinzelte etwas verständnislos und im nächsten Moment fing der Drache sich an zu bewegen und Tao war froh, dass er seinen erschrockenen Laut hatte herunterschlucken können. Seine Finger verkrampften sich um das Lederband in seinen Händen und mit bebendem Herzen blickte er nach vorn, kniff seine Augen zusammen und konnte dem Drachen nur dankbar sein, dass er nur gemütlich über die leere Weide flog. Die kühle Luft prallte ihm ins Gesicht und es war schwer die Augen offen zu halten. Tränenflüssigkeit bildete sich in seinen Augen und er blinzelte sie weg, fragte sich, wie Kris auf so einem Tier stundenlang, bei höherer Geschwindigkeit, überhaupt etwas sehen konnte. Aber vielleicht war so etwas ja auch nur Gewohnheitssache, oder genetisch bedingt. Tao hatte keine Ahnung und im Moment waren seine einzigen Sorgen auch, dass er nicht plötzlich vom Drachen stürzte. Und wohin er den Drachen lenken sollte. Bei einem Pferd war es sicherlich einfacher, wenn man einfach nur einem Pfad folgen musste, aber auf einem fliegenden Wesen hatte man ja eigentlich die ganze Welt offen.

»Wohin?«, rief er über seine Schulter, weil er befürchtete, das Kris ihn sonst nicht sehen würde.

»Wohin du willst«, war Kris‘ Antwort, die er auch nur verstehen konnte, weil er laut sprach und ganz in der Nähe seines Ohres war. Weiter half ihm diese Antwort jetzt aber auch nicht und im nächsten Moment stieg der Drache höher und Tao wusste nicht, ob das seine Schuld war, oder ob dem Drachen einfach danach gewesen war. Er hatte im Moment sowieso keinen Überblick, ob das was er tat funktionierte, oder nicht. Als der Drache dann jedoch nach rechts einschlug, nachdem Tao kräftig am rechten Zügel gezogen hatte, machte sich ein kleines Erfolgsgefühl in ihm breit. Und würde er seine Augen nicht zusammenkneifen müssen, wäre das ganze hier auch sicher um einiges besser. Es war durchaus ein gewaltiges Gefühl die Macht zu verspüren, dass der Drache das tat, was er wollte und dass er sozusagen überall hinkonnte, wohin er nur wollte, aber es hatte eben auch seine Schattenseiten. Es war kalt, seine Haare tanzten unruhig in dem starken Wind und Tao musste sich einmal sogar eine stechende Haarsträhne aus dem Auge blinzeln, weil er sich nicht traute seine Hände zu heben, oder den Zügel los zu lassen. Am Schluss würde der Drache noch höher oder schneller fliegen und das wollte er nicht riskieren.

Tao war so überfordert, dass er Kris‘ Arme um seinen Körper nur am Rande registrierte. Nicht, dass es ihn gestört hätte, aber davon abgesehen hatte er im Moment gerade absolut andere Gedanken. Es machte Spaß und gleichzeitig hätte er auch nichts dagegen, wenn es wieder aufhören würde, denn die Angst wollte nicht so recht verschwinden. Genau wie die Unsicherheit über diese ganze Sache hier. Er wusste nicht wohin er den Drachen lenken sollte und es war ätzend die Augen ständig zukneifen zu müssen, nur um etwas Klares zu sehen.

»Können wir landen?«, wollte er dann nach ein paar Minuten wissen und Tao glaubte, dass seine Hände und sein Gesicht dabei waren abzufrieren.

»Was?«, wollte Kris wissen, der ihn wohl nicht verstanden hatte.

Tao wiederholte seine Worte etwas lauter und im nächsten Moment ließ Kris von seinem Bauch ab, griff zu den Zügeln und zog stark an ihnen. Ace verlor an Geschwindigkeit und blieb schließlich in der Luft, mit schlagenden Flügeln, stehen.

Tao atmete durch, entspannte seine verkrampften Muskeln etwas und fuhr sich mit dem rechten Ärmel über das Gesicht, wischte die Tränenflüssigkeit aus seinen Augenwinkeln.

»Du zitterst«, bemerkte Kris und Tao konnte sein Grinsen hören. »Ist dir kalt oder hat dich das so mitgenommen?«

»Beides«, gestand Tao und schielte schließlich über seine Schulter mit einem milden Grinsen zu Kris.

»Deswegen tragen wir normal auch andere Kleidung. Damit es wärmer ist.«

»Und wie kannst du die Augen da einfach offen lassen?«, wollte Tao wissen.

Kris schien für einen Moment zu überlegen und zuckte dann mit den Schultern. »Liegt wohl in der Familie.«

Er wusste nicht, ob das überhaupt möglich war, aber so genau wollte Tao auch gar nicht darüber nachdenken. War ja letztendlich auch egal. Das Problem war nur, dass er nicht wusste, ob er erneut derjenige sein wollte, der den Drachen lenkte, oder nicht. Es war durchaus ein gewaltiges, übermütiges Gefühl gewesen, aber gleichzeitig saß ihm die Angst noch immer direkt im Nacken und verunsicherte ihn. Tao würde wohl nie ganz warm mit diesen Wesen werden, aber das konnte man ihm wohl auch nicht übel nehmen. Da war er lieber bei seinen flauschigen Alpakas.

Kris hielt die Zügel des Drachens noch immer in der Hand und im nächsten Moment, ohne dass Kris irgendetwas tat, landete der Drache auf dem Boden und war sogar einigermaßen sanft dabei. Tao wollte gar nicht wissen, wieso der Drache das nun getan hatte, ihm ging es nur darum, dass das Ace wieder auf dem Boden stand.

Tao gab ein erleichtertes Seufzen von sich und kurz darauf konnte er ein leises jedoch amüsiertes Glucksen von Kris vernehmen.

»Ich bin nicht sicher, ob das ein Erfolgserlebnis oder einfach nur unheimlich war.« Tao hatte seinen Kopf zur Seite gedreht und grinste Kris über seine Schulter wackelig an. Kris erwiderte das Grinsen nur kurz und schief, sah sich dann einen Moment lang um.

»Ich glaub wir sollten langsam zurück«, sagte der Prinz mit einer ruhigen Stimme.

»Ich hoffe, dass du nicht verlangst, dass ich ihn zurück fliegen soll.« Davon abgesehen würde er den Weg zurück wohl eh nicht finden. Am Anfang hatte er nämlich nicht aufgepasst, wohin es gegangen war.

Kris schüttelte den Kopf leicht. »Nein.«
 

Eine gute halbe Stunde war vergangen, nachdem die beiden das Gebäude wieder betreten hatten. Und Tao war froh, dass er wieder auf seinen eigenen Füßen laufen konnte, aber dennoch konnte er nicht behaupten, dass er den Ausflug nicht genossen hatte.

»Ich hoffe, dass du dich nicht zu sehr langweilst«, fing Kris nebensächlich an. Immerhin waren Kris und seine Familie hier nicht zum Vergnügen. In seiner Haut wollte Tao auch nicht stecken. Er stellte es sich ziemlich träge und ermüdend vor einfach nur irgendwelchen Leuten zuzuhören und vielleicht zu verhandeln. Das war nicht Taos Welt, aber er wusste auch gar nicht so genau, was die Königsfamilien denn alles zu besprechen hatten.

»Bestimmt nicht«, antwortete er ehrlich und mit einem leichten Lächeln. Das angespannte Gespräch vor dem Flug hatte er bereits wieder vergessen.

»Na dann«, sagte Kris nur ruhig. »Und halte dich von Chanyeol und Kai fern.« In seiner Stimme schwang Ernst mit und Tao nickte nur und sah Kris schließlich hinterher, wusste nicht so recht, was er jetzt mit sich anfangen sollte.

Er entschied sich dazu sich ein wenig im Gebäude umzusehen. Natürlich war er nicht dreist genug um hinter geschlossene Türen zu schauen oder Räume zu betreten, die ihn nichts angingen, aber es gab auch sicher in den Fluren genug zu sehen. Vielleicht würde er ja wieder den Raum finden, in den Suho ihn gebracht hatte.

Tao fand ihn nicht; vielleicht hätte er sich den Weg merken sollen. Stattdessen fand er aber einige andere Terrassen, ein paar offene Räume in denen verschiedene, unbekannte Pflanzen wuchsen und er sah auch oft genug hübsche Springbrunnen. Alles hier wirkte so fürchterlich ruhig und harmonisch. Es wirkte wirklich wie ein Gebäude, das aus einem wunderschönen Traum entsprungen war. Jetzt fehlten nur noch die Elfen.

Tao betrat eine der offenen Terrassen, die der, auf der er vor einigen Stunden gewesen war, recht ähnlich war. Und Tao wollte gar nicht wissen, wie viele andere Terrassen es hier noch gab. Aber so groß wie das Gebäude war, sicherlich noch genug. Den Gedanken, dass Tao nicht mehr zurück finden würde, hatte er erfolgreich verdrängt.

Staunen war im Moment viel wichtiger, als die Sorge. Und irgendjemand würde ihn schon zurück bringen können, würde er es wirklich nicht auf eigene Faust finden.

Tao bemerkte, dass der größte, überdachte Teil einen grünen Rasenboden hatte. Irgendwo hörte er leise Wasser plätschern und in der Ecke, gleich neben einer der vielen großen, weißen und strahlenden Säulen entdeckte er einen Brunnen, der halb in die Wand eingearbeitet war und dessen Wasser sich in einem kleinen, extra angefertigten Graben zwischen den Steinplatten und dem Gras einen Weg bahnte. Ein Blick in das Freie reichte um ein paar weiße Skulpturen, die ihn stark an Pferde erinnerten, zu erkennen.

Er verließ den schattigen, überdachten Teil und trat in den Rasen und bemerkte ein weißes Gerüst, an dem eine gepolsterte Bank befestigt war und mit einem leisen Quietschen leicht hin und her schaukelte. Er hatte so etwas noch nie gesehen, aber es sah fürchterlich bequem aus. Nicht, dass er sich große Gedanken darüber machte, dass er es gern mal ausprobieren würde, denn er registrierte den jungen Mann auf der schwingenden Gartensitzbankschaukel (er wusste nicht, ob die Gerätschaft einen Namen hatte).

»Oh, Tao!« Die Person erkannte ihn wohl auch.

Und er fühlte sich ertappt. Tao wollte umdrehen. Weil gerade zu viele Gedanken auf einmal hochkamen. Kris hatte gesagt, er sollte sich von ihm fernhalten und Tao wollte Kris‘ Befehlen eigentlich nachkommen. Und dann war da natürlich noch die Sache von heute früh…

»Hallo«, sagte er deswegen höflich und verneigte sich etwas. Immerhin war Kai ein Prinz. Das durfte er nicht vergessen. Er war ja so vermutlich schon unhöflich genug. Nachdem er sich aufgerichtet hatte bemerkte er Kais leichtes, schiefes Grinsen und wie er mit der Hand neben sich auf das Polster klopfte. »Setz dich doch. Mir ist langweilig, du könntest meine Langeweile vertreiben.«

»Uh, ich«, fing er an und stockte dann. Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Ich bin eigentlich auf der Suche nach Kris.« Ja, das war sicher glaubhaft!

Dummerweise schien Kai das nicht wirklich zu beeindrucken. »Zu ihm kannst du im Moment eh nicht. Strenggeheime Besprechungen, blablabla. Los, setz dich her.« Tao war sich nicht sicher, ob sich die letzten Worte wie ein Befehl oder wie eine Einladung angehört hatten.

Er öffnete den Mund und suchte irgendwelche Gründe um sich charmant zu entschuldigen und zu gehen – dummerweise fiel ihm nichts ein.

Und Kai schien zu bemerken, dass Tao zögerte und eigentlich nicht wollte. Er runzelte die Stirn. »Möchtest du mir etwa nicht Gesellschaft leisten?«, fragte er und dann grinste er ihn plötzlich hinterhältig an. »Hat Kris gesagt, du sollst dich von mir fernhalten? Ja, doch, das passt zu ihm.«

»Ja, hat er«, kam dann ehrlich von Tao. »Und aus diesem Grund sollte ich wohl besser gehen. Ich würde nur ungern gegen seine Worte agieren.«

Kai gab ein kurzes, höchst amüsiertes Glucksen von sich und sah ihn dann ernst an. Die große, gepolsterte Schaukel war inzwischen fast gänzlich zum Stehen gekommen. »Tao, Tao, Tao… du hast hoffentlich nicht vergessen, dass ich auch ein Prinz bin? Hier ist sein Wort genau so viel Wert wie das meine. Und ich möchte dich nicht noch einmal auffordern dich zu mir zu setzen und meine Langeweile zu vertreiben.«

Er schluckte, sah kurz zur Seite, fast als würde er jemand suchen, der ihn aus dieser Situation ziehen konnte und trat schließlich ein paar Schritte näher auf Kai und die seltsame Schaukel mit den dunkelblauen Samtpolstern zu. Kais dunkle Augen beobachteten ihn haargenau und es kostete ihn durchaus Überwindung sich neben den anderen Prinzen zu setzen. War fast so, als würde er Kris enttäuschten Blick in seinem Nacken spüren. Aber vermutlich war er zu feige um einfach zu gehen. Letztendlich wollte er ja auch gar nicht respektlos erscheinen. Aber Kris hatte sicher seine Gründe, wieso er das gesagt hatte. Und ihm wäre die Gegenwart von Suho um einiges lieber gewesen, als die von Kai.

»Wow, man sieht dir dein schlechtes Gewissen ja förmlich an. Du musst ihm ja echt aus der Hand fressen«, bemerkte Kai amüsiert und legte seine Arme über die Lehne des Sitzes, der wieder angefangen hatte zu schaukeln, nachdem Kai die Gartenschaukel durch seine Füße in Bewegung gebracht hatte.

»Ich möchte mich seinen Worten nicht widersetzen«, wiederholte er und beobachtete Kai aus seinen Augenwinkeln.

»Oh. Schade, dass du das gerade getan hast. Aber hey, ich werde dich schon nicht auffressen. Ich bin nur halb so gefährlich wie sein tollwütiger Drache.« Fast wäre Tao herausgerutscht, dass Ace nicht tollwütig war, aber eigentlich war er sich da gar nicht so sicher. Ace war gefährlich, das war ein Fakt, den er nicht abstreiten wollte. Er hatte ja selbst gewaltige Angst vor dem Wesen.

»Hmh«, machte Tao nur und zwang sich zu einem Lächeln, weil er nicht wusste, was er ihm sagen sollte.

Kai beobachtete ihn einige Momente still und Tao empfand die Stille durchaus als unangenehm.

»Und?«, fing Kai dann plötzlich völlig unbeschwert an. »Hat’s dir gefallen?«

Tao runzelte die Stirn, drehte den Kopf in Kais Richtung. Er hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Es gab vieles, das er ansprechen könnte und irgendwie doch nichts so wirklich, weil Kai ja hoffentlich nicht wusste, was er so getan hatte. »Was?«, fragte er dann einfach verwirrt nach und Kais amüsiertes Grinsen zeigte ihm, dass Kai mehr wusste, als Tao lieb war.

»Mein Bruder hat dich gesehen.«

»… Wobei?« Seine Stimme war fürchterlich unsicher.

Kai gluckste, legte den Kopf etwas schief und gegen das Polster in seinem Rücken, blickte weiterhin mit einem stechenden Blick zu ihm. »Dabei, wie du uns gesehen hast. Am See, wenn ich deine Gedanken auffrischen muss.«

Tao glaubte, dass ihm seine komplette Mimik aus dem Gesicht gefallen war.

Kai gab ein amüsiertes Schnauben von sich. »Da war wohl jemand nicht so vorsichtig, wie er dachte, hm?«

Heilige Scheiße. Tao hatte Lust im Erdboden zu versinken. Und er glaubte, dass ihm die Situation sogar so peinlich war, dass ihm Blut in die Wangen geschossen war. Es war schon peinlich genug es gesehen zu haben, aber dabei auch noch erwischt zu werden, war um einiges peinlicher.

»Das war keine Absicht gewesen«, sagte er dann langsam, jedoch absolut ehrlich um sich zu rechtfertigen. Hätte er gewusst, was da passiert wäre, hätte er den See gemieden. Ganz bestimmt.

»Das glaub ich dir sogar. Meine Frage hast du aber noch immer nicht beantwortet.«

»Welche Frage?«, sagte er dann verwirrt, weil er wirklich nicht mehr wusste, was er gefragt hatte. Er fühlte sich noch immer fürchterlich unwohl in seiner Haut.

»Ob es dir gefallen hat.«

Tao warf ihm einen Blick zu, der in Frage stellte, ob er das ernst meinte. Denn Tao glaubte, dass das eine verdammte Fangfrage war. Wie vermutlich alles aus Kais Mund. Er konnte doch nicht wirklich verlangen, dass er darauf antwortete.

Er öffnete den Mund und sah Kai noch immer entgeistert an und im nächsten Moment war Kai einfach verschwunden.

Verwirrt blinzelte er und bevor er sich fragen konnte, ob er sich das hier alles nur eingebildet hatte, oder ob ihm seine Augen einen seltsamen Streich spielten, spürte er jemand neben sich. Auf der anderen Seite.

»Du kannst ruhig ehrlich sein«, flüsterte Kai, der aus unerklärlichen Gründen plötzlich auf der anderen Seite, neben ihm saß, in sein Ohr und Tao weitete seine Augen.

Er wusste nicht, ob das Flüstern, die Frage oder das plötzliche Verschwinden und Auftauchen von Kai gruseliger war. Taos Puls hatte, vermutlich vor Überraschung und Schock, zugenommen und er starrte noch immer auf die Stelle, an der Kai eben noch gesessen hatte, und traute sich gar nicht, seinen Kopf auf die andere Seite zu drehen.

Heilige Scheiße. Tao hatte zwar registriert, was da passiert war, aber irgendwie war es fürchterlich unglaubwürdig.

»Mein Bruder hätte sicher nichts dagegen, wenn du uns Gesellschaft leisten würdest«, sagte Kai mit einem gedämpften, provozierenden Ton und Tao spürte seine Hand auf seinem Oberschenkel.

Es war reiner gesunder Menschenverstand, dass er urplötzlich aufgestanden war und ein paar Schritte Abstand zu der Bank und Kai genommen hatte. Er drehte sich um und starrte ihn aus entsetzten Augen an. Wirklich sicher, ob das Ernst, oder nur ein dummer Scherz war, war er sich nicht. Aber vielleicht verstand er jetzt, wieso Kris gesagt hatte, er sollte sich von Kai fernhalten. Hätte er mal auf dem Absatz kehrt gemacht, als er ihn gesehen hatte…

»Lasst das«, sagte er dann und klang empörter, als er hatte klingen wollen. Immerhin sprach er mit einem Prinzen und Tao hatte noch immer im Hinterkopf, dass er nicht so unhöflich sein sollte.

Kai grinste nur milde und im nächsten Moment stand er vor ihm und Tao schreckte zurück. Sah so aus als wäre er nicht der einzige Mensch, der praktische Fähigkeiten hatte. »Du hast mir noch immer noch nicht geantwortet«, sagte Kai, der nur ein wenig kleiner als er war, nachdem er sich etwas in seine Richtung gelehnt hatte, und es kostete Tao Überwindung nicht einfach wegzurennen.

»Ich glaube nicht, dass ich das möchte«, war seine ruhige Antwort und er hoffte, dass er damit der Fangfrage entwischen konnte.

»Du glaubst es also nur. Aber sicher bist du dir nicht, hm?« Umsonst gehofft.

»Doch, bin ich«, sagte er dann mit einer etwas festeren Stimme und hoffte, dass er das nicht bereuen würde.

Es war so schwer mit Prinzen zu reden. Denn sie konnten einem die Worte im Mund immer umdrehen. Sie konnten immer reagieren, als hätte man sie beleidigt, auch wenn das nicht der Fall gewesen war. Und Kai wirkte wie jemand, der das gern tat und noch lieber ausnutzte.

»Wirklich?«, hakte Kai nach.

»Wirklich«, bestätigte Tao und fühlte sich mit jedem seiner Worte stärker und überzeugender.

»Hmm«, machte Kai langgezogen und gespielt überlegend. »Das ist schade. Du weißt gar nicht, was du verpasst. Dabei hättest du sicher Spaß gehabt.« Sein Grinsen erschien wieder und er hob seine Hand, fuhr mit dem Zeigefinger über Taos Brust. »Und ich erst.«

Tao ging einen Schritt zurück und vermutlich war es nicht zu übersehen, dass ihm das ganze hier absolut nicht angenehm war. Zu seinem Pech war er nur nicht in der Position um einem Prinzen zu sagen, dass er irgendetwas zu unterlassen hatte.

»Bestimmt hat Kris dich deswegen mitgenommen«, fuhr Kai dann fort, der ein paar Schritte nach hinten gegangen war und wieder auf der großen Schaukel saß. »Du widersprichst nicht gern. Zu viel Angst, oder zu viel Respekt? Beides?«

Tao war wirklich froh, dass Kai freiwillig Abstand genommen hatte, aber die Fragen wurden nicht angenehmer. Und langsam glaubte er, dass hier jeder ein falsches Bild von Kris hatte. Oder Tao hatte das falsche Bild. Aber vermutlich hatte er schon mehr Zeit mit Kris verbracht, als Kai oder Chanyeol. Möglicherweise hatten die Leute hier nur ein falsches Bild von ihm. Denn eigentlich war er nicht schüchtern, zurückhaltend oder ängstlich. Er war lediglich vorsichtig. Weil er wusste, dass er hier mit hohen Tieren sprach und weil jedes falsche Wort sein Untergang sein konnte. Er konnte respektvoll sein und das war er im Moment. Zum eigenen Schutz. Denn dumm war er absolut nicht und Tao hing an seiner Haut.

»Es wäre töricht einem Prinzen zu widersprechen«, war schließlich Taos Antwort.

Kai gluckste amüsiert. »Kluger Junge. Aber es ist genauso töricht so ein Angebot abzuschlagen. Aber ich möchte dich ja zu nichts zwingen. Ich hoffe doch nicht, dass du das von mir denkst. Kris hat dir sicher nur schlechte Dinge über mich erzählt. Dabei kennt er mich nicht einmal ansatzweise.«

Tao wusste nicht, ob er seinen Worten Glauben schenken sollte. Dummerweise tat er das vielleicht ein bisschen. Weil er eigentlich jemand war, der sich selbst Bilder von Menschen machte, bevor er über sie urteilte. Und zugegeben, Kai war durchaus gruselig, aber er kam ihm auch nicht wie ein Unmensch vor. Eher nur wie ein viel zu verwöhnter Prinz. Mit zu viel Gelüsten.

»Kris hat nicht viel über Euch erzählt«, sagte er dann einfach nur.

Kais Grinsen verschwand sofort. »Das ist viel verletzender als eine Lügengeschichte.«

Tao musste sich ein mildes Grinsen verkneifen.

»Das Zucken deiner Mundwinkel hab ich registriert«, sagte Kai dann und Tao senkte den Blick etwas, sah danach zur Seite und räusperte sich sehr leise.

»Entschuldigt«, kam dann ehrlich von Tao. Denn angebracht war das wohl nicht gewesen – aber Tao war durchaus etwas schadenfreudig. Und zu sehen, wie es Kai das Grinsen aus dem Gesicht gewischt hatte, war durchaus amüsant gewesen.

Kai winkte ab. »Du weißt ja, wie du es wieder gut machen könntest.«

Tao hob seinen Blick, sah zu Kai, der ihm ein halbherziges Zwinkern schenkte, und Tao schüttelte nur langsam den Kopf. »Ich gehe besser«, brachte er dann heraus.

Kai schnaubte amüsiert. »Ich halte dich nicht auf. Auch wenn ich es durchaus schade finde, dass du mir keine Gesellschaft leisten möchtest.« Vielleicht hatte Kai eine versteckte theatralische Seite. Tao hoffte nur, dass er sie nicht ganz heraushängen lassen würde.

Tao verneigte sich etwas und nahm dann höflichen Reißaus, stand wenig später wieder in einem der kühlen Flure und seufzte lautlos. Jetzt musste er nur noch Chanyeol begegnen – aber eigentlich wollte er den Teufel nicht an die Wand malen.

Er lief weiter und bemerkte, dass Kai gruselig war. Nicht unbedingt unhöflich, aber eben sehr eigen. Und offensichtlich stand er auf besonders viel Körperkontakt. Und Tao hatte nichts gegen normalen Körperkontakt. Eine Hand auf der Schulter war völlig in Ordnung, eine Umarmung zwischen Leuten, die man mochte, war auch völlig in Ordnung. Aber Kais Berührung waren wohl nicht weit von intimen entfernt gewesen. Offensichtlich hatte der Prinz einen sehr großen Drang nach körperlicher Nähe. War ja auch nichts Verbotenes (zumindest nicht in ihrem Land) oder Schlimmes (seiner Meinung nach), aber er wollte nicht derjenige sein, auf den Kai seine Augen warf. Davon abgesehen hatte er ja offensichtlich irgendetwas mit seinem Bruder, aber so genau wollte er darüber gar nicht nachdenken. Das ging ihn ja auch gar nichts an.

Fakt war, dass Kai nicht unbedingt eine der Personen war, mit denen er sich freiwillig und lange abgeben würde. Wahrscheinlich noch lieber als allein mit Ace, aber auch das müsste nicht unbedingt sein.

Tao versuchte nicht weiter an Kai zu denken und überlegte sich, womit er die Zeit verbringen sollte. War seltsam, wenn es keine Arbeit gab. Das war er gar nicht gewohnt. Zu Hause gab es immer irgendetwas zu tun. Egal ob im Haushalt, auf dem Feld oder bei den Alpakas. Aber hier gab es für ihn nichts zu tun außer sich umzusehen und zu staunen. Und er fand durchaus Gefallen daran, aber er spürte, dass ihn das auf die Dauer wohl nicht unterhalten würde. Klar, es war alles beeindruckend, aber gleichzeitig fehlte ihm wohl auch eine wirkliche Beschäftigung.

Ziellos lief er weiter, schenkte den Leuten, die ihm entgegen kamen, ein freundliches Lächeln, blieb aber stumm und glaubte, dass es langsam an der Zeit war den Weg zurück zum Zimmer zu finden. Außerdem verspürte er auch einen leichten Hunger.

»Entschuldigt«, konnte er dann eine sanfte Stimme hören und Tao blieb stehen, drehte sich unsicher um. Er wusste nicht, ob die Stimme ihn angesprochen hatte, oder nicht. Als er dann jedoch die zierliche Gestalt einer schlanken Frau erblickte, die ihn ansah, war er sich sicher, dass sie durchaus ihn gemeint hatte.

Sie hatte schwarzes, ungefähr brustlanges glattes Haar, dunkle Augen und ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Sie trug viel goldenen Schmuck, ebenfalls ein schlankes Diadem und ein langes, weißes Kleid mit feinen, goldenen Stickereien. Sie sah sehr gepflegt und vor allem beeindruckend schön aus. Sie hatte etwas Majestätisches an sich.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Tao dann höflich, vielleicht etwas unsicher. Er glaubte nicht, dass er hier irgendjemand helfen konnte und der Gedanke, dass diese junge Frau vor ihm vielleicht eine Prinzessin sein konnte, wurde immer größer. Vielleicht sollte er sich vor ihr verneigen.

»Ich wollte eigentlich fragen, ob ich Euch helfen kann«, erwiderte sie höflich und mit einem sanften Lächeln. »Ihr seid etwas ziellos umher gelaufen.«

Tao fühlte sich irgendwie ein wenig ertappt. Vielleicht war es auch etwas peinlich einer Frau zu sagen, dass er glaubte, dass er sich vielleicht verlaufen hatte. Gut, irgendwann würde er den Weg zurück sicherlich finden, aber das würde sicher etwas dauern. Aber trotzdem war da sein männlicher Stolz, der ihm zurief, dass er ihn nicht blamieren sollte.

»Ehrlich gesagt bin ich mir im Moment nicht sicher, wo genau ich bin«, gestand er dann trotz seines kratzenden Stolzes.

Sie kicherte kurz. »Ich verlaufe mich hier auch ständig. Bei fremden, großen Gebäuden ist es nie so einfach sich zurechtzufinden.« Es war fürchterlich erleichternd zu hören, dass er nicht der einzige war, der sich hier verlief. Er war sich kurzzeitig schon wie ein Trottel vorgekommen. Jetzt tat er das nicht mehr.

Tao lächelte leicht. »Beruhigend zu wissen, dass es nicht nur mir so geht.« Und schließlich verneigte er sich. »Mein Name ist Tao.« Zu freundlichen Personen war er auch freundlich. Vor allem zu solchen hübschen Mädchen.

»Sehr erfreut, Tao. Ich bin Jisun aus dem Südlande.« Tao war sich nicht sicher, ob sie nur gemeint hatte, dass sie aus den Südlanden konnte, oder ob das ihr Titel war. Denn soweit er das wusste, war das der Titel des Königshauses der Südlande. Sicher war er sich aber nicht.

Aber so wie es aussah, zog er Prinzen oder Prinzessinnen förmlich an. Bei letzteren hatte er absolut kein Problem damit. Auch wenn er nicht so recht wusste, wie er sich verhalten sollte. Er kam sich immer so vor, als würde er nicht die richtigen Manieren besitzen um mit so einer hochrangigen Person zu sprechen.

»Entschuldigt meine Frage, aber seid Ihr die…«, er zögerte. Er wusste gar nicht, ob die Südlande überhaupt eine Prinzessin hatte.

Aber sie schien zu wissen, was er hatte fragen wollen und antwortete mit einer leicht erheiterten Stimme. »Prinzessin? Ja, die bin ich. Aber tut mir einen Gefallen und benehmt Euch nicht wie alle anderen Leute hier, Tao. Ich bin auch nur ein Mensch.«

Er war sich nicht sicher, wie genau sie das meinte. Er fasste es zumindest so auf, dass sie nicht wollte, dass er sich wie ein unterwürfiger Diener verhielt. Aber das war leichter gesagt, als getan. Er kam sich respektlos vor, würde er sie einfach wie eine Magd behandeln. Aber vermutlich würde er einer Magd noch immer mit genug Respekt gegenüber treten.

Tao stand mal wieder vor dem großen Problem ‚Wie verhalte ich mich in der Gegenwart von Mitgliedern der Königsfamilie?‘. Hätte er genug Zeit und genug Bildung, sollte er darüber irgendwann ein Buch schreiben, denn er glaubte, dass er nach diesem Besuch hier auf jeden Fall wusste, wie man sich nicht verhalten sollte. Denn das würde er vermutlich tun. Er hatte ja irgendwie die Angewohnheit in Fettnäpfchen zu treten.

»Aber ein sehr attraktiver«, sagte er dann und hätte sich am liebsten im nächsten Moment auf den Mund geschlagen. Flirtete er da gerade mit einer Prinzessin? Das tat er doch nicht wirklich, oder? Aber es war ja auch keine Lüge.

Sie sah ihn überrascht an und Tao sah mindestens so überrascht zurück und dann fing sie an zu lachen. Sie hatte ein süßes Lachen. »Dankeschön. Ihr wisst wohl, wie man Frauen Komplimente macht, hm?« Eigentlich wusste er nur, wie man Alpakas schor. Denn oft hatte er Frauen noch keine Komplimente gemacht. Aber dafür hatte er auch noch nicht genügend Gelegenheiten gehabt.

»Uhm«, machte er dann etwas unbeholfen und hätte sich am liebsten dafür geschlagen. Professionell war das ja nicht. Aber Tao war generell nicht professionell. Er kratze sich am Hinterkopf und suchte passende Worte, aber irgendwie wollte nichts angebracht klingen.

»Schon gut«, brachte sie schließlich die peinliche Stille mit ihrer angenehmen Stimme. »Ilha, richtig?«

Tao traute sich wieder ihr ins Gesicht zu sehen und nickte. »Ja.«

»Möchtet Ihr mich ein wenig begleiten?«, war ihre nächste Frage, die Tao durchaus überraschte.

»Natürlich. Sehr gern«, antwortete er und fragte sich, ob er etwas an sich hatte, das ihn positiv auf Prinzen oder Prinzessinnen wirken ließ. Zum Glück dachte er nicht länger darüber nach, am Schluss würde er nur Angst vor sich selbst bekommen, denn beklemmend war das durchaus irgendwie.

Sie setzte sich in Bewegung und Tao folgte ihr, traute sich nach ein paar Augenblicken sogar neben ihr zu laufen. »Es ist durchaus angenehm einen höflichen Mann zu treffen, der sein Verhalten nicht vorspielt.«

Der Kommentar ehrte ihn durchaus, aber kurz fragte er sich, wie sie sich da so schnell sicher sein konnte.

»Ich würde es nicht wagen mich unhöflich zu verhalten«, sagte er wahrheitsgemäß.

Sie drehte den Kopf in seine Richtung, schenkte ihm ein Lächeln. »Ehrlich gesagt wirkst du vielleicht etwas unbeholfen. Das ist anziehend.«

Sein Verhalten war also anzie- hatte sie ihm gerade ein Kompliment gemacht? Flirtete sie gerade mit ihm?

Oh Gott. Was passierte hier?

»Uhm«, machte er erneut und unsicher, um nicht ganz so dämlich zu wirken. Aber dadurch wirkte er vermutlich viel dämlicher als geplant.

Jisun lachte. »Tut mir leid, ich wollte Euch nicht in Verlegenheit bringen oder zu nahe treten, Tao.«

»Seid Ihr nicht«, sagte er und fragte sich ob ein ‚Eure Hoheit‘ dazu angebracht gewesen wäre.

»Und, was für einen Eindruck habt Ihr von dieser Insel?«, wechselte sie dann das Thema. »Das ganze Grün ist sicher ungewohnt, oder?«

»Ja. Aber nicht negativ. Absolut nicht negativ. Wart Ihr schon einmal in der Wüste?« Er wusste nicht, ob die Frage dreist war, aber es interessierte ihn. Sie wirkte zumindest wie jemand, mit dem man in völliger Ruhe über völlig normale Dinge reden konnte. Das war sehr angenehm.

»Einmal. Das ist aber schon ein paar Sommer her. Bei dem letzten großen Fest eures Königs. Meine Familie war natürlich anwesend. Aber ich erinnere mich nicht an viel Wüste, nur an Steinhäuser und Drachen.«

»Ah«, machte er und nickte.

»Als was arbeitet Ihr, wenn ich fragen darf?«

Er hätte gehofft, dass diese Frage nicht gefallen wäre.

Er blickte zur Seite. Lügen wollte er ja auch nicht. »Ich arbeite auf einer Alpakafarm.«

»Einer Alpakafarm? Was sind Alpakas?«, wollte sie dann wissen.

Und Tao glaubte, dass er ungefähr so geklungen hatte, als er gefragt hatte, was Schnee sei. Und es war so überraschend, dass Jisun nicht wusste, was Alpakas waren, dass er gar nicht darauf vorbereitet war, was er denn nun sagen sollte. »Uh… kleine, wollige Kamele?«, sagte er dann und wusste nicht, ob ihr das was sagen würde.

»Aaah! Klingt niedlich«, kommentierte sie mit einem Lächeln.

»Ja, doch, das können sie durchaus sein. Wenn sie nicht spucken.« Tao bemerkte, wie locker er in diesem Gespräch wurde.

»Sie spucken?«, wollte sie mit großen Augen wissen.

»Wenn sie sich bedroht fühlen, ja.«

Eigentlich rechnete er mit einem ‚Igitt‘, aber stattdessen lachte sie nur kurz. »Natürlich auch eine Art um anderen die Meinung zu geigen«, stellte sie amüsiert fest und Tao beobachtete sie von der Seite und bemerkte, dass er lächelte, weil er es schön fand, dass er sie so unterhielt. Oder dass der Gedanken an Alpakas sie unterhielt.

Sie war hübsch, wenn sie lächelte. Das stand ihr sehr gut.

»Wenn ich wieder nach Ilha reise, müsst Ihr mir Eure Alpakafarm zeigen«, sagte sie dann.

»Sehr gern«, antwortete er mit einem Lächeln. »Aber es stinkt.«

»Das tut es in der Gegenwart von gewissen Prinzen und Königen auch«, sagte sie schief grinsend.

Oh. Sah aus als hätte die Prinzessin keine Scham davor das zu sagen, was sie dachte. Tao glaubte, dass das in ihrer Position nicht einmal so einfach war. Es war zwar schwer die richtigen Worte zu finden, wenn man mit einem König sprach, aber vermutlich hatte ein Herrscher genauso schwer die richtigen Worte zu finden, die das Volk hören wollte. Denn bekanntlich wollte jeder etwas anderes. Und die Geschichte war durchaus mit Aufständen von Bürgern durchzeichnet.

»Glaub ich«, sagte Tao nur leise und schenkte ihr einen Seitenblick und ein breites Grinsen.

Sie zwinkerte ihm zu. »Eure Anwesenheit ist erfrischend«, machte sie ihm erneut ein Kompliment.

Vielleicht wäre ein ‚Ihr seid zu großzügig‘ angesichts der Tatsache, dass sie eine Prinzessin war, angebracht gewesen, aber irgendwie wäre es ihm sehr falsch vorgekommen, hätte er das nun gesagt. »Das kann ich nur zurückgeben.«

Sie stieß ihm leicht in die Seite, grinste breit und Tao war über diese Tat ein wenig überrascht, erwiderte das Grinsen aber direkt. »Würdet Ihr in den Südlanden leben, wüsste ich schon, mit wem ich gern meine Zeit verbringen würde. Ein lockeres Gespräch findet man hier nur selten. Die Prinzen sind zu arrogant, unsere Eltern zu hochgestochen. Da sind Alpakazüchter viel interessanter und angenehmer.«

Tao blickte grinsend weg und schmunzelte etwas, wusste nicht direkt was er sagen sollte. »Ich glaub, dem kann ich leider nur zustimmen.« Obwohl er von Xiumin auch einen positiven Eindruck gehabt hatte. Kris‘ Vater, Chanyeol und die beiden Eranian-Prinzen hingegen waren durchaus seltsam gewesen. Und Kris bei ihrer ersten Begegnung auch. Tao wusste, dass Kris durchaus arrogant war; vielleicht nicht mehr so extrem wie am Anfang, aber Tao glaubte, dass das nur an ihrem merkwürdigen Verhältnis lag.

»Vielleicht sind wir hier die einzigen Leute, die normal denken können. Uns machen nur die Einhörner Konkurrenz.«

»Einhörner?«, wollte Tao verwirrt wissen.

Sie blieb stehen, sah ihn an. »Ja, Einhörner.«

Tao hatte ebenfalls innegehalten und sah zu ihr herunter (sie war mindestens zwei Köpfe kleiner als er). »Wie…?«, wollte er verwirrt wissen. Gab es hier etwa Einhörner? Er hatte durchaus bemerkt, dass es viele Springbrunnen oder Skulpturen von gehörnten Pferden – Einhörnern – gab.

»Du weißt nicht, dass es hier Einhörner gibt?«, wollte sie wissen.

»Nein«, sagte er sofort. »Das hat mir niemand gesagt.« Woher hätte er das denn auch wissen sollen?

Sie sah ihn einen Moment nur mit großen Augen an, dann lächelte sie. »Komm, ich zeig sie dir. Wenn du möchtest, natürlich nur.«

»Klar«, sagte er und bemerkte nicht, dass sie angefangen hatte ihn zu duzen. Was ihr ja auch zustand. Aber das Gespräch war schon die ganze Zeit so locker gewesen, dass es sich durchaus vertraut angefühlt hatte. Es war nur richtig, wenn sie die Höflichkeit fallen ließ. Tao konnte das natürlich nicht tun, immerhin sprach er mit einer Prinzessin.

»Dann hoffe ich mal, dass ich den Weg auch schnell finde.« Sie schenkte ihm ein letztes breites Grinsen, ehe sie sich in Bewegung setzte. Tao folgte ihr.

Und sie hatte den Weg tatsächlich recht zügig gefunden.

Erst Drachen, dann zwei Prinzen mit einem innigen Verhältnis, jetzt auch noch Einhörner - jetzt fehlte eigentlich nur noch, dass sich jemand in einen Feuervogel verwandeln konnte…

Taos Augen starrten auf die weißen Wesen, deren Fell im Sonnenlicht förmlich strahlte und fast glänzte. Er hatte selten so anmutige Geschöpfe gesehen. Nein, eigentlich noch gar nie. Beeindruckend. Die Tiere waren groß, ihr Fell wirkte unglaublich gepflegt und fast makellos und die Mähne und der Schweif wirkten frisch gekämmt und sahen aus, als würden sie sich weich anfühlen. Schwarze Augen und lange Wimpern und auch wenn sie Pferden wohl sehr ähnlich waren, war es eine Beleidigung sie mit solchen Tieren zu vergleichen. Das war eine ganz andere Liga. Wenn man ein Synonym für Faszination und Schönheit suchte, konnte man eindeutig ‚Einhorn‘ benutzen. Zumindest fand Tao das.

»Wow. Beeindruckend«, sagte er und glaubte, dass er Kris fragen sollte, wieso er ihm davon nichts erzählt hatte.

»Sie sind schön, nicht wahr?«, sagte sie. »Ich hatte mich, als ich sie das erste Mal gesehen habe, auch sofort in sie verliebt.« Jisun hatte sich an den Holzzaun gelehnt und blickte zu den Tieren, die auf der Wiese standen und teilweise grasten. Tao fragte sich, wie sie es hinbekamen so sauber zu bleiben. Bei der Fellfarbe wurde der Dreck sofort sichtbar, aber die Tiere hier sahen alle so perfekt aus. Das war schon fast beängstigend.

»Verständlich«, sagte Tao.

Er glaube, dass ihm Einhörner lieber als Drachen waren.

»Offensichtlich hast du die Eigenschaft Prinzen und Prinzessinnen anzuziehen«, konnte er eine tiefe, bekannte Stimme hören und Tao drehte sich um und bemerkte Kris mit einer unbekannte Person im Schlepptau, deren Gesicht ihn im ersten Moment ein wenig an Jisuns erinnerte.

Oh. Er glaubte er wusste, wer das war.

Vermutlich hatte er es hier – mal wieder – mit einem Prinzen zu tun. Und zwar dem der Südlande; Jisuns Bruder, wie er glaubte. Und aus diesem Grund verbeugte er sich höflich.

»Guten Tag«, begrüßte er die beiden.

»Na, endlich fertig?«, wollte die Dame in der Runde wissen, die leicht an den Zaun gelehnt war und die beiden anblickte.

Ein Seufzen von der Person neben Kris war zu hören. »Ja, endlich. Vorerst zumindest.«

»Stell dich nicht so an. Sei froh, dass du dabei sein darfst, Jino«, beschwerte sich die hübsche Dame.

»Wir könnten gern tauschen«, sagte der junge Prinz mit einer Stimme, die zeigte, dass er fertig und genervt war.

»Was wollt ihr hier überhaupt?«, fragte sie dann, ihre Stimme war wieder ruhiger.

»Ich hab dich gesucht, dachte schon, dass ich dich hier finde«, antwortete ihr Bruder.

»Und wieso das?«

»Ich muss doch auf meine kleine Schwester aufpassen. Hier sind viele fragwürdige Gestalten.«

Sie verzog die Lippen etwas. »Ja, du bist auch eine davon.« Ihr Bruder sah sie empört an und sie schmunzelte schließlich. »Du weißt, dass ich allein gut zurechtkomme.«

»Ja, das stimmt.«

Tao hatte die beiden während ihres Gespräches beobachtet und schielte kurz darauf zu Kris, bemerkte, dass er ihn mit einem schmalen Lächeln ansah. Als Kris bemerkte, dass er ihn anblickte, verschwand das schmale Lächeln und er wandte den Blick zu Jino und Jisun. Tao tat es ihm schließlich wieder gleich.

»Ach ja. Xiumins Mutter hat nach dir gefragt.«

»Oh« , machte sie.

»Sie wollte dich sprechen, glaub ich.« Jino wirkte fürchterlich müde und fuhr sich mit der rechten Hand durch die dunklen Haare.

»Heißt das, dass ich zu ihr sollte?«, wollte Jisun mit gehobener Augenbraue wissen.

»Denke schon«, antwortete Jino, klang noch immer ziemlich träge.

Sie seufzte, drehte sich schließlich zu Tao. »War schön dich kennengelernt zu haben, Tao. Ich hoffe, dass wir uns heute Abend oder morgen noch einmal sehen.« Sie schenkte ihm ein wunderschönes Lächeln, in dem sich Tao fast verloren hätte.

»Das würde mich auf jeden Fall freuen«, sagte er und deutete eine leichte Verneigung an, ehe Jisun sich schließlich zu den beiden anderen wandte, ihnen ein trockenes Lächeln zuwarf und schließlich anfing zu laufen.

Jino sah ihr einen Moment verwirrt hinterher, rieb sich dann die Augen und blickte einen Moment zu Tao, ehe er zu Kris sah. »Ist sie sauer?«, wollte er wissen.

»Sie ist deine Schwester, ich weiß es nicht.«

Tao glaubte nicht, dass sie sauer war. Aber sie hatte vielleicht etwas genervt gewirkt. Wovon genau, konnte er aber nicht sagen. Aber er hatte durchaus bemerkt, dass ihr Bruder wohl mehr Respekt vor ihr hatte, als sie vor ihm. Sie wirkte wie eine starke Frau, das gefiel ihm.

»Hm, na ja, ist ja auch egal«, sagte Jino, winkte ab und Tao glaubte, dass er schon länger wach war, als es gesund war. »Zurück zum eigentlichen Thema«, fing er an.

Tao sah für einen Moment zu seinem Prinzen und war sich nicht sicher, ob er gehen sollte, wenn sie über die Arbeit, oder was auch immer, redeten.

»Muss das sein?«, wollte Kris genervt wissen. Er war eindeutig genervt. Das konnte jeder hören. Und sehen wohl auch.

»Letztes Mal hast du nie so genervt reagiert, wenn wir über Chanyeol gesprochen haben.«

»Letztes Mal war er auch noch kein Usurpator gewesen«, erwiderte Kris nur mit Nachdruck.

»Hast du Angst?«, fragte Jino, ohne es provozierend klingen zu lassen.

»Nein, das habe ich nicht«, erwiderte Kris sofort. »Aber ich sehe es nicht ein, einer Person wie ihm Respekt zu zollen. Das hat er nicht verdient.«

»Meinst du?«, hakte Jino nach.

»Kris ist nur zu stolz dafür um irgendjemand anderen Respekt zu schenken, als seinem Spiegelbild«, hörte Tao eine unbekannte Stimme und wenig später erblickte er zwei weitere Gestalten, die sich ihnen näherten.

Sie trennten ein paar Zentimeter, beide hatten dunkles, braunes Haar, aber ihre Gesichtszüge waren unterschiedlich. Der, der gesprochen hatte, hatte ein eher längeres Gesicht und ein trockenes Grinsen auf den Lippen. Außerdem waren seine Haare einen Hauch gelockt.  

Kris und Jino hatten sich umgedreht um die beiden zu anzusehen und Tao fühlte sich noch immer fürchterlich unwissend.

»Schön gesagt, Lay«,  antwortete Kris trocken und ironisch. Tao glaubte nicht, dass er nur sich selbst Respekt schenkte, auch wenn er im ersten Moment wohl so wirkte. »Dein Humor ist immer noch zum Kotzen.«

»Das war kein Humor«, erwiderte Lay, der inzwischen bei ihnen angekommen war.

Taos Augen fielen auf die andere Person, die allein von seinen Gesichtszügen sympathischer wirkte, als Lay es tat.

Kris drehte sich zu Tao. »Sieht aus als hättest du in kürzester Zeit das ganze, unausstehliche Pack kennengelernt.«

»Ich hoffe doch, dass du mich nicht dazu zählst«, sagte Jino. Kris antwortete darauf nicht.

»Wieso stellst du uns nicht vor?«, wollte Lay dann wissen und nickte in Taos Richtung. Kris rollte genervt mit den Augen, seufzte lautlos. Und Tao überkam mal wieder das Gefühl, dass alles zu viel für ihn wurde. Wie viele Personen lernte er hier denn noch kennen und bei wie vielen würde er noch in Fettnäpfchen treten? Er wollte das Unheil jedoch gar nicht an die Wand malen.

»Wieso stellst du dich nicht selbst vor?«, stellte Kris dann die Gegenfrage.

Lay lächelte schmal und es wirkte fürchterlich aufgesetzt. Ihre Blicke trafen sich und Tao versuchte sich nicht ansehen zu lassen, dass er keine Ahnung hatte, was hier passierte, wen er vor sich hatte, und wie er sich verhalten sollte.

Statt einer Vorstellung von der Person, die offensichtlich Lay hieß, trat die andere, kleinere Person etwas nach vorn, deutete eine charmante Verbeugung an. »Wenn niemand von euch das Wort ergreifen möchte, werde ich das tun. Darf ich vorstellen? Der zukünftige Imperator von Emeralt, Lay. Meine Wenigkeit hört auf den Namen Chen. Ich hoffe, dass Ihr einen schönen Aufenthalt genießen werdet und dass es Euch an nichts mangelt.«

Tao öffnete den Mund, suchte passende Worte und sah dann einen Moment hilfesuchend in Kris‘ Richtung. Eigentlich sollte er langsam wissen, wie er sich in der Gegenwart der gehobenen Gesellschaft benehmen sollte, aber irgendwie kam es immer noch nicht so selbst über seine Lippen. Tao verbeugte sich etwas. »Ich glaube nicht, dass ich einen Ort je so sehr genossen habe, wie diesen hier. Mein Name ist Tao«, fügte er dann noch hinzu, als ihm aufgefallen war, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hatte. Hätte er ein ‚freut mich, Bekanntschaft mit Euch gemacht zu haben‘ hinzufügen sollen?

»Man könnte fast meinen, du wärst seine Mutter«, sagte Kris trocken in Chens Richtung.

»Man könnte fast meinen, er wäre dein kleiner Bruder«, antwortete Lay darauf hin nur und Tao war sich sicher, dass das auf ihn bezogen war. Einen Zusammenhang fand er auf diese Aussage hin aber nicht.

Kirs schnaubte trocken amüsiert. »Sind deine Augen schlechter geworden? Wir sehen uns nicht einmal ähnlich.« Bis auf die Größe vielleicht, aber das war es dann auch schon.

»Ich hab eher eure Unhöflichkeit angesprochen. Aber vielleicht ist das in eurem Land normal so.«

»Ja, ist es«, log Kris, vermutlich nur um Tao in Schutz zu nehmen. Und die Tatsache, dass Lay ihn wohl unhöflich fand, war ihm durchaus unangenehm. Weil er das ja eigentlich nicht wollte – aber er war sich eben nicht sicher, wie er sich denn sonst benehmen sollte. Es war schwer, egal was man sagte, es konnte immer gegen einen verwendet werden.

»Entschuldigt, ich wollte nicht unhöflich erscheinen«, mischte er sich deswegen ein.

»Er hat es nicht ernst gemeint«, kommentierte Chen nur.

»Lay meint nie irgendetwas ernst«, sagte Jino träge.

»Das ist eine falsche Anschuldigung, die meine Gefühle verletzt«, kam von Lay mit einem ernsten Gesichtsausdruck.

»Deine Gefühle, ja, klar«, sagte Kris ironisch und verdrehte kurz die Augen. Lay warf ihm einen Blick zu, den Tao nicht deuten konnte.

Und irgendwie fühlte er sich ein wenig fehl am Platz. Aber das war ja nichts Neues. Im einen merkte er durchaus, dass die Leute ihn hier willkommen hießen, im anderen gehörte er hier einfach nicht rein. Und das schien wohl jeder sofort zu merken. Vielleicht war es ein Fehler von Kris gewesen, ausgerechnet ihn hier her mitzunehmen.  Aber das würde er ihm wohl niemals unterstellen, denn Tao war sich ziemlich sicher, dass Kris diese Kritik nicht gut auffassen würde.

Während die anderen das merkwürdige Gespräch weiter führten, fragte Tao sich still, wie es Phueng wohl ging.
 

---
 

Anmerkung:

Ich hab Jino eingebaut, weil ja er angeblich fast in Exo gelandet wäre und ich es irgendwie passend fand, da ich nicht wollte, dass Chen auch ein Prinz ist. Zu viele Prinzen in Exo, tz tz...

Jisun ist rein fiktiv, aber die Fanfiction braucht ein wenig weiblichen Wind.

Sieben

»Fang erst gar nicht an, ihr schöne Augen zu machen«, hatte er ihm geraten. Vermutlich war es schon eher ein verdeckter Befehl gewesen.

Es gab so viele Gründe, wieso er das nicht tun sollte. Erstens, weil sie eine Prinzessin war und weil er nur ein lausiger Alpakabauer war und nicht einmal ihren Namen schreiben konnte. Zweitens, weil die Wahrscheinlichkeit, dass er sie wieder sehen würde, sehr gering war. Drittens, weil sie mit Xiumin liiert war, damit das Bündnis ihrer Königshäuser stärker wurde und der wichtigste und ausschlaggebende Grund war schlicht und einfach, dass es Kris nicht gefiel, wenn Tao sie auch nur ansah. Er sollte sie nicht charmant anlächeln, sollte sich nicht einmal mit ihr über banale Dinge unterhalten und sollte erst recht nicht gemeinsam mit ihr lachen.

Es war egoistisch, aber er war ein Prinz und es war wichtig, dass sein Wohl erfüllt wurde. Das hatte er so gelernt, das wollte er beibehalten. Der Grund für seine durchaus vorhandene Eifersucht war, dass Kris wollte, dass er nur ihn aus diesen unglaublich beeindruckenden, schönen Augen ansah. In Taos Welt sollte nur er existieren. Er sollte in seinen Augen die personifizierte Schönheit und gleichzeitig der idealste Herrscher aller Zeiten sein. Kris wollte, dass er ihn begehrte.

Dass er arrogant war, war nichts Neues. Aber es war durchaus neu, dass er etwas auf die Meinung anderer gab. Es gab nur wenige Personen, auf deren Meinung er etwas gab und Tao hatte es, aus ihm unerklärlichen Gründen, in kürzester Zeit an die Spitze dieser Personen geschafft. Und aus diesem Grund sollte Tao nur ihn sehen. Alle anderen Leute hier waren nur Statisten. Es sollte nur zwei Hauptpersonen in Taos Leben geben und das sollten natürlich er selbst und Kris sein.

Er wusste nicht, wieso er solche Gedanken hatte. Kris konnte sich nicht einmal erklären, wie das überhaupt geschehen war. Weil er Tao am Anfang echt nervend gefunden hatte. Er war, wie alle anderen, nur Dreck unter seinen Fingernägeln gewesen,  und er mochte Dreck unter seinen Fingernägeln nicht. Er hatte so eine große Klappe gehabt und Kris hatte jeder Faser seines Körpers ablesen können, dass er ihn nicht leiden konnte. Kein Wunder, das passierte bei den meisten Leuten, denen er begegnete. Kris wusste, dass er auf viele nicht sympathisch wirkte, aber das gehörte eben dazu. Würden die Leute ihn sympathisch finden, würden sie nur sagen, dass er als König unpassend werden würde. Dass er zu weich wäre und sich von seinen Gefühlen leiten ließ. Das traf nicht zu.

Zumindest hatte es bis dato niemals zugetroffen.

Und dann war Tao aufgetaucht, war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und seine Anwesenheit hatte dazu geführt, dass es sich angefühlt hatte, als würde die Zeit plötzlich stillstehen. Tao war sein persönlicher Zeitstillstand und Kris konnte gar nicht in Worte fassen, wie gut dieses Gefühl tat. Es war so erleichternd zu denken, dass die Zeit nicht weiterging.

Taos Gegenwart tat ihm gut. Und Kris bemerkte, dass er nicht wollte, dass ihm irgendjemand zu nahe kam. Es war egoistisch zu denken, dass er nur ihm Gesellschaft leisten sollte, aber der einzige Trost war, dass es als Prinz sein gutes Recht war. Würde er den Thron besteigen – und das würde er früher oder später – würde ihm ein ganzes Königreich und das wohl größte Land des Kontinentes gehören. Wieso sollte er sich dann auch nicht das Recht herausnehmen zu verlangen, dass dieser dämliche Alpakabauer, der nicht so recht kuschen wollte und alles hinterfragte, ihm nicht von der Seite weichen sollte.

Kris wusste, wieso er das nicht konnte. Zumindest nicht direkt und öffentlich. Weil er ein Prinz war. Und Tao war nur irgendjemand. Von ihm wurde erwartet, dass er sich nur mit adligen Leuten abgab. Von ihm wurde erwartet, dass er irgendeine Prinzessin, von welchem Kontinent auch immer, heiraten würde, damit der Frieden und ein Bündnis gesichert wurden.

Kris wusste, dass er das irgendwann tun würde. Er wusste, dass er dagegen nichts tun konnte, aber er wusste auch, was er im Moment wollte.

Er wollte diese Person haben, die nicht verstand, was Kris‘ Blicke bedeuteten, wenn er ihn ansah. Er wollte diesen unberührten Körper, den er im Bad unauffällig studiert hatte, anfassen. Und verdammt, ja, Kris wollte ihn eigentlich schon seit Tagen gegen die nächste Wand drücken und ihm zeigen, wieso sie ihn den Drachenzähmer nannten.

Genau deswegen hatte er ihm gleich klar gemacht, dass Jisun verlobt war und dass er sich von Kai fernhalten sollte. Und von Chanyeol. Und auch von Chen, der nicht halb so wichtig war, wie er wirkte. Immerhin war er nur ein lausiger Barde mit einer guten Stimme. Und was Lay anging, wollte er auch vermeiden, dass Tao in die Versuchung kam mit ihm zu reden. Es gab einige Dinge über Kris, die Lay wusste und nicht unbedingt auspacken sollte. Lay war wohl so etwas wie ein dunkles, vergangenes Kapitel. Nicht, dass er es bereute, was damals zwischen ihnen passiert war, aber er wollte nicht, dass  Tao es erfuhr. Eigentlich sollte niemand erfahren, dass Lay und er sich besser und intimer kannten, als es gesund für sie beide war. Davon abgesehen lag es in der Vergangenheit und Kris würde es nicht wiederholen.

Tatsache war, dass er wollte, dass Tao bemerkte, dass er ehrliches Interesse an ihm hatte. Er hatte nur keine Ahnung, wie er das anstellen sollte, weil Tao entweder niemals auf den Gedanken kommen würde, oder es einfach gekonnt abblockte. Beide Möglichkeiten waren nicht besonders rosig. Aber Kris wäre nicht Kris, wenn er nicht das bekommen würde, was er wollte.

Immerhin war er ein Kronprinz.
 

Kris lag auf dem weichen Bett, das  seinem eigenem fast Konkurrenz machte, und beobachtete den schwarzen Schopf des anderen, zwischen den vielen bunten Kissen. Das Morgenlicht fiel durch die verglasten Fenster und er konnte das ruhige Atmen des anderen hören. Heute war der letzte Tag angebrochen und Kris hatte die letzten Tage eigentlich nur damit verbracht, den Herrschern der anderen Ländern zuzuhören, über Wirtschaft und den Handel zu reden, und letztendlich hatte er wohl einfach nur lernen müssen. Immerhin würde er irgendwann auf dem Thron sitzen und dann würde er die Worte, die sein Vater gewählt hatte, weiterführen. Auch wenn es oft so wirkte, war die Arbeit als Prinz oder König gar nicht so einfach. Man saß nicht nur auf einem unbequemen Thron und sah gut aus, sondern regierte. Gerade ihr Land war riesig und es war wichtig verbündete Länder zu haben, gerade weil ihr Land zum größten Teil aus Wüste bestand. Viel Rohstoffe konnten nicht gewonnen werden und die Lebensmittel waren auch nur beschränkt; anders als zum Beispiel in den Südlanden. Man musste dafür sorgen, dass andere Länder, die vor Generationen Feinde gewesen waren, anfingen neutral zu werden und das war wohl eines der schwierigsten Dinge. Besonders, weil Kris einen persönlichen Groll gegen Chanyeol und die Eranianprinzen hegte. Er konnte nur von Glück sprechen, dass nicht Kai auf dem Thron enden würde. Denn das würde durchaus kompliziert werden. Gerade, weil Kris niemand war, der sich fügte.

Es war stressig gewesen, hatte an seiner Laune gezerrt und er hatte kaum Zeit mit Tao verbringen können. Und eigentlich hatte er Tao mitgenommen, weil er gehofft hatte, dass das irgendwie klappen würde. Aber wenn er nicht im Speisesaal oder auf irgendwelchen Besprechungen gewesen war, hatten Xiumin oder Jino ihm ein Ohr abgekaut. Der einzige Trost war, dass Tao gern hier war und sich wenigstens mit den Leuten gut verstand. Zumindest mit Jinos Schwester, und Xiumin und Suho schien er auch zu mögen. Und sie ihn.

Er verbrachte Minuten damit einfach da zu liegen und Tao zu beobachten. Nicht, dass er wirklich viel von ihm sah. Beruhigend war es dennoch und Kris zögerte den Gedanken, den anderen zu wecken, damit er noch ein paar Stunden mit ihm allein hatte, vermutlich nur deswegen heraus.

Eher weniger anmutig rollte er sich aus dem Bett, warf die Decken zurück auf selbiges und griff schließlich zu seinen Klamotten. Er zog sich an, verschwand aus dem Zimmer in einen der Baderäume im selben Flur und als er wieder zurückkam, schlief Tao noch immer. Kris war sich ziemlich sicher, dass er normalerweise nicht so lange schlief; immerhin arbeitete er auf einem Bauernhof. Da hatte man sicher alle Hände voll mit Mist zu tun. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Er trat vorsichtig zu dem Haufen mit den Kissen, in denen Tao unter einer weichen und dünnen Decke lag, ging in die Knie und beobachtete sein schlafendes Gesicht kurz, ehe er seine tiefe Stimme ruhig erhob. »Hey, wach auf.«

Tao regte sich, zog die Decke über seinen Kopf und drehte sein Gesicht in eines der Kissen. Kris blinzelte und war im ersten Moment nicht sicher, ob ihn diese Reaktion empörte, oder amüsierte.

»Wenn du nicht gleich aufwachst, dann endest du als Frühstück für Ace«, sagte er, ohne es ernst zu meinen.

Tao drehte sich erneut, zog die Decke von seinem Gesicht und blinzelte Kris unglaublich verschlafen an. »Ich schmecke bestimmt scheußlich«, murmelte er, rieb sich das rechte Auge und blickte Kris dann für einige Sekunden still an, ehe er sich im nächsten Moment aufsetzte und ihn etwas erschrocken ansah.

»Gut geschlafen?«, wollte Kris mit einem schmalen Lächeln wissen und Taos erschrockene Miene verschwand und er wirkte wieder müde.

Der Dunkelhaarige nickte. »Ja. Sehr gut sogar. … und du?«

Kris fand es seltsam, wenn er solche Gegenfragen hörte. »Auch«, antwortete er deswegen nur so kurz wie möglich. Eine merkwürdige Stille trat ein und Tao blickte Kris müde und fragend an und der Prinz wusste nicht so recht, was er tun oder sagen sollte. Vermutlich lenkte sein Gegenüber ihn unbewusst gerade erfolgreich ab.

»Alles in Ordnung?«, brach Tao dann unsicher die Stille.

»Ja. Steh auf, ich hab was vor. Und du hast die Ehre mir beizustehen.«

Tao drehte den Kopf etwas zur Seite und blickte dann aus dem Fenster, sah wieder zu Kris und erhob sich schließlich. Im Gegensatz zu Kris hatte er in seinen Klamotten geschlafen und Kris kam der Gedanke, dass er das spätestens dann ablegen würde, würde er irgendwann in seinem Bett schlafen.

Kris raffte sich ebenfalls wieder auf, verfrachtete Tao ins Bad, damit er wacher wurde, wartete schweigend vor dem Baderaum und wusste gar nicht, was genau er denn vorhatte. Und wäre Tao nicht so verschlafen gewesen, hätte er ihn sicher gefragt, was er denn vorhatte und ihm wäre schon früher aufgefallen, dass er keine Ahnung hatte.

Kris glaubte, dass Tao inzwischen schon genug von der Insel gesehen hatte und Lust vor der Rückreise auf Aces Rücken zu sitzen, hatte er sicher auch nicht. Und dann bemerkte Kris, dass er absolut keine Ideen hatte oder vermutlich bekommen würde. Nicht, dass er irgendetwas geplant hatte, außer ein paar Stunden Zeit mit Tao zu verbringen. Allein.

Die Tür wurde geöffnet und Tao trat, zusammen mit einem gut gelaunten Lächeln und deutlich wacher, aus dem Raum und blickte zu ihm.

»Wo geht’s hin?«, fragte Tao dann und sah ihn neugierig an.

»Wirst du sehen. Komm mit.« Er setzte sich in Bewegung und glaubte für einen kurzen Moment, dass es vielleicht besser wäre, wenn er ihm sagte, dass er kein bestimmtes Ziel hatte. Aber irgendwie würde das sicher dämlich kommen, weil er eben noch gesagt hatte, dass er was vorhabe. Aber möglicherweise war Tao so müde gewesen, dass er das gar nicht registriert hatte.

Tao kam mit und stellte keine Frage. Vorerst zumindest. Und Kris wusste noch immer nicht wohin er nun gehen sollte, oder was er denn vorhaben könnte. Er könnte natürlich einfach zu Ace gehen, aber eigentlich hatte er sich nur einen Moment mit Tao gewünscht.

»Heute Abend geht’s zurück, oder?«, fragte Tao dann plötzlich und Kris hob die Augenbrauen etwas, sah zu dem Schwarzhaarigen, der neben ihm lief.

»Ja«, antwortete Kris und machte einen Moment Pause, ehe ihm etwas einfiel. »Hast du es genossen?«

»Auf jeden Fall. Ich… ehrlich gesagt bin ich gar nicht so heiß darauf, wieder zurück zu gehen«, gestand er kleinlaut und Kris schenkte ihm ein schmales Lächeln, das Tao nicht sah, weil er auf den Boden guckte, während sie weiter über die Wiese liefen. Wohin auch immer.

»Ja, hier ist es ganz anders, als bei uns.« Kris bemerkte, dass er fürchterlich darin war, einfach nur ein einfaches Gespräch zu führen. Dabei strengte er sich gerade wirklich an. Aber wenn es um ein zwischenmenschliches Gespräch ging, dann war das nicht so einfach, als wenn er den arroganten Prinzen heraushängen lassen konnte, der er zweifelsohne war.

»Danke, dass du mich mitgenommen hast«, sagte mit gesenkter Stimme und klang so unglaublich ehrlich.

»Du musst dich nicht bedanken. Ich hab dich nur aus Eigennutz mitgenommen«, sagte Kris und log damit nicht einmal.

Tao runzelte die Stirn. »Du änderst jeden Tag den Grund, wieso du mich mitgenommen hast, oder?«

Kris lachte plötzlich kurz und leise. »Du hörst mir zu.«

»Natürlich höre ich dir zu«, sagte Tao fast schon empört und grinste ihn danach an. »Und was machen wir nun?«

Kris blickte wieder nach vorn und zuckte dann mit den Schultern. »Eigentlich hab ich nichts Bestimmtes vor. Ich wollte einfach nur ein paar Momente haben um mit dir zu reden. Wenn wir wieder in Ilha sind, dann werden wir uns nicht mehr täglich sehen und-« Kris hielt plötzlich mitten im Satz inne, weil er sich das noch gar nicht so wirklich bewusst vor die Augen geführt hatte. Tao warf ihm einen Blick zu, den Kris nicht so ganz deuten konnte. Vielleicht war er sich nicht sicher, ob Kris seinen Satz noch beenden wollte, oder nicht. Er verzog die Lippen schließlich etwas und beobachtete den Wald, den er in der Ferne sehen konnte.

Und schließlich blieb er stehen und drehte sich zu ihm, Tao tat ihm, mit einem unsicheren Blick, gleich. »Ich kann dich gut leiden. Ich kann dich wirklich gut leiden, Tao. Und das passiert sonst nicht so schnell. Die Leute, die ich mag, kann ich an einer Hand abzählen und das klingt vielleicht traurig, aber das ist es absolut nicht. Es ist anstrengend Leute zu mögen.«

Tao runzelte die Stirn. »Wieso ist das anstrengend?«, wollte er dann wissen, bevor Kris jedoch antworten konnte, sprach Tao weiter. »Ist es wirklich anstrengend mich zu mögen?« Und dabei klang er so, als hätte ihn der Satz irgendwie verletzt und Kris glaubte, dass er ihn völlig falsch verstanden hatte.

»Nein«, sagte er deswegen sofort und vielleicht etwas zu energisch. Und dann bemerkte er seine eigene Reaktion, blickte leise fluchend über sich selbst zur Seite, ehe er wieder zurück zu Tao sah. »Also doch, eigentlich schon«, sagte er dann ehrlich und bemerkte, wie Tao seine Lippen aufeinander drückte. »Aber nicht, weil du mir keine Gründe gibst, dich zu mögen, sondern weil ich nicht gelernt habe Menschen zu mögen. Das geht in meiner Position nicht. Ich darf nicht wahllos Sympathiepunkte verteilen. Ich muss Leute mögen, die Vorteile für mich und das Reich haben, das ich irgendwann anführen würde. Und seien wir doch mal ehrlich: Du hast keine Vorteile für mich. Und deswegen ist es schwer dich zu mögen, weil das allem widerspricht, was ich bis her auf die Beine gestellt und gelernt habe.«

Tao hatte den Mund kurz geöffnet, blieb jedoch stumm und blickte inzwischen irgendwo gegen Kris‘ Bauch.

»Ich mag es nicht, dass du Jisun magst«, führte er seine Rede dann total zusammenhangslos weiter. »Ich will nicht, dass du Gefallen an ihr findest und ich will auch nicht, dass du sie so ansiehst, wie du sie ansiehst.« Und jetzt erntete er einen absolut skeptischen Blick von Tao, den Kris einfach ignorierte. »Ich will nicht, dass du hier irgendjemand zu nahe kommst, nicht weil ich sie nicht leiden kann – und ich kann die meisten nicht leiden, wie du weißt – sondern weil ich nicht möchte, dass sie dich mögen könnten. Ich will nicht, dass sie dich mögen und dass du sie magst, weil du nur mich mögen sollst. Ich bin egoistisch und ichbezogen, aber das weißt du vermutlich schon seit dem ersten Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Der Grund wieso du hier bist, ist, dass ich gern in deiner Gegenwart bin. Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist und ich«, er hörte erneut auf zu reden, weil Tao ihm einen so unsicheren Blick zuwarf, der dazu führte, dass Kris einfach genervt seufzte. Er war kein guter Redner, wenn es um Gefühle ging. „Kann ich aufhören zu reden und dich nicht einfach küssen?“

Seine Aussage war ungeplant gewesen und klang vermutlich, weil er genervt über sich selbst war, ziemlich schroff.

Und jetzt sah Tao ihn nur noch verwirrter an, wobei er ganz deutlich sehen konnte, dass er sich nicht sicher war, ob Kris es ernst meinte oder nicht, und dass er keinen blassen Schimmer hatte, wie er reagieren sollte. Er hatte ihn überfordert – nicht, dass es das erste Mal gewesen war, dass er ihn überfordert hätte.

»Du musst antworten«, half Kris ihm dann auf die Sprünge und Tao blinzelte schließlich wieder und hatte unsicher unbewusst angefangen nervös an dem Saum seines Oberteils zu nesteln.

»Meinst du… meinst du das ernst?«, fragte er und Kris warf ihm einen Blick zu, als wäre seine Aussage gar nicht falsch zu verstehen gewesen.

»Natürlich meinte ich das ernst. Hast du mich je scherzen gesehen?« Nein, hatte er nicht. Weil Kris nicht scherzte. Grundsätzlich nicht.

Er konnte sehen, wie sich Taos Adamspafel bewegte. »Nein, hab ich nicht«, sagte er dann leise.

»Also?«, fragte Kris.

Wieso fragte er überhaupt? Er war der Prinz von Ilha; wenn er jemand küssen wollte, sollte er das einfach tun. Aber eigentlich konnte er nicht einschätzen, ob Tao das wollte, oder nicht. Und vermutlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass es ihn kümmerte, ob jemand anderes wollte, oder nicht. Kris nahm nicht oft Rücksicht, weil er das sonst nicht tun musste. Aber im Moment fühlte es sich richtig an. Er wollte nicht etwas tun, was Tao nicht wollte. Er war vielleicht ein Arsch, aber Tao war ihm so wichtig, dass er seinen beschissenen Charakter nicht ständig raushängen lassen musste.

»Ich hab noch nie jemand ge...küsst. Also, nur Phueng. Und… oh Gott, natürlich nur auf die Schnauze und auch nur weil ich sie wirkli-«

Tao konnte seinen Satz, der schon so daneben angefangen hatte, nicht beenden, weil Kris ihm uncharmant näher gekommen war und ihm kurzerhand die Lippen aufgedrückt hatte, einfach nur, damit er aufhörte nervösen Schwachsinn zu reden. So viel zu ‚er wollte eine Antwort abwarten‘.

Drauf geschissen, er war ein Prinz. Er durfte küssen, wen er wollte.

Kris hatte seine Lider nur halb gesenkt und bemerkte, dass Tao seine Augen sofort geschlossen hatte. Ohne groß nachzudenken hob er seine Hände, legte sie an Taos Kopf und löste die einfache, stumpfe Berührung ihrer Lippen, jedoch nur, um seinen Kopf minimal seitlich zu legen, den dämlichen Alpakabauer in seine Richtung zu ziehen und ihm erneut einen Kuss auf die Lippen zu drücken, der eindeutig fordernder und intensiver wurde, weil er anfing seine Lippen gegen die des anderen zu bewegen.

Tao wusste nicht so recht, was er machen sollte, das spürte Kris ganz genau und es war ihm völlig egal. Dass er keine Ahnung vom Küssen hatte, bemerkte man, aber das konnte Kris ihm beibringen, denn er bemerkte, dass das hier schon längst überfällig gewesen war und dass er das wiederholen würde. Ganz bestimmt. Das hier würde sicherlich nicht der einzige Kuss bleiben der zwischen ihnen fallen würde. Und als er bemerkte, dass Tao etwas zögernd den Kuss erwiderte, würde er für den Gedanken die Hand ins Feuer halten.

Er schloss seine Augenlider schließlich selbst, hielt den Kuss noch einige Momente aufrecht, ehe er ihn vorsichtig löste. Und als er die Augen wieder öffnete bemerkte er den leichten Rotschimmer in Taos Wangen und die Tatsache, dass er fürchterlich verlegen nach unten blickte. Er ließ seine Hände langsam sinken.

»War’s so schlimm?«, wollte Kris dann wissen. Romantisch war er gewiss nicht.

»Nein«, sagte Tao dann schnell und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nu… nein, es war nicht schlimm. Gott, ich weiß nicht was ich sagen soll, ich bin nervös.« Er hatte die Sätze nur leise gesprochen und Kris hatte sie dennoch gut gehört, weswegen er leicht grinste.

»Ich kann nicht gut mit Worten umgehen, wenn es um so etwas geht. Aber ich denke, dass dir nach dieser Aktion bewusst sein wird, wieso ich nicht möchte, dass du jemand anderen unter die Augen trittst.« Er lehnte sich etwas nach vorn, jedoch nicht um Tao erneut zu küssen, sondern um seinem Ohr nahe zu sein. »Ich möchte dich für mich haben. Nur für mich.«

Tao hatte seine Lippen fest aufeinander gedrückt, nachdem Kris wieder Abstand genommen und ihn angesehen hatte. Und als er einen Blick an seinen Hals warf, konnte er sehen, wie fürchterlich schnell sein Puls schlug. Er war durchaus nervös und vermutlich hätte er niemals damit gerechnet, mit so einer Situation konfrontiert zu werden. Tao wusste nicht wie er reagieren sollte und das war in Ordnung.

»Es tut mir gut, wenn du in meiner Gegenwart bist. Du tust mir gut, Tao.« Kris Stimmt war unglaublich ruhig und klang sehr ausgeglichen. »Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich jede deiner Reaktionen akzeptieren werde. Ich weiß, dass du mir keinen Wunsch abschlagen möchtest, weil ich ein Prinz bin un-«

»Nein«, unterbrach Tao ihn, sah ihn aber immer noch nicht an. »Ich schlag dir keine Wünsche ab, weil du ein Prinz bist, sondern weil ich nicht möchte. Du weißt, dass ich es sagen würde, wenn mir etwas nicht passen würde, du weißt, wie ich am Anfang auf dich reagiert hab. Und ich… würde das wieder tun, wenn ich es für angebracht halten würde.«

Kris musste die Worte erst einen Moment verdauen. Bedeutete das wirklich, dass er sich auf ihn einlassen wollte? Dass er sich nicht beschwerte, weil es in Ordnung war? Dass er es nicht schlimm fand, dass Kris ihn nur für sich haben wollte? Oder war er einfach nur wieder zu naiv, um den Ernst der Situation zu verstehen? Kris hoffte, dass es erstes war, glaubte jedoch, dass es eine Mischung aus beidem war.

»Du kannst im Schloss arbeiten«, sagte Kris dann schließlich. »Du kannst dich um dein Alpaka kümmern. Ich möchte dich in meiner Nähe wissen.«

Tao sah ihn plötzlich wieder an und wirkte etwas geschockt. »Aber ich kann meine Familie doch nicht allein lassen. Sie brauchen mich. Ich kann nicht einfach gehen. Es ist so schon hart und anstrengend genug und ich will ihnen nicht mehr Arbeit machen, nur um…«

»Nur um in meiner Nähe sein?«, vollendete Kris den Satz schroff und mit einem Blick, der hoffentlich nicht zeigte, dass dieser beinahe Satz ihn durchaus irgendwie getroffen hatte.

»N-nein, so ist es nicht. Ich… ich kann das nur nicht, Kris. Ich liebe meine Familie, ich kann sie nicht im Stich lassen. Sie brauchen mich.«

»Und was ist mit mir?«

Tao senkte den Blick wieder, biss auf seiner Unterlippe herum. »Du bist auch ohne mich klar gekommen. Meine Familie nicht.« Er sprach unglaublich leise und vorsichtig und Kris biss sich kräftig auf die Zähne, weil er das nicht hören wollte.

»Du willst also nicht«, stellte er trocken und irgendwo auch enttäuscht fest.

»Nein. Doch! Ich will schon. Ich... ich kann nur nicht.«

Er würde sehr wohl können, wenn er wirklich wollte. Er sollte einfach ein Ignorant sein. Es war doch egal, was seine Familie wollte, wenn er im Luxus leben könnte. Kris konnte es nur schwer nachvollziehen. Tao konnte sehr wohl, er wollte wohl nicht. Wieso zur Hölle hatte er den Kuss dann erwidert? Hatte er Angst gehabt, dass Kris ihn hätte köpfen lassen, hätte er das nicht getan?

»Wieso nicht?«, fragte Kris dann plötzlich.

»Ich… i-ich hab dir doch gesagt, dass ich meine Familie nicht allein lassen kann.«

»Darum geht es nicht. Es geht um dich und mich. Dir ist das nicht angenehm, dass ich dich geküsst hab und es gern wieder tun würde, oder?«

Tao hatte seinen Blick wieder gehoben und sah ihn fassungslos an und Kris wusste nicht, wieso er so reagierte. Er wusste nicht, was ihn so fassungslos machte.

»Bei uns gibt es so etwas zwischen Männern nicht«, sagte Tao dann schließlich nach einer kurzen Pause.

»Bei euch vielleicht nicht, bei uns schon.«

»Das ist das Problem. Ich weiß das. Jeder weiß das. Aber du wirst irgendwann eine Frau heiraten. Du bist ein Prinz, du kannst nicht mit jemand wie mir aufkreuzen. Alles was du von mir wollen würdest, wäre doch allein… körperlich.«

Kris glaubte, dass ihn der verdammte Schlag getroffen hatte. Ja, er wusste durchaus, worauf er hinaus wollte. Es war nicht unbekannt, dass adlige Leute gab, die sich, nur aus reiner sexueller Befriedigung Leute für den Spaß ‚hielten‘. Und es war nicht selten, dass selbige dann auch oft vom selben Geschlecht waren. Dennoch erschütterte es ihn, dass Tao offensichtlich davon ausging, dass Kris ihn deswegen geküsst hatte. Nein, ehrlich gesagt, machte ihn das sogar wütend; vermutlich weil ihn der Gedankengang irgendwo verletzte.

»Du denkst das wirklich? Nach dem, was ich dir gesagt habe?« Kris hatte nicht gesagt, dass er ihn mochte. Zumindest nicht wortwörtlich, aber Tao hatte das doch sicherlich verstanden, oder?

Anscheinend nicht.

»Vielleicht auch weil… weil Chanyeol das gesagt hat.«

Und jetzt war Kris Laune wirklich im Keller. »Du glaubst ihm also mehr, als mir? Glaubst du wirklich, ich bring dich hier her, damit ich dir in Ruhe erklären kann, dass ich dich nur vögeln möchte? Hätte ich nur Interesse an deinem verdammten Körper, dann hättest du das schon lange bemerkt, du Volltrottel. Dann hätte ich dich auch bestimmt nicht hier her genommen, dann hätte ich sicherlich nicht solche Dinge für dich gemacht. Aber schön, wenn du weiterhin mehr Wert auf das Wort eines Mannes legst, der sein ganzes Königshaus auf dem Gewissen hat, nur um an die Macht zu kommen, ist das fürchterlich enttäuschend. Weißt du was? Vergiss einfach, dass ich impliziert habe, dass ich dich wirklich gut leiden kann« - er konnte ja nicht einmal jetzt aussprechen, dass er ihn mochte - »am besten vergisst du alles, was bisher passiert ist. Heute Abend bist du wieder bei deiner Familie und keine Angst, ich werde bestimmt nicht wieder aufkreuzen.«

Und mit diesen Worten, die er nur gesagt hatte, weil er wütend und gleichermaßen enttäuscht war, drehte er sich um und lief los, ohne zu bemerken, dass Tao ihn vollkommen entsetzt und aus gläsernen Augen angesehen hatte.
 

»Kris, warte. Bitte«, kam es über Taos Lippen, nachdem er sich aus seiner Starre gelöst und ihm hinterher gelaufen war. Er griff zu seinem Handgelenk und Kris hielt inne, drehte sich jedoch nicht um und das verunsicherte ihn so sehr, dass er ihn sofort wieder losgelassen hatte.

Tao wusste nicht, wieso ihm Tränen in die Augen gestiegen waren und wieso er deswegen nun alles nicht halb so klar sah, wie er eigentlich sollte. Vermutlich war es die Tatsache, dass er bemerkt hatte, dass seine Worte Kris verletzt hatten, und viel mehr die Tatsache, dass Kris' Worte ihn verletzt hatten.

»Es tut mir Leid. Bitte; es tut mir Leid. Ich wollte nicht so klingen«, sagte er hilflos.

Kris sagte nichts, lief jedoch auch nicht weiter, was Tao trotzdem nicht beruhigte.

»Lass es stecken«, sagte Kris dann schroff. »Ich hab dir so oft angeboten dein Leben zu ändern, aber offensichtlich willst du das nicht. Und vermutlich ist das okay, vermutlich würdest du in meiner Welt eh nicht überleben.«

Tao senkte den Kopf und biss sich so stark auf die Lippen, dass es wehtat. Er hatte alles versaut, bevor es überhaupt angefangen hatte. Und er hatte diesen Kuss genossen. Das hatte er wirklich. Es war sein erster Kuss überhaupt gewesen und er hatte sich zwar nicht so angefühlt, wie er es gedacht hatte, aber das bedeutete nicht, dass er ihn nicht als schön beschreiben würde. Er erinnerte sich daran, wie sein Herz vor Aufregung angefangen hatte schnell zu schlagen und wie perplex und nervös er danach und währenddessen gewesen war. Er war sich so unsicher gewesen, was er hätte tun sollen und ob es in Ordnung gewesen war, seine Lippen ebenfalls etwas gegen Kris‘ zu bewegen. Er glaubte, dass es in Ordnung gewesen war, dass es völlig in Ordnung gewesen war. Aber jetzt glaubte er auch, dass er es versaut hatte. Weil ihn das alles so verunsichert hatte. Weil er nur schwer glauben konnte, dass er etwas hatte, das einem adretten und stattlichen Prinzen wie Kris gefallen konnte. Tao wusste, dass er Qualitäten hatte, aber er wusste auch, dass er in einer völlig anderen Liga spielte.

Er war so dumm. So fürchterlich dumm. Und Kris‘ Worte taten ihm aufrichtig weh. Aber vermutlich hatte er das verdient, weil Tao bemerkte, dass er Kris ebenfalls verletzt hatte.

»Bitte lass mich nicht stehen«, bat Tao leise und klang fürchterlich verzweifelt. »Ich glaube Chanyeol nicht mehr als dir. Und ich… ich mag dich wirklich. Ich bin dir dankbar für alles, was du getan hast, aber ich… Kris, ich liebe meine Familie, ich kann sie nicht zurücklassen. Wenn ich gehe, dann sind sie, wenn meine Eltern und mein Onkel zu alt werden um die Farm zu leiten, dem Untergang geweiht. Hätte ich nicht diese Verantwortung meiner Familie gegenüber, würde ich ohne zu zögern zusagen. Das würde ich wirklich«, den letzten Satz hatte er geflüstert und als er blinzelte, rollten ihm Tränen über die Wangen und er verfluchte sich dafür, dass er nun tatsächlich weinte. »Der Kuss war schön und es tut mir Leid, dass ich so ein Volltrottel bin. Ich… ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll. Du weißt, dass ich mit deiner Welt nicht zurechtkomme und… und-« Tao verstummte, weil er selbst nicht wusste, was er noch sagen sollte. Auch wenn er noch etwas sagen wollte. »Bitte, du musst mich verstehen. Du kannst mich nicht vor die Wahl stellen, ob ich mich für dich oder meine Familie entscheiden würde. Das ist nicht fair.« Wieso ging nicht einfach beides? »Ich mag das Leben, das ich geführt habe und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich das hier nicht mag, aber es ist ungewohnt für mich. Ich komm damit nicht so richtig klar und ich kann meine Eltern nicht im Stich lassen. Ich schulde ihnen so viel, dass ich sie nicht einfach stehen lassen kann, mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass sie enttäuscht von mir wären und ich vielleicht der Grund wäre, wieso die Farm irgendwann vielleicht nicht mehr über die Runden kommen würde. Das will ich nicht. Aber ich will auch nicht, dass du von mir enttäuscht bist, oder etwas denkst, das nicht stimmt.« Tao machte eine kurze Pause und es beunruhigte ihn, dass Kris noch immer nichts sagte und sich auch noch nicht umgedreht hatte, oder zumindest über die Schulter zu ihm sah.

»Du weißt nicht, wie sehr mich dein Angebot ehrt. Aber bitte… bitte gib mir Zeit.«

Es war so ironisch.

Es war so fürchterlich ironisch, dass ausgerechnet er, der die Zeit kontrollieren konnte, nach Zeit verlangte. Er könnte sie doch einfach anhalten und das hätte er in den letzten, schrecklichen Minuten auch gern mehr als nur einmal getan. Aber er wusste, dass das nichts ändern würde. Das hätte es nur herausgeschoben.

Tao hob seine Hand und strich sich die Tränen aus den Augen, zog die Nase leise hoch und er bemerkte erst zu spät, dass Kris sich zu ihm umgedreht hatte.

»Wieso weinst du?«, fragte er und klang irgendwie geschockt.

Und Tao gab ein verzweifeltes Lachen von sich, hob den Blick und sah aus seinen roten, schmerzenden Augen hoch zu Kris. »Weil ich ein Volltrottel bin«, sagte Tao dann und würde gern über sich selbst lachen. Als er das aber tat, liefen nur schon wieder Tränen über seine Wangen und Tao legte seine Hände auf die Augen und schämte sich für sein Verhalten und seine emotionale und sensible Seite.

Er spürte die großen Hände von Kris um seine Handgelenke und ließ ihn nur widerwillig seine Hände aus dem Gesicht ziehen. Er schluckte und blickte auf den Boden und blinzelte, versuchte die Tränenflüssigkeit zurückzuhalten.

»Ich gebe dir so viel Zeit, wie du möchtest«, sagte Kris dann und seine Stimme war fürchterlich beruhigend und Tao glaubte, dass er ihn noch nie so hatte reden hören. »Hör bitte auf zu weinen.«

»Tut mir Le-«

»Lass das«, unterbrach Kris seine Entschuldigung und Tao biss sich auf die Unterlippe und fuhr sicher mit dem Handrücken über die Wangen, nachdem Kris seine Hände wieder losgelassen hatte. »Danke«, brachte er leise hervor.

Kris schenkte ihm ein schmales Lächeln, das irgendwie fürchterlich müde wirkte. »Lass uns zurückgehen.«

»Okay«, sagte er leise.
 


 

Würde sein Vater oder sein Lehrer ihn hier erwischen, würde das die Hölle auf Erden für ihn bedeuten. Aus vielen Gründen. Erstens, weil er schon wieder den Unterricht schwänzte und vermutlich durchaus einige Leute nach ihm suchten, zweitens weil er das hier vorgeschlagen hatte und drittens, weil er den Blick nicht von Luhan nehmen konnte, der völlig entblößt vor ihm, bis zum Bauchnabel im Wasser stand, das in der Sonne verräterisch glänzte.

»Los, komm schon«, forderte ihn Luhan grinsend auf. Luhan wusste nicht, dass er eigentlich im Unterricht sein und Rechnen lernen sollte. Nein, Sehun hatte gesagt, dass er einen freien Tag hatte und dass er ihn gern mit ihm an der ‚einen Oase im Osten‘ verbringen würde. Er wusste selbst nicht so genau, was er sich dabei gedacht hatte, vielleicht hatte er den Gedanken, gemeinsam mit Luhan zu baden, einfach zu verführerisch gefunden. Und jetzt stand er in Sand, aus dem hin und wieder ein paar grüne Grashalme ragten, und blickte zu Luhan, der ihn noch immer völlig freudig angrinste.

Sehun hatte heute so einiges bedacht, aber ganz bestimmt nicht, dass er sich vor Luhan ausziehen musste, um mit ihm zusammen zu baden. Und genau das war das Problem. Sehun schämte sich fürchterlich für seinen Körper. Und der Gedanke, dass Luhan ihn nackt sehen würde, war irgendwie beängstigend, weil… weil er sich einfach für sein ganzes Erscheinungsbild schämte. Es war nicht nur das Lispeln, oder die Tatsache, dass er gewisse Stellen seines Körpers einfach nicht ansehen konnte ohne zu denken, dass es sicher lächerlich aussah, wenn man seine Körpergröße beachtete. Er hatte Hemmungen und dennoch wollte er nichts lieber, als neben Luhan in dieser beeindruckend tiefen Oase zu stehen.

»Sehun? Alles in Ordnung?«, fragte Luhan und Sehun wandte plötzlich ertappt den Blick von ihm und kratzte sich im Nacken. Er hatte wohl vergessen ihm zu antworten, während er versucht hatte mich sich selbst zu ringen. Aber der Stoffgürtel seiner Hose wollte sich nicht von selbst lösen und Sehuns Hände waren seiner Schüchternheit unterlegen. Und das war unglaublich dämlich, weil er in Luhans Gegenwart sonst nie schüchtern war. Er war ja normal auch immer der, der die Nähe zwischen ihnen minimierte und anfing ihn zu küssen. Aber das hier war irgendwie anders. Weil er immer noch Klamotten anhatte, wenn sie sich küssten, und es auch noch nie so weit gegangen war, dass das nicht mehr der Fall gewesen war. Auch wenn Sehun das unbedingt wollte. Manchmal träumte er sogar davon, aber jetzt traute er sich nicht einmal seine Klamotten abzulegen und zu ihm ins Wasser zu steigen. Das war so dämlich.

»Ah, ja, doch«, sagte er und irgendwas in ihm wollte wegrennen. Er schluckte. Und Luhan schien ihn gut genug zu kennen um zu wissen, dass er sich gerade selbst im Weg stand. »Willst du nicht mehr?«, fragte Luhan vorsichtig. »Wir können auch was anderes machen, wenn du nicht mehr baden willst.«

»Nein! D-doch, ich will schon«, sagte er dann etwas unsicher, nachdem das ‚Nein‘ sofort und laut über seine Lippen gedrungen war.

Luhan blickte ihn einen Moment verwirrt an, ehe er sich zu ihm bewegte und als er aus dem Wasser stieg, traute Sehun sich nicht seinen Blick zu senken und spürte, wie ihm – aus welchem dämlichen Grund auch immer – das Blut in die Wangen stieg. Sein Freund blieb vor ihm stehen.

»Was ist los?«, fragte Luhan vorsichtig und schenkte ihm einen besorgten Blick aus seinen dunklen, wunderschönen Augen.

»Ich trau mich nicht«, flüsterte Sehun dann und biss sich auf die schmalen Lippen, weil das peinlich war. Peinlich und total dämlich.

Aber Luhan lachte ihn nicht aus, er schenkte ihm nur ein schmales Lächeln und hob seine Arme, legte sie an den Stoffgürtel und fing an ihn aufzuknoten. »Ich helfe dir«, erklärte er ruhig und Sehuns Herz hatte für einen kurzen Moment ausgesetzt.

»Das… das musst du nicht tun«, sagte Sehun und verfluchte sich dafür, dass er plötzlich wieder ein großer Trottel war.

»Ich möchte aber«, sagte Luhan. »Immerhin will ich mir nicht entgehen lassen, dich ohne Klamotten zu sehen.«

Wieso war sein Gesicht plötzlich so fürchterlich heiß? Würde er im Moment nicht im Schatten einer Palme stehen, würde er es auf die Sonne schieben, aber so war wohl Luhan und seine lüsternen Worte der Grund dafür.

Sehun schluckte erneut, öffnete die Lippen und brauchte einen Moment, bis er die Worte wieder fand. »D-das wird dich nur enttäuschen«, sagte er dann und traute sich immer noch nicht an Luhan, der direkte vor ihm stand und noch immer an seinem Gürtel festhielt, herunterzusehen.

»So ein Quatsch«, sagte Luhan, ging auf die Zehenspitzen und drückte seine Lippen sachte auf Sehuns. Und vermutlich war es reiner Reflex, dass er die Berührung nicht nur kurz beließ, sondern seine Lippen hungernd gegen die des anderen bewegte. Luhan schien den Moment, den Sehun brauchte um die Oberhand des Kusses zu gewinnen, zu nutzen, um den Knoten an seiner Hose zu öffnen.

Sehun ließ ihn machen. Vielleicht war er sogar verdammt dankbar dafür, dass er das tat. Weil er ja wirklich gern mit ihm baden würde. Und die Oase war abgelegen genug, dass sie hier niemand vom Schloss sehen würde. Hier würde sie vermutlich niemand sehen. Zumindest hoffte er das ganz stark.

Der Kuss wurde schließlich gelöst und Luhans Hände zogen den Saum seines weichen Oberteiles nach oben. »Los, Hände hoch«, sagte er mit einer vollkommen ruhigen Stimme und dennoch klang es irgendwie nach einem liebevollen Befehl. Sehun hob zögernd die Hände und ließ sich aus dem Stück Stoff befreien, dass irgendwo, neben Luhans Klamotten, im hellen Sand landete.

Als Luhan seine Hände an den Bund seiner weiten Hose legte, gab Sehun ungewollt ein fast schon leidendes Geräusch von sich. Luhan hielt inne und blickte fragend zu Sehun und als Sehun seinen Blick erwiderte, bemerkte er, dass Luhan seine Hände zögernd zurück nahm und ihn entschuldigend ansah, seinen Blick senkte.

»Tut mir Leid«, entschuldigte Luhan sich dann leise.

Er sollte sich nicht entschuldigen. Es gab keinen Grund dafür, dass er sich entschuldigen musste. »Es ist mir peinlich«, brachte er viel zu schnell über seine Lippen und erntete dafür einen verwunderten Blick von Luhan. Und im nächsten Moment legte sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen.

»Das muss dir nicht peinlich sein«, kam sanft von Luhan. »Dafür gibt es doch gar keinen Grund.«

»D-doch«, widersprach Sehun.

»Und zwar?«, wollte Luhan wissen und Sehun hätte ihn dafür gern ins Wasser gestoßen.

»Ich… Mein…«, fing er an und wusste nicht, wie er bitteschön in Worte fassen sollte, wieso genau er sich für seinen Körper schämte. Fakt war wohl, dass Sehun nicht glaubte, dass er perfekt genug für Luhan wäre. Oder sonst irgendjemand.

»Sssh«, machte Luhan und hatte ihm einen Finger über die Lippen gelegt, die von dem Kuss noch ganz leicht angefeuchtet waren. »Hör auf. Du bist wunderschön. Und ich werde meine Meinung auch nicht ändern, wenn du keine Hose mehr an hast. Dir muss das nicht peinlich sein. Und wenn du willst, guck ich einfach weg, ja?«

Luhan war so perfekt. Alles an ihm war so unglaublich liebenswürdig. Es war doch gar kein Wunder, dass er so fürchterlich viele positive Gefühle für diese Person hatte.

Sehun schluckte. »Okay«, brachte er dann kaum hörbar über die Lippen und Luhan lächelte. »Aber mach du das.« Nachdem er den Satz noch schnell hingehängt hatte, schien Luhan einen Moment etwas verwirrt zu sein, ehe er wusste, was er meinte.

Luhan nickte. »Ich verspreche, dass es keinen Grund gibt dich zu schämen.«

Sehuns Puls hatte schlagartig wieder zugenommen, als Luhan ihm schließlich zusammen die letzten zwei Kleidungsstücke von den Hüften schob, die geräuschlos im Sand landeten.

Und jetzt gab es kein Zurück mehr und Sehun hätte seine Hände am liebsten schützend vor seinen intimen Bereich gehalten, aber Luhan griff zu seinen Händen, drehte sich etwas um und zog ihn endlich in das Wasser, das durch die Hitze der Sonne fürchterlich warm, aber dennoch eine Erfrischung zu der heißen Luft, war.

Erst als sie beide bis zum Bauch im Wasser standen, ließ Luhan ihn los und drehte sich wieder ganz zu ihm, grinste ihn freudig an.

»Siehst du? War gar nicht schlimm. Und ich hab auch nicht geguckt.« Er zwinkerte ihm zu und Sehun hob seine Hände aus dem Wasser und legte sie über seine Wangen. »Hör auf, das ist peinlich«, sagte er dann und hörte Luhans warmes Lachen. Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und er ließ die Hände schließlich wieder sinken und irgendwie gab es tatsächlich keinen Grund sich zu schämen. Das lag natürlich an Luhan, weil er so verdammt perfekt war und ihm gar keinen Grund gab, sich schämen zu müssen.

Luhan ging in die Knie und war schließlich bis zum Schlüsselbein im Wasser, sah zu ihm hoch. »Es war eine gute Idee hier her zu kommen. Ich war hier schon so lange nicht mehr.«

»Na, wenn Kris nicht da ist, hast du ja auch nicht halb so viel zu tun«, meinte Sehun. Immerhin kam Kris ständig mit seinen Extrawünschen, was seinen privaten Zoo anging. Und wenn er nicht da war, musste sich Luhan nur um das Übliche kümmern und hatte auch mal mehr Zeit für sich selbst. Oder eben für Sehun. Dass Sehun theoretisch keine Zeit für die Person, in die er unsterblich verknallt war, hatte, ignorierte er – denn er nahm sich die Zeit einfach. Auch wenn sein Vater ihn dafür sicher gern enterben würde, würde er das erfahren. Aber er würde es nicht erfahren und das war gut so. Es war in Ordnung, dass ihre Beziehung geheim war, denn das machte alles nur noch prickelnder, auch wenn es manchmal wirklich, wirklich schwer war.

Sehun tat es ihm gleich, ging ebenfalls in die Knie, sodass ihm das Wasser bis zu den Schultern ging und spürte den kernigen Sand unter seinen nackten Füßen.

Ihr kurzes Gespräch hatte ohne weitere Worte ein Ende gefunden und die beiden grinsten sich einen Moment einfach nur an, ehe Sehun seine Hand hob und in dem klaren Wasser nach Luhans griff.

»Ich bin so froh, dich zu haben«, sagte er dann und wünschte sich, dass er wenigstens bei solchen Sätzen nicht lispeln müsste. Aber egal wie sehr er sich anstrengte, so wirklich weichen wollte es nie. Und würde er wissen, wie sehr Luhan seine Stimme mochte, würde er vielleicht sogar aufhören es überhaupt zu vertuschen.

Luhans Lächeln wurde plötzlich breiter und im nächsten Moment verminderte er den Abstand zwischen ihnen komplett. Luhans Hände landeten an seinem Rücken und Sehun konnte den gesamten Körper des anderen auf seiner Haut spüren und glaubte, dass ihm die Sache spätestens jetzt wieder minimal peinlich wurde. Sein Herz hatte sich vor Überraschung und Nervosität wieder daran gemacht schneller als üblich zu schlagen, während Luhan ihn einfach nur fest umarmte.

Es war egal, dass Luhan nichts sagte, denn in diesem Moment waren Worte wohl sowieso vollkommen fehl am Platz. Sehun hob seine Arme ebenfalls und schlang sie um den schönen Körper des anderen, legte sein Kinn auf Luhans Schulter und blickte mit halb gesenkten Augenlidern gegen die wenigen grünen Pflanzen, die um die Oase wuchsen.

Er sollte öfters den Unterricht schwänzen und dafür sorgen, dass Luhan sich nackt an ihn klammerte.
 


 

Überfordert damit, wie er seine derzeitige Gefühlslage beschreiben sollte, saß er auf dem weichen Kissenhaufen, der die letzten Tage sein Bett gewesen war. Und es war das bequemste Bett gewesen, in dem er je geschlafen hatte. Und eigentlich wollte er auch gar nicht hier weg, aber dennoch merkte er, dass er seine Familie und die Arbeit vermisste. In den ersten Tagen war das nicht der Fall gewesen aber jetzt, wo er wieder allein in diesem Zimmer war, bemerkte er, dass ihm einfach eine Beschäftigung fehlte.

Denn seine einzige Beschäftigung im Moment war daran zu denken, was passiert war und was er gesagt hatte. Und das bescherte ihm eklige Bauchschmerzen. Weil er glaubte, dass er alles zerstört hatte und das hatte er wirklich nicht gewollt, auch wenn seine Worte durchaus das gewesen waren, was er gedacht hatte. Und jetzt kam er sich blöd vor, dass er so etwas gesagt hatte. Und die Worte, die Kris ihm daraufhin vor die Füße geworfen hatte, waren auch alles andere als schön gewesen. Sie hatten ihn wirklich verletzt; vermutlich hatte er deswegen auch angefangen zu weinen. Auch wenn er sich fürchterlich dafür schämte. Er hatte ihn nicht verärgern wollen und es tat ihm leid, dass er nicht nachgedacht hatte. Er hätte doch eigentlich wissen müssen, dass Kris das nicht tat, weil er nur sexuelles Vergnügen von ihm wollte. Wieso hatte er das dann also gedacht? Hatte Chanyeol ihn so verunsichert, oder war es einfach deswegen dagewesen, weil er sich nicht vorstellen konnte, was der Prinz an ihm finden könnte? Vermutlich.

Das Problem war, dass er eingesehen hatte, dass er die Sache versaut hatte, und dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Er mochte Kris. Ja, er fand ihn fürchterlich sympathisch und irgendwie war der Kuss durchaus schön gewesen. Zwar verdammt seltsam, weil er damit nicht gerechnet hätte, aber dennoch nicht im negativen Sinne. Aber Tao konnte seine Familie nicht im Stich lassen. Sie brauchten ihn und deswegen würde er nicht einfach gehen können. Wieso ging nicht beides? Wieso konnte er nicht bei seiner Familie und gleichzeitig bei Kris bleiben?

Es war eine Zwickmühle, die dazu führte, dass es ihm nicht gut ging. Er hatte sogar Angst Kris wieder unter die Augen zu treten. Und er glaubte, dass es fürchterlich merkwürdig werden würde, wenn sie zurückfliegen würden. Der Flug würde seltsam werden und genau so auch die Landung und das, was danach passieren würde. Auch wenn Tao noch gar nicht wusste, wie es dann ablaufen würde. Er wollte eigentlich gar nicht gehen, aber er wollte auch nicht im Schloss bleiben.

Vielleicht fühlte sich so Verzweiflung an. Weil er einfach nicht wusste, was er tun oder sagen sollte. Aber am schlechtesten fühlte er sich wohl, weil ihm bewusst war, wie sehr er Kris mit seiner Aussage verletzt hatte. Das hätte wohl jeder gemerkt, selbst jemand, der Kris nicht gekannt hatte. Allein an seiner Reaktion und dem Ton seiner dunklen Stimme hatte man es gesehen und gehört. Und Tao hatte das nicht gewollt.

Kris hatte ihm mitgeteilt, dass es normal noch ein Abendessen gab, aber dem würden sie nicht mehr beiwohnen, weil der Flug zurück wohl doch recht lang dauerte. Vermutlich nicht so lang wie die Reisen der andren, denn die waren immerhin per Schiff angereist, aber dennoch würden sie schnell aufbrechen. Und Tao wusste inzwischen nicht mehr, ob er gehen wollte, oder nicht. Im einen Moment wollte er zurück nach Hause, im anderen wollte er für immer hier bleiben. Es war schrecklich, seine Gedanken überschlugen sich und wechselten die Meinung von einer Sekunde auf die nächste.

Und der einzige Entschluss, zu dem Tao gekommen war, war, dass er sich bei Kris entschuldigen musste. Noch einmal. Das verdiente er und Tao konnte nicht damit leben, wenn er sich nicht noch einmal aufrichtig entschuldigen würde. Er wusste nur nicht, ob Kris das auch annehmen würde, denn die letzten Momente, die sie zusammen verbracht hatten, hatte Kris wie ausgewechselt gewirkt. Irgendwie genervt und so, als würde er seine Ruhe wollen. Unnahbar.

Dass Kris sich nur so verhielt, weil er nicht verletzlich sein wollte, bemerkte Tao natürlich nicht. Mit dem prinzlichen Stolz kam er wohl immer noch nicht zurecht; er verstand ihn einfach nicht. Er verstand auch Kris nicht. Aber vermutlich war es wirklich schwer, ihn zu verstehen und zu durchschauen. Möglicherweise war Tao auch einfach nur schlecht darin.

Mit einem vollen Kopf und viel zu vielen Gedanken, die kein gutes Ende finden wollten, saß er also in dem Zimmer, das plötzlich nur noch halb so einladend wirkte wie zuvor, und wartete darauf, dass Kris von seiner Besprechung zurückkam und ihm sagte, dass sie gehen würden. Er wartete darauf, dass Kris zurückkam und Tao ihm sagen konnte, dass er mit ihm reden wollte. Er wollte sich entschuldigen.

Weil er sich schlecht fühlte. Das schlechte Gewissen fraß ihn auf und er glaubte, dass er Kris extrem ungerecht behandelt hatte. Und erstens sollte er das in seiner Position nicht einmal wagen und zweitens wollte er das nicht. Kris hatte so viel für ihn getan, dass es unfair war so zu ihm zu sein. Oder so von ihm zu denken.

Tao war ein großer Idiot.

Er seufzte, stützte die Wange mit der Hand und den Ellbogen am Knie ab und blickte zur Seite. Das Warten war unangenehm. Die letzten Tage war es manchmal schon langweilig gewesen auf Kris zu warten, aber da hatte er sich immer gefreut. Und jetzt hatte er, wenn er ehrlich war, ein bisschen Angst.

Erst als die Tür geöffnet wurde, richtete Tao seinen Blick wieder nach vorn. Urplötzlich wurde er nervös, und als Kris im Raum stand, blickte er zu ihm hoch und erhob sich schließlich aus dem weichen Kissenhaufen.

»Können wir reden?«, platzte es sofort aus ihm heraus und Kris beobachtete ihn einen Moment, und blickte dann weg.

»Nicht mehr hier. Komm mit. Wir fliegen zurück.«

Beim langwierigen Warten war ihm irgendwann der Gedanke gekommen, dass Kris ihn vielleicht einfach hier lassen würde. Tao war froh, dass er das nicht getan hatte, dennoch war er nicht zufrieden damit, dass sie nicht reden konnten. Der Flug würde sicher unangenehm werden.

»Okay«, sagte er nur leise und tonlos und folgte Kris aus dem Zimmer, blickte noch einmal zurück und verabschiedete sich mental von dem schönen Paradies, in dem er die letzten Tage gelebt hatte.

Eine bedrückende Stille herrschte zwischen ihnen, während sie durch den hellen Flur liefen, und Tao empfand sie als unglaublich unangebracht und negativ.

»Es tut mir Leid«, brachte er dann hervor.

Kris reagierte nicht, starrte nach vorn und verzog kein Gesichtsmuskel. Und Tao glaubte, dass er für einen Moment absolut hilflos war. Er wandte den Blick von Kris‘ Seitenprofil ab und blickte auf den Boden, während er seine nackten Füße beobachtete. Und dann blieb er plötzlich stehen.

»Ich hab die Schuhe vergessen.« Schon wieder. Das war ihm hier ständig passiert. Aber der Mensch war eben ein Gewohnheitstier. »Ich hol sie eben.«

Kris war ebenfalls stehen geblieben. »Ich warte draußen. Du findest den Weg?«

Taos Antwort war ein Nicken. Schnell und ohne auf Kris‘ Reaktion oder Aufforderung zu warten, lief er mit eiligen Schritten zurück, betrat das Zimmer und fand die Schuhe unter einem der Kissen. Seufzend zog er sie an und verließ den Raum wieder. Er machte sich auf den Weg zurück und beobachtete dabei den beeindruckenden Flur, den er wohl nie wieder sehen würde. Das war irgendwo in Ordnung, was es jedoch nicht minder schade machte. Es war schön gewesen, überhaupt hier zu sein.

»Warte«, hörte er plötzlich eine tiefe, männliche Stimme. Aus reinem Reflex war er stehen geblieben, hatte sich umgedreht und erblickte Chanyeol, der in einem gemütlichen Gang auf ihn zulief.

Das hatte jetzt ja noch passieren müssen. Tao sollte einfach wegrennen. Dummerweise hatte er dafür nicht genug Mut.

»Ja?«, fragte er dann unsicher und wusste nicht, wie er sich Chanyeol gegenüber verhalten sollte.

»Ich werde dich nicht lange aufhalten. Ich weiß, dass Kris dir, und mir vermutlich auch, deswegen sonst den Kopf abreißen würde. Aber er lässt ja nicht zu, dass ich mit ihm rede. Wie auch immer – du musst mir einen Gefallen tun.«

Tao blickte zu ihm, blinzelte etwas unsicher. »Was für einen Gefallen?« Er wollte ihm keinen Gefallen tun. Weil Kris ihm gesagt hatte, er sollte sich von Chanyeol fern halten. Keine gute Gesellschaft, kein guter Umgang.

»Ich möchte, dass du Baekhyun etwas ausrichtest. Du kennst ihn doch, oder?«

Tao nickte zögerlich. »Ja. Aber ich… weiß nicht, ob ich ihn nochmal sehe.«

»Dann richte es ihm aus, wenn du ihn siehst. Oder sorg dafür, dass du es ihm sagen kannst.« Das war ein Befehl. Tao fühlte sich sofort unwohl in seiner Haut.

»Okay«, kam über seine Lippen. Einfach nur, weil er besser nicht widersprechen sollte.

Chanyeol trat näher und sagte ihm die Worte, die er Baekhyun ausrichten sollte, direkt ins Ohr, genau so, dass niemand anderes sie hören konnte. Chanyeol nahm, nachdem er seine Nachricht geendet hatte wieder Abstand und blickte zu Tao.

»Verstanden?«

»Ja«, sagte Tao vollkommen verwirrt.

»Gut«, machte Chanyeol und schenkt ihm ein Lächeln, dass Kris als verlogen und falsch beschrieben hätte, das Tao ihm jedoch absolut abkaufte. »Danke.«

Und dieser Dank war mit Abstand das merkwürdigste, was er hier erlebt hatte. Und Tao hatte viele merkwürdige Dinge erlebt.

Tao nickte nur, verbeugte sich leicht – weil es angebracht war – und sprintete schließlich aus dem Gebäude. Immerhin wartete Kris auf ihn. Und er wollte ihn nicht unnötig warten lassen.

Er fand es schade, dass er Jisun nicht mehr gesehen hatte. Aber sie hatten sich am Vortag schon verabschiedet für den Fall, der leider eingetreten war, dass sie sich nicht mehr sehen würden. Er hätte sich trotzdem noch gern von ihr verabschiedet. Stattdessen konnte er das nur bei Lay tun, dem er dankte. Aus welchen Gründen auch immer. Es war ihm richtig vorgekommen.

Tao warf einen Blick in Kris' Gesicht, versuchte zu lächeln, und glaubte, dass er scheiterte. Vielleicht auch deswegen, weil Kris ihm diesen Blick zuwarf, den er ihm ganz am Anfang immer geschenkt hatte. Und das fühlte sich nicht angenehm an.

Der Flug würde eine mentale Qual für Tao werden.

Acht

Es war schlicht und einfach merkwürdig wieder hier zu stehen. Kris‘ Zimmer hatte sich nicht verändert und wäre das passiert, hätte er sich sicher auch Gedanken gemacht. Dennoch lag es nicht daran, dass die teure Einrichtung ihn verunsicherte, sondern eher daran, dass er und Kris in seinem Zimmer waren, damit sie reden konnten. Oder damit Tao reden konnte.

Und jetzt wusste er nicht mehr, was er sagen sollte.

Der Rückflug war lang gewesen und Tao hatte nicht gewusst, ob es in Ordnung war, wenn er sich wieder an Kris festhielt. Getan hatte er es letztendlich aber trotzdem. Er hatte sich Gedanken gemacht, was er sagen würde, den ganzen verdammten Flug lang; und jetzt? Jetzt wusste er nicht mehr, was für kluge Worte er sich herausgesucht hatte.

Seine Lippen waren trocken und klebten aufeinander. Der Abend war bereits eingetreten und von der kalten Nacht, die es sicher geben würde, war noch nichts zu spüren, weil die Luft noch unglaublich warm war. Es tat gut dieses Klima wieder zu spüren, es war so vertraut, aber dennoch war das nichts, worüber er sich im Moment freuen konnte.

Kris und er standen sinnlos im Raum, der Prinz hatte seine Arme verschränkt und Tao bemerkte, dass der Teppich sicher verdammt viel Handarbeit gewesen war.

»Du wolltest mit mir reden«, erinnerte Kris ihn. Tao hob schnell seinen Kopf und sah ihn an. Er glaubte, dass Kris eine Entscheidung wollte.

»Bitte hör auf damit«, brachte er dann heraus, ohne zu wissen, wieso er ausgerechnet das sagte, was er nicht hatte sagen wollen.

Kris runzelte die Stirn und Tao fühlte sich, als wäre sein kurzer Mut sofort wieder verschwunden. »Womit?«

»Damit, dass du mich… anschweigst. Ich… ich weiß, dass du sauer auf mich bist. Und ich kann das verstehen. Ich kann das wirklich verstehen. Ich bin es ja auch. Irgendwie.« Vielleicht hätte er das irgendwie weglassen sollen.

Kris ließ seine Schultern kurz kreisen und Tao konnte ein beunruhigendes Knacken hören. »Du weißt, dass ich nicht undankbar sein möchte. Und du weißt, wie viel es mir bedeutet, dass du mir die Möglichkeit gegeben hast, das alles erlebt zu haben.« Er machte nur eine kurze Pause. »Ich wollte dich nicht verletzten. Meine Worte waren dumm und unüberlegt. Bitte verzeih mir.« Er konnte froh sein, dass Kris ihn gut genug leiden konnte, denn unter Umständen hätte er ihn sonst vielleicht köpfen lassen. Und Ace zum Abendessen serviert. Dann wäre er so geendet wie die vielen toten Kamele und andere Tiere auf dem Haufen, die sich Aces Abendmahl geschimpft hatten.

»Kann ich… Geht nicht einfach beides?« Einfach. Falsches Wort in so einem Satz. Denn einfach war an der Sache wohl nichts.

Kris seufzte und ließ sich auf dem Bett nieder und er winkte Tao zu ihm, klopfte neben sich und etwas zögerlich setzte er sich neben den Prinzen von Ilha.

»Ich verstehe, dass du deine Familie nicht zurücklassen willst. Ich bin nur sauer, weil es mir nicht passt. Ich bekomme sonst immer das was ich möchte und alles läuft immer so, wie es mir gefällt. Aber wir wissen beide, dass du schon von Anfang an eine Ausnahme gebildet hast. Das stört mich und gleichzeitig ist das vielleicht auch der Grund wieso ich… dich sympathisch finde.« Irgendwie schien es Kris nicht leicht zu fallen ihm zu sagen, dass er ihn leiden konnte. »Es gefällt mir nicht, dass du nicht einfach zusagst. Ich bin der Kronprinz und du bist nur ein lausiger Alpakabauer« - er schien das Wort zu mögen - »der genug Mut besitzt um mir zu widersprechen oder ein Angebot abzuschlagen. Das ist so dumm und bewundernswert zugleich. Aber es nervt mich trotzdem. Weil ich nachvollziehen kann, wieso du nicht bleiben möchtest.« Und dann wurde Tao klar, was Kris‘ Problem war.

Kris verstand ihn. Kris konnte ihn nachvollziehen und deswegen gab er nach. Er beharrte nicht darauf, dass Tao das tat was er ihm sagte, sondern er ließ ihm die Wahl. Auch wenn ihm genau das nicht gefiel. Genau so wenig wie die Tatsache, dass er keine Zusage bekommen hatte. Kris wollte nicht, dass er ging, aber er respektierte ihn offensichtlich genug, dass er das zulassen würde.

Und vor ein paar Wochen hätte jeder gelacht, hätte das irgendjemand über den Prinzen erzählt. Die Bewohner der Häuser in der Nähe ihrer Farm hätten es als Märchen abgestempelt. Denn Kris‘ Ruf war nicht unbedingt der Beste, wenn es in gewisse Richtungen ging. Und bevor Tao ihn kennengelernt hatte, hatte er nur schlechtes über ihn erfahren. Einiges davon war durchaus wahr, aber so wie es aussah hatte Kris auch eine mitfühlende Seite – auch wenn sie dem Prinzen nicht gefiel.

Tao bemerkte nicht, dass sein Puls zugenommen hatte, als ihm bewusst geworden war, was genau Kris störte.

Er wusste nicht, was er sagen sollte, blickte nach vorn, drückte die Lippen, die er sich schnell mit der Zungenspitze angefeuchtet hatte, damit sie nicht mehr so verdammt trocken waren, wieder zusammen und bemerkte, dass seine eigenen Gedanken ihn so nervös machten, dass seine Hände anfingen zu schwitzen.

»Können wir uns noch einmal küssen?«, verlieh er seinen absurden Gedanken schließlich eine Sprache und schluckte nervös. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Kris überrascht zu ihm sah und als Tao seinen Kopf ebenfalls zu ihm drehte, bemerkte er ein schmales Grinsen auf den Lippen des Prinzen.

Und dieses schmale Grinsen beruhigte ihn. Weil das viel mehr dieser Kris war, den er wirklich gern gewonnen hatte. Vermutlich war das auch der Kris, den er offensichtlich doch noch einmal gern küssen würde.

»Können wir«, antwortete Kris mit seiner dunklen Stimme und Tao konnte den Funken der Zufriedenheit hören.

Kris beugte sich in seine Richtung und Tao konnte nicht anders, als seine durchaus merkwürdigen Lippen einen Moment zu beobachten, ehe er die Augen schließlich schloss. Es fühlte sich richtig an die Augen zu schließen und den Kuss, der folgte, zu genießen. Vorsichtig versuchte er die Bewegungen von Kris' Lippen zu erwidern und glaubte, dass er sich ganz gut schlug.

Er versuchte ruhig durch die Nase zu atmen, was im nächsten Moment aber gar nicht mehr so einfach war, weil Kris der Meinung war, den Kuss intensiver werden zu lassen. Tao gab ungewollt ein erschrockenes Geräusch von sich, spürte nur am Rande, dass sich Kris Lippen zu einem kurzen Grinsen verzogen hatten. Tao behielt seine Hände bei sich und versuchte mit dem stürmischen, dominierenden Kuss klarzukommen, was gar nicht so einfach war. Er genoss diesen Kuss durchaus, aber irgendwie fühlte es sich auch so an, als würde Kris ihn dazu verpflichten wollen, sein Angebot anzunehmen. Denn je länger er ihn küsste, desto mehr fühlte es sich danach an, dass er bei ihm bleiben sollte. Dass Kris ihn wirklich brauchte.

Wahrscheinlich war das nur Humbug. Weil Kris ein Prinz war und sicher keinen lausigen Bauern wie ihn brauchte, aber möglicherweise ging es hier nicht um den Platz in der Hierarchie, sondern viel mehr um die Tatsache, dass Kris ihn wirklich mochte. So sehr, dass er seine Lippen feucht küsste und so sehr, dass er seine Hände an Taos Seite und Rücken legte, ihn näher zog und gleichzeitig daran hinderte, dass er flüchten konnte.

Er zögerte nur einen Moment, glaubte aber, dass es absolut in Ordnung war, Kris ebenfalls zu berühren. Also hob er seine Hände und legte seine Arme um Kris, so gut es ihre Position eben zuließ, lehnte sich weiter in den stürmischen Kuss, über den Tao schon lange die Kontrolle verloren hatte.

Als der Kuss schließlich gelöst wurde, öffnete Zitao seine Augen langsam, nur um danach ins Kris' Gesicht zu sehen, der sich kaum von ihm entfernt hatte. Gerade weit genug, dass er ihn durch die Nähe nicht verschwommen sah.

Er wollte irgendetwas sagen. Am liebsten, dass er hier bleiben wollen würde, aber das ging nicht. Tao hatte Verantwortung auf seinen Schultern. Er konnte nicht einfach aufhören seiner Familie zu helfen, nur weil er im Schloss sitzen und heiße Küsse genießen könnte.

Der Blickkontakt hielt einige Augenblicke, Kris fuhr sich minimal mit der Zunge über seine Lippen, ehe er sich wieder aufrecht hinsetzte. Und Tao fühlte sich ein wenig schlecht. Schlecht und verwirrt und überfordert.

»Ist es denn nicht möglich, dass ich hin und wieder einfach kommen kann? Ich arbeite auch gern hier, als was auch immer. Ich kann meine Familie nur nicht ganz zurücklassen.« Es war ätzend, es jedes Mal wieder zu wiederholen. Wahrscheinlich wollte Kris es gar nicht hören.

Kris schien einen Moment zu überlegen, hatte den Blick von ihm gewandt und sah irgendwo an die Wand. »Natürlich geht das, wenn ich das möchte. Hast du vergessen, mit wem du sprichst? Hier erfüllt man mir jeden Wunsch. Und ich werde dir deine Wünsche erfüllen. Wenn du nur hin und wieder hier sein möchtest – oder kannst – dann muss ich damit klarkommen. Auch wenn ich ein egoistischer Mensch bin und dich gern ganz hätte.«

Tao hatte den Blick gesenkt, spürte die berührte Wärme in seinem Gesicht und hoffte inständig, dass seine Wangen nicht sichtbar gerötet waren.

Vorsichtig hob Tao eine seiner Hände, griff um eine von Kris und zog sie in seine Richtung.

Er erinnerte sich an Baekhyuns Worte, die er ihm vor wenigen Tagen im Bad gesagt hatte. Und genau das war auch der Grund, wieso er plötzlich anfing, Kris' Hand zu massieren. Auch wenn er nicht wusste, wie genau er das tun sollte. Tao kam einfach das, was ihm richtig erschien und er würde vermutlich bemerken, welche Berührungen Kris besonders mochte. »Danke«, flüsterte er leise, während seine beiden Daumen Kris' Handinnenseite mit leichten Kreisen massierten.

Kris antwortete nicht, sondern sah nur einen Moment auf seine und Taos Hände, ehe er ein leises Seufzen von sich gab und die Augenlider genüsslich schloss. Tao hatte seinen Kopf leicht gehoben, schielte zu dem Prinzen und musste selbstsicher grinsen, weil seine Tat wohl durchaus angenehm für ihn war.

Er musste Baekhyun dafür danken.

Und oh. Baekhyun sollte er ja auch noch eine Nachricht überbringen. Das durfte er nicht vergessen. Wobei er nicht glaubte, dass er das tun würde, weil Chanyeol ihn sicher im Schlaf verfolgen würde.
 

Es war komisch wieder hier zu stehen und von seiner Mutter umarmt zu werden. Und gleichzeitig spürte er, dass er irgendwie froh war, wieder zu Hause zu sein. Gleichzeitig vermisste er den sauberen Palast, das gute Essen und Kris.

Emeralt war wunderschön gewesen und es war kaum vorzustellen, dass so ein grüner Ort wirklich existierte, wenn man sich hier umsah. Hier war alles grau, braun und gelb. Nur selten konnte man Gras sehen, dessen Grünton man vielleicht erahnen konnte. Es waren einfach absolut verschiedene Welten.

Dennoch war er hier mit gemischten Gefühlen. Im einen tat es gut, seine Mutter wieder zu umarmen und wieder zu Hause zu sein, im anderen fühlte er sich nicht wohl dabei, Kris zurückzulassen, nach den Worten, die er ihm gesagt hatte.

Aber das hier war richtig. Seine Familie brauchte ihn und seine Mutter sagte, dass sie ihn fürchterlich vermisst und schon befürchtet hatte, dass man ihm etwas angetan hatte. Tao hatte gesagt, dass es ihm wirklich gut ging und dass sie sich keine Sorgen machen musste. Und dann hatte er angefangen zu erzählen, viel eher zum Schwärmen und seine Mutter hatte schmal gelächelt. Sie konnte sich das gar nicht so richtig vorstellen, hatte sie gesagt und Tao hatte geglaubt sie zu verstehen. Immerhin lag es nahe, dass man grüne Wiesen, so weit das Auge reichte, nicht glauben wollte, wenn man in einer Wüste aufwuchs. Dass sie jedoch gemeint hatte, dass Tao so begeistert von dem Prinzen war, hatte er nicht erraten oder ahnen können.

Und irgendwann hatte er sich auch getraut zu sagen, was Kris ihm vorgeschlagen hatte.

»Das ist eine große Ehre«, sagte seine Mutter schließlich und Tao wusste nicht, wie er ihre Emotionen deuten sollte.

»Aber ich kann euch doch nicht allein lassen«, wiederholte er die Worte, die er auch zu Kris gesagt hatte.

»Du kannst einem Prinzen doch keinen Wunsch abschlagen«, kam von ihr.

Tao blinzelte. »Natürlich kann ich das. Immerhin geht es um euch und ihr braucht mich doch. Oder?«

»Aber Tao, natürlich brauchen wir dich«, sagte sie und umarmte ihn, nuschelte leise, dass sie stolz auf ihn war, auch wenn ihm das sicher den Kopf hätte kosten können.

»Kris ist gar nicht so schlimm«, sagte er dann, während seine Mutter ihn noch immer umarmte. »Er ist zwar sehr eigen, aber eigentlich nett.« Zumindest war er das zu ihm.

Dass seine Mutter ihm aber nicht so wirklich glaubte, merkte er spätestens, als sie meinte, dass er dennoch aufpassen sollte. Weil man mit Prinzen nicht spielte und sie erst recht nicht verärgerte. Erneut sagte sie, dass sie sich Sorgen gemacht hatte und froh war, dass er wieder heil zurückgekommen war.

Letztendlich hatte er sich aus ihrer Umarmung befreit und gesagt, dass er seinem Onkel bei der Arbeit helfen würde.
 

Die nächsten Tage waren wie im Flug vergangen und es war alles wieder so gewesen, wie vor dem Treffen mit Kris. Tao hatte seinen üblichen Tagesrhythmus angenommen und er bemerkte, dass er Kris vermisste. Und gleichzeitig störte es ihn, dass Kris nicht vorbei kam, oder niemand schickte, der ihn holte. Er wollte ihn wieder sehen und viel mehr noch wollte er ihn wieder küssen.

Aber je mehr Stunden vergingen, desto stärker glaubte er, dass er es vielleicht versaut hatte. Auch wenn er sich sicher war, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Natürlich hatte er das, natürlich. Immerhin ging es hier um seine Familie und die war nun mal alles, was er hatte.

Und jetzt hatte vielleicht auch noch komische Emotionen für diesen komischen Prinzen, den er nicht verstand. Obwohl er das wirklich gern tun würde, aber Kris war nach wie vor noch ein Mysterium und Tao regte sich auf, dass er kein Zeichen von sich gab. Vielleicht waren seine Worte ja doch nur eine Lüge gewesen und Tao hatte sich einlullen lassen. Aber... nein, das wollte er nicht glauben. Dafür vertraute er Kris zu sehr.

Trotzdem fragte er sich, wieso Kris nichts tat, damit sie sich wieder sehen konnten. Denn Tao konnte ja schlecht zum Palast laufen. Die Wachen würden ihn ja auslachen, selbst wenn sie ihn zuvor mit Kris gesehen hatten.

Er wusste nicht ob er traurig, wütend oder einfach nur enttäuscht war, weil er Kris vermisste. Und weil sich dieser dämliche Prinz so lange Zeit ließ, ihn wieder sehen zu wollen.

Wenn er das denn überhaupt tun wollte, aber...

Taos Gedanken gingen im Kreis. Er wollte glauben, dass Kris ihn nicht sitzen lassen würde, aber andererseits wäre alles andere zu verrückt und zu schön.

Tao hatte sich nicht über sein Leben beschwert. Er hatte sich damit abgefunden, vermutlich auch, weil er es nicht anders gekannt hatte. Aber nun hatte Kris ihm ein völlig anderes Leben schmackhaft gemacht und dennoch wollte er das hier nicht aufgeben. Dafür liebte er seine Familie und diese schmutzige Farm zu sehr. Aber andererseits wollte er wieder bei Kris sein und seine herablassenden, amüsierten Worte hören. Er wollte einfach nur in seiner Nähe sein und als Tao sich mit diesem Gedanken erwischte bemerkte er, dass Kris mehr mit ihm angestellt hatte, als er vor kurzem im Palast noch gedacht hatte.

Wahrscheinlich hatte er es dort nicht gezeigt, aber im Nachhinein hatte es ihm fürchterlich gut gefallen. Alles. Die ganze Mühe, die Kris sich getan hatte und – viel schlimmer – seine Nähe.

Und je mehr Tage verstrichen, desto schlechter fühlte er sich. Seine gute Laune kam und ging und er versuchte sich immer positive Dinge einzureden, aber je weniger er von Kris hörte, desto schwerer wurde es. Dabei wollte er gar nicht daran denken, dass das alles nur ein dreitägiger, wunderschöner Traum gewesen war.

Das Verlangen Kris wieder zu sehen wurde größer und die Hoffnung geringer.
 

»Ist irgendetwas passiert?«, fragte Baekhyun ihn mit einer Stimme, die deutlich zeigte, dass der Junge sich tatsächlich Sorgen um ihn machte. Vermutlich war das sogar der Fall, obwohl Kris sich oft fragte, wieso. Immerhin hatte es genug Momente gegeben, in denen er nicht nett zu Baekhyun gewesen war. Er war oft nicht nett zu Baekhyun, genauso unfreundlich wie er zu allen anderen eben auch war. Aber als Prinz musste er eben eine gewisse Aura und Präsenz besitzen. Die Arroganz war gut und recht.

Aber er konnte wohl auch nicht leugnen, dass er in Baekhyun wohl so etwas wie einen Freund sah und deswegen oft sogar nett zu ihm war. Er war bei Weitem nicht so nett zu ihm, wie er zu Tao gewesen war, aber Baekhyun und der Alpakabauer waren auch vollkommen unterschiedlich. Sie hatten einen ganz anderen ersten Eindruck hinterlassen.

»Was meinst du?«, fragte Kris, der in der goldenen Wanne lag und sich von dem jungen Mann die Schultern massieren ließ, was verdammt willkommen war.

»Ich meine Tao. Ist irgendwas auf dem Treffen passiert?«, fragte er also erneut.

Kris schwieg. Es waren durchaus einige Dinge passiert, aber er wusste nicht, ob er es Baekhyun erzählen sollte. Natürlich würde der andere es nicht wagen über ihn zu urteilen, immerhin war er der Prinz, der zukünftige König. Er durfte tun und lassen, was er wollte.

»Was soll passiert sein?«, fragte er dann ruhig, so als würde er nicht wissen, was Baekhyun hören wollte. Wobei er durchaus nicht wusste, was der andere denn erwartete.

»Ich weiß nicht. Er war schon lange nicht mehr hier. Kommt er denn nicht mehr?« Baekhyuns Stimme war vorsichtig und Kris dankte ihm für seine Multitaskingfähigkeit, denn die Massage war wohltuend. Besonders nach einem Tag voller Unterricht, Unterhaltungen und Stress.

»Ich habe im Moment keine Zeit für ihn«, sagte er dann schlicht und unberührt.

Baekhyun schwieg einen Moment.

»Du magst ihn, oder? Er ist ein netter Junge«, erzählte Baekhyun dann und Kris runzelte seine Stirn, schielte zur Seite, konnte jedoch nur Baekhyuns bewegende Hand auf seinen Schultern erhaschen.

»Sonst hätte ich ihn nicht mitgenommen.« Das musste Antwort genug bleiben. Aber vermutlich kannte Baekhyun ihn besser, als es ihm lieb war. Vermutlich war er gar nicht so schwer zu durchschauen, wenn man ihn lang genug kannte. Und er und Luhan kannten ihn beide gut genug um vermutlich zu wissen, was hin und wieder in ihm vor sich ging. Oder zumindest waren sie in der Lage seine Taten zu deuten.

»Er ist noch immer damit überfordert, oder?«, fragte Baekhyun dann und Kris nickte leicht, sagte nichts und genoss den Druck, denn Baekhyuns Daumen gegen seinen Rücken ausübten.

Kris glaubte, dass Baekhyun nach Chanyeol fragen wollte. Aber der Junge hatte inzwischen wohl mitbekommen, was Chanyeol in Aschenschlund angerichtet hatte. Denn Kris hatte sich in einer Unterhaltung, die Baekhyun zufällig mitbekommen hatte, lautstark über den Usurpator aufgeregt.

»Du solltest dich wieder mit Tao treffen. Er tut dir gut«, schlug Baekhyun dann irgendwann vor.

»Ich weiß nicht, ob ich genug Zeit für ihn habe«, sagte er dann.

Baekhyun musste sich ein Schnauben verkneifen. »Du bist der Prinz. Außerdem hast du später keinen Unterricht mehr. Ich kenn dich gut genug, um dir ans Herz zu legen, dass du ihn wieder sehen solltest.« Dass Baekhyun ihn gut genug kannte, merkte man spätestens daran, dass er ihn – wenn sie allein waren – duzte. Nicht, dass Baekhyun je seinen Respekt verlieren würde, aber der Junge wirkte dann meist um einiges zuversichtlicher und sicherer, als wenn sie nicht allein waren.

»Hast du etwa Angst ihn wieder zu sehen?«, kam fragend von Baekhyun, nachdem Kris nicht geantwortet hatte.

»Willst du mir unterstellen, dass ich Angst habe?«, fragte Kris streng.

»Natürlich nicht«, rettete Baekhyun sich schnell und ehrlich. »Aber sonst weißt du auch immer, was du willst. Und du kannst mir nicht sagen, dass du den Jungen in seiner Farm versauern lassen möchtest.«

Kris gab erst keine Reaktion von sich, ehe er nach ein paar Augenblicken schließlich laut ausatmete.
 

Baekhyun wusste nicht so genau, wieso er das nun ausgerechnet tun musste. Vermutlich, weil er Kris dazu gebracht hatte. Nicht, dass er ihn gezwungen hatte, denn einen Prinzen konnte man beim besten Willen nicht zwingen.

Schweigend saß er in der Kutsche, blickte aus dem Fenster und fragte sich, was zwischen Kris und Tao auf dem Treffen passiert war. Wenn irgendetwas geschehen war, wovon er sehr stark ausging. Sonst würde er sich nicht so seltsam benehmen. Obwohl das nur das kleine Übel in seiner Gedankenwelt war. Seine Gedanken hingen viel mehr bei Chanyeol. Er konnte das, was er gehört hatte, nicht so recht glauben. Weil er Chanyeol als eine absolute liebenswürdige Persönlichkeit in Erinnerung hatte. Baekhyun hatte seine Nähe immer so sehr genossen und war noch immer traurig, oder frustriert, dass er ihn nicht gesehen hatte. Auch wenn er sich seit Monaten darauf gefreut hatte.

Eigentlich sollte er sauer auf diesen Tao sein, aber Baekhyun war es nicht. Weil der Junge nichts dafür konnte. Er konnte nichts dafür, dass Kris ihn ihm vorzog. Außerdem hatte er Tao als wirklich nette, wenn auch schüchterne, Person kennengelernt. Und Baekhyun spürte da keine negativen Gefühle. Er war nur einfach enttäuscht, dass er Chanyeol nicht getroffen hatte. Dass er sein Versprechen gebrochen hatte.

Seitdem er gehört hatte, dass Chanyeol die Königsfamilie auf dem Gewissen und den Thron bestiegen hatte, hatte er ein schlechtes Gefühl. Weil er sich an Chanyeols Worte erinnerte. Natürlich tat er das. Das tat er immer. Er glaubte, dass er kaum ein Wort, das Chanyeols Mund verlassen hatte, vergessen hatte. Dafür war er zu begeistert und zu beeindruckt von ihm gewesen.

Aber letztendlich war es wohl ein Fakt. Auch wenn Baekhyun es sich nicht vorstellen wollte.

Im Gegensatz zu Kris glaubte er jedoch, dass er irgendwo verstehen konnte, wieso Chanyeol das getan hatte. Bestimmt war er durchgedreht. Wie er es ihm prophezeit hatte. Baekhyun hatte ihn nur nicht ernst genug genommen. Und das war ein großer Fehler.

Er wusste viel über Chanyeol. Vermutlich mehr, als Kris über ihn wusste, und dementsprechend konnte er sich vorstellen, was passiert war. Gleichzeitig wollte er es aber nicht glauben. Weil es unheimlich war.

Und Baekhyun wollte keine Angst vor der Person haben, die er als Chanyeol kennengelernt hatte. Natürlich hatte er immer gewusst, dass Chanyeol eine gefährliche Person sein konnte – aber das hatte ihn nicht davon abgehalten sich mit ihm zu verstehen, sich mit ihm anzufreunden und mit ihm zu lachen.

Baekhyun mochte ihn. Oder mochte die Seite, die er kennengelernt hatte, über diese paar Treffen hinweg. Genau genommen kannte Baekyun ihn nur ein paar Tage. Aber die haben schon gereicht um sich in seiner Gegenwart wohl zu fühlen.

Und Baekhyun wusste, dass er sein Angebot damals angenommen hätte, hätte er nicht zu viel Verantwortung gegenüber Kris gehabt.

Während die Kutsche zum Stehen kam und er ausstieg, fragte er sich, ob er das Massaker, das Chanyeol damals angekündigt hatte und nun eingetroffen war, hätte verhindern können, wäre er mit ihm gegangen.

Baekhyun glaubte, die Antwort zu kennen.

Es dauerte nicht lange, bis er die wenigen Worte mit dem Mann, der vermutlich Taos Vater, oder ein engerer Verwandter gewesen war, gewechselt hatte und Tao schließlich aufgetaucht war. Und jetzt saß er wieder in der Kutsche und er und Tao schwiegen sich an.

Baekhyun gab schließlich ein leises Seufzen von sich, beobachtete Tao, der auf seine eigenen Knie blickte.

»Alles okay? Keine Angst, er wird dich schon nicht auffressen«, sagte er mit einem süßen Lächeln und Tao sah zu ihm und drückte seine Lippen aufeinander.

»Ja, alles okay. Ich... uh, weiß nicht«, fing er dann seine sinnlose Aussage an und Baekhyun hob seine Augenbrauen, sah wie Tao aus dem Fenster blickte. »Ich hab fast befürchtet, er hat mich vergessen.« Seine Stimme war leise, als er das Geständnis aussprach. Baekhyun beobachtete ihn einen Moment und schmunzelte dann amüsiert.

»Ich bin mir sicher, dass er dich nicht so leicht vergessen kann. Er kann dich gut leiden.« Baekhyun war sich absolut sicher. Natürlich, sonst hätte er ihn letztendlich auch nicht losgeschickt, um den Jungen zu holen.

Tao schenkte ihm ein dankbares Lächeln und erneut trat Stille ein und Baekhyun fragte sich, ob ihre Treffen sich immer so merkwürdig und peinlich entwickeln würden. Wobei sie wohl auch keinen normalen Start gehabt hatten, aber Baekhyun hatte ja nur seinen Job gemacht.

»Uhm«, machte Tao dann irgendwann und Baekhyun wandte den Blick von dem Fenster, hörte auf die vorbeiziehende Landschaft zu beobachten.

»Ja?«, machte er fragend.

»Ich... ich soll dir was von Chanyeol ausrichten«, sagte Tao dann und Baekhyun konnte nicht kontrollieren, dass er seine Augen weitete.

»Wirklich? Was denn?«

Tao stockte und wirkte einen Moment unsicher, ehe er ruhig durchatmete. »Uhm, er... er hat gesagt, dass ich dir sagen soll, dass du nicht schlecht von ihm denken sollst. Und dass es ihm Leid tut und dass du dir keine Vorwürfe machen sollst. Dass es nicht deine Schuld war.«

Baekhyun blinzelte und wusste nicht so recht, was er davon denken sollte. Er wusste genau, wieso Tao ihm das sagte und was Chanyeol implizieren wollte.

»Außerdem meinte er, dass er dich nicht vergessen hat, oder es je könnte«, Tao sprach leise und Baekhyun glaubte, dass er versuchte sich an die genaue Wortwahl zu erinnern, oder nur überlegte, wie er es sagen sollte, damit es nicht allzu komisch klang, »und dass du warten sollst.«

Und das machte ihn dann doch etwas ratlos. Worauf sollte er warten? Das machte keinen Sinn. Das einzige, was ihm dazu einfallen würde, war, dass er auf Chanyeol warten sollte, aber wieso sollte er das tun? Baekhyun war verwirrt und sah Tao an, der wohl noch weniger wusste, was los war.

»Uh, okay«, machte er deswegen leise.

Tao zuckte mit den Schultern. »Ich hab keine Ahnung.«

Baekhyun lächelte schließlich schmal. »Danke fürs Ausrichten«, kam dann nur noch, ehe er wieder aus dem Fenster blickte und überlegte, was Chanyeol ihm mit dem letzten Satz hatte sagen wollen.

Dass er Hoffnungen hatte, dass er ihn wieder sehen würde, gestand er sich selbst nicht ein.

»Baekhyun? Kannst du mir... einen Gefallen tun?«, fragte Tao und Baekhyun sah neugierig zu ihm.
 

Tao befand sich schon wieder in diesem Zimmer und glaubte, dass er allein niemals in so einem großen Raum leben könnte. Das war irgendwie unheimlich. Viel unheimlicher war aber die Tatsache, dass er nicht aufhören konnte daran zu denken, was hier vor ein paar Tagen passiert war. Taos Blick lag auf dem Bett und er erinnerte sich an ihren Kuss.

Viel komischer war es jedoch, hier zu stehen und allein zu sein. Es fühlte sich nicht wohl in diesem Gebäude, wenn Kris nicht in der Nähe war. Weil es so wirkte, als wäre er Schmutz in einem schönen Bild. Das hier war nicht seine Welt und würde vermutlich niemals seine Welt sein. Tao war nur ein einfacher Bauer und er kam sich vor, als hätte er sich verlaufen.

Je länger er hier allein stand, desto nervöser wurde er. Er traute sich ja noch nicht einmal sich hinzusetzen. Vielleicht wäre das unhöflich. Obwohl er eigentlich wusste, dass Kris wohl nichts dagegen hatte. Und nach weiteren gefühlten zwanzig Minuten hatte er letztendlich aufgehört die atemberaubende Sicht aus den Fenstern zu studieren und hatte sich unsicher auf das Bett gesetzt, das viel zu weich war.

Und nach weiteren zwanzig Minuten hatte er sich hingelegt und gefragt, wo Kris blieb. Wieso bestellte er ihn ins Schloss, in sein Zimmer, wenn er dann gar nicht auftauchte. War irgendetwas passiert? Oder hatte er ihn vergessen?

Tao wusste nicht, ob er überreagierte. Vermutlich tat er das. Immerhin mochte Kris ihn. Aber wieso hatte er ihn dann so lange warten lassen?

Er fand darauf noch immer keine Antwort und döste irgendwann weg, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wo er lag.

Und als er die Augen wieder öffnete konnte er sich an keinen Traum erinnern. Er wusste nicht wie spät es war, bemerkte jedoch, dass der Raum bereits ziemlich dunkel war, und im nächsten Moment bemerkte er, dass er nicht in seinem Bett war. Oder in dem, was er daheim Bett nannte. Er schreckte auf, öffnete seine Augen und es dauerte nicht lange, bis er den jungen Prinzen neben sich im Bett bemerkte.

Tao bekam im ersten Moment einen Schock. Vielleicht, weil der Kerl einfach plötzlich aufgetaucht war. Vielleicht auch, weil er hier eingeschlafen war, vielleicht auch weil... es gab so viele Gründe und jeder wurde noch dämlicher.

»Du kannst weiter schlafen«, sagte Kris dann mit seiner tiefen Stimme und Tao, der seinen Oberkörper mit den Unterarmen hochstützte, sah in das Gesicht von Kris, das durch die Dunkelheit halb im Schatten lag. Er konnte nur ein wenig Haut erkennen, bemerkte jedoch, dass er seine Augen wohl offen hatte und ihn ansah.

»W-wo... ich... t-tut mir Lei-«, er brach sich selbst ab, stotterte und war vollkommen überfordert. Und Kris schien das zu bemerken und lachte im nächsten Moment.

»Was lachst du?«, schnaubte Tao dann plötzlich. »Wo bist du überhaupt gewesen? Wieso hast du mich warten lassen? Wieso hast du mich erst jetzt hier her gerufen?« Seine Stimme klang verletzt und vermutlich machte er einer eingeschnappten Dame durchaus Konkurrenz. Aber die Gedanken der letzten Tage kamen plötzlich alle raus.

»Wieso ich dich hab warten lassen?«, wiederholte Kris nur eine seiner Fragen.

Tao war plötzlich absolut entrüstet und schlug Kris leicht gegen die Brust – der Prinz lag, im Gegensatz zu ihm, nämlich auf dem Rücken.

»Ja! Du kannst mich nicht einfach küssen und dann nichts mehr von dir hören lassen!«

Kris reagierte einen Moment nicht und Tao konnte sich vorstellen, dass er seine dämlichen, markanten Augenbrauen hochgezogen hatte. »Ich wollte dir Zeit mit deiner Familie geben«, sagte er dann. »Außerdem gab es einiges zu tun. Das ist auch der Grund, wieso ich dich habe warten lassen.«

Tao öffnete seinen Mund und wusste nicht, ob er empört sein sollte. Aber im nächsten Moment bemerkte er wohl, dass Kris einen guten Punkt erwähnt hatte. Immerhin war Tao derjenige gewesen, der gesagt hatte, dass er seine Familie brauchte und sie ihn.

Die Erkenntnis, dass er sich über das aufgeregt hatte, was er Kris selbst gesagt hatte, traf ihn irgendwie unvorbereitet. Denn offensichtlich hatten Kris' Worte doch mehr mit ihm angestellt, als er zugeben wollte.

»A-aber«, begann Tao, der sich plötzlich wie ein großer Idiot fühlte und sich wenigstens rechtfertigen wollte, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie genau er das anstellen sollte.

»Schhh«, machte Kris, brachte ihn somit zum Schweigen und Tao war froh darüber, weil er sonst sicher nur dumme Sachen gesagt hätte.

»Wieso reagierst du so? Hast du mich etwa vermisst?«, wollte er wissen.

»Das hättest du wohl gern«, keifte er zurück und spürte im nächsten Moment eine von Kris großen Händen an seiner Wange. Tao, der nicht mit so einer Berührung gerechnet hatte, blickte zu Kris und bemerkte, dass seine Augen sich inzwischen an die Dunkelheit gewohnt hatten und dass es draußen wohl noch hell genug war, dass er Kris inzwischen recht gut erkennen konnte.

»Ich hatte einen anstrengenden Tag«, sagte Kris dann mit einer ruhigen Stimme, ehe er das Grinsen in seinen Worten hören konnte. »Du solltest mir etwas Gutes tun.«

Tao sah ihn perplex an und hoffte, dass Kris ihn nicht erkennen konnte. Da er aber noch immer in seiner leicht erhobenen Position war, ging er sehr stark davon aus, dass Kris sein Gesicht gut genug ausmachen konnte.

Und im nächsten Moment handelte er von selbst, raffte sich auf, was den Kontakt mit Kris' Hand brach und wenig später saß er – vermutlich aus reinem Protest und der Tatsache, dass Kris ihn hatte warten lassen – auf seinem Bauch. Er schnappte sich eine von Kris' Händen und fing an selbige zu massieren, so wie Baekyun es ihm in der Kutsche gezeigt hatte.

Und offenbar machte er das heute viel besser, als das letzte Mal.

Einige Augenblicke vergingen und er hatte nur Kris' erleichtertes und entspanntes Ausatmen gehört, als er plötzlich Kris' freie Hand an seiner Hüfte spürte. Tao hatte kurz innegehalten, machte dann jedoch weiter, auch wenn er skeptisch wurde, als Kris' Hand anfing zu wandern.

Tao hörte auf seien Daumen gegen die Handfläche von Kris zu drücken und zog seinen Bauch ein, als Kris über den Stoff, der selbigen bedeckte, strich.

»Ich will mit dir schlafen, Tao«, sagte Kris dann plötzlich und Tao weitete seine Augen und blickte hinab in Kris' Gesicht.

Und dann wusste er absolut nicht, was er sagen sollte. Weil er nicht wusste, ob er das wollte. Es war nicht, dass er den Gedanken abschreckend fand, sondern viel mehr hatte er Angst genau das zu werden, was Chanyeol gesagt hatte. Oder was alle anderen wohl dachten, was er für den Prinzen war. Tao schluckte unbewusst und sah in Kris' Gesicht, nicht sicher, was er sagen sollte.

»Und dann?«, fragte er leise, als er seine Stimme wieder gefunden hatte. »Bringst du mich zurück und tauchst nie wieder auf?«

»Möchtest du das denn?«

»Wa- n-nein!«, machte er und im nächsten Moment hob Kris seinen Oberkörper an, sodass Tao auf seinen Unterleib rutschte.

»Dann mach ich das auch nicht«, sagte Kris mit einer leisen Stimme, hob seine Hände und legte sie an Taos Wangen. »Ich möchte nicht hier und jetzt mit dir schlafen, wenn du nicht willst, wenn du nicht bereit dafür bist. Das ist in Ordnung und das respektiere ich. Aber ich will, dass du weißt, dass ich mit dir schlafen möchte.«

Tao war sich nicht sicher, ob das Blut in seine Wangen, oder in sein Glied gepumpt wurde. Denn er konnte nicht leugnen, dass die Worte ein merkwürdiges Ziehen in seiner Lendengegend hervorgerufen hatten und gleichzeitig dazu führten, dass sein Gesicht fürchterlich heiß war.

Und im nächsten Moment lehnte sich Tao nach vorn, brach den letzten Abstand zwischen ihnen und küsste Kris. Der Kuss hielt nicht lange, Tao brach ihn rasch wieder, bewegte sich aber kaum von ihm weg. »Ich hab noch nie-«

»Ich bin vorsichtig«, unterbrach Kris ihn und Tao glaubte ihm.

Kris‘ Hände fanden ihren Weg zu dem Stoffgürtel, der Taos Hose an seinen Hüften festhielt und langsam öffnete er ihn, während Taos Herz plötzlich damit anfing viel zu laut gegen seinen Brustkorb zu hämmern.

Neun

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu dieser Fanfic (7)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Minh33
2015-03-30T22:35:46+00:00 31.03.2015 00:35
aaaw... cih liebe diese ff ~
\(QwQ)/
Ich danke dir für diese tolle Story.. (Vorallem weil ich genau die coupkes liebe die du nimmst) °^°..
Von:  Minh33
2015-03-30T16:56:45+00:00 30.03.2015 18:56
Ahhhh.. ich suchte hier grad alles durch QwQ..
voll toll~
Von:  FlyingPanda
2014-11-17T19:04:08+00:00 17.11.2014 20:04
Kannst du irgendwie eine zensierte Version vom letzten Kapitel hochladen? ^-^
Oder keine ahnung halt so, dass ich des irgendwie lesen kann O.O
Ich will es unbedingt zu ende lesen :3
Von:  FaerieKanon
2014-07-17T13:08:42+00:00 17.07.2014 15:08
Warum kommentiert hier sonst keiner? Dabei ist die Fanfic eine der besten, die ich je gelesen hab. ;o;
Naja~ jedenfalls bin ich jetzt durch und irgendwie kam der Anfang vom Ende (also da wo der König wollte, dass sich Kris und Tao nicht mehr treffen) ziemlich unerwartet, obwohl sowas eigentlich so gut wie immer in solchen Geschichten passiert. Ich hab totale Feels bekommen und musste fast weinen, weil es so traurig war und zusätzlich noch total gut geschrieben. ;w;
Eigentlich war das komplette letzte Kapitel nochmal voller Feels, weil hier so viel passiert ist. Und naja... ich habs auf Arbeit gelesen und genau in der Smut-Szene wurde ich gerufen und musste was anderes machen... //D
Das Ende fand ich ja total niedlich... vielleicht kommen sie ja doch noch zusammen. :D
Schade, dass es nicht länger ging, denn ich hab die Kapitel voll gern gelesen und auch ohne Unterbrechung... es war halt nicht anstrengend. :D
Ich les dann auch mal deine andere neue Fanfic~ huehuehue <3
Von:  FaerieKanon
2014-07-01T12:26:07+00:00 01.07.2014 14:26
Danke fürs weitere Hochladen! ^___^
Ich bin gespannt, was noch alles passiert und wer noch hinzu kommt. Hast du ganz EXO hier verbaut? :D
Ich fand ja Baekhyun total niedlich. xD
Und ich warte ja schon darauf, dass es endlich zwischen Kris und Tao knistert, haha. :D
Antwort von:  dumm
01.07.2014 15:39
Ja, hatte es nur kurzzeitig vergessen. Das ganze ist ja schon fertig. xD
Jep, ganz EXO kommt vor. Ein paar Charaktere aber nur kurz, letztendlich sind und bleiben Tao und Kris die Hauptpersonen.
Hehe. :D
Von:  nana881
2014-06-30T13:25:08+00:00 30.06.2014 15:25
Oh wie cool du schreiben kannst! Bitte schreib noch was so schoenes :3 haha
Ich haette ne Frage. Darf ich bitte deine Story auf Russisch uebersetzen und in unserem "ficbook" als ne Uebersetzung mit dem Link aufs Original posten? Es waere so schoen, wenn unsere Taoris Fans deine Story auch lesen koennten.:)
Ich bin ja hier eingelogged, um Storys fuer Uebersetzung zu finden.. Und deine passt sehr gut.:) Ich und unsere FanficLeser waeren sehr dankbar.:)
Antwort von:  dumm
30.06.2014 15:59
Hey!
Die Geschichte ist noch gar nicht fertig. Also eigentlich ist sie schon fertig, aber hier noch nicht vollständig hochgeladen. :'D
Und klar, das darfst du sehr gern machen, das würde mich sehr ehren! Wäre toll, wenn du mir den Link dann auch gibst, dann kann ich ihn auch in die Beschreibung packen. :D

Falls ich das hier mit dem Updaten vergesse kannst du die vollständige Fanfiction auch auf meinem Fanfiction.de Account finden. Selber Name, oder du guckst kurz in mein Profil, da ist direkt ein Link zu meinem FF.de-Profil. :)

Liebe Grüße!
Von:  FaerieKanon
2014-06-11T08:42:27+00:00 11.06.2014 10:42
Uiii... EXO und Alpaccas. Was will ich mehr. *-* xD
Ich hab mir den Ort sofort in Lateinamerika vorgestellt... wahrscheinlich, weil es dort Alpakafarmen gibt. :D
Ich mag deinen Schreibstil immer noch und freu mich auf die nächsten Kapitel. *-* Ich hoffe auf eine genauso flauschige Story, wie das Fell des Alpakas. xD
Antwort von:  dumm
30.06.2014 16:00
Nichts. 8D

Lateinamerika könnte stellenweise wohl durchaus passen! :D
Aber Alpakafarmen gibt es hier auch, haha.
Aaah, ja, ich sollte mal weiter hochladen. Die Geschichte ist ja eig. auch schon fertig. Dann mach ich das am besten gleich mal, damit die Leute auf Animexx mehr zum Lesen bekommen, haha. :D


Zurück