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Der Wolfsprinz

Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt
von

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Ein Hauch von Frieden

Wie immer wenn er vom Wolfsprinzen zurückkehrte, konnte Rene nicht einschlafen. Zumindest nicht sofort. Es hatte etwas Befremdliches. Und es schien immer stärker zu werden. Eigentlich sollte es ihm Sorge bereiten. Aber dies lag schon lange hinter ihm. Jetzt hatte er das stille Bedürfnis mehr über den Mann zu erfahren, der sich hinter dem Monster verbarg.

Ein Mann, der bisher die Liebe noch nicht kennen gelernt hatte.

Wie müsste diese Person sein? In die Ihr Euch verlieben könntet?

Darum habe ich mir noch keine Gedanken gemacht!

Das ist auch nicht weiter wichtig. Ich bezweifle sehr, dass ich diese Person jemals treffen werde. Von den Männer werde ich gehasst und von den Frauen gefürchtet!

Rene merkte wieder diesen Stich in seinem Herzen. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, fielen ihm tausend Dinge ein, die er gerne gesagt hätte. So etwas wie:

Ich fürchte Euch nicht.

Vielleicht habt Ihr diesen jemanden schon längst gefunden?

Was wenn ich dieser jemand wäre?

Dabei merkte er wie ihm ein seltsames Kribbeln durch den Körper rann. Wie das Tropfen von tausend Regenperlen auf nackter Haut. Rene schauderte etwas. Es war jedoch kein beunruhigendes Schauern. Eher eines was einem vor dem Enthüllen eines Geheimnis ergriff.

Oder vor dem was noch kommen könnte.

Das Unerwartete. Und es hatte etwas Reizvolles. Verlockendes.

Die Stimme, die ihn schollt und ihn als leichtsinnig beschimpfte und fragte, ob er den Verstand verloren hatte, schien gegen dieses kaum an zu kommen. War nicht mehr als ein leises Flüstern. Rene hob die Hand, die vor kurzem noch auf der Brust des Wolfsprinzen gelegen hatte und betrachtete sie nachsinnend.

Sein Herz schlug schneller. Meinte wieder die Haut Mandariels unter seinen Fingern zu spüren. Kalt und glatt, wie die Oberfläche einer Marmorstatue. Kalt wie Stein. Und doch konnte er deutlich die Wärme darunter spüren. Das Schlagen eines Herzens.

Er irrt sich, dachte er. Sein Herz ist nicht aus Eis. Wenn es aus Eis wäre, würde es nicht schlagen.

Er ist so in seinem Hass auf die Dörfler versteift, dass er selbst nicht weiß, was er da eigentlich da redet. Nur wie sollte Rene ihn davon überzeugen. Obwohl er ihm eine andere nicht ganz so bedrohliche Seite gezeigt hatte, hatte Rene immer noch den Eindruck, als ob weiterhin eine Mauer aus Eis zwischen ihnen bestünde. Sie ein zu reißen schien unmöglich zu sein. Dennoch wollte Rene es versuchen. Es war wie ein Drang. Ein Drang, der ihn noch lange beschäftigte und kein Auge zutun ließ.
 

Am liebsten wäre Flora im Bett liegen geblieben. Denn auch wenn sie sich vorgenommen hatte, ihren Eltern nichts von ihrer Flucht mit Jaque zu erzählen, lag diese Last schwer auf ihrer Seele. Sie wusste nicht, wie sie Ihnen in die Augen schauen und auf unschuldig machen sollte. Es dauerte lange, ehe sie sich doch durchringen konnte, auf zu stehen. Schleppend und mit einer Sauerteigmiene zog sie sich an und stieg die Stufen zur Stube hinunter.

Als ihre Eltern, ihre Großmutter und Rene sie sahen, merkten sie sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Was musste sie für einen Anblick bieten. Flora wich ihren Blicken aus. Ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich an den Tisch und goss sich Milch ein. Im schwer wiegendem Schweigen nahmen sie ihr Frühstück zu sich. Rene warf hin und wieder verstohlene Blicke zu seiner Schwester. Als sie es bemerkte, wurde ihr Blick finster. Denn sie wusste, was ihm gerade durch den Kopf ging. „Du musst es Ihnen sagen!“

„Ich sage es, wenn der richtige Moment gekommen ist!“, erwiderte sie sogleich mit ihren Blicken. Martha merkte, dass zwischen den Geschwistern ein stiller Streit von statten ging. Dennoch schwieg sie. Auch wenn es ihr zu wider war, ihre Tochter und ihrem Schwiegersohn ins Gesicht zu lügen und so zu tun als sei nichts. Aber sie war der Meinung, dass Flora alt genug war, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Und dass sie sich da raushalten sollte. Wenn das Ganze in eine andere verkehrte Richtung geht, kann sie immer noch einschreiten und ihrer Enkelin zur Seite stehen.
 

Irgendwann hielt es Rene nicht mehr aus. Er hatte das Gefühl zu ersticken, wenn er noch länger im Haus blieb. So dick war die Luft, dass man sie beinahe schon schneiden konnte. Also beschloss er sich ein wenig die Beine zu vertreten. Dabei versuchte er auf andere Gedanken zu kommen. Die Blicke der Dorfbewohner und ihre hinter der Hand geflüsterten Gemeinheiten, schien er nicht zu hören. Es kümmerte ihn auch nicht mehr wirklich. Diese Leute würden niemals ihre Meinung oder ihr Verhalten ihm und seiner Familie gegenüber ändern. Sie waren so sehr in ihren Groll festgefahren, dass nicht mal sein Tod sie umstimmen würde. Sicher würden sie sogar auf seinem Grab tanzen und Freudenlieder anstimmen. Ihm wurde übel dabei und drängte diesen makabren Gedanken beiseite.

Wünschte sich hierbei aber wieder, dass all diese Heuchler von einer eisigen Lawine aus Schnee und Eis begraben werden.

Plötzlich merkte er einen heftigen Stich in seinem linken und er verzog das Gesicht. Umfasste ihn mit der Hand seines anderen Armes. Er blieb stehen. Wartete bis der Schmerz abebbte. Er brauchte sich nicht zu fragen woher der Schmerz kam. Das Brandmal!

Aus einem ihm unbegreiflichen Grund meldete es sich plötzlich mit solch einer Intensität, wie er sie noch nie gespürt hatte. Dabei hatte er es immer kaum bemerkt. Es war wie ein schleichendes Gift. Es war das erste Mal, dass es so schmerzte.

Und Rene fragte sich warum. Wollte ihm das Brandmal irgendwas sagen?

Ihn daran erinnern, was er schon längst vergessen hatte?

Oder wollte es ihm bewusst machen, dass er sich gerade nicht besser verhielt als die anderen?

Rene kroch es den Rücken hinauf bis in den Nacken und ließ ihn schauern. Schnell verdrängte er die düsteren Gedanken, damit das Mal ihn nicht nochmal schmerzte. Setzte dann seinen Weg fort und sah aus dem Augenwinkel etwas Großes. Er schaute hin und sah das Rathaus.

Sofort zog sich sein Innerstes zusammen. Wieder sah er das Wolfsfell an der Wand hängen, das mal einst dem Vater vom Mandariel gehört hatte.

Er wollte es eigentlich nicht, aber deutlich sah er vor sich, wie sie Mandariels Vater töteten und sein Fell abziehen. Konnte das warme Blut reichen, welches in den Schnee sickerte und die Muskeln und das Fleisch sehen, dass darunter zum Vorschein kam. Den Triumph in den Gesichtern, der Männer die diese widerliche Tat vollbracht hatten. Konnte ihre Beglückwünsche hören und die Freude darin, dass sie diesen Dämon endlich dem garaus gemacht hatten.

Ekel und Wut ballten sich wie ein Ball in ihm zusammen. Wurden immer größer und es fiel ihm schwer, nicht in Richtung des Rathauses zu spucken. Jetzt wo er wusste woher und aus welchem Grund das Wolfsfell an die Wand gehängt wurde, gelangte er mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass an Mandariels Worte was Wahres dran war. Dass sie die wahren Monster sind.

„Eigentlich wäre es das Beste, sie alle zu töten. Denn dann könnten die Tiere ohne Angst leben. Sie müssten sich nicht davor fürchten, gejagt, getötet zu werden. Oder als Trophäe zu enden. Das wäre das schlimmste. Nur aus Freude und Stolz getötet zu werden, damit andere sich mit ihrem Kopf brüsten können!“
 

Rene erinnerte sich daran wie mal der Pfarrer sagte, dass die Toten in Frieden ruhen sollten. Dass man sie nicht in ihrem Todesschlaf stören sollte. Egal in welcher Weise. Man sollte weder schlecht über sie reden noch sie aus welchen Gründen auch immer ausgraben. Dabei fragte er sich, wer sowas auch tun sollte, der bei Verstand war.

Er hatte schon oft von sogenannten Leichenräubern gehört, die für gutes Geld die Toten aus ihren Gräbern holten und an irgendwelchen Instituten verkauften.

Konnte sich aber nicht vorstellen, dass es auch hier solche Subjekte gab.

Und wenn dann mussten sie sehr gerissen sein, um sich nicht zu verraten.

Die Leute hier würden das sicher merken und denjenigen oder diejenigen sofort hängen. In Dingen wie Selbstjustiz sind sie sehr schnell und nicht zimperlich.

Diese Erfahrung erlebten er und seine Familie jeden Tag.

Ein spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Wenn es sich bei den Toten um Menschen handelte, durfte man sich nicht an ihnen vergreifen. Aber bei erlegten Tieren war es wohl was anderes. Da war es ein Zeichen von Stärke sie zu präparieren und auf zu stellen.

Was für eine widerliche Doppelmoral, ging es ihm durch den Kopf.

Zu gern würde er ihnen eins auswischen. Ihnen zeigen, dass sie nicht besser waren, als die Ungeheuer, die sie so sehr fürchten und hassten. Und zum anderen…

Um Mandriel zu zeigen, dass nicht alle Menschen schlecht sind. Dass es auch einige gab, die ihm freundlich gesinnt sind. Wie er. Und ein kleiner Teil von ihm versprach sich, dass er es damit vollbringen könnte, die eisige Mauer um sein Herz zum zerschmelzen zu bringen.

Plötzlich sah er es klar und deutlich vor sich. Wie als habe man einen dichten Schleier von ihm genommen. Vorher hatte er sich noch den Kopf darüber zerbrochen, wie er Mandariel zeigen könnte, dass er es ernst meinte. Nun schien die Lösung wie auf einem Silbertablett vor ihm zu liegen und er musste einfach nur zu greifen.

Dennoch wusste er, dass er das alleine nicht schaffen konnte. Er brauchte Hilfe. Flora wollte er nicht fragen, da sie selbst genug eigene Probleme hatte. Aber er wusste jemanden, der ihm sicher helfen könnte.
 

„Irgendwann musst du es Ihnen sagen!“, sagte Martha nachsichtig zu Flora, während sie hinter dem Haus saßen. Sie strickte während Flora nur vor sich hinschaute. Als Martah dies sagte, seufzte sie frustriert und verschränkte die Arme vor der Brust. „Besser sie erfahren es von dir als von jemand anderem!“

„Ich weiß, Großmutter!“, seufzte sie. Kaute auf dann auf ihrer Unterlippe herum und schielte verstohlen zu ihrer Großmutter. Sie musste ihrer Großmutter Recht geben. Irgendwann würden sie es erfahren. Und es wäre besser, wenn sie es von ihr erfuhren. Dennoch spürte sie deutlich ein Unbehagen in sich. Es fühlte sich an, wie als wäre sie wieder ein Kind, was etwas vor den Eltern verheimlicht und womit sie nicht einverstanden sein würden, wenn sie mit der Wahrheit herauskam. Sie fühlte sich hin und her gerissen. Ihr fiel es schwer, sich zwischen der Liebe zu ihren Eltern und zu der Liebe zu Jaque zu entscheiden. Konnte sie das denn?

Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, bei dem Gedanken einer der beiden Seiten den Rücken zu kehren. „Kannst du es tun? Es Ihnen sagen?“, brachte sie dann zögernd hervor.

Martha sah sie nachsichtig aber auch streng an. Schüttelte den Kopf. „Nein. So gern ich das auch würde. Aber du bist erwachsen und musst selbst zu deiner Entscheidung stehen!“

Floras Gesicht wurde ausdruckslos. Sie hatte sich schon gedacht, dass Ihre Großmutter so etwas sagen würde.

Martha hatte stets jedem in ihrer Familie den Rücken gestärkt und Mut zu gesprochen, wenn dieser nicht mehr weiter wusste. Unabhängig ob es sich hierbei um ihre Tochter, ihren Schwiegersohn oder ihrer Enkel handelte. Aber ab einem gewissen Punkt hielt sie sich zurück. Dies war so einer. Und Flora wünschte sich in diesem Moment, dass sie nun wieder ein Kind sein könnte. Denn dann würde es ihr vielleicht leichter fallen. Zwar waren ihre Eltern damals auch nicht gerade begeistert davon, wenn sie und Rene was ausgefressen hatten, aber dann beruhigten sie sich schnell wieder. Sagten sich dann, dass sie ja nur Kinder waren, die nicht richtig nachdachten. Nun aber waren sie erwachsen und das bedeutete, dass sie nun nicht mehr unter dem Schutz der kindlichen Naivität standen. Sie brauchte sich auch nicht lange aus zu malen, wie ihre Eltern darauf reagieren würden, wenn sie Ihnen von ihrer Flucht mit Jaque erzählen würde. Sie wären am Boden zerstört. Und würden alles tun um sie zur Vernunft zu bringen. Würden sie anflehen. Sie konnte deutlich vor sich sehen, wie ihre Mutter ins Tränen ausbrach. Ihr Vater würde nur stumm da stehen, die Fäuste geballt und mit leerem Blick vor sich hin starrend. Aber das reichte schon aus, um ihr Herz zusammen zu pressen. Sie wusste, dass sie das allein nicht schaffen konnte. Dass sie sich davon abbringen lassen würde, aus Kummer, dass sie ihren Eltern solch einen Stich versetzte. Sie grub ihre Finger in den Stoff ihres Mantels und kämpfte gegen die Tränen an. Martha sah, wie sich ihre Enkelin damit quälte und legte tröstend ihre Hände auf die von Flora. „Keine Angst. Ich werde hinter dir stehen!“, versprach sie.
 

Rene war sowohl angespannt als auch aufgeregt. Unruhig lief er in seinem Zimmer auf uns ab und wartete, so wie immer, bis die Nacht vorrangeschritten war und seine Familie tief und fest schlief. Als er sich dann sicher war, schlich er sich aus dem Haus in den hinteren Garten und schaute konzentriert in das Dunkel des Waldes hinein.

Fragte sich dabei, ob Nima oder ihre Bruder sich hier versteckten, wie immer. Hoffte es insgeheim. Wobei er auch bezweifelte, dass sie nur förmlich darauf warteten, dass er hier raus trat und sie sehen wollte. Dennoch wollte er daran festhalten. „Nima?“, flüsterte er. „Bist du hier?“

Nichts rührte sich. Kein Rascheln, kein knirschender Schnee. Nur Stille. Rene seufzte innerlich enttäuscht und ernüchtert. Dass hätte er sich denken sollen. Nima oder irgendein andere Wolf würden sicher hier nicht wie auf der Lauer liegen und darauf warten, bis er sie rief. Wie Hunde!

Sicher hatten sie etwas Besseres zu tun, auch wenn er gehofft hatte, dass sie hier wären. Er wollte sich umdrehen um wieder hinein zu gehen. Da hörte er ein Rascheln. „Rene!“

Rene drehte sich um und sah Nima vor sich.

Ohne dass er es gehört hatte, war sie hierhergekommen und sah ihn nun fragend an. „Was möchtest du?“

„Woher wusstest du, dass ich…!“, begann Rene verwirrt, auch wenn er erleichtert war, dass sie dennoch hier war. Nima machte in ihrer Wolfsgestalt eine Bewegung, die wohl ein Schulterzucken war. Rene ließ es dabei und kniete sich dann vor die Wölfin nieder. „Ich brauche deine Hilfe!“, vertraute er ihm Flüsterton an, auch wenn er sich bewusst war, dass sie keiner hören würde. Das Dorf schlief tief und fest.

Dennoch wollte er sicher gehen. Nimas Augen sahen ihn verwirrt an. Sie legte den Kopf schief und spitzte die Ohren. „Wobei denn?“

Rene zögerte kurz. In seinem Kopf hatte sich das Erläutern seines Plans leichter angehört als er es nun aussprechen wollte. Wusste Nima eigentlich was man mit dem Fell des Vaters ihres Herren gemacht hatte?

Würde sie es überhaupt wissen wollen?

Er schaute verlegen und zweifelnd drein. „Nun sag schon. Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit!“, hörte er Nima sagen und er sagte schlichtweg: „Ich brauche deine Hilfe, um das Fell von Mandariels Vater zurück zu holen!“

Die Worte sprudelten wie aus einer Quelle aus ihm heraus. Ohne Pause zu machen und in einem einzigen Satz. Nima blinzelte etwas verwirrt, schien erstmal nicht zu verstehen was er von ihr wollte, doch dann zog sie den Kopf zwischen ihre pelzigen Schultern. Ein Schaudern ging durch ihren Leib. Sie wusste, was sie erwartete. „Wieso fragst du mich?“

„Weil du die einzige bist, bei der ich mir sicher bin, dass sie mir helfen kann, es zurück zu bringen, ohne dass es jemand merkt!“, versuchte er ihre Zweifel und ihr Unwohlsein zu zerstreuen. Nima schien das nicht so ganz zu überzeugen. „Meine Schwester oder meinen Schwager in spe kann ich nicht fragen!“

„Sie werden es trotzdem merken!“, gab Nima zu bedenken. Das wusste Rene. Spätestens wenn die nächste Versammlung stattfand würden sie es sehen. Und er konnte sich gut vorstellen, wen sie dafür verantwortlich machen würden. Doch das schien erstmal nicht so wichtig zu sein. Er wollte auch nicht weiter darüber nachdenken, da es ihn in seinem Entschluss zum Wanken bringen würde. „Vielleicht können wir sie austricksen!“, meinte Rene. „Mit einem anderem Fell!“

Nima schien nun darüber nach zu denken und in ihren Wolfsaugen schimmerte es nun schalkhaft. „Vielleicht mit einem Wildschweinfell!“

Kurz zog sie die Lefzen hoch, sodass er ihre Zähne sehen konnte. „Man müsste es nur weiß färben!“

Rene grinste nun auch, weil er wusste, dass das Fell eines Wildschweins borstig und alles andere als ansehnlich war in den Augen derer, die sich gern mit was edlen brüsteten. „Kannst du welches beschaffen?“

„Natürlich!“ sagte Nima und blinzelte verschwörerisch. „Dann treffen wir uns Morgen Nacht wieder hier und holen uns das Fell!“, beschloss Rene. Wo vorher Nima noch gezögert hatte, schien sie nun festentschlossen zu sein. „Ich werde alles vorbereiten!“, sagte sie voller Begeisterung und mit einem knappen wiedersehen, eilte sie davon. Rene sah ihr nach und atmete erleichtert auf. Das wäre zumindest geschafft. Und er war froh, dass er Hilfe bekommen würde, die er sich erhofft hatte. Kaum dass er im Bett lag, merkte er wie ihm die Augen zu fielen. Den letzten Gedanken den er noch hatte, ehe er in den Schlaf sank, drehte sich darum wie Mandariel reagieren würde, wenn er ihm das Fell seines Vaters brachte.
 

…Sie schritten eine Treppe hinunter, die aus Eis geschlagen war und so glatt wie blank poliertes Spiegelglas. Sie tief hinab ins unendliche und Rene fragte sich, wie tief diese noch ging. Ob sie irgendwann im Bauch der Erde ankommen würde. Doch diesen lächerlichen Gedanken verwarf er wieder. Sei nicht so dumm, schalt er sich und ging weiter. Dabei sah er zu Mandariel, der nur wenige Schritte vor ran ging. Bis jetzt hatte er nicht ein einziges Wort gesagt. Seit er ihm das Fell überreicht hatte. Er wusste nicht warum und wieso.

Ein einfaches Danke oder ein Nicken hätte eigentlich gereicht. Mehr erwartete er auch nicht.

Doch statt einem von beiden von sich zu geben, hatte er ihm nur mit hohler Stimme befohlen, ihm zu folgen und nun schritten sie die Treppe hinunter.

Zuerst hatte Rene die Stufen gezählt, die sie hinter sich ließen. Aber irgendwann hatte er bei hundert aufgehört und wünschte sich, bald am Ziel zu sein. Denn je tiefer sie gingen, desto mehr hatte er das beklemmende Gefühl lebendig begraben zu werden.

Rene hoffte, dass sie bald ihr Ziel erreichten. Und irgendwann hatten sie die Treppen endlich überwunden.

Sie standen nun einem kleinen, runden Raum. Dieser schien aber nicht so aufwendig gestaltet zu sein wie die üblichen Räume, die er bisher gesehen hatte. Die Wände waren grob beinahe nachlässig aus dem Eis geschlagen und die Decke war gewölbt und gespickt von einigen Eiszapfen. Dabei war sie so tief, dass sich Rene nur die Zehenspitzen stellen und die Arme ausstrecken musste, um sie zu berühren. Der Raum war eigentlich leer. Bis auf eine Art Altar an der Stirnseite des Raumes. Zumindest dachte, dass es ein Altar war. Als er dann die beiden Wölfe sah, die Wache hielten und sofort sich erhoben, sobald sie ihn sahen, hatte er das Gefühl, dass das mehr als nur ein einfacher Raum war. Die beiden Tiere standen auf und ein tiefes Knurren war zu hören. Rene machte einen Schritt zurück. Mandariel trat an die beiden Tiere heran und strich ihnen über die pelzigen Schädel. Murmelte beruhigende Worte und die Wölfe zogen sich zurück. Bedeutete dann Rene näher zu kommen. Rene gehorchte und trat neben ihn. Schaute ihn dann fragend an. Dann zum Altar und ihm verschlug es die Sprache. In das glattgeschliffene Eis war die Gestalt eines Menschen eingraviert. Eines Mannes.

Und Rene erkannte sofort die Ähnlichkeit zwischen ihm und Mandariel. Und nach und nach dämmerte ihm, dass das nicht ein Altar war, sondern ein…Grabmal.

Das Grabmal seines Vaters. Ein Schauern rann ihm den Rücken hinunter.

Betrachtete das Relief, welches so realistisch aussah, als würde das Eis nur eine Glasscheibe sein und er auf den Toten blicken konnte. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er mochte sich nicht vorstellen, wie der Leichnam von Mandariels Vater aussah.

Er blickte zu Mandariel, der mit ausdrucksloser Miene auf das Grabmal hinunterschaute, dann mit langsamen Bewegungen das Fell hochhob und es sorgfältig darüber ausbreitete wie eine Decke. Strich mit den Händen über das Fell. Es war eine Geste, in der so viel Sehnsucht und Kummer lag, dass es Rene das Herz zusammenpresste. Er konnte sich nicht annährend vorstellen, wie sich Mandariel fühlte.

Beobachtete nur wie angespannt und zugleich losgelöst er wirkte. Als sei etwas Schweres von seiner Seele abgefallen. Rene stand nur da und sah zu ihm. Es dauerte lange ehe Mandariel sich umwandte. Wie immer gab sein Gesicht nichts preis, was er gerade dachte oder fühlte. Mandariel machte auf Rene einen verlorenen Eindruck. Hoffte dennoch ihm damit etwas Gutes getan und auch etwas Frieden gegeben zu haben.

Mandariel stand einfach nur da. Reglos wie eine Statue. Sein Gesicht immer noch ausdruckslos und die Stille war beinahe erdrückend.

Rene wollte etwas sagen oder tun, um diese zu durchbrechen. Doch er wusste nicht, wie er das anstellen sollte.

Der Wolfsprinz sah so entrückt und abwesend aus, dass er sicher nichts bemerken würde. Egal was er auch tat. Rene merkte, wie er sich zu ärgern begann. Genauer gesagt ärgerte er sich über Mandariel. Wieso schleppte er ihn hierrunter und schwieg sich nun aus. Er hätte auch alleine hierher kommen können. Wieso hatte er ihn also dann mit nach unten genommen?

Siehst du es nicht, schalt eine Stimme ihn. Er wollte nicht allein bei diesem schweren Gang sein.

Aber was soll ich hier, fragte er sich. Was soll ich tun?

Unsicher und ein wenig fehl am Platz, trat Rene von einem Fuß auf den anderen. Überlegte ob er nicht doch die Stufen hochgehen und ihn allein lassen sollte. Doch kaum dass er sich umdrehen wollte, schien ihm die gleiche Stimme zu befehlen, bei ihm zu bleiben. So blieb er wo er war und dachte fieberhaft darüber nach, ob es nicht doch etwas gab, was er tun konnte. Dabei erinnerte er sich, wie er einst seine Mutter getröstet hatte, als ihr Vater gestorben war.

Damals hatte er sie immer umarmt und sich an sie gekuschelt. Diese Geste aber reichte aus, um sie zu trösten und den Kummer ein wenig zu lindern. Rene fragte sich, ob dies auch hier helfen würde. Würde Mandariel es zu lassen?

Wieso nicht!

Mandariel war auch ein Mensch und wie jeder Mensch hatte auch er ein Recht auf Mitgefühl und Trost. Nur konnte er immer noch diese Kluft zwischen sich und Mandariel spüren.

Eine Kluft, die der Hass auf die Dörfler und der Zorn und Schmerz über den Tod des Vaters aufgerissen hatte.

Ähnlich wie eine Wunde, die sich einfach nicht schließen wollte.

Es braucht Zeit, ehe Wunden heilen, ging es ihm durch den Kopf und hörte dabei die Stimme seiner Großmutter. Ein Satz, den sie oft gesagt hatte, wenn etwas schlimmes passiert, war, dass es einem die Welt zusammenbrechen ließ. Und Rene wollte diesen Rat hier annehmen und befolgen. Dennoch verspürte er wieder den Wunsch etwas zu tun.

Und bevor Rene richtig verstand, was er da hat, streckte er die Hand aus und berührte Mandariel am Arm.

Sofort spannten sich jeder Muskeln in ihm an und Rene erstarrte. Doch dann ließ sie Anspannung Mandariels Starre schien sich zu lösen. Ohne ein Wort oder eine Geste, blieb er si, schien diese Berührung lange und schweigend auf sich wirken zu lassen. Dann hob er seine rechte Hand und legte sie auf die von Rene.

Kaum dass sie sich berührten, durchfuhr es Rene wie ein Blitzschlag und konnte ein Schaudern nicht verhindern.

Mandariel blieb das nicht verborgen und so drehte er sich um, sah Rene direkt und fest in die Augen, fasste ihn dann an die Schultern und beugte sich zu ihm hinunter. So tief und nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Mandariels Atem strich über Renes Gesicht. Renes Herz fing auf der Stelle an zu rasen als er sich gewahr wurde, was gerade passierte und er schloss die Augen.

Mandariels Hände wanderten von den Schultern hinauf und strichen mit den Fingern über seinen Hals.

Es fühlte sich so ungewohnt sanft und erregend an, dass Rene ein Seufzen nicht unterdrücken konnte.

Wie sehr hatte er sich insgeheim nach so einer Berührung gesehnt. Genauso so sehr wie nach einem Kuss. Vielleicht noch mehr. In ihm erwachte das Verlangen, ihm nach sein zu können. Diesem ging er auch sogleich nach. Stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf hoch. Spitzte dabei etwas die Lippen. Eine stumme Aufforderung, die der Wolfsprinz sicherlich-so hoffte er zumindest- nachkam.

Stattdessen löste sich alles auf einmal um ihn herum auf. Und Rene erwachte.
 

Enttäuscht und frustriert, dass das alles nur ein Traum war, stöhnte er auf.

Nur ein Traum, jammerte eine kleine Stimme in ihm. Bloß ein Traum. Rene blieb mit gebeugtem Rücken und hängendem Kopf im Bett sitzen.

Er wusste nicht, was er am meisten fühlte. Wut, Enttäuschung oder Kummer.

Vielleicht von allem ein wenig.

Dabei war er erstaunt, dass er keine Spur von Entsetzen verspürte.

Zu Anfang wenn er von ihm träumte oder sich gar vorstellte, von ihm berührt zu werden, hatte ihn blanke Panik gepackt. Doch nun war nichts dergleichen zu fühlen.

Eigenartig, dachte er. Wollte sich aber auch nicht einreden, dass das nur vorrübergehend war.

Vielmehr das nach und nach so etwas wie Sympathie sich in ihm bemerkbar machte.

Doch welche Sympathie sorgte dafür, dass er von ihm geküsst werden wollte?

Vermutlich, dachte er sich, ist das ein Zeichen, das er seine Freundschaft wollte. Das schien plausibel zu sein. Doch es blieb ein nagender Zweifel. Ein Kuss hatte viele Bedeutungen. Und ebenso viele Bedeutungen kann man missverstehen. Rene biss sich auf die Unterlippe.

Würde Mandariel es ebenso missverstehen?

Etwas in ihm weigerte sich, so darüber zu denken.

Schnell lenkte er seine Gedanken zu dem, was vor ihm lag.

Heute Nacht würde er zusammen mit Nima in das Rathaus einbrechen, das Wolfsfell stehlen und es dem Wolfsprinzen bringen.

Was danach kam, würde er auf sich zukommen lassen müssen.

Der Gedanke auf das nächtliche Abenteuer machte ihn irgendwie kribbelig.

Ein Hochgefühl des nahenden aufregendem und gefährlichen.

Nie hatte Rene so etwas verspürt. Nicht mal als er als Kind anderen ein Streich gespielt hatte. Das war was ganz neues für ihn.

Dieses Gefühl hielt noch lange an und trieb ihn schließlich aus dem Bett und die Stufen hinunter nach dem er sich angekleidet hatte.

Dort saßen seine Eltern und seine Großmutter am Tisch. Nur Flora fehlte.

Das Hochgefühl schwand nun und Rene fürchtete, das schlimmste sei eingetroffen.

Dass Flora bei Nacht und Nebel mit Jaque durchgebrannt war. „Wo…wo ist Flora?“, brachte er mit erstickter Stimme hervor.

Martha wusste sofort was ihm durch den Kopf ging und lächelte milde.

„Bei Jaque. Die beiden wollen was besprechen!“, sagte sie nur und Rene atmete hörbar erleichtert auf. „Komm setz dich. Du siehst so blass aus!“

Trotz das Rene Hunger hatte und das Frühstück verführerisch roch, bekam er kaum etwas runter. Zu aufgeregt war er. Zumal er sich fragte, was Flora und Jaque genau zu besprechen hatten. Ob sie gemeinsam ihre Flucht planten?

Im Stillen und ohne jemandem Bescheid zu sagen?

Oder ob sie es doch bleiben lassen wollten?

Er war schon fast versucht hinzu gehen und sie zu belauschen. Das hatte er oft getan, als sie noch Kinder waren. Was war schon dabei?

Aber da hörte er eine Stimme zischen:„ Wag es ja nicht!“

Das war unverkennbar die mahnende Stimme seines Gewissens.

Außerdem sollte er sich selbst an die Nase fassen, da er ebenso etwas im Schilde führte.

Dabei überlegte er, wie sie es angehen würden.

Von Vorne würden sie nicht einsteigen können, da man sie entdecken würde. Also blieb nur die Möglichkeit von hinten rum rein zu kommen. Nur wie?

Die Fenster waren einfach zu hoch über den Boden, sodass es beinahe unmöglich war. Raus ginge es natürlich leichter, da sie nur springen mussten. Doch würden sie sich da nicht was brechen?

Langsam bekam seine Euphorie erste Risse und er fragte sich, ob er sich nicht doch alles zu optimistisch ausgemalt hatte. Vielleicht hatte Nima ja eine Idee, wie es anstellen könnten.
 

Hand in Hand gingen Flora und Jaque zurück zu ihren Eltern. Sie hatte ihn gebeten, dabei zu sein, wenn sie ihren Eltern beichtete, dass sie nach ihrer Hochzeit, das Dorf verlassen würden. „Ohne dich schaffe ich es nicht!“, hatte sie mit tränenerstickter Stimme gewimmert und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Jaque hatte sie genommen und nach unten gezogen, sah sie liebevoll an. „Ich werde mitgehen und dir beistehen. Zu jeder Zeit. Das verspreche ich dir!“, hatte er ihr zu geflüstert und küsste sie auf die Stirn. Nun standen sie vor der Tür und Flor hob die Hand um die Tür zu öffnen, hielt dann aber inne und schaute zweifelnd drein. Blickte zu Jaque, der ihr ermutigend zu nickte.

Flora holte einmal tief Luft, legte die Hand auf die Türklinke. Hielt ein letztes Mal inne, dann öffnete sie die Tür und trat ein.
 

Während sie ihren Eltern reinen Wein einschenkte, hielt sie Jaques Hand und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie hatte den Blick gesenkt. Sie konnte ihnen einfach nicht in die Augen sehen. Doch sie brauchte sie nicht an zu sehen, um zu wissen dass sie ihnen gerade das Herz zerriss. Ein langes Schweigen setzte ein. Was Flora unerträglich war. Zaghaft schaute sie nun doch zu ihren Eltern, die mit bleicher Miene da saßen.

Sagt doch was, flehte sie innerlich. Schreit, tobt oder sonst was. Aber hörte auf zu schweigen.

Stumm rann Elsa eine Träne über die Wange.

Flora merkte, wie ihr das Herz schwer wurde und sie selbst den Tränen nahe war. Sofort bereute sie, es ihnen gesagt zu haben. Sie schaute von ihrer Mutter zu ihrem Vater, der mit steinerner Miene vor sich hin schaute. Auch in seinen Augen schimmerte es verräterisch.

„Ich…ich werde nur gehen, wenn Ihr es mir auch erlaubt!“, sagte Flora mit belegter Stimme und sah kurz zu Jaque. Er erwiderte ihren Blick und schlug die Augen nieder. Presste dabei die Lippen aufeinander. Schnell schaute sie wieder zu ihren Eltern. Sie wusste, dass sie ihm damit in den Rücken fiel, wenn sie nun ihren Eltern die Wahl überließ. Aber sie wollte sie nicht noch mehr verletzen als das sie es schon jetzt getan hatte.

Ramon blickte zu seiner Frau, die stumm da saß. Fasste sie dann an der Hand. „Elsa…wir sollten sie gehen lassen!“, sagte er matt. Elsa sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Ihr war an zu sehen, dass sie damit nicht einverstanden war. Dass sie dagegen protestieren wollte. Doch ihre Stimme gehorchte nicht. Nur ein ersticktes Keuchen kam aus ihr heraus.

„Hier wird sie niemals glücklich werden. Woanders hätte sie sicher mehr vom Leben!“

Ramon bemühte sich ruhig und vernünftig zu klingen, aber die Nachricht hatte ihn ebenso getroffen. Immerhin würde seine Tochter sie verlassen. Dass sie irgendwann ihnen nachfolgen und wiedersehen würden, war nur ein schwacher Trost. Es fiel ihm ebenso schwer sein kleines Mädchen gehen zu lassen. Doch er wusste auch, dass das der einzige richtige Weg war. „Das weiß ich doch selbst!“, kam es erstickt von Elsa, die sich eine Träne wegwischte.

„Dann hör auf dich dagegen zu sträuben!“, sagte Martha inbrünstig.

„Denkst du, mir fällt das leicht? Sie ist meine Tochter. Ich habe sie geboren, sie groß gezogen und nun verlangt jeder von Euch, dass ich sie in die Wildfremde ziehen lasse?“, platzte es aus Elsa wütend und sah ihre Mutter mit einer Mischung aus Wut und Trauer an. „Wer verspricht mir, dass wir sie je wieder sehen? Wer verspricht mir, dass es ihr gut gehen wird?“

„Keiner!“, sagte Martha mit bedrückter Stimme und lieferte Elsa damit das Argument, was sie brauchte, um ihre Tochter zum Hierbleiben zu bewegen. Elsa wollte gerade etwas sagen, doch da ergriff Flora das Wort. „Mutter!“

Flora stand auf, ging um den Tisch herum und fasste ihre Mutter an den Schultern. Auch ich habe Angst, dass ich Euch nicht wieder sehe. Und wenn es anders ginge, würde ich hier bleiben. Aber wenn die anderen von unserer Verbindung erführen, dann…dann würden sie…!“, weiter brachte Flora den Satz nicht zu ende, da ihr auch Tränen in die Augen traten. Sie blinzelte sie schnell weg und sprach zu Ende:„ Vater hat Recht. Es ist das einzig richtige. Und ich verspreche dir, dass wir uns wiedersehen werden!“

„Ich werde Flora mit meinem Leben beschützen. Das ist mein Versprechen!“, schwor Jaque, der sich zu Flora stellte und seinen Arm um ihre Schulter legte. Flora sah ihn dankbar an.

Elsas Blick wechselte von ihrer Tochter zu ihrem künftigen Schwiegersohn. In ihrem Gesicht spiegelte sich immer noch der Widerwille und der Schmerz. Sah aber auch ein, dass es keinen Sinn hatte und ließ den Kopf sinken. Ramon erhob sich und nahm seine Frau in die Arme. Redete ihr flüsternd gut zu. Dann wandte er sich an Flora und Jaque. „Gebt Ihr noch etwas Zeit!“, bat er sie. Flora und Jaque nickten. Gingen dann hinaus. Martha blieb noch einen Moment an Ort und Stelle, dann ging auch sie.
 

Rene hatte alles von der Treppe aus mit angehört. Neben dem Schmerz, der ihn aufs Neue überfiel, verspürte er auch das Gefühl als sei er ihr in den Rücke gefallen, weil er nicht an ihrer Seite gewesen war. Dabei hätte er ihr eigentlich beistehen sollen. Sie bei ihrem Bitten unterstützen sollen. Doch Flora hatte ihm widersprochen. Ihm gesagt, dass sie allein durchstehen musste. Mit Jaque.

Das kränkte ihn ein wenig. Sie hatten sich immer gegenseitig unterstützt, wenn es darauf ankam. Nun aber sollte er sich raushalten. Er fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen.

Sagte sich dann aber, dass sie es wirklich alleine mit ihren Eltern besprechen sollte. Es gab Dinge, aus denen sich Geschwister manchmal raushalten sollten. Dennoch hatte er sich auf die Treppe gesetzt um zu lauschen. Auch wenn er sich etwas unwohl fühlte und sich sicher war, dass er mächtig Ärger bekommen würde, sollte sie ihn hier erwischen. Aber er blieb. Hatte sich vorgenommen, ihr doch noch zu helfen, sollte es nötig sein.

Sah jedoch, dass es Flora allein gelungen war und atmete erleichtert auf. Konnte aber ein Gefühl der Schwermut nicht verleugnen. Flora würde bald fortgehen. Sobald der Schnee schmolz und die Zeit des Erwachens anbrach.

Er würde sie nicht mehr sehen. Aber…er würde sie sowieso nicht mehr wiedersehen. Genauso wenig wie er seine Familie wieder sehen würde. Denn wenn die Zeit des weißen Schleiers vor rüber war, würde auch sein Leben vor rüber sein. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals als er sich ins Gedächtnis rief, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.

Für ihn kam sein ganzes bisheriges Leben nun viel zu kurz vor. Als habe er nichts erlebt.

Sein Leben war genauso langweilig und eintönig wie das der anderen. Dabei hatte er sich als Kind immer gewünscht genauso Abenteuer zu erleben, wie die Helden in den Geschichten, die ihre Mutter immer vorgelesen hatte. Genauso böse Drachen erschlagen und Jungfrauen retten. Doch mit der Zeit als er älter wurde verblasten diese Wünsche, wichen der harten Realität und die Jungfrauen, die ihm über den Weg liefen, waren die wahren Drachen. Giftspeiende Ungeheuer, die sich vom schönen Schein blenden ließen.

Aber beschweren wollte er sich auch nicht. Sein Tod hatte etwas Gutes. Ich sterbe nicht für umsonst, sagte er sich, während er die Treppe wieder hochstieg.

Flora würde dadurch weiterleben. Sie würde mit Jaque weggehen, heiraten und eine Familie gründen, redete er sich ein. Sie kann das Leben führen, was sie sich gewünscht hat.

Mit dem Mann, den sie liebt.

Nur das zählte.

Daher versuchte er nicht weiter daran zu denken. Doch er konnte es einfach nicht aus seinem Kopf kriegen. Immer wieder kreisten seine Gedanken darum wie er sterben würde. Insgeheim ertappte er sich dabei, wie erleichtert er war, dass er nicht qualvoll starb. Sondern eher sanft entschlief.

Es hätte wirklich schlimmer kommen können, dachte er. Er hätte mich auch zerfleischen können. Das erste Mal verstand er wirklich, warum er ihn am Leben gelassen hatte. Und kam sich wie ein Idiot vor. Er hat mich die ganze Zeit mit der Nase darauf gestoßen und ich war zu blind um es zu sehen, warf er sich vor.

Aber nun würde er sich erkenntlich zeigen. All das Unrecht, was er ihm getan hatte, wieder gut machen würde. Das war ein Grund mehr um mit Nimas Hilfe das Fell seines Vaters zu holen. Und erneut erfasste ihn eine Woge der Euphorie. Er konnte es kaum erwarten.
 

Als endlich die Nacht anbrach und alle zu Bett gegangen waren und tief und fest schliefen, schlich sich Rene hinaus und wartete hinter dem Haus auf Nima. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen und stierte angestrengt in die Nacht. Für einen flüchtigen Moment fürchtete er, Nima habe es sich doch anders überlegt. Doch dann kam ihm wieder in den Sinn, wie sie sich diebisch gefreut hatte. Nein. Nima würde sicher nicht einen Rückzieher machen.

Es schien ewig zu dauern, als er endlich das Rascheln und Knirschen hörte, dass die Ankunft der Wölfin ankündigte. Und als sie auftauchte, atmete er erleichtert auf. Nima war dieses Mal in ihrer menschlichen Form erschienen und in ihren Augen blitzte es voller Vorfreude. Und nahender Schadenfreude.

In ihren Armen trug sie die Haut eines Wildschweins. Weißgefärbt, wie sie es versprochen hatte.

„Wollen wir?“, fragte sie dann und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Ihr ist an zu sehen, dass sie es kaum erwarten konnte. Rene ließ sich davon anstecken und nickte. „Hier entlang!“, sagte er nur und die beiden machten sich auf den Weg zum Rathaus.

Sie schlichen hinten rum entlang, damit sie keiner sehen konnte, der womöglich zu so später Stunde noch herumlief. Aus einigen Häusern und der Schankstube hörten sie Lärm und duckten sich noch mehr in den Schatten.

Um einige Umwege gelangten sie dann zur Rückseite des Rathauses. Dunkelheit herrschte hinter den Fenstern. Rene und Nima lauschten. Hörten nichts und niemanden, was sie erwischen könnte. Dann lehnte sich Rene an die Wand und verschränkte die Finger ineinander. Machte eine Räuberleiter. Nima stellte ohne zu zögern ihren Fuß darauf und stützte sich an Rene ab. Rene war erstaunt wie leicht sie war und drückte sie nach oben.

Nima untersuchte das Fenster nach einer Schwachstelle, wo sie das Fenster am besten öffnen konnte. Sie fand sie nach einigen Minuten, beugte sich vor, holte tief Luft und hauchte die Stelle an. Eine Wolke aus kalter Luft entströmte aus ihrem Mund und als sie auf das Schloss traf, bildete sich eine Schicht aus Raureif darauf. Es knirschte und knackte. Mit einem sanften Stoß schwang das Fenster auf und Nima kletterte hinein. Dann half sie Rene hinein. Erstaunt sah er sie an. Deutete dann auf das geöffnete Fenster. Nima hob die Schultern, grinste dann aber. „Nicht nur der Wolfsprinz hat magische Kräfte. Wir wurden immerhin mithilfe seiner Magie erschaffen. Ein Teil davon ruht also auch in uns!“

„Erklärt das auch, dass du mich einfach hoch ziehen kannst, als würde ich nichts wiegen!“, flüsterte Rene. „Was denkst du denn?“, fragte sie mit einem noch breiteren Grinsen. Doch das Grinsen verschwand als sie sich umsah und ihr Blick auf etwas haften blieb. Rene folgte ihrem Blick und sah, was sie so erstarren ließ. Das Wolfsfell von Mandariels Vater!

„Diese elenden…!“, hörte er sie knurren. Rene konnte gut nachempfinden, was sie fühlte und was sie am liebsten tun würde. Doch er wollte sie auf das eigentliche Ziel ihres Vorhabens lenken. „Komm. Beeilen wir uns. Je eher wir es hinter uns bringen, desto besser!“, flüsterte er und nahm sie bei der Hand. Er spürte dabei, wie sie zitterte. Ihm war selbst nicht ganz wohl bei der Sache. Seine Euphorie war um einiges geschrumpft.

Was wenn sie hierbei erwischt werden?

Dass sie es irgendwann bemerken würden, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Nur was würden sie mit ihnen machen, wenn sie bei frischer Tat erwischten?

Was würden sie mit Nima machen?

Würden sie erkennen, wer und was sie wirklich war?

Rene drängte schnell diesen und damit verbundene Gedanken weg. Konzentrierte sich stattdessen auf das, was ihm unter den Nägeln brannte. „Das ist viel zu hoch. Da komme ich nicht ran!“, flüsterte Nima bitter. „Vielleicht…vielleicht gibt es hier eine Leiter!“, gab Rene hoffnungsvoll zurück und sah sich sogleich um. Doch in der hier herrschenden Dunkelheit konnte er sich das sparen. Nima ließ den Blick schweifen und wurde in einer Ecke fündig. „Mit der hier müsste es klappen!“, sagte sie und holte die Klappleiter. Vorsichtig klappten sie sie auf. Rene hielt sie fest, während Nima hinauf stieg und die Halterung untersuchte. Sie stieß einen erleichterten Laut aus als sie sah, dass das Fell an einfachen Haken befestigt war. Mit flinken geschickten Fingern löste sie es von diesen und rollte es vorsichtig zusammen. Reichte es Rene und nahm stattdessen das Wildschweinfell. Mit einem Kichern brachte sie es an den Haken an und stieg hinunter. Ihr Blick glitt zum Fell des Vaters ihres Herren und alle Schadenfreude war verflogen. Ein schmerzlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht während sie das Fell in den Armen hielt.

Mit zitternden Fingern strich sie darüber. In ihren Augen bildeten sich Tränen. Rene sah, dass sie darum kämpfte diesen nicht freien Lauf zu lassen. Da hier keine Zeit dafür war. „Los komm. Wir müssen hier verschwinden!“, drängte er sie sanft. Nima nickte. Sie kletterten wieder aus dem Fenster und Nima verschloss es mit Eis. „Das sollte für eine Weile halten!“, sagte sie mit belegter Stimme.
 

Mit schnellen großen Schritten liefen sie in den Wald und ließen das Dorf hinter sich. Nima trug weiterhin das Fell in ihren Armen. Drückte es dabei fester an sich und konnte nun nicht mehr an sich halten. Stumm liefen ihr heiß Tränen über die Wangen. Rene wollte sie trösten und legte den Arm um ihre Schultern, während sie weiterliefen. Nima schmiegte sich an ihn.
 

„Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit

Faolan oh Faolan

Heute Nacht wird ich ihn trösten gehen.

Faolan Oh Faolan.

Und der Wolf klagt sein Leid in der Einsamkeit

Faolan Oh Faolan

Heute Nacht werd ich ihn wiedersehen

Tief im Wald nach tausend Jahren“
 

Rene kam es so vor als hätte er dieses Lied schon lange nicht mehr gesungen. Doch als er es tat hatte er das Gefühl das richtige zu tun. Denn Nima schien sich zu beruhigen. Das Schluchzen und Beben ihrer Schultern ließ etwas nach. „Danke!“, flüsterte sie. Rene lächelte und rieb ihre Schulter. „Geht es wieder?“

„Ja!“, kam es schwach von Nima. Dann straffte sie die Schultern und wischte sich die Tränen weg. „Ich kann es kaum erwarten, wenn du meinem Herrn das Fell seines Vaters bringst!“, sagte sie und versuchte dabei aufgeregt zu klingen. Rene lächelte wieder. Ihm erging nicht anders. Er spürte wie ihn eine Welle von Ungeduld und Freude erfasste. Er konnte es ebenso wenig erwarten. Dennoch regte sich etwas in ihm, was ihn noch mehr nervöser machte.

Der Traum letzter Nacht kam ihm nun in den Sinn und er fragte sich, ob dieser nicht einfach nur ein Produkt seiner Fantasie war- und wenn ja, was um alles in der Welt war das für eine-oder um eine Art Ankündigung, auf das was kommen könnte. Was passieren könnte.

Eine verräterische Röte breitete sich auf seinen Wangen auf. Nima sah ihn neugierig an. „Was ist?“, fragte Nima. „Ich…nichts…ich…ich frage mich nur, ob es nicht besser wäre, wenn du es ihm gibst und ihm sagst, dass ich…!“, kam es stammelnd aus ihm. Nima gab ihm einen Stoß in die Seite. „Von wegen. Vergiss es. Du wirst es ihm bringen!“, sagte sie und drückte ihm das Fell in die Hände.
 

Mit festen Schritten und Rene im Schlepptau, schritt sie mit ihm durch den Eiskorridor. Und mit jedem Schritt hatte Rene das Gefühl auf eine Klippe zu zulaufen. Immer wieder fragte er sich, was passieren würde, wenn er ihm das Fell brachte. Wie wird er reagieren, fragte er sich. Wird er wütend sein, weil er ihn damit mit dem Schmerz konfrontierte?

Aber wieso?

Immerhin brachte er ihm das, was eigentlich ihm gehörte. Ein Teil seiner Vergangenheit. Um endlich auch damit abschließen zu können. Um vielleicht nach vorne sehen zu können. Den Schmerz, Kummer und den Hass zu vergessen. Zumindest hoffte Rene, dass das zutreffen würde. Rene schaute auf das Fell hinunter. Bitte lass es so kommen, wie ich es mir wünsche, dachte er. Plötzlich blieb Nima stehen und zog ihn zur Seite. Rene wollte fragen, was los sei, als sich ihnen auch schon ein hochgewachsener Mann näherte, mit langen blassblonden Haaren und eisigen Augen. Sein Gang war schnell und auf eine gewisse Art und Weise aggressiv. Rene spürte sofort, dass man sich vor ihm hüten sollte. Als er auf gleicher Höhe mit ihnen war, blieb er kurz stehen und sah sie mit bohrenden Blicken an. Vielmehr sah er Rene so an. Sofort machte er einen Schritt zurück. Drückte sich das Fell schützend vor die Brust. Die Augen des blondhaarigen wurden sogleich zu schmalen Schlitzen als nun sein Blick auf das Fell in Renes Armen fiel. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er eisig und Rene glaubte, den Ton schon bei Mandariel gehört zu haben. Nima sprang schnell ein und stellte sich schützend vor ihn. „Rene will unserem Herrn das Fell seines Vaters wiederbringen!“, sagte sie und baute sich zu ihrer vollen Größe auf. Dabei reichte sie mit ihrer Stirn gerade mal zu seinem Kinn, sodass sie zu ihm hoch schauen musste. Ein irrwitziges Bild und wäre das nicht so bitterernst, hätte Rene gegrinst. „Das sehe ich. Ich frage mich allerdings, was dahinter steckt!“, kam es lauernd von ihm und immer noch sah er ihn mit schmalen Augen an. „Ich…!“, kam es nur von Rene, der versuchte sich zu behaupten. Was ihm gründlich misslang. Nima sprang ein, fasste ihn am Arm und zerrte ihn mit sich.

„Wer um alles in der Welt war das?“, fragte Rene mit verhaltener Stimme als sie außer Hörweite von ihm waren. „Das war Ardou. Die rechte Hand unseres Herrn!“, erklärte sie.

Es lief Rene kalt über den Rücken. Ardou!

Diesen Namen hatte er schon mal gehört. Damals auf der Lichtung, als dieser riesige Wolf ihn zerfleischen wollte und Mandariel ihn im letzten Moment abhielt. Ihm wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. „Na, komm. Der Herr fragt sich schon, was los ist!“, sagte Nima und riss Rene aus seiner Starre. Nur um dann noch schockierte zu sein. „Weiß er etwa davon?“

Nima schüttelte verschwörerisch den Kopf. „Was hast du ihm stattdessen gesagt?“

„Nur dass ich mich mit dir treffen wollte um was zu erledigen!“

Rene sah sie skeptisch an. Fragte sich, wieviel sie ihm wirklich erzählt hatte. Nima schien das riechen, denn sie hakte sich bei ihm ein und zog ihn wieder mit sich.

Rene hätte nun am liebsten die Fersen in den Boden gerammt. Doch selbst das hätte Nima nicht aufgehalten. Mit einer Inbrunst, die er nicht zu getraut hätte, schleppte sie ihn hinter sicher her. Bis sie vor der Pforte waren, die in das Gemach führte, was Rene schon so vertraut war. Rene schluckte schwer. Fühlte sich wieder so, als würde er nun am Rande der Klippe stehen und kurz davor sein zu fallen. „Ich kann das nicht!“, sagte er mit erstickter Stimme und hielt Nima das Fell hin. „Tu du es!“

„Kommt nicht in Frage. Das ist deine Aufgabe!“

„Aber was wenn er sauer ist?“

„Wieso sollte er sauer sein?“

Rene zögerte kurz mit der Antwort. Diese Frage hatte er sich schließlich auch gestellt. Und darauf keine ausreichende Erklärung gefunden. Dennoch fühlte er sich nicht gerade wohl. Das Wolfsfell hin und her hinhaltend, stritten sie mit einander, wer es ihm nun gab. Als auf einmal die Tür geöffnet wurde und Mandariel sie entnervt ansah. „Darf ich erfahren, was hier vor sich geht?“

Nima und Rene schauten drein, als habe er sie bei etwas verbotenem erwischt. Dann schob sie Rene wieder das Wolfsfell hin. „Rene wollte Euch etwas geben!“, sagte sie schnell. „Das…nein. Nima will es Euch geben!“, verteidigte er sich und kam sich wie ein Kleinkind vor. Doch da war Nima schon weg und ließ ihn stehen. Rene sah auf die leere Stelle und sperrte den Mund zu einem stummen Protest auf. Dann sah er zu Mandariel, der mit einer Mischung Verwirrung und Ungeduld an. Kurz begegneten sich ihre Blicke, dann Mandariel auf das, was Rene hielt und versteifte sich. Scharf sog er die Luft ein und der Blick in seine Augen wurde ausdruckslos. Mit mechanischen Bewegungen reichte er ihm das Wolfsfell. „Ich…!“, kam es nur aus ihm heraus. Seine Stimme zitterte. Vor Angst und entsetzlicher Erwartung, was nun kommen würde. Mandariel nahm das Wolfsfell schweigend an sich. Blickte immer noch mit ausdruckslosen darauf nieder. Rene hatte das ungute Gefühl, dass seine Sorge wegen Mandariels neuentfachten Schmerz und die damit verbundene Wut sich erfüllen würde und machte sich innerlich darauf gefasst.

Doch nichts kam. Nichts, was Rene zumindest befürchtet hatte. Mandariel sah noch einige Minuten das Fell in seinen Händen an, dann wandte er sich an Rene. Seine Augen schienen nun eine Menge zu offenbaren. Verwirrung, Trauer und auch etwas anderes, was Renes Hals zusammen schnürte. „Komm mit!“, sagte Mandariel nur. Und wäre Rene nicht so vom Donner gerührt, hätte er das Beben in seiner Stimme gehört.

Stumm, ohne sich fragen zu können nach dem warum, folgte Rene ihm. Sie verließen das Gemach und liefen den langen Korridor entlang. Bogen dann nach rechts und schritten in einen kleinen Seitengang, der zu einer türenlosen Pforte, hinter der sich wiederum in schwachem Licht eine Treppe befand. Rene erstarrte augenblicklich als er sah wohin diese Treppe führte.

Wie in seinem Traum schritten sie diese hinunter und mit jedem Schritt schlug Renes Herz schneller. Wieder musste er an den Traum denken und hatte dabei das dumpfe Gefühl, dass sich alles nun doch erfüllen würde. Jede Einzelheit. Ein Schaudern durchlief ihn und er zögerte. Blieb wie angewurzelt stehen. Mandariel bemerkte dies und drehte sich zu ihm herum. „Was ist? Wieso bleibst du stehen?“

Rene kaute auf seiner Unterlippe und suchte nach den richtigen Worten.

„Geht allein. Ich warte hier oben!“

Doch die Worte kamen ihm nicht über die Lippen. Stattdessen stand er da und sah aus wie ein Trottel. „ Es…ich…es ist nichts!“, sagte er hastig und stolperte dabei über seine eigenen Worte. Mandariel musterte ihn einige Augenblicke. „Dann steh nicht hier so rum!“, wies er ihn an und Rene gehorchte.

Sie gingen weiter, bis sie das Ende der Treppe erreicht hatten und als sie vor dem Raum standen, in dem Mandariels Vater zur letzten Ruhe gebettet war. Renes Hals verengte sich. Er wusste was nun kommen würde. Und auch wenn alles in ihm schrie, an Ort und Stelle stehen zu bleiben, ging er wie unter einem Bann weiter und stellte sich neben ihn. Schaute mit schweigsamer Miene zu, wie Mandariel andächtig das Fell auf den eisigen Sarkophag legte und es streichelte. In seinem Gesicht konnte man schwer sehen, was gerade in ihm vorging. Aber Rene glaubte so etwas wie Trauer darin zu sehen. Gepaart mit einer Spur von…

Frieden.

„Maintenant, tu peux reposer dans la paix, le père!”*, sprach er mit gedämpfter Stimme.

Rene spürte so etwas wie eine warme Woge von Erleichterung, die über ihn hinweg rollte. Die Art wie Mandariel es sagte, ließ in ihm die Hoffnung aufsteigen, dass das Eis, welches sich um sein Herz gebildet hatte, nun anfangen würde zu schmelzen. Auch wenn es womöglich zu viel und zu früh verlangt war. Dennoch hoffte es Rene.

Er konnte doch nicht für immer so voller Zorn sein. Mandariel stand da und schaute auf das Grab seines Vaters nieder. Schien mit den Gedanken weit weg zu sein.

In Rene wisperte etwas, drängte ihn förmlich dazu, dass dies der richtige Moment sei. Nach dem Wofür fragte er nicht. All seine vorherigen Bedenken und Befürchtungen waren wie weggeblasen. Vergessen. Es gab nichts, was ihn noch zögern ließ. Sondern nun handelte.

Langsam steckte er die Hand nach ihm aus.

Rene kam es selbst so vor, als würde jemand anderes ihn führen. Wie als sei er nur ein Zuschauer, sah er wie sich seine Hand auf Mandariels Arm legte. Trotz des Stoffes fühlte er die sehnigen Muskeln, die sich unter der Haut des Wolfsprinzen anspannten, als sich seine Hand auf ihn legte. Rene schluckte. Es war reiner Reflex. Versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Ihm nicht zu zeigen, dass es er verlegen war, wegen dem was er tat. Mandariel schien es dennoch zu sehen. Sah darauf hin durchdringend an.

Blickte ihn so tief in die Augen, dass Rene glaubte, er würde tief in ihn hinein blicken.

Nach dem Grund für diese Geste suchen. Ob irgendwelche Hintergedanken steckten.

Als er nichts zu finden schien, wanderten seine Augen für einen kurzen Moment auf Renes Lippen und ihm stockte der Atem. Will er mich küssen, ging es ihm durch den Kopf und Hoffnung kam in ihm hoch. Diese erlosch jedoch genauso schnell wie sie aufgekommen war, als er ein Schimmern in den Augen des Wolfsprinzen sah. Sind das Tränen?

Rene öffnete den Mund, doch er brachte keinen Ton heraus. Daher schloss er ihn wieder. Sah Mandariel weiterhin an.

Es fühlte sich an wie in seinem Traum. Und doch war es real. Rene schwirrte der Kopf und er hatte das Gefühl als würde er schwanken. Dabei stand er fest auf den Beinen. Doch seine Beine versagten beinahe den Dienst als Mandariel näher trat, seine Hand auf Renes Schulter legte und sich zu ihm hinunter beugte. Renes Herzschlag setzte aus und er spürte wie sein Magen vor Aufregung Purzelbäume schlug. Vor Erwartung und Anspannung blieb er wie angewurzelt stehen, schloss dann die Augen. Mandariels Atem strich über sein Gesicht, verhieß Verlockung und Verbotenes. Rene verschwendete keinen weiteren Gedanken, sondern wünschte sich, dass es passierte. Dass er ihn küsste.

Doch zu seiner Überraschung und Enttäuschung, neigte Mandariel sein Gesicht, sodass seine Lippen nun sein Ohr streiften. Bei dieser Berührung erfasste ihn ein Schauern. Rene versteinerte und hielt die Luft an. In seinen Ohren rauschte es wie bei einem Wasserfall, als sein Herz nun doppelt so schnell schlug und sein Blut durch den Körper jagte.

Trotz des Rauschens konnte Rene aber dennoch die Worte hören, die Mandariel ihm ins Ohr hauchte. „Ich danke dir!“
 


 


 


 

* „Nun kannst du in Frieden ruhen, Vater!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  _Seto_Kaiba_
2018-02-08T02:32:28+00:00 08.02.2018 03:32
Hallo..... also hab deine ff vor wenigen Stunden entdeckt und sie hat mich bis jetzt gefesselt..... sie ist bis auf ein paar grammatikalische Fehler sehr gut..... nur schade dass es noch ein wenig dauert bis sie weiter geht .... rene und mandariel sind echt so süß zusammen und wie sie umeinander herum schleichen :-) ich hoffe nur das es für die zwei ein gutes ende nimmt *~* denn diese prophezeiung hört sich leider nicht danach T.T
Aber ich lasse mich da einfach mal überraschen ;-)
Mach weiter so.... ich freue mich jetzt schon auf das nächste kappi. :-) :-) :-)
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.02.2018 13:10
Danke danke schön😊. Freut mich immer wieder dass sie anderen grfällt. Und ja, das mitder Rechtschreibung ist mein Fluch 😅
Antwort von:  _Seto_Kaiba_
08.02.2018 17:37
Macht ja nix.... wie du siehst bin ich selbst kein fan von gtoß-und kleinschreibung :-D
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
09.02.2018 10:00
LOL....Nobody is Perfect
Von:  Ka-Sei
2018-01-09T22:52:34+00:00 09.01.2018 23:52
Richtig schönes Kapitel! Stellenweise sollte es ggf nochmals grammatikalisch ausgebessert werden und ein paar Wörter sind noch im Weihnachtsurlaub, aber trotzdem voll toll! Die Idee mit dem Wildschein find ich super. Die Freundschaft zwischen Nima und Rene ist toll. Und mir gefällt die immer positiver werdende Verbindung zwischen Mandariel und Rene. Renes Verständnis für Mandariels Abneigung und die Träume sind genauso schön geschildert, wie die doch stetig besser und inniger werdende Bindung der beiden.
Ich freu mich schon total auf das nächste Kapitel :D
Von:  Scorbion1984
2018-01-09T13:51:15+00:00 09.01.2018 14:51
Ein sehr emotionales Kapitel !
Schön das Du wieder was geschrieben hast ,freu mich auf die nächsten Kapitel !
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
09.01.2018 19:27
Danke schön. Erstmal frohes Neues😊. Ich werde did künftigen kapis ab sofort in 2-3 monatrythmus pn stellen. Damit keiner mehr solange warten muss


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