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Urlaubsreif

Seto x ?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen.

Gebeutelt von einer kleinen Schaffenskrise beim nächsten Kapitel (es fällt mir irgendwie deutlich schwerer so etwas wie Romantik aufzuschreiben als sie mir auszudenken) wollte ich euch aber das bereits fertige Kapitel nicht vorenthalten.

Schönes Wochenende euch.

PS: das Kapitel ist nicht Korrektur gelesen - bitte verzeiht mir daher etwaige Fehler. Komplett anzeigen

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19.2. Donnerstag

Wie gebannt starrte Seto an die Uhrzeit an der Decke, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Die Nacht war traumlos gewesen, wofür er dankbar war, und ohne weitere Folgen für seinen Körper, was seine Dankbarkeit vergrößerte. Endlich einmal wieder warm duschen! Draußen war es bereits hell, versprach aber nur einen weiteren grauen Wintertag, weshalb er sich gar nicht erst mit den kleinen Hemdknöpfen abmühte, sondern sich gleich einen Pulli schnappte. Irgendetwas spannendes zum Lesen würde er schon finden. Aber erst brauchte er etwas Essbares, wie ihn sein Magen freundlich erinnerte. Hoffentlich war das nur so eine Nebenwirkung des Urlaubs. Sein Personal würde vom Glauben abfallen, wenn er morgens neben seinem Kaffee und dem Wirtschaftsteil plötzlich feste Nahrung verlangte!

Mit einer genauen Vorstellung, was er essen wollte, drückte er den gewohnten Knopf und antwortete reflexartig auf das „Guten Morgen“, das ihm aus dem Lautsprecher entgegen schallte: „Guten Morgen. Ich hoffe es ist noch früh genug, Shin, dass du vorbei kommen kannst und mir ein paar Rühreier machst.“ Er hielt zögernd inne. Irgendetwas stimmte nicht. Nicht nur, dass er seine Anfrage äußerst höflich formuliert hatte, sondern auch Shins Stimme hatte anders als sonst geklungen.

„Hans?“

„Ja?“

„Wo ist Shin?“

„Shin hat heute frei und ich kann hier momentan nicht weg. Aber keine Angst! Sie bekommen Ihr Frühstück wie gewünscht. Ich lass mir etwas einfallen.“

Damit war die Verbindung beendet und ließ Seto nichts anderes übrig als Däumchen zu drehen. Prophylaktisch deckte er den Tisch, vielleicht wurde es ja was mit seinem Frühstück, und suchte sich dann das Buch aus dem Regal heraus, das er den Tag über Lesen wollte. Er liebte einfach alte Science Fiction – besonders, wenn ihm dabei auffiel, was er mit seiner Firma bereits Realität hatte werden lassen.

Beim Geräusch der aufgehenden Tür zum Flur drehte er sich um und stand auf, um Yuki ihre Last abzunehmen und sie nach Shin zu fragen, gefror jedoch mitten in der Bewegung, den Finger noch zwischen den Seiten.

„Guten Morgen.“ Statt der jungen Frau stand der Chef vor ihm, beziehungsweise ging auf Socken auf die Küche zu, zwei Kisten übereinander balancierend, und sich nicht davon stören lassend, dass er keine Antwort bekam.

Nur Setos verwirrter Blick folgte ihm und seiner Fracht, die nun auf der Arbeitsplatte landete.

„Shin besucht heute seine Familie“, erklärte er und fing an auszupacken. „Aber er hat mir erzählt, dass Sie eventuell Interesse daran hätten, zu lernen, wie man unser Rührei zubereitet. Deswegen können Sie mich heute als Ihren persönlichen Kochlehrer ansehen. Ist Pizza zum Mittagessen für Sie akzeptabel?“

Hatte er sich je darüber beschwert, was ihm die Küche vorsetzte? Seto nickte nur schlicht und trat ein paar Schritte näher. Neben den vertrauten Zutaten, die er bereits bei Shin gesehen hatte, wurden nun auch zwei Schürzen zu Tage gefördert, von denen ihm eine hingehalten wurde.

„Wofür brauchen wir die?“, fragte er entsetzt, als er erkannte, dass die schlichte dunkelgraue Farbe durch mehrere Feenaufnäher kompromittiert wurde.

„Zum Schutz der Kleidung. Gerade Kochanfänger neigen dazu, sich ihre Sachen zu versauen. Alternativ kann man natürlich auch oberkörperfrei kochen – dann ist nur noch die Hose in Gefahr“, erwiderte der Chef und zog sich, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, den warmen Pullover über den Kopf. Leider trug er noch ein Hemd darunter, zu dessen Schutz er nun die zweite Schürze umlegte. Sie war knallrot und wies hier und da Erdbeeren auf, die sich bei genauerem Hinsehen als Kobolde oder zumindest irgendetwas in der Art herausstellten. Offensichtlich hatte Seto noch die ertragbare Variante abbekommen.

„Aha“, stellte er trocken fest und ergab sich in sein Schicksal. „Wo findet man solche … Schürzen?“ Kritisch blickte er an sich herab. Wie sollte er in diesem Aufzug auch nur einen Hauch einer Chance haben, für den anderen attraktiv zu wirken? Denn nach dem ersten Schock hatte sich die Freude über dessen Anwesenheit bei ihm eingestellt und alle Zweifel und Entschlüsse des Vortages einfach davon gewischt. Ein herzhaftes Lachen, zog seine Aufmerksamkeit wieder zu anderen Dingen.

„Sie sind speziell nicht wahr? Meine Tante macht sie. Ihr Modell war im Übrigen mal für meinen Dad entstanden, der es mir aber sehr schnell für das Hotel mitgegeben hat.“

Was für eine Verrückte musste diese Tante sein, dass sie davon ausging, ihr Bruder würde so etwas tatsächlich tragen.

„Wollen wir dann loslegen?“

Einen Ausweg schien es nicht zu geben.

„Als erstes müssen die Eier in diese Schüssel. … Nein. Ohne die Schale! Sehen Sie? So.“

Zum Glück schien er mit Rückschlägen gerechnet zu haben und hatte genug Eier mitgebracht.

„Ja, besser. Acht sollten reichen. Dann verquirlt man sie. Entweder mit einem Schneebesen oder einer Gabel. Nein, das ist ein Kuchenspatel.“

Vorsichtig wurde ihm das richtige Werkzeug in die Hand gedrückt.

„Das Wichtige ist, dass alle Eigelbe geöffnet sind und sich mit dem Eiweiß gut vermischen. Ja, gut. Kommen wir nun zum Fisch.“

Zumindest hatte er das richtig gemacht. Und mit Messern konnte er umgehen – dachte er zumindest.

„Ihnen ist schon bewusst, dass das nächste Krankenhaus 20 Kilometer entfernt ist? Passen Sie daher bitte auf Ihre Finger auf! Besser ist es, wenn Sie die Hände so halten. Dann gleitet das Messer so entlang, dass es nicht in Ihre Hand schneiden kann. Tut dem Geschmack des Fisches auch besser, wenn kein Blut drauf ist. So, das kommt jetzt alles zum Ei. Langsam! Sonst spritzt alles aus der Schüssel heraus. Gut. Jetzt können wir uns um die Pfanne kümmern. … Für die Menge brauchen wir eine Pfanne von ungefähr der Größe. In dieser müssen wir nun ein bisschen Fett erhitzen. Sonnenblumen-Öl eignet sich auch gut dazu. Nein, das ist Olivenöl.“

Schweigend standen sie beide nebeneinander, während sie darauf warteten, dass die Pfanne heiß genug wurde – wann immer das der Fall sein sollte. Immerhin hatte er den Herd an bekommen.

„Ich würze nun kurz die Menge. Sehen Sie? Ungefähr diese Menge an Salz und ein kleines bisschen Pfeffer. Bei Spiegelei würzt man meist erst am Ende der Bratzeit, aber bei Rührei wird sonst der Geschmack nicht gleichmäßig. Hier bitte sehr“, er drückte ihm die Rührschüssel in die Hand, „das muss jetzt alles in die Pfanne... Alles heißt alles. So und jetzt kräftig umrühren.“

Er legte ihm ein seltsames Holzgebilde in die Hand und wartete.

„So wird das nichts. Achtung!“

Von hinten wurden Setos Hände gegriffen, der kurz zusammenzuckte. Die eine führte seine Linke an den Griff der Pfanne, die andere festigte seinen Griff um das seltsame Holz und ließ sie kräftig in der langsam stockenden Eimasse herumstochern und rühren. Doch er konnte sich kaum darauf konzentrieren, was er da eigentlich tat, denn die Wärme des anderen hinter ihm war nur zu deutlich spürbar. Ihre Wangen berührten sich fast und er war vollkommen überfordert, als er nun allein weiter machen sollte. Außerdem hätte er beinahe lauthals protestiert gegen die plötzliche Unterbrechung des Körperkontaktes. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte er irgendwie die Bewegungen nachzumachen, während er sich fragte wie lange er das noch machen musste und wo der Chef geblieben war, da er sich nicht traute auch nur eine Sekunde den Blick von der Pfanne zu nehmen aus Angst, es könne ihm alles um die Ohren fliegen.

„Das reicht. Sonst ist das arme Frühstück tot und das hat es wirklich nicht verdient.“ Sanft aber bestimmt wurde Seto zur Seite geschoben und die Pfanne übernommen. Unglaublich selbstsicher landete das Ei auf zwei Tellern, die unvermutet auf der Arbeitsplatte standen. „Bitte sehr. Setzen Sie sich bitte schon. Ich kümmere mich hier noch um den Rest.“

Brav gehorchte er, fasziniert von dem, was er nun zu seinem Platz transportierte als hätte es noch seine ursprüngliche rohe Form. Mit anhaltendem Hochgefühl setzte er sich hin und wartete. Und wartete. „Wird das heute noch was? Ich dachte, dass das Frühstück es nicht verdient hätte, tot zu sein - und das wird es sein, wenn es kalt wird“, grummelte er ungeduldig vor sich hin.

„Noch eine halbe Minute, dann sind auch die Vorbereitungen für unser Mittagessen abgeschlossen und meine Hände auch wieder sauber.“

„Unser Mittagessen? ... Welche Vorbereitungen?“

„Der Teig. Denken Sie wirklich, ich lasse schnöden Fertigteig in mein Hotel? So, fertig. Der muss jetzt noch gehen.“

Seto hörte das Rauschen des Wasserhahns. Wenige Augenblicke später saß er nicht mehr allein am Tisch.

„Was ist? Wieso fangen Sie nicht an? Es ist definitiv nicht vergiftet, wie Sie selbst beobachten konnten. Außerdem - wenn Sie nicht bald anfangen, werde ich Ihre Portion auch essen.“

Scharf zog Seto die Luft ein. „Das würden Sie nicht wagen!“

„Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen?“

Statt zu antworten, schob sich Seto den ersten Bissen in den Mund. Es war zwar nicht so gut wie Shins, doch dafür, dass er mitgewirkt hatte, schmeckte es gut. Er gab es zwar ungern zu, aber Kochen würde wohl nie seine Stärke werden, was ihn auf einen anderen Gedanken brachte.

„Woher können Sie das alles eigentlich?“

„Was genau?“

„Kochen. Sie machen Rührei nebenher und machen einfach so einen Pizzateig - auch wenn ich noch nicht weiß, ob dieser überhaupt genießbar ist.“

Wie schaffte man es, Rührei im Mund verschwinden zu lassen und gleichzeitig so wundervoll zu lächeln?

„Das ist wirklich keine Kunst“, kam über die Lippen seines Gegenübers, bevor wieder etwas von dem Essen hinter ihnen verschwand.

„Aber Sie leiten das Hotel hier, sind gebildet und...“

„Seit wann schließt sich denn das aus? Natürlich lassen mich weder Shin noch Hans in Ihre Küche, aber so ein bisschen weiß ich noch aus der Zeit, als ich alleine gewohnt habe. Und zum Thema Pizza. Der Teig ist spitze. Hans' Familienrezept. Ich hab ihn in Italien kennengelernt nach Ende meines Studiums. War ein hartes Stück Arbeit, seinen Onkel davon zu überzeugen, dass er seinen besten Koch gehen lässt – und dann ausgerechnet nach Japan. Das war aber nichts im Vergleich dazu, als er uns zu seinem Einstand Sauerkraut vorsetzte. Können Sie sich das vorstellen? Wir erwarteten alle etwas leckeres Italienisches und saßen dann vor deutscher Hausmannskost!“

So ein bisschen konnte Seto sich das in der Tat vorstellen, doch aktuell war er zu sehr von dem breiten Grinsen auf dem Gesicht des Hotelmanagers abgelenkt. Wenigstens hatte er während seines Redeschwalls nicht weiter gegessen. Wäre ja auch noch schöner gewesen! Das wäre viel zu sehr der Stil des Köters gewesen. Wie wenn er sich geschnitten hätte, zuckte er zusammen. Seit wann war er wieder – auch wenn nur in Gedanken – so gemein zu seinem Hündchen? Schnell versuchte er sich mit dem nächst besten, was ihm einfiel, abzulenken und sagte: „Naja, an dem Namen hätte es Ihnen vielleicht auffallen können. Apropos, wie heißen Sie eigentlich?“

Der andere funkelte ihn aus seinen dunklen Augen an. „Vielleicht. Aber Sie können mir glauben, die wenigsten von denen kochen tatsächlich typisch deutsch. Außerdem, wie gesagt, traf ich ihn in Italien... Ich sehe, Sie sind auch fertig. Wenn Sie wollen, wasche ich kurz ab und danach erhalten Sie eine kleine Revanche für Montag.“ Geschmeidig erhob sich der Chef und räumte den Tisch ab, bevor er in der Küche verschwand, die Ärmel noch vom Teigkneten hochgekrempelt. Setos letzte Frage blieb unbeantwortet.
 

„Hier. Sehen Sie? Hier an dieser Stelle, haben Sie mir den ersten Vorsprung geschenkt. Das wird in vielen Büchern und Magazinen als der korrekte Weg dargestellt, aber es gibt auch eine Gegenbewegung, die diese Form der Reaktion als besser erachtet.“ Flink entfernte er die Steine vom Brett und legte sie in den Farben wechselnd neu. „Damit hätten Sie an dieser Stelle parieren können und meine Strategie wertlos.“

Endlich saßen sie sich wieder gegenüber, wie Seto es sich am Tag zuvor so sehnsuchtsvoll – innerlich knirschte er mit den Zähnen, doch es war das beste Wort, was ihm dazu einfiel – gewünscht hatte. Er auf dem Sofa, der Chef auf dem Sessel, zwischen ihnen der Wohnzimmertisch. Beide hatten sich leicht nach vorne gebeugt, zum einen, um das Brett besser betrachten zu können, zu anderen, um zu zweit verschiedene Möglichkeiten ihrer alten Partie durchzugehen. Mit dem was er gestern gelesen hatte, war er für ihn um ein Vielfaches einfacher, die Züge seines Gegners zu verstehen. Dennoch stellte er auch fest, dass diese Denkweise sich vollkommen von seiner eigenen unterschied. Fast schon hatte er das Gefühl als läge in ihr ein Hauch von Chaos.

„Hören Sie mir noch zu?“, wurde er aus den Gedanken gerissen.

Heftig nickte er, den Blick starr nach unten gerichtet. „Natürlich. Sie meinten gerade, dass ich dort“, er wies auf einen Bereich in der aus seiner Sicht oberen linken Ecke, „Gebiet verschenkt habe. Allerdings musste ich so reagieren, denn sonst hätten Sie mir wahrscheinlich die ganze Ecke geraubt und...“ Irgendetwas stimmte nicht. Er kam nur nicht darauf. Nur seine Intuition sagte ihm, dass sich etwas in der letzten Minuten verändert hatte. Aber das Brett lag unverändert da, bis zu dem Zug, an dem er anscheinend nicht optimal gesetzt hatte. Also musste es etwas in seiner unmittelbaren Umgebung sein. Er hatte sich beim Zeigen noch ein bisschen weiter nach vorne gelehnt und hob nun vorsichtig den Kopf. Hatte er den Abstand zwischen ihnen am Dienstag bereits für gering gehalten, so wurde er nun belehrt, dass es näher ging, sehr viel näher. Ihm blieb nur ein kurzer Augenblick, in dem er sein eigenes Spiegelbild in etwas Dunklem sehen konnte, über dem sich rasch die Augenlider schlossen und er rasch die Luft einsaugen konnte, bevor seine Lippen ganz sacht und sanft etwas Zartes berührte. Zögernd schloss ebenfalls er seine Augen, um es besser wahrnehmen zu können. Seinen Herzschlag konnte er bis zu seinem Hals hinauf spüren, seine Nase war gefangen mit Gerüchen, die in sofort an einen Wald denken ließen und auf seinen Lippen schien eine ganze Kolonie von Ameisen ein Fest zu veranstalten. Erst als er die vorwitzige Spitze einer warmen Zunge dort spürte, konnte er sich daran erinnern, dass er sowohl Feste, als auch Ameisen noch nie besonders gut hatte ausstehen können. Trotzdem löste er sich nicht abrupt, sondern richtete sich langsam auf, wodurch die Verbindung einen Moment länger bestehen blieb. Seine Augen waren längst wieder offen und so erhaschte er einen Blick darauf, wie unglaublich sanft das Gesicht des Chefs aussehen konnte, der noch kurz in der Position verharrte. Währenddessen überschlugen sich die Gefühle und Gedanken in Seto.

Erstens hatte er sich seinen ersten Kuss eindeutig anders vorgestellt. Wenn er sich denn einmal mit so etwas beschäftigte, hatte er immer erstaunt feststellen müssen, dass er doch ein wenig Romantiker war – zumindest was diesen einen, ersten Kuss anbelangte. Er hatte Kerzen gewollt, schöne Musik, ein dramatischer Abendhimmel wäre nicht schlecht gewesen. Aber darauf konnte er zur Not verzichten, denn es gab zwei Dinge, die ihm dabei bedeutend wichtiger gewesen waren. Er hatte ihn immer mit seinem Hündchen gewollt und ihn beginnen wollen – quasi um sich herausreden zu können und es als erniedrigenden Scherz darstellen zu können, falls der andere nicht so reagierte, wie er es sich erhoffte. Was ihn unweigerlich zu zweitens brachte. Was fiel diesem Kerl ein, ihn so mir nichts dir nichts ohne Vorwarnung oder sonstige Anzeichen zu küssen? Okay, es hatte am Montag diese Andeutung gegeben, dass er auf Männer stand, und sein Verhalten am Dienstag konnte man durchaus als Flirten bezeichnen – wie schaffte er es gerade eigentlich sich noch an Wochentage zu erinnern? – aber das war noch keine Erklärung, warum er so über ihn herfiel! Keiner behandelte Seto Kaiba einfach so und kam damit ungeschoren davon! Er spannte seine Muskulatur an, um ihm eine zu verpassen und hielt in der Bewegung, die er noch nicht begonnen hatte, inne. Der andere blickte ihn einfach nur stumm erwartend an.

„Sagen Sie mir jetzt wenigstens wie Sie heißen?“

Seine einzige Antwort war ein Kopfschütteln, bei dem ein paar Haarsträhnen ihren frisierten Platz verließen.

„Ich darf Sie aber zumindest duzen?“

Wieder ein Kopfschütteln, bei dem er feststellen konnte, dass seine Wangen leicht zu glühen schienen. Doch mit einem solchen Misserfolg wollte er sich nicht zufrieden geben.

„Küssen Sie mich dann noch einmal?“ Er wusste selbst nicht, woher das kam, aber als sich der Chef erhob, sich quer über den Tisch lehnte und mit den Händen auf Armlehne und Polster des Sofas abstützte, nur um seine Lippen zu erreichen, war ihm das auch egal. Dieses Mal kam keine Zunge dazwischen, doch es schien ihm als würde der Kuss zwischendrin immer wieder leicht gelöst, um ihn dann wieder zu intensivieren.

Nun war er es, dem einfach die Lippen des anderen entzogen wurden. Am liebsten hätte er protestiert, aber der zurückgebliebene Rest seiner Selbstachtung hielt ihn davon ab, während es sich der Chef wieder im Sessel bequem machte und zu sprechen begann: „Ich würde Ihnen gerne einen Vorschlag machen. Sie kennen doch bestimmt die Handlung von Lohengrin.“

Seto nickte nur, unsicher, worauf der andere hinaus wollte.

„In Anlehnung daran, kam mir die Idee, treffen wir eine Vereinbarung. Sie erfahren meinen Namen. Aber“, fuhr er dazwischen, bevor Seto ihn zu Weiterem auffordern konnte, „erst wenn Sie am Samstag wieder zu Hause sind. Ich werde Ihnen persönlich eine E-Mail schicken. Bis dahin, werden Sie weder mich oder einen anderen des Teams nach meinem Namen fragen. Tun Sie es doch – und ich werde es bestimmt erfahren – werden Sie diese E-Mail nicht erhalten, unabhängig davon, ob sie eine zufriedenstellende Antwort erhalten haben oder nicht. Einverstanden?“ Er hielt ihm über den Tisch hinweg seine Hand hin.

Ohne auch nur einen Moment zu zögern oder gar mit der Wimper zu zucken, schlug Seto ein. „Einverstanden.“
 

Die nächsten Stunden vergingen für ihn wie im Rausch. Es verstrichen mehrere Minuten, bis sie endlich ihre Hände wieder losließen, doch sie kehrten nicht zu ihrer Partie zurück.

„Haben Sie schon einmal Pizza selbst belegt?“, fragte der Chef ihn, während er aufstand.

„Natürlich!“, schoss ihm die Antwort überraschend harsch entgegen.

„Dann werden Sie mir bestimmt bei der Zubereitung unseres Mittagessens helfen.“ Damit ging er hinüber in die Küche und öffnete den Kühlschrank. „Stellen Sie es einfach auf der Arbeitsplatte ab.“ Er drückte Seto verschiedene Behälter in die Hand. Der größte davon war unverkennbar Tomatensoße, dann gab es verschiedene Käsesorten, Oliven, Pilze,... Was war das alles und wieso hatte es unbemerkt in seinem Kühlschrank gestanden? Aber bevor er fragen konnte, war die Tür auch schon wieder zu und der Chef widmete sich zuerst dem Backofen, aus dem er mehrere Bleche nahm und ihn hochdrehte, und dann dem Teig. „Waschen Sie sich bitte gründlich die Hände und krempeln dann die Ärmel hoch.“

Seto machte es ihm nach und starrte neugierig in die Schüssel. Der Chef beschrieb ihm knapp wie man erkennen konnte, ob er die richtige Konsistenz hatte und formte dann flink zwei Pizzen, die jeweils ein eigenes Blech erhielten. Erst beim Belegen durfte er wieder mithelfen. Unschlüssig starrte er in die Behälter. Schließlich entschied er sich für eine Mischung aus Salami und Peperoni. Stumm wurde ihm der Käse hingehalten, um sein Werk zu vervollständigen, was seinen Blick auf die andere Pizza lenkte, auf der sich eine sehr eigenwillige Interpretation einer Quattro Stagioni präsentierte. Er glaubte nicht, dass das auch nur irgendwie schmecken konnte. Wortlos machte er alles fertig und wartete dann darauf, dass endlich alles in den Ofen kam.

Ihr Essen verlief eher ruhig, weil sie beide viel zu sehr damit beschäftigt waren, es zu genießen. Für gepflegte Konversation blieb so keine Möglichkeit. Erst beim Abwasch, den Seto übernahm, kam wieder ein Gespräch zwischen den beiden zu Stande. „Wieso hatten Sie eigentlich so viele verschiedene Sachen auf ihrer Pizza?“, fragte er, während er die Tomatenflecken auf seinem Teller bearbeitete. „Wieso nicht? Leider gibt es bei uns nicht so oft Pizza und es fällt mir immer schwer mich für einen Geschmack zu entschieden.“

„Dann sagen Sie doch einfach Hans, dass Sie öfter Pizza haben wollen. Das macht zumindest Mokuba regelmäßig mit unserer Köchin.“

„Aber bestimmt weisen Sie ihn dann genauso oft daraufhin, dass es ungesund ist, oder? Leider ist Pizza nämlich nicht so optimal, wenn man Muskeln aufbauen will. Also muss ich ein bisschen auf meine Ernährung achten – wenigstens erlauben mir Shin und Hans ab und zu was Süßes. Vor allem, wenn es kaum Kalorien hat.“ Beim letzten Satz schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, dass Seto unsicher werden ließ, ob wirklich noch von echten Süßigkeiten die Rede war. Schnell wandte er sich wieder dem dreckigen Geschirr zu und so entging ihm der Blick des anderen auf die Uhr. „Was halten Sie davon, wenn wir noch eine Stunde über Go sprechen? Ich sollte mich nämlich demnächst wieder an die Arbeit machen.“

Er war keineswegs glücklich darüber, dass der andere so bald schon wieder gehen wollte, doch das Argument Arbeit musste er gelten lassen. „Gerne“, antwortete daher Seto und beeilte sich jetzt erst recht mit dem Abwasch. Zum Glück hatte er mit den zerbrechlichen Teilen begonnen, denn plötzlich spürte er die Wärme des Chefs an seinem Rücken, einen Arm, der sich um seinen Körper schlang und seinen Kopf auf seiner Schulter.

„Wir könnten natürlich aber auch etwas anderes machen, wenn Ihnen das lieber ist“, wurde in sein Ohr geflüstert.

Seine Nackenhaare richteten sich auf, während die Schüssel zurück in die Spüle rutschte. Was würde er lieber machen als ein gutes Gespräch über Go zu führen? Schlagartig strömten Gedanken und Bilder auf ihn ein. Offensichtlich hatte seine Fantasie den Urlaub genutzt, um aufzublühen, denn so etwas hatte er sich bisher nicht in seinen kühnsten Träumen vorgestellt. Er schluckte heftig in der Hoffnung so zumindest einen Teil davon zu vertreiben. Seiner Stimme traute er in diesem Moment nicht, so drehte er sich einfach in der engen Lücke zwischen fremden Körper und Spülbecken um, schlang seine Arme um ihn und presste seine Lippen auf seine. Einen Augenblick später wollte er sich schon wieder enttäuscht lösen – Küssen war anscheinend doch schwerer als er gedacht hatte; dieser Kuss zumindest war grauenvoll – als er merkte, wie er erwidert wurde. Diesmal tat er nichts gegen die neugierige Zunge, die sich verlangend, aber vorsichtig in seinen Mund hineinwagte und dort auf Erkundungstour ging. Jedes Mal, wenn sie wie zufällig die seine berührte, musste er sich zusammen reißen, nicht zu keuchen oder zu stöhnen. Er hatte bereits jegliches Zeitgefühl verloren, als sie sich zurückzog, aber durch sanftes Stupsen ihm zu verstehen gab, ihr zu folgen.
 

Unsicher sah Seto dem Chef zu, der sich hastig die Schnürsenkel zu band. Seine Lippen fühlten sich geschwollen und leicht wund an. Sein gesamter Oberkörper kribbelte dort, wo ihn die Hände des anderen während ihres Kusses berührt hatten, und erst allmählich schien sich Atmung und Herzrhythmus bei ihm wieder zu stabilisieren. Die Haare des Blonden waren noch nicht ganz wieder ordentlich, was ihm trotz aller Eleganz ein wildes Aussehen verlieh, und … „Morgen Vormittag werde ich arbeiten müssen. Aber nach dem Mittagessen werde ich zu Ihnen kommen“, riss der Hotelmanager ihn aus seiner Betrachtung.

Er nickte bloß und hatte gerade genug Zeit den Abschiedskuss zu erwidern, bevor er sich allein im Haus befand.
 

Mit viel zu schnell schlagendem Herzen lag er wach im Bett und starrte an die Decke. Seit über zwei Stunden versuchte er nun bereits einzuschlafen, versagte dabei aber kläglich. Ihm war heiß und kalt zu gleich, seine Lippen brannten noch immer und sein Kopf kam einfach nicht zu Ruhe. Ohne wirklich zu wissen wieso, stand er auf und begab sich in den Flur. Aus einem der Fächer der Garderobe nahm er etwas rotes, weiches heraus und drückte sein Gesicht hinein. So schwankte er zurück in sein Bett, deckte sich zu und war nach nur wenigen Atemzügen endlich eingeschlafen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Alistor
2020-08-13T18:56:31+00:00 13.08.2020 20:56
Nur mit dem Duft nach ihm, kann er einschlafen
Dieses Kapitel ist einfach nur heiß
Wow
Rune Wilde Knutscherei, huuuh
Ich bin gespannt, wie Seto reagiert, wenn er erfährt, WER der Hotelmanager wirklich ist
Antwort von:  Alistor
13.08.2020 20:57
Eine Knutscherei, nicht Rune
Von:  Anyu
2015-08-24T08:49:46+00:00 24.08.2015 10:49
Dass sich Seto Kaiba noch mal in ein kleines verliebtes Schulmädchen verwandelt hätte ich nicht erwartet. Es zeichnete sich zwar lange ab, aber das Kapitel schießt wahrlich alles ab. Oder eher schießt es Seto Kaiba Selbstdisziplin ab.
Einfach herrlich.
Der Deal ist gut. So, wie es Seto Kaiba gemacht hätte - tut ihm gut mal auf der Anderen Seite der Sache zu stehen.

Tolle FF - wirklich gutes Kapitel!


Antwort von:  flower_in_sunlight
24.08.2015 15:23
Danke.
Der Deal war ja auch von langer Hand geplant ^^
Bezüglich Selbstdisziplin - lies einfach mal das nächste Kapitel.
Von:  Onlyknow3
2015-08-23T15:06:29+00:00 23.08.2015 17:06
Ja Seto selbst schuld wenn du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst, oder es eventuell einfach nicht Wahr haben willst welche Ähnlichkeiten es zwischen Joey und dem Hotelchef gibt gerade was sein äußerliches betrifft. Selbst Schuld wenn du nun nicht erfährst wer er ist und warten musst bis nach deiner Abreise. Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel, und ob Seto der Lösung doch einen Schritt näher kommt als er jetzt schon ist. Sehr schöne Geschichte, da Seto ja erst nach der Abreise erfahren soll wer der Hotelchef ist, was liegt da näher als eine Fortsetzung zu Urlaubsreif?

LG
Onlyknow3
Von:  Kemet
2015-08-22T20:27:42+00:00 22.08.2015 22:27
So, so. Er soll es per E-Mail erfahren? Oha, Du lässt den armen Seto, der den 'Chef' nicht einmal duzen darf, aber ordentlich leiden. Wie schöm!
Zu Anfang, nein, eigentlich das ganze Kapitel über dachte ich nur: Oh man, wie kann man so derartig blind sein! Hätte er seinen Gedankengang irgendwie ausgeführt, wäre er vielleicht darauf gekommen. Vielleicht.

>Die Haare des Blonden waren noch nicht ganz wieder ordentlich, was ihm trotz aller Eleganz ein wildes Aussehen verlieh, und … < - ihn an Joey erinnerte? An den jenigen, von welchem er seinen ersten Kuss haben wollte? Oh, Seto, wie nahe dran Du doch gewesen bist.

Deine Fanfic gehört zu der Kategorie: Spannend bis zum Schluss. Das muss man Dir also lassen. Dazu kommt, dass es einfach nur herzlichst süß war zu lesen, wie Seto seinen ersten Kuss empfindet und was es in ihm auslöst. Dass er sich bemühen musste nicht zu stöhnen. Natürlich hoffe ich auf eine festere Bindung jenes schönen Anfangs, aber ich lasse mich überraschen. Wenn das Ende so ist, wie ich denke, schreit es jetzt schon nach einer Fortsetzung, denn das kann - nach der erhofften Auflösung - nicht alles gewesen sein.

Somit verbleibe ich hoffend in Wartestellung.

LG
Antwort von:  flower_in_sunlight
23.08.2015 20:59
Ja, soll er - ich freue mich seit Monaten auf diese Szene!
Und freue mich sehr, dass dir die Kussszenen gefallen haben - das lockert doch gleich etwas meine Blockade. ;-)

Vielleicht schreit es nach einer Fortsetzung, aber bis auf ein paar Szenen habe ich das ganze noch nicht weitergedacht. Mal schauen.

LG


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