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Eurydike

von

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Der erste Tag

Ein wenig schüchtern betrat Yuki die Aula und sah sich um. Rechts von ihr unterhielt sich ein braun gebranntes Mädchen mit schwarzen, hochgesteckten Haaren mit einem Jungen im grauen Trainingsanzug. Scheinbar versuchte sie gerade, ihm diesen auszureden, allerdings mit mäßigem Erfolg. Dem Gespräch konnte Yuki immerhin entnehmen, wo sich das schwarze Brett befand. In Gedanken dankte sie den beiden dafür, als sie an ihnen vorbei ging.

Das schwarze Brett war eigentlich nicht schwer zu finden, es hing an der rechten Wand gleich hinter den beiden, einige Schüler standen noch davor und suchten ebenfalls ihre Klassen. Yuki stellte sich zu ihnen und ließ den Blick über die vielen Listen schweifen. Sie musste zweimal hinsehen bis sie ihren Namen endlich fand: Yuki Nakamura, Klasse F.

Yukaris Name stand ebenfalls unter F, sie würden sich künftig wohl noch öfter sehen. Yuki war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Tja, ihr blieb wohl nur die Hoffnung, dass Yukari ihre Pistole wenigstens in der Schule nicht dabei hatte.

Yuki ließ ihre Hand in ein Seitenfach ihrer Schultasche gleiten und zog eine Packung Kaugummi hervor. Während sie sich einen von ihnen auf die Zunge legte, drehte sie sich um und überlegte, wo „gleich links“ das Lehrerzimmer sein mochte. Rechts neben ihr führte eine Treppe nach oben und vor ihr gab es einen Schülerkiosk, an dem man allerlei Snacks kaufen konnte. Yuki schlenderte an ihm vorbei und blieb unschlüssig auf einem runden Mosaik in der Mitte des Raumes stehen. Links und rechts führte je ein Gang tiefer ins Gebäude. Yukaris Rat befolgend bog sie in den Linken ein und siehe da, sie hatte Glück. Gleich die erste Tür rechts war das Lehrerzimmer. All ihren Mut zusammennehmend klopfte sie erst und trat dann ein.

Eine junge Lehrerin mit kurzen, hellbraunen Haaren, Yuki schätzte sie auf Mitte dreißig, bemerkte sie und fragte freundlich: „Oh, bist du die neue Schülerin? Yuki Nakamura … Elfte Klasse, richtig?“

Yuki nickte schüchtern. Die Lehrerin blätterte kurz in ihren Unterlagen und fuhr, mehr mit sich selbst als mit Yuki redend, fort: „Wow, du hast an vielen verschiedenen Orten gelebt … Mal sehen … In 1999 … Das war wann, vor zehn Jahren? Deine Eltern ...“

Noch bevor sie den Satz beendet hatte hielt sie keuchend die Luft an. Yuki konnte sich schon denken, an welcher Stelle ihrer Unterlagen sie jetzt angelangt war. Bemüht, ein neutrales Gesicht zu machen, wartete sie, bis die Lehrerin fortfuhr. Mit einem gequälten Ausdruck in den Augen wandte diese sich nun direkt an Yuki.

„Es tut mir Leid … Ich war so beschäftigt, ich hatte keine Zeit deine Unterlagen vorher durchzulesen.“

Ein kurzes Stechen durchfuhr Yukis Brust, doch sie ließ sich nichts anmerken. 1999, das Jahr, in dem sie alles verloren hatte. Damals waren ihre Eltern bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen und mit ihnen ihr älterer Zwillingsbruder. Obwohl sie sich kaum daran erinnern konnte (schließlich war sie noch sehr klein gewesen) war sie für einen winzigen Moment wütend auf diese Frau, die es verabsäumt hatte, sich rechtzeitig über ihre familiäre Situation zu informieren. Wie schwer konnte es sein, diese paar Seiten zu lesen?

Die Frau vor ihr unterbrach ihre Gedanken: „Ich bin Frau Toriumi, ich unterrichte Komposition. Willkommen an unserer Schule.“

Yuki verbannte ihre Gedanken in den hintersten Winkel ihres Kopfes und antwortete wohlerzogen: „Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen.“

Frau Toriumi schenkte ihr ein strahlendes Lächeln: „Na, bist du aber höflich? Mädchen wie du sollten ein gutes Beispiel für andere sein. Hast du die Klassenaufteilung schon gesehen?“

Hastig nickte Yuki.

„Du bist in 2-F, das ist meine Klasse. Aber zuallererst müssen wir ins Auditorium. Die Willkommenszeremonie wird bald anfangen. Folge mir.“

Erleichtert, dass sie nicht selbst dorthin finden musste, folgte sie Frau Toriumi aus dem Lehrerzimmer. Ohne sie hätte Yuki noch nicht einmal gewusst, dass diese Zeremonie jetzt stattfand. Außerdem schien sie eine nette Person zu sein. Yukis Laune wurde wieder ein Stückchen besser und ihre Aufregung viel etwas von ihr ab. Auf ihrem Weg durch die Schule plauderten sie und Frau Toriumi über die verschiedenen AGs, das Angebot des Kiosks und allerlei Lehrer, die sie in andern Fächern haben würde.

Sie erreichten den Saal und suchten sich unter all den Schülern einen Platz weiter vorne. Es dauerte nicht lang, da stieg ein untersetzter älterer Herr mit Schnurrbart und Brille die Stufen zum Podium hinauf. Er trug einen eleganten hellbraunen Anzug mit offenem Jackett, darunter konnte man einen gelben Pullover erkennen. Zu seinem weißen Hemd trug er eine rote Krawatte.

Mit rauer Stimme begann der Schuldirektor zu sprechen: „Sowie ihr das neue Schuljahr beginnt, würde ich euch alle gern an das Sprichwort 'Wenn eine Arbeit es wert ist, gemacht zu werden, ist sie es wert, gut gemacht zu werden' erinnern. Verglichen mit dem Leben als Schüler, bedeutet das …“

Während der Direktor mit seiner Ansprache fortfuhr, wurden hinter Yuki Stimmen laut.

„Ich hab gehört wir haben nen Austauschschüler.“

„Yep. Hab sie auch gesehen. Sie kam zur Schule mit Yukari.“

Yuki tat so, als könne sie das Geflüster hinter sich nicht hören und hoffte, sie würden bald damit aufhören.

„Ich höre Getuschel.“

Ein männlicher Lehrer mit graubraunen Haaren und blauem Anzug hatte sich zu Wort gemeldet und sagte nun weiter mit gereiztem Unterton: „Ich glaube es ist jemand aus Frau Toriumis Klasse ...“

Frau Toriumi drehte den Kopf etwas nach hinten und flüsterte mit zusammengekniffenen Augenbrauen: „Shhh! Seid leise! Ihr bringt mich noch in Schwierigkeiten!“

Trotz der Schelte der beiden Lehrer ebbte das Gemurmel nicht ab. Für den Rest des Vortrags konzentrierte Yuki sich ganz auf den Direktor und blendete die Stimmen der anderen aus. Als er endlich geendet hatte, wurden die Schüler wieder in ihre Klassen geschickt, wo Frau Toriumi ebenfalls noch ein paar Worte an sie richten wollte. Sie teilte Yuki einen Platz rechts außen nahe der Tür zu und obwohl sie in der dritten Reihe saß verdrehten viele die Köpfe um einen Blick auf sie zu erhaschen. Als Yukari sich auf einen der Plätze hinter ihr setzte, wurde ihr Blick zwar kurz misstrauisch, aber als sie keinen Waffengurt an ihrem Schenkel sah beruhigte sie sich wieder.

Die kurze Ansprache von Frau Toriumi beinhaltete im Grunde die gleiche Kernaussage wie die des Direktors: gebt euch Mühe und ihr werdet es einmal zu was bringen. Am Ende stellte sie der Klasse in wenigen Worten Yuki vor, worüber sie wirklich dankbar war. Sie hatte schon damit gerechnet, dass sie sich an die Tafel stellen und allen ihre Lebensgeschichte runterleiern musste. Das hätte sicher einiges an Fragen ergeben (Wo sind deine Eltern? Wieso lebst du in diesem Heim? Warum ausgerechnet hier?) und Yuki hatte keine sonderliche Lust, auch nur eine davon zu beantworten. Also saß sie stumm da, lächelte gelegentlich in die Runde wenn Frau Toriumi ihren Namen erwähnte und verhielt sich sonst unauffällig. Kaum war die Vorstellung vorbei, entließ Frau Toriumi die Klasse mit Glückwünschen für das neue Schuljahr.

Erleichtert entspannte Yuki sich in ihrem Stuhl. Somit wäre der erste Schultag auch schon wieder überstanden, noch dazu ohne irgendwelche Zwischenfälle. Na gut, Yukari saß hinter ihr und während des Unterrichts würde sie sich künftig vorkommen als prange eine Zielscheibe auf ihrem Hinterkopf aber hey, es hätte schlimmer kommen können. Immerhin hatte sie ihre Flinte heute zuhause gelassen. Ob sie sie wohl unter ihrem Kissen versteckte …?

Während Yuki sich noch vorstellte wie Yukari jede Nacht mit einer Pistole zu Bett ging, trat jemand an ihren Tisch. Sie hob den Kopf und hörte genau in dem Moment eine männliche Stimme sagen: „Was geht, Kumpel?!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen.
Ich wollte diesen Platz hier gerne nutzen um zwei Übersetzungen zu erklären, 'Komposition' und 'Auditorium'. Komposition ist ein Fach an amerikanischen High Schools in dem allerhand zum Thema schreiben gelehrt wird (Satzbau, Aufbau eines Textes, ...). Ich habs einfach mal Wort für Wort übersetzt weils dafür im Deutschen kein Fach gibt (das geht bei uns ja eigentlich mit dem eigentlichen Fach "Deutsch" mit), und nur Japanisch wollt ich auch nicht schreiben weils ja eig was anderes ist. Und Auditorium ist wortwörtlich eig ein Hörsaal, aber in einer japanischen High School kam mir das iwie deplatziert vor, also hab ichs mit Halle oder Saal übersetzt. Wenn wem ein anderer Ausdruck dafür einfällt könnt ihrs mir gern sagen, dann besser ich das nach. Wünsch euch noch nen schönen Tag und danke fürs reinlesen :) Komplett anzeigen

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