~ Taub ~
[…]
“ Verlieben, verlieren, vergessen, verzeihen, sich hassen, verlassen, und doch unzertrennlich sein!
Vor lauter Sehnsucht ruft mein Herz, es möcht Dich gern verstehen. Gewaltig ist der Herzensschmerz, willst Du mich wiedersehen?“
[…]
Sie musste wieder eingeschlafen sein. Sasuke spürte die kalte Wand an ihrer Wange und blinzelte leicht auf. Ihr Körper fühlte sich abermals schwer und erschöpft an. Einzelne Bildfetzen durchquerten ihre Gedanken. Der hohe Turm und die nicht vorhandenen Türen, eingeschlossen in einem Gebäude, was unnatürlich war. Ob es an Magie grenzte? Fragen über Fragen, die in dem Kopf des Mädchens umher taumelten. Doch die Antworten so weit weg wie das Universum selbst. Millionenlichtjahre. So fühlte es sich zumindest an.
Ihre Augenglider flatterten immer wieder auf und ab, noch war sie benommen von einer unendlichen Müdigkeit. Doch ihre auditive Wahrnehmung war wachsamer als ihre Visuelle. Ein fast unhörbares Stöhnen durchquerte den Raum des Turms, es klang gequält und versucht nicht aufzufallen. Sasuke versuchte sich zu konzentrieren, um Genaueres wahrzunehmen. Eindeutig männlich, wenn sie sich nicht doch täuschte in ihrem Zustand der Verwirrtheit.
Wieder und wieder schlugen ihre Wimpern nach oben. Verschwommen erblickte das junge Mädchen die Kahlheit des Raumes. Mit einer seichten Links- und Rechtsbewegung durchforstete sie das Zimmer. Bis sie schließlich zu Boden blickte…
Eine rote Flüssigkeit zog ihre Linien bis zum Rande des Raums. Nicht ganz in ihre Richtung, dennoch würde die Spur auch sie in gewisser Zeit erreichen. Erschrocken öffnete sie nun ganz ihre Augen und ihr Magen zog sich sacht zusammen.
Blut. Frisches Blut lief über die kargen Steinböden und in einer Menge, die sie fast ohnmächtig werden ließ.
Sasukes Herz begann in einem unregelmäßigen Takt zu schlagen. Angst breitete sich in ihrer Seele aus. Angst vor dem Ungewissen, was bald nicht mehr unwissend bleiben würde. Denn sie musste nur ihren Blick in die richtige Richtung lenken, dann sah sie woher die endlose Flüssigkeit ihren Ursprung hatte.
Der Mann mit den blutroten Augen saß angelehnt mit dem Rücken an der Wand, in der hintersten Ecke des Zimmers. Sein Atem war leise, dennoch hörte sie seinen quälenden Schmerz. Er hielt sich den Arm fest. Sein Gesichtsausdruck wirkte kontrolliert und dennoch verkrampft, als ob er einen inneren Zwiespalt mit sich führen würde. Sasukes Augen fixierten seinen ganzen Körper, er war definitiv verwundet. Jedoch musste sie feststellen, dass auch Blut aus seinem Mund lief. Ob er sich auch innerliche Verletzungen zugezogen hatte?
Als er ein und ausatmete erhaschte die junge Uchiha einen Blick auf seine Schneidezähne, ungewöhnlich spitz und lang.
Sasuke erhob sich trotz Blutlache, zunächst stand sie etwas schummrig auf den Beinen, stütze sich mit der rechte Hand an der Wand ab, doch schon nach ein paar Sekunden hatte sie sich gefangen. Natürlich hatte er ihre Tätigkeit bemerkt und fokussierte sie skeptisch ,doch die Schwarzhaarige ließ sich durch seinen Blick nicht verunsichern. Konzentriert achtete sie auf ihre Schritte, die sie auf ihn zu machte und versuchte die Blutspur meist zu ignorieren.
Wenige Meter vor ihm stoppte sie, Sicherheitsabstand. Auch wenn er verwundet war, konnte er ihr durchaus noch gefährlich sein. Und wenn Sasuke eins von ihrem Vater gelernt hatte, dann dass man seinen ‚Gegner‘ richtig abschätzen musste.
Obwohl er ihrem Blick standhielt konnte sie beobachten , wie das Rot in seinen Augen anfing schwächer zu werden. Es färbte sich abwechselnd in einen schwarzblauen Ton, immer dann wenn er leicht aufstöhnte und seine Hand fester an seinen Arm presste. Er hatte Schmerzen, deutlich erkennbar, dafür musste man kein Genie sein.
Sasukes Herz toppte innerlich, warum wusste sie in diesem Moment auch nicht genau zu definieren, ob es bloße Angst war oder einfach seiner Nähe. Mutig machte sie noch einen wagen Schritt auf ihn zu, dann ging sie in die Knie. „Wie kann ich dir helfen?“
Ihre Worte blieben ihr fast in der Kehle stecken als er seine Lippen leicht verzog und sie wieder diese außergewöhnlichen Zähne schimmernd erblickte. Fast geriet ihre vestibuläre Wahrnehmung ins Wanken, je länger sie sich ansahen, desto mehr fühlten sich ihre Beine an wie Pudding.
Völlige Stille durchzog den Raum. Sasuke wagte es kaum nach Luft zu ringen, so angespannt war ihr Körper bereits.
Warum ließ dieser Mann sie so erschauernd und gleichzeitig so sehnsüchtig werden? Sie konnte es kaum beschreiben, all diese merkwürdigen Gefühle waren ihr fremd. Sein Blick bohrte sich bis in ihr Herz und vielleicht sogar noch weiter, bis in den Grund ihrer Seele. Ob er wusste was sie dachte? Was sie fühlte? Sie konnte nur hoffen, dass er sie niemals durchschauen würde. Es war eine Schwäche, die sie schon längst erkannt hatte ohne genau zu definieren wie sie diese benennen sollte.
[…]
„Es war Liebe auf den ersten Blick, doch sie zerfiel Stück für Stück. Du hast nicht an sie geglaubt und mir doch mein Herz geraubt.
Wenn Du eine Rose in der Wüste wärst, würde ich mich vor dich knien und weinen, damit du nicht verwelkst.“
[…]
Sasuke kam es wie eine Ewigkeit vor, in den Minuten, in denen er sie einfach nur anschwieg. Dann ein schwerer Seufzer, seiner Augen richteten sich auf die gegenüberliegende Seite von ihnen. Die Uchiha blickte in die Ecke, dort stand eine Art Tisch mit Gegenständen darauf – aber wie kamen sie dort hin? War sie wirklich so blind gewesen? Sie hätte schwören können, dass sich absolut gar nichts in diesem Raum befunden hatte. Oder war er ein Magier? Oder Illusionist? Oder war dieser Raum gar verwünscht?
Verwirrt, aber dennoch wortlos, richtete sie sich wieder auf und schritt zu dem gezeigten Tisch. Dort angekommen betrachtete sie eine Art Kasten – ein Verbandskasten? Neben dem Kasten waren verschiedene Tuben zu erkennen. Salben für die Wunde? Ausgerechnet jetzt waren all diese Arzneimittel hier? In diesem Turm des Nichts? Immer noch rang ihr Innersten mit sich selbst. Dieser Tisch war nicht hier gewesen und dieser Mann war zu verletzt gewesen um ihn hier herauf zu transportieren.
Am liebsten hätte sie sofort um Antworten gebeten, doch etwas tief in ihr sagte, sie sollte zunächst schweigen. Sie biss sich leicht auf die Unterlippe und nahm sowohl Kasten, als auch die Salben in die Hände. Dann trat sie den Rückweg an – zu ihm.
Angekommen setze sie die Sachen auf dem Boden ab und sah ihn kurz fragend an. Sich selbst verarzten war in seinem Zustand wohl eine Chance von 0,5 Prozent. Sie musste es tun, aber ob ihm das auch bewusst war, wusste sie noch nicht.
Sasuke hob die Kisten mit den Verbandssachen auf ihren Schoß und öffnete sie schließlich, um ihm zu verdeutlichen, dass sie Hand an ihn legen würde.
Immer noch sagte er keinen Ton, doch nach wenigen Minuten legte er seinen Arm frei, sodass sie die Wunde auch betrachten konnte.
Sasuke musste hart schlucken als sie den tiefen Schnitt? - Oder gar Biss? - zu Gesicht bekam. Was war ihm nur passiert? Ein Kampf? Eine Jagd?
Etwas irritiert blickte die Uchiha auf die unzähligen Salben, die sie zur Verfügung hatte. Der junge Mann vor ihr konnte ihre Unwissenheit gleich erkennen und sprach ein einsilbiges Wort aus. „Gelb.“, damit war wohl die gelbe Tube gemeint, schlussfolgerte Sasuke und schraubte den Deckel auf. Eine öliges Extrakt presste sich aus der Hülle als die Schwarzhaarige darauf drückte. Eine gute Masse füllte sich in ihre Handfläche. Mit zwei Fingern, dem Zeige- und Mittelfinger, tupfte sie sanft etwas auf seine Wunde. Er verzog das Gesicht zunehmend, zuckte jedoch keinesfalls, er hielt allem Schmerz stand, auch wenn sie sich wirklich bemühte vorsichtig zu sein.
Als sie die Wunden versorgt hatte, wollte sie mit einem Tuch, welches sie auch im Kasten Fand, seinen Mund abwischen. Doch der Mann wich zurück. „Ich… wollte nur Ihr Blut…“, doch ehe sie weiter etwas zusammen stottern konnte, reagierte er mit einem Satz, der es ihr eiskalt den Rücken runter laufen ließ. „Das ist nicht mein Blut.“
Kurz erstarrte ihr Körper und ihre Augen fixierten wieder seine Mundwinkel. Einerseits hieß es, er hatte keine inneren Verletzungen, anderseits… was hatte er zerbissen? Ob er sich nur gewehrt hatte? Oder war er der Angreifer gewesen?
Sie musste von allem ausgehen, auch wenn es ihr irgendwie missfiel, falls er derjenige sein sollte, der zuerst angegriffen hatte. Eigentlich konnte es ihr egal sein, doch unter fragwürdigen Umständen kreisten ihre Gedanken um seine Schuld, oder eben ‚Nicht Schuld‘. Jedoch würde er ihr sicher gerade nicht einfach so erzählen, was passiert war, so gut konnte sie ihn abschätzen. Nicht nur weil er verletzt war, auch seine Wortkargheit allgemein gab ihr dieses Gefühl. Fast kam es ihr vor, als würde sie ihn kennen. Natürlich reinster Schwachsinn…
Als sie ihre Hand zurückzog, und auf ihrem Schoß zurück platzierte, ließ der Schwarzhaarige sich gegen die Wand fallen. Er schien etwas entspannter zu wirken, seine Augen fokussierten sie ein letztes Mal, dann schloss er seine Augenlider. Anscheinend war er sich sicher, dass sie ihm nichts tun oder gar fliehen würde. Lächerlich, auch bei diesem seltsamen Raum ohne Türen. Sasuke begriff immer noch nicht, wie er hier hereinbekommen war, warum musste sie auch ausgerechnet schlafen, wenn so was passierte? Sollte sie nun Wache schieben, falls wieder etwas geschah? Doch wie hoch war die Wahrscheinlichkeit dass etwas passiert, wenn er hier verletzt schlummerte? Gering.
Seufzend sammelte die junge Uchiha die einzelnen Salben wieder ein und legte alles in den Verbandskasten zusammen. Vielleicht sollte sie es hier stehen lassen, der Verband musste mit Sicherheit gewechselt werden. Als sie einen Blick nach links machte musste sie jedoch verwundert feststellen, dass der Tisch der noch einige Minuten zuvor dort gestanden hatte, verschwunden war. Ihre Augenbrauen zuckten kurz nervös empor, träumte sie schon wieder oder wurde sie gar verrückt in diesem Turm? Oder war irgendeine Substanz in der Salbe gewesen, die schnell mit der Haut reagierte?
Sie starrte auf ihre Hände, doch Rückstände von einer Flüssigkeit konnte sie nicht erkennen. Bei so etwas war sie eigentlich immer höchst präzise gewesen. Daneben ging bei ihr nie etwas. Seltsam…
Wäre noch jemand im Raum gewesen, hätte sie es doch gemerkt!? Und gar hätte diese seinem Kollegen doch geholfen? Oder war hier noch ein Gefangener? Dies war ebenso abwegig, warum sollte dieser sich ihr verbergen, wenn sie doch im selben Boot saßen? Fast kam sie sich vor wie Alice im Wunderland, eine alte Geschichte, die ihr ihre Mutter immer vorgelesen hatte. Von dem verrückten Mädchen, das in eine Welt reiste, die noch verrückter war als sie, und wo alles keinen Sinn ergab. Dennoch war diese Welt bunt und voller Natur, hier fühlte man sich eher wie in einem Verließ.
[…]
„Wer durch's Gitter sieht, sieht oft, was er nicht gern sieht.
Jedoch manchmal befreit sogar die Gefangenschaft von vielen Sorgen.“
[…]
Und dann stand sie wieder da. Am Fenster, blickte hinab in die Tiefe. Sie hatte ihr Haarband gelöst und ihre Haare fielen hinab. Wären sie nur lang genug gewesen, hätte sie vielleicht eine Chance gehabt, hinabzugleiten. Doch sie reichten gerade mal einige Meter, bis zu kurz vor ihrem Hinterteil, würde man es aus verkehrter Sicht betrachten.
Fast verträumt sah Sasuke in den Himmel hinauf. Er war verdunkelt, fast als würde ein Gewitter aufziehen. Als sie genauer hinein blickte musste sie feststellen, dass die weiße Wolkenwand schon ziemlich dicht war, so sah der Himmel meist nur zur Winterzeit aus, wenn Schnee fallen würde…
Aber es war Mitten im Sommer … wieder runzelte die Uchiha exaltiert die Stirn. Nicht nur dieser Raum war seltsam, auch alles um ihn herum. Oder spielte die ganze Welt verrückt, ohne, dass sie es mitbekommen hatte?
Ein heftiger Windstoß zog durch das Fenster, unerwartet und heftig. Sasuke hielt schützend ihre Hände vor das Gesicht und kniff die Augen zusammen.
Die Kälte durchzog ihren Körper, als sie leicht blinzelte bemerkte sie wie ihre Fingerspitzen leichte Eiszapfen bildeten. Erschrocken richtete sie nun den ganzen Blick auf ihre Hände. Der rasche Temperaturschwung war wie ein weiteres Wunder, oder eher ein weiterer Alptraum. Sie begann zu zittern.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Jetzt war sie sich völlig sicher. Sie bildete sich dies nicht alles ein. Es war real. Etwas Magisches lag in der Luft. Etwas Magisches voller dunkler Magie. Angst mischte sich in ihren eisigen Körper. Ihre Lippen wurden taub.
[…]
“ Die größte Krankheit der Seele – das ist die Kälte.
Es ist sinnlos, über die Kälte um uns zu klagen, solange wir nicht bereit sind, uns füreinander zu erwärmen.“
[…]
Tbc…