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Satisfy Me! - Ein neues Mitglied für Team Satisfaction!

von

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Fourth Satisfaction: All diese Gefühle...

Ich saß auf der alten Couch. Vor mir stand eine frische Dose Limonade und eine leere Packung Melonenbrötchen, die Kyousuke zur Feier des Tages besorgt hatte.

Gerade redete er mit Crow und Yuusei. Seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung.

Jack, der links von mir, am anderen Ende der Couch saß, hatte mal wieder die Arme verschränkt und schien vor sich hinzustarren. Keine Ahnung, ob das eine neue Form von Meditation war oder einfach nur reines Desinteresse.

Ich nippte leicht an der grün-weiß gesprenkelten Dose.

Jetzt so im Nachhinein wurde mir übel, wenn ich nur daran dachte, was diese Typen mit mir angestellt hätten, wenn Kyousuke und die Anderen nicht dazwischen gegangen wären.

Ich spürte, wie ein Schauer auf meinem Rücken den Nächsten jagte. Ich hatte so viel Adrenalin im Blut gehabt, dass ich kaum Angst verspürt hatte.

Nun doch. Eigentlich schon.

Aber ich hatte es in diesem Moment kaum registriert.

Jetzt jedoch überkam es mich wieder. Dieses alte, vertraute Gefühl.

Kurz kniff ich die Augen zusammen. Egal was ich tat. Meine Kindheit würde mich immer wieder einholen.

Manchmal realisiert man erst welche Angst man eigentlich hat, wenn alles schon vorbei ist.

Die Freude über meine Rettung, die Freude über meinen Sieg. Für einen kurzen Moment hatte ich alles vergessen.

Aber es würde nicht aufhören. Nie.

„Ryoko-chan? Bist du okay?“

Die sanfte Stimme Kyousukes riss mich aus meinen Gedanken.

Er hatte sich neben mich gesetzt und sah mich mit besorgtem Blick aus seinen gelblich grünen Augen an.

„Du zitterst... Ist dir kalt?“

Ich schüttelte meinen Kopf. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich einen Arm wohl unbewusst um mich gelegt und meine Limonaden-Dose halb zerdrückt hatte. Der Inhalt, der noch fast vollen Dose, sprudelte fröhlich und klebrig über meine Finger. Meine rechte Hand, in der ich sie hielt, zitterte wirklich extrem.

„Alles okay.“, log ich, stellte meine Dose auf den Tisch und stand auf. „Ich brauch ein wenig frische Luft.“
 

Leise verließ ich den Raum und ging durch den kahlen Nebenraum. Nur flüchtig warf ich einen kurzen Blick auf die Karte, die noch auf dem Tisch dort lag. Die Fläche des Viertels, wo wir heute gewesen waren, war nun auch schwarz markiert.

Ich ging weiter, bemerkte einen weiteren kleinen Holztisch, auf dem irgendwelcher technischer Krempel lag. Was genau es war, vermochte ich nicht zu sagen.

Wer konnte sich hier bitte einen solchen Luxus leisten?

Mir kam in den Sinn, dass Jack, Crow und Yuusei ja ein richtiges Zuhause hatten.

Eine Pflegemutter, die sich um sie kümmerte und für sie kochte.

Irgendwie beneidenswert.

Schließlich blieb ich stehen. Direkt vor der offenen Seite dieses Stockwerks von wo aus mir kühler Wind entgegen wehte.

Vor mir erstreckten sich ein paar kleine Häuser in der Ferne. Das Meer wirkte heute ruhig und friedlich und nicht so stürmisch, wie am Abend zuvor.

War das wirklich erst einen Tag her?

Es war so viel passiert. Fast kam es mir vor, als wäre ich jetzt schon ewig hier.

Ich genoss die Ruhe. Die Stille, die nur ab und an von den Rufen der Möwen durchbrochen wurde.

Alles wirkte von hier oben so friedlich, beinahe idyllisch.

Der salzige Geruch des Meeres und der Anblick des Himmels, dessen azurblau immer mehr von einem sanften rotorange durchzogen wurde.

Beides ließ mich mit einem Gefühl der Sehnsucht zurück.

Einfach an nichts zu denken. Nur genießen, auch wenn mein Herz dabei schwer wurde.

Das Orangerot wurde immer kräftiger. Kämpfte sich unermüdlich durch das helle Blau und das Weiß der Wolken, bis alles miteinander verschwamm.

Eine Möwe flog an mir vorbei und ich wünschte mir, ich könnte einfach hinterher fliegen.
 

Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich zusammenzucken.

„Du magst Sonnenuntergänge und das Meer wirklich gern oder?“

Ich drehte meinen Kopf zu Kyousuke, der neben mir stand.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Und wenn schon.“, gab ich in meiner Ruhe gestört, grummelnd von mir.

Ich hörte ihn leicht lachen. „Schmollst du etwa schon wieder?“

Die Röte kroch mir ins Gesicht. Zumindest fühlte ich, dass ich wohl rot geworden war.

„H-Halt die Klappe, I-Idiot!“

„Uhh..“

Er nahm seine Hand wieder von meiner Schulter und stellte sich vor mich.

Ehe ich reagieren konnte, hatte er mich an meinen Wangen gepackt und zog sanft an ihnen. „Kleine Schmollbacke. Lach doch mal. Soll gesund sein, hab ich gehört.“

„Sch-Schnauffe!“

„Hm... Bist du eigentlich kitzlig?“ Er ließ meine Wangen wieder los und grinste unschuldig.

„Wag' es dich und du bist tot! Ich schwöre, ich-“

Weiter kam ich nicht, als Kyousuke mich einfach schon in einen sanften Schwitzkasten genommen hatte und mir den Bauch kitzelte.

Bah, wie ich ihn hasste! Diesen verdammten...

Ohne es zu wollen, fing ich laut zu lachen an. „L-Lass das! Hör auf!“, prustete ich halb fluchend, halb lachend, bis Kyousuke von mir abließ.

„Na also, geht doch!“, sagte er mit einem triumphierenden Grinsen, während ich mir keuchend den Bauch hielt.

„Mistkerl! Das bekommst du alles zurück!“

Unvorbereitet, wie er war, sprang ich einfach auf seinen Rücken, legte einen Arm um seinen Hals und zerwuschelte ihm mit meiner anderen Hand die Haare. „Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Du bist doof! Du bist doof! Du bist doof!“

„H-Hey, meine Haare!“, hörte ich ihn halb jammern, halb lachen und grinste zufrieden.

Mit Leichtigkeit sprang ich von seinem Rücken wieder runter und verschränkte die Arme.

Aus den Augenwinkeln sah ich zu ihm und streckte ihm meine Zunge raus.

„Das hast du nun davon!“

Kyousuke richtete sich seine Frisur, bis jedes silbrig glänzende hellblaue Haar wieder an der richtigen Stelle saß. „Ach ja?“

Ich stieß einen ungewollten Schrei aus, als er mich wieder in einen Schwitzkasten nahm und mir die Haare zerwuschelte. „Du bist ein kleiner Teufel, Ryoko-chan!“, rief er dabei lachend.

„L-Lass das! S-Selber Teufel! Mistkerl! IDIOT!“
 

Als unsere Rangelei endete, war es bereits dunkel. Der Mond schien vom Himmel auf uns herab.

Kyousuke und ich saßen auf dem harten Betonboden und lachten immer noch.

Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatte.

Es musste ewig her sein.

Nach einer Weile hörte ich auf zu lachen und lächelte zufrieden.

„Du siehst glücklich aus.“, bemerkte Kyousuke.

Ich veränderte meine Sitzposition zu einem Schneidersitz.

„Ach, sei ruhig!“

Er lächelte mich an. „Zumindest wirkst du jetzt nicht mehr traurig, so wie vorhin.“

Ich blinzelte verlegen und rieb mir mit meinem Zeigefinger die rechte Wange.

„Tja... Uhm... Das...“

Ich drehte meinen Kopf zur Seite.

Dann stand ich auf und blieb neben ihm stehen.

Sanft beugte ich mich zu ihm runter und klopfte ihm sacht mit meiner Faust auf den Kopf. Ganz leicht nur, ohne ihm weh zu tun. „Danke fürs Aufmuntern, Kiryuu-kun.“

Kyousuke rieb sich kurz den Kopf und drehte sich zu mir um. „Kein Problem und... wenn du magst, kannst du Kyousuke zu mir sagen.“

Wieder fühlte ich die Hitze in mein Gesicht steigen und mein Herz pochte laut gegen meine Brust.

Ich konnte ihn doch nicht einfach beim Vornamen nennen! Er war immerhin älter als ich und… und keiner hier tat das!

„Aber d-das...“, gab ich stammelnd von mir. Ich musste gerade einmal mehr aussehen, wie eine überreife Tomate. „D-Das g-geht doch... i-ich meine...“

„Ich hätte kein Problem damit.“

Er lächelte mich weiter an.

Völlig durch den Wind drehte ich mich um und hielt mir kurz meine Wangen.

Das Klopfen meines Herzens schien einen neuen Level erreicht zu haben und mein Magen fühlte sich seltsam an. Als würden meine Eingeweide Tango tanzen. Urgh...

Das war ein seltsames Gefühl. Irgendwie total schräg.

„Ich denke... Ich sollte ins Bett gehen.“, nuschelte ich und verschwand wieder nach drinnen.

Ich trottete an Yuusei und den anderen vorbei, die uns wohl die ganze Zeit zugesehen hatten.

„Hat er der Kleinen gerade echt angeboten, ihn beim Vornamen zu nennen?“, konnte ich Crow leise zu Yuusei sagen hören.
 

Ich entschied mich dazu, noch einen Abstecher ins Badezimmer zu machen, welches einen Stockwerk unter diesem lag.

Das Licht funktionierte zwar noch, aber die Lampe flackerte sehr stark. Der geflieste Boden sah alles andere, als schön aus. Die Rillen zwischen den Fliesen waren schmutzig und an den Wänden und der Decke freute sich der Schimmel über seine Existenz.

Wie bei einer typischen Schultoilette, standen nebeneinander auf der von mir aus rechten Seite vier Kabinen. Manche von ihnen waren sogar mit Edding bemalt oder mit Graffiti besprüht.

Ich wusch mir meine Hände. Die Finger an meiner rechten Hand fühlten sich immer noch klebrig von der Limonade an.

Das Wasser wirkte leicht bräunlich von Kalk und Rost. Nicht gerade das, was man gerne zum Reinigen seines Körpers benutzen würde.

Ich warf einen Blick in den Spiegel. Er war an manchen Stellen gesprungen und teilweise beschlagen. Meine Wangen glühten immer noch rosig.

Ich stieß einen kurzen Seufzer aus. Was machte dieser Kerl nur?

Gestern noch hatte ich ihn für einen angeberischen Vollidioten gehalten. Und für einen Stalker, so wie er mir hinterhergelaufen war.

Und nun? Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was nun war.

Ich hasste ihn nicht. Ob ich ihn mochte, wusste ich auch nicht. Ich kannte ihn zu wenig und doch beschlich mich das Gefühl, als könnte ich ihm voll und ganz vertrauen. Etwas, das ich sonst nie tat.

Den anderen gegenüber hegte ich noch keinerlei Vertrauen. Nicht einmal zu Yuusei, obwohl dieser sehr nett zu sein schien.

Jacks Art bereitete mir Magenschmerzen und bei Crow wusste ich nicht, was ich von ihm halten sollte.

Einzig bei Kyousuke fühlte ich mich wirklich wohl. Er war irgendwie anders. Vielleicht lag es daran, dass er älter war. Das er eben kein Teenager mehr war, so wie die Anderen und ich.

Er mochte zwar wirklich manchmal ein Angeber sein, aber er konnte auch genauso freundlich sein und hilfsbereit.

Obwohl ich sonst niemandem vertraute, aber er schien einfach ein gutes Herz zu haben und sich wirklich um die Menschen zu Sorgen, die ihm wichtig waren.

Auch wenn ich ihn gerade einmal einen Tag kannte, aber das hatte ich bereits festgestellt.

Ganz anders als ich, die bisher immer egoistisch war und nur an sich selbst gedacht hatte.

Ich besaß absolut keinen Teamgeist. War eine Einzelkämpferin. Deswegen passte ich im Grunde gar nicht hier her.

Fort wollte ich aber auch nicht mehr. Ich wollte hier bleiben. Mich auf dieses Abenteuer einlassen.

Dem Abenteuer „Freundschaft“ entgegentreten.

Das kennenzulernen, was ich nie wirklich gehabt hatte und vor allem... wollte ich Kyousuke besser kennenlernen.
 

Irgendwie konnte ich immer noch nicht glauben, dass er mir dieses Angebot gemacht hatte, ihn beim Vornamen zu nennen. Es war im Grunde ja nichts verwerfliches, aber es trieb mir die Röte ins Gesicht und brachte mich in Verlegenheit. Irgendwie war es mir unangenehm, weil es so... intim war. Aber auf der anderen Seite freute es mich auch.

Ich ertappte mich dabei, wie ich mein Erscheinungsbild im Spiegel genauer betrachtete.

Es musste ewig her sein, dass ich mich in einem Spiegel gesehen hatte.

Ich wischte über die beschlagene Oberfläche.

Blaugrüne Augen blickten mir kritisch dreinschauend entgegen.

Meine lilafarbenen, nackenlangen Haare wirkten recht spröde an den Spitzen und noch zerzaust, durch die Rangelei und den Wind.

Bis auf meine Wangen aktuell, wirkte meine Haut unglaublich blass. Fast wie Porzellan.

Mein Gesicht war eigentlich das Einzige, was ich an mir mochte.

Ich empfand es persönlich zwar nicht als extrem hübsch, aber zumindest musste ich mir auch keine Papiertüte über den Kopf stülpen.

Ich grinste für einen Moment schief, als ich daran dachte, wie mir mal vor einem Jahr ein Junge in meinem Alter gesagt hatte, ich würde hübsch aussehen.

Er hatte aber auch nur meine Durchschnittsvisage gesehen.

Alles andere verbarg ich ja mehr oder weniger unter meinen Klamotten.

Unter meinem schwarzen Shirt. Es mochte bauchfrei sein - nur, weil es mir über die Jahre hinweg zu kurz geworden war -; aber es besaß einen Rollkragen und um meinen Hals trug ich einen roten Schal.

Je länger ich mich im Spiegel betrachtete, umso mehr fragte ich mich, was Kyousuke eigentlich von mir hielt. Was war ich eigentlich für ihn? Er hatte mich einfach mitgenommen. Aber warum?

Jacks Gerede von heute Mittag fiel mir unweigerlich wieder ein.

„Frag mich ja, warum Kiryuu dich mitgenommen hat. Vorher hat er auch noch nie irgendwen mitgebracht.“

Ja, ganz ehrlich. Das fragte ich mich auch. Brauchte er einfach jemand neues im Team? Oder war es Mitleid gewesen?

Aber laut Jack war ich die Erste, die Kyousuke mitgebracht hatte. Die erste Person, die er nach ihnen mit dabei haben wollte.

Für ein paar Sekunden verfiel ich dem Gedanken, er könnte sich auf den ersten Blick in mich verliebt haben.

Aber dieser Gedanke war so lächerlich und unrealistisch, dass ich selber laut darüber lachen musste.

Ja sicher. Bestimmt war ich für ihn nur ein kleines Gör. Zumal er mich genauso wenig kannte, wie ich ihn.

Und wenn er SIE sehen würde, würde er eher das Weite suchen.

Ich schlug mir gegen den Kopf.

Aus, Ishida Ryoko! Das reicht jetzt!

Dass ich überhaupt an so etwas dachte oder mir plötzlich Gedanken um mein Aussehen machte.

Ich streckte mir selber die Zunge raus. „Ich brauch das nicht!“
 

Yuusei, Crow und Jack waren bereits wieder weg, vermutlich auf dem Weg, zurück zu Martha, als ich zurück kam.

Kyousuke brütete über dem Plan von Satellite und hob seinen Kopf, als ich an ihm vorbeikam.

„Wolltest du nicht ins Bett? Dachte schon, du bist ins Klo gefallen.“

„Sehr witzig.“, gab ich trocken zurück. „Hast du schon einen Plan für morgen?“

Kyousuke steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Noch nicht wirklich. Das nächste Viertel wo wir hinmüssen, ist etwas weiter weg und ehrlich gesagt hab ich überlegt, morgen mal eine Pause einzulegen. Dann könnte ich dir die Gegend etwas besser zeigen und...“ er grinste kurz verschwörerisch.

Ich hob eine Augenbraue. „Und was?“

„Wir könnten alle zusammen zum Strand gehen.“

Ich schluckte kurz. „Du erwartest jetzt aber nicht von mir, dass ich einen Bikini trage? Denn das-“

„Von Baden war nie die Rede!“

Er kam zu mir, nahm seine rechte Hand aus seiner Hosentasche und schnippte mir gegen die Stirn. „Kleines Dummerchen.“

„Du hast gleich ein großes Aua-chen!“

Kyousuke nahm auch seine andere Hand aus der Hosentasche und hob grinsend beide Hände. „Na immerhin bist du wieder ganz die Alte.“

„Ich geh jetzt schlafen!“, murrte ich.

„Dann tu das, kleiner Teufel.“

„Klappe, Idiot!
 

Luft.

Ich bekam keine Luft.

Meine Luftröhre wurde immer mehr zugeschnürt.

Keuchend rang ich nach Luft während mir schwarz vor Augen wurde.

Dann war alles still.
 

Kerzengerade saß ich auf der alten Couch. Meine Hand wanderte zu meinem roten Schal und ich lockerte diesen ein wenig.

Schon wieder ein Alptraum.

Wie oft würde ich noch von diesen Träumen geweckt werden?

Ich zog meine Beine zu mir und legte meine Arme um diese.

Obwohl ich die Decke um mich gewickelt hatte, fror ich.

Tränen rollten meine Wange hinab und ich spürte, wie sie nasse Spuren hinterließen.

Wie ich es hasste zu weinen. Aber diese Alpträume machten mich fertig. Fast jede Nacht, seit ich fortgelaufen war, verfolgten sie mich.

Neben mir konnte ich ein leises Raunen und sinnloses Gebrabbel vernehmen.

Ich hob den Kopf in die Richtung aus der das Geräusch kam.

Es war Kyousuke, der mal wieder mit dem Rücken an der Couch gelehnt auf dem Boden schlief.

Ich wischte mir meine Tränen von den Wangen und betrachtete ihn eine Weile im fahlen Licht des Mondes.

Sein Kopf kippte zur Seite auf seine linke Schulter.

Ob ihm wohl kalt war?

Es war ehrenhaft von ihm, mich hier auf der Couch mit seiner Decke schlafen zu lassen, aber dennoch. Was war mit ihm?

So im Sitzen zu schlafen, war sicher nicht bequem.

Vorsichtig stand ich von der Couch auf, ohne ihn zu wecken und setzte mich einfach neben ihn.

Ich nahm einen Teil der Decke und legte sie ihm einfach über. Zum Glück schien er einen recht festen Schlaf zu haben.

Eine Weile starrte ich sein schlafendes Gesicht an und musste lächeln.

So wie jetzt, sah er richtig friedlich aus. Als könnte er keiner Fliege etwas zu Leide tun.

Und so von Nahem wirkte er noch hübscher als ohnehin schon. Wie seine Haare ihm ins Gesicht fielen… Diese langen, dichten schwarzen Wimpern.

Was zur Hölle dachte ich mir hier eigentlich!?

Scheißegal, ob er hübsch war. Er war trotzdem ein Idiot!

Und dennoch.

„K-Kyousuke-kun...“, flüsterte ich extrem leise.

Für einen Moment überkam mich das merkwürdige Bedürfnis über seine Wange zu streichen, doch ich stoppte mitten in meiner Bewegung und schüttelte den Kopf.

Erde an Ryoko! Jetzt hör auf mit dem Scheiß!

Ein erneutes Raunen ertönte.

Ich schüttelte den Kopf, drehte mich von Kyousuke weg und versuchte, weiter zu schlafen. Im Sitzen.
 

Das dreiste Gekrächze einer Krähe war es, was mich an diesem Morgen weckte.

Mein Kopf lag sehr weich und mit einem murrenden „Halt die Klappe, Vogel!“, versuchte ich mich zu drehen.

„Bist du endlich wach? Mir sind schon die Beine eingeschlafen.“

Diese sanfte, unverkennbare Stimme

Mit einem Mal war ich hellwach und hob meinen Kopf so schnell, dass ich mit diesem gegen die naheliegende Tischkante knallte.

Ich gab ein gefluchtes „AUA!“, von mir und rieb mir meinen Hinterkopf.

Das würde mit Sicherheit eine Beule geben.

Kyousuke sah mich mit einem Blick an, der einer Mischung aus Schreck und Belustigung gleich kam. Ich glaube, am liebsten hätte er gelacht, aber die Sorge, das ich mir ernsthaft weh getan haben könnte, hielt ihn in jenem Moment davon ab.

„A-Alles in Ordnung?“

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, nickte jedoch.

Während ich mir noch den Schädel rieb, realisierte ich erst, was Sache war.

Ich hatte auf dem Boden geschlafen. Kyousukes Worte von eben nagten sich gerade durch jede einzelne meiner grauen Zellen und trieben mir die gefühlte Schamesröte ins Gesicht.

Moment mal... ich... hatte ich etwa mit dem Kopf auf seinem Schoß geschlafen!?

Kyousuke musterte mich und zog mich einfach ungefragt zu sich. „Lass trotzdem mal sehen.“

„H-Hey! W-Warte Mal! Ich hab nichts!“, rief ich und versuchte seine Arme hinter mir zu packen, während er meine Haare am Hinterkopf durchwühlte, um nach einer eventuellen Verletzung zu gucken.

„Das gibt wenn schon nur 'ne Beule, I-Idiot!“

Er ließ mich wieder los und so schnell ich konnte, stand ich auf.

Ich wollte immer noch nicht wahr haben, dass ich wirklich auf dem Schoß eines Mannes geschlafen hatte.

Mit dem Kopf wohlgemerkt.

Mit dem Kopf!

Kyousuke selbst stand ebenso auf und streckte sich.

Dieses Mal verbat ich es mir jedoch einen genaueren Blick auf diesen... nun ja,... diesen Körper zu werfen.

Nicht so wie am Tag davor, als sein T-Shirt ihm beim Strecken hochgerutscht war und...

Ich griff mir gegen die Stirn. Ich musste mir den Kopf wohl echt etwas zu fest angestoßen haben.

„Ich kann ja nachsehen, ob ich Etwas auftreiben kann, um das zu kühlen.“, hörte ich ihn sagen und schüttelte den Kopf. „Lass gut sein. Geht schon.“

Der Tag fing ja jetzt schon blendend an.
 

„Warum hast du eigentlich auf dem Boden geschlafen und nicht mehr auf der Couch?“

Die Frage riss mich aus meinen Gedanken. In seiner Stimme konnte ich einen Hauch von Verlegenheit erkennen.

„Bin von der Couch gefallen!“, gab ich jedoch nur fauchend als Antwort.

„Und dabei hast du zufällig die Decke auch halb auf mich gelegt?“

Ich konnte den Sarkasmus in seiner Stimme triefen hören.

Ich hätte wissen müssen, dass er mir nicht glaubte.

Ich hatte so sehr gehofft, dass das was ich nachts getan hatte, nur ein Traum gewesen war.

Was sollte ich ihm sagen? Dass ich Mitleid mit ihm gehabt hatte, weil ich mir sicher war, dass er frieren musste? Dass ich Mitleid mit ihm gehabt hatte, weil er auf dem kalten, harten Betonboden schlafen musste und ich die Ehre besaß auf der halbwegs bequemen Couch zu schlafen?

Dass ich vielleicht... auch irgendwo nach Trost gesucht hatte, wegen meines Alptraums?

Ich entschied mich dazu, einfach gar nichts zu sagen und alles, was sonst noch gewesen war, blendete ich gekonnt aus.

Das war nie passiert.

Nie!

Nachdem ich nichts mehr sagte, war wohl auch Kyousuke der Meinung, dass es nichts weiter brachte, mich auszuquetschen.

„Ich bin eben duschen. Und dann hol ich uns was zu essen.“, sagte er schließlich und wuschelte mir im Vorbeigehen durch die Haare.

Ich sah ihm nach und nickte nur.

Wo waren hier eigentlich Duschen?

Vorsichtig ließ ich mich auf die Couch fallen und lehnte mich zurück.

Mein Kopf schmerzte immer noch und meine Narbe an der Schläfe juckte ein wenig.

Jetzt, wo Kyousuke gerade nicht da war, spürte ich, dass ich zu frösteln anfing.

Der Wind von draußen war kalt. Aber das war auch normal. Schließlich ging es auf Herbst zu.

Ich wusste nicht genau, welchen Monat wir hatten. Vielleicht war es schon September oder gar schon Oktober?

Sicher konnten es mir die Jungs sagen.

Dann wusste ich wenigstens mal wieder, wann mein Geburtstag war. Die Jahre zuvor hatte ich ihn immer vergessen.

Es gab wichtigeres und wer hätte ihn auch groß mit mir feiern können?

Niemand.

Bis jetzt.
 

Ein Seufzen entfuhr meinen Lippen und ich stand auf.

Nur dumm herumzusitzen, während der werte Herr duschte, war auch langweilig.

Also kam ich zu dem Entschluss, einfach ein wenig auf Erkundungstour zu gehen.

Ich verließ den Raum und ging nach unten, doch die unteren Räumlichkeiten waren noch karger und langweiliger als der Rest. Grau in Grau. Nichts, was wirklich interessant war.

In ein paar wenigen Räumen standen noch ein paar alte Tische und Stühle herum und ich entdeckte sogar eine große Tafel an einer der Wände, die jedoch von Rissen gekennzeichnet war. Scheinbar war dieses Gebäude früher wirklich mal eine Schule gewesen.

Aber mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen. Vielleicht war es auch ein verlassenes Bürogebäude.

Auf dem Fußboden waren zumindest Spuren von Kreideresten zu finden.

Ich verließ den Raum, in dem ich mich aktuell befand und ging wieder nach oben zurück.

Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber ich musste mich doch länger aufgehalten haben, als ich dachte.

Kyousuke stand vor mir, als ich gerade die Treppe hochkam.

Seine Haare wirkten immer noch leicht feucht und er musterte mich fragend.

„Wo warst du?“

„Hab mir nur die unteren Stockwerke angesehen!“, gab ich ungehalten von mir.

War er jetzt mein Vater oder was?

„Hey. Ich hab nur nachgefragt.“, antwortete er und kniff mir in die rechte Wange. „Kleiner Teufel.“

„Lass das!“

Er ging voraus und ich folgte ihm.

In unserem „Wohnzimmer“ - ich nenne es jetzt einfach mal so -, lag eine Packung Melonenbrötchen auf dem Tisch. Mir war nicht bewusst, wie viel wir von diesem Zeug hier hatten, aber es war mir auch recht egal. Es war etwas zu Essen. Und es machte süchtig.

Außerdem knurrte mein Magen nun wie verrückt.

Neben der Packung standen zwei frische Dosen Limonade.

Bei dem ganzen Zucker war es ein Wunder, dass ich noch keinen Karies bekommen hatte.

Kyousuke ließ sich auf das Sofa fallen. Ich bevorzugte den Platz auf dem Boden, gegenüber von ihm. Nach allem was am Abend und nachts passiert war, war es besser fürs Erste nicht, in seiner Nähe zu sitzen.
 

„Freust du dich schon auf gleich?“, fragte Kyousuke und ich hob meinen Kopf und schluckte das Stück meines Brötchens herunter, an dem ich noch kaute.

„Wieso?“

Er lachte leise. „Schon wieder vergessen? Hab doch gesagt, ich zeig dir die Gegend.... Und wir wollten ja auch an den Strand. Gestern Abend, als du geschlafen hast, kam Yuusei noch einmal zu mir und hat gesagt, dass wir uns dort treffen können.“

„Ach ja..“

Daran hatte ich echt nicht mehr gedacht.

Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte. Irgendwie tat ich es ja und solange niemand auf die Idee kam, schwimmen zu gehen, war es okay.

Einen Bikini würde ich niemals tragen. Nicht einmal einen Badeanzug. Zumal ich beides nicht besaß.

Und außerdem konnte ich gar nicht schwimmen.



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