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Zwischen den Welten

Das Mary Sue-Projekt
von
Koautor:  Erenya

Vorwort zu diesem Kapitel:
Anweisung der Göttin:
»Liebe Shicchi, genieß dein Date, denk aber immer daran: Alles was du sagst und tust könnte Konsequenzen haben.«

Sowieso. Bei meiner Göttin immer. *hust* Komplett anzeigen

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Was das Herz begehrt

„Und senden.“

Zufrieden strecke ich den Rücken durch und falte die Hände über dem Kopf. Lange hat es gedauert, aber endlich ist es geschafft. Eine Sorge weniger auf meiner Liste.

Orion neben mir ist ruhig. Er ist derweil eingeschlafen und atmet gleichmäßig. Ich beobachte ihn eine Weile dabei, während ich still bei mir denke, dass er sich diese Pause verdient hat. Ich gönne ihm diesen Moment der Sorglosigkeit.

Ein Blick zur Wanduhr zeigt, dass es zehn vor halb eins ist. Meine Verabredung mit Ikki ist zu fünfzehn Uhr ausgelegt. Im Bad brauche ich so etwa eine halbe Stunde bis Stunde, mit Anziehen und allem Drum und Dran. Ich sollte in Erfahrung bringen, wie lange ich zum Kino benötige, um zu errechnen, wie viel Zeit mir noch bleibt. Bestimmt habe ich ein wenig davon übrig.

Kurzerhand rufe ich Google auf und suche nach dem vereinbarten Treffpunkt. Nach einiger Recherche im Internet und einem fixen Vergleich auf Google Maps weiß ich, dass das Kino nicht weit vom Meido entfernt liegt. Zur Innenstadt brauche ich etwa dieselbe Zeit wie zur Arbeit, mir stehen sowohl Fußweg und Bahn zur Verfügung. Ich mache mir Notizen, die mich sicher geleiten werden. Für welche Option ich mich entscheide, schaue ich dann, wenn es soweit ist.

Nach getaner Arbeit klappe ich den Laptop zu und verstaue ihn sorgfältig unter dem Tisch. Ich leere noch den Rest meines kalten Cappuccinos, ehe ich mich leise erhebe. Ich schleiche die wenigen Schritte hinüber in mein Zimmer. Dort, vor dem geöffneten Kleiderschrank stehend, sehe ich mich meiner nächsten großen Herausforderung gegenüber: etwas zum Anziehen finden. Ein leidiges Thema, dem ich heute ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen will.

 

Es dauert lange, bis ich ein gutes Outfit zusammengestellt habe.

Mitten im Stapel finde ich einen Pullover, der mir wegen seiner schwarz-violett gestreiften Ärmel ins Auge sticht. Sie sehen wie Armstulpen aus, die fließend in den Rest des schwarzen Teils übergehen. Über dem Handrücken laufen sie spitz zu, knapp bis über die Fingerknöchel reichend. Beim Anprobieren stelle ich fest, dass die Schultern freiliegen. Ein neckisches Detail, ich mag es. Interessant ist zudem der Ausschnitt. Er ist von Haus aus U-förmig, lässt sich aber dank Knöpfe zu einem V-Schnitt umfunktionieren. Diese Variante ist bereits vorgegeben und ich belasse es zu gern dabei. Zwei Knopf tief reicht, das ist weder obszön noch verklemmt. Mit dem violetten Shirt darunter, dessen spitzenverzierten Kastenausschnitts mich gereizt hat, sieht das Ganze sehr gut aus. Erinnert mich ein wenig an meinen Kleidungsstil zu Hause: schlicht, feminin mit einem Touch Verspieltheit. Ich bin zufrieden mit meiner Wahl.

Dazu kombiniere ich eine schwarze Stoffhose mit Schlag. Accessoires braucht es eigentlich keine. Ich begnüge mich mit violetten Steckohrringen, zwei Ketten trage ich bereits. Das Pentagramm passt gut zu dem angehauchten Gothic-Look. Darunter liegt, wie immer, mein Ring am silbernen Kettenband mit dem violetten Schmuckstein in der Kreismitte. Zärtlich streiche ich über die Anhänger und denke an die lieben Menschen, denen ich diese Schätze zu verdanken habe.

‚Schluss jetzt‘, schelte ich mich und lasse von den Schmuckstücken ab. Kopfschüttelnd verwehre ich mich den Gedanken, die mich zurück nach Hause geführt haben. Zurück in die Arme meines Liebsten und in schöne Erinnerungen ganz besonderer Momente mit meinem besten Freund. ‚Jetzt ist nicht die Zeit zum Trübsal blasen! Du siehst sie wieder, ganz bestimmt.‘

Entschieden wende ich mich vom Kleiderschrank ab und trete auf meinen Schreibtisch zu. Gewiss ist niemand vergessen, den ich in meiner Welt zurückgelassen habe, doch jetzt ist keine Zeit, dem nachzuhängen. Das hier ist Realität und ich muss ihr entgegentreten. In erster Linie bedeutet das, mich auf das zu fokussieren, was vor mir liegt. Wie sonst will ich einen Weg nach Hause finden?

Ich zögere. Mein Blick haftet an der Tischplatte, auf der Suche nach irgendwas. Nur flüchtig streife ich den ausliegenden Schichtplan für meine Arbeit im Meido.

Eigentlich müsste ich mich freuen, oder etwa nicht? Ich habe ein Treffen mit Ikki in Aussicht, nur wir zwei allein. Müsste dies das Fangirl in mir nicht zum Kreischen bringen? Gut, vielleicht tut es das auch, aber irgendwie … fühlt es sich nicht wirklich an.

Gedanken sammeln sich in meinem Kopf. Fragen darüber, wie ich mich denn eigentlich fühlen sollte. Ist es richtig, mich über das Bevorstehende zu freuen? Ist es denn überhaupt etwas Echtes? Betrüge ich damit jene, die ich zurückgelassen habe? Und allem voran, ist es nicht etwas grotesk, so voller Vorfreude und Euphorie zu sein, nachdem ich beinah ums Leben gekommen bin? In einer Welt, die es gar nicht geben dürfte. In der ich mich gefangen sehe.

Erneut schüttle ich den Kopf. Streng versuche ich, mir solche Gedanken zu verbieten. So sehr sie ihre Daseinsberechtigung haben, sie sind mir eindeutig zu negativ behaftet. All diese Zeit mit so vielen Zweifeln und Fragen zu verbringen, ist … Ich sabotiere mich nur selbst.

„Trotzdem, ein paar Antworten wären nett.“

Seufzend drehe ich mich weg und trotte auf das Bett zu. Die weichen Polster fangen mich auf, als ich mich rücklings darauf sinken lasse. Ich gönne mir einen Moment der Stille und genieße die Pause in meinem Kopf.

Ein stummes Verlangen wird in mir wach und bewegt mich zum Handeln. Entschlossen greife ich unter das Kissen und angle das kleine Buch hervor, das ich darunter versteckt hielt. Ich setze mich auf und rutsche an den Rand, die Quelle aller Antworten auf meinem Schoß. Wenigstens einige davon, das würde schon reichen. Nervosität steigt in mir auf.

Kurz zögere ich noch, ob das Timing für ein solches Wagnis wirklich angemessen ist. Mir steht die Erfüllung eines Traumes bevor, und diese Erfahrung will ich mir ungern vermiesen. Auf der anderen Seite, wie sehr kann ich es schon genießen, wenn mich ständig diese Fragen quälen? Sicher gibt es auch zu Ikki irgendwas, das ich besser wissen sollte. Ich möchte mich ungern bei unserem Treffen verplappern und sein Misstrauen erregen. Das ist doch eine gute Rechtfertigung, es jetzt zu tun?

Noch ehe ich mir diese Frage beantworten kann, habe ich das Buch bereits aufgeschlagen. Beim schnellen Durchblättern stelle ich fest, dass es nicht sehr viele Einträge enthält. Es ist nicht einmal zum Viertel gefüllt. Mir kommen erste Zweifel auf, wie viel ich wirklich erfahren werde.

Zurück auf Anfang bestätigt sich erneut: das hier ist definitiv meine Handschrift. Es ist offenkundig, denn der Text ist auf Deutsch verfasst. Das Datum ist mit dem 8. Oktober angegeben, der Eintrag geht über zwei Seiten in kleiner Schrift auf blankem Papier.

Ich habe mir dieses Buch gekauft, um meine Gedanken zu ordnen. Es gibt wirklich viel, worüber ich nachdenken muss und was ich nicht wirklich verarbeiten kann, lauten die ersten Zeilen. Ich lese gespannt weiter. Es macht keinen Sinn. Ich bin im Amnesia-Universum gelandet. Keine Ahnung, wie das passiert ist … eigentlich sollte es gar nicht möglich sein. Aber es ist passiert, irgendwie. Ich bin auf Ukyo getroffen, ich lebe sogar mit ihm zusammen. Der wahre Ukyo, live und in Farbe! Er ist echt! Ein realer Mensch. Ich weiß wirklich nicht, wie das möglich ist.

Ich fühle mit »mir«. Wie es aussieht, hat mein Vorgänger-Ich so ziemlich dieselbe Erfahrung wie ich gemacht. Was das Herkommen anbelangt. Das beantwortet die erste Frage, ob mein anderes Ich ebenfalls aus der realen Welt stammt. Scheint so zu sein.

Wie soll ich anfangen?, schreibt sie weiter. Der Anfang ist ziemlich verschwommen. Ich bin am 1. Oktober hier gelandet. Ich habe keine wirkliche Erinnerung an das, was passiert ist und wie es passiert ist. Es habe an dem Tag geregnet, schildert sie, und Ukyo fand sie bewusstlos unter einer Brücke liegend. Als sie das erste Mal zu sich kam, war sie in einer fremden Wohnung. Ukyos Apartment. Sie litt unter sehr hohem Fieber und war für ganze drei Tage bettlägerig. Ich habe nicht viel von dieser Zeit mitbekommen, schreibt sie. Laut Ukyo war ich immer mal wach, aber ich erinnere mich kaum an diese Momente. Erst am 4. Oktober realisierte sie, was los war. Ich habe das alles für einen Traum gehalten, ziemlich lange sogar. Aber inzwischen … weiß ich, dass es nicht so ist.

Es ist alles real. Ich habe mich auf viele Weisen davon überzeugt. Das hier ist kein Traum! Ich bin wirklich hier. Alles ist echt!

Sie schreibt in den nächsten Zeilen, dass Ukyo stets nett und zuvorkommend zu ihr ist. Da sie ihm nicht viel zu sich sagen kann, glaubt er, dass sie unter temporärer Amnesie leiden könnte. Eine Nachwirkung vielleicht vom hohen Fieber. Er sah jedoch davon ab, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Mit genug Erholung, so seine Meinung, könnten sich die Gedächtnislücken möglicherweise ganz von selbst füllen.

Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen, schreibt sie. Ich weiß auch nicht, ob er Verdacht schöpft. Er sagt zwar, ich könne über alles mit ihm reden und er würde mir helfen, so gut er kann, aber wie käme das denn? „Hi, ich komme aus einer anderen Welt. Keine Ahnung, wie ich hergekommen bin, aber ich kenne euch alle aus einem Anime.“ Das kann ich ihm schlecht sagen. Er würde es eh nicht glauben. Ich würde mir selbst nicht glauben, wäre ich an seiner Stelle.

Aber abgesehen von Ukyo bin ich noch niemandem begegnet, lese ich dann, was mich verwundert, aber ich bin mir sicher, dass sie hier sind. In welchem Universum ich wohl bin? Am einfachsten bekäme ich das wohl im Meido heraus. Anhand von Waka lässt sich das ganz schnell ableiten. Aber soll ich Ukyo fragen, ob er mich hinbringt? Das könnte verdächtig wirken. Ich komme nachweislich nicht von hier, und Amnesie habe ich angeblich auch noch, also woher kenne ich das Meido? Ist ja nicht gerade McDonalds um die Ecke.

Ich halte einen Moment inne.

Eine Sache sticht mir ins Auge: Wie es scheint, wurde mein Vorgänger-Ich nicht in alles hineingeworfen, so wie ich. Vom ersten Moment an habe ich kämpfen müssen, fand mich nicht nur in einer fremden Umgebung wieder, sondern auch in einem ungewohnten Job und unbekannte Beziehungen. Alles prasselte auf mich ein, Schlag auf Schlag binnen weniger Tage. Doch sie ist laut Bericht seit einer Woche im Universum und hat noch niemanden getroffen bis auf Ukyo? Wie ist das …

Halt mal, mir dämmert es jetzt. Sagte man mir nicht, ich würde seit einem Monat im Café arbeiten? Wenn ich so überlege, stimmt. Laut Ukyos Aussagen leben wir schon zwei Monate zusammen, das ergibt eine signifikante Differenz zu meiner Zeit im Meido.

Das beantwortet meine Frage, alles ergibt wieder einen Sinn. Ich wende mich erneut dem Lesen zu.

Der restliche Text handelt von ihren zerwühlten Gefühlen. Sie freut sich darauf, die anderen Charaktere zu treffen. Ihre Gedanken nehmen Ausmaße eines Fangirls an, nur um in trüben Zweifeln zu münden. Sie gesteht, Angst zu haben vor dem, was ihr in dieser Welt bevorsteht. Dass sie Sorge hat, wie sie nach Hause kommen soll. Am Ende beklagt sie schlimmes Heimweh und dass sie nicht weiß, wonach sie streben soll. – Armes Ich. Ich fühle mit »mir«.

Der nächste Eintrag handelt überwiegend von den Fragen, die ich mir selbst so oft gestellt habe. Welche Möglichkeiten es gibt, dass sie in einem fiktiven Universum hatte landen können. Aus welchem Grund sie hier ist, ob und wie sie je wieder heimkehrt. Sie fragt sich, welche Auswirkungen dieser Vorfall auf ihre Welt hat. Ob die Zeit verstreicht? Ob ihr Verschwinden aufgefallen ist? Und falls sie je nach Hause zurückkommt, wo wird sie landen? Wird sie sich an das Erlebte erinnern, oder wird eine Lücke zurückbleiben?

Sie versucht, diesen Fragen mit Logik auf den Grund zu gehen. Sie stellt verschiedene Thesen auf und verwirft sie sofort wieder. Ihr Ringen macht mir deutlich, dass ihr Mari zu dem Zeitpunkt noch nicht begegnet sein kann. Wäre es so, sollten meinem Ich einige Antworten vorliegen. Für einen Moment frage ich mich, ob sie je erfahren hat, was ich heute weiß. Wie weit ist sie wohl mit ihrer Suche nach Antworten gekommen? Ich hoffe, dass dieses kleine Buch mich nicht enttäuschen wird.

Große Neuigkeiten, empfängt mich der Eintrag vom 10. Oktober und erregt meine Aufmerksamkeit. Ukyo hat gesagt, er will nach einer anderen Wohnung für uns schauen. Das Apartment sei zu klein für uns beide und er wolle mir etwas Freiraum gönnen. Naja, recht hat er ja. Ein Zimmer für zwei Personen ist schon ziemlich beengend. Aber wirklich umziehen will ich eigentlich nicht. Nicht schon wieder. Das bedeutet eine weitere Umstellung, als wäre es nicht schon schwer genug. Aber er hat vermutlich recht. Keiner weiß, wann ich nach Hause komme … Ob überhaupt. Aber ich will ihm eigentlich nicht zur Last fallen. Nur wo soll ich sonst hin?

Wow, das kommt unerwartet. Ich wusste nicht, dass Ukyo und ich bereits einmal umgezogen sind. Ich ging in der Annahme, dass sei das Apartment, in dem er … Wenn ich es so überdenke, vielleicht etwas groß für eine einzelne Person. Überhaupt ist es ein Wunder, dass er sich niedergelassen hat. Bedeutet wohl, dass er in dieser Welt seinen Platz gefunden und nach langer Zeit einen Neuanfang gewagt hat. – Das war, bevor ich hier aufgetaucht bin. Wie viele Umstände hat dieser Kerl denn noch auf sich genommen? Gott, ich bekomme ein schlechtes Gewissen, wenn ich darüber nachdenke. Ich stehe tiefer in seiner Schuld, als mir bislang bewusst war.

Sie beschreibt, dass sie viel mit Ukyo gesprochen hat. Sie befragte ihn scheinheilig zu seiner Person, was er so macht und warum er all die Mühe auf sich nimmt. Er erzählte von seiner Tätigkeit als Fotograf und zeigte ihr einige seiner geschossenen Fotos. An dem Tag waren sie sich näher gekommen und mein Ich sah positiv der Zukunft entgegen.

Ich überfliege die nächsten Einträge bis zum 13. Oktober, der mir interessant erscheint. Ich hatte einen seltsamen Traum, schreibt sie da. Eigentlich war er sehr unspektakulär. Ich weiß nicht, was ich ursprünglich geträumt habe, aber ich erinnere mich sehr deutlich an ein Mädchen am Ende des Traumes, das vor mir gestanden hat. Sie war sehr jung, eigentlich noch ein Kind, hatte weiße Seitenzöpfe und kristallblaue Augen. Sie stand einfach nur vor mir und wollte wohl etwas sagen, konnte es aber nicht. Vielleicht erinnere ich mich auch einfach nicht mehr daran. Es war ein seltsamer Traum, aussagelos, aber er ist mir sehr deutlich in Erinnerung geblieben. Warum auch immer.

Bei mir klickt’s. Das Mädchen, das sie beschreibt, ist ohne Zweifel Mari. Das bedeutet, dass sie an dem Tag zum ersten Mal Kontakt zu meinem Vorgänger-Ich aufgenommen hat. Es freut mich einerseits, ärgert mich jedoch gleichzeitig, da er nichts weiter zur Folge hat. Zu blöd, denn der Rest des Eintrags besteht nur aus Alltagserzählung, wie die letzten zuvor auch.

Ich stutze, als der nächste Eintrag mit dem 17. Oktober datiert ist. Ich habe mir die Hand verletzt, beginnt sie hier, deswegen konnte ich die letzten Tage nicht schreiben. Es tut noch ein wenig weh, aber es ist schon besser geworden. Möglich, dass ich heute öfter pausieren muss. Ich entnehme den Zeilen, dass sich mein Ich drei Tage zuvor schlimm in die Handfläche geschnitten hat. Es sei ein langer Schnitt gewesen und habe geblutet wie Sau. Ukyo musste ihr die Hand verbinden. Der Verband sei nervig, aber nicht hinderlich. Sie hoffte nur, dass keine Narbe zurückbleiben wird, wobei der sie vielleicht nach ihrer Rückkehr an diesen Vorfall erinnern würde.

Unwillkürlich werfe ich einen prüfenden Blick in meine rechte Hand. Ich halte Ausschau nach einer Narbe oder etwas Ähnlichem, das Hinweis auf diesen Unfall geben könnte. Doch ich entdecke nichts dergleichen. Im Nachhinein erscheint mir der Gedanke absurd, wir könnten denselben Körper teilen. Das wäre etwas zu viel des Guten. Ich verwerfe ihn sofort wieder.

Heute waren wir im Meido, lese ich weiter und mein Herz macht einen Hüpfer. Ukyo hat mir versprochen, dass er mich mitnimmt, wenn es mir mit der Hand wieder besser geht. Mit seinen Worten wollte er mir „einen schönen Ort“ zeigen, an dem er gern Zeit verbringt. Das würde mich aufheitern, meinte er. Oh, wenn er nur wüsste, wie sehr es das tut! Ich habe so oft überlegt, wie ich ihn fragen soll, und nun kam er ganz von selbst darauf.

Ich habe Ikki gesehen und Mine, schwärmt sie. Leider konnte ich nicht wirklich mit einem von ihnen reden. Gott, Ikki sieht so gut aus in seiner Butler-Uniform! In real noch mehr als im Anime oder im Spiel. Ich habe nur heimlich gewagt, ihn anzusehen. Sicher ist sicher. Gott, ich hoffe, wir werden öfter im Meido vorbeischauen! Ich will ihn unbedingt wiedersehen und vielleicht mal etwas mehr mit ihm sprechen. Sofern ich mich traue.

Sie erkennt daraufhin, dass sie sich im Spadeverse befinden muss. Waka habe Ukyo begrüßt und sei zu den anderen sehr schroff gewesen. Daran habe sie es bemerkt. Einerseits freut sie das, andererseits muss Ikki dann mit der Heroine zusammen sein. Sie habe sie nicht gesehen. Im nächsten Satz zweifelt sie, dass dies hoffentlich nicht das Bad Ending sei, in dem sich die beiden getrennt haben und die Heroine zu ihrem Vater gezogen ist. Aber Ikki habe nicht so gewirkt, als sei ihm ein solches Schicksal widerfahren. Ein Grund mehr, warum sie gern wiederkommen möchte.

Die folgenden Einträge sind wesentlich kürzer. Ich vermute, dass dies der anhaltenden Verletzung geschuldet ist. Mein Ich schreibt jetzt häufiger über Ikki und dass sie hofft, noch den anderen zu begegnen. Hier und da ringt sie mit Zweifeln, ob das, was sie tut und begehrt, wirklich das Richtige ist. Ich gehöre hier nicht her, schreibt sie immer wieder, und dass sie lieber nach Antworten und Lösungen suchen sollte. Doch ich weiß nicht, wie. Ist es falsch, dass ich diesen Traum noch ein wenig länger träumen will?

So viel ich auch lese, etwas wirklich Neues gewinne ich nicht daraus. In keinem der folgenden Berichte taucht Mari auf. Ich lese immer nur dieselben Fragen, erfahre wiederkehrende Zweifel, erlebe ein wenig Alltag. Ich freue mich für »mich«, als sie beschreibt, wie sie und Ukyo in der Stadt bummeln waren auf der Suche nach einem gemeinsamen Laptop. Es folgte ein zweiter Besuch im Meido, der noch ereignisloser war als der erste. Antworten finde ich keine.

Ich blättere durch die Seiten, gezielt auf der Suche nach einem kleinen Mädchen oder der Erwähnung bestimmter Namen. Erst am 24.Oktober stoppe ich wieder, als direkt der Satz fällt, dass Ukyo eine Überraschung für »mich« habe. Ich werde im Meido arbeiten!, heißt es. Ukyo hat wohl mit Waka gesprochen und gefragt, ob er mich nehmen würde. Er ist der Meinung, dass mir etwas Ablenkung und eine Aufgabe gut täten. Wir brauchen zudem etwas Geld für die neue Wohnung. Meinetwegen, nur zu gerne! Übermorgen schon soll es losgehen mit einer Testwoche. Ich bin so wahnsinnig aufgeregt! Zu blöd, dass ich nicht über Amnesia recherchieren kann. Ich habe es versucht, aber die Suchmaschine spuckt nichts aus. Als gäbe es das nicht. Ich würde mich zu gern auf die Arbeit vorbereiten, aber ich erinnere mich fast gar nicht, was das Meido so im Sortiment hat. Bis auf das handgemachte Maid-Parfait, haha. Ich werde dastehen wie ein blutiger Anfänger. Naja, offiziell bin ich das auch. Wird schon schiefgehen.

Bis auf langes Fangirling folgt nichts mehr groß in diesem Eintrag. Auch die nächsten beiden sind wenig ereignisreich und enthalten nichts, was mich weiterbringt. Erst am besagten 26. Oktober wird es wieder interessant.

Heute war mein erster Tag im Meido, schreibt sie. Es war schrecklich. Waka war sehr schroff zu mir und hat mich behandelt, als sei ich eine Festangestellte, die den Job schon ewig macht. Ich wurde eine Stunde lang unterwiesen, dass der Kunde der Feind ist und wir eine Schlacht gegen ihn zu schlagen haben. Er hat mir gezeigt, wie ich mich zu verhalten und zu bewegen habe. Die Speisekarte ist ab heute meine Kriegswaffe. Ich soll mich erstmal in der Begrüßung und Verabschiedung der Kunden üben. Sawa ist mein Mentor, wenigstens etwas Gutes.

Sie schreibt, dass außerdem Ikki da war. Er konnte sich nicht an sie als Kundin erinnern, habe sie aber freundlich willkommen geheißen und seine Hilfe bei Fragen angeboten. Wirklich gesprochen hätten sie nicht, da Ikki ständig eingebunden war und sie an Sawas Seite bleiben musste. Schade, bedauert sie, aber wenigstens wird es nicht das letzte Mal sein, dass ich ihn gesehen habe. Ich darf die ganze Woche im Meido arbeiten. Bestimmt lerne ich auch bald die anderen kennen. Ich kann es kaum erwarten!

Morgen soll ich den ganzen Tag nur beobachten, ab Mittwoch bediene ich richtig. Ich sollte vielleicht anfangen, die Speisekarte auswendig zu lernen. Und einen Kimono zu binden.

Kurz erwähnt sie noch, dass der Fanclub zu Feierabend im Café gewesen sei. Inklusive Rika, welche die Mädels im Griff hatte. Sie hätten Ikki von der Arbeit abgeholt und es habe so gewirkt, als hätte Rika »mich« auffällig gemustert. Als neue Angestellte fällt man wohl auf, scherzt sie bitter. Allerdings kann ich auf diese Art von Aufmerksamkeit verzichten. Rika ist mir nicht geheuer, man denke nur an das Spiel.

Alles Weitere handelt ebenso von ihrer Arbeit im Meido und wie sie mit Ukyo am Abend darüber gesprochen hat. Auch der nächste Tag berichtet durchweg davon, wobei sie gesteht: Es war zwar mein Job, die beiden zu beobachten, aber ich glaube, ich habe es nicht immer im Sinne der Arbeit getan.

Die Rede ist von Ikki und Hanna, der Heroine, der sie heute zum ersten Mal begegnet ist. Es war komisch, ihr gegenüberzustehen, heißt es, aber an sich war sie ganz nett. Allerdings fernab von den netten Gesprächen hinter dem Tresen, habe es Momente gegeben, in denen sie in Ikkis Gegenwart verhalten gewirkt habe. Ich kann es nicht recht beschreiben, erklärt sie, aber es war nicht das, wie man sich ein glückliches Paar auf Arbeit vorstellt. Die beiden haben kaum miteinander gesprochen, und wenn, dann war es irgendwie … angespannt. Sie haben einander kaum in die Augen gesehen. Ich meine, ich kaufe ja ab, dass Hanna eventuell schüchtern ist. Aber dass sich Ikki auf Arbeit zurückhalten würde? Das ist nicht, wie ich es aus dem Spiel kenne. Es wirkte eher so, als versuchten sie einander aus dem Weg zu gehen, und sich doch nicht zu schneiden, indem sie einander ignorieren. Ob es wohl zwischen ihnen kriselt? Vielleicht haben sie Streit, soll ja vorkommen. Ich sollte mich da besser nicht reinhängen, aber … ich mache mir schon dezent Sorgen.

Oh wie, wenn sie nur wüsste. Aber vermutlich kann es nicht lange dauern, bis im Tagebuch die Wahrheit ans Licht kommt. Es tut mir leid für mein Vorgänger-Ich, dabei trifft mich die Trennung der beiden nicht minder. Wie konnte es nur dazu kommen, frage ich mich.

Der nächste Tag wird als nervig beschrieben. Shin, erklärt sie, ist ein Idiot. Ein riesengroßer Vollidiot! Ich dachte ja erst, dass er es gut mit mir meint – von wegen! Er korrigiert mich immer, wenn ich etwas falsch ausspreche, und er kritisiert als Einziger, dass ich die Bestellungen in Lateinschrift notiere. Er sagt, ich solle Kanji lernen und mich gefälligst mit der Sprache auseinandersetzen, wenn ich schon hier arbeite. Und wer in einem fremden Land arbeitet, geht nicht mehr als Tourist durch. Hakt’s bei dem? Als ob das so einfach wäre! Aber bitte, wenn er’s so will. Der soll mich mal nicht unterschätzen!

Danach schreibt sie einige Sätze in Kana, wohl rein aus Protest. Sie sind sehr einfach formuliert, auf Grundschulniveau. Die Zeichen sehen furchtbar aus, ungeübt und schluderig, aber ich kann es entziffern. Mittendrin wechselt sie zurück auf Lateinschrift, schreibt aber weiterhin Japanisch. Da fällt mir zum ersten Mal auf, dass ich bewusst in den Schriftsprachen wechseln kann. Wann habe ich das gelernt?

Der Rest des Eintrages handelt weiter von der Arbeit. Sie schreibt, dass Toma ihren Namen anfangs falsch verstanden und sie Chiisana genannt hat. Es war lustig, schreibt sie. Wir haben sehr darüber gelacht. Er meint, er will es beibehalten, weil es ihm eh nachhängen wird. Shin hält das für bescheuert, aber es ist auf jeden Fall ein guter Insider.

Ich überfliege den nächsten Tag flüchtig, der viel von ihren Fortschritten im Meido handelt. Vieles ist in Kana geschrieben, zwischendrin wechselt sie immer mal wieder auf Romaji. Deutsch finde ich nur noch in Ausnahmefällen vor. Ich schmunzle über die Entwicklung und empfinde so etwas wie Stolz auf mich selbst. Ein komisches Gefühl, immerhin ist es nicht meine eigene Leistung. Nicht direkt zumindest.

Am 30. Oktober schildert sie, dass sie endlich vernünftig mit Ikki gesprochen habe. Er hat mich für meine Fortschritte gelobt, schwärmt sie, und gefragt, ob ich nach der Woche gedenke zu bleiben. Natürlich würde ich das gern, sofern Waka mich lässt. Ich bin ihnen endlich so nah, das möchte ich nicht aufgeben. Wozu sonst bin ich dann noch in dieser Welt? Ikki jedenfalls sähe ihre Chancen positiv. Eine europäische Maid brächte neuen Wind in ihr Café. Waka würde das sicherlich nicht zu verkennen wissen. Und während er das gesagt hat, schreibt sie, haben wir uns für einen Moment in die Augen gesehen. Nur kurz, aber ich habe in diesem Moment gemerkt, dass seine Augen auf mich wirken. Ich hatte plötzlich ganz wildes Herzklopfen und … Ich weiß nicht, was ich wollte, aber Ikki hat die Situation gerettet. Er hat sich entschuldigt und gemeint, dass ich in seiner Nähe aufpassen soll. Er dachte wohl, ich würde ihm das mit den Augen nicht glauben, aber ich weiß, was er meint. Armer Kerl, und armes Ich. Das kann ja noch heiter werden.

Ein Klopfen an der Tür lässt mich hochfahren. Sofort klappe ich das Buch zu und schiebe es unter das Kissen, als ich Orions zaghaftes Rufen mit einem „Komm rein“ beantworte.

„Du bist noch hier? Sagtest du nicht, du bist noch mit Ikki verabredet?“

„Ja“, bestätige ich, „aber erst zu um drei. Wieso? Wie spät ist es denn?“

„Als ich eben auf die Uhr gesehen habe, dreiviertel zwei.“

„Was?!“, schrecke ich hoch und suche nach meinem Handy. Dem Display entnehme ich die Anzeige von 13:47 Uhr. „Oh Mist, ich muss mich fertig machen! Ich hab‘ die Zeit ganz vergessen!“

In Windeseile wirble ich an Orion vorbei, hetze einen Dank hervor und verschwinde im Badezimmer. Die Haare müssen gebürstet, gestylt und mit Haarspray fixiert werden. Ein schnelles Make-up muss genügen, ich verzichte auf unnötigen Schnickschnack. Prüfend werfe ich einen Blick auf meinen Hals, die blauen Stellen sind noch blass zu erkennen. Ich werde nicht umhin kommen, das Halstuch zu tragen. Bald werde ich es weglassen können.

Abschließend noch etwas Duft ins Dekolleté, eine letzte Musterung im Spiegel, fertig. Ich bin ganz zufrieden mit mir und kann mich so aus dem Haus trauen. Puh, mein Herz, beruhig dich wieder. Es wird alles gut.

 

Gehetzt sehe ich von Handy und Straße hin und her. Laut Google Maps ist es noch eine Kreuzung, dann bin ich da. Mir bleiben knappe fünf Minuten, das sollte zu schaffen sein. Hoffentlich bin ich nicht zu spät.

Ich stehe schließlich vor einem großen Einkaufscenter. Überrascht stelle ich fest, dass es dasselbe ist, in das ich mich damals bei meiner Hetzjagd nach Orion verirrt hatte. Hier habe ich auch Shins Geburtstagsgeschenk gekauft. Lustig, wie klein die Welt ist. Selbst in einer Stadt wie Tokyo.

Nach etwas Umsehen entdecke ich ein Schild, das mich fürs Kino auf die zweite Etage verweist. Hm, okay. Und nun? Ikki und ich haben ausgemacht, dass wir uns vor dem Kino treffen. Bezieht sich das auf direkt davor oder draußen vor dem Center? Was tun?

Ich entscheide, die Rolltreppe zu nehmen. Am Eingang ist so viel Betrieb, dass es an ein Wunder grenzen würde, wenn wir uns dort finden. Auf kleinerem Raum ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher. Ikki hätte zudem betont, wenn unser Treffpunkt ein anderer wäre, oder nicht? Selbst wenn ich mich irren sollte, im Zweifelsfall gibt es ja Handys.

„Hier drüben“, höre ich die vertraute Stimme, bevor ich ihre Person dazu ausmachen kann. Ich entdecke Ikki ein paar Schritte rechts von mir, in seiner gewohnten Aufmachung und mit aufgesetzter Sonnenbrille. Binnen Sekunden ist er bei mir und empfängt mich mit einem Lächeln. „Du hast dich hergefunden. War es schwer für dich zu finden?“

Ich atme erleichtert aus. „Nein, dank Internet war es ganz einfach“, sage ich und erwidere das Lächeln. „Ich hatte etwas Sorge, dich nicht zu finden. Ich wusste nicht, dass sich ein Kino mitten im Einkaufscenter befindet.“

„Hätte ich dich besser von zu Hause abholen sollen?“

„Ist schon okay“, meine ich zuversichtlich. „Wir haben uns ja gefunden. Also, sollen wir schon die Karten holen?“

Seine Mundwinkel heben sich triumphierend. Er präsentiert mir zwei längliche Tickets, mit denen er verspielt durch die Luft wedelt. „Es bot sich an, also habe ich vorweggegriffen. Die Vorstellung findet in Saal Zwei statt. Uns bleiben noch zehn Minuten bis dahin.“

„Oh, bin ich so spät dran? Das tut mir leid.“ Ich ziehe meine Tasche über die Schulter nach vorn und beginne darin zu kramen. Rasch ertaste ich den rauen Stoff meiner Geldbörse und zücke sie hervor. „Was bekommst du von mir?“

Er schüttelt den Kopf. „Nicht nötig.“

„Aber …“

„Es ist eine Einladung“, betont er und lässt die Hand sinken. „Richtig? Wir haben vereinbart, dass ich dir noch etwas schuldig bin.“

Ich verstehe nicht, wovon er spricht. Welche Schuld auch immer er meint, sie kann nur mit meinem Vorgänger-Ich zu tun haben. Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als es zu akzeptieren.

„Das geht nicht“, protestiere ich dennoch. „Das kann ich nicht annehmen. Die Karten hier sind nicht gerade billig. So war das sicher nicht vereinbart.“

„Nun ja“, argumentiert er, „es ist mitunter das Beste, was ich dir in Anbetracht unserer vereinbarten Bedingungen bieten kann. Ein Kinobesuch ist unverfänglich, öffentlich und unterhaltsam. Kollegen können sich ohne Probleme gemeinsam einen Film ansehen. Zu zweit macht es außerdem mehr Spaß, oder bist du anderer Meinung?“

Ich hasse es, dass ich ihm nicht widersprechen kann. „Nein …“

„Na also“, lächelt er zufrieden. „Dann lass mich mein Versprechen hiermit einlösen. Ich habe dir versprochen, die Zeit wieder wettzumachen, die du in mich investiert hast. Du sollst keine Minute bereuen.“

In einer deutlichen Geste reicht er mir eine der beiden Karten. Ich gebe jeden Widerstand auf, seufze kapitulierend und nehme sie an mich. Dieses eine Mal, so rede ich mir ein, kann ich es ihm durchgehen lassen. Ausnahmsweise.

Auf unserem Weg zum Filmsaal lasse ich meinen Blick aufmerksam durch die Gegend schweifen. Ich inspiziere jede Ecke, jeden Winkel, auf der Suche nach versteckten Zuschauern. Der Gedanke, von jemandem aus Ikkis Fanclub beobachtet zu werden, behagt mir nicht. Doch zu meiner Erleichterung sehe ich niemand Verdächtiges. Jeder verhält sich normal, niemand hat ein Auge auf meine Begleitung oder zeigt sonst auffälliges Interesse. Ich wage erleichtert auszuatmen. Keine Gefahr, fürs Erste.

Der Saal ist kleiner, als erwartet. Er ist weder sehr breit, noch sehr hoch. Ich schätze sieben Reihen mit um die zehn Plätze jeweils. Knapp die Hälfte ist mit Zuschauern besetzt, welche noch angeregt knabbern und plaudern. Wir suchen uns eine möglichst freie Reihe und nehmen etwa mittig Platz. Mir gefällt, wie sauber und bequem die Sitze wirken. Ich werde nicht um diesen Eindruck betrogen, als ich mich in das blaue Polster sinken lasse.

Wir unterhalten uns über Unverfängliches, bis das Licht sich dimmt und der Film beginnt. Ich behalte die Arme an meinem Körper, locker vor meinem Bauch verschränkt. Es böte sich an, aber ich will es zu keiner klischeehaften Berührung kommen lassen. Nicht dass ich davon ausgehe, Ikki könnte irgendwas versuchen … Nein, das würde er ganz sicher nicht. Das hier ist kein Date, ich bin nicht seine Freundin.

Der Gedanke lässt mich vorsichtig zu Ikki schielen. Er sitzt ganz entspannt auf seinem Platz, ein Bein lässig überschlagen, den Blick auf die Leinwand gerichtet. Er scheint mich nicht zu beachten.

Irgendwie bin ich erleichtert. Für die nächsten knapp zwei Stunden darf ich in nächster Nähe zu ihm sein, ohne mir irgendwelche Gedanken machen zu müssen, wie ich mich gebe oder was er von mir hält. Ich kann ihn ansehen und mich an seiner bloßen Gegenwart erfreuen. Mehr brauche ich nicht, es ist Wunder genug.

Ich lächle bei dem Gedanken. Ikki, der mein liebster Charakter in »Amnesia« war, sitzt direkt neben mir. Uns trennt keine halbe Armlänge. Es ist etwas anderes, als im Meido zusammen zu arbeiten. Hier verbringen wir bewusst Zeit miteinander. Uns stehen alle Möglichkeiten offen, zu reden und einander besser kennenzulernen. Ich will diese Zeit so gut es geht genießen. Ich will sie nutzen und dabei so mutig sein, wie ich mich traue.

Wenn da nur diese Sache mit seinen Augen nicht wäre. Wie gern würde ich nach seiner Brille greifen, ihm die dunklen Gläser abnehmen und nur einmal, außerhalb von Bildern, in sein offenes Gesicht und diese blauen …

Ich sah zu ihm auf. Sein aufmerksamer Blick ruhte auf mir. Das fahle Licht der Straßenlaterne war zu weit entfernt, um hinter seine Sonnenbrille sehen zu können. Ob er wohl traurig war? Ob sein Lächeln ehrlich war nach solch bedeutsamen Worten? Es war nicht zu erkennen, welcher Ausdruck hinter diesen dunklen Gläsern lag.

Ich überlegte einen Moment, wägte die Optionen ab. Dann, entschieden, hob ich beide Hände und streckte sie seinem Gesicht entgegen.

„Nicht“, sagte er sanft und fing mein Vorhaben auf. Kühl, dank seiner seidenen Handschuhe, umfasste er meine Handgelenke und drückte sie langsam nach unten. „Tu’s nicht“, drang sein Flüstern wie ein Flehen. „Es könnte den Moment zerstören. Bislang gab es nur eine Frau, die meinen Augen widerstehen konnte. Ich möchte nicht noch etwas Wertvolles verlieren.“

Ich spürte den Trotz wie ein kleines Kind in meinem Hirn aufstampfen, doch rang ihn nieder. Für einen kurzen Moment überdachte ich seine Worte, von denen ich wusste, dass sie wahr waren. Der Zauber seiner Augen war mächtig, das hatte ich eigens zu spüren bekommen. Und doch, obgleich meines Wissens …

Ich lächelte besänftigend. „… …“

Er sagte nichts. Unsere Blicke verschmolzen ineinander.

Ich wagte einen zweiten Versuch. Dieses Mal bekamen meine Finger die schmalen Bügel zu fassen. Die Barriere liftete sich, als ich ihm die Brille aus dem Gesicht hob. Klare, blaue Augen suchten nach mir in der Dunkelheit. In ihnen erkannte ich einen Ausdruck von Sorge und leuchtender Neugier.

„Hm? Was ist?“

Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Im nächsten Moment überkommt mich ein Gefühl von Schwindel und drückender Benommenheit, wie ich es schon kenne. Ich weiß augenblicklich, was los ist. Das eben war eine dieser Erinnerungen, wie Mari mir erklärt hat. Schon wieder.

„Nichts“, sage ich schnell und wende den Blick von ihm ab. Meine Wangen brennen bei der Vorstellung, wie ich Ikki die ganze Zeit angestarrt haben muss. Für wie lange? Gott, hoffentlich denkt er jetzt nichts Falsches von mir!

Ikki sagt nichts. Ich weiß nicht, was sich auf seiner Seite abspielt. Ich wage auch nicht, zu ihm zu sehen und es herauszufinden. Gott, das ist ja so peinlich!

 

Nach der Vorführung hat sich meine Nervosität verflüchtigt. Der Film war gut gewesen, lustig mit spannend-emotionaler Handlung. Ich fühle mich gut, als ich mit Ikki den Gang durchquere, der uns aus dem Kinobereich hinausführt. Wir unterhalten uns angeregt.

„Es ist noch jung am Tag“, bekundet er, kaum dass wir vor dem Einkaufscenter stehen. Offen wendet er sich mir zu. „Wollen wir noch etwas unternehmen? Ich kenne einen Ort, zu dem ich dich sehr gern mitnehmen würde. Sofern du es möchtest.“

Ich werfe einen verstohlenen Blick auf mein Handy. Es ist erst kurz nach fünf, auch wenn der nächtliche Himmel und die helle Straßenbeleuchtung etwas anderes sagen. Müde bin ich nicht und wirklich gewillt, meine Zeit mit ihm jetzt schon zu beenden, ebenfalls nicht.

„Na klar“, sage ich und stecke das Handy zurück. „Wieso nicht? Was schwebt dir denn vor?“

„Das verrate ich nicht. Noch nicht“, meint er geheimnisvoll und dreht sich von mir ab. „Lass dich überraschen. Komm mit, hier entlang.“

Obwohl mir unwohl ist bei seiner Geheimniskrämerei, lasse ich mir die Richtung weisen. Wir gehen einige Zeit und folgen den rege belaufenen Straßen. Derweil reden wir über den Film, besprechen die Handlung und wichtigsten Szenen und wie sie uns gefallen haben. Wir sind uns einig, dass das Idol-Thema sehr klischeebehaftet war, trotzdem packend umgesetzt. Die Schauspieler haben einen guten Job gemacht und waren für ihre Rollen top gewählt. Die Tanzchoreographien haben mich besonders beeindruckt, am meisten die letzte. Ichfühlte mich ein wenig an Step Up erinnert.

Nach einiger Zeit verlassen wir den Menschenstrom und biegen auf eine ruhigere Straße ab. Ikki geht nicht auf meine Bemühungen ein, ihm unser Ziel zu entlocken. Er wiederholt lediglich, dass es eine Überraschung sei und erbittet mein Vertrauen. Dem kann ich nichts entgegensetzen.

Unser Weg führt uns zu einer Art Marktplatz, wo vermehrt Passanten die Straßen beleben. Ikki führt mich durch das Zentrum voran, bis er in einen Seitengabelung lenkt. Wenige Schritte weiter stehen wir vor einem Laden, der mir nie im Leben aufgefallen wäre. Vom Gehweg aus ist nicht zu erkennen, worum es sich handelt. Das graue Gemäuer ist unauffällig, mit hoch liegenden Fenstern, und wirkt alt. Ich folge Ikki die drei Stufen hinauf und bemerke an der Wand ein Schild, nicht größer als A4, dem ich den Namen »Ham-Ham Cake« entnehme. Darunter ziert als Logo ein breites, braunes Hamstergesicht mit großen, kindlichen Leuchtaugen und rosa Donut-Ohren, wie ich vermute.

‚Eine Bäckerei‘, schlussfolgere ich. Oder eine Konditorei oder ein Süßwarengeschäft. Was könnte Ikki hier mit mir wollen? Mit dieser Frage im Kopf betreten wir das Geschäft, begleitet von einem kühlen Glockenläuten.

 

„Seid willkommen, verehrter Gast“, werden wir von einer Frau begrüßt, heiser und dezent rau in der Stimme. Nach etwas Suchen entdecke ich sie hinter dem kurzen Tresen: eine kleine, unscheinbare Gestalt in weißer Schürze mit schwarzem Haar, welches sie unter einem sonnengelben Haarband zu einem geraden Bobschnitt trägt. Weiche Falten auf ihrer flachen Stirn und um die schlitzigen Augen verraten ihr fortgeschrittenes Alter.

Sie lächelt uns zu. „Wie darf ich zu Diensten sein?“

„Wir sind hoffentlich nicht zu spät“, eröffnet Ikki höflich und tritt zu ihr an den Tresen heran. „Wir sind hier für Ihr Spezialangebot. Steht es noch zur Verfügung?“

„Aber natürlich“, entgegnet sie freundlich, wodurch auf ihren vollen Wangen kleine Grübchen entstehen. „Unser Service gilt den ganzen Tag, bis wir schließen. Bitte warten Sie einen Moment. Mein Sohn wird Ihnen gleich alles zeigen.“

„Weißt du, wo wir sind?“, wendet sich Ikki an mich, während wir auf die Frau warten, die in einem angrenzenden Nebenraum verschwunden ist.

Ich sehe zu ihm und schüttle den Kopf. „Nein.“

„Nicht, hm?“, wiederholt er abwägend. Darauf strafft er die Haltung und entspannt seine Züge zu einem nachsichtigen Lächeln. „Das dachte ich mir fast. Wie solltest du ihn auch kennen? Der Laden ist ein kleiner Geheimtipp. Du wirst gleich sehen, warum. Die wenigsten wissen, dass die Stadt so einen hat.“

Jetzt macht er mich neugierig. Was habe ich von einem Ort zu erwarten, der so unauffällig und wenig einladend wie dieser ist? Ich möchte es wissen, schon Ikki zuliebe.

Wenig später kehrt die Frau in Begleitung eines jungen Mannes zurück. Er wird uns als Taka vorgestellt, ich schätze ihn nicht älter als Mitte Dreißig. Wie die Frau trägt er komplett Weiß samt Schürze, plus ein logobedrucktes Schweißband um den Kopf. Unter seiner Führung verlassen wir den engen Verkaufsraum, der neben nackten Kuchenböden und farblosem Trockengebäck nichts Großes zu bieten hat.

Wir betreten denselben Raum, aus dem er gekommen war. Kaum über die Türschwelle, empfängt uns ein süßer Duft von frischen Kuchenteigen. Aus dem hinteren Bereich ist das Surren und Rattern arbeitender Maschinen zu hören. Eindeutig eine Backstube, doch bis auf Geruch und Akustik erinnert wenig daran. Alles ist viel bunter, dekorierter und erstaunlich aufgeräumt. Kein Vergleich zu dem langweiligen Verkaufsraum, der nicht die geringste Erwartung zu erwecken vermochte.

Mittig der Stube, etwa so groß wie eine Zweiergarage mit hohen Decken, erkenne ich ein Buffet mit allerlei Schüsseln, Schalen, Tuben und Flaschen darauf. Entlang des ganzen Raumes zäumt eine einzige, ununterbrochene weiße Arbeitsfläche, so scheint es. An ihr erkenne ich nur eine weitere Gruppe, bestehend aus drei Jungen. Unter Plaudern und Feixen scheinen sie mir fleißig am Werkeln zu sein.

Der Mann erklärt, dass er uns gleich Schürzen und Haarnetze bringen wird, derweil dürfen wir die ausliegenden Menükarten studieren. Darauf verschwindet er in einem hinteren Bereich der Stube.

„Was machen wir jetzt genau?“, richte ich mich an Ikki und besehe ihn fragend.

„Hier können die Kunden ihre eigenen Kuchen gestalten“, klärt er mich auf. Lächelnd setzt er fort: „Ich dachte, da wir bereits Übung darin haben, wäre es ein geeigneter Ausklang für den Tag. Und das Beste: Wir machen es nicht für die Kunden, sondern für uns.“

Seine Worte lassen mich grinsen. „Wohl wahr. Dieses Mal kann ich mich selbst vergiften“, scherze ich.

„Ich fand deinen Kuchen gut. Du hast immerhin gewonnen.“

„Erinnere mich nicht daran“, winke ich ab. Neugierig greife ich die Karte, die beidseitig bedruckt und laminiert ist, und überfliege ihren Inhalt.

„Bitte sehr“, unterbricht mich der Mann und reicht uns je Schürze und Haarnetz. „Haben Sie schon etwas gewählt?“

„Ich nehme, was immer die Dame sich aussucht“, antwortet Ikki und ich spüre seinen Blick auf mir.

„Mh, den Ham-Ham Doppel-Mix würde ich wohl nehmen“, entscheide ich nach kurzem Bedenken und zeige mit dem Finger auf meine Wahl. Das Menü enthält je zwei Plunder- und Brandteigstücke, zwei Muffins und Donuts. „Damit kenne ich mich einigermaßen aus“, erkläre ich.

„Für mich dasselbe“, ergänzt Ikki, worauf sich der Mann verneigt und abermals verschwindet. Derweil waschen wir an einem Becken die Hände und legen die Schürzen an. Er verzichtet auf das Haarnetz, ich hingegen nutze es vorsichtshalber für meine offenen Haare. Ich will nicht, dass sie mir im Weg sind und ich sie am Ende mit irgendwas vollschmiere.

„Warte, ich helfe dir“, bietet sich Ikki an, da mir das Überziehen ohne Spiegel Schwierigkeiten bereitet. Mit seiner Hilfe geht es leichter und die langen Zotteln sind sicher, wenn auch wenig ansehnlich verpackt.

„Woher kennst du den Laden? Warst du schon mal hier?“, frage ich später, während wir am Buffet stehen und die Auswahl an Füllungen, Überzügen und Dekorationen in Augenschein nehmen.

„Ja“, antwortet er knapp. Er findet schnell, was er für seine Gebäcke verwenden will, im Gegensatz zu mir. „Erst zweimal allerdings.“

„Mit Mädchen oder mit Kento?“, hake ich nach.

Er lacht kurz auf. „Ken wäre bestimmt wenig begeistert, mit mir hier sein zu dürfen. Aber es wäre eine Überlegung wert. Das nächste Mal frage ich, ob er mich begleiten mag.“

‚Mädchen also‘, denke ich still, kremple die Ärmel zurück und trete an das Kühlfach heran, in dem Fruchterzeugnisse, Pudding und Sahne in vorgefertigten Portionsschälchen zur Verfügung stehen. Ich nehme je eines mit Kirschkonfitüre, Pudding und Sahne für meine Donuts und Eclair. Dazu erhasche ich eine Füllspritze und –tüte und kehre mit allem bepackt an meinen Platz zurück.

Als Erstes sind die Eclairs dran, die ich mit einer satten Kirschunterlage versehe. Anschließend gebe ich die Sahne sorgsam in die Spritztüte und mache mich ans Füllen. Während ich handwerkle, kreisen meine Gedanken um die Frage, ob jene Mädchen auf ein Date mit Ikki hier waren. Ob eine von ihnen Hanna war? Oder waren die Besuche noch vor ihrer Zeit gewesen?

„Ich wundere mich, dass du fragst“, spricht Ikki an meiner Seite, selbst mit seinem Tun beschäftigt.

„Wieso?“, möchte ich wissen, ohne aufzusehen.

„Ich dachte, ich hätte dir bereits davon erzählt. Eigentlich … war ich mir ziemlich sicher.“

Ich zucke zusammen. Meine Haltung verspannt sich im Reflex.

Oh Mist, hatten wir bereits ein Gespräch dieser Art? Waren wir … vielleicht schon einmal hier gewesen? Oh Gott, hoffentlich nicht! Bitte lass das nicht wahr sein! Wenn das stimmt, dann … dann habe ich mich gerade so richtig ins Fettnäpfchen gesetzt.

Ikkis Lachen holt mich in die Gegenwart zurück. Unter meinen zerfurchten Gedanken kann ich nicht festmachen, was los ist. Habe ich irgendeinen Witz verpasst?

„Halt kurz still“, weist er mich an und legt seine Arbeit beiseite. Bevor ich weiß, was er vorhat, ergreift er mein linkes Handgelenk und führt es an sich heran.

Ich realisiere unter Scham, dass ein dicker Klecks Sahne auf meinem Handrücken thront. Er entfernt sie für mich mit einem Stofftuch, wobei seine Finger warm um meine liegen. Die Berührung ist intim, irgendwie, obwohl sie so einfach ist. Ich schreibe es dem Fehlen seiner Handschuhe zu, die er sonst ausnahmslos immer trägt. Fasziniert beobachte ich sein Tun, die langen, schmalen Hände, bis die Magie viel zu schnell ihr Ende nimmt.

„Sei vorsichtiger“, rät er mir an, ein amüsiertes Schmunzeln auf den Lippen. „Wir wollen deinem Freund keinen Grund zur Eifersucht geben, weil ein anderer Mann dich berührt.“

Mir liegt eine abfällige Bemerkung auf der Zunge, doch ich verkneife sie mir. „Sorry“, sage ich stattdessen, „und danke.“ Eifrig wende ich mich wieder meiner Arbeit zu.

Während ich das zweite Eclair fülle, frage ich mich, ob Luka mir eine Szene machen würde, wenn er hiervon wüsste. Vielleicht, obwohl das hier kein richtiges Date ist. Theoretisch dürfte sich Luka nicht beschweren, wir führen keine innige Beziehung. Eigentlich gar keine, wobei er … Argh, Mist! Jetzt habe ich das Gefühl, als würde ich Luka betrügen. Dabei ist er nicht einmal mein richtiger Freund! Und meinem Freund würde das alles auch nicht gefallen. Oh nein, ganz gewiss nicht. Ach Mist, Mist! Verdammt!

Die Eclairs sind fertig, als Nächstes sind die Donuts dran. Ich streiche den Pudding in die Spritze und setze ihn abstandsmäßig in den Ring hinein. Während ich die Masse mittels Massage in dem weichen Teig verteile, gleitet mein Blick verloren zu Ikki. Er ist mit seinem Plunder beschäftigt, gerade überstreicht er die hügelige Fläche mit einem verflüssigten Aprikosengelee. Seine Handgriffe sind präzise, trotz der Sonnenbrille, die er nach wie vor trägt. Ich frage mich, ob die verdunkelte Sicht nicht hinderlich ist. In meiner Vorstellung muss es sein wie in einem Raum, dessen Fenster von Vorhängen verdeckt werden. Mich würde das sicherlich stören, aber Ikki beschwert sich nicht. Armer Kerl, und das nur, um einer kreischenden Mädchenmeute zu entgehen. Ich empfinde Mitleid für ihn.

Prüfend sehe ich mich um. Neben mir befindet sich keine Frau im Raum. Ich bin die Einzige hier. Theoretisch, wenn ich aufpasse, dann könnte er …

„Sag mal“, setze ich zögerlich an. „Bereitet dir das keine Probleme?“

„Hm?“

„Na, die Sonnenbrille“, ergänze ich. Beklommen konzentriere ich meinen Blick auf meine schaffenden Hände. „Ich stelle mir das hinderlich vor, so zu arbeiten. Wäre es nicht besser für dich, wenn du sie …“ Ich kriege den Satz nicht beendet.

Zwischen uns kehrt Stille ein. Während Sekunden verstreichen, wage ich nicht, ihn anzusehen. Wissend, welch gewagtes Spiel ich uns unterbreitet habe.

Die Brille ist der einzige Schutz, den ich vor der Macht seiner Augen habe. Ohne sie wäre eine normale Interaktion nicht möglich, das wissen wir beide. Aber ob ich nun von dunklen Gläsern abgeschirmt werde oder seinem Blick immerzu ausweichen muss … Was macht das schon für einen Unterschied? Frust und Verzicht bleiben dieselben.

Ich wünschte, es wäre anders. Wie gern würde ich wie Hanna sein und könnte ihn ansehen, wie sie ihn ansehen kann. Aber das Schicksal wollte es anders. Ich werde immer eines dieser Mädchen sein, die seinem Zauber wehrlos verfallen. Unter denen Ikki zu leiden hat.

„Dieses Risiko gehe ich nicht ein“, unterbricht Ikki meine Gedanken. Seine Stimme ist fest, seine Worte ein Flüstern. „Es ist gut, wie es ist. Ich möchte nicht noch etwas Wertvolles verlieren.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:

1. Da noch Zeit bis zu deinem Date ist, die Mail an Kento geschrieben und die Wohnung picobello, beschließt du, deine Errungenschaft aus Lukas Wohnung zu bewundern. Das Buch. Was du darin liest, siehe zusätzliche Angaben.
2. Oh Schreck, du hast soviel gelesen, dass du fast das Date vergessen hast. Schnell machst du dich fertig, googlest noch die Strecke und überlegst, ob das erwählte Outfit passend ist. Du kommst gerade noch rechtzeitig an, Ikki wartet schon auf dich. Er hat in weiser Voraussicht die Karten bereits gekauft. Er lädt dich ein und wird absolut dagegen sein, dass du deine Karte bezahlen willst.
3. Im Kino ist es schummrig, der Film ist genau nach deinem Geschmack. Du fragst dich, ob er auch Ikki gefällt, weswegen du zu ihm siehst. Er sitzt neben dir, doch wirklich etwas ausmachen an seinem Blick kannst du nicht, da er seine Sonnenbrille trägt. Just in diesem Moment hast du einen Flashback (siehe Zusatzinfos). Ikki wird merken, dass du ihn anstarrst. Lass dir einen guten Grund einfallen.
4. Nach dem Kino reden Ikki und du angeregt über den Film. Doch kaum, dass ihr draußen seid, wird Ikki etwas einfallen. Er fragt dich, ob du mit ihm noch etwas unternehmen möchtest.
Hier hast du die Wahl abzulehnen oder zuzustimmen. Ikki wird dir nicht sagen, wohin ihr geht.
5a) Wenn du zusagst, wird Ikki dich zu einem unscheinbaren Laden führen: einer Bäckerei, in der Kunden ihre Gebäckstücke selbst verzieren können. Der Laden ist ein Geheimtipp und wenig besucht. Erfülle folgende Aufgaben: nach seinen Dates hier fragen, Ikki nach Vorgabe antworten lassen, dir Sahne ins Gesicht spritzen, sie von Ikki abwischen lassen, versuchen ihm die Brille abzunehmen, woran er dich wie im Flashback hindert. Überlege final, ob du sie ihm dennoch abnimmst oder nicht.

Das Kapitel hat Spaß gemacht und mir einige neue Arbeitsmaterialien eingebracht. Nun gibt es zusätzlich einen erstellten Meido-Schichtplan, der bis in die Anfangszeit meines ersten Inserts zurückreicht. Zudem gibt es eine Timeline, die ab Ende des Spiels bis zu meinem Erscheinen greift. Das war wirklich sehr hilfreich, es ist aber längst nicht alles untergebracht.
Ich bin gespannt, ob wir noch mehr aus dem Tagebuch lesen werden. Einen geeigneten Erzählstil zu finden, war fordernd. Und, ja, so langsam kann ich keine Kuchen mehr sehen. Essen, ja, aber ich mag wirklich nicht mehr darüber schreiben. Guten Appetit. xD Komplett anzeigen

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