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Crossroads

decisions are never easy
von

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Konsequenzen

Es fühlte sich an, als sei ihm jegliches Zeitgefühl abhandengekommen, während er zusammengesunken auf seinem Stuhl saß. Obwohl es bis auf ein leises Surren still in dem runden Raum war, kam es ihm vor, als würden ihn die unzähligen Portraits der Schulleiter beobachten – auch wenn sie vorgaben zu schlafen. Vor ihm erstreckte sich ein gewaltiger, klauenfüßiger Schreibtisch, auf dessen polierter Oberfläche sich nebst einigen anderen Dingen ein silbernes Tintenfass befand. Er wusste nicht, wie lange er die dazugehörige, scharlachrote Feder schon anstarrte, doch es erschien ihm unmöglich, den Blick abzuwenden. Rot wie das Blut, das aus Lupin geradezu herausgespritzt war, kaum dass ihn sein Fluch getroffen hatte. Seine Hände zuckten in seinem Schoß und er ballte sie so fest zu Fäusten, dass es wehzutun begann. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er immer noch zitterte, woraufhin er die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinanderpresste, gedämpft durchatmete.

Es erschien ihm alles so unwirklich, als handelte es sich um einen Film…als wäre er gar nicht beteiligt gewesen. Wie hatte es überhaupt angefangen? Black hatte irgendetwas Unverzeihliches über seine Mutter gesagt und dann hatte es bei ihm ausgesetzt. Es war nie geplant gewesen, seinen selbst entwickelten Fluch in Hogwarts zu benutzen. Sicher, er hatte ihn wegen seiner Feinde wie Potter und Black geschaffen, doch ihm war bewusst gewesen, dass dies zu seinem Schulverweis führen würde. Hätte Black ihn nicht auf diese abscheuliche Weise provoziert, hätte er sich unter Kontrolle gehabt – oder zumindest einen etwas harmloseren Fluch benutzt. Wie hätte er ahnen können, dass es schlussendlich Lupin traf?

Lupin, der sich von selbst vor Black gestellt hatte und gleich darauf zu Boden gegangen war. Der Anblick hatte ihn regelrecht gelähmt, der gurgelnde Schrei hallte immer noch in seinen Ohren wider. Wie er dagelegen hatte…kalkweiß und zuckend in seinem Blut. Severus spürte, wie sein Magen erneut zu rebellieren begann, so dass er abermals tief durchatmete.

Er wusste noch, dass er geistesgegenwärtig neben Lupin auf die Knie gefallen war und einen seiner Heilzauber angewandt hatte. Black hatte ihn angeschrien und ihm mit seinem Zauberstab beinahe ins Auge gestochen, doch er hatte ihn ignoriert. Da war so viel Blut gewesen, dass er nicht sagen konnte, ob Lupin das überleben würde. Dumbledore war aufgetaucht und hatte eine Trage heraufbeschworen, auf der er den Werwolf zum Krankenflügel gebracht hatte. McGonagall und Slughorn waren ebenfalls hinzugekommen, beide hatten wild durcheinander geredet, bis Dumbledore sie unterbrochen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, was der Schulleiter zu ihm gesagt hatte, nur dass er Slughorn angewiesen hatte, ihn in sein Büro zu führen.

Hier saß er nun und wartete. Allein. Obwohl er bislang geglaubt hatte, von der Schule verwiesen zu werden, sei das Schlimmste, was ihm passieren konnte, war da noch ein anderer quälender Gedanke. Was, wenn er Lupin getötet hatte? Für einen Mord würden sie ihn vors Zaubereigericht führen, wo er verurteilt und nach Askaban gebracht werden würde. Doch anstelle der Dementoren sah er Lupins leichenblasses Gesicht mit den rot geäderten Augen vor sich, wie er, einem Fisch auf dem Trockenen gleich, nach Luft rang. Warum hatte sein Fluch nicht einfach Black treffen können?!
 

Das Geräusch des Wasserspeiers hinter ihm ließ ihn zusammenzucken und er spannte sich an, als sich Schritte näherten. Er versuchte, seine zusammengesunkene Haltung etwas zu straffen, nicht weiter wie ein Schluck Wasser in der Kurve da zu sitzen. Stets hatte er daran festgehalten, seine Angst nicht zu zeigen – jedoch erschien ihm das gerade viel schwerer als sonst. Nervös beobachtete er den Schulleiter, der ruhigen Schrittes zu seinem Schreibtisch ging, um dahinter Platz zu nehmen. Die Stille im Raum war fast noch schlimmer als der durchdringende Blick der hellblauen Augen, die ihn über den Rand der halbmondförmigen Brillengläser anfunkelten. Eigentlich hatte er Dumbledore insgeheim seit jeher einen senilen, alten Gryffindor geschimpft, der ihm gestohlen bleiben konnte. Zum ersten Mal, seitdem er den Schulleiter kannte, nahm er dessen Anwesenheit als einschüchternd wahr.

„Ich denke, Sie wissen, warum Sie hier sind, Mr Snape.“

Dumbledore stützte die Ellenbogen auf seinem riesigen Schreibtisch ab, faltete die Finger, während er ihn abwartend anblickte. Severus wusste nicht, ob er etwas sagen oder nicken sollte…oder ob er überhaupt irgendwas tun sollte. Er konnte ihn nur anstarren, ruckte dann einmal mit dem Kopf.

„Dieser schwarzmagische Fluch, den Sie verwendet haben, hat Mr Lupin schwer verletzt. Sein Rücken ist geradezu zerfetzt worden und laut Madam Pomfrey hätte nicht viel gefehlt, um seine Wirbelsäule zu beschädigen. Er hat so viel Blut verloren, dass er daran hätte sterben können – ganz zu schweigen von dem Schock, den er erlitten hat.“

Severus hörte zwar zu, aber es fiel ihm schwer, alles richtig zu verstehen. Dabei konnte er sich normalerweise die komplexesten Zaubertrankformeln merken und die waren gerade nicht mal halb so wichtig wie die Information, ob Lupin lebte. Was Dumbledore da sagte…dass Lupin an Blutverlust hätte sterben können…also war er nicht tot? Wie war sein Zustand? Lebensbedrohlich? Stabil? Lupin war ein Werwolf, somit war er schreckliche Verletzungen gewöhnt – machte ihn das nicht robuster?

„Madam Pomfrey sagte überdies auch, dass Mr Lupins Zustand weitaus kritischer hätte sein können, wenn Sie die Blutungen mit Ihrem Heilzauber nicht gestillt hätten. Dadurch hat sie wertvolle Zeit gespart, um seinen Zustand zu stabilisieren.“

Severus blickte ihn starr durch den Vorhang schwarzer Haare an, die ihm noch strähniger als sonst ins Gesicht hingen.

„Mr Lupin befindet sich außer Lebensgefahr, ist jedoch noch sehr angeschlagen, weswegen er die nächsten Tage zur vollständigen Genesung im Krankenflügel bleiben wird.“

Es sickerte langsam in seinen Verstand: Lupin lebte. Er hatte ihn nicht getötet. Die Erleichterung rann zähflüssig durch seinen Körper, ließ ihn nach Luft schnappen, auch wenn er sich gleich darauf zu fassen versuchte, um sich das letzte bisschen Würde zu bewahren.
 

„Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Mr Lupin nicht verletzen wollten?“

Langsam hob er den Kopf, sah direkt wieder in Dumbledores stechend hellblaue Augen. Etwas an diesem wissenden Blick gab ihm das Gefühl, als würde der Schulleiter darauf gar keine Antwort brauchen. Severus fühlte sich mehr als unbehaglich und sein Hals war so trocken, dass seine Worte eher wie ein Krächzen klangen.

„Nein, ich…versehentlich…wollte ihn nicht…“, kamen sie gebrabbelt aus seinem Mund.

Severus war froh, dass Dumbledore die Hand hob, ihn damit zum Verstummen brachte.

„Wie Sie sich sicher denken können, habe ich auch mit Mr Black über das Geschehene gesprochen.“

Ein Laut der Verachtung entwich seinen Lippen, denn er konnte sich denken, dass der verdammte Mistkerl alles auf ihn geschoben hatte.

„Black hat mir aufgelauert und mich angegriffen!“, zischte er. „Er hat mich absichtlich provoziert!“

Wenigstens hatte er seine Stimme wiedergefunden, denn er musste sich verteidigen. Black war alles andere als unschuldig daran, dass sein Fluch Lupin getroffen hatte. Ob Dumbledore ihm glaubte, konnte er anhand seines Ausdrucks nicht sagen.

„Ich bin mir Ihrer schwierigen Situation durchaus bewusst, Mr Snape…und Sie haben mein vollstes Mitgefühl. Dennoch rechtfertigt das nicht Ihre Tat und ich möchte Sie noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich Sie deswegen von der Schule verweisen könnte.“

Severus schluckte Gift und Galle herunter, musste sich zusammenreißen, um nicht erneut über Black zu wettern. Wie immer war allein er für alles verantwortlich, niemals ein Gryffindor. Sein Herz raste in seiner Brust, während er darauf wartete, dass Dumbledore weitersprach. Was würde er tun, wenn ihn der Schulleiter rauswarf? Allein der Gedanke daran ließ ihm schlecht werden…

„Nun, ich denke, 100 Punkte Abzug für Slytherin und einen Monat Strafarbeit sollten in diesem Fall ausnahmsweise genügen. Zumal Sie sich wohl zur Genüge selbst bestraft haben…“

Die Welle der Erleichterung wurde durch den letzten Satz gehemmt, so dass er irritiert blinzelte. 100 Punkte Abzug waren nicht wenig und er ahnte, dass ihn Rosier und die anderen Slytherins dafür zur Rechenschaft ziehen würden. Doch das konnte Dumbledore nicht meinen, ebenso wie die Strafarbeit, die bestimmt nicht angenehm ausfallen würde. Als hätte er seine Gedanken gelesen, fuhr der Schulleiter fort.

„Eine solche Bindung, wie Sie sie mit Mr Lupin teilen, ist etwas sehr Wertvolles.“

Severus bekam das Gefühl, sein Magen würde sich bei diesen Worten verknoten; direkt musste er an die Szene auf dem Turm denken. Lupin, der ihn hielt, ihn tröstete…und küsste. Seine sonst so bleichen Wangen brannten und er senkte schnell den Blick, versuchte, alle Scham zu unterdrücken. Dumbledore konnte nichts davon wissen. Er durfte nicht überreagieren, immerhin stand er nach wie vor auf dünnem Eis wegen seinem Fluch. Also blieb er mit Mühe still, schluckte jedes garstige Wort herunter, auch wenn es ihm schwer fiel.

„Nun denn…um noch einmal auf Ihre Strafarbeit zurückzukommen“, nahm Dumbledore das Gespräch wieder auf. „Sie werden für einen Monat den Hauselfen in der Küche zur Hand gehen und für diese den Abwasch übernehmen. Selbstverständlich ohne Magie, Mr Snape.“

„Wie bitte?!“, entfuhr es ihm und sein Kopf ruckte hoch. „Aber…“

„Empfinden Sie die Strafe als unangemessen?“

Bei Dumbledores durchdringendem Blick wünschte er sich, er hätte den Mund gehalten. Wenn man bedachte, dass er ihn zu seinem Muggelvater zurückschicken könnte, war die Strafe ohne Zweifel das kleinere Übel.

„Nein“, würgte er daher hervor. „Natürlich nicht…“

„Sehr schön“, kam es zufrieden von dem Schulleiter, der ihn nun wieder warm anlächelte. „Dann können Sie jetzt gehen – und wenn ich Ihnen noch den Rat eines alten Mannes mit auf den Weg geben darf…Worte können ebenso verletzend wie heilsam wirken. Reden Sie mit Mr Lupin, sobald es ihm besser geht.“

Severus blickte ihn nur starr an, ehe er knapp nickte und sich dann erhob. Trotzdem er erleichtert war, dass Lupin lebte, war da immer noch dieser Knoten in seinem Magen…und er hatte nicht den Eindruck, als würde der sich durch ein paar Worte lösen lassen.
 

Der restliche Tag stellte sich als weitere Tortur heraus, was zum Teil dem unangenehmen Gespräch mit Slughorn geschuldet war. Sein Hauslehrer hatte ihm auch noch einmal unter vier Augen mitgeteilt, wie enttäuscht er von ihm war, wo Lupin und er doch als Paradebeispiel eines guten Teams aus Slytherin und Gryffindor galten. Er sollte sich bitte Gedanken über sein Verhalten machen und er könne immer zu ihm kommen, wenn er Probleme hätte. Severus hatte sich zusammenreißen müssen, um ihn nicht anzufauchen, dass er sein heuchlerisches Getue für sich behalten konnte. Als ob sich Slughorn in irgendeiner Weise um ihn scheren würde – schließlich kam er weder aus einer berühmten Familie noch verfügte er über irgendein herausragendes Talent. Offensichtlich genügte ihm seine Begabung in Zaubertränke ja nicht.

Der einzige Grund, aus dem Slughorn ihm ins Gewissen redete, war doch sein eigenes Ansehen als Hauslehrer. Severus hatte Slytherin durch den Vorfall Schande bereitet und nur deswegen war er überhaupt aufgefallen. Es war immer dasselbe und es hing ihm so dermaßen zum Halse raus…

Danach war Lily irgendwann zu ihm gekommen, um ihn dasselbe aber mit einer anderen Formulierung wissen zu lassen. Auch sie war enttäuscht von ihm, hatte gedacht, Lupin und er seien so etwas wie Freunde…und dass seine Tat unverzeihlich war. Wenn ihn ihre Worte aufgrund der Tatsache, dass er sie immer noch liebte, nicht so sehr verletzt hätten, hätte er sie angefahren, sie solle ihn gefälligst in Ruhe lassen. Warum war sie ständig der Meinung, sie müsse ihn belehren, wenn er etwas anrichtete? Sonst kümmerte sie sich doch auch nicht mehr um ihn. Sie konnte ihn wunderbar ignorieren, solange er sich lediglich im selben Raum wie sie befand – und in letzter Zeit schienen Potter und sie unzertrennlich. Potter…ausgerechnet Potter. Als hätte sie alles vergessen, was passiert war. Als hätte sie vergessen, dass James Potter ein widerliches Schwein war.
 

„Snape!“

Severus erstarrte sowohl innerlich als auch äußerlich zur Salzsäule, als hinter ihm eine bekannte, herrische Stimme seinen Namen rief. Eigentlich hatte er gehofft, dass ihm wenigstens das vorerst erspart bleiben würde, schließlich hatte er sein Bestes getan, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Er versuchte, seine Mimik unter Kontrolle zu bringen, drehte sich mit kaltem Blick zu Lestrange und seinen Anhängern um. Wenn er ihnen seine Angst zeigte, war er verloren, das wusste er aus Erfahrung; ihm war, als würde seine Stirn brennen, dort, wo sie ihn vor einer Weile gezeichnet hatten.

„Lestrange“, erwiderte er knapp und ignorierte Rosiers breites, hämisches Grinsen.

Rosier war derjenige, der den größten Spaß daran hatte, ihn zappeln zu sehen – er war nicht wie die anderen Mitläufer, die Lestrange bloß nach dem Mund redeten. Das machte ihn gefährlicher.

„100 Punkte Abzug? Ich dachte eigentlich, ich hätte mich klar ausgedrückt…“

Severus entging nicht, wie sie ihn langsam umstellten, so dass er keine Fluchtmöglichkeit haben würde. Nicht, dass ihm Flucht etwas gebracht hätte. Nichts außer noch mehr Gründen, ihn ordentlich in die Mangel zu nehmen.

„Ich…kann das erklären…“, brachte er hervor, auch wenn ihn das nicht retten würde.

Zwar lief der ein oder andere Schüler an ihnen vorbei, aber niemand würde ihm helfen. Falls sie ihn hier nicht dran bekamen, würden sie es später im Gemeinschaftsraum nachholen. Wer sollte ihn schon schützen? Slughorn? Das war lächerlich.

Lestrange gab ein Schnauben von sich, verschränkte dabei die Arme.

„Das hoffe ich doch!“, meinte er in seinem typisch arroganten Tonfall. „Nach dem, was ich gehört habe, war dein Fluch wahrlich bemerkenswert. Unerwartet…aber durchaus bemerkenswert.“

„Ja, aber ich – was?“

Severus starrte ihn an, glaubte, sich verhört zu haben und auch Rosier entgleisten die Gesichtszüge. Anscheinend meinte Lestrange seine Worte keinesfalls sarkastisch, denn er nickte noch einmal zur Bestätigung.

„Wo hast du diese Art von schwarzer Magie gelernt, Snape? Wer hat sie dich gelehrt?“

Plötzlich leuchtete da etwas Neues in Lestranges sonst so kalten Augen auf und zwar ehrliches Interesse. Interesse an seinem Fluch, für den ihn alle anderen verurteilten. Er sich selbst eingeschlossen, zumindest in Bezug auf Lupin.

„Ich…ich habe ihn selbst…entwickelt…diesen Fluch hat mir niemand beigebracht“, krächzte er und verfluchte sich für seine Unsicherheit.
 

„Lüg nicht, Snape!“, zischte Rosier ihn an, doch Lestrange hob die Hand, damit er schwieg.

„Ist das die Wahrheit, Snape?“, fragte er ernst.

„Ja“, erwiderte er tonlos, woraufhin Rosier wie ein wütender Hund knurrte.

„Du wirst ihm diesen Schwachsinn doch nicht glauben, Rabastan?! Er ist nur ein wertloses Halbblut! Niemals war das sein eigener Fluch! Außerdem spielt das keine Rolle, immerhin hat er uns trotzdem 100 Punkte gekostet!“

Lestranges Blick war pures Eis, als er ihn auf Rosier richtete, dem daraufhin der Atem stockte.

„Ich kann mich nicht erinnern, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben, Evan…und jetzt halt den Mund.“

Im ersten Moment erinnerte Rosier an einen Fisch, der auf dem Trockenen lag, so wie er nach Luft schnappte. Dann wechselte seine Gesichtsfarbe in ein hässliches Purpurrot, doch er wagte es nicht zu widersprechen. Auch die anderen Slytherins, die um sie herum standen, verhielten sich still. Die Genugtuung ging runter wie Öl, auch wenn Severus misstrauisch blieb. Lestrange wandte sich nun wieder ihm zu, musterte ihn einmal von Kopf bis Fuß.

„Nun, ich kann nicht sagen, dass ich glücklich darüber bin, dass wir so viele Punkte verloren haben, Snape – und natürlich erwarte ich, dass du jeden einzelnen zurückholst.“

Severus schluckte hart, nickte ohne zu zögern.

„Allerdings hat dein Fluch mein Interesse geweckt“, sprach er weiter. „Sie sagen, du hättest Lupin um ein Haar getötet. Ganz Hogwarts redet davon.“

Die Hand, die sich plötzlich auf seine Schulter legte und diese drückte, ließ ihn erschaudern und ungläubig sah er den Älteren an.

„Black wäre sicherlich ein größerer Erfolg gewesen, doch seine Zeit wird kommen, nicht wahr?“

„…ja.“

Musste er sich schlecht fühlen, Anerkennung dafür zu bekommen, dass Lupin seinetwegen im Krankenflügel lag? Dennoch tat es einfach so gut, diese Worte zu hören, und er konnte…und wollte sich nicht dagegen wehren. Vor allem da Rosier den Eindruck machte, als würde er gleich vor Wut platzen.

„Schön. Anscheinend bist du doch nicht im falschen Haus gelandet, Snape, und ich hoffe, wir sehen noch mehr von deinen Talenten.“

Severus lief es bei Lestranges grausamem Lächeln kalt den Rücken herunter, aber er rang sich zu einem Nicken durch. Mehr von seinen Talenten. Sein Talent wurde anerkannt. Er wurde anerkannt. Von Rabastan Lestrange. Sein Herz schien schon zum zweiten Mal an diesem Tag kurz vorm Zerspringen zu sein, doch diesmal…war es gut.

Lestrange schenkte ihm einen letzten zufriedenen Blick, ehe er samt seinem Gefolge an ihm vorbei stolzierte…und Severus fühlte sich, als würden ihm jeden Moment die Beine wegknicken.
 

Als er sich in der Nacht in den Krankenflügel schlich, war das schlechte Gewissen immer noch nicht abgeebbt. Dabei konnte er genau genommen ja nicht einmal etwas dafür, dass er aufgrund seines Fluches in der Gunst von Lestrange gestiegen war. Er hatte das nicht beabsichtigt, es war wie…ein praktischer Nebeneffekt. Das bedeutete nicht, dass er nicht bereute, Lupin das angetan zu haben…und wenn er ehrlich war, graute es ihm vor seinem heimlichen Krankenbesuch.

Er fürchtete, dass Potter und Black dort sein könnten, immerhin schlichen diese oft genug nachts im Schloss herum. Und was wäre, wenn Lupin wach war? Was sollte er sagen, nachdem er ihn fast umgebracht hatte? Severus erinnerte das alles an den Vorfall mit Lily, als er sie öffentlich als Schlammblut beschimpft hatte. Was machte er hier eigentlich? Als würde ihm Lupin jemals vergeben...ausgeschlossen, da konnte er auch umkehren und zurück in sein Bett kriechen. Wie lange hatte er Lily angebettelt, sie möge ihm verzeihen – vergeblich. Bei seiner Freundin hatte es sich um eine, zugegeben, schreckliche Beleidigung gehandelt, Lupin hatte er fast getötet. Das war definitiv schlimmer.

Tief atmete er durch, als er vor der letzten Tür, die ihn von dem Werwolf trennte, stand. Vielleicht war Lupin ja nicht bei Bewusstsein, dann hätte er eine Ausrede, wegen der er wieder gehen konnte. Er war da gewesen. Soll erfüllt. Punkt. Wäre es nur so einfach…

Innerlich ächzte er leise, griff dann nach der Türklinke und schlich sich hinein. Im Krankenflügel war es still und soweit er wusste, war Lupin momentan der einzige Patient. Keine Spur von Potter, Black oder gar Madam Pomfrey. Severus nahm sich zusammen, schloss so gut wie lautlos die Tür, bevor er sich dem Bett näherte, in dem der Gryffindor liegen musste.

Vorsichtig schob er sich am Vorhang vorbei, ehe ihm auch schon die auf dem Bauch liegende Gestalt Lupins ins Auge fiel. Das, was unter der Decke von seinem Oberkörper zu sehen war, war ordentlich verbunden worden, die Arme hingen schlaff zu beiden Seiten herab. In dem spärlichen Mondlicht, welches durch das Fenster schien, wirkte Lupins Haut beinahe genauso fahl wie seine eigene – was auch am Blutverlust liegen konnte. Dunkle Schatten zeichneten sich unter den geschlossenen Augen ab, die zahlreichen Narben stachen wie immer hervor. Für wenige Sekunden starrte er den Werwolf einfach nur an, nicht wissend, was er tun sollte; ihn zu wecken, war keine Option.

Er hätte einen Heiltrank mitnehmen sollen, um eine Ausrede für seine Anwesenheit zu finden, doch woher die Zeit nehmen? Geschweige denn die Geduld und Konzentration nach allem, was passiert war. Seine Nerven lagen blank und Lupin so zu sehen, wissend, dass dies seine Schuld war, zermürbte ihn mehr, als es ihm recht war.

Freunde…waren sie das? Lily war die einzige Freundin, die er je gehabt hatte. Dennoch konnte er nicht abstreiten, dass Lupin wichtig für ihn geworden war. Trotz dieses verwirrenden und natürlich absolut unangemessenen…Kusses. Auch, wenn er diesen Vorfall vergessen wollte, fehlte es ihm, mit dem Gryffindor in der Bibliothek zu sitzen. Ihm fehlte diese Ruhe, die Lupin beim Lernen ausstrahlte, und ja, er wollte, dass dieser ihn wieder so treudoof anblickte…mit diesem nervigen, viel zu freundlichen Lächeln. Er war der Einzige, der ihn auf diese Weise anlächelte und es sogar ernst meinte.
 

Erschrocken über seine eigenen Gedanken, wich er einen Schritt zurück, sah unschlüssig auf den schlafenden Werwolf herunter. Als würde dieser ihn je wieder so anlächeln, geschweige denn ihn in seiner Nähe wollen. Nicht nach dem, was passiert war…oder doch? Lupin verzieh ja normalerweise alles und jedem…

Severus schüttelte den Kopf über sich selbst, kehrte dem Bett dann den Rücken. Das hier machte keinen Sinn, vor allem wusste er ja nicht mal, was er sagen sollte, falls der andere aufwachen würde. Nein, das hier war eine ganz dumme Idee. Er würde sich etwas überlegen müssen und später wiederkommen. Ein paar Tage später…

„…willst du nichts sagen?“

Die erschöpft klingende Stimme hinter ihm ließ ihn zusammenzucken. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich langsam zu dem Werwolf umwandte. Dieser lag weiterhin im Bett, blinzelte ihn müde an, doch der verbitterte Zug um seinen Mund entging ihm nicht.

„Du bist wach“, stellte er überflüssigerweise fest, da ihm zunächst nichts Besseres einfiel.

„Sieht so aus.“

Stumm blickten sie einander an und Severus wusste, dass Lupin darauf wartete, dass von ihm etwas kam. Die Sache war nur, dass er sich selten entschuldigte und gnadenlos schlecht darin war. Was sollte er schon sagen? Tut mir leid, dass dich mein Fluch beinahe umgebracht hätte?

„Ich…“

Nun, das war ein Anfang, auch wenn er immer noch mit sich haderte, wohingegen Lupin bloß eine Braue hob. Er sah wirklich furchtbar aus.

„…was passiert ist…“, rang er sich zum Weitersprechen durch. „…der Fluch…es hätte Black treffen sollen…ich wollte n-“

„Ist das dein Ernst, Snape?“, unterbrach ihn Lupin kälter, als er es ihm zugetraut hatte.

Es sorgte dafür, dass er innehielt, ihn unschlüssig ansah, während sich seine Hände in seinem Umhang verkrallten. Begriff Lupin nicht, wie viel ihm das hier abverlangte? Wie sehr er sich bemühte, eine Entschuldigung hervorzubringen?

„Das ist es, was du dazu zu sagen hast? Dass du wünschtest, es hätte Sirius getroffen und nicht mich? Verdammt, Snape! Dieser Fluch ist schwarze Magie! Du wusstest, wie er wirkt! Du wusstest, dass er töten kann!“

Lupins Stimme hatte einen harschen Ton angenommen und Severus zuckte wie unter einem Peitschenknall zusammen; als hätte er heute nicht schon genügend Standpauken bekommen. Ihm wurde entsetzlich übel bei den Worten – nicht, weil er Blacks Tod bedauern würde, sondern weil ihm gerade klar wurde, dass Lupin ihm wirklich nicht einfach verzeihen würde. Es traf ihn mehr, als er geglaubt hatte.

„Ich…du hast gehört…was er gesagt hat! Ich…war wütend…es ist nicht meine Schuld! Er hat mich zuerst beleidigt und angegriffen!“, entfuhr es ihm.

Er würde das hier nicht auf sich sitzen lassen! Black war an allem schuld, Severus hatte nur darauf reagiert! Seine Verteidigung schien Lupin zu ermüden, denn er blickte ihn wieder mit diesem matten Blick an.

„Sirius‘ Verhalten ist nicht zu entschuldigen“, gab er leise zu. „Was meinst du, weswegen ich dazwischen gegangen bin? Ich verstehe, warum du das getan hast…aber das rechtfertigt keinen Mord.“

Sein Hals wurde trocken wie Papier, er konnte Lupin in Ermangelung passender Worte lediglich anstarren. Er musste etwas sagen, konnte das nicht so stehen lassen. Es war ungerecht.
 

„Ich-“, krächzte er, wurde aber unterbrochen.

„Wenn du dich rausreden willst, dann geh lieber. Ich habe gerade keine Kraft dafür.“

„Aber-“

„Snape, bitte…“

„Es tut mir leid, Herrgott!“, platzte es aus dem Slytherin heraus.

Eigentlich musste er so leise wie möglich sein, doch er konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Lupin ließ ihm ja nicht mal die Chance, sich zu erklären…oder zu entschuldigen. Eben dieser blickte ihn irritiert an, ehe er hörbar ausatmete.

„Es…tut mir leid…ich wollte dich nicht…es war nicht richtig, aber…ich kann es nicht rückgängig machen. Es…ich wollte das nicht…“

Er presste die Lippen so fest zusammen, dass es wehtat, verkrampfte die Hände im Stoff seines Umhangs. Ihm war unheimlich elend zumute und Lupins plötzliche Ruhe half da nicht. Schon wieder fühlte er sich erbärmlich…als würde er zu Kreuze kriechen. Vergeblich, wie es bei Lily der Fall war.

„Warum bist du überhaupt hier, Snape?“, fragte der Werwolf leise. „Du meidest mich, seitdem…“

Auch wenn er den Satz unvollendet ließ, wusste Severus sofort, wovon er sprach. Er konnte nur von diesem Vorfall sprechen und so direkt damit konfrontiert zu werden, überforderte ihn.

„…was hast du denn erwartet?“, erwiderte er defensiv. „Das ist…widernatürlich…als ob ich…ich kann nichts dafür, dass…“

Lupins Ausdruck brachte ihn zum Verstummen, denn er begriff in diesem Moment, dass es ihm ernst war. Was Severus sagte, verletzte ihn – er sah es in seinen bernsteinfarbenen Augen. So, wie Lily ihn mit ihrer abweisenden Art verletzte.

„Verstehe“, murmelte Lupin knapp.

„Ich-“

„Ich denke, es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst.“

Das Gefühl der Hilflosigkeit machte sich erneut bemerkbar, lähmte ihn regelrecht. Lupin wollte ihn nicht mehr sehen und er musste das akzeptieren. Lupin wandte sich von ihm ab, so wie Lily sich von ihm abgewandt hatte. Wenige Sekunden stand er nur da, blickte den Werwolf an, ehe er herumfuhr und mit wehendem Umhang aus dem Krankenflügel verschwand.



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