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Eine strahlende Zukunft?

von

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Die Welt da draußen

Der Wecker weckt mich. Ich hasse diesen schneidenden Klingelton. Manchmal möchte ich den Wecker töten, obwohl es ja seine Aufgabe ist mich zu wecken. Es ist schmerzhaft für mich aus dem Schlaf zu erwachen. Ein physischer Schmerz, als ob man mich aus der schönen Welt in einen Albtraum wirft. Ich werd wieder Genossen, Kollegen und Nachbarn sehen. Selbst ihre Blicke sind schmerzhaft. Ich schlag die Decke beseite. Die Kälte kriecht durch meinen Schlafanzug in meine Haut. Es sind wie Nadeln, die sich in die Haut bohren. Die Kälte tut mir weh. Ich weiß noch als ich klein war und zur Schule mußte. Ich hab geschrien und geheult, weil mir die Kälte weh tat. Meine Eltern haben mich dann geschlagen und gesagt, ich soll nicht so ein Theater machen. Kinder müssen nunmal in die Schule. Sie konnten sich nie vorstellen, dass es für mich eine Qual war. Ich sollte normal sein und gleichzeitig Leistung bringen. Das ich aber mit ihren Albernheiten nichts anfangen konnte und ihre Spiele als reine Zeitverschwendung ansah, verstanden sie nicht. "Er ist nicht fähig sich ins Kollektiv einzufügen." stand mal in meinem Zeugnis. Das gab großen Ärger zu Hause und endete wieder mit einer Tracht Prügel. So versuchte ich immer ein normales Kind zu sein, da es meine Eltern freute. Ich hatte oft das Gefühl, dass es nicht reichte, wenn ich schulisch überall auf 1 stand...sie wollten am liebsten noch meine Gedanken anpassen. Gut, in Sport war ich nicht sehr gut, aber ich war eben eher der Denker statt der Sportler. Die Sowjetunion braucht nunmal auch gute Wissenschaftler. Ich gewann viele Auszeichnungen während der Schulzeit, besonders im Fach Physik. Ich kämpfte mit den Tränen und zwang mich in meine Sachen. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass dies hier ein Zuckerschlecken war, gemessen an dem, was mich im Arbeitslager erwartet hätte.
 

Ich merkte einen Geruch nach Bliny in der Luft. Stimmt, ich bin nicht alleine eingeschlafen. Ich verließ das Schlafzimmer. "Guten Morgen, Liebling. Ich war schon unterwegs und hab uns etwas zu essen geholt. Komm setz dich." Erschrocken über ihre laute Stimme am Morgen setzte ich mich an den Tisch. Eigentlich frühstückte ich nicht. Ich hasste es, wenn meine Eltern frei hatten und mich morgens zwangen, etwas zu essen. Kaffee am Morgen reicht mir eigentlich. "Oksana Stephanova, das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber eigentlich..." Sie knallte den Teller vor mich. "Lass es dir schmecken." sagte sie mit einem agressiven Unterton, den ich sehr gut von ihrem Bruder kannte. Mein Magen war wie verschlossen. Dennoch nahm ich Messer und Gabel und fing an zu essen. Die Blinys waren wirklich sehr gut, dennoch wurde mir übel, weil ich morgens nichts essen konnte. Irritiert blieb mein Blick auf der Fensterbank hängen. Dort stand ein großer Samowar. Daher also das Geräusch, was mir schon die ganze Zeit im Ohr klang. Ich mochte Tee, aber nicht am Morgen. Lächelnd holte mir Oksana einen Tee und stellte ihn mir hin.
 

Sie stellte mir eine Brotbox hin. "Hier für dich, wenn ihr Frühstückspause macht." Was denkt die denn wieviel ich esse? "Wir bekommen doch kostenlos essen in der Kantine." Oksana funkelte mich an."Ihr werden bestimmt auch gemeinsam frühstücken." Ich war bei den letzten Bissen."Aber..." Ein weiterer Blick brachte mich zum Schweigen. Ich werd das Brot einfach jemandem schenken. Nach dem Essen rasierte ich mich und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Das macht jeder so. Wir hatten zum Schichtwechsel einen Bus, der uns zum Kraftwerk brachte. Ich setzte mich ganz vorne hin, damit ich niemanden sehen mußte. Hinter mir hörte ich die Leute tuscheln, dass ich ja wieder da sei, aber wohl meines Postens enthoben. Ich konzentrierte mich auf den Weg. Er war ziemlich von Wäldern umgeben. Ab und an sah man ein Aufräumfahrzeug. Ich schob das aufkommende Schuldgefühl beiseite. Viele sind bei dem Unfall gestorben, aber das Wartenpersonal hatte wohl viel Glück und leider auch Anatolij. Er hatte ja jetzt endlich was er wollte, aber ob das soviel besser für uns war? Im Gegensatz zu Bruchanow war er zwar genauer, aber größenwahnsinnig konnte er auch sein. Ein aufkeimender Verdacht reifte in mir heran...es war nicht gut..ich sollte soetwas nicht denken. Hatte Anatolij diesen Unfall vielleicht sogar geplant? Wollte er so Bruchanow und mich auf dem Weg schaffen? Ich wußte ja, dass er ziemlich gute Freunde unter den höheren Genossen hatte und auch Verbindungen zum KGB. Wenn Bruchanow und ich uns was zu schulden kommen lassen, dann würde der Posten automatisch an ihn fallen und mich hatte er nicht entgültig aus dem Weg geräumt, weil seine Schwester nach Prypjat wollte. Wie sollte das besser gehen, als durch eine Heirat? Der Bus fuhr auf das Kraftwerk zu. Wie immer genoss ich die Kunstwerke, welche uns begrüßten. "Atom ist ein friedlicher Arbeiter." stand auf einer Wand. Ich seufzte. Ich wußte, selbst wenn mein Verdacht stimmt, werde ich es nie beweisen können.
 

Ich stieg aus dem Bus und der Wachmann nickte mir freundlich zu. Ihn konnte ich sehr gut erkennen. Er wackelte manchmal mit dem Kopf, hat wohl einen Tremor, allerdings war er sehr nett. Er wollte auch mal mit mir mit seinem Motorboot rausfahren. Allerdings hab ich mich nie recht getraut. Meine freien Tage waren mein geschützter Bereich. Eine Unterbrechung wäre unerträglich. An meinen freien Tage wollte ich einfach ich selbst sein, wie ich es nannte. Einfach alle Masken fallen lassen und meinen Gefühlen freien lauf lassen. Es war nicht so dass ich keine Gefühle zeigen wollte, sie waren nur in mir verschlossen, aber an Arbeitstagen mußte ich meine Gefühle im Zaum halten, da ich sonst nicht mehr zur Arbeit gehen würde. Es war oft unerträglich mich zu Dingen zu zwingen, die nichts mit meinem Interessengebiet zu tun hatten.Ich konnte keine Freude in der Arbeitszeit empfinden. Empfand ich Freude, war es schrecklich, wenn diese Freude durch das Wissen aus dem Haus zu gehen zerstört wurde. Also war es besser, die Freude zu verschließen und für die freien Tage aufzuheben. Und es war unerträglich den Sinneseinflüssen ausgesetzt zu sein. Und das war ich, wenn ich mein geschütztes Umfeld verlies. Säufzend dachte ich an Oksana, die sich grade in meinem geschützen Umfeld aufhielt. Für einen Moment blickte ich hoch auf den Kühlturm. Zugang dazu hätte ich problemlos. Allerdings verwarf ich den Gedanken zu springen. Vielleicht würde sich alles zum Guten wenden und sie geht wieder.
 

"Verehrte Genossen, bitte begeben Sie sich in den Versammlungsraum." dröhnte eine Durchsage durch die Lautsprecher. Erleichtert nicht sofort dem Neuen zu begegnen, begab ich mich in den Versammlungsraum. Scheinbar wollte Anatolij eine Ansprache halten. Es kehrte Ruhe ein und Anatolij trat ans Rednerpult. "Genossen, es ist mir eine Freude einen alten Freund zu begrüßen." Freund? Damit konnte er unmöglich mich meinen, denn wir waren alles andere als befreundet. "Nach längerer Krankheit ist auch der Genosse Fomin wieder unter uns. Komm rauf zu mir." Er meinte mich als doch. Unter donnerndem Applaus suchte ich meinen Weg zum Rednerpult. Das war mal wieder eine von Djatlows Gemeinheiten. Er wußte wie sichtlich unangenehm mir das war, besonders, da jetzt wohl auch der Letzte wissen wird, das ich in einer Nervenheilanstalt war. "Aus gesundheitlichen Gründen wird er aber die Maschinenraumbesatzung mit seinem Fachwissen unterstüzen. Möchtest du noch etwas sagen, Genosse?" Ich schüttelte fast schon panisch den Kopf, allerdings erwarteten sie das ich was sage. Unsicher trat ich ans Mikrophon und versuchte schnell ein paar Satzfetzen zusammen zu bekommen. Ich griff mir an meine Augen. "Liebe Genossen, auch wenn der Unfall ein großer Rückschlag war, vorwärts und nie vergessen: Kommunismus ist keine Meinung, sondern ein Versprechen." Die Leute applaudierten mir. Glücklicherweise übernahm Anatolij wieder das Wort. "In diesem Sinne: Lasst uns weitermachen." Wieder gab es ein für mich erdrückenes Geräuscheumfeld. Ich sah noch aus den Augenwinkeln das Grinsen von Anatolij."Und? Hat sich meine Schwester schon eingelebt?" Ich nickte nur und sah zu das ich verschwand.
 

Im Maschinenraum wurde ich von Vyacheslav Stepanovitsch empfangen. Ich kannte ihn von früher und hab schon das ein oder andere sehr intensive Gespräch über Elektrontechnik führen können. "Schön das Sie wieder da sind. Lassen Sie es langsam angehen. Ach, das soll ich Ihnen geben." Er drückte mir ein Brillenetui in die Hand. Verwirrt öffnete ich es und fand ein identisches Exemplar meiner Brille. Ich kann zwar ohne Brille sehen, aber es ist sehr anstrengend. Besonders wenn ich lese oder arbeite. "Vielen Dank." Ich mochte Slava sehr gerne. "Wir sagen hier alle du, ich hoffe das ist okay?" Ich nickte. Mit ihm konnte ich mich stundenlang unterhalten. Er führte mich erstmal herum und wies mich ein. Wir aus dem Reaktorblock 4 sind auf die anderen Blöcke aufgeteilt worden. Einige sind leider schwer erkrankt und an den Folgen der Strahlenkrankheit gestorben. Wir hatten eigentlich viel Glück. Glück im Unglück. Bei mir scheint es gut ausgeheilt zu sein. Ich bekam eine leichte überwachende Tätigkeit. Viele finden soetwas langweilig, aber ich mache das sehr gerne. Ich muß nur auf einen visuellen Reiz reagieren. Nebenbei kann ich meinen Gedanken nachhängen. "Hey Nikolai, kannst kurz Pause machen, Valerie übernimmt für dich." Eigentlich war das nicht notwendig. Ich war lieber weiterhin hier. Dennoch nahm ich meine Brotbox und folgte Slava. Ich fand es schön, dass er jetzt, wo ich nicht mehr in leitender Position war, nicht mehr so förmlich war. Wir gingen in den Aufenthaltsraum. Ich schob ihm meine Brotbox hin. "Möchtest du? Ich hab keinen Hunger, aber meine Verlobte meint es gut mit mir." Slava lächelte mich an. "Oh, danke. Meine Frau ist immer sehr früh weg. Da gibt es leider nix. Du bist verlobt? Wann heiratet ihr?" Ich sah auf seine Stirn. "Also so genau weiß ich das auch nicht...wir haben uns länger geschrieben und naja, jetzt ist sie hergekommen und wir haben einen Eheantrag gestellt." Slava lächelte. Ich beließ es bei dieser Wahrheit. Ich wußte ja genau, dass ich Oksana weder geschrieben habe noch sie irgendwie kannte. Allerdings, wie sollte ich den Gegenbeweis bringen? Wenn ich jetzt sage, dass ich sie nicht kenne und das alles etwas ist, was Anatolij Stephanowitsch eingefädelt hatte, dann würde ich sofort wieder als verrückt gelten. "Ist doch schön, dass du nochmal heiratest. Ich hoffe, ich bin eingeladen." Oh, da hatte ich wenigstens einen Freund, den ich präsentieren konnte. Meine Eltern...ohje, ich hab ganz vergessen sie anzurufen. Das werde ich heute nachmittag gleich machen. Da ich in führender Position war und erreichbar sein mußte, verfügte meine Wohnung über Telefon. Ich mußte sie unbedingt anrufen. "Ich würde mich freuen, wenn du kommst, Slava. Deine Frau natürlich auch." Slava holte uns Kaffee und biss in mein Brot. Er bot mir eine Zigarette an, aber ich rauchte nicht. Ich war froh Slava zu haben. Er war für mich ein ruhender Pol in dem Chaos. Die anderen hab ich so gut es ging erstmal ausgeblendet. Ich war auch froh, das mein Arbeitsplatz ein wenig abgeschottet war. Wir gingen zurück an unseren Arbeitsplatz und der erste Tag verlief ruhig.
 

Als ich das Kraftwerk verließ stellte sich Anatolij mir in den Weg. "Denk dran, wenn ihr heiratet, dass ich eine große Familie habe. Die müssen hier alle untergebracht werden." Ich nickte nur kurz und flüchtete. Das fehlte mir noch, dass er mich jetzt auch noch mit einem Gespräch belästigt. Ich hatte Angst nach Hause zu fahren. Jemand würde dort sein, jemand von dem ich bezweifel, dass ich mit ihm umgehen kann. Allerdings, was sollte ich tun? Anatolij hatte mittlerweile einen ziemlich hohen Posten und würde mir das Leben zur Hölle machen, wenn ich ablehne. Gedankenverloren saß ich im Bus und fuhr zurück.
 

Als ich das Haus betrat zog ein angenehmer Geruch nach gebratenem Fisch durchs Haus. Ich betrat meine Wohnung und Oksana lächelte mir zu. "Willkommen zu Hause, Kolja." In ihrer Stimme war sehr viel Wärme und auch die Wohnung strahlte anders als heute morgen eine Wärme aus. Eine Erinnerung kam in mir hoch. Als Kind habe ich sehr gerne gebratenen Fisch gegessen. Den gab es leider selten bei uns, da mein Vater Fisch nicht mochte. Daher war es immer etwas besonderes. Ein Lächeln huschte durch meine Augen. Oksana schien es zu bemerken und strich sanft über meinen Kopf, als sie mir meinen Teller hinstellte. Eine große Kuperpfanne stand auf dem Herd, genauso eine wie aus meiner Kindheit. Ich fühlte mich sicher, zumindest in diesem Augenblick. Wer weiß, vielleicht würde diese Ehe doch angenehmer, als ich befürchtete. Ich werde es einfach auf mich zu kommen lassen und das beste hoffen. Sanft zog ich Oksana an mich. "Lass es dir schmecken, Kolja."



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