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[Barkeeper-Reihe 03] Barkeeper in Not

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Kapitel 02 - Gegen die Vorschrift

Kapitel 02 - Gegen die Vorschrift
 

~Marcell~

Viertel nach elf bin ich am Velvet angekommen und stehe dort vor der Tür. Bin ich aufgeregt! Ich muss mein Bestes geben! Ich muss einfach! Der Job bedeutet alles für mich. Denn wenn ich ihn nicht bekomme, dann fliege ich aus meiner Wohnung. So verzwickt ist meine Lage inzwischen.

Nach und nach treffen noch weitere Bewerber ein. Eine Menge Bewerber. Mein Mut sinkt mit jedem weiteren Kerl, der sich hier einfindet. Ich weiß zwar, dass ich ein exzellenter Barkeeper bin, doch es reicht, wenn einer von ihnen mehr Eindruck bei dem Barkeeper von Herrn Hazold schindet als ich. Dann bin ich weg vom Fenster. Und ich glaube nicht, dass mir mein Auftritt gestern Zusatzpunkte gesichert hat. Eher im Gegenteil. Kurz gesagt: Ich bin am Arsch!

Pünktlich um halb zwölf geht die Eingangstür auf und ein freundlich lächelnder Typ bittet uns herein. Aufgeregt gehe ich die Stufen nach unten und bleibe mit den anderen zusammen vor der Bar stehen. So leer und ohne Gäste sieht der Club richtig riesig aus! "Hallo! Ich bin Laurin. Einer der Barkeeper hier. Ihr werdet heute die Freude haben, mit mir einen zu trinken." Lautes Lachen. Wie können die anderen Bewerber so locker bleiben?! "Geht schon mal hinter die Bar und macht euch mit allem vertraut. Das Meiste dürfte euch ja bekannt vorkommen. Ich sage nur dem Chef Bescheid, dass ihr hier seid." Ich habe es befürchtet. Herr Hazold wird dabei sein. Meine Hände zittern. Nicht auch noch das! Ich brauche eine ruhige Hand!

"So nervös?" Einer der Bewerber stellt sich neben mich.

"Ja."

"Ich auch. Aber es hilft ja auch nichts, sich jetzt großartig verrückt zu machen."

"Das sagt sich so leicht."

"Stimmt ... Ich bin Andreas."

"Marcell." Andreas lächelt mich beruhigend an und wendet sich der beachtlichen Auswahl an Spirituosen zu.

"Hier schöpft man aus dem Vollen", staunt er und begutachtet einige Flaschen genauer. "Edel, edel. Den bekommt man nicht überall."

"Kostet sicher auch Einiges."

"Das heißt dann ja wohl, gleich höllisch aufzupassen beim Probemixen. Nicht, dass was von diesen Schätzchen hier zu Bruch geht." Muss er sowas sagen?!

Innerlich verscheuche ich die bösen Geister um mich herum, die mir die Schnapsflaschen aus den Händen schlagen wollen, als sich hinter uns jemand räuspert. Der Chef ist da! "Guten Tag die Herren! Es freut mich, dass ihr alle den Weg zu uns gefunden habt und es euch verdienen wollt, Teil unserer kleinen Familie zu werden." Kann der dumme Reden schwingen! Ich könnte glatt anfangen loszulachen, würden mir nicht immer wieder Bilder vor dem geistigen Auge aufblitzen, wie Herr Hazold halb nackt vor mir sitzt und meine Bewerbung studiert. Das ich die letzte Nacht von ihm geträumt habe, macht es auch nicht besser. Verflucht sei sein verdammter Traumkörper und seine tiefe Stimme! Die bringen mich ganz aus dem Konzept! Zudem kommt die zunehmende Gewissheit, dass er auch in dem Anzug eine gute Figur macht. Eine mehr als Gute. Sie sitzt so eng um seinen Körper herum, dass ...

"Hey." Andreas stupst mich an. "Willst du nicht anfangen?"

"Was?"

"Sag mal, hast du nicht zugehört? Wir sollen einen Calpi machen und dann die anderen Drinks auf der Liste."

"Oh. Ja! Natürlich!" Welche Liste?! Das fängt ja gut an!

Während wir die vorgegebenen Drinks in einer bestimmten Zeit mixen sollen (sie stehen ganz groß vor uns an einer Tafel angeschrieben), werden wir von Laurin und dem Boss genaustens beobachtet. Sie laufen zwischen uns umher, probieren und unterhalten sich leise. Das macht mich schier nervös und raubt mir fast meine gesamte Konzentration! Sie laufen hin und her, schauen ganz genau auf unsre Finger und ich habe zudem das dumme Gefühl, dass ich unter besonderer Beobachtung stehe. Jedenfalls bilde ich mir das ein. Immer wieder spüre ich die Blicke des Bosses auf mir. Ich versuche das Gefühl abzuschütteln und konzentriere mich auf die vielen alkoholischen Getränke und Säfte. Rufe mir die Zusammensetzungen der einzelnen Drinks ins Gedächtnis und bekomme es wirklich ganz gut auf die Reihe. Dachte ich zumindest.

Als mir nämlich dann eine wirklich teure Schnapsflasche runterknallt, sehe ich all meine Chancen mit der braunen Flüssigkeit davon schwimmen. "Es tut mir leid", sage ich mir leiser Stimme. "Die ersetzte ich Ihnen natürlich." Von was ich sie ihm ersetzten will, weiß ich zwar noch nicht, aber was soll ich sonst sagen?
 

~Anton~

Ach her je! Das ging ja voll in die Hose. "Laurin? Behalte du mal die Bewerber im Auge."

"Mach ich."

"Herr Mengel? Auf ein Wort." Ich kann förmlich zuschauen, wie er immer kleiner wird, und vor Schreck nur ein leichtes Nicken zustande bringt. Ich führe ihn in einen Raum, der als Lager dient und schließe die Tür hinter uns. "Das war ja eine beeindruckende Show", beginne ich.

"Tut mir ... tut mir leid. Die Flasche ist mir aus der Hand gerutscht und ..."

"Das meinte ich nicht. Was meinen Sie, warum Laurin und ich euch so penetrant begutachten und uns zwischen euch drängeln beim Mixen?"

"Sie wollen wissen, wer von uns besser ist."

"Falsch." Marcell zuckt richtig zusammen. "Wir wollen wissen, wer unter Druck besser arbeiten kann."

"Dann bin ich ja jetzt raus." Ohne mich anzusehen rauscht er an mir vorbei und will aus dem Raum verschwinden.

"Marcell?!" Er hält inne und schaut mich verwundert an. "Ich duze dich. Ist einfacher. Okay?" Er nickt. "Trotz allem hat mir gefallen, wie schnell und geübt du warst. Warum warst du so nervös?"

Marcell lehnt sich gegen die Wand und schließt die Augen. Als er sie wieder öffnet, schaut er mich direkt an. "Es war mir peinlich vor Ihnen. Sie haben mich total verwirrt und immer wieder musste ich an meinen Überfall auf Sie gestern denken. Ich bin mir sicher, dass Sie mich deswegen so genau beobachtet haben, was ja auch nur verständlich ist. Es war mir so unangenehm."

Ich unterdrücke das aufkeimende Grinsen, das ich schon auf meinen Lippen spüren kann. Hab ich es mir doch gedacht! "Na schön. Dann ist ja alles geklärt und wir können weitermachen." Neben der Tür stehen Handbesen, Schippe und Eimer auf die ich zeige. "Nimm das mit und kehre die Scherben weg, damit du schnell wieder hinter der Theke dein Bestes geben kannst." Sein Blick gerade ist Gold wert!
 

"Okay!", rufe ich. "Wenn Marcell alles wieder sauber hat, können wir damit weiter machen, dass jeder von euch uns seinen Lieblingsdrink, oder einen selbstkreierten Cocktail präsentiert! Strengt euch an!" Ich begebe mich an Laurins Seite, der außer Hörweite der Bewerber steht und schaue ihn fragend an. "Und? Was meinst du?"

"Sie sind alle gut. Hätte dieser Marcell nicht den Schnaps zerschellen lassen, wäre er mein Favorit. Er war fast Tadellos. Auch geschmacklich waren alle Getränke wie sie sein sollen." Dem kann ich ihm nur beipflichten.

"Er hat mir erklärt, warum das passiert ist."

"Ach ja? War er doch nervös?"

"Ja. Aber wegen mir." Ich grinse leicht. "Sein Bewerbungsgespräch verlief nicht so gut. Er hat mich überrascht, als ich gerade aus der Dusche kam", erkläre ich Laurin, der mich schief anschaut.

"Sie haben eine Dusche da oben?"

"Klar. Die Nächte sind lang und eine heiße Dusche wirkt manchmal wahre Wunder."

"Ah ja ... Wunder." Laurin zwinkert mir zu und lässt mich stehen. "Fertig mit aufputzen? Super!" Er klatscht in die Hände und bittet die Bewerber anzufangen.

Diesmal sind alle voll dabei. Auch Marcell, der routiniert nach den Flaschen greift, die Säfte inspiziert und einen orange-grünen Drink zaubert, an dessen Rand eine knall-orangene Physalis-Frucht thront. Er ist sogar einer der Ersten, die mit ihrem Drink fertig sind und das Glas auf den Tresen stellt. Formvollendet auf einer kleinen Serviette. Perfekt. "Wie schätzt du ihn preislich ein?", frage ich Marcell.

"Zwischen sieben bis neun Euro halte ich für in Ordnung."

"Sehr gut." Hört sich schon mal nicht schlecht an. Schließlich muss ich auch ans Geschäft denken, und nicht nur daran, ausgefallene und überteuerte Drinks zu verkaufen.

"Wenn dann alle fertig sind, könnt ihr erstmal raus gehen und auf uns warten. Wir testen erstmal eure Kreationen." Laurin jagt die Bande vor die Tür und kommt wieder zu mir. "Der Drink von Marcell scheint Sie ja brennend zu interessieren."

"Der sieht halt lecker aus", verteidige ich mich.

"Probieren wir ihn doch gleich mal." Laurin bekommt den ersten Schluck, als Fachmann sozusagen. "Lecker! Nicht zu süß. Fast schon herb, aber auch wunderbar fruchtig. Kann man trinken."

Jetzt bin ich dran. Durst! "Der ist echt gut! Ich wusste doch, dass er das noch hinbekommt."

Laurin legt seinen Kopf schief und rutscht auf einen der Barhocker. "Boss? Darf ich Sie was fragen?"

"Natürlich."

"Sie haben sich doch schon längst entschieden."

Ich zucke unschuldig mit den Schultern. "Ich mag ihn einfach."

Laurin lacht spitzbübisch. Er hat mich voll durchschaut. "Wollen wir trotzdem noch die anderen Drinks probieren?", fragt er und greift nach dem nächsten bunten Cocktailglas.

"Auf jeden Fall! Prost!" Das gute Zeug darf man doch nicht verkommen lassen.
 

~Marcell~

"Kopf hoch. So schlimm war es doch gar nicht." Andreas steht neben mir, hält eine Kippe in der Hand und wirkt immer noch total relaxt.

"Ich bin ein Volltrottel. Warum ist mir bloß diese dämliche Flasche aus der Hand gerutscht?!"

"Kann jedem mal passieren."

"Aber nicht bei einem Bewerbungstest!" Frustriert kicke ich ein Steinchen auf die Straße. "Ich hab's verbockt. Ab morgen fliege ich aus meiner Wohnung und dann ist es endgültig vorbei."

"Du fliegst aus deiner Wohnung?"

"Ich bin mit meiner Miete haushoch im Rückstand."

"Trotzdem kann dich dein Vermieter doch nicht einfach vor die Tür setzen", meint Andreas und schnickt seinen Kippenstummel weg. "Wenn er das macht, ruf die Bullen."

"Du hast gut reden." Mein Gegenüber zuckt mit den Schultern. Was weiß der schon? Er hat keine Ahnung, was in meinem Leben gerade alles falsch läuft!

"Alle Mann reinkommen! Wir haben uns entschieden." Laurin winkt uns herbei und ich mache mir gleich in die Hose. Die Stunde der Wahrheit!

Drinnen reihen wir uns alle auf und Herr Hazold stellt sich vor uns. Er rattert wieder irgendeine Rede runter, er sei ja ganz beeindruckt von unsrer Arbeit und wir hätten es alle verdient hier zu arbeiten ... Bla, bla, bla. Kann er nicht endlich Tacheles reden und den Glücklichen nennen, der ab heute endlich wieder Geld verdienen darf? "... daher haben Laurin und ich beschlossen, als neues Mitglied in unserem Club Marcell Mengel begrüßen zu dürfen." Der Glückliche! Wieso habe ich nur so eine Scheiße ... Stopp mal! Hat der gerade meinen Namen gesagt?! "Auf gute Zusammenarbeit!" Laurin schüttelt mir die Hand und klopft mir auf die Schulter. Ey! Echt jetzt? "Ich hab die Stelle?!"

"Ja!", lächelt er mich an und stellt sich wieder an die Seite seines Bosses.

"Allen anderen danke ich für ihr Interesse und die Zeit, die sie hierfür geopfert haben. ... Marcell? Kommen Sie mit in mein Büro? Dann machen wir Ihren Arbeitsvertrag fertig und danach zeige ich Ihnen die restlichen Räumlichkeiten."

"Ist gut." Ich fühle mich, als hätte man mich in Watte gepackt. Ich fasse es nicht! Sie haben mich ausgewählt! Obwohl ich dem nackten Chef gegenübergestanden habe, die Flasche hab fallen lassen, und für meinen Drink eine Zutat gefehlt hat! Ist das zu fassen?!
 

Oben im Büro setze ich mich hin und schaue Herrn Hazold zu, wie er auf seine Tastatur eindrischt. Mag er das Ding etwa nicht? "So ... Das war's. Ich drucke den Vertrag noch schnell aus und dann können wir alles Dingfest machen." Der Drucker springt an und in mir wächst die Freude. Gleich habe ich einen Job! Zwar muss ich erst die Probezeit überstehen, aber das wird schon. Schlimmer als das vorhin kann das auch nicht werden. "Wenn du magst, kannst du heute Abend gleich anfangen. Wir sind etwas unterbesetzt und dann kann ich mich gleich davon vergewissern, dass dich der Betriebsstress nicht doch noch aus der Fassung bringt."

"Kein Problem. Ich werde Sie nicht enttäuschen! Nicht nochmal."

"Das hoffe ich doch." Herr Hazold lächelt mich an. Dabei fällt mir auf, dass er eine kleine Zahnlücke hat. Zwischen rechten Schneidezahn und dem daneben. Keine Ahnung, wie der bezeichnet wird. Das lässt ihn irgendwie verwegen aussehen. Mein neuer Boss unterschreibt den Arbeitsvertrag und hält mir dann den Stift hin. Mit klopfenden Herzen unterschreibe ich. Jetzt ist es amtlich! Ich habe endlich wieder einen Job!

Mein neuer Boss steht auf und läuft um den Schreibtisch herum. Ich stehe ebenfalls auf und er ergreift meine Hand. "Auf gute Zusammenarbeit."

"Auf gute Zusammenarbeit", wiederhole ich. Dabei sehen wir uns in die Augen. Er hat kleine Lachfältchen in den Augenwinkeln. Und seine Augen ... so braun. Leuchtend braun mit dunklen Sprenkeln. Flüssige Schokolade, kommt es mir in den Sinn und ich lecke mir unbewusst über die Lippen. Die Falten in seinen Augenwinkeln werden tiefer. Lacht er? Ich höre gar nichts. Ich blinzle verwirrt. Halten wir immer noch unsre Hände umklammert? Ja wirklich! Wieso eigentlich?

"Jetzt zeige ich dir mal alles. Dann kannst du nachher gleich voll einsteigen." Unsre Hände trennen sich wieder, und ich ringe nach Fassung. Was war denn das gerade?

Herr Hazold begleitet mich nach unten. "Hier sind die Besuchertoiletten. Die der Angestellten sind hinten. Die zeige ich dir auch gleich. Gehen wir erstmal runter ins Getränkelager. Ein Bierfass hast du doch sicher schon mal angeschlossen?" Ich bejahe. "Fein!" Ich bekomme alles gezeigt, von den Räumlichkeiten für die Mitarbeiter, dem beachtlichen Getränkelager, bis hin zum Kühlhaus. "Wenn du noch Fragen hast, wende dich an deine Kollegen. Die zeigen dir dann alles."

"Ist in Ordnung." Wir stehen wieder vor dem Barbereich. "Danke, dass Sie mir den Job gegeben haben. Ich habe echt nicht mehr damit gerechnet."

"Du hast mich einfach überzeugt." Habe ich das wirklich? So ganz kann ich es immer noch nicht glauben. Dabei war ich doch so trottelig unbeholfen!
 

~Anton~

Nicht zu fassen! Marcell bekommt einen roten Schleier um die Nase. Immer wieder weicht er meinen Blicken aus, was ich zuerst auf seine Schüchternheit geschoben habe. Aber mittlerweile bin ich mir da gar nicht mehr sicher. Zwar bereue ich es nicht, ihm die freie Stelle gegeben zu haben, aber war das wirklich so klug gewesen? Mit seinem fast schon unschuldigen Gehabe könnte er mir wirklich gefährlich werden. Zum Glück schätze ich ihn nicht so ein, dass er mit dem Chef ins Bett steigt. Und auf meine Menschenkenntnis ist stets Verlass. Sie ist sozusagen überlebenswichtig in meinem Job. "Bis heute Abend, Marcell", verabschiede ich mich von ihm, da der Rundgang beendet ist. Noch einmal halte ich ihm meine Hand hin, die er ohne zu zögern ergreift. "Ich freue mich schon drauf."

"Ja! ... Ich mich auch." Er strahlt mich an, lässt aber sofort wieder seinen Blick sinken.

Schon wieder herrscht so eine merkwürdige Stimmung zwischen uns. In meinem Büro vorhin war es genau so. Meine Handfläche kribbelt und ich mag ihn gar nicht mehr loslassen. Leider muss ich das aber und tue es schließlich auch. Vielleicht etwas zu abrupt, denn Marcell zuckt leicht zusammen. "Ich habe noch etwas zu tun. Sei um zwanzig Uhr hier und melde dich bei Jim. Der zeigt dir deinen Arbeitsplatz."

"Danke." Wieder bedankt er sich. Merkwürdig. Marcell ist echt merkwürdig.
 

***
 

~Anton~

Den restlichen Tag über war ich noch schnell was geschäftliches regeln und habe bei einem meiner Mietshäuser vorbeigeschaut. Mein Zweitverdienst, gezwungener Maßen. Mein Vater hat mir vor fünf Jahren zwei Altbauwohnungen vererbt, die glücklicherweise gerade erst von Grund auf saniert worden waren, bevor ich sie überschrieben bekommen hatte. Es war echt eine Überraschung für mich, da ich nie einen guten Kontakt zu meinem Vater, oder meiner Familie im Generellen, gehabt habe. Das ich schwul bin und auch noch einen Schwulenclub eröffnet habe, verstanden sie nicht. Und auf einmal stand ich da, mit zwei Häusern und musste mich zudem um seinen ganzen Nachlass kümmern. Den daraus resultierenden Streit mir meiner Mutter musste ich auch noch über mich ergehen lassen.

Oft habe ich schon darüber nachgedacht, die Immobilien abzustoßen, oder wenigstens eine davon, da ich jetzt selbst in einem der Häuser wohne. Aber das kann ich ja immer noch tun, wenn mir die Arbeit über den Kopf wächst.

Nachdem ich bei Mietshaus Nummer zwei alles geregelt hatte, schaute ich nochmal schnell bei mir zu Hause vorbei. Wie schon erwähnt, bewohne ich eine große Dachgeschosswohnung einer meiner geerbten Häuser, die allen möglichen Schnick-Schnack bietet. Die meiste Zeit aber verbringe ich im Club. Mein wahres Zuhause. Dort habe ich alles was ich brauche. Hier, in meiner Wohnung, fühle ich mich meist ruhelos und die riesige Altbauwohnung scheint mich fast zu erdrücken. Und das liegt nicht nur daran, dass sie einstmals meinem Vater gehörte. Ich bin eben, wie erwähnt, ein Arbeitstier und fühle mich nur wohl, wenn ich in Arbeit zu ersticken drohe. Dann blühe ich auf und kann mein volles Potenzial ausschöpfen.

Deshalb sitze ich schon lange wieder vor dem Bildschirm meines Rechners, als meine Angestellten den Club aufschließen und die Musik beginnt, laut durch den Club zu dröhnen. Ich stehe auf und stelle mich vor die Glasfront. Das ist einer der Augenblicke, die ich liebe. Noch sind keine Gäste da. Nur meine fleißigen Arbeiter sind da unten und bereiten alles vor. Der DJ, dem ich jeden Freitag Abend die Bühne überlasse, steht auch schon am Mischpult und macht seinen Soundcheck. Die Putzkolonne war schon heute morgen da und alles glänzt wie aus dem Ei gepellt. Nachher, wenn wir wieder geschlossen haben, wird davon nicht mehr viel übrig sein und die Arbeit beginnt von vorn.

Die Tänzer kommen gerade rein und suchen ihre Plätze. Heute tragen sie ein kleines Nichts in hellblau. Blauer Glitter klebt an ihren Oberkörpern. Sebbi ist auch einer von ihnen. Er hat sich mal wieder die Pole-Position gesichert und thront über jeden anderen der Tänzer. Wenn das mal wieder nicht böses Blut gibt. Das Rotationsverfahren, das ich vor einem Jahr eingeführt habe, hilft hoffentlich, den Ärger geringer zu halten. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es gleich neunzehn Uhr ist. Dann mach ich mir mal einen starken Kaffee, bevor der ganze Trubel losgeht.
 

~Marcell~

"Hier in dem Schrank sind frische Shirts. Such dir eins in deiner Größe raus und dann binde dir eine der Schürzen um. Einen Spind haben wir dir schon frei gemacht." Jim zeigt auf meinen zukünftigen Spind. "Wenn du fertig bist, komm hinter die Bar. Dann zeige ich dir den Rest."

"Ist gut. Danke." Jim lächelt mich freundlich an und eilt aus der Umkleide.

Bin ich aufgeregt! Mein erster Arbeitstag! Und es ist jetzt schon brechend voll hier. Hoffentlich schaffe ich das alles. Ich bin zwar hektischen Betrieb gewohnt, aber das hier ist schon eine Nummer größer. Die Bar ist riesig und ich muss nicht nur aufpassen, dass ich nicht einen meiner Kollegen umrenne, sondern auch darauf achten, dass ich die wartenden Gäste schön nacheinander bediene. Nichts ist schlimmer, als ein Gast, der sich übergangen fühlt.

Das T-Shirt mit dem Club-Logo übergestreift und eine Schürze umgebunden, marschiere ich los. Mein Herz klopft im Takt des schnellen Basses der Musik, als ich hinter die Bar schlüpfe und erstmal tief durchatmen muss. Hier rasen neun andere Barkeeper herum, haben dabei alle ein beachtliches Tempo drauf und scheinen wirklich auf Zack zu sein. Jetzt weiß ich auch, was der Boss heute Vormittag gemeint hat, von wegen Stress und so. Das hier ist mehr als nur Stress! "Ah Marcell! Richtig?"

"Ja."

"Ich bin Rick. Du kannst dich gleich ins Getümmel stürzen. Geh ganz nach hinten durch. Dein Bereich sind die ersten drei Meter an der Theke."

"Alles klar!" Ich spreche mir selbst Mut zu und flitze an meinen Arbeitsplatz. Jim ist schon da und steht mir heute zur Seite. Das beruhigt mich echt!

Doch ich merke bald, dass, wenn man einmal drin ist, einem alles viel leichter von der Hand geht, als gedacht. Zwar ist hier mehr los, als bei meiner früheren Arbeitsstelle, aber da hier alles an seinem Platz steht und man viel mit nur wenigen Handgriffen erreicht, habe ich bald den Bogen raus und Jim kann mich alleine walten lassen.

Endlich scheint es mit meinem Leben wieder Bergauf zu gehen!
 

~Anton~

Ich kann meinen Blick gar nicht mehr von Marcell lösen. Er macht seine Arbeit wie erwartet richtig gut. Flink bedient er einen Gast nach dem Anderen, spült zwischendurch und hält sogar mal den ein oder anderen Plausch mit Kollegen und Gästen. So muss es sein. Mehr als zufrieden mit meiner Entscheidung, ihn doch eingestellt zu haben, überlege ich, mir zur Feier des Tages selbst einen Drink auszugeben.

Kaum im Gastbereich angekommen, hängt auch schon Sebbi an mir. Ich habe es fast schon geahnt. "Hey Boss!" Eine leichte Alkoholfahne weht mir in die Nase.

"Hast du getrunken?"

"Ein Gast hat mich eingeladen und ich wollte nicht unhöflich sein." Wer's glaubt!

"Ist deine Schicht schon rum?"

"Noch eine Runde. Dann habe ich Zeit."

"Das meine ich nicht!" Himmel! Er denkt echt nur ans Vögeln! "Benimm dich und torkle hier nicht wie eine trunkene Schwalbe vor den Gästen herum!"

Sebbi kichert. "Trunkene Schawalbe?" Er lehnt sich an mein Ohr. "Ich bin viel eher ein rolliges* Katerchen. Eins, das gerne mit dem Schwanz wedelt."

"Schön. Dann such dir einen netten Spielkameraden, dem du deinen Schwanz entgegen wedeln kannst", knurre ich ihn an und schiebe ihn von mir.

"Aber Boss!" Ich lasse ihn einfach stehen und gehe auf die Bar zu. Marcell hat mich schon gesichtet und lächelt scheu, ehe er sich zu den Getränken dreht. Hat er eben die Szene mit Sebastian mitbekommen? Und warum bereitet mir der Gedanke, er könnte es mitbekommen haben, leichte Magenbeschwerden?

Ich schiebe mich an die Theke und warte, bis ich dran bin. "Marcell? Machst du mir einen von dem guten Drink heute Mittag?", frage ich ihn, als ich an der Reihe bin.

"Klar Boss." Er strahlt mich an und beginnt mit dem Drink. "Macht dann 8,50."

"Schreib mit einen Deckel." Wir grinsen uns an. "Hast du schon einen Namen dafür?"

"Nein."

"Überleg dir einen. Der kommt mit auf die Karte."

"Wirklich?" Marcell guckt ganz überrascht aus der Wäsche.

"Wirklich." Echt lecker! Damit meine ich nicht nur den Drink, wie mir immer bewusster wird ...
 

***
 

~Marcell~

Total KO aber glücklich, mache ich mich mit meinem Rad auf den Nachhauseweg. Es war anstrengend gewesen, aber schon lange hatte ich nicht mehr so viel Spaß bei meiner Arbeit. Alle sind total nett und auch die Gäste waren in Partylaune, sodass ich gegen Schluss eine Menge Trinkgeld einkassiert habe. Es konnte gar nicht besser laufen! Und das Herr Hazold meinen Drink auf die Karte setzen will, hat mich völlig aus den Socken gehauen! Das wollte bis jetzt noch keiner meiner Chefs. Immer die selben Drinks, die selbe Karte. Wie mich das gelangweilt hat! Aber im Velvet dürfen wir den Gästen auch das mixen, was nicht auf der Karte steht. Hauptsache, wir kalkulieren alles richtig, womit ich null Probleme habe.

Ich kette mein Fahrrad draußen an und betrete das Mietshaus in dem ich Wohne. Morgen kann ich dem Vermieter schon mal eine kleine Anzahlung geben. Allein nur vom Trinkgeld! Zwei Stufen auf einmal nehmend, hetzte ich bis in den dritten Stock und stecke den Haustürschlüssel ins Schloss. Irgendwie will das Schloss nicht so wie ich es gerne hätte. Der Schlüssel kracht und harkt in dem kleinen Schlüsselloch. "Was ist denn nur los?" Ich probiere noch einige Male das Schloss zu entriegeln, bis ich mich der unumstößlichen Tatsache stelle. "Das Schloss wurde ausgetauscht!" Das kann doch nicht wahr sein!

Mit zitternden Knien und einem mulmigen Gefühl im Bauch laufe ich ins Erdgeschoss, wo mein Vermieter wohnt. Nach mehrmaligen Klopfen und klingeln öffnet er mir. "Herr Pohlmann! Haben Sie mein Schloss etwa ausgetauscht?" Dumme Frage. Ich weiß, dass es so sein muss.

"Ja. Weil Sie immer noch nicht ihre Miete bezahlt haben."

"Aber ... Ich habe heute erst den neuen Job bekommen!" Ich greife in meine Hosentasche. "Hier! Das kann ich Ihnen schon geben. Es ist nicht viel, aber ..."

"Danke." Er grapscht nach dem Geld und dreht sich zu einer kleinen Kommode, die neben ihm im im inneren des Flurs steht. "Bitte sehr." Ein Stück Papier wird mir gereicht.

"Was ist das?"

"Die Adresse, wo ich Ihre Möbel hab einlagern lassen."

"WAS?!" Hat der sie noch alle? Das meint er doch nicht im Ernst?

"Geben Sie mir Ihren Hausschlüssel bitte." Wie betäubt tue ich was er sagt und pfriemle mit zittrigen Fingern den Schlüssel vom Ring. "Sie hören von meinen Anwälten. Schönen Abend noch." Wumms. Mir wird die Tür vor der Nase zugeschlagen.

"Aber ... Das können Sie doch nicht machen! Wo soll ich denn heute schlafen?!" Ich hämmere gegen die Tür. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, was hier gerade eigentlich abgeht. Das kann doch nur ein Albtraum sein!

"Wenn Sie nicht gehen, rufe ich die Polizei. Dann können Sie in einer Zelle übernachten." Das darf doch nicht wahr sein!

Meine Gedanken überschlagen sich. Was mache ich jetzt? Ohne einen richtigen Plan telefoniere ich meine Freunde ab. Doch die, die um diese Uhrzeit noch dran gehen, haben keinen Platz für mich. Sie hausen selbst in irgendwelchen WGs und haben somit genug Platzmangel. Vor morgen früh werde ich also nichts finden. Und ausgerechnet jetzt ist mein bester Kumpel Dustin im Urlaub. Der hätte sicher ein Plätzchen für mich über.

Ich muss mir eine andere Alternative suchen. Leider gibt es da nicht viele, außer unter der Brücke zu schlafen, denn ein Hotel kann ich mir auch nicht leisten. Mein gesamtes Geld hat mein ehemaliger Vermieter gerade eingesteckt. "Ich Idiot!" Warum habe ich es ihm auch nur gegeben?

Ich schaue auf dem Zettel nach, unter welcher Adresse meine Möbel eingelagert worden sind und beschließe es dort zu versuchen. Dann penne ich eben in einem Lager. Ich schwinge mich auf mein Rad und fahre los. Der Weg ist nicht gerade kurz. Das Lager liegt außerhalb der Stadt.
 

Nach fast einer Stunde bin ich dort angekommen. Ich halte genau vor dem kleinen Kassenhäuschen, das glücklicherweise noch besetzt ist. "Hallo. Ähm, hier ist ein Lager auf meinem Namen. Könnten Sie mir den Schlüssel dafür geben?" Ich reiche dem muffig dreinschauenden Typen meinen Zettel.

"Das Lager wurde noch nicht bezahlt. Das macht 95 € in Bar bitte." Wie viel?!

"Soviel habe ich nicht bei mir!" Auch das noch! "Können Sie keine Ausnahme machen? Morgen bringe ich Ihnen das Geld vorbei!"

"Tut mir leid. Das ist gegen die Vorschrift."

"Vorschrift?! Hören Sie mal! Meine gesamte Habe ist da drin! Ich weiß nicht wo ich pennen soll, und ..."

"Im Lager übernachten ist auch gegen die Vorschrift." Ungläubig schaue ich den Kerl an, der in aller Seelenruhe weiter in seiner Zeitung blättert. Dieses Arschloch beachtet mich gar nicht mehr!

Sauer greife ich mir den Fetzen Papier, der mein ganzes Leben beinhaltet und radle mit knirschenden Zähnen davon. Was jetzt? Ich kann doch nicht auf der Straße pennen! Ich gehe alles durch, und mir kommt nur ein Ausweg in den Sinn: Das Velvet. Wenn ich es geschickt anstelle, kann ich vielleicht dort übernachten. Es ist kurz nach zwei. Sie haben noch geöffnet. Aber ich muss mich beeilen. Mit etwas Glück schaffe ich es noch bis zugeschlossen wird. Und bis dahin ist mir hoffentlich auch was eingefallen, wie ich mich dort unbemerkt irgendwo zum Pennen hinlegen kann. Wieso passiert das wieder gerade mir? Anscheinend musste ich noch nicht genug durchmachen und die Sache mit meinem Ex hat noch nicht ausgereicht, wegen der ich im Übrigen noch genug Ärger am Hals habe. Was muss ich noch alles überstehen, bis der Albtraum endlich ein Ende hat?
 

******
 

*Wieder einmal ein Korrekturvorschlag, der mich zum schmunzeln gebracht hat. Anstatt rollig, hat er mir drollig vorgeschlagen. Ich fand's irgendwie süß. ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  selena
2014-09-16T22:05:16+00:00 17.09.2014 00:05
armer marcell. ;-(
er kann auch zu mir kommen, ich hab immer ein platz zum schlafen frei.
zumindest wenn mal einer deiner charas einen schlafplatz braucht. :D
*ganz gespannt aufs nächste kapi wartet*

wobei ich ja glaube, das anton ihm zwei möglichkeiten zur auswahl gibt:
1. entweder in seinem büro oder
2. anton gibt marcell eine wohnung in einem seiner beiden häuser.

obwohl... er könnte ihm auch vorschlagen in antons wohnung zu schlafen.... hm.... is vielleicht sogar eher meine idee, dass das so kommt....

naja ich lass mich auf jeden fall überraschen. ;)
Antwort von:  Fara_ThoRn
18.09.2014 07:17
Sag das nicht zu laut. Hinterher kommen se all zu dir und deine Bude ist gerammelt voll mit lauter heißen, knutschenden Kerlen ... O____O GIB MIR DEINE ADRESSE!!! *gg*
Antwort von:  selena
18.09.2014 19:09
na dann grade her mit ihnen!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
da gibts party hoch zehn!!!!!!!!!!!!!!!!!! XDXDXD

Adresse: ............... willst die wirklich? XDXDXD
Von:  emina
2014-09-16T21:49:40+00:00 16.09.2014 23:49
oh mein armes Baby ihn ganz doll drücken
hoffentlich findet er bald seinen Platz bei Anton hihihih =^___^=


Antwort von:  Fara_ThoRn
18.09.2014 07:16
Na mal sehen was passiert (-__^)


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