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Behind the Wall

Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft
von

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Epilog

Epilog
 

Der laue Windhauch ist kühl und füllt meine Lunge mit frischem Leben. Ich atme tief, spüre das Freudenfeuer in meinem Körper tanzen. Ich fühle mich frei, unbefangen und zufrieden, mit jedem Atemzug mehr. Der urbane Dunst fällt von mir ab, als ich die unbefestigte Zufahrt hinauflaufe und die Stadt auch gedanklich hinter mir lasse. Die Zitterpappeln am Ufer des Sees machen ihrem Namen alle Ehre und ein Windstoß lässt die wankenden Blätter förmlich singen. Ich ziehe den Schlüsselbund aus der Tasche und begleite die natürliche Geräuschkulisse mit leisem Summen, während ich auf das alte Holzhaus zugehen.

In all den Jahren hat sich hier kaum etwas verändert. Der morsche Baumstumpf neben dem Schuppen dient noch immer als Werkzeughalter und das mittlerweile unvollständige Windspiel aus Perlen und Muscheln weht ohne Klang. Das Holz der Veranda ist morsch, der stetigen Witterung ergeben. Gleichwohl erfüllt es mich mit einem konstanten Wohlgefühl. Hier kann ich die Vergangenheit riechen, sehen und hören. Der Duft von Lavendel, der trotz all der Jahre noch in den Textilien hängt. Die Spuren im Holz. Das Lachen im Gras.
 

Als ich den Schlüssel im Schloss drehe, ist dieser winzige Widerstand zu spüren. Es ist wie das sekundenschnelle Zögern, welches mich weiterhin in vielen Situationen begleitet. Ich notiere Scharnieröl auf meiner gedanklichen To-Do-Liste, gebe der Tür einen eindringlichen Stoß und sie öffnet sich mit einem knarzenden Ruf. Der Geruch von Staub und muffigen Potpourri weht mir entgegen. Einst war es der Lavendel, der hinter dem Haus wuchs und im Sommer jedes Duftsäckchen unnötig machte. Letzte Woche habe ich ihn neu gepflanzt.

Ich stelle die Tasche und den Rucksack auf dem Küchentisch ab, ehe ich in den einzelnen Räumen die Fenster öffne. In den Zimmern ist nach wie vor viel zu tun und ich freue mich darauf, alles wieder schön herzurichten.

In den letzten Wochen habe ich die Elektrik auf Vordermann gebracht und abdichtende Reparaturen am Dach und an den Böden vorgenommen. Trotzdem sind die Spinnenweben schneller wieder da, als ich sie wegbekomme. In der Küche, mitten im Fensterrahmen, hat eine Spinne ihr Netz gebaut. Ich sehe es durch Zufall, als die Sonne es gegen Mittag um die Zitterpappel herum geschafft hat und die feinen Webstränge glitzern und glühen. Es ist nahezu perfekt und spannt seine Fäden in den vier Ecken des abgeblätterten Rahmens. Ich lege den Hammer zur Seite, den ich in einem der Schlafzimmer benutzt habe, um Ausbesserungen am Boden vorzunehmen, fülle mir ein Glas mit Wasser und gehe dichter heran. Es schimmert und ich erkenne, wie es durch die kleinsten Bewegungen zu schwingen beginnt. Es dauert nicht lange, bis ich auch die dazugehörige Kreuzspinne in einer leicht versteckten Ecke sitzen sehe. Ich habe immer bewundert, wie die kleinen Wesen der Natur diese fantastischen Kunstwerke erschaffen können. Kaum eine Woche hat sie dafür gebraucht, ihre Existenz zu erschaffen.
 

Mehr als ein Jahr dauerte es bei mir.
 

Mehr als ein Jahr ist es her, dass der einst vorübergehend geflickte Scherbenhaufen meines Lebens erneut in Trümmern lag. Es fühlte sich endlos an, da er nur langsam wieder begann, zusammenzuwachsen. Ständig lösten sich neue Splitter und öffneten alte Wunden. Es war fast wie damals. Aber mit einem Unterschied. Diesmal war ich nicht allein.
 

Moore unternahm alles, um zu verhindern, dass sich das Geschehene negativ auf meine Bewährung auswirkte. Auch Ewan schaltet sich ein und sagte als Zeuge aus, berichtet von den Einbrüchen und Schäden, die in meiner Wohnung durch Steven entstanden waren.

Jaron gestand.

Kaley sprach unentwegt mit Barson, um zu verhindern, dass ich entlassen werde. Sie schaffte es, ihn zu überzeugen und nach zweimonatiger Suspendierung durfte ich meinen Dienst wieder aufnehmen.

Und Richard… er schwieg, wie vereinbart und zog die Anträge zurück, die das generelle Kontaktverbot anfechten sollten. Seit zwei Monaten ist meine Bewährungszeit offiziell vorüber.
 

Draußen schlägt die Tür eines Autos zu und ich schaue von meinem Glas Wasser auf. Die Haustür ist nur angelehnt und es fühlt sich richtig an. Es ist in Ordnung, weil die Angst etwas nachgelassen hat. Trotzdem sind die Mauern noch da und werden vermutlich niemals vollkommen verschwinden. Doch im Gegensatz zu früher, habe ich verstanden, dass ich Menschen um mich herumhabe, die mir helfen, sie einzureißen, wenn es nötig wird. Denen ich mein Vertrauen schenken kann, die es aber nicht vorrausetzen.

Steven hat es nicht geschafft. Der Blutverlust war zu groß und er verstarb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Obwohl ich keine Schuld daran trage, schwebt sein Tod als erinnernde Wolke über mir.
 

Mit dem charakteristischen Knarzen öffnet sich die Tür und ein freudiges Kichern löst es ab. Ich stelle das Glas zur Seite, als ein herzliches Lachen folgt. In diesem Moment stolpern mir zarte blonde Locken entgegen. Kurze, aber kräftige Arme schlingen sich um meine Beine und erneut ertönt das wundervolle Kichern. Ich hocke mich hin und wir schauen uns an. Kayas rosige Wangen unterstreichen die glücklich glänzenden Kulleraugen. Sie schnauft geschafft von den hohen Treppenstufen, die sie meistern musste, um die Hütte zu erklimmen. Kaya hüpft und wirft sich mir vollends entgegen, drückt ihren kleinen Lockenkopf sachte gegen meine Schulter.

„Hallo, Wirbelwind.“, begrüße ich sie. Ich streichele ihr zärtlich eine lockige Strähne hinters Ohr und lächele. In diesem Moment kommt auch Richard durch die Tür. Er schnauft laut, stellt die vollgepackten Beutel neben der Tür ab. Kaya wuselt sich aus meinen Armen und ich richte mich auf, um ihm entgegen zu gehen und etwas abzunehmen. Sie zischt zwischen uns hindurch in eines der anderen Zimmer. Irgendwas geht direkt zu Boden. Es scheppert und rumst, doch weder Richard noch ich reagieren darauf, als danach beruhigendes Kichern ertönt. Wir schauen uns einfach nur an, bis ich fragend eine Augenbraue hebe und er die letzte Entfernung tilgt.
 

Mein Kindheitsfreund führt mich in eine Umarmung und haucht mir einen Kuss auf die Lippen, die ihn sehnsüchtig willkommen heißen. Die ersten Berührungen fühlen sich leicht an, zeugen von Vermissen und Sehnsucht. Sie sind warm, wie die Sonnenstrahlen eines frühen Sommertags. Sie schmecken frisch, wie Erdbeeren und nach süßesten Erinnerungen. Sie versprechen mir mehr. Sie geben mir alles, also lasse ich ihn das spüren. Ich intensiviere den Kuss, nippe und necke an seiner Unterlippe, sodass sich sein Mund öffnet. Rick entflieht ein tiefes Raunen. Mit einem Mal packt er mich mit beiden Händen an der Hüfte und setzt mich auf der Küchenanrichte ab. Ich kann nicht anderes, als überrascht laut loszulachen, murmele seinen Namen, wie ein plötzlicher Sommerschauer. Rick stiehlt sich ungescheut weitere Küsse, benetzt mein Gesicht mit flatternden Flügelschlägen von Liebe.

„Wie war dein Dinner-Date gestern?“, fragt er schmunzelnd, nachdem er jede Stelle mindestens einmal getroffen hat und ich mich wieder beruhige. Er streichelt meinen Oberschenkel entlang und macht es mir schwer, mich zu konzentrieren.

„Interessant, lecker und auch… eigenartig? Ergibt das Sinn?“

„Durchaus, wenn du mit Kaley wirklich bei dem Mexikaner warst, der Insekten serviert.“ Schon beim letzten Mal hob er seine Augenbraue im Unverständnis. Diesmal wieder.

„Heuschrecken in Chipotle-Jalapeño-Pulver gewälzt. Vorzüglich. Für den Nachtisch waren sie schokoliert. War echt gut.“

„Auch scharf?“

„Auch scharf…“, bestätige ich lachend, „Sehr lecker, wenn man nicht darüber nachdenkt, dass man gerade Insektenbeinchen verzehrt.“ Rick verzieht das Gesicht.

„Gut zu wissen. Ich befürchte nur, dass ich sie in der Wildnis nirgendwo mit Schokoüberzug finde, wenn ich mich mal verlaufe.“

„Eher unwahrscheinlich“, stimme ich zu.

„Welch verrückte Landesküche erkundet ihr beim nächsten Mal?“, fragt mein Kindheitsfreund amüsiert und ich weiß, dass er ein kleines bisschen eifersüchtig ist, weil ich ihm erklärt habe, dass das etwas ist, was ich mit Kaley allein machen möchte. Er versteht es.

„Sie hat ein haitianisches Restaurant entdeckt und ist Feuer und Flamme.“

„Kling gut! Auch wenn ich keine Ahnung habe, was typisches haitianisches Essen ist “, bekundet er lächelnd. Ich weiß es auch nicht, aber ich lasse mich gern überraschen. „Und wie war die Therapiesitzung?“

„Intensiv… aufschlussreich und voranbringend“, berichte ich. Richard nickt, murmelt ein paar Guts vor sich hin. Diesmal lächele ich, wische seine verweilende Sorge mit einem Kuss davon. Es ist gut. Jeden Tag wird es besser und diese Momente sind die Besten.
 

Mit seiner warmen Hand in meinem Nacken bin ich mir sicher, immer weiter voranzuschreiten und alles überwinden zu können. Richard ist und bleibt mein Sommer. Er zieht mich in einen sanften Kuss. Die Süße seiner Lippen schenkt mir Liebe und das zauberhafte Kinderlachen im Nebenzimmer schenkt mir Glückseligkeit.
 

Die letzten Jahre waren voller Entbehrungen. Sie nahmen viel, aber sie gaben mir alles. Jetzt bin ich endlich zu Hause.
 

~

Ein neuer Sommer bringt Sonnenstrahlen voller Sünd,

heiß und wild, das Versprechen, was ich dir einst gab, ich niemals künd.
 

Liebe heißt verstehen und verzeihen.

Und täglich neu sein Herz verleihen.
 

Darum versprech ich, mit aller Vernunft.

Dich will ich lieben.

Dich will ich halten.

Auf EWIG.

~
 

Ende
 


 

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Ende. Oh man. Ich bin gerade ganz furchtbar emotional. 🥺🥺
 

Ich fühle mich gerade mächtig überrollt. Ich habe wirklich lange an der Geschichte von Eleen und Richard geschrieben und ihnen nun endlich auch ein Ende gegeben zu haben, ist wahnsinnig intensiv für mich. Sie haben mich so oft weinen lassen, auch jetzt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich allem gerecht werden konnte. Die Welt ist chaotisch. Sie kann einen überfahren. Niemand ist perfekt und man kann es niemals allen recht machen, aber ich habe meine Geschichte erzählt.
 

Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei allen, die mich bei dieser intensiven Geschichte begleitet, mich unterstützt und angefeuert haben. Habt großen Dank für eure Geduld und Liebe für Lee und Rick. ❤
 

Ich werde jetzt ein Eis essen und danach noch eine Runde weinen.



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