Alles rein platonisch?
Gedankenverloren packte sie eine der letzten Kisten und bemerkte erst gar nicht, wie ihre Mutter in ihr Zimmer trat und sich gegen das Gitter ihres Bettes lehnte.
„Und? Hast du das meiste zusammengepackt?“, fragte sie interessiert und schaute sich in ihrem leeren Zimmer um.
Mimi folgte ihrem Blick wehmütig, als sie die ganzen Kisten und die leeren Einbauschränke vor sich sah.
„Ja, das meiste ist bereits verstaut. Es muss nur noch das Bett und mein Schreibtisch auseinander gebaut werden“, sagte sie schwermütig und setzte sich auf ihre Matratze.
Ihre Mutter ließ sich direkt neben ihr nieder und nahm sie in den Arm, so als würde sie spüren, welchen inneren Kampf sie mit sich selbst ausfocht.
„Ren kommt später vorbei und erledigt das…er hat auch einen kleinen Transporter, womit wir alles in die neue Wohnung bringen können“, erklärte sie und drückte Mimi noch ein wenig näher an sich.
Die letztens paar Tage waren hart gewesen.
Noriko ging es zwar mittlerweile etwas besser, aber sie befand sich immer noch im Krankenhaus.
Mimi hatte sie oft besucht, doch heute stand der große Umzug an, bei dem Noriko ursprünglich helfen wollte.
Mimi sah es als die Gelegenheit, ihren Freunden Noriko als ihre Schwester vorzustellen und den wahren Trennungsgrund zu offenbaren. Doch das Schicksal hatte andere Pläne.
Während die Jungs und Etsuko abwechselnd nach Noriko sehen wollten, hatten sich für den eigentlichen Umzug nur Tai, Kari, Yolei und Ken angemeldet.
Yolei und Ken klebten mittlerweile ständig zusammen und auch Takeru hätte mitgeholfen, wenn er heute kein Spiel gehabt hätte.
Auch Sora hatte ihre Hilfe angeboten, doch auch bei ihr ging zurzeit alles drunter und drüber, da sie gemeinsam mit ihren Eltern alles für das Praktikum in Paris organisierte, von dem bisher nur Mimi wusste.
„Wann kommen eigentlich deine Freunde?“, hakte ihre Mutter nach und ließ langsam von ihr ab.
„Auf jeden Fall bevor Etsukos Vater die Möbel bringt. Tai und ich wollten noch die Wände streichen!“
Ihre Mutter wurde augenblicklich hellhörig und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.
„Ihr versteht euch wirklich zurzeit ziemlich gut“, stellte sie freudig fest, „er ist auch ziemlich oft bei uns gewesen…also in letzter Zeit. Läuft da vielleicht irgendetwas?“
Verlegen sah Mimi zur Seite und legte ihre Haare über eine Schulter. Unsicher blickte sie zu ihrer Mutter und spürte wie ihre Wangen warm wurden.
„I-Ich, ich weiß es um ehrlich zu sein nicht“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
Es war inzwischen immer schwerer geworden, die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe klar zu erkennen, auch wenn ihre Gefühle klar definiert waren.
Er war für sie immer noch das ewige Rätsel, das sich einfach nicht lösen ließ.
Erst letztens hatten sie gemeinsam den Abend miteinander verbracht, kurz nach Norikos Einlieferung.
Ihr ging es an diesem Abend nicht sonderlich gut, was er sofort zu bemerken schien.
Ohne groß etwas zu sagen, hatte er sie in den Arm genommen. Drückte sie dicht an sich und ließ sie an seiner Wärme teilhaben, die ihr half.
Stundenlang hielt er sie einfach nur fest und redete gut auf sie ein, auch wenn er gar nicht wusste, warum es ihr so schlecht ging.
Dennoch fand sie diese Situation unfassbar romantisch, auch wenn es zu keinem Kuss oder ähnlichen Annährungsversuchen kam, die Mimi die Gewissheit gab, das Tai möglicherweise doch ansatzweise das Gleiche für sie empfand, wie sie für ihn.
Sie war verunsichert, da sie sich auch nicht traute nachzufragen oder endlich mal die Initiative zu ergreifen.
Mit Zurückweisung konnte sie im Moment nur schwer umgehen.
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„Wie kommst du eigentlich auf Grün? Ich dachte Rosa wäre deine Lieblingsfarbe?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue, als er den Deckel der Farbe öffnete.
Mimi stand mit einer Rolle bewaffnet ihm gegenüber und trug ein altes Shirt, das ihre Mutter ihr gegeben hatte.
Auch Tai trug etwas Altes und rührte langsam in der hellgrünen Farbe herum.
„Ich brauche einfach mal eine farbliche Veränderung“, sagte sie überzeugend und stemmte die Hände in die Hüfte. „Und Grün ist doch eine wunderschöne Farbe, oder?“
Tai grinste und stand auf. „Also mir gefällt es besser als Rosa“, antwortete er spitzfindig und sah sie provokant an, da er nach wie vor wusste, dass sie die Farbe immer noch gern hatte.
„Komm‘ jetzt lass uns mal anfangen, sonst werden wir nie hier fertig“, scheuchte sie ihn und deutete direkt auf die Farbe.
Tai seufzte nur, bereute es bestimmt schon, sich für das Streichen mit Mimi entschieden zu haben.
Beide waren alleine, während der Rest gemeinsam mit Mimis Mutter den Transporter von Etsukos Vater beladen und in circa einer Stunde bei ihnen sein würde.
Tai goss ein bisschen Farbe in einen größeren Eimer und tauchte seine Rolle großzügig hinein und streifte die überschüssige Farbe an dem Farbgitter etwas ab. Dann setzte er an und rollte gleichmäßig über die weiße Wand.
Mimi beobachtete den Vorgang genau und bückte sich ebenfalls zur Farbe hin.
Auch ihre Rolle tunkte sie in die Farbe, bemerkte aber relativ schnell, dass sie viel zu viel aufgenommen hatte. Hilfesuchend blickte sie zu Tai, der auf sie herabschaute und belustigt anlächelte.
Er legte seine Farbrolle ab und tapste auf der Folie, die sie zum Abdecken ausgelegt hatten, zu ihr.
Tai beugte sich zu ihr hinunter und umfasste ihre Hand. Ihre Körper berührten sich sachte und lösten bei Mimi wohlige Schauer aus.
Sein Kopf befand sich direkt neben ihrem und ihr Zopf kitzelte ihn leicht im Gesicht, weshalb er ihn sanft über ihre linke Schulter legte.
Danach fuhr er behutsam mit der Rolle über das Gitter, um die zusätzliche Farbe abzustreifen.
Er hatte ihre Hand fest im Griff, auch wenn er sie nur locker umschloss.
Unauffällig blickte Mimi immer wieder zu ihm und spürte das ständige Verlangen nach seiner Nähe, dass in ihr das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit auslöste.
Gemeinsam standen sie auf. Tai stand dicht hinter ihr und zeigte ihr, wie sie die Rolle zu halten hatte und wie viel Druck sie ausüben musste, um ein gleichmäßiges Ergebnis zu erzielen.
Während er mit der einen Hand, immer noch ihre Hand und die Rolle festhielt, fühlte Mimi seine andere an ihrer Taille, um ihr den nötigen Halt zu geben.
Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie intensiv sich seine Berührungen allein über den Klamotten anfühlten. Ihr ganzer Körper kribbelte vor Freude und in ihren Gedanken malte sie sich aus, wie es wohl wäre, weniger als dieses olle Schlabbershirt zu tragen.
Sie biss sich intuitiv auf die Zunge. Warum dachte sie nur sowas? Ihr fiel es generell schwer, sich in seiner Anwesenheit auf das Wesentliche zu konzentrieren, doch neuerdings meldete sich wohl auch ihre Libido zu Wort.
Sie wusste nicht, was es war, aber der Drang ihm noch näher sein zu wollen, wuchs.
Es machte sie wahnsinnig. Nahm ihr sämtliche Konzentration und drängte sie dazu, sich ständig vorzustellen, wie es wohl sein könnte, mit ihm intim zu werden.
Wie er liebevoll ihre zarte Haut streichelte….wie sich ihre Härchen behutsam aufstellten…wie ihre nackten Körper sich vollkommen im Einklang miteinander bewegten…
Sie schluckte und hielt für einen kurzen Moment inne.
Begierig sah sie zu ihm und presste sich sanft noch etwas näher an ihn, doch er ließ sie auf einmal los und schnappte sich sein eigenes Streichwerkzeug. Etwas enttäuscht sah sie zu ihm, während er mit leicht rötlichen Wangen, die Farbe erneut abstreifte und auf die Wand brachte.
Mimi seufzte resigniert und widmete sich ihrer Arbeit, auch wenn sie ein Auge immer auf Tai gerichtet hatte.
Wieder und wieder tunkte sie die Rolle in die Farbe, wurde dabei immer unaufmerksamer und holte etwas schwungvoll aus, sodass nicht nur die Wand Farbe abbekam.
Sie erschrak, als sie plötzlich selbst grüne Farbe im Gesicht hatte und vor Ekel leicht vor sich hin quiekte. Sie presste die Lippen zusammen und hielt mit einer Hand die Rolle fest, um mit der anderen ihr vollgespritztes Gesicht zu säubern.
Belustig sah Tai zu ihr und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du weiß schon, dass du dich nicht selbst streichen sollst?!“, erwiderte er lachend und ein großer Farbklecks löste sich von seiner Rolle und tropfte auf den Boden.
„Hey, pass‘ besser auf!“, beschwerte sich Mimi augenblicklich, trat näher an ihn heran und stapfte prompt mit ihren Sneakers in den Klecks.
„Sagt gerade die Richtige! Jetzt hast du es auch noch am Schuh!“, polterte Tai und hob die Farbrolle zu schnell an.
Wieder spritzte Farbe durch die Gegend und traf keinen geringeren als Mimi, die vor Schreck ihre Augen zusammengekniffen hatte.
Als sie sie wieder öffnete, stand Tai mit der Hand vor dem Mund vor ihr und unterdrückte ein Lachen. Langsam tastete sie sich ab und wanderte mit der Hand zu ihrem Gesicht. Mit Entsetzen musste sie feststellen, wie grüne Farbe ihr Kinn hinunter tropfte und Tai in einem waghalsigen Gelächter ausbrach.
Wütend steuerte sie auf ihn zu und schlug gegen seinen Arm, was ihn jedoch nicht sonderlich beeindruckte. Ohne darüber nachzudenken, tauschte sie ihre Rolle gegen den unbenutzten Pinsel, der eigentlich für die Ecken vorgesehen war.
Großzügig nahm sie Farbe auf und stellte sich provokant vor ihn.
Sein Lachen verstummte augenblicklich und seine Mundwinkel zogen sich nach unten. Er nahm eine Art Sicherheitsabstand ein, indem er langsam rückwärtsging.
„Mimi…leg den Pinsel weg! Ich warne dich!“, sagte er verheißungsvoll und funkelte sie ernst an.
Doch Mimi war auf Angriff getrimmt.
Ohne Vorwarnung stürmte sie auf ihn zu und erwischte prompt seine linke Wange.
Mit geweiteten Auge fuhr Tai mit den Finger darüber und schüttelte nur fassungslos den Kopf.
„Na warte Fräulein, das gibt Krieg!“
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Sie waren in Gelächter ausgebrochen und hatten es noch nicht aufgegeben, sich gegenseitig mit Farbe zu verzieren.
Mimi hatte ihren Pinsel mit ihren Fingern festumschlossen, als Tai sie von hinten festhielt und seine Arme um sie schlang. Sie rangelten miteinander, während Tai versuchte ihr den Pinsel abzunehmen.
Auch er hatte bereits Farbe im Gesicht, in den Haaren und auf seiner Kleidung, doch das interessierte beide reichlich wenig.
Eine unsagbar, elektrisierende Spannung hatte sie zwischen ihnen aufgebaut und wurde von Minute zu Minute leidenschaftlicher.
Er hatte ihr Handgelenk gepackt und drehte sie zu sich, während sie immer noch versuchte, sich den Pinsel von ihm nicht abnehmen zu lassen.
Zuerst merkte sie seine Hand hinter ihrem Rücken gar nicht, auch nicht, dass sie immer tiefer glitt und mittlerweile sanft auf ihrem Po ruhte.
Ihre Körper waren dicht aneinander gepresst und sie spürte, wie er sie näher an sich zog.
Ihr Blick verfing sich in seinem. Einige Haarsträhnen hatten sich bereits aus ihrem Zopf gelöst und hingen ihr etwas ins Gesicht.
Mit Leichtigkeit hätte er ihr den Pinsel annehmen können, doch statt ihre Hand zu ergreifen, fuhr er die Kontur ihres Gesichtes nach, bis seine Hand ihren Nacken erreichte und sich dahinter vergrub.
Mimis Atmung beschleunigte sich. Ihre eine Hand lag auf seinem Brustkorb, während die andere den Griff um den Pinsel langsam lockerte.
Geräuschvoll fiel er auf den Boden und bedeckte die Folie mit zusätzlichen Farbspritzern.
Doch die Anspannung steigerte sich zwischen ihnen. Es war nicht wie damals im Fotoautomat.
In seinem Blick lag etwas, was Mimi zuvor noch nie gesehen hatte.
Sie konnte es nicht beschreiben, was er ihr signalisieren wollte, geschweige denn von ihr erwartete.
In ihrem Blick lag die tiefe Sehnsucht nach ihm, die schon viel zu lange ungestillt vor sich hin plätscherte.
Sie wollte es wagen. Nur ein einziger Kuss, der ihr zeigen sollte, was das hier zwischen ihnen war.
Ein einziger Kuss, der diesmal nur ihnen gehören sollte.
Ihr Gesichtsausdruck wurde auf einmal recht ernst, als sie sich ihm zaghaft entgegenstreckte.
Wie hypnotisiert, beobachtete er ihre Bewegungen, regte sich jedoch selbst keinen Millimeter, so als würde er abwarten, was sie letztlich vorhatte.
Abrupt hielt sie inne und sah mit ihren großen braunen Augen erwartungsvoll zu Tai, der verunsichert zu ihr hinabblickte. Er huschte mit seine Augen immer wieder von links nach rechts, blieb aber dann wieder an ihrem Gesicht hängen.
Er atmete unruhig, lockerte seinen Griff hinter ihrem Nacken und wanderte mit seiner Hand ihren Arm hinunter, bis er mit den Fingerspitzen ihre Hand erreichte und behutsam darüber strich.
Dieses Spiel ging nur wenige Sekunden, als er seine Wanderung fortsetzte und zart ihre Hüfte berührte. Eine Gänsehaut überkam sie, als sie seinen Bewegungen folgte und gar nicht merkte, dass er mit dem Gesicht zu ihr hinuntergebeugt hatte.
Erst als sie seinen warmen Atem an ihrer Wange spürte, wurde sie sich seiner Nähe bewusst.
Instinktiv vergrub sie ihre Arme hinter seinem Nacken und öffnete leicht den Mund, als wollte sie etwas sagen.
Doch sie wurde komplett aus dem Konzept gebracht, als sich ihre Nasenspitzen berührten und sie auf seine Lippen schielte.
Sein Atem traf ihre Lippen. Nur noch wenige Zentimeter fehlten ihnen zu Vereinigung. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und schrie, dass sie kein Feigling mehr sein und es wagen sollte.
Er hatte seine Stirn an ihre lehnt, bewegte den Kopf leicht zur Seite und suchte mit seinen Lippen ihre. Begierig wartete sie darauf, dass sie sich endlich trafen.
Es waren nur noch wenige Millimeter…
„Mimi! Wir sind da!“, ertönte plötzlich die Stimme ihrer Mutter.
Erschrocken lösten sie sich voneinander und blickten sich für den Moment schweigend an, als Tai verlegen die Hand in den Nacken legte und sich räusperte.
Auf Mimis Wangen legte sich ein zarter Rotschimmer und ihr Herz schlug immer noch bis zum Hals, doch der Moment, der alles hätte ändern können, war vorbei.
„Vielleicht sollten wir die Sauerei sauber machen, bevor sie die Möbel reintragen“, meinte er kleinlaut und sah zu Boden. Mimi folgte seinem Blick und schnaubte frustriert.
Hier sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall waren Farbspritzer verteilt…die wenigste Farbe befand sich an der Wand.
Wütend über sich selbst, raffte sie den Pinsel auf und sah verstohlen zu Tai, der sich wieder der Wand widmete – so als wäre nichts zwischen ihnen gewesen.
Enttäuscht legte sie den Pinsel in den Eimer mit Wasser und schnappte sich ihre Farbrolle, um ihr Werk zu vollenden.
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Mit der Hilfe der anderen, hatten sie es noch geschafft die Wände in einem saftigen Grün zu streichen. Mittlerweile war ihr Bett aufgebaut und sie hatte es auch schon frisch bezogen, als sie eine der Kisten durchwühlte.
Sofort sprang ihr etwas ins Auge, dass sie schon ewig nicht mehr auf ihrem Kopf sitzen hatte.
Respektvoll nahm sie ihn an sich und betrachtete ihn eine Weile, bis es plötzlich an ihrer Zimmertür klopfte.
„Herein“, sagte sie matt und sah wie Tai sein Gesicht in ihr Zimmer streckte und mit dem Fuß die Tür öffnete.
Er trug eine weitere Kiste in seinen Händen, die sie nach und nach aus dem Transporter von Ren räumten.
„Wo soll ich die hinstellen?“, fragte er und balancierte sie wagemutig in seinen Händen.
„Stell‘ sie einfach auf die da hinten“, antwortete sie und deutete auf den Kistenstapel in der Ecke. „Ich packe die wohl erst morgen früh aus.“
Sie wandte den Blick von Tai und richtete ihn wieder auf ihr Fundstück, das sie in ihren Händen hielt.
Tai stellte die Kiste ab und ging ein Stück auf sie zu. „So, jetzt müssen wir warten bis der Rest mit den letzten Kisten kommt“, seufzte er theatralisch und ließ sich auf ihrem Bett nieder.
Mimi biss sich auf die Unterlippe und setzte sich den gefundenen Gegenstand einfach auf ihren Kopf.
„Guck mal, was ich gefunden habe“, sagte sie stolz und präsentierte ihren alten Hut vor ihm.
Tai setzte sich leicht auf und musterte sie unbeeindruckt.
„Steht dir wirklich hervorragend. Du erinnerst mich an diese Zehnjährige, die ich mal kannte. Sie hat oft gemeckert und war so eine kleine zickige Prinzessin“, erwiderte er sarkastisch und grinste verschwörerisch.
Mimi legte den Kopf schief und sah ihn beleidigt an. Sie schnappte sich eines ihrer Kissen und pfefferte es ihm direkt ins Gesicht.
„Hey, das war nur die Wahrheit“, protestierte er und setzte sich auf.
„Und ich kannte da mal einen elfjährigen Idioten, der immer ‘ne dämliche Taucherbrille auf dem Kopf getragen hat“, stichelte sie und ließ sich direkt neben ihm nieder.
„Das war eine Fliegerbrille“, stellte er klar und zog ihr den pinken Hut ins Gesicht.
„Ey, lass das“, quietschte sie schrill und richtete ihren Hut wieder.
„Erinnerst du dich noch dran, als du mit pinken Haaren hier in Japan aufgetaucht bist?“
Mimi grinste verlegen und zog den überdimensionalen Cowboyhut von ihrem Kopf.
„Ja, du hast zu mir gesagt, dass ich diese hässliche Perücke ausziehen soll“, erinnerte sie sich zurück und grinste. „Danach hatte ich voll geheult und Kari musste dir erklären, dass ich sie gefärbt hatte.“
„Hallo, dass konnte ich doch nicht wissen?!“, räumte er ein und machte ein unschuldiges Gesicht. „Aber ich finde, dass dir braune Haare wirklich besser stehen.“
Wenig überrascht hob sie den Kopf und ein Lächeln zierte ihre Lippen. „Kann ich schon verstehen…welcher Kerl findet schon rosa Haare toll“, murmelte sie immer leiser werdend.
„Das stimmt wohl, aber ich mag einfach generell braune Haare an dir lieber“, meinte er nachdrücklich und sah sie forsch an.
Verlegen strich sie sich durch die Haare und legte sie sachte über ihre Schulter.
„Das sagst du jetzt sicher nur so, damit ich nicht irgendwann auf dumme Gedanken komme und sie mir doch wieder rosa färbe“, unterstellte sie ihm und fixierte ihn herausfordernd.
„Hör bloß auf! Ich warne dich! Mach deine schönen Haare nicht kaputt“, erwiderte er alarmierend.
Ihre schönen Haare? Was war denn in ihn gefahren?
Skeptisch zog sie die Augenbrauen zusammen. „Sag mal, was hast du auf einmal mit meinen Haaren? Braun ist doch sowieso nicht deine Farbe“, entgegnete sie etwas schnippisch und bereute augenblicklich, ihre Gedanken ausgesprochen zu haben.
Völlig perplex starrte Tai zu ihr und schien darüber nachzudenken, was sie genau damit meinte.
„Ähm…hä?“, machte er nur und Mimi rollte nur mit den Augen.
Sie konnte sich noch gut daran erinnern, als er zu ihr meinte, dass er nicht auf Brünette stehen würde. Es hatte sich in ihren Kopf eingebrannt, wie sämtliche andere Geschehnisse der Vergangenheit, die sie lieber vergessen wollte.
„Schon gut, nicht so wichtig“, schwächte sie ab und legte ihren Hut wieder in die Kiste.
Gerade als sie aufstehen wollte, packte er sie am Handgelenk und brachte sie dazu sich wieder zu setzen.
„Hast du das jetzt gesagt, weil ich mal meinte, dass Brünette nicht mein Typ sind?“
„Vielleicht?“ Die Unsicherheit war aus ihrer Stimme herauszuhören.
Was machte sie nur, wenn Tai weiterbohren würde? Was wenn er sie darauf ansprach, warum ihr diese Aussage etwas ausmachte?
Irgendwie fühlte sie sich heute nicht bereit, ihm ihre Liebe zu gestehen, besonders nicht nach heute Nachmittag. Was sollte das? Wollte er sie wirklich küssen?
„Also, das habe ich eigentlich nur gesagt, weil mir Matt und Izzy auf den Zeiger gegangen sind“, erklärte er auf einmal. „Mir ist die Haarfarbe eigentlich egal, wichtig ist doch, dass man sich gut versteht.“
Er hatte sie bereits losgelassen, doch ihre Arme berührten sich noch immer.
Mimi wandte sich ihm zu und setzte sich auf ihren Fuß, sodass ihr eines Bein gebeugt war und seins leicht streifte.
„Ich hätte jetzt gedacht, dass du sagst, dass du auf Rothaarige stehst“, sagte sie und wunderte sich über ihre eigene Offenheit. Über Sora wollte sie eigentlich nicht sprechen.
Gespannt wartete sie auf seine Antwort und stellte sich schon darauf ein, dass er mit einem Satz ihr Herz komplett zerschmetterte. Sie hielt die Luft an, betrachtete genau sein Gesicht, das auf einmal so nachdenklich aussah.
„Also, weißt du…“, begann er zögerlich. Seine Augen huschten hin und her, so als würde er innerlich mit sich diskutieren und versuchen die richtigen Worte zu finden.
Gerade als er erneut ansetzten wollte, wurde ihr Gespräch durch ein Klopfen unterbrochen.
„Herein“, meinte Mimi genervt und sah ihre Mutter mit einem Kochlöffel in der Hand vor ihnen stehen.
„Ren ist gerade angekommen“, sagte sie fröhlich und forderte sie indirekt auf, die letzten Kisten hochzutragen.
Mimi seufzte und schüttelte den Kopf. Timing war in dieser Familie ganz klar verloren gegangen.
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Gegen Abend hatten sie sich alle auf der großen Couch verteilt und sahen gemeinsam einen Film. Mimis Mutter war gemeinsam mit Ren zur Arbeit gefahren, da sie mal wieder eine größere Veranstaltung planten. In einem unbemerkten Augenblick hatte Ren Mimi sogar gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, mit der Band nochmal in ihrem Club aufzutreten.
Ein wenig geschmeichelt, eröffnete Mimi ihm, dass sie mit Masaru und den anderen zu allererst sprechen wollte und ihm schnellstens Bescheid gäbe.
Doch daran wollte sie heute Abend nicht denken.
Viel zu sehr genoss sie die Nähe ihrer Freunde. Yolei, Ken und Kari hatten ihr wirklich unheimlich geholfen und sie war ihnen dankbar, dass sie extra ihre Zeit für sie opferten.
Sie hatten zisch Kisten hochgetragen und waren mehr als nur erschöpft gewesen.
Auch Tai, der hauptsächlich mit ihr irgendwelchen Unfug angestellt und mehr ihr Gesicht besudelte, statt die Wand gestrichten hatte, war vollkommen erschöpft und konnte kaum die Augen offen halten.
Mimi beobachtete wie seine Lider immer schwerer wurden und er allmählich wegnickte.
Sie saß nicht direkt neben ihm, sondern neben seiner Schwester, die jedoch mehr mit ihrem Handy beschäftigt war, statt auf den Film zu achten.
Ken und Yolei saßen aneinander gekuschelt am anderen Ende der Couch und waren wohl die einzigen, die den Film noch richtig verfolgten.
Mimi war einfach zu abgelenkt, da sie kaum den Blick von Tai wenden konnte, auch wenn er fast schlief.
Plötzlich erhob sich Kari und riss ihn aus seinem Dämmerschlaf. Irritiert blickte er zu seiner kleinen Schwester, die sich mit dem Handy am Ohr von ihnen langsam entfernte.
Ein breites Grinsen war auf ihrem Gesicht zu erkennen, was für Mimi nur eins heißen konnte.
Sie konnte sich schon denken, wer sich am anderen Ende der Leitung befand, genauso wie Tai, der nur einen genervten Laut von sich gab und näher zu Mimi rutschte.
„Das dauert jetzt eine halbe Ewigkeit bis sie wieder zurückkommt“, kommentierte er nur augenverdrehend und grinste selbstgefällig, auch wenn es auf Mimi eher traurig wirkte.
Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, da sie sich schon vorstellen konnte, dass er sich manchmal sehr alleine fühlte.
Die Freundschaft zu Sora und Matt hatte sich zwar etwas gebessert, aber sie war nicht mehr so eng wie früher, da sie von unerwiderten und verletzten Gefühlen geprägt war.
Er schien sofort zu verstehen, wie er ihren Blick zu deuten hatte.
Tai lächelte schwach und presste sich gegen die Couch. Mimi sah kurz zu Yolei und Ken, die in ihr Liebesgedusel vertieft waren und gar nicht bemerkten, dass sie näher aneinander gerückt waren.
Sie waren beide allein und vermissten die Nähe eines lieben Menschen.
Wehmütig legte sie ihren Kopf auf seine Schulter, während er seinen Arm um sie schlang und sie fester an sich drückte.
Sie wollte ihm nah sein, auch wenn sie wusste, dass sie es nicht wirklich konnte. Sie war in einem Teufelskreis gefangen, der sich aus verzweifelter Sehnsucht, ungestillter Begierde und fadenscheiniger Hoffnung zusammensetzte.
Er nahm sie nur in den Arm, weil er wusste, dass sie einsam war und auch unter der Trennung ihrer Eltern litt. Mittlerweile war ihr alles zu viel geworden, sodass sie sich an seine Nähe klammerte…vielleicht verzweifelt irgendwelche Zeichen suchte und drauf hoffte, dass er ihr signalisierte, dass ihre Beziehung nicht mehr rein platonisch war.
Gedankenverloren spielte er an ihren Haaren, was ihr ein leichtes Lächeln ins Gesicht trieb. Sie ruhte an seiner harten Brust, als sie den Kopf etwas anhob, um ihn ansehen zu können.
Er erwiderte ihren Blick sofort und strich zärtlich einige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, als er sich etwas zu ihr hinunterbeugte und ihr einen sanften Kuss auf die Stirn hauchte. Mimi riss die Augen auf, als ihr Herz einen gewaltigen Sprung machte. Er hatte die Augen geschlossen, drückte ihren zierlichen Körper noch dichter an sich, während sie seine heißen Lippen auf ihrer Stirn spürte.
Es waren nur wenige Sekunden und es war auch schneller wieder vorbei, als Mimi überhaupt hätte reagieren können. Er grinste sie schüchtern an, während sie verlegen den Kopf senkte und sich gegen seine Brust drückte. Nachdenklich presste sie die Lippen aufeinander. Was hatte das nur zu bedeuten? Einen Kuss auf die Stirn gab man doch eher seiner Mutter oder Schwester…
Doch was sollte das Ganze heute Nachmittag? Vielleicht hatte sie es falsch interpretiert und sich Hoffnungen gemacht, wo gar keine waren?
Ein Stirnkuss? Klang eher nach einer rein platonischen Beziehung, statt nach einer aufkeimenden Liebe. Hatte sie es sich doch alles nur eingebildet, oder bedeutete es mehr, als sie vermutete?
Frustrierte löste sich ein leiser Seufzer von ihren Lippen, als sie erkennen musste, dass sie in einer Sackgasse steckte.