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9 mm - Blut und Schweiß

von

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6

Christoph zuckte die Schultern. Er schwieg wieder.

Es brachte nichts, Jens noch nervöser zu machen, als er ohnehin schon war. Der Kerl hielt eine P7 in der Hand, die Dienstwaffe der bayerischen Polizei. Diese Waffe lud automatisch nach und allein durch den festen Griff um den Kolben hatte dieser Trottel sie entsichert. Jens war also wirklich der Doppelmörder, nach dem gefahndet wurde. Christoph konnte sich gerade noch davon abhalten, zu ihm hinüber zu schauen.

Ihm rann eine Gänsehaut über die Arme. An seiner Schläfe zog die Verbrennung und in seinen Eingeweiden riss die Erinnerung an die Kugel. Ihm spülte Magensäure in den Mund. So konnte er sich nicht sonderlich gut auf die Autobahn konzentrieren. Glücklicherweise lief der Verkehr noch immer sehr dünn Richtung Norden. Die paar anderen LKWs störten nicht und die wenigsten fuhren schneller oder langsamer als Christoph. In spätestens einer halben Stunde würde allerdings der Berufsverkehr einsetzen. Bis Nürnberg wäre die A9 sicher ziemlich verstopft.

Die erzwungene Aufmerksamkeit auf die Straße half ihm sich von Jens und der Gefahr, die er bedeutete, für eine Weile abzulenken. Christoph setzte zum Überholen an und trat das Gaspedal durch. Schwerfällig kroch die Maschine vorwärts, an den Sattelschleppern vorbei. Weiter vorn flackerte orangegelbes Licht auf einem Kleinbus, vor dem ein Schwertransporter über die Straße kroch. So gut es ging beschleunigte Christoph. Die Tachonadel arbeitete sich über neunzig Stundenkilometer hinaus und näherte sich der fünfundneunzig.

Seine Gedanken drifteten ab. Wie würde Dariusz nach ihrem Telefonat reagieren? Würde er die Behörden informieren? Das wäre das Wahrscheinlichste. Aber eine Verhaftung auf der Autobahn konnte schief gehen. Oder wartete er eher am vereinbarten Rasthof? Vielleicht hatte er auf einem Parkplatz angehalten, um sich hinter Christophs Truck zu setzen? Leider hatten sie keine Möglichkeit gehabt sich abzusprechen. Obwohl sie bereits drei Jahre miteinander arbeiteten, fiel es Christoph schwer, seinen polnischen Partner einzuschätzen.

In jedem Fall konnte die Situation unangenehm werden. Auf Probleme und eine Schießerei konnte er gut verzichten. Besser er rechnete mit allem. Hauptsache, er behielt einen kühlen Kopf und brachte die Situation wieder unter Kontrolle.

Mit einer Hand tastete er nach den Menthol-Kaugummis, die in seiner Beintasche steckten.

„Was machst du da?!“, schrie Jens. „Lass die Finger weg!“

Er hatte sich wachsam aufgerichtet.

Christoph zog die Hand zurück. Das war eine blöde Idee gewesen! Er tippte gegen seine Hose. „Kaugummi.“

Verständnislos starrte Jens ihn an. „Was?“ Seine Stimme hatte an Kraft verloren. Er begriff tatsächlich nicht.

„Ich habe ein Päckchen Kaugummis in der Hosentasche“, erklärte Christoph.

Jens sank zurück. Er dachte scheinbar nach. Vielleicht war das der passende Moment, um die Situation etwas zu entspannen. „Schießt du gleich, oder darf ich mir einen nehmen?“

Sacht richtete Jens sich auf und versuchte Christophs Bein zu erreichen. Sein Arm war zu kurz.

„Sieht das aus, als würde eine Waffe in meine Hosentasche passen?“, fragte Christoph betont gelassen.

Mit der Antwort ließ Jens sich Zeit. Er musterte Christoph lang und eingehend. „Meinetwegen, mach. Aber vergiss nicht, dass ich die Pistole habe.“

Ja, und du hast keinen Schimmer, wie man damit umgeht!

Christoph griff in seine Beintasche. Das Päckchen hatte seine Körpertemperatur angenommen. Mit dem Daumennagel schnitt er ins Papier und ließ einen der lasierten Kissen auf seine Zunge fallen. Die klare, süße Kälte half sofort, das widerwärtig saure Brennen in seinem Mund zu vertreiben.

Entspannend.

Für einen Moment gelang es Christoph wieder, Jens auszublenden. Über dem Flachbau der Raststätte Köschinger Forst begann der Himmel in rotgoldenem Licht zu glühen. Der Morgen drängte die Nacht zurück und verwandelte die Schwärze in diffuses Grau, an dessen Rändern sich türkisgrüne Ausläufer bildeten. Der Tag versprach klar, schön und sehr heiß zu werden.

Christoph warf einen Blick auf die Thermometeranzeige: 23°C, schon jetzt. Aus dem Augenwinkel betrachtete er Jens, der sich in seinem dicken Pulli wie festgefroren in den Sitz drückte, die Waffe in der Hand.

Das war die Realität: Ein junger Mann mit einer Pistole …

Jetzt wurde Christoph kalt. Er konnte sich nicht ewig zwangsberuhigen. Jens war ein Polizistenmörder.

Andererseits stellte sich ihm die Frage, ob der Doppelmord zweifelsfrei fest stand. Jens wirkte wütend, haltlos, aber auch stark verunsichert. Besaß er tatsächlich ausreichend Kaltblütigkeit, um zwei Menschen umzubringen? So wie sich der Punk bisher verhalten hatte, passten Körpersprache und Reaktionen nicht dazu. Das Zertrümmern der Anlage war ein Indiz für Jens‘ Panikhandlungen. Dabei hätte sich leicht ein Schuss lösen können. Wahrscheinlich wusste der Bursche nicht einmal, mit was für einer Pistole er um sich schlug und wie man sie benutzte. Christophs P30 besaß wenigstens noch einen Spannhahn. Das konnte ihm – sollte Jens doch noch durchdrehen - im Verteidigungsfall zum Nachteil gereichen, denn die P7 hatte immer eine Kugel im Lauf. Nein, Jens war ahnungslos.

Der Punk hatte mit Sicherheit gravierenden Mist gebaut, aber für einen Mörder reagierte er zu dünnnervig. Die Sorte Mensch, die skrupellos tötete, handelte klug, kalt und überlegt. Jens‘ hitzige Natur richtete sich gerade gegen ihn. Selbst wenn er am Tod der beiden Menschen Schuld trug, konnte es nur im Affekt geschehen sein. Jens plante nicht, er reagierte nur. Er kontrollierte die Situation nicht, sondern wurde mitgerissen. Aber vielleicht war das die Möglichkeit, einen Ansatz bei ihm zu bekommen. Nicht er bestimmte das Spiel.

Trotz allem bestand die Gefahr, dass Jens an irgendeinem Punkt überreagierte und weiteren Mist baute. Blieb zu hoffen, dass seine Gefühle nicht weiter hochkochten und er sich in die Ecke gedrängt fühlte.

Christoph blinzelte kurz. Er versuchte die Gedanken zu vertreiben. Irgendwann spiegelten sie sich sicher auf seinem Gesicht wieder. Besser, er konzentrierte sich auf die Straße und behielt Funk und Telefon im Auge. Jens war glatt in der Lage, sein Handy aus dem Fenster zu werfen. Vielleicht – wenn er vorsichtig vorging - konnte Christoph die Lage so weit entspannen, dass der junge Mann redete und etwas von den Ereignissen erzählte - hoffentlich.

„Was ist mit diesem Dariusz, wer ist das?“, fragte Jens unvermittelt. In seiner Stimme schwang Angst mit. Christoph musste ihn beruhigen.

„Dariusz ist mein Partner.“ Er warf Jens einen Blick zu. „Die LKWs, die wir fahren, gehören uns. Wir sind nicht fest bei einer Spedition angestellt, sondern freie Mitarbeiter, Subunternehmer, wenn du es so willst.“

„Und weiter?“ Jens wirkte angespannt. „Ich verstehe deine Erklärung nicht.“

Christoph hob demonstrativ eine Braue. „Wenn du mich ausreden lässt?“

Jens hielt tatsächlich den Mund.

„Wir arbeiten im Grunde beide für die gleiche Firma, die uns unter Vertrag hat – wie das Wort Subunternehmer bereits sagt.“ Er machte eine Pause und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr, der zunahm.

„Deswegen fahrt ihr zusammen?“, fragte Jens nach einer Weile.

Christoph brummte und nickte kurz.

Ein japanischer Kleinwagen schlich mit weniger als achtzig Stundenkilometer auf der mittleren Spur. Ihm blieb nichts anderes, als den PKW rechts zu überholen. Er schenkte es sich, den Fahrer anzuhupen, das taten die Trucker hinter ihm bereits.

„Ist das so wie bei der Serie Auf Achse?“

Überrascht hob Christoph den Blick. „Bist du nicht noch ein bisschen arg jung, um die Serie zu kennen?“

Jens schluckte die Entgegnung hinunter, die ihm auf der Zunge zu liegen schien,.

„Es ist nicht ganz so“, sagte Christoph leise. „Dariusz und ich sind nicht wie Meersdonk und Willers. Die Serie spiegelt den Stand der 70er und 80er Jahre wieder.“ Er dachte unwillkürlich an die beiden Schauspieler Manfred Krug und Rüdiger Kirschstein. In letzteren war er als Junge ziemlich verliebt gewesen. Die Rolle des Günther Willers hatte ihm großen Eindruck gemacht, obwohl er die Souveränität von Franz Meersdonk mehr gemocht hatte. Serien seiner Kindheit und Jugend, Teil seiner Wünsche und feuchten Träume … Jens brachte ihn dazu, daran zu denken.

Seltsam, so falsch der Zeitpunkt auch war, Christoph musste lächeln.



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