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Behind the Wall

Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft
von

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Das nervöse Kitzeln der Furcht

Kapitel 16 Das nervöse Kitzeln der Furcht
 

Das Geräusch des Klingelns durchdringt mich als ich tatsächlich den grünen Hörer betätige. Jede Sekunde des Wartens ist blanke Unsicherheit. Ich bekomme Gänsehaut, die mit jeder deutlichen Klingelspitze immer weiter aufzuflammen scheint.

„Lee?", geht er ran. Ich kann nicht ausmachen, ob seine Stimme überrascht oder sorgenvoll klingt. Ich weiß nur, dass sie mir ein sanftes Kribbeln der Erleichterung schenkt. Ich starre auf die angelehnte Tür und höre ein Rascheln.

„Lee, alles okay?", wiederholt Rick flüsternd, weil ich noch immer nicht reagiere.

„Ich glaube in meine Wohnung wurde eingebrochen", sage ich nun. Ich beuge mich vor und schmule durch den Spalt. Richard scheint für einen Moment die Luft anzuhalten. In seinem Kopf spielen sich genauso, wie in meinem die unzähligen Eventualitäten ab.

„Bist du in der Wohnung?", fragt Rick ruhig und ich bin fast erstaunt, dass er nicht zuerst nach dem Verschließen der Tür fragt. Ich bin mir sicher, dass ich sie verschlossen habe. Zweimal. Ich achte darauf. Immer. Rick war doch sogar dabei gewesen. Mit einem Mal bin ich mir nicht mehr sicher. War es wirklich ein Zufall, dass genau zu diesem Zeitpunkt jemand bei mir einbricht? Sicher fragt sich Rick dasselbe. Ich höre, wie er leise, aber zischend Luft einzieht. Meine Hand legt sich in diesem Moment an das Holz der Tür. Ich drücke sie weiter auf und ich kann nun ein Stück in den Flur sehen. Im Übergang zum Wohnzimmer liegen Papiere am Boden.

„Bist du in der Wohnung?", wiederholt Rick leise, aber erregt. Ich höre deutlich, wie seine Atemfrequenz zugenommen hat. Immer wieder dringt ein Rauschen durch den Hörer.

„Nein, ich stehe davor." Ich drücke die Tür weiter auf und sehe noch mehr Papiere, die einen Pfad vom Wohnzimmer zum Schlafzimmer bilden. Die gesamte Flur entlang.

„Hast du die Polizei gerufen?", fragt Rick mich und ich schüttele ungesehen den Kopf. Auf diese Idee bin ich gar nicht gekommen. Ich habe eine innere Sperre, die jeglichen Gedanken an die Polizei verdrängt. Sie war nie mein Freund und Helfer. Ich mache einen ersten Schritt in die Wohnung. Nichts ist zu hören. Mein Blick wandert zur Küche rechts neben mir.

„Lee?" Energisch, aber leise schleudert er mir meinen Namen durch das Telefon als ich nicht reagiere. Mein Herz macht einen Satz und rammt sich dann ein wenig heftiger gegen meinen Brustkorb.

„Nein", antworte ich leise.

„Dann mach das, bitte. Geh nach draußen und warte bis die Beamten da sind. Geh nicht in die Wohnung! Hast du verstanden?" Das habe ich, aber dennoch mache ich einen weiteren Schritt hinein. Natürlich verlangt er, dass ich die Polizei dazu hole. Ich würde nicht anders reagieren, wenn er mich mit so einer Nachricht anruft. Ich will jedoch nur seine Stimme hören und ihn in dieser Situation an meiner Seite wissen, wenn auch nur in Form des Telefons. Zur Beruhigung und um mir selbst die Aufregung zu nehmen.

„Ruf die Polizei, sofort!", kommt es erneut mahnend von dem anderen Ende des Telefonhörers. Rick duldet keine weitere Verzögerung, aber in meinem Kopf spülen sich gerade die Auswirkungen ab, die ein Polizeieinsatz in meiner Wohnung mit sich bringen würde.

„Nein, Rick, das werde ich nicht. Sie werden deine Fingerabdrücke finden und Fragen stellen. Und wenn es der gleiche Kerl ist, der mit diese Hinweise zu steckt, dann hat er vielleicht etwas zurückgelassen, was uns miteinander in Verbindung bringt." Rick setzt zu einem Gegenkommentar an, doch dann stockt er. Meine Argumente sind stichhaltig. Er hat selbst nicht daran gedacht, dass höre ich dadurch, dass er scharf die Luft einzieht und nichts erwidert. Ich stelle mir Richards Gesichtsausdruck vor. Die senkrechten Falten auf seiner Stirn, die sich bilden, wenn er mit etwas nicht einverstanden ist. Seine Augenbrauen, die sich leicht zusammen ziehen und ihm diesem strengen Blick verleihen. Leider hat er diesen von seiner Mutter. Noch nie war ich der Grund gewesen, weswegen er so schauen musste. Ich gehe zuerst in die Küche. Sie scheint vollkommen unberührt. Das Glas mit der Schokocreme steht noch immer auf der Arbeitsplatte. Darauf abgelegt das benutzte Messer. Rick muss es abgeleckt haben, denn es wirkt relativ sauber.
 

Ich höre Stimmen im Hintergrund durch das Telefon. Rick versichert, dass er gleich erscheinen wird. Ich höre ihn leicht knurren als er sich wieder unserem Telefonat widmet.

„Geh, bitte nicht allein rein. Warte auf mich. Ich bin in 20 min da." Ein weiterer Versuch, doch dieser Vorschlag lässt mich nur noch energisch auf Rick reagieren.

„Untersteh dich herzukommen. Das macht doch alles noch schlimmer.", knalle ich ihm vor den Latz. In diesem Moment ertönt erneut eine Stimme im Hintergrund und obwohl Rick die Öffnungen des Telefons zuhält, kann ich sie als weiblich erkennen. Rau und kühl. Mahnende Worte. Richards Mutter. Sie duldet keine Widerrede. Das Wissen um ihre Anwesenheit bei ihm macht seinen Vorschlag nur noch wahnwitziger. Dennoch lässt er sich nicht abbringen weiter mit mir zu telefonieren.

„Verdammt! Der oder die Einbrecher könnten noch immer in der Wohnung sein. Sei vernünftig!"

„Ich bin vorsichtig. Geh lieber, sonst wird sie sauer", sage ich leise und lege damit auf. Ein letzter Blick auf das Display. Ich schiebe das Telefon in meine Hosentasche und setze meinen Weg durch die Wohnung fort. Nun spüre ich, wie mein Puls noch eine Schippe zulegt. Ricks Stimme, egal wie aufgebracht sie war, hat mich immer beruhigt. Auch gerade eben. Nun, wo sie weg ist, trifft mich das gesamte Maß der Aufregung und Angst. Was, wenn der Einbrecher wirklich noch in der Wohnung ist? Ich bleibe erneut stehen und lausche. Das Klingeln meines Handys zerreißt die Stille und hätte nun auch jeden Einbrecher aufgeschreckt. Nichts. Ich atme durch, lasse es klingeln und versuche mich zu fassen. Drei weitere Mal versucht Rick mich zu erreichen. Ich ignoriere ihn. Er wird es nicht lange durchhalten, weil er zu seinem Meeting muss. Ich wechsele von der Küche zur anderen Seiten des Flurs. Zum Wohnzimmer. Ein erster Blick offenbart mir das Chaos. Die Schränke sind durchwühlt und sämtliche Ordner mit meinen Unterlagen auseinander gerissen. Meine Finanzunterlagen. Meine Bewährungsunterlagen und die Schreiben meiner Anwältin. Alles liegt verstreut am Boden und auf dem Tisch. Mein Arbeitsvertrag liegt auf einem der Stühle.

Im Badezimmer scheint alles unangetastet. Es ist seltsam. Selbst meine am Morgen ausgezogene Schlafhose liegt genauso, wie abgelegt über dem Badewannenrand. Ich wende mich ab. Die Tür zu meinem Schlafzimmer ist geschlossen. Ich schließe sie nie und bin mir auch sicher, dass ich sie am Morgen offen gelassen habe. Zunächst beuge ich mich nach vorn und lege mein Ohr gegen die Lackierung der Tür. Sie ist kühl und rau. Ich schließe meine Augen. Ein wahnwitziger Vorgang, denn dadurch kann ich nicht besser hören, ob sich jemand im Zimmer befindet. Ich atme kurz durch bevor ich die Klinge runterdrücke und die Tür öffne. Es ist dunkel. Alle Vorhänge sind zugezogen. Sofort schlägt mir der Geruch von Rauch entgegen. Kalter, abgestandener Zigarettenrauch. Der Geruch ist deutlich und intensiv. Ich betätige den Lichtschalter und trete hinein. Für einen Moment habe ich das Gefühl kleine Nebelschwaden durch den Raum schweben zu sehen. Es müssen mehrere Zigaretten geraucht worden sein. Der kalte Rauch bereitet mir Übelkeit. Ich lehne mich kurz gegen den Türrahmen und schließe die Augen. Erinnerung. Sie treffen mich, wie ein Regenschauer voller Reißzwecken.
 

Ich denke an die rauen Hände. Seinem festen Griff um meinen Arm und die Finger, die sich hart und unbarmherzig in meine Haut gruben. Mein Herz schlug mit jeden Zentimeter, den er mich näher an sich heranzog, schneller. Sein alkoholisierter Atem schien sich über meine Haut zu brennen. Und tut es auch jetzt. Richard hat seine Augen. Sie fixierten mich. Auf seine zornerfüllten Worte achtete ich nicht. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt mich gegen ihn zu wehren. Der Geruch seines alkoholisierten Atems und der Zigaretten holen mich immer wieder ein. Der Ekel, der damit einherging, das schummerige Gefühl und die Benommenheit. Aber am Schlimmsten ist die Kraftlosigkeit mich nicht aus der Situation befreien zu können. Diese Hilflosigkeit spüre ich auch jetzt. Es wächst mir über den Kopf. Ich merke es deutlich.

Meine Hand legt sich an meinen Bauch. Direkt über meinen Magen. Ich versuche mich zusammenzureißen und gehe zum Fenster, öffne es. Ein kühler Luftzug streift meine Haut und gaukelt meiner Lunge für einen Moment einen Ausweg vor. Doch das bittere Gefühl verschwindet nicht. Ich blicke mich um und meine Augen richten sich auf das Bett. Es ist gemacht. Auch das ist nicht durch mich passiert. Mein Herz beginnt mit jedem weiteren Schritt, den ich darauf zu mache, heftiger zu pochen. Ich habe das ungute Gefühl, dass sich jemand dort hineingelegt hat.

Ich bekomme Gänsehaut als ich einen deutlichen und fast drapierten Kopfabdruck im Kissen erkenne. Was soll das? Ein kalter Schauer durchfährt mich und dann schaffe ich es gerade so zur Toilette bevor ich mich übergebe. Jemand war in meiner Wohnung und hat sich in mein Bett gelegt. Ich fühle mich entblößt und hilflos. Ein Zittern erfasst mich und ich übergebe mich ein weiteres Mal bis meine Speiseröhre brennt. Ich betätige die Spülung, lausche dem Plätschern. Ermattet bleibe ich einen Moment über der Toilette hängen und stütze meine Ellenbogen auf dem Sitz ab. Warum passiert das?

Danach spüle ich mir den Mund mit Wasser aus, putze mir kurz die Zähne und vermeide den Blick in den Spiegel. Meine Hände krallen sich an die Keramik des Waschbeckens und doch spüre ich die raue Beschaffenheit einiger getrockneter Wasserflecke. Mein Griff ist fast und unnachgiebig als wäre das der einzige Halt, der mich nicht zusammenbrechen lässt.

Der Geruch nach Rauch hat sich etwas verzogen als ich ins Schlafzimmer zurückkehre. Jedenfalls bilde ich es mir ein. Ich fühle mich taub.
 

Mit rasendem Puls kehre ich in den Flur zurück. Vor dem Schlafzimmer beginnt oder endet der Pfade aus Papieren. Ich bücke mich nach einem der Blätter. In der Mitte des Flurs höre ich mit dem Sammeln auf und richte mich auf. Was soll diese Inszenierung? Wer hatte einen Grund so etwas zu tun? Richards Mutter? Nein. Sie strebt nur das eine an. Mich zurück ins Gefängnis zu bringen. Moore? Auch er hat eigentlich deutlich gemacht, dass ihn andere Beweggründe leiten. Vielleicht...

„Hey,..." Ich reagiere erst durch das leise Klopfen an meinen Türrahmen. Der junge Mann, der unter mir in der Wohnung lebt. Seine dunkelbraunen Haare sind durcheinander und er sieht müde aus.

„Hi,...kann...ich, was für dich tun?", frage ich holprig, aber erstaunlich ruhig und versuche meinen Puls zu normalisieren.

„Deine Einkaufstüten stehen noch vor der Tür und ziehen die Tierwelt..." Er bricht ab. Als er das Chaos im Flur sieht, weiten sich seine Augen etwas. Ich habe meinen Einkauf völlig vergessen. Erst jetzt bemerke ich den Wäschekorb, der unter seinem rechten Arm klemmt. Er war auf dem Weg zum Dachboden um seine Wäsche aufzuhängen.

„Wurde bei dir eingebrochen?", fragt er erschrocken, „Bist du verletzt? Soll ich die Polizei rufen?" Er klingt dabei fast genauso fürsorglich und erschrocken, wie Richard. Seltsamerweise beruhigt mich die Anwesenheit des jungen Mann. Ich greife unwirsch nach dem Stapel Papieren, die ich auf die Kommode gelegt habe.

„Nein, nein. Das ist nicht nötig!", sage ich schnell und vielleicht etwas zu laut. Ich fahre mir ermattet durch die Haare. Es sollen nicht noch mehr Menschen in dieses Chaos mit hinein gezogen werden. So sehr ich ihm sein Hilfsangebot danke, so sehr möchte ich, dass er jetzt einfach geht.

„Wirklich. Es ist alles okay. Ich bin nicht verletzt und ich weiß auch, wer das hier war." Eine Lüge. Ich weiche seinem Blick aus und dennoch spüre ich, wie mich seine aufmerksamen Augen mustern. Ich denke an Richard und an die Tatsache, dass ich sondergleiche schlecht darin bin zu lügen. Wahrscheinlich merkt auch er das.

„Okay...", sagt er leise und sieht wenig überzeugt aus. Ich schiele seitlich zur Tür und sehe, wie er aus dem Türrahmen verschwindet und dann mit einem Mal wieder auftaucht.

„Ich bin übrigens Mark und wenn du deine Meinung änderst, ich bin direkt unter dir! Hey,.. aber nicht durch die Decke fallen, dass nimmt uns der Vermieter garantiert übel!" Unpassend, aber dennoch zaubert mir dieser Spruch für einen Moment ein Lächeln auf die Lippen. So was hätte Rick auch gebracht. Mark verschwindet ohne eine Erwiderung abzuwarten und ich sehe auf die Papiere vor mir. Es ist die letzte Seite meiner Dauerbenachrichtigung vom Kontaktverbot. Genau die jetzt vor mir zu sehen, ist wie blanker Hohn.

Ich verstehe einfach nicht, was das Ganze soll. Mir will jemand Angst machen, aber warum? Und vor allem wer? Erneut beginne ich darüber nachzudenken, wer für all das verantwortlich sein könnte. Ricks Mutter. Aber sie hätte nichts davon es heimlich zu tun. Sie könnte ihr Wissen einfach öffentlich machen und mich damit in die Knie zwingen.

Ich sehe zum Schlafzimmer. Der Kerl mit der Zigarette. Ich versuche mich an sein Gesicht zu erinnern, doch es verschwimmt. Trotzdem kommt in mir erneut das Gefühl auf ihn irgendwoher zu kennen.

Steven. Er weiß durch meine Personalakte, wo ich wohne, doch er weiß nichts von Rick und mir. Er will mir Schaden, aber ist er wirklich der Typ für Psychospielchen? Ich denke an die Sauerei, die er in meinem Spind hinterlassen hat. Mein Magen macht augenblicklich eine weitere Drehung. Zum Glück ist nichts mehr drin, was raus könnte. Ein deutliches Ja zu den Psychospielchen, aber ein Einbruch ist schon eine ganz andere Nummer.

Moore. Er beschattet mich. Ich blicke zum Wohnzimmer und bin dann mit wenigen Schritten vor dem Fenster. Noch immer verdecken die Vorhänge die Scheiben. Ich schiebe einen zur Seite um einen Blick auf die Straße zu bekommen. Es ist ruhig. Nach einer Weile sehe ich ein Auto vorbeifahren und dann erkenne eine Bewegung in einem der parkenden Wagen. Es ist nur ein Schatten. Mein Herz beginnt zu rasen als ich das schwarze Auto wiedererkenne.
 

Er hat es nicht einmal für nötig gehalten das Auto zu wechseln. Es macht mich so wütend. Ich hole meine Einkäufe rein, stelle sie nur im Flur ab und gehe runter. Lautlos und im Schatten gehe ich auf den Wagen zu. Ich schlage mit der flachen Hand gegen die Scheibe seines Fensters. Für mich laut. Für ihn dumpf. Moore schreckt zusammen. Ich sehe deutlich, wie sich die Hände des alten Mannes fester um das Lenkrad schließen. Er atmet aus. Auf seinem Schoss liegt eine Akte. In der rechten Ecke ein Bild, welches durch eine grüne Büroklammer gehalten wird. Es ist das Foto, was nach meiner Festnahme entstand. In diesem Augenblick war ich der festen Überzeugung, dass ich Richard niemals wieder sehen werden und genau das spiegelt sich in meinem Blick. Schmerz. Angst. Hoffnungslosigkeit. Moore schließt die Akte langsam als würde er gar nicht versuchen sie zu verstecken. Warum auch? Er hat uns seine Gründe, während des Telefonats sehr deutlich gemacht. Für Wahrheit und Gerechtigkeit, spottet in meinem Kopf. Die Scheibe fährt langsam runter. Mein Blick fällt auf den herausgezogenen Aschenbecher. Das sanfte Glühen einer gerade angesteckten Zigarette.

„Waren Sie in meine Wohnung?", frage ich ohne Umschweife als er mich ausreichend verstehen kann. Meine Finger legen sich ans Autodach. So stark, dass meine Knöchel weiß hervortreten.

„Wie bitte?", fragt er aufrichtig verwundert. So scheint es mir jedenfalls. Ich blicke in sein fragendes Gesicht. Seine blaugrauen Augen sind ausdruckstark und sie zeigen seinen festen Willen. Sie machen mir Angst. Angst davor zu verstehen, was er in der Lage sein könnte. Wie weit wird er gehen um an seine Wahrheit zu kommen?

„Waren sie in meiner Wohnung? Denn irgendjemand war es." Ein Blitzen geht durch seine Augen und für diesen Moment ist er wieder ganz Polizist.

„Ein Einbruch? Bist du dir sicher?"

„Die offenstehende Tür und das Chaos spricht dafür", patze ich.

„Hast du die Polizei gerufen?", fragt er mich und ich weiß in diesem Moment nicht, ob ich über diese Absurdität lachen soll oder mich ernsthaft fragen muss, ob es dem alten Mann gut geht. Er vollführt eine fahrige Bewegung durch seine Haare. Es ist kein richtiges Durchstreichen. Kein Richten. Eher eine nervöse Geste. Das Grau seine Haare wird auf seiner sonnengeküssten Haut besonders deutlich.

„Sehr witzig! Sie wissen ganz genau, dass ich nicht zur Polizei gehen kann und verdammt noch mal, lassen sie mich endlich in Ruhe. Ich will, dass Sie aufhören mich zu beschatten und sich endlich aus meinem Leben raushalten. Meine Akten sind unter Verschluss und das sind sie aus gutem Grund. Also hören Sie auf damit...Mit den Nachrichten. Mit dem Verfolgen. Mit allem", werfe ich ihm laut an den Kopf und bin wirklich wütend.

„Eleen, ich bin Polizeibeamter, wie kannst du es... Steig ein." Seine blassen Augen blicken mir wütend entgegen. Meine Worte trafen ihn direkt in seinem Polizistenherz und das sollten sie auch. Ich will wissen, was er weiß. Auch er kann schließlich jemand engagiert um für ihn die Drecksarbeit zu machen. Er hat Zugang zu den alten Polizeiakten und niemand sonst außer mir und Rick weiß so viel über den Fall, wie er.

„Los, steig ins Auto, de Faro!" Damit entriegelt er die Türen. Er duldet keine Widerrede. Meine Finger streichen über das kühle, feuchte Metall der Autotür. Ohne meine Antwort oder auch nur eine Reaktion abzuwarten, fährt er die Scheibe hoch. Unwillen durchfährt mich und dennoch gehe ich hinten um den Wagen herum und setze mich auf den Beifahrersitz. Hier drin ist der Geruch von kalten Rauch intensiver und unwillkürlich erfasst mich eine intensive Gänsehaut. Die Zigarette zwischen seinen Lippen wackelt. Das orange Glühen erhellt den Innenraum und obwohl die Heizung an ist, ist mir bitterkalt.

„Ich verbiete mir solche Anschuldigungen.", sagt er noch während er den Rauch ausstößt. Der Ernst in seiner Stimme ist unverkennbar.

„Sie sitzen seit Tagen vor meiner Wohnung und bespitzeln mich. Das ist doch die Wahrheit", gebe ich fast pampig von mir. Ich habe jedes Mal, dass Gefühl wieder zu dem Jugendlichen zu werden, der ich war als wir das erste Mal aufeinander getroffen sind.

„Begreifst du es nicht! Wenn es wahr ist, was du erzählst, dann hast du viel größere Probleme als mich, Eleen", sagt er und bedenkt mich mit einem Blick, der von beißender Wahrheit und einer seltsamen Sorge spricht. „Also wärst du so freundlich wirst etwas konkreter?" Mein Inneres sträubt sich und das zeigt sich auch nach außen.

„Ich bekomme komische Nachrichten." Ich schließe meine Augen, seufze deutlich und wiege jedes Wort hin und her bevor ich es ausspreche. Moore unterbricht mich nicht. Er bedrängt mich auch nicht.

„Anrufe, ohne dass jemand etwas sagt. Zettel mit seltsamen Daten. Ich habe einen Ausschnitt meines Verhörs bekommen. Ich dachte, meine Akte sei unter Verschluss."

„Das ist sie auch."

„Und wer bitte kommt da noch alles ran? Anwälte? Polizisten?"

„Hüte dich! Ich hätte den Verstoß gegen deine Bewährungsauflagen schon längst melden können und habe es nicht getan. Das du mir solche Machenschaften überhaupt zu traust!" Ihm traue ich alles zu. Doch ich spreche es nicht aus.

„Sie sitzen trotz Ruhestand in einem unbequemen Mietwagen und bespitzeln mich. Das nenne ich dezent verbissen."

„Verbissen? Ich bin gründlich."

„Der Fall ist abgeschlossen!"

„Das ist er erst, wenn ich es sage..."

„Nein, kein bisschen verbissen", spöttele ich.

„Dann sagt endlich die Wahrheit! Alle beide!", bellt er angestachelt. Ich lege mir den Arm vor den Bauch. Es ist frustrierend.

„Um Himmelswillen, Eleen. Tue dir selbst den Gefallen und halte dich von Richard fern. Seine Versuche Widerspruch gegen das Kontaktverbot einzulegen werden fruchtlos sein, denn er wird es nicht schaffen das Verbot aufzuheben. Sybilla Paddock wird..."

„Er hat Widerspruch eingelegt?", frage ich verwirrt.

„Das hat er dir nicht gesagt?" Ich schüttle nur mit dem Kopf und sehe auf meine Hände, die mit einem mal nicht mehr regungslos sind. Mit der Fingerbeere streiche ich mir über die Nagelkanten der anderen Finger. An einer gespaltenen Stelle fange ich an rum zu knibbeln. Mir wird mit einem Mal eiskalt. Vielleicht weiß seine Mutter wirklich darüber Bescheid.

„Schon letzte Woche. Richard kümmert sich einen Scheiß darum, dass das nach hinten losgehen kann und du direkt zurück in den Knast gehst. Er denkt nicht über die Konsequenzen nach." Ich denke an Ricks unbedachte Äußerung heute Morgen und auch vorhin am Telefon. Unbewusst weiche ich Moores Blick aus.

„Hör zu, Sybilla Paddock hat zwar ihm die Leitung der Firma übergetragen, aber sie mischt noch immer mit und wird es herausbekommen. Wenn auch nur einer seiner Mutter gegenüber erwähnt, dass ihr euch wieder seht, dann stehen sofort zwei Beamte vor deiner Tür. Sie hat ihre Mittel und Wege. Das weißt du."

„Sie hat keine Beweise. Nur weil er das Kontaktverbot beenden will, heißt es nicht, dass wir uns sehen." Ich klinge wenig überzeugt. Erst Moores Hand an meinem Arm lässt mich aufblicken.

"Das überzeugt dich doch selbst nicht!", bellt er und schnalzt mit der Zunge. Danach nimmt er einen weiteren tiefen Zug von seiner Zigarette.

„Woher wissen sie das Alles?", frage ich leise.

„Ich bin ein guter Polizist!" Stolz schwimmt in seiner Stimme. Er geißelt mich.

„Waren", kommentiere ich flapsig und erinnere mich an seine eigene deutliche Klarstellung beim letzten Aufeinandertreffen.

„Hör auf mit dieser Korinthenkackerei", fährt er mich an und ich fühle mich wieder, wie der 17-jährige Junge, der mehrere Stunden im Verhörraum bearbeitet wurde und das obwohl ich sofort geständig war.

„Eleen, tu dir endlich selbst den Gefallen und sage dich von Richard los. Egal, was er dir verspricht, es wird nicht dazu kommen. Ihr habt keine gemeinsame Zukunft und ihr hattet sie nie." Seine Worte schneiden sich durch meinen Körper. Mein Herz möchte ihm entgegen rufen, dass wir uns lieben und dass wir es schaffen werden, doch mein Verstand stimmt ihm zu. Es hat noch nie gut für uns ausgesehen. Wir bedienen ein Klischee. Unterschiedliche gesellschaftliche Stellungen. Völlig verschiedene familiäre Situationen. Wir sind zwei Männer und dazu kommt dieses verzweifelte Verbrechen. Doch die Liebe, die ich für Rick empfinde, ist so stark, dass ich nicht darüber nachdenken will, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben. Noch immer umfasst Moores Hand meinen Arm.

„Eleen,...", setzt er an, doch ich unterbreche ihn.

„Sie liegen falsch", sage ich, öffne die Beifahrertür und steige aus. Ich höre, wie er seufzt.

„Warte kurz. Es mag sein, dass ich nicht verstehe, was das zwischen euch ist, aber ich kenne Menschen wie Richard Paddock und ich bezweifele, dass er sich für dich entscheiden kann, wenn es darauf ankommt."

Ich schließe die Wagentür und gehe ohne noch einmal zurück zu sehen über die Straße. Meine Glieder sind taub. Ich fühle mich leer.
 

Als ich wieder hochkommen, bleibe ich eine Weile vor der Tür stehen. Mein Blick wandert zum Türknauf und dann zum Schloss. Ich starre es eine ganze Weile an und dann spüre ich, wie das Verstehen einsetzt. Mein Herz stolpert. Das Schloss ist unangetastet. Kein Kratzer. Keine Schramme. Nichts. Das ist mir vorhin gar nicht aufgefallen. Die Spitze meines Zeigefingers wandert über die Rundung des Zylinderschlosses. Keine Einbruchsspuren. Ich ziehe den Schlüssel aus meiner Hosentasche. Der metallische Gegenstand liegt schwer in meiner Hand und das obwohl er kaum etwas wiegt. Wer auch immer in meiner Wohnung gewesen ist, hat einen Schlüssel benutzt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Inan
2015-04-03T19:40:02+00:00 03.04.2015 21:40
Jetzt wird es tricky. Es stimmt, da macht sich jemand ganz schön Mühe, um Lee das Leben schwer zu machen. Steven hätte sicher genug Aggressionspotenzial, aber da würde er doch eher gleich gewalttätig werden. Moore war es offenbar nicht, der da eingebrochen ist, aber die Auswahl hält sich dann sehr in Grenzen. Ich bin fast geneigt, zu erwägen, dass Rick sich Lees Schlüssel kopiert hat und irgendwie versucht, Lee vor dem Gesetz aus der Täterrolle zu holen. Vielleicht wird er auch von seiner Mutter gegen seinen Willen eingespannt.
Allerdings erkennt Eleen Rick hundert Meter gegen den Wind und würde ihn wohl nicht in Verkleidung als Typen abstempeln, der ihm bekannt vorkommt und eigentlich können sie einander ohnehin nicht leiden sehen.
Ricks Mutter hat ja nun eigentlich nichts davon, Lee einen Schrecken nach dem anderen einzujagen.
Sehr schönes Kapitel, da es ja oft bekanntlich erst schlimmer und dann besser wird, bin ich auf die Auflösung schon gespannt.
Antwort von:  Karo_del_Green
03.04.2015 23:12
Toll, wie viele Gedanken du dir machts. Das erfüllt mein Herz mit ganz viel Glück *__*
Vielen lieben Dank für das Kommie :)

Es wird langsam immer undurchsichtiger ^^... einbisschen jedenfalls^^, aber sonst wäre ja langweilig.
Ich muss dir Recht geben. Eleen würde Rick auf hundert Meilen gegen den Wind riechen. Er könnte sich also nicht derartig tarnen, aber ich finde trotzdem sehr interessant, welchen Aspekt du damit ansprichst :)

Auch dir noch einmal ein von Herzen kommendes Danke für das Kommie. Ich habe es mit Freude gelesen und mir so meine Gedanken gemacht :)

Ich wunsche dir ein freudiges Osterfest und einen ganz lieben Gruß,
del
Von:  SakuraxChazz
2015-04-03T18:04:07+00:00 03.04.2015 20:04
Halli hallo^^

Das ist jetzt echt gruselig. Und wohl nicht Stevens Werk. Der ist dafür nicht schlau genug. Außerdem hätte er nicht die Zeit um die bilder zu machen und nicht die Mittel um sich wen dafür leisten zu können. Ihn schließe ich schonmal aus.
Bei der Paddock bin ich mir noch nciht ganz so sicher. Vielleicht hat ihr Auftragnehmer auch einfach zu großen Gefallen daran andere zu quälen. Vielleicht will er eleen so bestrafen, das es so lange gedauert hat, bis es zu solchen Bildern kommen konnte. Da musste ja jemand sehr geduldig sein und auch wissen was er sucht. Das sah mir nicht nach Zufallsschnappschüssen aus.
Das ist echt übel. Und Moore ist es nicht gewesen.. Wenn er wenigstens etwas gesehen hätte! Aber auf was hätte er da auch groß achten sollen? allerdings hätte ich einem ehemaligen Polizisten schon zugetraut, das er sich die Backgrounddaten des Hauses besorgt und weiß wer da ein und ausgeht. Gut jetzt könnte das dann ja auch Besuch sein, aber dann könnte er dennoch zumindest ein wenig eingrenzen um wen es geht. Vielleicht ist es auch kein Mann sondern eine Frau? Frauen können auch einbrechen und so gemein sein. Ich wüsste da gerade nur nicht wer...
Ich bin echt gespannt wie der Einbrecher an einen Schlüssel kam. Nachher war es der Hausmeister, der rausgefunden hat weswegen er saß und das nicht mag. Stellt sich mir nur wieder die Frage, wozu sollte er sich diese Zeit nehmen? Wer hat genug Zeit und Energie um sowas durchzuziehen?
Ich freu mich schon sehr auf das nächste Kapitel^^

Frohe Ostern!

LG Saku^^
Antwort von:  Karo_del_Green
03.04.2015 23:03
*__* Ich freue mich ja so, dass du dir so viele Gedanken machst und einbisschen mitfieberst!
Das erfüllt mein Herz mit ganz viel Glück! Vielen lieben Dank für den Kommentar! :)

Du hast sogar Personen mit aufgelistet, die ich unheimlich interessant finde und die tatsächlich Motive hätte. Spannend! Ich verspreche, dass zu einer Auflösung kommt ^^

Ich wünsche ein wunderbares Osterfest! :D und möchte dir noch einmal für das tolle Kommie danken!

Lieben Gruß,
del


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