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Last Desire Extra

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
pri_fairy bat mich mal darum, etwas aus Ezras Schulalltag zu schreiben. Tja, ehrlich gesagt hatte ich zunächst keinen Plan für ein gutes Thema in dieser Schule, aber dann fiel mir dann doch etwas ein. Der Name des Kapitels ist ja aussagekräftig genug. Es geht um Zukunftsfragen. Komplett anzeigen

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Zukunftsfragen

Der Wagen hielt knapp ein paar Meter vom Schuleingang entfernt und Ezra sah eher mit gemischten Gefühlen seinem Schulalltag entgegen. Er konnte sich Besseres vorstellen, aber es war immer noch besser als das Leben im Ghetto, was er geführt hatte. „Also ihr drei“, sagte Alicia und wandte sich damit an ihn, Sheol und Sariel. Sie hatte sich bereit erklärte, sie drei heute zur Schule zu bringen, da Nastasja früh raus musste und Elion für seine Prüfungen viel zu lernen hatte. „Ich wünsche euch einen guten Schultag. Ich hole euch dann nach der Schule ab, okay?“ „Ist gut“, murmelte Ezra und öffnete die Tür. „Danke fürs bringen.“ Er sah wie Sheol und Sariel loseilten, als könnten sie es kaum erwarten, dass endlich die Schule anfing. Naja, Sheol freute sich auf Sport und Sariel spielte in der Schulband. Da hatten sie wenigstens etwas, worauf sie sich freuen konnten. Er selbst hatte nicht ein einziges Fach, was er wirklich gerne mochte. In Sport war er eine Niete, Mathe schaffte er zwar ganz gut, aber im Großen und Ganzen brauchte er Nachhilfe, um gute Noten zu erzielen. Der Grund, warum er der Schule nicht sonderlich viel abgewinnen konnte, lag hauptsächlich darin, weil es die Schule an sich war. Er verstand die Sorglosigkeit seiner Mitschüler nicht und wie diese so leichtsinnig ins Leben konnten, wenn doch schon so bald der Ernst des Lebens bevorstand. Eine Ausbildung, ein Job, eine eigene Wohnung… ein eigenes Leben. Er hatte das Leben von seinen schlimmsten Seiten gesehen und war sogar gestorben. Die Mafia hatte ihn terrorisiert, er war mehrfach vergewaltigt worden und hatte sich prostituiert, um über die Runden zu kommen. Er hatte als Kind mit Erwachsenen schlafen müssen, um seinen Vater zu beschützen, der sich schließlich auch noch an ihn vergangen hatte. Seine Stiefmutter war vor seinen Augen gestorben und keine einzige Pflegefamilie wollte ihn haben. Die meisten anderen Kinder waren wohl behütet aufgewachsen in einer ganz normalen Familie und sie redeten über Probleme, wo er sich ernsthaft fragte, was bei denen bloß im Oberstübchen kaputt war. Als ob die keine anderen Sorgen hätten. Wenn er sich so Sheol ansah, der konnte seine Vergangenheit einfach ausblenden und ein ganz normaler Teenager sein. In solchen Momenten beneidete Ezra ihn wirklich dafür, denn er hatte jedenfalls nicht die Kraft dazu. Gerade wollte er zum Schuleingang gehen, da bemerkte er wie Lizzy, eine Klassenkameradin, an der Straße stehen blieb. Durch einen Mofaunfall hatte sie ein gebrochenes Bein und war auf Gehhilfen angewiesen. „Hey Lizzy!“ Ezra ging zu ihr hin und sah schon, was das Problem war: Lizzys Gehhilfe steckte im Gitter des Gullis fest und sie versuchte, sie irgendwie wieder herauszuziehen. Überrascht schaute sie auf und rief „Oh Ezra, du bist es. Du hör mal, ich hab da gerade ein keines Problem.“

„Kein Problem. Ich helfe doch gerne.“ Es gelang Ezra, die Gehhilfe herauszuziehen und sogleich nahm er auch Lizzys Tasche. Da er schon immer einen Hang dazu hatte, anderen ohne zu zögern zu helfen, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, Lizzy zu unterstützen, während sie auf die Krücken angewiesen war. Schlimm genug, dass sie so einen heftigen Unfall hatte, aber manchmal waren einige in seiner Klasse die absoluten Arschlöcher, weil diese sich natürlich einen Spaß daraus machen mussten, auf sie herumzuhacken und sie einen Krüppel zu nennen. Hätte Ezra nicht die gut gemeinte Warnung vom Schulpsychologen bekommen, dann hätte er es längst auf eine Schlägerei ankommen lassen. Ganz egal wie seine Chancen standen, aber er hätte jedem von ihnen sofort die Fresse poliert. Nichts hasste er mehr als Leute, die auf Schwächere herumhacken mussten. Er hatte genug von der Sorte ertragen müssen. Und Lizzy war zum Glück nicht wie die. Sie war dankbar für die Hilfe, die sie bekam und sie war eine, mit der man vernünftig reden konnte. „Du sag mal Ezra, hast du schon eine Ahnung, was du eintragen wirst?“ „Wie jetzt eintragen?“ Der 16-jährige verstand gar nichts und in dem Moment fiel Lizzy auch wieder ein, dass Ezra zu dem Zeitpunkt nicht da gewesen war, weil er an dem Tag krank war. „Wir sollten uns überlegen, was für Pläne wir für die Zukunft haben. Zum Beispiel ob wir studieren oder eine Ausbildung machen wollen.“ Auch das noch, dachte Ezra und seine Laune sank nur noch weiter. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er in der Schule festsaß, jetzt musste er sich auch noch um so etwas Gedanken machen. Er hatte keine Lust darauf, geschweige denn überhaupt auf irgendetwas und wirklich alles nervte ihn nur noch. Und er hasste sich selbst dafür, dass er so furchtbar drauf war, aber Nastasja hatte ihm genauso wie sein Therapeut erklärt, dass es mit der Pubertät zusammenhing. Verdammte Pubertät. Er hasste es, dass er ständig so gereizt war und dass alles ihn nervte und ihm die Motivation fehlte. Vor allem hasste er es, weil er es dann meistens an seiner Familie ausließ, obwohl die nun wirklich nichts dafür konnte. Und es war einfach nicht fair Nastasja und den anderen gegenüber, nachdem sie ihn schon so liebevoll in die Familie aufgenommen hatten. In solchen Momenten wusste Ezra einfach nicht, wohin mit sich und er fühlte sich manchmal innerlich zerrissen. „Was willst du denn nach der Schule machen?“ fragte er Lizzy und sie antwortete sofort „Ich will Rechtsanwältin werden. Und was ist mit dir?“ „Keine Ahnung“, meinte Ezra nur. „Ist eh schwer, eine Ausbildung zu finden, wenn man so eine Vergangenheit hat. Ich würde mich ja auch selbst nicht einstellen.“ „Ach jetzt mach dich selbst nicht so runter“, meinte Lizzy nur und gemeinsam betraten sie das Schulgebäude. „Du bist echt in Ordnung und nur weil Jared und diese anderen Vollpfosten meinen, auf dir herumhacken zu müssen, heißt das noch lange nicht, dass du keine Zukunft haben wirst. Die meisten haben ja auch noch keine Idee, was sie nach der High School machen sollen.“ Ezra half ihr noch, die Bücher aus dem Spind zu holen und begleitete Lizzy dann ins Klassenzimmer. Es herrschte mal wieder absolutes Chaos, an das er sich aber inzwischen gewöhnt hatte. Er setzte sich neben Sariel, während Sheol natürlich bei der Blödelei der anderen mitmachen musste. Sie bemerkte sofort, dass ihn irgendetwas beschäftigte. „Sag mal Ezra, ist irgendetwas zuhause bei euch passiert oder warum bist du so still?“

„Es ist einfach alles, was mich nervt. Ich hab irgendwie keine Lust zu nichts und am liebsten würde ich mich irgendwo verkriechen und von nichts mehr wissen.“ Das recht klein geratene Mädchen mit den rotschwarz gefärbten Haaren und den Punkerklamotten betrachtete ihn nachdenklich durch ihre Brille und überlegte kurz. Dann meinte sie schließlich „Ich glaube, so etwas nennt man wohl eine depressive Phase. Die hat jeder mal und das geht wieder vorbei. Aber sag mal, was ist da eigentlich mit dir und Lizzy? Ich dachte, du wärst mit Elion zusammen, oder hast du etwa…“

„So ein Quatsch“, erklärte Ezra sofort und schüttelte energisch den Kopf. „Ich helfe ihr nur, weil sie eben momentan auf Krücken ist und ich sehe sie allerhöchstens als gute Freundin an. Elion werde ich ganz sicher nicht verlassen.“ Sariel zuckte eher gleichgültig mit den Achseln und meinte nur „Hätte ja sein können.“ Und Jared, der natürlich mitgehört hatte, ließ es sich nicht nehmen, Ezra sofort damit aufzuziehen. „Sag bloß, du bist immer noch mit dem Freak zusammen.“ „Hast du ein Problem damit?“ entgegnete der 16-jährige feindselig und stand auf. Er wusste, dass er durch seine mangelnde Körpergröße ohnehin schon eher ein kümmerliches Bild abgab, aber er ließ es sicherlich nicht auf sich sitzen, wenn man sich über Elion lustig machte. „Ach wie putzig“, meinte der knapp 20cm größere Klassenkamerad höhnisch und lachte in die Runde. Einige fielen gleich mit ins Gelächter ein. „Der Kleine will wohl auch was sagen. Sag mal, hast du überhaupt Eier, oder bist du nicht vielleicht doch ein Mädchen?“ Und um es auf die Spitze zu treiben, drückte Jared Ezra gegen die Wand und wollte ihm anscheinend die Hose runterreißen, um ihn endgültig bloßzustellen, doch da sprang Sariel auf und trat ihm kräftig zwischen die Beine. Wie ein nasser Sack fiel Jared zu Boden und stöhnte vor Schmerz. „Und du lass dir erst mal wieder Eier wachsen“, meinte sie frech und grinste Ezra zu. „Du bist doch nur neidisch, weil das einzige Mädchen, das je mit dir geknutscht hat, deine eigene Cousine war.“ Und damit hatte sie wiederum die Lacher auf ihrer Seite. Sheol, der gemerkt hatte, was los war, setzte dann natürlich noch einen drauf. „Hat sie dich auch entjungfert, oder bist du noch mit deiner Hand zusammen?“ Damit war die Situation geklärt und Jared musste sich erst mal von Sariels Tritt mit ihren Nietenstiefeln erholen. Als der Unterricht begann, wurde es einigermaßen ruhiger. Als Erstes stand Englisch auf dem Programm und es wurde ein kleiner Test geschrieben. Der Test an sich war nicht allzu schwer und Ezra hatte da schon ein gutes Gefühl dabei, was aber auch nicht wirklich dafür sorgte, dass seine Laune dadurch gebessert wurde. In der Pause wandte er sich schließlich Sariel zu und fragte „Sag mal, was willst du eigentlich als Berufswunsch angeben?“

„Na ich will Musikerin werden“, erklärte sie stolz. „Und ich werde Profisportler“, kam es daraufhin von Sheol. „Und dann werde ich denen allen zeigen, dass Größe total überbewertet ist.“ Na großartig. Irgendwie scheinen alle zu wissen, was sie werden wollen. Elion will Streetworker werden, Lizzy Anwältin, Sariel Musikerin und Sheol Sportler. Und ich? Ich bin hier irgendwie der Einzige, der mit seinem Leben nichts anzufangen weiß. Warum muss es auch so schwer sein? Hinterher finde ich eh nichts und was dann? Dann lande ich wieder im Milieu, weil ich irgendwie mein Leben finanzieren soll. Mein Leben ist echt für’n Arsch.

Der Schultag ging irgendwie nur sehr schleichend voran und kaum, dass Mittagspause war, kam ihr Klassenlehrer und verteilte die Zettel, wo jeder seinen Berufswunsch und seine Vorstellungen von seiner Zukunft aufschreiben konnte mit der Erklärung, dass im nächsten Monat ein Berufseignungstest durchgeführt werden würde, mit dem sich erkennen ließ, welche Eignung man hatte und dann wollte ein Praktikum durchgeführt werden. Absolut demotiviert ging Ezra in der Mittagspause zum Schulpsychologen Mr. King, den er ab und zu mal aufsuchte, nachdem die Sache mit der Erpressung zutage gefördert worden war. Er merkte ja selbst, dass er manchmal jemanden brauchte, bei dem er sich den Frust von der Seele reden konnte und es war immerhin besser, als die Schule zu schwänzen oder eine Prügelei zu starten. Mr. King grüßte ihn freundlich und wies Ezra an, sich zu setzen. „Also Ezra, was bekümmert dich denn?“ Wortlos holte der 16-jährige den Zettel hervor und legte ihn auf den Tisch. „Wir sollen unsere Zukunftspläne aufschreiben und dann ist da noch der Test nächsten Monat. Das alles ist doch echt so was von schwachsinnig.“

„Und warum glaubst du das?“

„Na weil… ach ich weiß auch nicht.“ Mr. King wusste von Ezras schwieriger Vergangenheit und hatte auch schon mal mit seiner Adoptivmutter Nastasja ein paar Gespräche geführt. Dementsprechend wusste er auch, wie er mit dem Jungen richtig umgehen musste und hatte inzwischen sogar sein Vertrauen gewinnen können. Und das war bei jemandem wie Ezra wirklich harte Arbeit. Aber wahrscheinlich lag es auch daran, weil er eine einfühlsame Art besaß. „Ist es vielleicht, weil du Angst vor der Zukunft hast?“ Wieder zuckte Ezra unsicher mit den Achseln und murmelte nach einer Weile „Wer würde denn schon freiwillig jemanden einstellen, der aus einem Milieu stammt und der seinen eigenen Vater getötet hat? Selbst wenn es nur in Notwehr war.“

„Hast du schon mal den Film „Ziemlich beste Freunde“ angesehen? Er basiert auf einer wahren Geschichte. Es ging um einen Mann, der schon im Gefängnis gesessen hatte und der nichts vom Leben erwarten konnte. Er kam aus miserablen Verhältnissen und doch hat er die Chance seines Lebens gekriegt. Was ich damit sagen will ist, dass es nie gänzlich hoffnungslos ist und man über sein eigenes Schicksal bestimmt. Genauso bestimmt man auch über sein eigenes Glück und wenn man den Willen hat, dann kann man es immer hoch hinaus schaffen, selbst wenn man aus nicht ganz so glücklichen Verhältnissen stammt.“

„Ja… wenn man Ziele hat…“

„Ach ich bin mir sicher, dass es etwas gibt, was dir besonders viel Freude bereitet und was du dir als Beruf gut vorstellen kannst. Vielleicht hilft dir eine kleine Hausaufgabe. Du nimmst dir einen Zettel und schreibst all deine guten Qualitäten auf. Und dann gibst du deiner Familie und deinen Freunden einen und sagst ihnen, sie sollen alle guten Dinge aufschreiben, die sie an dir sehen. Ich denke, das wird dich auch innerlich stärken und dir etwas mehr Selbstvertrauen geben. Wahrscheinlich hast du einfach nur ein falsches Bild von dir selbst, weil dir die Bestätigung der anderen fehlt.“ Naja, zwar war Ezra noch nicht wirklich überzeugt, aber vielleicht half es ja tatsächlich. Es gab ja auch nur eine Art, dies herauszufinden. Er packte den Zettel wieder ein und wollte gehen, doch Mr. King hielt ihn kurz zurück. „Ezra, es ist nicht schlimm, wenn du noch nicht weißt, was du werden willst. Manchmal kommt die Antwort ganz von selbst. Wichtig ist, dass du deinen Weg gehst und dich nicht zu sehr unter Druck setzt. Du bist erst 16 Jahre alt und du hast dein ganzes Leben vor dir. Dir stehen noch alle Türen offen, da ist es doch Unsinn, davon zu reden, dass dein ganzes Leben vorbei ist, als hättest du dein Leben hinter dir. Du musst lernen, all die Dinge, die dir widerfahren sind, hinter dir zu lassen und damit abzuschließen.“

„Das sagt sich so einfach“, kam es von Ezra. „Aber wenn ich so höre, was andere für Probleme haben, obwohl sie immer ein tolles Leben hatten… da komme ich mir einfach vor, als wäre das eine Welt, in die ich nicht hineingehöre.“

„Du bist auch sehr reif und erwachsen für dein Alter, was bestimmte Dinge betrifft. Und du nimmst dir selbst das Recht, Kind sein zu dürfen, weil du genau davor Angst hast. Denn das Kindsein bedeutet, Verantwortung abzugeben, die Ansprüche an der eigenen Person auch mal zu vergessen und Schwächen zuzulassen. Keiner behauptet, dass du schwach bist. Im Gegenteil, du bist verdammt stark. Aber du siehst dich tief in deinem Herzen immer noch in der Pflicht, ein Erwachsener zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen, obwohl du dich doch so sehr nach einer intakten Familie sehnst, die dich so akzeptieren und lieben kann wie du bist. Erlaube dir doch einfach mal selbst Schwächen und Macken. Keiner erwartet, dass du perfekt bist. Es gibt Menschen, die dich auch für deine schlechten Seiten lieben und das musst du dir einfach mal vor Augen halten.“

„Ist gut…“ Damit ging Ezra und kurz darauf war auch schon die Mittagspause vorbei. Da Biologie auf dem Plan stand, ging er rüber zu den Chemieräumen und traf wenig später auf Sheol und Sariel, die gerade aus der Mensa kamen. „Yo Ezra, wo warst du denn?“

„Hab dem King die Ohren vollgequatscht… Und? Habt ihr die Hausaufgaben?“

„Scheiße“, rief Sheol und schlug sich die Handfläche gegen die Stirn. „Ich wusste doch, dass ich was vergessen habe. Mum wird mich umbringen, wenn sie das mitkriegt. Hey Sari, kann ich eben bei dir abschreiben?“

„Kein Problem.“ Damit holte Sariel ihr Heft hervor und gab es ihrem Freund, der auf den letzten Drücker noch alles abschrieb. Ezra sagte nichts dazu, Sheol war bei so etwas eben sehr unzuverlässig. Er selbst hatte noch spät abends gelernt und Elion hatte sich die Zeit genommen, um zusammen mit ihm zu lernen. Auch wenn der Proxy selbst viel lernen musste, er fand immer genug Zeit, um zu helfen. Und auch wenn Ezra ganz gute Noten hatte und er tatsächlich Chancen auf einen Platz am College hatte, so musste er dennoch sehr viel lernen und kam sich aufgrund dessen irgendwie dumm vor. Denn alle anderen in der Familie waren alles Intelligenzbestien. Nastasja hatte zwei Doktortitel, Jeremiel, Andrew, Beyond und Oliver waren genauso Genies und Elion lernte unfassbar schnell. Selbst Sheol konnte problemlos mithalten, doch Ezra war da eher normal. Er war kein Supergenie, aber er war auch nicht komplett dumm. Trotzdem kam er sich in der Gegenwart der anderen oft so vor. Wahrscheinlich stellte er deswegen diese hohen Ansprüche an sich selbst: weil er mit den anderen mithalten wollte. Aber vor allem wollte er Nastasja stolz machen. Sie war für ihn wie eine richtige Mutter und es hatte auch nicht lange gebraucht, bis er sie akzeptiert hatte. Sie gab ihm genau das, was er nie von seinen leiblichen Eltern bekommen hatte. Liebe, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Regeln aber auch Geborgenheit. Für ihn war sie seine wahre Familie und natürlich lastete auf ihn das Wissen, dass er „nur“ adoptiert war und sie ihn noch nicht allzu lange kannte. Gerade erst mal ein paar Monate. Sheol und Elion kannte sie schon seit Jahren und Jeremiel und L waren ihre leiblichen Söhne. Da hatte er eben auch Angst, dass er vielleicht nicht würdig genug war, zur Familie Lawliet dazuzugehören, obwohl er jetzt diesen Nachnamen trug. Es würde nichts daran ändern, dass er nur adoptiert war.

Diese Gedanken beschäftigten ihn auch während des Biologieunterrichts, sodass er erst viel zu spät mitbekam, als ihre Biologielehrerin Mrs. Hammond erklärte „Für die nächsten drei Wochen brauchen wir jemanden, der sich um die Schlange kümmert, solange wir sie in unserer Obhut haben. Wer würde sich freiwillig melden?“ Und es meldeten sich nicht gerade viele freiwillig. Die einen, weil sie keine Lust hatten, die anderen, weil sie Angst vor Schlangen hatten. Und ein paar, die sich freiwillig meldeten, hatten nur Blödsinn im Kopf. Schließlich aber rief jemand „Warum fragen Sie nicht Ezra, der kann doch super mit Tieren.“

„Ja genau“, bestätigte Lizzy. „Ezra wäre perfekt für den Job.“ Damit wandte sich Mrs. Hammond dem 16-jährigen zu, der ein klein wenig überrascht war. Zugegeben, dass er ein gewisses Händchen für Tiere hatte… So hatte er es sogar mal geschafft, einen wild gewordenen Hund zu beruhigen und ein Mal hatte er einen verletzten Vogel verarztet. Aber er hatte da jetzt nichts Großartiges darin gesehen. Und nun schlug die Klasse ihn vor, sich um die Schlange zu kümmern? Fragend wandte sich die Biologielehrerin an ihn. „Ezra, würdest du dir das zutrauen?“ „Klar“, antwortete er nur. „Kein Problem.“ Ehrlich gesagt fand er Schlangen ohnehin echt cool. Überhaupt machte es ihm Spaß, mit Tieren zu tun zu haben. Selbst gegen Spinnen oder Skorpionen hatte er nichts. Also war beschlossen worden, dass er sich um die Schlange kümmern würde und auch Mrs. Hammond war zufrieden. Schließlich wurden die korrigierten Biologieklausuren zurückgegeben. Zumindest alle bis auf Ezras. Stattdessen sagte Mrs. Hammond nur zu ihm „Ich möchte dich nach dem Unterricht sprechen“, was so viel bedeutete wie „Junge, du bist so was von durchgefallen!“ Innerlich sah er schon das „F“ dick und fett mit einem roten Filzstift auf dem Papier geschrieben als endgültigen Beweis dafür, dass er ein Vollidiot war und bald zu den Sozialhilfeempfängern gehören würde. In den hinteren Reihen lachten Jared und seine Jungs und hätten wahrscheinlich einen frechen Kommentar vom Stapel gelassen, doch da drehte sich Sariel zu ihnen nach hinten und fragte herausfordernd „Willst du wieder eins auf die Eier haben?“ Und bei ihren mörderischen Stiefeln wollte es niemand wirklich auf einen Versuch ankommen lassen. Also blieben sie still und als die Pausenglocke schellte, war der Unterricht vorbei und Ezra wandte sich an Sheol und Sariel. „Ich fahr nachher mit dem Bus zurück.“

„Ist gut. Und lass den Kopf nicht hängen, ja?“ Damit verabschiedeten sich die beiden und Ezra blieb alleine mit Mrs. Hammond und der Schlange zurück. Es handelte sich um eine junge Kornnatter, die sich in ihrem Terrarium zusammengerollt hatte und friedlich da lag. Die Situation gefiel Ezra ganz und gar nicht. Er war nie gerne mit Lehrern allein, geschweige denn mit Erwachsenen, die er nicht gut genug kannte. „Also Ezra, ich möchte mit dir über deine Klausur sprechen.“

„Sagen Sie mir doch einfach, dass ich sie vergeigt habe. Ich gebe zu, ich hätte besser lernen sollen, aber ich hatte einen Blackout gehabt und weiß selbst, dass ich kompletten Mist fabriziert habe. Rufen Sie ruhig meine Adoptivmutter an und sagen Sie ihr, dass ich es vermasselt habe.“

„Was redest du da?“ fragte Mrs. Hammond verwundert und schüttelte den Kopf. Sie verstand Ezras Reaktion nicht und diesen verwunderte es daraufhin umso mehr. „Was erzählst du da von einem Blackout? Du hast eine sehr gute Note. Ein „A+“, um genau zu sein.“ Ezra starrte sie an, als hätte sie gerade etwas völlig Verrücktes von sich gegeben. Sie gab ihm seine Klausur zurück und tatsächlich sah Ezra, dass es die besagte Note war. Er war sprachlos und wusste das auch nicht einzuordnen. „Deine Leistungen in Biologie sind wirklich hervorragend und vor allem dass du die lateinischen Fachbegriffe wusstest, hat mich dazu gebracht, dir noch ein Plus zu geben. Sag mal, mit Tieren kennst du dich offenbar gut aus, oder?“

„Ein wenig“, antwortete er und versuchte seine Unsicherheit zu verbergen. „Ich hatte mal einen Rottweiler und jetzt im Moment habe ich einen Akita und einen Beo als Haustiere. Mit Tieren kann ich ehrlich gesagt viel besser als mit Menschen. Außerdem hab ich mal Sozialstunden in einem Tierheim ableisten müssen.“ Mrs. Hammond nickte bemerkte „Man merkt auch, dass du eine sehr sichere und ruhige Hand hast. Und vor allem sehr viel Einfühlungsvermögen. Hast du schon mal darüber nachgedacht, was du später werden willst?“

„Hab ich, aber ich hab bisher noch keinen blassen Schimmer. Und als Kind aus schwierigen Verhältnissen und mit Vorstrafenregister ist es eh schwer, irgendwo unterzukommen.“

„Das mag vielleicht in einigen Berufen so sein, aber hast du schon mal darüber nachgedacht, etwas mit Tieren zu machen? Ich könnte dich sehr gut in diesem Bereich sehen. Weißt du, für die Arbeit mit Tieren braucht man zwar genug Wissen über Biologie, aber man muss auch das gewisse Etwas haben. Man braucht ein gutes Gespür, um selbst mit schwierigen Fällen umgehen zu können und so wie ich gehört habe, hast du es sogar geschafft, einen Hund zu bändigen, der ein Kind gebissen hat.“ Dieses plötzliche Lob machte ihn ziemlich verlegen und er wusste auch nicht, wie er damit umgehen sollte. War das wirklich der Weg, der für ihn vorgesehen war und worin seine wahre Stärke lag? „Meinen Sie, ich sollte Tierpfleger werden?“ „Ich könnte dich sogar als Tierarzt sehen.“

„Ja aber… das ist… das ist viel zu hoch für mich.“

„Deine Noten sagen etwas anderes.“ Die Biologielehrerin faltete ihre Hände und beugte sich ein wenig vor, um Ezra näher in die Augen sehen zu können. „Mag sein, dass Englisch, Sport und Politik nicht deine stärksten Fächer sind, aber dafür bist du überdurchschnittlich gut in Biologie, Latein und Mathematik.“ Nun, der Grund für seine guten Noten in Biologie kamen auch teilweise daher, weil dies Nastasjas Fachgebiet war und sie ihm auch deshalb so gut weiterhelfen konnte. Aber dass seine Lehrerin ihm wirklich zutraute, sogar Tierarzt zu werden? Das hätte er nie gedacht. „Lass dir das mal in Ruhe durch den Kopf gehen“, sagte seine Lehrerin schließlich. „Wenn du möchtest, kann ich dir die Adresse eines Tierarztes geben, mit dem ich gut bekannt bin. Bei ihm könntest du ein Praktikum machen. Überleg es dir in aller Ruhe, aber stell dein Talent nicht unter den Scheffel.“ Ezra bedankte sich bei ihr und verabschiedete sich. Inzwischen hatten die meisten Schüler das Gebäude bereits verlassen und es war nun etwas leerer geworden. Er ging zum Haupteingang raus und sah auch schon Elion dort stehen, der Akira an der Leine bei sich hatte. Nun war Ezra mehr als überrascht, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass Elion vorbeikommen würde. „Was… was machst du denn hier?“ Der Proxy lächelte herzlich und kam ihm entgegen. „Ich war gerade mit Akira unterwegs, da dachte ich, dass ich dich vielleicht von der Schule abholen könnte. Es ist dir doch nicht peinlich, dass ich komme, oder?“

„Überhaupt nicht und hör auf, so einen Scheiß zu denken“, rief Ezra und gab ihm einen Fauststoß in die Seite, wobei er errötete. „Also was ist? Gehen wir jetzt?“ „Klar!“ Damit nahm Elion seine Hand und gemeinsam gingen sie los. Einige verbliebene Mitschüler sahen zu ihnen herüber und manche tuschelten angeregt oder lachten, aber dem 16-jährigen war es egal. Natürlich wusste er, dass es ein seltsames Bild bot. Immerhin war Elion 12 Jahre älter und das war schon ein enormer Altersunterschied. Aber es war ihnen beiden egal. Sie liebten sich und Elion konnte dank seiner ausgeglichenen und sanftmütigen Art gut mit Ezra umgehen und bei ihm auch zwischen den Zeilen lesen. „Und?“ fragte der Proxy schließlich, während sie die Straße entlanggingen. „Wie war die Schule denn so?“

„Ganz okay. Ich hab ein „A+“ in der Bioklausur.“

„Hey, das ist ja super. Ich wette, Mum wird nachher ausflippen, wenn sie davon erfährt. Das muss auf jeden Fall gefeiert werden.“

„Ach was…“, murmelte Ezra und senkte den Blick. „Für so Supergenies wie euch ist das doch nicht die Welle.“

„Wie kommst du jetzt darauf?“ Der 16-jährige seufzte und blieb an der Ampel stehen. Elion merkte sofort, dass ihn etwas beschäftigte, denn in der Hinsicht war Ezra wie ein offenes Buch. Es war eben nur schwer, ihn zum reden zu bringen. „Ich bin doch der Einzige in der Familie, der durchschnittlich ist. Mit der Ausnahme von Jamie sind ausnahmslos alle hochintelligente Genies, für die ein „A+“ ein „D“ ist. Ich kann da nicht mithalten, seien wir mal ehrlich.“ Nun ließ Elion seine Hand los und umarmte ihn. Und als würde der Akita spüren, was sein Herrchen bekümmerte, sah er ihn mit seinen großen Hundeaugen an und gab leise Winsellaute von sich, als wolle er sein Mitgefühl ausdrücken. „Du machst dir zu viele Gedanken, Ezra. Niemand erwartet von dir, so wie Jeremiel, L oder irgendjemand anderes zu sein. Sei einfach du selbst, mehr erwartet niemand von dir.“

„Das sagen mir alle. Aber… ich…“

„Du willst Mum stolz machen, oder?“ Nach einem kurzen Zögern nickte Ezra. „Ich hab doch keine andere Familie als eure. Und sie ist wie eine richtige Mutter für mich. Sie tut so viel für mich, da will ich sie stolz machen. Aber… ich kann einfach nicht mit euch mithalten. Und mich kennt sie auch noch nicht so lange wie euch.“

„Ja und? Jeremiel hat sie auch erst vor kurzem kennen gelernt und nicht gewusst, dass sie zwei Söhne hatte und trotzdem liebt sie ihn genauso, wie sie dich liebt. Es stimmt zwar und ihr kennt euch noch nicht ganz so lange, aber das heißt nicht, dass du ihr nicht wichtig wärst. Erinnerst du dich noch, als du deine Mutter zur Rede gestellt hast? Sie hat ihr eine reingehauen und dich in Schutz genommen. Ist das denn nicht Beweis genug, dass sie dich wie ihr eigenes Kind liebt? Für sie ist es vollkommen egal, ob du ihr leibliches Kind oder adoptiert bist. Du gehörst zur Familie dazu und deshalb hat sie dich ja auch adoptiert: um dir das Gefühl zu geben, dass du dazugehörst. Sei einfach du selbst und geh deinen Weg. Das ist es auch, was mir meine Mutter ans Herz gelegt hat. Du musst keinen Nobelpreis gewinnen oder einen IQ wie Einstein haben, um geliebt zu werden. Du bist hilfsbereit, du setzt dich für andere ein und nimmst sie in Schutz, bist fleißig und du hast das Herz am rechten Fleck. Du kümmerst dich sehr um andere und du hast ein großes Herz für Tiere, aber auch vor allem für Menschen, die es schwer im Leben haben. Und wir alle wissen, dass du ein guter Mensch bist.“ Diese Worte taten Ezra nach seinem deprimierten Tag wirklich gut und er war in diesem Moment froh, dass Elion ihn abgeholt hatte. „Weißt du Elion, heute mussten wir unsere Zukunftspläne bezüglich auf unsere Zeit nach der Schule angeben.“

„Aha. Und was hast du dir für deine Zukunft vorgestellt?“ Hier stahl sich ein kleines Lächeln auf Ezras Lippen, als er antwortete „Ich glaube, ich werde Tierarzt.“



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