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Kou-Geschichten 2

OS-Sammlung für Arcturus
von

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Eine Definition

Drei Wochen, nachdem die Frau, die Kouen Mutter genannt hatte, weit, weit weg gegangen war, lernte er seinen kleinen Bruder kennen.

Bis dahin war Familie ein abstrakter Begriff für ihn gewesen. Familie war sein Vater, der ihn freundlich, ja, sogar liebevoll behandelte, dessen Zeit für ihn jedoch begrenzt war. Seine Mutter hatte vermutlich dazu gehört, aber sie war oft krank gewesen oder gar nicht erst da, sodass Kouen sie lediglich anhand ihrer Kleidung und ihres zeremoniellen Auftretens von anderen Frauen unterscheiden konnte.

Xing hingegen war keine Familie, obwohl sie sich mit seinen Lehrern und anderen Dienern um ihn kümmerte. Vor ihr war Shuang da gewesen und vor ihr jemand anderes. Kouen besaß keine namentliche Erinnerung an die davor, nur das Aufblitzen von weißen Zähnen und eine gurrende Stimme. Er konnte sich an die Stimme besser erinnern als an die seiner Mutter.

Letztendlich war jede Familie, die er besaß, zeitlich begrenzt wie sein Vater. Sie kamen und gingen. Irgendwo hatte er noch einen Onkel und mehr Familie, aber die hatte er noch nie kennen gelernt.

Dann kam Koumei. Dieses kleine, in rote Tücher eingepackte Bündel, das in einer hölzernen, gepolsterten Kiste lag. Xing musste ihn hoch heben, damit er seinen Bruder sehen konnte. Er erinnerte sich an das Flattern der Vorhänge, weil das Fenster offen war. Ein Soldat lief summend an dem Zimmer vorbei. Koumei schien auf das Geräusch zu reagieren. Er schlief und schmatzte dabei, als würde er an einer unsichtbaren Flasche nuckeln. Das kleine Ding war noch vollkommen haarlos. Aber er war trotzdem hübsch. Kouen wusste nicht mehr wieso, aber sein Bruder als Baby wirklich niedlich gewesen. Damals war es ja auch okay gewesen, wenn er nichts anderes tat außer schlafen.

Einen Tag später hatte Xing ihn wieder in das Zimmer des Kleinen mitgenommen. Sie hatte Kouen auf den Boden gesetzt und Koumei neben ihn gelegt. Es brauchte ein paar Aufforderungen, aber dann traute er sich, mit seinen Bruder zu kuscheln. Dieser schlief weiter, aber das machte nichts. Kouen hatte das Gefühl, als stünden sie sich plötzlich nah. Und obwohl er an dem Tag noch Unterricht im Lesen hatte, ließ Xing ihn bei Koumei. Zwar wurde er irgendwann abgeholt, doch bis dahin war Kouen länger mit seinem Bruder zusammen gewesen, denn mit jeder anderen Person, die er Familie nannte.

Das Wunder wiederholte sich Tag für Tag. Er durfte selbstständig zu Koumei gehen. Er durfte verlangen, diesen zu halten und Koumeis Amme, die bei seinem gepiepsten Befehl kicherte, kam dem nach. Wenn er schließlich gehen musste, konnte er wieder kommen. Koumei war immer da. Manchmal schrie er, aber das lag nicht an ihm. Kouen wusste aus tiefsten Herzen, dass dieses kleine Wesen ihn genauso liebte wie er es.

Das einzige, was er nicht wusste, war, welche Scherereien Koumei ihn noch bereiten würde. Gelegentlich drückte er Koumeis Kopf in einen Eimer eiskalten Wassers oder verprügelte ihn mit einem Besen. Selbstverständlich nur gedanklich. Er wusste die Existenz dieses kleinen Scheißers zu schätzen. Koumei war Kouens Familie und Kouen war für Koumei dasselbe. Das lernte er, bevor er überhaupt ein Schwert halten konnte, und er würde es niemals vergessen.



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