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Doors of my Mind

Der Freund meiner Schwester
von

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Stille Wasser sind tief… und schmutzig

Kapitel 12 Stille Wasser sind tief… und schmutzig
 

Es dauerte einige Minuten bis ich mich wieder aufrappele. Ich hole die beiden Äpfel aus dem Flur und setze meinen Raubzug durch die Küche fort. Wo mein plötzlicher Hunger herrührt, weiß ich nicht. Neben den Äpfeln besorge ich mir etwas Käse und ein Bier. Eigentlich hätte mir Raphaels Zustand eine Abschreckung sein sollen, doch im Gegenteil es hatte mich so aufgewühlt, dass ich das Bedürfnis verspüre etwas zu trinken. Alkohol ist keine Lösung, doch ein effektives Mittel zum kurzzeitigen Verdrängen.

Ich stelle Raphael eine Wasserflasche vor die Tür und bleibe im Flur stehen um zu lauschen. Es ist Nichts zu hören und ich hoffe, dass Raphael weiterhin in Mayas Bett liegt. Seinen Autoschlüssel habe ich noch immer in der Tasche und behalte sie vorsorglich auch dort.

Ich lasse meine Zimmertür geöffnet um zu hören, wenn sich jemand im Flur bewegt. Doch den Abend bleibt es ruhig. Erst in der Nacht als ich wach in meinem Bett liege, kann ich hören wie Raphael ins Bad geht. Auf dem Rückweg bleibt er vor meiner geöffneten Tür stehen und ich halte den Atem an. Er kommt nicht hinein. Dennoch setze ich mich auf und sehe zur Tür. Ich höre ihn atmen und dann leise fortgehende Schritte.

Noch immer habe ich seinen Geruch in der Nase und meine Gedanken beginnen verrückt zu spielen. Wenn ich diese Situation doch hätte nutzen können. Nur ein bisschen. Für einen Kuss. Dem Gefühl seiner Haut unter meinen Fingern oder nur noch mehr seines Geruchs seiner warmen Haut. Ich denke an seine grünen, vernebelten Augen zurück, die trotz alledem so ausdruckstark und intensiv waren. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und fahre mir mit kühlen Fingern über den Kehlkopf. Seine Haut auf meiner. Wie würde sie sich anfühlen, wenn schon seine Hand an meinem Handgelenk ein solch großes Brennen in mir anrichten kann. Ich lasse mich zurück ins Kissen fallen und lege meine Hand auf meinem Bauch ab. Nach einem Moment beginnen meinen Fingerspitzen unruhig gegen meinen Bauchnabel zu tippen. Ich schließe meine Augen und da ist es wieder dieses herrliche, sanfte Grün. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag verdreifacht und wie meine Fingerspitzen zu pulsieren beginnen. Meine Hand gleitet weiter hinab. Über meinen Unterbauch. Meinem Beckenknochen entlang. Tiefer und tiefer bis zu meinen Lenden. Mein Verlangen ist stark und allein der Gedanken an den Mann, der im Nebenzimmer liegt, lässt mich verhalten aufstöhnen. Ich stelle mir vor, wie sich seine Haut unter meinen Fingern anfühlt, wie sie schmeckt und wie sehr ich danach giere. Ich möchte jede noch so kleine Stelle berühren und kosten. Die harten Muskeln an seinem Bauch. Bogen für Bogen möchte ich sie entlang tasten, meine Lippen darüber wandern lassen und dann den schmalen Pfad vom Bauchnabel hinabküssen. Den Geschmack seiner Haut genieße und letztendlich ihn selbst schmecken. Er ist bestimmt perfekt und schmeckt nach mehr.

Ich beginne mich selbst zu streicheln, umfasse meine Härte mit der gesamten Hand und pumpe mich im Takt meines schlagenden Herzens. Heftig. Schnell. Ich versuche mir Raphaels Stimme vorzustellen, wie sie lustvoll keucht und stöhnt. Wie sie meinen Namen sagt. Ob sie dabei noch tiefer und rauer wird? Es jagt mir Schauer durch den Leib und mein Atem wird immer unkontrollierter. Ich setze mich auf, stütze mich mit der linken Hand auf dem Bett ab, während meine Rechte weiter meine Lenden berührt. Das Verlangen nach Raphael brennt heiß in mir. Ich blicke an mir hinab, beobachte meine Bewegungen und lasse mich zum Ende hin wieder aufs Bett sinken. Das angeregte Kribbeln durchfährt jede meiner Körperzellen, während ich mich meinem Orgasmus hingebe. Mein Handgelenk knackt und ich brauche eine Weile um zu Atem zu kommen.
 

Am nächsten Morgen lege ich Raphael die Autoschlüssel und meinen Hausschlüssel auf den Küchentisch. Genauso wie ein paar Kopfschmerztabletten. Ich lasse den Abend Revue passieren und seufze. Mit einem handgeschriebenen Zettel wünsche ich ihm einen schmerzlosen Tag und bitte ihn die Tür abzuschließen und meinen Schlüssel nachher mit zur Sporthalle zu bringen.

Die Stunden vergehen schnell und in den Pausen treffe ich mich mit Maria, damit wir unser Projekt noch einmal durchgehen können. Der Vortrag zu unserem Teil ist am nächsten Tag.

Als ich am Nachmittag am Sportplatz ankommen, kann ich die Athletikjungs laufen sehen. Doch von Raphael fehlt jede Spur. Verwundert lasse ich mich auf die Tribüne nieder und sehe zu, wie sie weitere Runden drehen bis Danny auf mich zu gehopst kommt. Er keucht und stützt sich auf die Knie, während er mich angrinst.

„Hey, ich soll dir von Raphael eine Entschuldigung ausrichten. Er musste früher los. Wir denken er hat Ärger im Paradies.“ Danny zwinkert und lacht. Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und lasse es unkommentiert. Der Sportler lässt sich neben mir nieder und streicht sich durch die verschwitzten Haare.

„Ist er nicht mit deiner Schwester liiert?“, fragt er neugierig und mir zieht sich der Magen zusammen. Ich möchte nicht mit ihm darüber reden und schweige. Danny scheint es nicht zu stören, denn er plaudert munter weiter.

„Ach, ich habe deinen Schlüssel in meinem Spint.“ Danny richtet sich wieder auf, deutet auf die Umkleidekabinen und ich folge ihm nickend. Im Gegensatz zu meinem letzten Besuch ist es diesmal sehr laut. Ich höre das Rauschen der Duschen und wild durcheinander brüllende Männerstimmen. Der Geruch von Schweiß und getragenen Schuhen liegt in der Luft. Ich rümpfe die Nase. Danny labert mir ein Ohr ab, doch ich reagiere nicht. Mein Blick wandert über die Körper der anderen Männer. Sportler konnte man schon immer gut ansehen. Erst als mir Danny den Schlüssel vor die Nase hält, reagiere ich.

„Wann habt ihr euer Turnier?“, frage ich ihn und er beginnt schief zu Lächeln.

„Nächste Woche und Raphael macht uns die Hölle heiß.“ Danny zieht sich während er spricht das Shirt aus und im gleichen Atemzug die Hose. Keine Ahnung, wie das geschafft hat, aber jetzt steht er nur noch in Short vor mir.

„Das macht er sicher nicht ohne Grund“, führe ich das Gespräch fort.

„Doch, der ist im Moment so arg angespannt. Steht unter Druck. Wahrscheinlich lässt seine Freundin ihn nicht ran.“ Er macht mit seiner Hüfte eine vorstoßende Bewegung und grinst.

„Alter Danny, du sprichst über meine Schwester“, motze ich gespielt wütend und merke, dass ich nicht so aufgebracht bin, wie bei der Bemerkung über Shari. Eigentlich stört mich nur, dass in der Vorstellung Raphael auftaucht. Okay, Heldentum ist wahrlich anders.

„Entschuldige bitte“, sagt er eigenartig aufrichtig, „Meine Nase ist noch ziemlich empfindlich. Ich sollte lieber vorsichtig mit meinen Äußerungen sein.“ Er hebt abwehrend die Hände und fasst sich an seinen etwas schiefen Zinken. Sein Grinsen ist breit und irgendwie schmutzig.

„Besser ist es. Ich will solch widerliches Zeug nicht hören. Das gehört sich nicht“, kommentiere ich gespielt empört.

„Oh, du spielst den Unschuldigen und Braven echt überzeugend.“ Ertappt.

„Ich muss nichts spielen. Ich bin sittsam und tugendhaft. Und jetzt sei still, ich will nicht mehr darüber reden“, entfährt es mir total überzeugend und Danny lacht.

„Ja, klar. Stille Wasser sind tief, oder?“, giggelt er. Und schmutzig, hänge ich in Gedanken ran und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich denke an die vergangene Nacht zurück. Sehr schmutzig.

„Sie sollte ihn trotzdem schnellstens ranlassen“, urteilt Danny. Ich bin anderer Meinung.

„Raphael meinte, dass ihr in einigen Dingen noch nicht fit genug seid?“, lenke ich ab. Ich stecke meinen Schlüssel in die Tasche und versuche auf ein anderes Thema zukommen. Danny schließt seinen Spint und steht plötzlich komplett nackt vor mir.

„Ich finde, wir sind topfit“, kommentiert Danny und stemmt triumphierend seine Hände in die Seite. Die Meute lacht. Ein kurzer Schreck durchfährt mich, doch ich kann mir eine schlichte und normale Reaktion herauskitzeln.

„Anscheinend! Gut, danke für den Schlüssel. Habt noch viel Spaß, Jungs.“ Die Runde hebt die Hände zum Gruß. Ich ebenso. Als ich die Umkleide verlasse, atme ich erst einmal durch. Zu viel Testosteron ist auch für mich nicht gut.

Ich sehe auf die Uhr und denke an Raphael. Wahrscheinlich hat er Maya abgeholt und sie versuchen ihre Problemchen in den Griff zu bekommen. In meinem Kopf klingt es abschätzig und ich ärgere mich darüber, dass es mir nicht egal ist. Ich möchte nicht Raphaels Ansprechpartner sein, das wollte ich nie. Doch kann ich ihn auch nicht wegschicken. Wenn schon kein Partner, dann vielleicht ein Freund? Es klingt nicht richtig. Es klingt sogar absurd.
 

Die Vibration in meiner Tasche ist leise und kaum zu merken. Dennoch horche ich auf. Ich ziehe das Handy heraus und blicke auf das Display. Eine Nachricht von Jake. Er möchte mich noch mal sehen, bevor er zurückfährt. Heute wäre die letzte Möglichkeit, denn er muss früher zu seinem Job zurück. Ich hadere mit einer Antwort, denn ich sehe im Augenblick keine Chance einfach so aus dem Haus heraus zu kommen. Während ich ihm meine Zwickmühle mitteile, wandere ich zum Bus. Bevor ich an der Haltestelle ankomme, höre ich Sharis Stimme und sehe, wie sie von der Bibliothek zu mir gelaufen kommt. Sie trägt wieder einen dieser wunderschönen Saris. Diesmal einen grün-blauen mit mäandrischem Muster. Ihr langes schwarzes Haar schwingt mit der Bewegung mit. Sie wirkt wie eine zauberhafte Elfe, deren Flügel im Wind tanzen.

„Namasté“, sage ich als Erster und sie sieht mich verblüfft an.

„Sind dir die anderen Sprachen schon ausgegangen?“

„Nein, nur dein indischer Zauber hat mich gerade eingefangen“, kommentiere ich und stecke ihr die Zunge raus. Sie kichert und macht einen feinen Knicks.

„Wieso trägst du einen Sari, heute ist gar nicht Freitag?“

„Ich muss gleich noch zu meiner Cousine. Sie hat Geburtstag und es gibt ein riesiges Festmahl.“ Sie fasst sich an den nicht vorhandenen Bauch und seufzt. Shari erzählt oft von den Völlereien, die regelmäßig zu solchen Veranstaltungen stattfinden. Im Moment empfinde ich Neid, denn ich habe vor allem Hunger.

„Und was machst du in der Bibliothek? Oh, dein Projekt mit Andrew?“, beantworte ich mir die Frage selbst. Ich hebe eine Augenbraue und meine Mundwinkel zucken auffällig nach oben.

„Ja, wir sind fast fertig. Andrew ist wirklich toll und sehr zuvorkommend.“ Ein zarter rosafarbener Hauch legt sich auf ihre Wangen.

„Oha, das klingt ja interessant“, sage ich frech und ernte einen Schlag gegen den Arm.

„Hör auf. Ich finde ihn wirklich nett und bin schon fast etwas traurig, dass das Projekt morgen vorbei ist.“ Sie sieht verlegen nach unten und ich lächele wissend.

„Frag ihm nach einem Date“, schlage ich ihr vor, doch sie schüttelt energisch den Kopf. Ich warte auf die typischen Verneinungen und die Unmöglichkeiten ihre Eltern zu überzeugen. Doch sie schweigt und ich sehe, dass sie es sich insgeheim wünscht.

„Ganz zwanglos in der Mensa und nimm mich als Alibi. Oder eine gemeinsame Pause. So zum Anfang“, biete ich ihr an und sehe aus dem Augenwinkel, wie das Auto ihres Vaters angebraust kommt. Er steigt nicht aus, aber hupt. Erst einmal. Dann ein weiteres Mal. Als wir nicht reagieren, kommt nur noch ein durchgehender Ton und Shari schnauft genervt auf.

„Ich weiß nicht, ob er das möchte“, sagt sie leise und sieht zu ihrem Vater, der daraufhin den Terror einstellt.

„Einfach fragen, chiisai Hana“, sage ich ihr auf klapprigen Japanisch und sie lächelt, obwohl sie nicht versteht, was ich sage.

„Vielleicht.“ Ein Flüstern, welches ihre Wangen in ein zartes Rot färbt. Sie wird einen Weg finden. Das schafft sie immer.

„Bis morgen.“ Wir fassen uns kurz an die Hände und sie steigt in das Auto ihres Vaters.
 

Zu Hause angekommen, bin ich allein. Ich mache mir eine Kleinigkeit zu Essen und höre die Anrufbeantworter ab. Meine Eltern kommen später. Sie sind beide auf Arbeit stark eingebunden. Wo Maya ist, weiß ich nicht. Ich denke an Raphael und sehe auf mein Handy.

Jake hat noch nicht geantwortet. Dass er schon wieder wegfährt, enttäuscht mich irgendwie. Allerdings habe ich noch immer keine wirklichen Antworten für ihn. Eine Beziehung mit ihm liegt immerhin im Bereich des Möglichen. Mit ihm hätte ich eine Zukunft. Er ist liebevoll und witzig. Er ist ein toller Kerl.

Ich setze mich grübelnd vor den Fernseher und vertilge mein Essen. Nach und nach trudeln meine Eltern ein. Sie wirken gestresst und wenig mitteilsam. Wir sitzen schweigend im Wohnzimmer bis mein Handy klingelt. Es ist Jake. Ich gehe nicht sofort ran, sondern verlasse erst das Zimmer.

„Hey, tut mir Leid, aber mein Hausarrest ist Schlupfwinkelfrei.“ Ich bleibe im Flur stehen, sehe zu meinen Eltern ins Wohnzimmer und spreche leise.

„Hi. Habe ich mir schon fast gedacht.“ Ich kann hören, wie er schmunzelt. „Darfst du wenigstens kurz rauskommen?“, will Jake wissen und ich stocke. Verwundert gehe ich zum Fenster und schiebe die Gardine zur Seite.

„Raus? Stehst du vor dem Haus?“, frage ich fast dümmlich und versuche ihn draußen zu finden. Jake lacht.

„In der Seitenstraße“, gesteht er, “Ich wollte gern mit dir reden und das nicht übers Telefon.“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich schaue ins Wohnzimmer, doch meine Eltern sind schwer damit beschäftigt sich gestresst anzuschweigen.

„Warte kurz.“, sage ich nach kurzem Grübeln, lege auf und schnappe mir den Hausmüll und meine Jacke. Ich rufe ihnen zu, dass ich den Müll rausbringe und verschwinde nach draußen. Auf der Straße muss ich mich umsehen und entdecke Jake an seinem Auto lehnend an der Kreuzung zur Nebenstraße. Ich fahre mir nervös durch die Haare und bleibe bei ihm stehen.

"Na, bist du in einer Ninja-Aktion vom Baum vor deinem Zimmerfenster hinuntergeklettert, weil dein alter Herr misstrauisch vor der Haustür steht?“, witzelt mir Jake entgegen und grinst.

„Das hättest du gern gesehen, oder?“, kommentiere ich wissend. „Also, wann fährst du morgen?“ Ich lehne mich zu ihm ans Auto und fühle mich an unser erstes dieser Gespräche zurückversetzt. Nur ist es diesmal kein Zaun.

„Gleich früh. Ich habe ein wichtiges Meeting im Hauptfirmensitz“, sagt er übertrieben und verdreht dabei die Augen. Er weiß vermutlich, wie eigenartig es klingt. Meeting. Hauptfirmensitzt. Alles nicht meine Welt. Wieder habe ich das Gefühl, dass uns unendliche Erwachsenenwelten trennen.

„Hör zu, ich weiß ja, dass ich beim letzten Treffen gesagt habe, dass ich damit klarkomme, aber…“ Er stockt und ich spüre, wie sich mein Puls beschleunigt. Jake redete nicht lange um den heißen Brei herum und das finde ich gut und grausig. Wir werden uns wahrscheinlich nie wieder sehen und das wird der Abschied. Warum sollte er sich die geringste Minute mit einem unentschlossenen Typen ärgern, der sich halbherzig annähert und ihn letztendlich doch wieder von sich wegstößt. Enttäuschung macht sich in mir breit und ich blicke auf den Bürgersteig. Einige Autos fahren an uns vorbei.

„Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich kann“, fährt er fort. Es ist ein Flüstern. Nun blicke ich auf und sehe in die warmen braunen Augen, die so viel Mitgefühl und Sanftheit ausdrücken. Schon wieder weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ein selten vorkommendes Phänomen. Jake wendet sich mir zu, bleibt vor mir stehen und legt sanft seine Hand an meine Wange. Ich spüre, wie sein Daumen über meine Haut streicht und schließe meine Augen. Ich lasse es geschehen, genieße das warme Kribbeln und fühle dennoch eine gewisse Distanz zwischen uns. Meine Gefühle für ihn sind ein heilloses Durcheinander und so gern ich die Gefühle für Raphael abschütteln will, schaffe ich es nicht. Sie sind zu stark und zu schwer.

Als hätte er meine Gedanken gehört, entlässt er mich aus der Berührung und ich öffne die Augen. Jake lächelt und ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wieso.

„Ich hab unsere Nacht sehr genossen. Wollte ich nur noch mal erwähnen“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht und streicht mir ein paar Haare hinter das Ohr. Ich schnaube übertrieben und grinse ebenfalls.

„Vielleicht bist du ja irgendwann bereit für...mehr...“

„Vielleicht“, flüstere ich und weiß, dass ich bis dahin möglicherweise noch ein paar anderen Menschen wehtun werde, so wie Jake und mir selbst. Wir schweigen einen Moment und er sieht auf die Uhr. Es ist bereits nach 10 Uhr und es wird Zeit, dass er losfährt.

„Mark, ich freue mich trotzdem über jede Nachricht von dir, das weißt du?“

„Ich weiß.“, erwidere ich zögerlich. Als sich Jake zu seinem Auto dreht und den Schlüssel aus seiner Tasche zieht, halte ich ihn zurück.

„Melde dich, wenn du mal wieder hier bist, okay.“ Ich klinge fast bittend und lasse sein Handgelenk nicht los. Jake mustert mich und dann macht er etwas womit nicht rechne. Er zieht mich an sich heran, legt ohne zu zögern seine Lippen auf meine. Es ist nur ein kurzer Ruck der Überraschung, doch dann genieße ich es. Für diesen Moment blende ich alles aus. Jedes Geräusch. Jede Bewegung. Jeden anderen Gedanken. Ich erfreue einfach nur an dem Kuss, an den warmen, weichen Lippen und an dem verführerisch herbsüßen Geschmack. Nicht einmal die vorbeifahrenden Autos bemerke ich. Es ist ein schönes Gefühl, ein gutes. Es kann nicht so falsch sein, wie ich ständig denke. Ich genieße die Intensität und mein Gefühl schreit mir deutlich entgegen, dass ich das Versteckspiel langsam leid bin.

Jake lächelt, während er sich von mir löst. Ich höre ihn leise seufzen und wie er sich sachte über die Lippen leckt. Noch einmal streichen seine Finger durch meine Haare. Danach er steigt ohne ein weiteres Wort in sein Auto.

Ich sehe ihm nach und schleiche zurück zum Haus. Raphaels Auto steht mittlerweile in der Auffahrt und als ich die Haustür schließe und meine Jacke ausziehe, sehe ich ihn auf der Treppe stehen. Er beobachtet mich still und wirkt für einen Moment als würde er etwas sagen wollen, doch dann hebt er seine Hand nur zu einem kurzen Gruß. Danach verschwindet er im dunklen Flur.

Maya und er könnten an mir und Jake vorbeigefahren sein, wird mir schlagartig klar. Ob sie etwas gesehen haben? Mir wird heiß und kalt. Ich starre noch eine Weile in die Dunkelheit hinein. Mein Herz rammt sich heiß und hart gegen meine Brust. Mein Kopf ist leer. Ich kann nicht klardenken. Ich kann nicht atmen und ohne Sauerstoff funktioniert auch mein Gehirn nicht. Eine schlechte Kombi.
 

„Mark?“, höre ich meinen Vater rufen und löse mich aus meiner Starre. Im Wohnzimmer kann ich noch immer den Fernseher hören, doch nur noch mein Vater sitzt davor.

„Ja?“, frage ich abgelenkt.

„Wo warst du?“

„Müll rausbringen. Die alte Frau Mayer hat mich vollgequatscht...“, gebe ich ohne zu überlegen von mir. Mein Vater nickt wissen, denn auch ihn erwischt unsere alte Nachbarin jedes Mal wieder. Es scheint ihm zu reichen.

„Alles okay mit Mama?“, frage ich ihn und setze mich auf die Lehne der Couch. Mein Vater seufzt leise und nimmt einen Schluck aus seinem Cognacglas.

„Der Ärger auf Arbeit macht ihr zu schaffen. Du weißt ja, dass das mit dem Stress nicht so ihr Fall ist.“ Er lächelt und nimmt den letzten Schluck von seinem Cognac.

„Stress gefällt niemanden, außer vielleicht Soziopathen“, sage ich witzelnd und stehe wieder auf. Ich habe immer noch das Gefühl keine Luft zu bekommen. Meine Finger sind unruhig.

„Außerdem ist noch immer nicht ganz sicher, was wir zu ihrem Geburtstag machen werden.“, sagt er weiter. Doch ich höre gar nicht mehr richtig zu.

„Hm?“

„Na ja, feiern oder einfach nur Essen gehen. Sie weiß nicht, was sie will.“ Der Geburtstag meiner Mama. Ich hatte ihn fast vergessen. Es ist jedes Jahr das gleiche Drama.

Wir wünschen uns gegenseitig eine gute Nacht und ich gehe auf mein Zimmer. Als erstes öffne ich ein Fenster, atme tief ein und versuche meinen Puls wieder in vernünftige Bahnen zu lenken. Es klappt nur langsam. Ich ziehe meinen Ordner mit dem Referat für mein Bioprojekt hervor und beginne meine Karteikarten durchzugehen. Doch meine Gedanken schweifen ab. Zu Jake. Zu Raphael und wieder zurück. Irgendwann schlafe ich auf dem Bett ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2014-09-02T19:46:08+00:00 02.09.2014 21:46
Ja was wird jetzt werden wenn Raphael weiß das Mark auf Männer steht, geht ihm vielleicht sein Verhalten in den letzten Monaten Revue passieren. Mach weiter so.

LG
Onlyknow3


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