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Als wir Kinder waren

von

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Was ich sehe

Er schnaufte erschöpft. Mussten sie dieses Spiel jetzt schon wieder spielen? Er wusste doch genau, wie das endete. Entweder an einer Wand oder, schlimmer noch, unter Schuldig. Mürrisch rieb er mit den Zähnen aufeinander. Er wollte das jetzt geklärt haben. Er musste. Zur Not auch als der „Feind“ Schuldigs. Er hatte sowieso schon zu viel von sich selbst gezeigt. Abyssinian war nur eine Fassade. Ein Schutz und die stimmlose Erlaubnis für das Gerechte zu töten. Etwas, das er jetzt nicht für passend befand. Ran entschloss sich Schuldigs Worte einfach zu ignorieren.

„Du machst mir nichts vor. Ich weiß, wie du tickst“, begann er und wurde von einem amüsierten Schnaufen unterbrochen.

„Das werden wir ja sehen, Abyssinian“, kam es höhnisch und herausfordernd zu ihm und er hatte alle Mühe nicht aufzuspringen und auf Schuldig loszugehen. Sicher wollte er ihn dazu provozieren, denn im Zweikampf hatte Ran ganz sicher keine Chance gegen ihn. Er mahnte sich zur Ruhe. Würde er dieses komische Spiel eben mitspielen.

„Abyssinian konntest du vielleicht etwas vor machen. Aber mir nicht mehr. Ich sehe, dass dich etwas quält“, bemerkte er noch halb in Gedanken.

„Weißt du eigentlich, wie schizophren das klingt?“ Schuldigs Kichern nagte an seinen Nerven.

„Vielleicht bin ich das, aber mein Gott! Kannst du mich nicht einfach aussprechen lassen?“, fuhr er ihn laut an und erhaschte die ehrliche Überraschung in Schuldigs Blick.

„Sei doch ein einziges Mal das sadistische Arschloch, dass ich kenne und lass mich einfach reden!“, verlangte er nur wenige leiser. Schuldig grinste. Gott, wie er dieses wissende Grinsen in diesem Moment hasste. Dazu noch die gönnerhaft darbietende Handbewegung. Warum regte ihn dieser Kerl nur so auf?

„Avec plaisir“, sagte Schuldig so melodisch ruhig, dass er glaubte, sein Blut beginne zu kochen.

„Blöder Angeber!“, gab er sich noch ein letztes Ventil, ehe er sich endgültig zu seiner gewohnten kühlen Maske zwang. Fast entspannt lehnte er sich an die Wand hinter dem Bett.

„Ich kann mich nur noch an Bruchstücke aus meiner frühen Kindheit erinnern. Ich habe die Bruchstück immer für seltsame Träume gehalten. Mein Vater hat mir immer wieder klar gemacht, dass es nur Träume wären und nichts bedeutete. Meine Mutter hatte mich nur seltsam angelächelt. Wahrscheinlich wusste sie sich nicht anders zu helfen.“, begann er leise und sah auf, als Schuldig näher zum Bett kam.

„Eltern, was?“, meinte er achselzuckend und lächelte.

„Reiß dich zusammen!“, zischte Ran und Schuldig ließ sich auf das Bett fallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Ja, ja. Erzähl weiter“, murmelte er. Ran knurrte.

„Irgendwann habe ich nichts mehr davon erzählt und irgendwann hatte ich es vergessen. Ich kam nie auf den Gedanken, dass ich adoptiert sein könnte. Sie behandelten mich nicht anders als Aya und die Freunde meines Vaters sagten mir als ich älter wurde immer öfter, ich wäre meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Und dann kommst du an stolziert und sagst mir, diese komischen Träume aus meiner Kindheit wären die Wahrheit.“ Schuldig schnappte empört nach Luft und Ran richtete einen Blick auf den Mann, der doch tatsächlich wie ein kleines Kind die Luft anhielt. Vorsichtig zog er eine Braue hoch.

„Was soll das denn werden, du Kleinkind?“, wollte er wissen. Schuldig blies die Luft aus den Wangen und setzte sich energisch auf.

„Also erstens: Ich stolziere nicht. Ich bin so großartig! Und zweitens: Hast du vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, dass Menschen vielleicht nur das sehen, was sie sehen wollen?“

„Eine solch philosophische Aussage, Mastermind?“, fragte Ran und spürte das spielerische Lächeln auf seinen Lippen wachsen. Er spürte, wie die Lust Schuldig erneut durch die Kissen zu hetzen in ihm aufstieg. Er hatte die letzten Stunden genossen, hatte sich fallen lassen können. Vorsichtig rieb er sich über die Stirn. Er musste fokussiert bleiben. Stille legte sich zwischen sie und Ran sah auf das Laken über seinen Beinen. Wenn er ehrlich mit sich war, wusste er schon lange, was diese ganze Sache für ihn war. Sie war gefährlich ernst für ihn. Doch was Schuldig dachte, konnte er beim besten Willen nicht einschätzen. Dass er ihn manipulierte oder ihn nur benutzte glaubte er nicht mehr. Er musste sich langsam und vorsichtig vortasten.

„Menschen sehen, was sie wollen. Gut und schön. Aber wie sollte man das erkennen? Wie erkennt man, ob das was man wahrnimmt der Realität entspricht?“, fragte er, hielt seinen Blick auf das Laken. Ok, noch subtiler konnte er sich nicht ausdrücken. Jetzt war Schuldig im Zugzwang. Ran wurde mit jedem Augenblick neugieriger, was als Antwort kommen würde.

„Man testet es“ Schuldigs ruhige Tonlage ließ ihn aufsehen. Kurz fragte er sich, ob Schuldig begriffen hatte, was er von ihm wollte.

„Wie?“, ging er darauf ein. Er beobachtete, wie Schuldig sich langsam aufsetzte und sich etwas zu ihm drehte.

„Sieh mich an!“, bestimmte er und Ran folgte skeptisch. Der offene Blick jagte ihm Schauer durch den Körper. Das reine Blau faszinierte ihn auf eine seltsame Art.

„Sag mir was du siehst! Dann sag ich dir, was ich sehe und dann werden wir sehen, wie nahe wir der Realität kommen.“ Schuldigs Stimme war noch immer so ruhig. Fast, als erkläre er ihm den Aufbau eines Apfels.

„Was ich sehe?“, fragte er, doch erwartete er keine Antwort. Das schlucken fiel ihm schwer. Er hatte sich von Schuldig in diese Ecke drängen lassen und musste nun den ersten Schritt wagen. Er zögerte. Schuldig schien ihm alle Zeit geben zu wollen. Er ließ sich diese Zeit. Lange sah er ihm in die Augen, war zum Teil erleichtert, dass auch Schuldig den Blick nicht löste. Je länger er in dieses Blau sah, desto schmerzhafter wurde ihm bewusst, was er sagen würde. Was er sagen musste. Sanft, fast verzeihend strich er dem Deutschen über die Wange. Er nahm all seinen Mut zusammen.

„Ich sehe etwas, das nicht funktionieren wird. Nicht funktionieren kann, sobald wir in dieses Flugzeug steigen“, seine Stimme hatte kaum Kraft und es schien ihm mehr als passend. Er pfiff gerade auf all seine kühlen Schalen. Sicher sah er so verzweifelt aus, wie Schuldig es tat. Er stockte. Schuldig hatte ein hilfloses Lächeln auf den Lippen.

„Ich weiß“, war die ebenso leise Antwort und er schluckte noch härter. Das hier zwischen ihnen war nicht nur irgendwas. Es war Realität.

„Ich sehe einen Tanz auf einem Drahtseil, der mir verdammt viel Spaß machen wird und mir endlich mal alles abverlangt“ Trocken schluckte Ran und unterbrach nun ihren Blickkontakt. Er ertrug dieses Gefühl nicht mehr. Es zerschnitt ihm die Brust. Schuldigs Hand in seinem Nacken half dieses Mal leider gar nichts. Im Gegenteil. Es verschlimmerte das Gefühl und ein schaler Geschmack legte sich in seinen Mund. So durfte das nicht sein. Es musste jetzt enden, oder würde ihn zerfressen.

„Nein“, flüsterte er.



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