Zum Inhalt der Seite

Elemente - Die Auserwählten

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 2 - Auserwählt


 

Kapitel 2 - Auserwählt
 

Während ich auf der Bühne stehe, erzählt der Bürgermeister was für eine große Ehre es ist, dass es nach acht Jahren gleich zwei Auserwählte in Nord gibt. Was für eine Ehre es für die Familienangehörigen ist.
 

Doch es ist keine Ehre für meinen Vater. Nachdem meine Mutter ihn verlassen hat, lasse ich ihn nun im Stich. Meine Hilfe im Wald, von der er sich sicher war, dass er sie hatte, wurde ihm vor wenigen Minuten entrissen. Sieht er denn nicht, dass es nicht meine Schuld ist? Das ich nicht bestimmen kann, was die Forscher in meiner DNA sehen?

In den Gesichtern der Anderen sehe ich keine Enttäuschung, aber auch keine Freude. Eine Wand aus Gesichtern sieht zu mir hoch und saugt mir das Blut aus den Adern. Einige sind vollkommen überrascht, einige stutzig und einige andere sehen regelrecht vorwurfsvoll zu mir hoch. Sie glauben, dass ich die Ergebnisse gefälscht habe. Sie legen eine Hand auf die Schulter ihrer Söhne und fragen sich, warum ein Mädchen auf der Bühne steht und kein Junge.
 

Der Bürgermeister redet immer noch, als ich ein weiteres Paar Augen auf mir spüre. Ich sehe hinüber zu Deron, der mich ebenso anstarrt wie der Rest. Doch in seinem Blick sehe ich keine Überraschung, kein Unglauben. Keinen Vorwurf.

Sein Blick wirkt, als hätte er es gewusst. Als hätte er all die Zeit gewusst, dass aus den 18jährigen, die dort unten stehen, ich diejenige sein werde, die nun mit ihm hier auf der Bühne steht.

Ich runzle die Stirn, während wir uns weiterhin ansehen. Deute ich ihn wirklich richtig, auch wenn es für mich keinen Sinn macht? Was sieht er in mir, was all die anderen nicht sehen?
 

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als der Bürgermeister uns näher zu sich holt und sich selbst in die Mitte stellt. Er greift je eine Hand und reißt sie in die Höhe. Die Anwesenden beginnen wieder zu klatschen und dann kommen zwei Forscher auf die Bühne. Sie überreichen Deron und mir je eine Medaille auf der das Zeichen der Auserwählten ist: Ein Kreis, mit einem dicken Rand und einem Loch in der Mitte. Es ist dasselbe Zeichen, wie es die Elemente haben, nur das zu symbolisierende Element in der Mitte fehlt.

Dies wird das Zeichen sein, was sie mir heute auf das rechte Handgelenk tätowieren werden.
 

Im nächsten Moment werden Deron und ich in zwei separate Räume geführt, in denen wir uns von unserer Familie verabschieden können, bevor die Reise zu Mittelstadt losgeht.

Ich muss nicht lange warten, ehe die Tür sich wieder öffnet und meine älteren Brüder im Türrahmen stehen. Sie scheinen zu zögern, ganz anders als Caron. Er zögert keine Sekunde, als er zwischen die langen Beine seiner Brüder rennt. Im nächsten Moment bin ich auf meinen Knien und er wirft sich in meine ausgebreiteten Arme.
 

„Ich will nicht, dass du gehst!“, weint er und seine Tränen tränken den grünen Stoff meines Kleides an meiner Schulter. „Du darfst nicht gehen!“
 

Mir sind die Worte im Hals stecken geblieben und alles was ich tun kann, ist ihn zu halten und sein lockiges Haar zu streicheln.

Ich spüre die Arme meiner großen Brüder um mich, wie sie mich und den kleinen Caron halten. Wir bleiben eine Weile so, in der sich der Jüngste von uns wieder ein wenig beruhigt und ich die Wärme und Nähe meiner Familie genieße.
 

Irgendwann küsst Varon meine Stirn und nimmt den Kleinen in seine Arme. Als sie Beide den Raum verlassen, schreit Caron meinen Namen. Er schreit nach mir, wie das Kind nach der Mutter und es nimmt mir die Luft zum Atmen und zerdrückt mein Herz.

Erst als die Tür hinter ihnen schließt und ich Zaits Finger auf meiner Wange spüre, merke ich, dass ich weine. Meine Sicht verschwimmt, als ich hoch in das Gesicht meines ältesten Bruders sehe.
 

„Es tut mir so leid“, flüstere ich und als er die Arme um mich schlingt, kann ich mich nicht mehr beherrschen.
 

Ich weine lange an seiner Schulter, während es meinen Körper schüttelt und seine schützende Umarmung mich hält. Es ist, als wären wir wieder Kinder, als ich mir das Knie aufgeschlagen habe und er mich getröstet hat.

Erst nachdem ich wieder ruhig bin, lösen wir uns voneinander und ich sehe, dass seine Wangen ebenso nass sind wie meine, seine Augen ebenso rot.
 

„Ich pass auf die Beiden auf“, sagt er mit erstickter Stimme. „Ich pass auf Dad auf. Ich werde den kleinen Caron erziehen, ich verspreche es dir, Vana.“
 

Mit zitternden Fingern zieht er den einzigen Schmuck, den er besitzt über seinen Kopf. Es ist eine dünnes, schwarzes Lederband an der ein kupferfarbenes Symbol hängt: ein Kreis mit einer Linie in der Mitte, die einen Riss aufweist. Das Zeichen für Erde. Unsere Mutter hat ihm das Geschenk zu seiner Elementzeremonie vermacht. Es ist die einzige Erinnerung, die er an sie behalten hat.

Zait legt die Kette in meine Hand und schließt sie zu einer Faust, umfasst meine Finger mit seinen eigenen Händen.
 

„Ich kann das nicht annehmen“, erwidere ich, doch er schüttelt nur den Kopf.
 

„Vergiss uns nicht“, flüstert er. „Vergiss niemals, wie sehr wir dich lieben, Vana. Du wirst immer unsere kleine Schwester bleiben.“
 

Neue Tränen bahnen sich ihren Weg über meine Wangen und bevor ich noch ein Wort sagen kann, steht Zait auf und verlässt den Raum. Ich bleibe auf meinen Knien in der Mitte des leeren Raumes und warte. Schluchzer schütteln meinen Körper, als ich begreife, dass mein Vater nicht kommen wird. Er wird sich nicht von mir verabschieden. Ich werde ihn nie wieder sehen.
 

Meine Zeit ist um, als die Wachen mich abholen. Meine Wangen sind gerade getrocknet, als sie mir hochhelfen und ich das Zeichen der Auserwählten auf ihren Handgelenken sehe. Sie waren einst in meiner Position, mit einer leuchtenden Zukunft vor ihnen. Doch jeder Auserwählter muss am Ende seines Trainings die Prüfungen bestehen. Wer nicht besteht, wird zurück in die vier Städte geschickt, um dort als Wache zu dienen.

Eine Aufgabe, die niemand freiwillig will. Zurück zu gehen, mit der Schande über dem Kopf, dass man die Chance seines Lebens hatte und sie nicht bestanden hat. Dass man nun Verräter exekutieren und Verbrecher bestrafen muss. Dass man ein Außenseiter ist, der weder zu den Städten gehört, noch gut genug für Mittelstadt ist. Ein Leben, das ich niemals will.
 

Deron und ich werden aus der großen Halle und zum Bahnhof eskortiert. Dort wartet die große Maschine, mit der die Forscher aus Mittelstadt angereist sind. Sie wird zurück zu ihrem Ursprungsort fahren, doch dieses Mal werden zwei Passagiere mehr an Bord sein.

Zwei Wagons sind für die Auserwählten reserviert: ein Schlafraum mit angrenzendem Badezimmer und ein Wohnraum, in dem wir auch unsere Mahlzeiten zu uns nehmen werden.
 

Ich hab kaum Zeit darüber nachzudenken, ob meine Augen immer noch rot vom Weinen sind, als Deron und ich in den Zug geschoben werden und mein Magen sich dreht.

Wir stehen im Schlafwagon, doch hier gibt es keine separaten Räume für Jungs und Mädchen. Die meisten Auserwählten sind männlich und da Nord so wenige in all den Jahren hatten, hat man den dritten Wagon für die Mädchen weggelassen.

In dem großen Schlafraum befinden sich zehn Einzelbetten, die von kleinen Nachttischen am Kopfende getrennt werden. Schmale, lange Fenster sind über den Betten und am Ende des Wagons ist die Tür zum Badezimmer.
 

„Wir fahren drei Tage bis Mittelstadt“, sagt die Wache hinter uns, während wir uns umsehen. „Seht zu, dass ihr euch bis dahin benehmt. Zwischenmenschliches Verhalten, welches über Freundschaften hinaus geht ist verboten.“
 

Mit diesen Worten dreht er sich um und die Tür hinter uns gleitet mit einem Zischen zur Seite. Als wir alleine sind, bewegt sich keiner und die Stille, die folgt, liegt schwer auf den Schultern.
 

Meine Gedanken sind bei meinen Brüdern und dem Geschenk, das Zait mir vermacht hat. Meine Hand hat sich darum verkrampft, sodass die Knöchel weiß hervorstechen. Mein Herz schmerzt, wenn ich an Caron denke. Noch heute Morgen habe ich ihm gesagt, dass ich nicht weggehe. Dass wir alle zusammen bleiben werden. Was wird er von mir denken, nachdem ich ihn angelogen habe? Wie will Zait sich vernünftig um ihn kümmern, wenn er doch die meiste Zeit des Tages mit Varon und unserem Vater im Wald arbeiten muss?
 

„Du hast deine Dolche nicht dabei“, sagt Deron neben mir und weckt mich aus meinen Gedanken.
 

Meine Dolche? Unbemerkt gleitet meine Hand zu meiner Hüfte und erinnert mich daran, dass mein Gürtel an meiner Hose zu Hause hängt. Natürlich liegen meine Waffen zu Hause. Hätte ich sie mit zur großen Halle genommen, hätten sie sie mir weggenommen.

Es ist niemandem in den vier Städten gestattet Waffen mit sich zu tragen. Die Waffen, die Derons Familie in der Schmiede anfertigt, sind für Mittelstadt oder für Arbeitszwecke gedacht.

Aber woher weiß er, dass ich mehrere Dolche besitze? Oder sollte ich besser sagen besaß?

Als ich nichts sage und ihn nur anstarre, fährt Deron fort.
 

„Varon hat sie damals bei uns gekauft. Ich habe meinem Vater geholfen, sie zu schmieden.“
 

Seine Stimme ist tief und hat einen angenehmen Klang. Seine Worte erinnern mich daran, dass er vermutlich sein ganzes Leben lang Stahl durch die Luft geschwungen hat.

Als mein Blick auf die Muskeln fallen, die sich durch sein weißes Hemd pressen, erinnere ich mich an das Training, das auf uns in Mittelstadt wartet.

Wie soll ich das jemals bestehen? Im Vergleich zu Deron bin ich klein und zierlich, ein Stück Glass zu einem Brocken Stein. Wenn ich Pech habe, werde ich das einzige Mädchen dort sein. Und das Training ist vor allem körperlich sehr anstrengend. Man erwartet von den Auserwählten, dass sie das Land und die Menschen schützen.

Wie soll ich mich gegen die anderen Jungs behaupten? Wie soll ich das Training bloß überleben?
 

„Was meinst du, wann wir unsere Tattoos bekommen?“, reißt Deron mich wieder aus meinen Gedanken, doch er sieht mich nicht an. Sein Blick schweift durch den Wagon, in dem wir beide schlafen werden.
 

„Weiß nicht“, antworte ich nur.
 

Danach sind wir beide wieder still. Während ich den Jungen neben mir aus den Augenwinkeln betrachte, kommt mir ein neuer Gedanke. Ich muss nicht die Beste im Training sein. Ich muss einfach nur bestehen. Und wenn ich es gerade eben mit Ach und Krach schaffe, bestanden ist bestanden.

Hoffnung keimt in mir auf. Welches andere Mädchen hatte schon jemals das Glück auserwählt zu sein? Ich werde diese Chance nicht vergeuden. Ich werde hart arbeiten und mir meinen Platz in den Reihen sichern.

Als Deron sich zu mir dreht und auf die Tür in unserem Rücken deutet, habe ich die Schultern zurück geworfen und den Kopf erhoben.
 

„Sollen wir uns mal umsehen?“
 

Ich nicke und er deutet an, dass ich als Erstes gehen soll. Die Gänge zwischen den Wagons sind schmal, gerade einmal so breit wie Deron selbst. Der Wohnraum für die Auserwählten ist der letzte Wagon. Fenster ziehen sich an der Wand entlang und enden in einem großen Panorama am Ende des Raumes. Es erstreckt sich vom Boden zur Decke und gibt die optische Täuschung, dass der Wagon länger ist als die anderen.

Im vorderen Bereich des Raumes befindet sich ein Tisch auf jeder Seite mit je fünf Stühlen. Im hinteren Bereich zieht sich eine Couch an dem Panorama entlang, ein großer Bildschirm steht auf einem der kleinen Tische, doch er ist ausgeschaltet.

Überall findet sich der teure Stil von Mittelstadt wieder. Die Möbel sind aus Chrom gefertigt, die Polster sind in hellen Grau- und Blautöne gehalten und die Teppiche auf dem Boden sind strahlend weiß.

Deron und ich stehen beide davor, als würden wir uns nicht trauen, darauf zu treten. Als wären wir zu schmutzig für einen Teppich.
 

„Es tut mir leid, wegen deinem Vater“, sagt er leise zu mir und als ich ihn ansehe, scheinen meine Gesichtszüge völlig entgleist zu sein. Hat er es etwa gesehen? Hat er den Verrat in den Augen meines Vaters gesehen, als ich auf der Bühne stand?

Ich bin sprachlos und er scheint zu registrieren, dass er diesen Gedanken lieber für sich behalten hätte.
 

„T-tut mir leid, ich, äh… ich hätte nicht…“, stammelt er, während er sich mit einer Hand über den Nacken streicht und meinem Blick ausweicht. „Ich geh mir mal das Badezimmer ansehen.“
 

Ehe ich ihn aufhalten kann, hat er sich umgedreht und verschwindet aus dem Wagon. Doch meine Gedanken bleiben bei mir. Warum hatte Deron seine Augen auf meinen Vater gerichtet? Warum hatte er nicht zu seiner Familie gesehen, die stolz darauf gewesen waren, dass er auserwählt war?

So läuft es normalerweise ab. Die Familie ist stolz, obwohl es ein Abschied für ewig ist. Sie sind stolz, denn das eigene Kind hat die Chance auf Freiheit. Auf ein Leben in Mittelstadt, welches wir nur von Bildern oder Fernsehübertragungen kennen. Ein Leben, von dem alle anderen nur träumen können.
 

Erst als ich mich auf die Couch setze bemerke ich, dass ich Zaits Geschenk noch immer fest umschlossen halte und die Medaille um meinen Hals trage. Schmerz durchflutet meine Finger, als ich die Anspannung löse und die Kette betrachte, während ich das Geschenk der Forscher neben mir auf die Couch lege.

Der schwarze Lederband ist alt und an einigen Stellen fast durchgebrochen. Ich werde in Mittelstadt ein Neues kaufen müssen. Oder werden sie es mir wegnehmen? Es ist bekannt, dass Auserwählte nichts von zu Hause mitnehmen, denn in der Hauptstadt fangen sie ein neues Leben an. Alles ist neu: Kleidung, Schmuck, Identität. Ich werde nicht mehr die Tochter eines Försters sein. In der neuen Stadt bin ich Vana, die Auserwählte aus Nord.

Als ich mit den Fingern die Rundungen des Anhängers nachlaufe, fallen mir Zaits Worte ein. Er wusste das. Er wusste, dass alles was mich an meine Heimat bindet, in Mittelstadt verloren gehen wird.

Dennoch könnte ich ihn und meine Brüder niemals vergessen.
 

Ich bleibe den Rest des Tages auf der Couch sitzen und schaue aus dem Fenster. Deron kommt nicht zurück. Ich frage mich nicht, wo er wohl hingegangen ist und was seine Abwesenheit bedeuten könnte. Aber als es draußen langsam dunkler wird und ich Stimmen höre, kann ich nicht mehr länger still sitzen.
 

Ich will gerade die Tür zum Wagon öffnen, als sie mit einem Zischen zur Seite gleitet und vor mir ein fremder Mann steht. Er hat eine schokoladenfarbige Haut, die über und über mit Tätowierungen bedeckt ist. Nur sein Kopf und sein rechter Arm wurden von der Tinte verschont. Einzig das Zeichen der Hauptstadt ziert das rechte Handgelenk.

Er trägt ein dunkelblaues Hemd, welches keine Ärmel besitzt und dessen Kragen so hoch ist, dass er um seinen Hals und seinen Nacken drapiert ist. Die Beine stecken in einer schwarzen Hose und die Füße in schwarzen Schuhen, die an den Zehen viel zu lang scheinen. An der linken Augenbraue hängen mehrere silberne Ringe und als er beginnt zu sprechen, kann ich eine silberne Kugel auf seiner Zunge entdecken.
 

„Da ist sie ja!“, sagt er begeistert und legt beide Hände auf meine Schultern. „Wir haben schon den ganzen Zug nach dir abgesucht.“
 

Wir?
 

„Ein Glück, dass wir Deron gefunden haben!“, zwitschert eine weibliche Stimme im Hintergrund.
 

Bevor ich ihn stoppen kann, dirigiert der tätowierte Mann mich zurück zur Couch und drückt mich sanft, aber bestimmt nach unten. Hinter ihm folgen die Frau und Deron.

Ich hatte mir bei dem Auftreten des Mannes schon gedacht, dass seine Kleidung seltsam wirkt, aber im Vergleich zu der Frau sieht er noch normal aus.
 

Der Kopf der Frau ist völlig kahl geschoren und mit goldenen Ketten und Kugeln geschmückt. Einige sind davon an ihren Ohren befestigt, doch das meiste scheint irgendwo unter ihrer Haut verankert zu sein. Goldene Ringe finden sich in ihrer Lippe und den Nasenlöchern wieder und passen farblich zu ihrer Kleidung. Sie trägt einen weißen Ganzkörperanzug, der mit goldenen Elementen verziert ist. Die Füße stecken in hohen goldenen Stiefeln, die bis zum Knie reichen und einen so hohen Absatz besitzen, dass ich mich frage, wie sie darin laufen kann.

Mit kleinen Schritten tänzelt sie auf mich zu und küsst mich auf beiden Wangen.
 

„Ich bin so froh, dass es endlich wieder Auserwählte aus Nord gibt“, flötet sie, während sie in ihrem seltsamen Gang zurück zu Deron geht. „Ich habe Kasai schon gesagt, dass es endlich mal wieder Zeit wird. Und dann sind es gleich zwei Stück!“
 

Deron trägt in der linken Hand einen schwarzen Koffer, während das Handgelenk des rechten Armes bandagiert ist. Wurde er bereits tätowiert? Und als mein Blick zurück zu den zwei Mittelstädtern fällt, dämmert es mir, dass sie die Tätowierer sind.
 

„Ich bin Kasai“, stellt sich der Mann mit den vielen Tattoos vor und schüttelt meine Hand, ehe er zu seiner Kollegin deutet. „Und das ist Emalia. Wir sind die Tätowierer für Nord.“
 

Jedem Tätowierer, der an der Elementzeremonie teilnimmt, wird eine Stadt zugeteilt, um die er sich kümmern muss. Beide mussten allen 132 18jähigen heute ihr Element unter die Haut stechen. Ich bin die Einzige, die noch fehlt.
 

Auf Anweisungen von Emalia hin, stellt Deron die Tasche neben Kasai auf den Boden und setzt sich mir gegenüber und somit ans andere Ende der Couch. Kasai sucht alle benötigten Werkzeuge in der Tasche, während Emalia sich schwungvoll neben mich setzt und nach meinem linken Arm greift.

Sie redet auf mich ein, erzählt mir wie blass meine Haut doch sei und dass man das in Mittelstadt schnell ändern könnte, denn dieses Jahr ist eine dunkle Hautfarbe im Trend. Doch ich höre ihr nicht zu und sehe stattdessen hinüber zu Deron. Er nickt mir mit einem leichten Lächeln zu.
 

Würde er nicht so oft lachen und lächeln, könnte man sein Auftreten als hart und erbarmungslos beschreiben. Das blonde Haar ist so hell und so kurz, dass es die kantigen Züge deutlich hervor bringt. Die blauen Augen sind intensiv wie Messer, die aus ihren Höhlen hervorstechen. Ich fühle mich gefangen in seinem Blick, ehe ich einen brennenden Schmerz spüre.

Als ich auf mein rechtes Handgelenk sehe, hat Kasai angefangen die schwarze Farbe unter meine Haut zu stechen. Emalia hält meine andere Hand und tätschelt sie immer wieder.
 

„Es ist gleich vorbei, Süße“, sagt sie zu mir, ohne Luft zu holen. „Wir machen das hier jedes Jahr und ich sage es dir, jedes Jahr erzählen uns die jungen Leute immer wieder, wie sanft wir Beide sind, nicht wahr, Kasai? Du bist hier in guten Händen, Süße. Ich sage es dir, du hast großes Glück bei uns zu sein und nicht in Ost. So oft habe ich schon gehört, dass die Beiden in Ost nicht so sanft sind wie wir, nicht wahr, Kasai? Ich sage es dir Süße, bei uns…“
 

Doch ich höre ihr nicht mehr zu, denn der Schmerz nimmt meine ganze Aufmerksamkeit ein. Ich hatte mir oft vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, wenn ich endlich mein Element unter die Haut bekommen würde. Meine Brüder hatten mir erzählt, dass es pikst. Das es manchmal etwas unangenehm werden kann, aber es alles in allem nicht sehr schlimm wäre.
 

Doch es pikst nicht, sondern brennt wie Feuer. Instinktiv will ich meinen Arm zurückziehen, doch Kasai macht diese Arbeit nicht zum ersten Mal. Er hat meine Hand in einem festen Griff, welches den Blutfluss stoppt und mir keine Möglichkeit gibt zu entkommen. Die andere Hand fährt unbeirrt weiter mit der Tätowiernadel mein Handgelenk zu foltern.

Meine Atmung wird immer schneller und Emalias Geplapper lenkt mich nicht wirklich ab. Auf der andere Seite des Wagons sitzt Deron, die Arme auf die Lehne hinter sich gelegt und die Beine locker von sich gestreckt. Er hat eine entspannte Position, doch seine Augen beobachten mich aufmerksam. Sie studieren mein vor Schmerzen verzerrtes Gesicht und lassen mich nicht los. Es irritiert mich und bringt mich dazu, mich zusammenzureißen. Ich will nicht, dass er mich so sieht. So verletzlich und offen. Ich werde bald mit ihm trainieren und dann soll er wissen, dass ich kein kleines Lamm bin, welches auf den hungrigen Wolf wartet.
 

Als ich meine Gefühle unter Kontrolle habe, ist Kasai fertig. Er stellt die Maschine ab und betrachtet sein Werk, ehe er zufrieden nickt. Mein Handgelenk schmückt nun ein Kreis mit einem schwarzen, dicken Rand, doch seine Mitte ist leer. Kein Element, welches es füllt.
 

„Na, siehst du, jetzt ist es geschafft“, sagt Emalia neben mir und drückt meine Hand ein letztes Mal. „Du tapferes Ding, du! Lass mich schnell einen Verband darum wickeln, damit die Haut in Ruhe abheilen kann und dann bist du fertig.“
 

Während Kasai die Handschuhe abstreift und seine Werkzeuge zurück in die Tasche legt, holt sie einen weißen Verband daraus hervor und hat mein Handgelenk schnell damit umschlungen.

Als ich wieder zu Deron blicke, ist derselbe wissende Ausdruck in seinen Augen, den ich heute Morgen auf der Bühne gesehen habe. Er wusste, wie ich mich verhalten würde. Er wusste, dass ich entschlossen war, keine einzige Träne zu vergießen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Atina
2014-06-27T17:21:16+00:00 27.06.2014 19:21
Eigentlich ziemlich grausam, dass man sie sofort von den Familien trennt und man nichts mitnehmen darf. :-(


Zurück