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Are You Sane, Baby?

von

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Schlechten Morgen! | Ryou

“Bitte warten Sie!”, rief ich in die Ferne, als der Bus schon weitergefahren war. Ich hatte heute wieder einmal verschlafen, wegen meinem üblichen Morgentief und der starken Lustlosigkeit. Und nun verpasste ich auch noch den späteren Bus…
 

Sauer kickte ich ein paar Steine und Äste auf dem Grund weg, während meine Hände in meinen Hosentaschen Platz fanden. Mein Rucksack hing an meiner linken Schulter herunter und verstärkte das Gefühl, belastet zu sein. Belastet mit allem. Mit meinen Eltern, mit der Schule, mit meinem Leben. Alles schien auf mir gelagert zu sein, und mich runter zu drücken. So, dass ich fast ersticke - aber niemals sterbe.
 

Die Sonne knallte stark vom Himmel herab und tauchte die ganze Ortschaft in eine helle, warme Stimmung. Manche waren mit ihren Hunden Gassi, andere spazierten fröhlich und bestens gelaunt in die Arbeit. Und dann war da noch ich: Ryou, der schon seit in der Früh miserabel gelaunt ist. Der Ryou, der immer müde, schwach und traurig ist. Der Ryou, der nie etwas sagt. Der nie jemanden beleidigen oder zur Last fallen könnte. Ich fühlte mich nutzlos, ungewollt und zum Leben gezwungen.
 

Einige Minuten später kam der nächste Bus, doch es war schon Viertel vor Acht. Normalerweise erwische ich zwei Busse früher; Sieben Uhr Fünfundzwanzig. Dann bin ich um Fünfundvierzig in der Schule, und habe noch genug Zeit, um die Bücher und Hefte für das erste Fach herzurichten. Für ein paar Bissen von meiner Semmel bleiben auch noch. Doch heute wird es nicht so sein: Heute werden alle mit grinsendem Blick auf mich schauen und schadenfreudig anfangen, zu flüstern. Ja, ich war ein Außenseiter. Niemand mochte den schüchternen Ryou, der sich alles gefallen lässt. Alle lachen, wenn er von den Lehrern bloßgestellt wird. Ja, alle lachen.
 

Im Bus sah ich aus dem Fenster und fing innerlich an, zu zittern. Die Hausaufgaben für Mathe hatte ich nicht gemacht und würde sicherlich deswegen Ärger kriegen. Dass ich meine Hausübungen nie mache, liegt nicht daran, dass ich dumm bin - nein. Eher daran, dass ich die meiste Zeit wie halbtot wirke. Ich liege den ganzen Tag nur in meinem Bett und frage mich, ob ich sterben könnte, wenn ich aus unserem Stockwerk springen würde.
 

Vor lauter Unachtsamkeit vergaß ich, auszusteigen und war schon zwei Stationen weiter. Innerlich fluchte ich und rannte sofort zur Tür, als sich diese dann schloß und der Bus den Weg zur dritten Station begann. “Das auch noch”, flüsterte ich verärgert und wäre am liebsten durch einen Herzinfarkt vom Schulbesuch verhindert worden.
 

Ich stieg aus und überquerte die Straße, um den Bus in die andere Richtung nehmen zu können. Als dieser kam, betrat ich ihn mit halb geschlossenen Augen - ich bin so müde… Zur Sicherheit blieb ich während der Fahrt direkt bei der Türe stehen, um sofort aussteigen zu können. Nach der dritten Station verließ ich das Verkehrsmittel und ging mit hastigen Schritten auf das Schulgebäude zu. Alle Schüler waren bereits im Unterricht, es war still.
 

Meine Beine liefen schnell die Treppen hoch, bis ich im ersten Stock vor der geschlossenen Klassenzimmertüre stand. Ich klopfte vor lauter Hektik sehr hysterisch gegen die Türe, welche mir dann von der Lehrerin geöffnet wurde. “Es tut mir Leid, ich -”, begann ich zu reden, bevor ich unterbrochen wurde. “Setz’ dich einfach”, meinte die Mathematikprofessorin und machte einen sehr gereizten Eindruck. Natürlich tat sie das - wer sieht schon gerne, dass der “faulste” Schüler auch noch zu spät kommt.
 

Gleich nachdem ich mich setzte, und meinen Rucksack neben mir abstellte, kam die dunkelhaarige Frau auf mich zu und fragte nach meinen Aufgaben. Das Geflüster der Schüler hatte bereits begonnen und gab mir - traurigerweise - die Bestätigung dafür, dass in der Klasse die übliche Stimmung herrschte.
 

Als ich daherstammelte, diese nicht gemacht zu haben, forderte sie mich sofort auf, die Gleichung an der Tafel zu lösen. “Wenn du dich so gut in Mathe auskennst, dass du Hausaufgaben für nicht nötig hältst, wirst du diese Gleichung sicher in Null Komma Nichts lösen!”, der Sarkasmus in der Stimme der Professorin war deutlich herauszuhören.
 

Miz zittrigen Beinen erhob ich mich und spürte die bohrenden Blicke meiner Mitschüler auf meinem Rücken. Sie alle erwarteten Nichts von mir. Und genau auf dieses “Nichts”, auf diese Ahnungs- und Planlosigkeit, warteten sie. Um darüber zu lachen.
 

Als ich vor der Tafel stand, nahm ich mir eine Kreide und hielt diese erst einmal eine Minute in der rechten Hand. Meine Augen musterten die Zahlen, Buchstaben, Klammern und Skizzen. In mir machte sich Panik breit - ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich auch nur anfangen sollte, diese Aufgabe zu lösen. Ich biss mir auf die Unterlippe.
 

“Setz’ dich…”, kam es immer noch gereizt von der Lehrerin. Ich tat die Kreide zurück und drehte mich um. Spottende Blicke wurden mir zugeworfen. “Schwuchtel”, kam es aus der linken Reihe. Mein Magen verkrampfte sich und ich hatte das Bedürfnis, los zu weinen. Ich war sensibel und hielt nicht viel aus. Und das machte einen sehr femininen Eindruck. Oder, wie meine Mitschüler so schön sagten: Einen schwulen Eindruck.
 

“Hat das Würstchen nicht heute Geburtstag?”, warf jemand ein. Das war richtig. Es war mir jedoch schon so egal, da sich niemand darum scherte. Keine Party, keine Torte, keine Geschenke. Wie gesagt: Ich bin nutzlos.
 

Wieder auf meinem Platz angekommen, den ich - falls noch nicht erwähnt - mit niemandem teilte, beruhigte sich mein Herzschlag allmählich wieder. Einatmen, ausatmen. Einfach einatmen, und wieder ausatmen.
 

Die Stunde endete schnell, und das Schrillen der Pausenglocke war für viele eine Erlösung. Ich trottete zu meinem Spind, auf dem ein Zettel angepickt war. Mit schwarzem Edding stand “LOSER” drauf. Wie gewohnt riss ich das Blatt Papier herunter und warf es in den Müll.

Ich öffnete den Spind und guckte auf den Stundenplan: Zwei Stunden Sport. Ich presste die Lippen zusammen und starrte auf den Plan.
 

“Mach’ Platz, Heulsuse!”, kam es von links, bevor mich jemand wegstieß. “D-du hattest genug Platz, deine Spindtüre zu öffnen…”, behauptete ich, bekam aber keine Antwort zurück. Traurig griff ich mir meine Sportsachen und schloss wieder zu.
 

Mit mulmigem Gefühl schlenderte ich den Weg zur Sporthalle, wo sich schon einige meiner Klassenkameraden versammelt hatten. Der Sportlehrer öffnete uns die Türe, worauf die Mädchen und die Jungs in die jeweiligen Kabinen verschwanden. Die Jungs in meiner Klasse waren alle muskulös gebaut, im Gegensatz zu mir und meinem schmächtigen Körperbau.
 

Bevor ich mich umzog, deckte ich meine Handgelenke mit jeweils einem Tuch ab, das ich umwickelte. Narben waren auf meinen Armen vorzufinden. Erst danach schlüpfte ich in meine Sportsachen. So frisch, wie die rochen, würde ich mich gerne auch wieder einmal fühlen; Frisch und blühend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Lunatik
2016-01-09T12:57:56+00:00 09.01.2016 13:57
Ich mochte den Prolog sehr, denn er hat trotz der Kürze geschafft sehr viel Spannung aufzubauen und an sich finde ich die Idee diese FF interessant, allerdings irritiert mich hier der Wechsel zwischen Vergangenheit/Präsens sehr. Ich weiß, dass wurde im Kommentar unter mir schon angemerkt. Ich möchte trotzdem kurz erläutern, warum es so irritierend ist (zumindest für mich):

Jede Geschichte wird von irgendjemanden/irgendwas erzählt: der "Stimme", die dem Leser die Geschichte erzählt.
In dem Fall dieses Kapitels ist es Ryou (Ich-Erzähler), der uns seine Geschichte erzählt. Er beschreibt alle Ereignisse in der Vergangenheit, was bedeutet, dass der erzählende Ryou schon alles durchlebt hat und uns seine Geschichte von einem späteren Standpunkt aus erzählt (was dieser ist, wissen wir nicht. er könnte genauso gut inzwischen tot sein, ändert aber nichts an der Tatsache, dass er der Erzähler ist). Der erzählende Ryou ist das Zukunfts-Ich des Ryous in diesem Kapitel.
Die Sätze, die in der Gegenwart formuliert sind (wie in diesem Kapitel meist die Gedanken), spielen in der Gegenwart des Erzähler-Ryous! Also schon lange nach der Geschichte.
Wenn "Der Ryou, der nie etwas sagt." da steht, bezieht sich das auf den erzählenden Ryou und nicht auf den Ryou in der Geschichte.
Alles, was in der Vergangenheit formuliert ist, gehört zur Geschichte. Alles, was in der Gegenwart formuliert ist, gehört zum Erzähler. (Das bezieht sich natürlich nur auf die narrativen Passagen und nicht direkte Rede oder ähnliches.)

Deswegen ist es sehr irritierend zu Lesen.
Ich hoffe, ich habe es verständlich erklärt. Wenn nicht, kann ich es gerne ausführlicher versuchen :) Alternativ gibt es bestimmt auch Erklärungen im Internet (unter Stichwort "Narratalogie/Erzähltheorie") ^^

Liebe Grüße
Lunatik
Von:  Yuugii
2015-07-06T00:23:02+00:00 06.07.2015 02:23
Geht ja recht spannend weiter, mir gefällt, wie hoffnungslos du alles hier darstellst und dass du es schaffst, Ryous negative Gefühle nachvollziehbar zu formulieren. Was mich allerdings stark stört, ist die wechselnde Grammatik, darauf musst du wirklich mehr achten, denn dadurch wird es schwer einen Satz flüssig zu lesen. Entweder Präsenz oder Vergangenheit, aber bitte nicht beides. Ansonsten nicht schlecht, mal sehen wie es weitergeht. :)
Antwort von:  Blaubeere20
06.07.2015 11:20
Hallo! Vielen Dank für die beiden Kommentare. Wenn ich Zeit habe, werde ich schauen, dass ich es überall ausbessere (:


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