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Verloren und Gefunden

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend! Ich melde mich zurück mit einem neuen Teil, liebe(r) Leser und entschuldige mich für die lange Abstinenz. Als Ausgleich dazu wird es heute gleich zwei Teile geben - wobei ich gleich sagen sollte, dass Teil 17 nicht für jeden Leser geeignet oder schön sein wird. Aber ich will nicht vorgreifen und vor Teil 17 wird es im Kommentar eine Ratingwarnung geben. Bis dahin viel Spaß mit Teil 16 ;) Komplett anzeigen

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Am See

Völlig erschöpft hielt Kai am Ufer des Sees an. Er war nicht bewusst hierher gerannt (wenn man das Rennen nennen konnte), seine Füße hatten ihn einfach hierher gebracht. Das Wasser sah immer noch schmutzig grün aus, ansonsten war die Oberfläche völlig ruhig. Es hatte aufgehört zu regnen, seit Tagen das erste Mal. Unter einem Baum am Ufer war eine einsame Holzbank, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hatte, aber das war ihm gerade völlig egal. In seinem Kopf herrschte totales Chaos. Dieses Geständnis zu verarbeiten würde Ewigkeiten dauern - Zeit, die er nicht hatte. Bald würde es Zeit sein, zur Hütte zurückzukehren und dann würde er Ray wiedersehen.

Ray hatte gesagt, es täte ihm leid, das war zumindest ein Anfang. Aber er konnte natürlich das andere nicht ungehört machen. Dieses unerwartete Geständnis belastete ihn, weil er es sich so sehr gewünscht hatte. Das war die Chance seines Lebens und er traute sich nicht, sie zu ergreifen. Darauf einzugehen wäre absolut egoistisch, weil er dann seinen Tiger bitten müsste, ihn nicht zu bedrängen, sondern ihm Zeit zu geben. Sie würden für eine sehr lange Zeit keine normale Beziehung führen können - vielleicht nie - egal, wie viel Mühe Kai sich geben würde. Weil da diese Bilder in seinem Kopf waren, diese Stimmen, dieses Trauma. Er verstand sich selbst kaum und er durfte nicht erwarten, dass ein Anderer es tun würde. Es war falsch auf so vielen Ebenen, doch er sehnte sich danach. Wenn nur nicht diese Kopfschmerzen wären, könnte er in Ruhe darüber nachdenken... Doch es war nicht nur das. Dass sein Bein immer noch pochend schmerzte, machte ihm nichts aus, viel schlimmer war das Stechen in seiner Brust, das sicher nicht vom Laufen kam. Von den Hitzewallungen und dem ständigen Schwitzen abgesehen.

Ein wenig hilflos sah er sich um und augenblicklich wurde sein Blick vom See gefesselt. Er lag ganz ruhig da, wie ein Spiegel, umrahmt von Schilf, und nicht mal ein kleiner Windhauch zerstörte die ebenmäßige Oberfläche. Für einen winzigen Augenblick war das Bild vollkommen, dann brach aus einem Gebüsch ein Vogel hervor und landete schnatternd im Wasser. Ein zweiter gesellte sich dazu und sie tändelten beide zum gegenüberliegenden Ufer. Ein dummer sehnsüchtiger Gedanke formte sich in Kais Kopf, doch er verdrängte ihn. Jetzt nur nicht daran denken.

Stattdessen blickte er wieder auf den See. Wie es wohl wäre, sich dort einfach treiben zu lassen; die Seele baumeln lassen, wie man so schön sagte? Es war eine fixe Idee und mit Sicherheit keine gute, aber der Drang, irgendetwas anderes zu tun, als stets nur nachzudenken, war ebenfalls beflügelnd. Der See erinnerte ihn an Russland, doch es war ausnahmsweise einmal keine so schlimme Erinnerung. Sie hatten damals Schwimmunterricht gehabt, was übersetzt hieß, dass die Kinder ins Wasser gestoßen wurden und wer es nicht schaffte, sich über Wasser zu halten, wurde wieder herausgefischt und bestraft. Es gab drei Versuche und wer es danach immer noch nicht konnte, der war nicht dafür geeignet, weiter in der Abtei zu bleiben. Was genau mit ihnen geschehen war, wusste keiner, aber Kai hatte da so eine Ahnung.

Trotzdem liebte er das Wasser. Es tat einem nicht weh, es forderte nichts. Es stellte keine Fragen und es vergaß sofort wieder. Später, als sie älter wurden, war aus dem anfänglichen Spaß Ernst geworden, denn man konnte über die Abtei sagen, was man wollte: Sie war tatsächlich ein Sportinternat (mit diversen Zusatzfunktionen) und wer dort (über-)leben wollte, musste Leistung bringen. Obwohl es auch nichts brachte, wenn man irgendwo der Beste war. Selbst das war nicht gut genug für Balkov und seinen Großvater.

Die Idee, einen kleinen Abstecher in den See zu machen, wurde immer drängender. Es schien, als würden sich damit alle Probleme lösen: Das Gefühlschaos, die Schmerzen, die Hitze, das Schwitzen. Schon hatte er den Pullover ausgezogen und nachlässig über die Bank geworfen. Kai zögerte. Unter dem Pullover trug er ein normales T-Shirt, doch plötzlich wollte er es nicht mehr ausziehen. Die kleinen Härchen im Nacken bestanden wieder darauf, dass er beobachtet wurde, und das verunsicherte ihn. Nur die Schuhe zog er noch aus und stellte sie wesentlich sorgsamer unter die Bank. Schuhe waren wichtig, und wenn man einen ganzen russischen Winter ohne verbracht hatte, lernte man solche Dinge zu schätzen. Zaghaft watete er durch das seichte Ufer, das kalte Wasser beruhigte den Schmerz in seinem Bein und bescherte ihm eine durchdringende Gänsehaut. Schnell war er bis zu den Schultern eingetaucht und versuchte einige Züge. Es war so befreiend. Die Kälte ließ ihn frösteln, doch sie vertrieb die Gedanken und ausnahmsweise war sie ihm ganz willkommen. Kai schwamm nicht so weit hinaus, da er kein Risiko eingehen wollte, sondern zog parallel zum Ufer ein paar Bahnen. Er wollte gerade wieder zurückkehren, als etwas seinen Fuß festhielt. Als geübter Schwimmer verfiel er nicht in Panik - jedenfalls nicht sofort. Als er sich umwandte, sah er ein Gesicht, sah er Balkovs Gesicht. Mit dem anderen Fuß trat er danach und es löste sich für einen Moment auf, erschien jedoch Sekunden später wieder an der gleichen Stelle. Jetzt wurde auch der andere Fuß festgehalten und Kai stieß einen kurzen angsterfüllten Schrei aus. Er strampelte, versuchte wieder frei zu kommen und für einen Moment schaffte er es. Mit hektischen Zügen bewegte er sich auf das Ufer zu, doch griffen allzu bald wieder Hände nach ihm, nicht nur an seinen Füßen, sondern auch an seinen Beinen, am Oberkörper, an den Armen. Da vorne war die Rettung und er kämpfte, um sie zu erreichen, doch die Hände zogen ihn unerbittlich hinunter in die Dunkelheit. Er musste es schaffen; er wollte hier nicht sterben, dafür hatte er zu viel ertragen. Nur noch ein paar Meter...
 

Ray fühlte sich befreit. Es fühlte sich einfach richtig an. Der Wald war schön, herbstlich bunt und mit einer Vielzahl an Pflanzen. Er war den unheimlichen Pfad wieder zurückgegangen und hatte ohne Probleme die kleine Kreuzung gefunden. Zum Glück war sein Orientierungssinn nicht so schlecht wie der von Lee - der würde sich sogar in seinem eigenen Badezimmer verlaufen - und für einen Moment schmerzte der Gedanke an seinen Freund. Wenn er wieder zurück in Tokio war, wollte er sich endlich wieder bei seinen ehemaligen Mitbewohnern melden. Es war wahrscheinlich genug Gras über die Sache gewachsen und er hatte nicht vergessen, dass er sich eigentlich bei Mariah hatte entschuldigen wollen. Es war an der Zeit, auch diese Beziehung wieder in Ordnung zu bringen. Doch zuerst musste seine eigene repariert werden. Er wollte sich nur noch den See ansehen und dann wieder zurückkehren. Von der Hütte aus konnte man ihn kaum sehen und es hatte die letzten Tage sowieso durchgehend geregnet.

Er war ganz nah, das spürte Ray, und er hatte Recht, denn als er um die nächste Kurve bog, breitete sich vor ihm der See aus. Erfreut bemerkte er, dass der Regen aufgehört hatte. Der Wind hatte ein wenig aufgefrischt und für einen kleinen Moment brach sogar die Sonne durch und schien direkt auf eine kleine Holzbank. Federnd legte er die wenigen Meter dahin zurück, in Gedanken immer noch bei seinem befreienden Geständnis. Warum ihn das immer noch so positiv bestärkte, wusste er selbst nicht so recht, immerhin hatte er es ja nur einer Felswand zugerufen, aber trotzdem. Seine gute Laune hielt genau bis zur Bank an. Dann sah er den achtlos hingeworfenen Pullover, den er zweifelsfrei als Kais identifizierte. Ironischerweise war er bei dessen Kauf dabei gewesen und hatte ihn sogar ausgesucht. Er erinnerte sich mit einem Schmunzeln daran, wie Kai deshalb einen halben Aufstand gemacht hatte: Sie waren in der Schweiz gewesen und es war selbst für die Alpen ungewöhnlich kalt. Ihr sonst so frostfester Captain war mies gelaunt losgezogen und wollte sich freiwillig etwas Warmes zum Anziehen besorgen und so kam es zum Kauf genau dieses Pullovers. Aber was machte der hier, so einfach weggeworfen? War Kai etwa in der Nähe? Aber wo? Während der Ray sich umblickte, fiel sein Blick auf die schwarzen All Stars, die ordentlich aufgeräumt unter der Bank standen. Also war Kai wirklich hier. Erneut brach die Sonne hervor, nur für einen Moment, doch er reichte aus, um Rays Aufmerksamkeit auf ein seltsames Glitzern im Schilf am Ufer aufmerksam zu machen. Das Licht war auf nasse, silber-graue Haare gefallen. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er realisierte, dass es Kai war, der halb im Wasser, halb im Schlamm zwischen den Pflanzen lag. Mit einem Aufschrei war er bei ihm.
 

Kai atmete noch, aber er war nicht bei Bewusstsein und er war triefend nass. War er etwa freiwillig Baden gegangen? Angesichts seines Zustands schien das eine ziemliche Schnapsidee gewesen zu sein, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Erst musste er Kai aus dem kalten Wasser rausholen und zur Hütte bringen. Ray zog ihn hoch und brachte ihn zur Bank. Der Russe sah schrecklich aus. Das Haar hing ihm schlaff in das kreidebleiche Gesicht. Seine Lippen waren blau und er war eiskalt. Selbst eine seiner Socken fehlte und ruhte wahrscheinlich auf dem Grund des Sees. Großartig. Er würde sich beeilen müssen, damit Kais Zustand nicht noch schlimmer wurde. Rays Blick fiel auf den Pullover. Er würde zwar ebenfalls in Nullkommanichts nass sein, aber vielleicht wärmte er trotzdem ein bisschen. Die Schuhe band er zusammen und hängte sie sich um den Hals, dann hievte er Kai auf seinen Rücken. Er war erstaunlich leicht und für einen kurzen Moment verspürte Ray Schuldgefühle. Durch seine unbedachten Wutausbrüche hatte er ebenfalls dazu beigetragen. Schnell und mit sicheren Schritten legte er den Weg bis zur Kreuzung mitten im Wald zurück und erkannte plötzlich mit Schrecken, dass er sich nicht an den Rückweg erinnern konnte. Rechts, links, durch die Mitte? Kopflos ging er zu jeder Abzweigung, war sich aber absolut nicht sicher. Eine falsche Entscheidung wäre sicherlich fatal. Sein Rücken war mittlerweile ebenfalls klitschnass und der heftige Wind machte die Sache sehr unangenehm.

Aufs Geratewohl entschied sich Ray für den Weg schräg rechts und seufzte vor Erleichterung, als er wenige Minuten später den Weg wiedererkannte. Hier war er auf jeden Fall richtig.
 

Trotzdem dauerte es für seinen Geschmack viel zu lange, bis er endlich wieder in der Hütte war. Zu seiner Erleichterung war gerade keiner im Wohnzimmer. Wenn die Anderen erst einmal gesehen hatten, was passiert war, würden sie vielleicht ihm die Schuld geben und dafür hatte er gerade wirklich keine Zeit.

Ray brachte Kai in dessen Zimmer und setzte ihn auf einem der beiden Sessel ab. Bevor er ihn ins Bett bringen konnte, musste Kai aus den nassen Sachen raus. Ungeduldig durchsuchte Ray die Schränke, fand nacheinander frische Handtücher und trockene Kleidung. Sein Patient hatte immer noch keine Veränderung gezeigt. Er lag mehr auf dem Sessel als dass er saß. Rays Herz verkrampfte sich. Neben der Sorge brannte die Frage, wie es überhaupt dazu gekommen war. War es ein Unfall, Absicht, oder war vielleicht ein Dritter daran beteiligt? Es war zum verrückt werden; je mehr Zeit verging, desto mehr Fragen taten sich auf.

Nachdem er ihm die Haare halbwegs trocken gerubbelt hatte, zog Ray Kai ohne großes Federlesen den Pullover und das Shirt über den Kopf - und stoppte sofort bei dem Anblick. Vor einer Woche hatte er den Oberkörper seines Phönix zum ersten Mal gesehen und er erinnerte sich noch genau daran, wie sehr er sich dabei erschrocken hatte. All die Verbände, die vielen Blutergüsse. Er hatte nicht lange hingesehen, doch der Anblick hatte sich eingebrannt. Jetzt waren die Verbände verschwunden und er konnte sehen, was vorher verborgen gewesen war: Unzählige Narben. Breite, schmale, rote, weiße, regelmäßige und unregelmäßige, frische, alte. Es sah fürchterlich aus und irgendwie... In Rays Vorstellung war Kais Körper immer perfekt gewesen: Muskulös, wohlgeformt, die Haut makellos, hart, aber trotzdem irgendwie weich. Das hier war das absolute Gegenteil und ihm irgendwie unangenehm. Ray erinnerte sich daran, dass einer der Gründe seiner Wut auf Kai die Tatsache war, dass Kai nicht stark genug gewesen war, zu verhindern, was immer ihm auch widerfahren war.
 

Als Ray fertig war, zog er seinem Patienten ein frisches Shirt über und legte ihm eine leichte Decke um die Schultern. Er war immer noch so blass und strahlte Kälte aus. Jetzt fehlte nur noch der pikante Teil: Endlich durfte er Kai an die Hose gehen. Obwohl es jetzt sicher kein Vergnügen sein würde. Wie auf ein Kommando begann der Russe sich zu regen, strampelte kurz und kraftlos mit den Beinen und murmelte etwas Unverständliches, obwohl er immer noch nicht bei Bewusstsein war. Ein Gedanke drängte sich in Rays Kopf und für einen Moment formte sich ein unbeschreibliches Bild vor seinem inneren Auge, so grausam, dass er es sofort wieder verdrängte. Er hatte jetzt keinen Nerv dafür, über so etwas nachzudenken, gerade, wenn es so erschütternd war, so verletzend. Er sollte sich besser auf das Hier und Jetzt konzentrieren, denn Kai machte es ihm ganz schön schwer. Dass Jemand, der eigentlich gar nicht richtig da war, so sehr kämpfen konnte, war ja schon fast beeindruckend.
 

Nachdem Ray ihn schließlich ins Bett verfrachtet hatte, war er ganz schön geschafft. Der Tag war unheimlich anstrengend gewesen. Die ganze Zeit hatten ihn die Sorgen begleitet; ständig hatte er sich Vorwürfe gemacht und nach einer Lösung für die Situation gesucht. Als er dann endlich entschieden hatte, wie er es angehen wollte, war er kopflos in den Wald gelaufen und er hatte sich auch verlaufen. Immerhin hatte der ungeplante Ausflug etwas Positives gehabt... doch dieses Gespräch würde er auf unbestimmte Zeit verschieben müssen. Noch wusste er ja nicht, wie sich der Zwischenfall am See auf Kai auswirken würde. Vorhin hatte er vermutet, dass eventuell noch eine Person damit zu tun hatte, aber wenn er so darüber nachdachte, warum hätte dann der Pullover auf und die Schuhe unter der Bank liegen sollen? Wahrscheinlicher war also, dass Kai freiwillig baden gegangen war. Der Grund dafür war wichtig. November war absolut nicht der richtige Monat für derartige Spontanaktionen. Sie hatten Glück, dass es noch nicht geschneit hatte. Warum also hatte Kai so etwas Dummes - einen anderen Ausdruck gab es nicht dafür - getan? Eine Möglichkeit schien jedoch wahrscheinlicher als alle anderen: Es war Absicht.

Vielleicht hing das mit dem Gedanken zusammen, den Ray sich nicht gestattet hatte und auf den er jetzt auch nicht eingehen wollte. Das wäre wirklich ein Problem. Allein der Umstand, dass ein Selbstmordversuch dahinter stecken konnte, war erschreckend. Egal, was Ray jemals gedacht oder gesehen hatte, er hatte Kai immer als eine starke Person eingeschätzt, als Jemanden, der seine Probleme anpacken würde statt sich von ihnen überwältigen zu lassen. Er wusste schon jetzt, was passieren würde, würde er danach fragen, aber auf diese Frage durfte Kai ihm keine Antwort schuldig bleiben. Und er musste Tyson, Kenny und Max einweihen. Solange diese Sache nicht geklärt war, würden sie alle ein Auge auf ihren Captain haben müssen.
 

Ray vergewisserte sich, dass Kai warm und sicher eingepackt war, dann erlaubte er es sich, sich um sich selbst zu kümmern. Seine eigene Kleidung war mittlerweile halb getrocknet, klebte aber immer noch unangenehm an ihm. Zusammen mit den anderen nassen Sachen verließ er das Zimmer und wäre beinahe mit Kenny zusammengestoßen.

"Was machst du in Kais Zimmer?"

"Erklär ich dir später. Können wir uns im Wohnzimmer treffen, sagen wir in zehn Minuten? Ich muss mir nur erst etwas anderes anziehen."

Der Chef staunte nicht schlecht, als er das verschmutzte und nasse Zeug sah, versprach aber, den beiden anderen Bescheid zu geben.

Eine Viertelstunde später ließ sich Ray erschöpft am Küchentisch nieder. Einer seiner Freunde war so nett gewesen und hatte Tee gekocht. Dankbar nippte er daran und merkte, wie sich die Wärme in ihm ausbreitete. Er seufzte, dann erzählte er seinen Teamkameraden, was sich im Wald zugetragen hatte, allerdings ohne sein peinliches Geständnis an die Bäume zu erwähnen. Die anderen hörten aufmerksam zu.

"Er schläft jetzt in seinem Bett und ich werde nachher noch mal nach ihm sehen. Aber ich mache mir Sorgen. Ich meine, was hatte er dort zu suchen? Was ist, wenn er versucht hat, sich was anzutun?"

"Hey, Ray, jetzt mal mal nicht den Teufel an die Wand." Max hatte ihm mitfühlend die Hand gedrückt. "Vielleicht gibt es eine ganz normale Erklärung dafür."

"So normal, wie sie bei Kai eben sein kann." Tysons Einwurf war wenig hilfreich und er erntete auch gleich einen scharfen Blick von Kenny. "Entschuldigung. Aber ihr wisst schon, was ich meine. Vielleicht ist die einfache Erklärung, dass er es für eine gute Idee gehalten hat oder so. Ihr wisst doch, dass er manchmal etwas seltsam ist." Tyson war wirklich ein Optimist, doch obwohl sowohl Kenny als auch Max sehr skeptisch schauten, nahm Ray diese Erklärung nur gerne an. Die zweite Möglichkeit wäre erschütternd und würde viele weitere Fragen aufwerfen.

"Mir wäre es trotzdem lieber, wenn ihr ein Auge auf ihn habt. Nur zur Sicherheit." Das war Dizzys Einwurf und sie hatte völlig Recht. "Hat er eigentlich irgendwas gesagt?"

"Ja - nein. Also, er hat etwas vor sich hin gemurmelt, aber so leise, dass ich ihn nicht verstehen konnte. Ich war sowieso etwas, na ja, abgelenkt. Ich musste ihn aus den nassen Sachen schälen und..." Mit einem unterdrückten Schaudern dachte Ray wieder an die gerade erst verheilten Wunden. Er sah seinen Freunden der Reihe nach in die Augen, dann erzählte er weiter. Während der kurzen Schilderung schaute er auf seine Hände, mit denen er nervös herumspielte. Diese dumme Angewohnheit hatte er schon als Kind gehabt, wenn es darum ging, etwas Unangenehmes zu beichten. Das Team war genauso schockiert wie er, auch sie konnten es kaum glauben.

"Scheiße, wer könnte das gewesen sein? Wie kann man Jemanden in ein paar Monaten so zurichten, das ist doch absolut krank!"

"Ich weiß, aber wenn ich ehrlich bin, sah sehr viel davon so aus, als wenn es schon wesentlich älter ist."

"Uff."

"Ja... ich werde noch mal nach ihm sehen und dann koche ich uns was, was meint ihr?" Es war ein lausiges Ablenkungsmanöver, doch sie nahmen es alle gerne an.
 

Ein wenig erleichtert stieg Ray die Treppe zur Galerie hinauf. Obwohl er ein paar Details verschwiegen (zum Beispiel Kais zeitweilige Gegenwehr) hatte, war er doch froh, dass die anderen Drei Bescheid wussten und von nun an genauer hinsehen würden. Und wahrscheinlich würden sie sich dabei nicht so dämlich wie er anstellen. Ganz leise betrat er Kais Zimmer und war mehr als erstaunt, dass sein Patient schon wieder bei Bewusstsein war. Erst im späteren Verlauf des seltsamen Gesprächs wurde ihm klar, dass der Ausdruck "bei Bewusstsein" sehr dehnbar war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Akikou_Tsukishima
2016-02-08T21:30:11+00:00 08.02.2016 22:30
Toll endlich geht es weiter


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