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Vielleicht irgendwann

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich kann es nicht glauben, aber ich lade diese Story jetzt tatsächlich hoch. Habe vor einer Weile angefangen, sie zu schreiben und es existieren auch schon ein paar Kapitel, aber ich wollte sie lange nicht hochladen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich sie auch beende. Allerdings denke ich nun, dass ich sie doch beenden werde. :'D
Ähm... also hier gibt es nun meine neue Story. Eventuell wird der Titel noch geändert und bei Gelegenheit werde ich auch ein Cover hinzufügen, Charakterbeschreibungen gibt es diesmal allerdings keine. :> Ihr werdet schon sehen, wer so mitmischt und wie sie alle drauf sind.
Also ich freue mich über jeden, der sich hierher verirrt und lesen möchte. :> Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben,
diesmal ein Vorwort. Ich habe wirklich schon seit Ewigkeiten keine Kommentare mehr beantwortet und das tut mir auch echt unglaublich leid. Dennoch sollt ihr wissen, dass ich natürlich jeden einzelnen Kommentar mit Begeisterung lese.
Ich habe momentan ziemlich viel mit Unterrichtsvorbereitung zu tun und wenn ich mal Freizeit habe, mache ich lieber irgendwas anderes. :'D Ich schreibe momentan auch kaum. Ich hoffe, das ändert sich bald wieder. Komplett anzeigen

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1. Kapitel, in dem Hikari Laufen lernt

„Oh mein Gott, ich glaube es nicht!“, rief Natsuko entzückt und streckte die Arme aus. „Komm zu mir, Süße. Na komm' schon.“

„Foto, Foto!“, rief Yuuko und zückte den Fotoapparat, während Hikari wackelig aber strahlend auf Natsuko zugelaufen kam. Die kleinen Ärmchen hatte sie in Natsukos Richtung ausgestreckt, die nun auch die Arme ausbreitete, um Hikari aufzufangen. Während Yuuko um Natsuko und Hikari herumhüpfte, machte Letztere breit grinsend ihre ersten Schritte.

„Du bist so süß!“, quietschte Natsuko und fing das kleine Mädchen auf, das endlich bei ihr angekommen war.

„Das hast du so toll gemacht, mein Schatz“, lobte Yuuko ihre Tochter zu Tränen gerührt und küsste sie auf das haselnussfarbene Haar. „Das musst du nachher unbedingt deinem Bruder und heute Abend Papa zeigen. Die werden sich freuen.“

„Oh ja, zeigst du das Tai nachher? Zeigst du das Tai nachher? Das machst du, oder?“, quiekte Natsuko und kitzelte Hikaris Bauch, sodass diese kicherte und auf den Po fiel.

Nur einer fand gerade keinen Grund zur Fröhlichkeit. Der kleine Takeru stand abseits gegen die Couch gelehnt und beobachtete das Geschehen mit skeptischem Blick. Dann kam er auf seine Mutter zugelaufen.

„Nein!“, rief er und schlug Hikari mit der flachen Hand gegen den Kopf. „Nicht Hika!“

Hikari sah erst erschrocken aus und fing dann an zu weinen, während Natsuko Takeru von ihr wegzog.

„Takeru, nein! Es wird nicht gehauen!“, ermahnte sie ihn mit strengem Blick.

Unterdessen hatte Yuuko Hikari auf den Arm genommen und flüsterte ihr beruhigende Worte zu.

„Ich glaube, er war eifersüchtig“, meinte sie zu Natsuko und schaukelte Hikari auf ihrem Arm hin und her.

„Du Dummchen, Hikari ist doch deine Freundin“, sagte Natsuko und streichelte Takeru beruhigend über das hellblonde Haar.

Hikari hatte sich inzwischen wieder beruhigt und beobachtete die beiden vom Arm ihrer Mutter aus. Dann versteifte sie sich und streckte die Arme mit einem glucksenden Geräusch nach Takeru aus, sodass Yuuko sie direkt neben ihm herunterließ. Sie schlang die Arme so gut sie konnte um Takerus Hals und presste den leicht geöffneten Mund auf seine Wange.

„Oooooohhhhh“, kam es von beiden Müttern gleichzeitig und Yuuko schoss blitzschnell ein Foto.

„Gibst du Takeru einen Kuss?“, quietschte sie, gerührt von dieser niedlichen Geste. „Na los, gib ihm noch einen Kuss.“

Hikari tat wie ihr geheißen, während Takeru das Ganze mit einem entgeisterten Blick für seine Mutter über sich ergehen ließ. Schließlich wurde es ihm zu viel und er schob die anhängliche Hikari von sich fort, sodass sie erneut auf dem Hintern landete. Auf seiner Wange blieb ein feuchter Fleck zurück.

Er stützte die Hände auf das Bein seiner Mutter, die noch immer am Boden hockte, und sagte aufgeregt: „Yama! Yama! Abholen.“

„Nein, wir müssen erst... oh, du hast Recht. Wir müssen die Jungs abholen, Yuuko“, sagte Natsuko mit einem Blick auf ihre Armbanduhr.

Sie verstauten die beiden Kleinkinder in ihren Buggys und machten sich gut gelaunt schwatzend und lachend auf den Weg zu dem Kindergarten, den ihre Söhne Taichi und Yamato besuchten.

2. Kapitel, in dem Takerus Eltern sich die Haare schneiden lassen

„Piep, piep, piep, recht guten Appetit!“, riefen alle Kinder im Chor, bevor sie ihren Löffel ergriffen und sich über ihr Mittagessen hermachten. Es gab Reis mit Hühnchen und Gemüse und Hikari hatte einen Bärenhunger. Kein Wunder. Sie war den ganzen Vormittag draußen mit ihren Freundinnen herumgerannt. Sie hatten Sandkuchen gebacken, Fangen gespielt und so getan, als wären sie entführte Prinzessinnen. Takeru hatte eigentlich der Prinz sein sollen, der sie befreite, doch er hatte nicht mitspielen wollen. Stattdessen hatte er allein auf einer Bank gesessen und mit einem Blatt gespielt. Naja, eigentlich hatte er es nur zerrupft, sodass seine Hände hinterher ganz grün waren. Hikari hatte sich gewundert, warum er lieber allein herumsaß, anstatt mit ihr zu spielen.

Nun warf sie einen Blick auf seinen Teller. Sie selbst hatte schon die Hälfte ihrer Portion verdrückt, während auf seinem Teller gerade einmal ein klitzekleines Stück fehlte. Dabei aß Takeru normalerweise immer mehr als alle anderen zusammen.

„Warum isst du nicht?“, fragte sie und sah ihn an.

„Keinen Hunger“, murmelte er, ohne von seinem Teller aufzublicken. Mit dem Löffel schob er sein Essen durch die Gegend, trennte den Reis vom Gemüse und das Gemüse vom Hühnchen.

„Wenn du nicht aufisst, regnet's morgen“, erinnerte Kari ihn eindringlich. Sie wollte keinen Regen. Wenn es regnete, mussten sie drin bleiben, aber draußen war es viel schöner. Takeru spielte auch lieber draußen, das wusste sie. Also warum aß er nicht?

Auch Frau Sato, der Erzieherin, fiel auf, dass Takeru keine Lust auf sein Mittagessen hatte.

„Takeru, was ist los? Iss dein Mittagessen“, forderte sie ihn auf. „Wir wollen doch dann alle gemeinsam ein Buch lesen.“

Takeru sah sie nur aus seinen großen blauen Augen an und schüttelte den Kopf.

„Wieso nicht? Hast du keinen Hunger?“, fragte Frau Sato, stand von ihrem Platz auf und ging zu ihm. Sie hockte sich zwischen ihn und Hikari und sah ihn an. „Sieh mal, Hikari ist schon fast fertig. Deine beste Freundin war heute schneller als du.“

„Keinen Hunger“, bestätigte Takeru nur.

„Hm“, machte Frau Sato und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast aber schon zum Frühstück kaum etwas gegessen. Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?“

Er schüttelte erneut den Kopf.

„Was hast du? Bauchschmerzen?“, hakte Frau Sato nach und fühlte seine Stirn. Auch Hikari musterte ihn neugierig.

„Bist du traurig?“, fragte sie.

Takeru sah Hikari an und nickte langsam.

„Oh, warum denn? Hat dich jemand geärgert?“, fragte Frau Sato besorgt.

„Meine Eltern lassen sich scheiden“, antwortete Takeru endlich und ließ den Kopf wieder hängen.

„Oh“, machte Frau Sato und wirkte auf einmal ganz komisch. Hikari sah beide nur abwechselnd an und war verwirrt. Was bedeutete „denn sich scheiden lassen“? Auf jeden Fall war es etwas Schlechtes und es hatte etwas mit Takerus Eltern zu tun. Scheiden klingt so ähnlich wie schneiden. Vielleicht wollten seine Eltern sich die Haare abschneiden lassen? Das wäre wirklich traurig, wenn sie auf einmal beide keine Haare mehr hätten. Vor allem für Natsuko. Eine Frau ohne Haare?

„Das tut mir Leid, Takeru“, murmelte Frau Sato und streichelte ihm über die schmalen Schultern. „Das ist wirklich traurig und ich verstehe dich. Aber du musst trotzdem etwas essen, hörst du? Du willst doch groß und kräftig werden.“

„Ja. Du willst doch mal der Größte in der Gruppe sein“, fügte Hikari aufmunternd hinzu. Takeru war nämlich der Kleinste in ihrer Kindergartengruppe.

„Ich hab' aber keinen Hunger“, wiederholte Takeru nur.

Frau Sato seufzte, als wäre auch sie traurig. „Na schön. Versuch‘ wenigstens, ein bisschen zu essen, okay? Und was du nicht mehr willst, lässt du dann einfach stehen.“

 

Nachdenklich saß Hikari auf ihrem Platz hinter dem Beifahrersitz und starrte aus dem Fenster. Sie und ihre Mutter hatten gerade Taichi vom Fußballtraining abgeholt und waren nun auf dem Weg nach Hause.

Seit Beginn des Schuljahres spielte Taichi nun schon Fußball. Hikaris Mutter sagte immer, dass sein Trainer sagte, er wäre gut. Er war schnell und treffsicher. Und es machte ihm unglaublich viel Spaß. Er sah sich sogar manchmal mit ihrem Vater zusammen Fußballspiele im Fernsehen an und dann redeten sie gemeinsam darüber, als würden sie selbst mitspielen. Hikari fand das nur furchtbar langweilig. Sie blieb dann lieber im Kinderzimmer und spielte mit ihrem Puppenhaus.

Heute aber musste Hikari den ganzen Tag über Takeru nachdenken. Sie fragte sich, was so schlimm daran war, wenn seine Eltern sich wirklich die Haare schneiden ließen. Ja, es war traurig, aber so traurig nun auch wieder nicht. Und außerdem hatte Takeru noch nie über die Haare seiner Eltern geredet.

„Mäuschen, ist alles okay mit dir? Du bist so still“, riss ihre Mutter sie aus ihren Gedanken und sah sie im Rückspiegel an.

„Wenigstens plappert sie mal fünf Minuten nicht“, warf Taichi ein, der neben Hikari hinter dem Fahrersitz saß.

„Tai, hör' auf“, wies Yuuko ihn zurecht.

„Mama, weißt du, was T.K. heute im Kindergarten gesagt hat?“, fragte Hikari, ohne auf die Bemerkung ihres Bruders einzugehen.

„Nein, was denn?“

„Er hat gesagt, seine Eltern wollen sich schneiden lassen oder so. Er war ganz traurig und wollte sein Mittag nicht essen“, erklärte Hikari aufgeregt.

„Sich schneiden lassen?“, fragte Yuuko verwirrt.

„Sie meint bestimmt ‚sich scheiden lassen‘“, sagte Taichi.

Hikari bestätigte seine Vermutung mit einem Nicken und wandte sich wieder an ihre Mutter. „Was heißt das?“

„Mann, bist du doof. Du bist echt noch ein Baby, wenn du das nicht weißt“, erwiderte Taichi abfällig.

„Du sollst aufhören, so mit deiner Schwester zu reden!“, rief Yuuko verärgert.

„Genau.“ Hikari streckte ihm die Zunge raus. „Ich bin kein Baby mehr.“

„Doch. Du gehst ja sogar noch in den Kindergarten. Ich geh' schon zur Schule und komme in die zweite Klasse. Und du bist erst vier.“

„Na und? Nächstes Jahr komme ich auch in die Schule“, entgegnete Hikari trotzig.

„Übernächstes Jahr, Süße“, berichtigte ihre Mutter sie.

„Mama, was heißt denn nun 'scheiden lassen'?“, erinnerte Hikari ihre Mutter an die eigentliche Frage, die sie ihr gestellt hatte.

Yuuko seufzte, so ähnlich wie Frau Sato. Irgendwie schienen alle traurig zu sein.

„Naja, weißt du...“, begann sie zögerlich.

„Das heißt, dass seine Eltern sich trennen“, übernahm Taichi die Erklärung. „Matt hat's mir gestern auch erzählt.“

„Sich trennen?“, fragte Hikari noch verwirrter als vorher.

„Ja“, antwortete Taichi. „Sie lieben sich nicht mehr. Takeru und Natsuko werden wegziehen.“

Hikari sah ihren Bruder mit großen Augen an. „Und Matt und Hiroaki? Bleiben die da?“

„Ja. Die bleiben da, wo sie jetzt alle vier wohnen“, erklärte Taichi gewichtig.

„Und wo gehen Takeru und Natsuko hin?“

Taichi zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht nach China oder so.“

Hikaris Augen wurden noch größer. Sie hatte zwar keine Ahnung, wo China war, aber es war sicher weit weg.

„Sie ziehen doch nicht nach China. Erzähl' ihr nicht so einen Unsinn, Tai! Sie ziehen nur in einen anderen Stadtteil von Tokio, Schatz“, erklärte Yuuko. „Ihr werdet euch nicht mehr im Kindergarten sehen, aber wir können Natsuko und Takeru trotzdem ab und zu besuchen fahren.“

„Er geht nicht mehr in unseren Kindergarten?“, fragte Hikari ungläubig. Das war für sie ganz und gar unvorstellbar. Takeru und sie waren doch die ganze Zeit in den gleichen Kindergarten gegangen. Da konnte er doch nicht so einfach in einen anderen gehen.

„Nein, der ist dann wahrscheinlich zu weit weg“, antwortete Yuuko.

„Also Yamato bleibt auf der gleichen Schule wie ich“, verkündete Taichi. „Bestimmt sogar in der gleichen Klasse.“

„Ja, Liebling. Das ist schön“, erwiderte Yuuko.

Hikari hatte sich zurückgelehnt und sah wieder aus dem Fenster. Sie verstand das alles nicht. Takerus und Yamatos Eltern hatten sich also nicht mehr lieb und deswegen mussten Takeru und Natsuko wegziehen? Warum konnten sie nicht trotzdem weiter zusammenwohnen? Eltern konnten sich doch nicht einfach trennen. Die gehörten doch zusammen. Mama und Papa. Jedes Kind hatte doch beides und nicht nur eins von beiden. Wie sollte das funktionieren? Und dann würde Takeru in einen anderen Kindergarten gehen. Das ging doch auch nicht. Sie waren doch beste Freunde.

3. Kapitel, in dem es immer nach den Jungs geht

„Schatz, wieso machst du so ein Gesicht? Du bist doch ab jetzt ein Schulkind.“ Besorgt hockte sich Natsuko vor Takeru auf den Boden und strich ihm durch das goldblonde Haar. Seine blauen Augen waren groß und traurig.

„Ich will aber nicht in die Schule gehen“, antwortete er mit weinerlicher Stimme.

„Alle Kinder gehen in die Schule. Du willst doch viel lernen. Lesen und Schreiben und Rechnen.“

„Hab' aber keine Lust“, erwiderte Takeru und sah zu Boden.

„Ist es, weil Kari nicht dabei ist?“, fragte Natsuko nun einfühlsam.

Ohne aufzusehen zuckte Takeru mit den Schultern. Er starrte Natsukos Zehen an. Durch die dünne Strumpfhose konnte er den tiefroten Nagellack erkennen, den sie früher immer so gern aufgetragen hatte. Immer, wenn sie mit seinem Vater ausgegangen war.

„Hör' mal, sie kommt doch heute zu uns zum Feiern. Wir feiern gemeinsam euren Schulanfang, ja? Und wir besuchen Kari auch weiterhin ganz oft“, sagte seine Mutter.

Takeru nickte, doch seine Mutter wusste, dass er nur halb überzeugt war. Er hatte Angst vor der Schule und wünschte sich, Hikari wäre dabei, um jemanden zu haben, der ihm vertraut war. Die beiden liebten sich einfach.

„Na los, gehen wir zurück zu Matt und Papa“, sagte Natsuko, nahm seine Hand und zog ihn zurück ins Wohnzimmer.

Für Takeru war es äußerst seltsam, wenn die ganze „Familie“ aus irgendeinem Grund zusammenkam. Einerseits freute er sich natürlich, da er hoffte, seine Eltern würden sich irgendwann wieder lieb haben, und dass sie überhaupt zusammen in einem Raum waren, war in seinen Augen ein gutes Zeichen. Andererseits jedoch herrschte stets eine seltsame Stimmung, wenn dies mal der Fall war. Es war komisch, die eigenen Eltern dabei zu beobachten, wie sie Abstand voneinander hielten und an verschiedenen Enden der Couch saßen, darauf bedacht, sich nicht zu nahe zu kommen und sich möglichst wenig in die Augen zu sehen. Takeru wusste, dass es diese fragwürdigen Zusammenkünfte nur gab, um ihm und Yamato einen Gefallen zu tun.

Heute waren sie jedoch nicht nur zu viert, sondern auch Takerus japanische Großeltern waren gekommen und Hikari würde mit ihrer ganzen Familie da sein. Somit würde Takeru hoffentlich nicht allzu viel Gelegenheit haben, über das seltsame Verhalten seiner Eltern nachzudenken.

Es klingelte an der Tür und Takeru stürmte als Erster in den Flur, wo er auf seine Mutter wartete, die den Gästen aufmachte. Natürlich war es die gesamte Familie Yagami, alle schick angezogen und mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Takeru fiel sofort auf, dass Hikari ein neues Kleid trug.

Alle begrüßten sich und nur wenige Sekunden später verschwanden Takeru, Hikari, Yamato und Taichi in Takerus Zimmer. Bei den Erwachsenen war es ihnen definitiv zu langweilig.

„Schau mal, Takeru. Das ist mein neues Kleid. Mama hat es mir zum Schulanfang gekauft“, sagte Kari und drehte sich im Kreis. Es war hellblau mit kleinen weißen Blümchen darauf.

Takeru lächelte und beobachtete sie dabei, wie sie am Saum herumzupfte. Er selbst hatte anlässlich seines Schulanfangs natürlich auch neue Sachen bekommen. Eine Jeans und ein Hemd. Aber eigentlich waren ihm Klamotten egal, solange sie nicht rosa waren.

„Mann, Kari, niemand interessiert sich für dein blödes Kleid“, murrte Tai, der Hikari ebenfalls beobachtet hatte.

„Ja. So'n Mädchenkram“, stimmte Yamato ihm zu.

„Also ich find's schön“, wandte Takeru ein, nicht, weil ihm das Kleid nicht egal gewesen wäre, sondern weil er wusste, dass es Hikari manchmal traurig machte, wenn Tai so mit ihr redete.

„Was auch immer. Was wollen wir jetzt spielen?“, fragte Taichi in die Runde und sah dabei hauptsächlich Yamato an.

„Wie wäre es mit: ich bin die Prinzessin, Takeru ist der Prinz und ihr seid die bösen Räuber, die die Prinzessin entführen wollen?“, schlug Hikari vor.

Die beiden älteren Jungs stöhnten synchron.

„Du immer mit deinen blöden Prinzessinnenspielen. Die kannst du im Kindergarten spielen“, erwiderte Taichi und machte eine Handbewegung, als wollte er eine Fliege verscheuchen.

„Ich gehe nicht mehr in den Kindergarten“, fauchte Hikari. „Wie wäre es mit Mensch-ärgere-dich-nicht?“

Wieder stöhnten die Jungs genervt.

„Das ist so langweilig“, murrte Yamato.

„Aber wir sind vier und da können vier mitspielen. Das passt doch“, wandte Takeru schulterzuckend ein.

„Ja, aber es ist trotzdem langweilig“, meinte Yamato.

„Wollen wir nicht lieber rausgehen und Fußball spielen?“, schlug Taichi schließlich enthusiastisch vor.

Yamato nickte zufrieden. „Ja, dafür bin ich auch.“

„Okay.“ Takeru zuckte mit den Schultern, während es diesmal Hikari war, die genervt stöhnte.

„Nicht schon wieder. Wir haben letztes Mal schon Fußball gespielt. Und das Mal davor auch.“

„Na und? Drei gegen einen. Also entweder kommst du mit, oder du bleibst allein hier bei den Erwachsenen.“

Angesäuert verzog Hikari das Gesicht. Takeru wusste, dass sie auf keinen Fall allein hier mit den Erwachsenen bleiben wollte. Eher würde sie ihr neues Kleid aufessen.

4. Kapitel, in dem Taichi Ärger macht

„Ich weiß wirklich nicht, was wir noch mit dir machen sollen!“, rief Yuuko verzweifelt und raufte sich die Haare. „Es ist schon das zweite Mal diese Woche, dass du aus Versehen das Fenster des Lehrerzimmers zerschossen hast.“

„Das war wirklich aus Versehen!“, verteidigte Taichi sich. „Glaubst du, ich lege mich mit Absicht mit der Alten an?“

„Frau Kobayashi“, korrigierte Susumu ihn in scharfem Ton. „Und was sollte die Aktion mit dem Stuhl?“

„Was kann ich dafür, dass der einfach auseinanderfällt?“, blaffte Taichi und breitete die Arme aus.

„Der Stuhl ist natürlich ganz plötzlich einfach so, während du ganz artig darauf gesessen hast, kaputt gegangen“, erwiderte Susumu, die Stimme triefend vor Sarkasmus.

„Naja ich habe halt kurz gekippelt, weil…“

„Ach! Da ist er wohl doch nicht durch Zauberhand auseinandergefallen“, unterbrach ihn sein Vater.

„Hallo? Du lässt mich nicht mal ausreden!“, rief Taichi entrüstet und haute mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Warum hast du denn gekippelt? Etwa, weil du dir von deinem Hintermann nur einen Stift ausborgen wolltest?“ An der Art, wie er es sagte, konnte man hören, dass Susumu selbst nicht an diese Theorie glaubte.

„Eine Schere“, sagte Taichi nun ruhiger.

„Und warum musst du dir eine ausborgen? Du hast doch selbst eine. Wo war die?“

„Zu Hause vergessen.“

Hikari seufzte, während sie dieses Gespräch von der Couch aus verfolgte. Es war ständig das gleiche Thema, worüber ihre Eltern mit Taichi stritten: sein Benehmen in der Schule. Heute Nachmittag hatte Yuuko wieder einen Anruf von seiner Lehrerin Frau Kobayashi bekommen, weil er das Fenster im Lehrerzimmer beim Fußballspielen zerschossen und während des Unterrichts einen Stuhl kaputt gemacht hatte. Der letzte Anruf war erst zwei Tage her. Nach jedem Anruf setzten sich Taichi und Hikaris Eltern nach dem Abendessen gemeinsam an den Esstisch und sprachen über das, was passiert war. Anfangs waren diese Gespräche noch dazu gedacht gewesen, Taichi eine Chance zu geben, die Situation aus seiner Sicht zu erklären und gemeinsam eine Lösung für das Problem zu finden, doch als sich die Anrufe und die anschließenden Gespräche häuften, verwandelten sie sich mehr und mehr in ein Kreuzverhör, das nach ein paar Minuten in einen Streit eskalierte. Hikari wurde in dieser Zeit vor den Fernseher gesetzt, wo sie sich eine Zeichentrickserie angucken durfte, die sie jedoch nur mit halber Aufmerksamkeit verfolgte.

„Müssen wir denn ab jetzt jeden Abend deine Tasche kontrollieren, ob du auch alles eingepackt hast? Tai, du bist schon in der fünften Klasse. Du solltest selbst in der Lage sein, deine Schultasche zu packen“, seufzte Yuuko und rieb sich die Stirn.

„Nein, ihr sollt meine Tasche nicht kontrollieren!“, rief Tai genervt. „Kann ich jetzt endlich in mein Zimmer gehen?“

„Nein!“, polterte Susumu. „Du wirst dich morgen bei Frau Kobayashi für die Fensterscheibe und den Stuhl entschuldigen!“

„Boah nee, Mann! Ich will mich nicht bei der Alten entschuldigen. Es ist doch nicht meine Schuld, dass…“

„Keine Widerrede! Ich werde morgen Abend in der Schule anrufen und fragen, ob du dich entschuldigt hast, und wenn nicht, steckst du in großen Schwierigkeiten!“

„Aber ich hab‘ doch gar nichts…“

„Hör‘ auf damit! Wir wissen, was du gemacht hast. Ich glaube kaum, dass Frau Kobayashi uns anruft, um uns Lügenmärchen zu erzählen!“

„Habe ich ja auch gar nicht behauptet!“, rief Tai und ballte die Hände zu Fäusten.

„Du hast für den Rest der Woche Fernsehverbot!“, beschloss Susumu, ohne auf seinen Einwand einzugehen.

„Was?! Das ist voll unfair!“

„Anscheinend ist das der einzige Weg, wie du lernst, dich zu benehmen. Und jetzt kannst du in dein Zimmer gehen.“

Hikari riskierte einen vorsichtigen Blick zum Esstisch. Taichi war aufgestanden und starrte seine Eltern wütend an. Er sah aus, als wollte er noch etwas erwidern, doch schließlich drehte er sich um und stürmte in das Zimmer, das er sich mit seiner Schwester teilte.

Schwer seufzend stützte Yuuko den Kopf auf den Händen ab. „Warum ist er nur so ein Rabauke? Von wem hat er das denn?“

„Ich habe keine Ahnung“, grummelte Susumu mit einem Blick zu Hikari, als wüsste diese die Antwort. „Werd‘ bloß nicht so wie dein Bruder, hörst du?“

Hikari wandte sich nur wieder mit starrem Blick dem Fernseher zu, ohne jedoch wahrzunehmen, was dort passierte. Sie fand ihren Bruder gar nicht so schlimm. Klar, er ärgerte sie oft und verzapfte manchmal Mist in der Schule. Aber ganz oft half er ihr auch bei Hausaufgaben, beim Schuhebinden, spielte mit ihr, wenn ihr langweilig war oder passte auf sie auf, wenn ihre Eltern mal keine Zeit hatten. Ja, er war durchaus ein guter Bruder.

Bevor ihre Sendung zu Ende war, erhob sie sich von der Couch und schlich in das gemeinsame Kinderzimmer. Taichi lag ausgestreckt im unteren Bett des Doppelstockbetts und starrte mit finsterem Blick Löcher in die Luft.

„Hau ab“, fauchte er, als sie hereinkam.

„Das ist auch mein Zimmer“, erinnerte Hikari ihn. „Du kannst mich nicht rausschmeißen.“

Taichi erwiderte nichts, sondern drehte sich grummelnd auf die andere Seite, sodass er ihr nun den Rücken zuwandte.

Einen Augenblick lang musterte Kari seine Rückseite, dann ging sie entschlossen zum Bücherregal, zog ein Buch heraus und ging zurück zu Taichi. Wie selbstverständlich kletterte sie mit dem Buch in der Hand über ihn hinweg und setzte sich dicht an seinen warmen Körper gedrückt auf das Bett.

„Liest du mir das Buch vor?“, fragte sie und hielt ihm das Buch, das sie ausgewählt hatte, so dicht vor die Nase, dass er den Kopf zurückzog und sich am Bettpfosten stieß.

„Autsch! Verdammt, Kari! Ich hab‘ keinen Bock!“, murrte er und drehte sich auf den Rücken.

„Bitte, bitte, bitte“, bettelte Kari, legte das Buch auf seiner Brust ab und sah ihn mit dem Blick an, von dem sie wusste, dass er ihn nicht leiden konnte. Dem gab er nämlich immer nach.

„Boah, du nervst echt mega“, grummelte er, schnappte sich aber das Buch und musterte das Cover. „Die Erdbeerprinzessin. Schon wieder.“

„Ist mein Lieblingsbuch“, erklärte Hikari. In Wirklichkeit war es ihr jedoch im Moment egal, welches Buch er ihr vorlesen würde. Ihr war nur wichtig, dass er ihr eines vorlas, denn immer, wenn er für sie ein Buch las, war er so sehr damit beschäftigt, die Stimmen der Figuren nachzuahmen und es ausdrucksstark vorzulesen, dass er alles andere um sich herum vergaß. Er gab sich immer Mühe, für seine kleine Schwester möglichst perfekt zu lesen und wenn sie währenddessen an spannenden Stellen mit großen Augen die Luft anhielt, an lustigen Stellen laut lachte und an niedlichen Stellen vergnügt quietschte, war das für ihn ein Ansporn, noch einmal extra Gas zu geben. Es war schon vorgekommen, dass sie sich beide verkleidet und eine Geschichte nachgespielt hatten oder am Ende eines Buches gemeinsam überlegten, wie es weitergehen könnte. Nicht nur Hikari hatte ihren Spaß beim Vorlesen, auch Taichi brachte es jedes Mal auf andere Gedanken.

Zufrieden kuschelte sie sich an ihn, als er die erste Seite aufschlug und zu lesen begann.

5. Kapitel, in dem sich besser niemand mit Hikari anlegen sollte

„Schaut mal, das sind meine neuen Ballettschuhe“, sagte Hikari mit leuchtenden Augen und zeigte ihren Freundinnen Momoko und Kazumi stolz die Schuhe, die sie am Vortag von ihren Eltern zum neunten Geburtstag bekommen hatte. Die alten waren so abgenutzt gewesen, dass sie sich schon fast geschämt hatte, mit diesen in der Ballettstunde zu erscheinen. Außerdem wurden sie ihr ohnehin allmählich zu klein.

„Wow, die sind voll schön“, schwärmte Momoko und ließ ihren Zeigefinger über den seidigen Stoff der rosafarbenen Schuhe gleiten.

„Ziehst du sie heute zum Training schon an?“, fragte Kazumi.

„Klar“, antwortete Hikari. Sie konnte es kaum erwarten, dass der Unterricht endlich vorbei war und sie zum Training gehen konnte.

Plötzlich, ohne dass sie es verhindern konnte, wurden ihr die Schuhe aus der Hand gerissen und sie hörte ein nur allzu bekanntes Lachen.

„Was sind das denn für hässliche Schuhe? Und wie sehen die überhaupt aus?“ Es war Kenta, ein Junge aus der vierten Klasse, der es sich mit seinem besten Kumpel Ryuichi zur Lebensaufgabe gemacht hatte, alle anderen Schüler zu schikanieren. Hikari war zusammengezuckt, als er ihr die Schuhe aus der Hand geschnappt hatte und auch nun stand sie stocksteif auf der Stelle und wusste nicht, was sie tun sollte.

„Hat deine Mami dir die geschenkt?“, höhnte Ryuichi und nahm Kenta einen Schuh aus der Hand.

„Gib sie mir zurück“, sagte Hikari wenig überzeugend.

„Die gehören Kari“, mischte sich nun auch Momoko ein, doch auch ihre Stimme klang zu hoch und zu piepsig, um den Jungs Angst zu machen.

„Pech, jetzt nicht mehr. Jetzt gehören sie uns“, erwiderte Kenta spöttisch, warf den Schuh in die Luft und fing ihn wieder auf.

Aus den Augenwinkeln bekam Hikari mit, wie Kazumi plötzlich wegrannte. Na toll. Ihr war auch nach Wegrennen zumute, doch dann würde sie ihre Schuhe erst recht nicht mehr zurückbekommen.

„Ich würde sagen, sie kann ihre Schuhe wiederhaben, wenn sie uns dafür bezahlt“, schlug Ryuichi vor.

„Gute Idee“, stimmte Kenta zu und nickte. „Was sollen wir verlangen?“

„Ich habe aber nur einhundert Yen dabei“, warf Hikari kleinlaut ein. Von dem Geld hatte sie sich eigentlich ein Eis in der Cafeteria kaufen wollen, doch ihre Schuhe waren wichtiger.

Kenta und Ryuichi sahen sich an und brachen dann beide in Gelächter aus.

„Ich würde eher sagen, du musst uns eine Woche lang die Schuhe putzen“, sagte Kenta und verschränkte die Arme vor der Brust. Er streckte wie zur Demonstration ein Bein aus.

„Und unsere Hausaufgaben machen“, fügte Ryuichi hinzu.

Hikari weitete erschrocken die Augen. Den Jungs die Schuhe putzen? Ihre Hausaufgaben machen? Aber sie war ein Schuljahr unter ihnen!

„Und du musst uns das ganze Schuljahr lang Süßigkeiten mit in die Schule bringen“, sagte Kenta schließlich grinsend.

Hikari presste die Lippen zusammen und musste die Tränen zurückhalten. Diese ganzen Dinge wollte sie bestimmt nicht für die Jungs machen, aber was hatte sie schon für eine Wahl, wenn sie ihre Schuhe haben wollte? Und wie sollte sie ihrer Mutter erklären, dass sie plötzlich Süßigkeiten mit in die Schule nehmen wollte?

Sie zog die Nase hoch und blinzelte angestrengt Tränen weg.

„Oh, heulst du jetzt etwa?“, spottete Ryuichi.

„Nee, aber ihr heult gleich.“

Überrascht wirbelten sie alle herum und erblickten Taichi und Yamato, schräg hinter ihnen Kazumi. Mit finsteren Gesichtern starrten sie Kenta und Ryuichi an, die beide einen Schritt zurückgewichen waren. Kein Wunder. Taichi und Yamato gingen schon in die sechste Klasse und waren beide größer als Kenta und Ryuichi. Beide Jungs gehörten zu der Sorte Kinder, die man in der Schule nicht zum Feind haben wollte. Taichi, weil er einfach bei allen beliebt war und Yamato, weil er als Rowdy bekannt war, der Konflikte gern mit den Fäusten löste. Außerdem waren ein paar Mädchen in ihn verliebt. Vor so jemandem hatten die anderen Jungs meist großen Respekt.

„Ihr habt genau drei Sekunden, ihr die Schuhe wieder zurückzugeben“, zischte er und starrte Karis Peiniger so verachtungsvoll an, dass sie zu erstarren schienen. Keiner von beiden bewegte sich.

Kari hingegen war erleichtert und beobachtete die Szene einfach nur noch. Jetzt war sie sich sicher, dass sie ihre Schuhe zurückbekommen würde.

Ruckartig packte Yamato Ryuichi am Kragen und zog ihn zu sich heran. „Ich hab' gesagt, ihr habt genau drei Sekunden, ihr die Schuhe zurückzugeben. Seid ihr taub, oder was?“ Er stieß ihn so hart von sich, dass Ryuichi zu Boden fiel, sich aber schnell wieder aufrappelte. Hastig gaben die beiden Kari ihre Ballettschuhe zurück, bevor sie sich grummelnd aber sichtlich eingeschüchtert entfernten.

„Wenn ihr ihr noch mal zu nahe kommt, hauen wir euch eine rein, kapiert?“, rief Taichi ihnen hinterher.

Kari presste ihre Schuhe an sich und strahlte Taichi und Yamato an.

„Wenn die noch mal sowas machen, sagst du gleich Bescheid, ja?“, sagte Taichi.

Hikari nickte. „Danke. Ich dachte schon, ich müsste heute barfuß tanzen.“

Von diesem Tag an traute sich kein Schüler mehr, Hikari zu ärgern. Es war wirklich ein großer Vorteil, zwei große Brüder zu haben.

6. Kapitel, in dem man nicht einmal in Ruhe fernsehen kann

„Sag mal, T.K.“, fing Natsuko an und setzte sich neben Takeru auf die Couch. Eigentlich hatte er gerade keine Lust, mit ihr zu reden. Sein Lieblingscartoon lief im Fernsehen und er hatte sowieso nur noch eine halbe Stunde, bevor er ins Bett musste. Widerwillig versuchte er, ein Ohr seiner Mutter zu widmen und eines dem Fernseher, um ja nichts zu verpassen. Es war doch gerade spannend. „Was würdest du davon halten, wenn wir zurück nach Odaiba ziehen?“

Na gut, dieses Thema war zwei Ohren wert. Er wandte sich von seinem Lieblingscartoon ab und schenkte seiner Mutter einen fragenden Blick. „Hä?“

„Naja, ich könnte dort arbeiten. Im April wird dort eine Stelle bei einer Zeitung frei, verstehst du?“, erklärte sie langsam.

Takeru nickte. Natürlich verstand er. Er war ja nicht dumm. Eine andere Sache verstand er allerdings nicht. „Aber warum bleiben wir nicht einfach hier?“

„Die Wohnung ist doch so klein. Du brauchst doch irgendwann mal ein größeres Zimmer. Und zu deiner Schule musst du auch ganz schön weit laufen. Außerdem ist der Ausblick hier einfach furchtbar.“ Sie nickte mit dem Kopf in Richtung Fenster, doch Takeru hob nur verständnislos eine Augenbraue.

„So weit ist der Weg zur Schule nicht“, erwiderte er.

„Aber wenn wir zurückziehen, könntest du vielleicht mit Kari in eine Klasse gehen“, versuchte Natsuko ihn zu locken, doch auch diesen Versuch tat er mit einem Schulterzucken ab. Ja, manchmal vermisste er Hikari schon. Es hatte immer Spaß gemacht, mit ihr und ihren Brüdern zu spielen. Aber natürlich hatte er genug andere Freunde, mit denen er spielen konnte. Er mochte seine Schule, die Lehrer, den Basketballverein, die Pausen mit seinen Kumpels, … Er hatte wirklich nicht den Drang, irgendwo anders hinzuziehen, wo er bis auf Hikari, die er nun schon ziemlich lange nicht mehr gesehen hatte, niemanden kannte.

„Und wir würden dann auch wieder näher bei Matt und Papa wohnen.“ Natsuko gab nicht auf und kam nun auch noch mit der Matt-und-Papa-Karte, die sie sonst nur ausspielte, wenn es unbedingt nötig war, so wie jetzt. Aber es half.

Takeru liebte Yamato und seinen Vater und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie endlich wieder alle zusammen als richtige Familie wohnten. Vielleicht war das ja das Ziel seiner Mutter. Vielleicht wollte auch sie sich seinem Vater wieder annähern und arbeitete auf eine heile Familie hin, ohne dass Takeru davon wusste. Und wenn er sich entscheiden musste, ob er lieber hier im Westendviertel bei seinen Freunden aber ohne Yamato und seinen Vater bleiben würde, oder aber mit seiner Mutter zurück nach Odaiba zu gehen und die Chance auf eine richtige Familie zu haben, dann würde seine Wahl eindeutig auf Letzteres fallen. Er konnte mit seinen jetzigen Freunden ja in Kontakt bleiben und sowieso würde er sicherlich ein paar neue Freunde in Odaiba finden.

„Hm, das klingt gut“, meinte er schließlich nickend.

„Das wollte ich hören“, erwiderte Natsuko zufrieden und zerzauste ihm das Haar. „Dann kümmere ich mich schon mal um eine Wohnung. Ach, und was ich noch sagen wollte: Ich habe die Geschichte in deinem Geschichtenheft gelesen. Frau Yamamoto hat dir ja ein tolles Lob darunter geschrieben und die Geschichte ist echt toll. Das hast du super gemacht.“

Takeru hatte sich längst wieder seinem Cartoon zugewandt und Natsuko nur noch mit einem Ohr zugehört. „Welche Geschichte?“

„Na die mit dem Raumschiff voller Tiere, die auf dem Saturn landen und sich da in Außerirdische verwandeln“, antwortete sie ungeduldig, als müsste Takeru das wissen.

„Achso“, murmelte er desinteressiert. Er hatte sie im Japanischunterricht geschrieben, als es um das Leben im All ging.

„Die ist echt gut“, wiederholte Natsuko. „Und deine Rechtschreibung ist auch sehr gut. Ich kann richtig stolz sein, so einen schlauen Sohn zu haben.“

„Kannst du jetzt mal ruhig sein? Ich will das sehen“, grummelte Takeru genervt, woraufhin sie endlich seufzend aufstand und ihn allein auf der Couch ließ.

7. Kapitel, in dem Takeru zurückkommt

Natürlich hatte Hikari schon gewusst, dass Takeru ab diesem Schuljahr wieder die gleiche Schule wie sie besuchen würde. Ihre Mutter hatte es ihr erzählt, die sich noch immer all die Zeit über regelmäßig mit Natsuko getroffen hatte, obwohl das Westendviertel und Odaiba eine halbe Weltreise voneinander entfernt lagen. Trotzdem war es seltsam, als der Lehrer der Klasse den neuen Schüler Takeru Takaishi vorstellte, der seine neuen Mitschüler lächelnd begrüßte.

„Sieh mal, neben Hikari ist noch ein Platz frei“, sagte Herr Tachiba nun und deutete auf den Tisch neben Hikaris. In diesem Augenblick fing Takeru ihren Blick auf und schlenderte zu seinem neuen Platz.

„T.K., du hast dich ja total verändert“, stellte sie grinsend fest, als er sich auf seinen Stuhl fallen ließ.

„Ich hab‘ dich auch fast nicht mehr wiedererkannt“, antwortete er.

Kari kicherte. „Ich weiß gar nicht, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

„Keine Ahnung.“ Er zuckte schief lächelnd mit den Schultern. Hikari musterte ihn unauffällig. Er war auf jeden Fall ein ganzes Stück gewachsen und garantiert nicht der Kleinste in der Klasse, so wie es im Kindergarten immer der Fall gewesen war. Mittlerweile war er sogar ein wenig größer als sie. Sein Haar war nicht mehr ganz so hellblond, sondern eher golden, doch seine Augen hatten noch die gleiche tiefblaue Farbe wie früher.

Hikari war nicht die Einzige, die ihn neugierig ansah. Er hatte auch die volle Aufmerksamkeit der restlichen Klasse auf sich gerichtet. Kein Wunder. Schließlich war er nicht nur „der Neue“, sondern auch noch naturblond und offensichtlich europäischer Abstammung, wodurch er in einem Klassenraum voller japanischer Kinder natürlich auffiel. Auch Yamato, der nun mit Taichi das zweite Jahr der Mittelschule besuchte, hatte in der Grundschule immer die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und Hikari war sich sicher, dass es ihm auf der Mittelschule nicht anders ging. In der Grundschule war er manchmal bewundert worden, manchmal aber auch ein wenig verspottet, wogegen er sich jedoch stets zu wehren gewusst hatte. Yamato war kein Mensch, der sich einfach hänseln ließ. Hikari hatte ihn schon immer cool gefunden. Wie gern hätte sie nicht auch ihn als großen Bruder?

 

„Also, was machen wir jetzt? Zeigst du mir die Schule?“, fragte Takeru und sah Hikari erwartungsvoll an, als sie nach den Einführungsstunden ihren Klassenraum verließen.

„Ähm klar. Aber erst mal sollten wir uns für die Clubaktivitäten eintragen“, erwiderte Hikari.

„Ach ja, am schwarzen Brett oder so. Wo ist das denn?“, fragte er und sah sich um.

Hikari kicherte. „Lauf‘ mir einfach hinterher.“

Sie quetschten sich durch die Schülermassen, die gerade alle auf dem Weg zum schwarzen Brett waren, um sich in die verschiedenen Clubs für dieses Schuljahr einzutragen. Dabei entgingen Hikari die neugierigen Blicke nicht, die Takeru hin und wieder zugeworfen wurden.

Am schwarzen Brett im Erdgeschoss war, wie an jedem ersten Schultag, die Hölle los. Alle Schüler wollten möglichst dem Club ihrer Wünsche beitreten und hatten Angst, keinen Platz mehr zu bekommen. Es dauerte eine Weile, bis auch Hikari und Takeru bei den Listen ankamen.

„Weißt du denn schon, in welchen Club du dich eintragen willst?“, fragte Hikari und sah Takeru an.

„Hm, habt ihr einen Basketballverein?“, erwiderte er ihre Frage.

„Ja, ich glaube schon.“

„Cool, dann nehme ich den. Und welchen nimmst du?“

„Ich werde zum Tanzen gehen. Da war ich letztes Jahr auch schon. Hat echt Spaß gemacht.“

„Ich schätze mal, da sind nur Mädchen drin?“, riet er grinsend.

Hikari musste lachen. „Ja, richtig geraten. Aber sag‘ mal, wollen wir vielleicht auch zusammen in einen Club gehen? Das wäre doch cool.“

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Ja, von mir aus. In welchen willst du denn?“

„Hm, lass mich überlegen.“ Sie dachte eine Weile nach. Worauf könnte Takeru Lust haben? „Vielleicht in den Hauswirtschaftsclub? Da geht es um nähen und kochen und sowas.“

Er verzog das Gesicht. „Da sind doch bestimmt auch nur Mädchen.“

„Stimmt.“ Hikari lächelte unschuldig.

„Wie sieht es mit einem Fußballclub aus?“, schlug er dann vor.

„Nee“, sie schüttelte hastig den Kopf. „Keine Lust auf Fußball. Aber vielleicht der Computerclub?“

Er schien eine Weile nachzudenken, machte aber kein allzu begeistertes Gesicht, sodass Hikari einsprang. „Der Club ist eigentlich echt cool. Da macht man gar nicht so viele schwierige Sachen und zum Schluss darf man immer ganz viel spielen. Also ich hab‘ noch nicht mitgemacht, aber das haben mir die anderen erzählt. Tai und Matt waren auch immer in dem Club.“

Schließlich nickte Takeru halbwegs überzeugt. „Okay, dann Computerclub.“

 

„Und hier ist die große Sporthalle, wie du sehen kannst.“ Hikari stellte sich auf die Zehenspitzen, um durch die Fenster der Sporthalle ins Innere spähen zu können. Die Halle war leer und verlassen, aber kein Wunder. Es war der erste Schultag und mittlerweile waren fast alle Schüler nach Hause gegangen. „Hier drin hast du dein Basketballtraining und ich mein Tanztraining.“

Auch Takeru stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Halle inspizieren zu können. „Hm, so groß ist die ja gar nicht.“

„Seit wann spielst du eigentlich Basketball?“, fragte Hikari neugierig.

„Hab‘ letztes Jahr damit angefangen. Macht echt Spaß“, antwortete Takeru.

„Ah, genauso wie ich mit dem Tanzen.“ Sie lächelte fröhlich. „Komm weiter, ich zeige dir den Sportplatz.“

Enthusiastisch ging sie den Weg entlang zur Außensportanlage, während er ihr, die Hände in den Hosentaschen vergraben, hinterhertrottete und nicht den Eindruck machte, als hätte er besondere Lust, hier zu sein. Hikari hoffte, dass die Außensportanlage seine Stimmung ändern würde. Diese war groß und noch ziemlich neu. Doch auch, als sie ihn einmal quer über die Anlage geführt und die einzelnen Bereiche erklärt hatte, änderte seine Stimmung sich nur geringfügig. Er sah sich alles an, nickte hin und wieder, redete aber wenig und verzog kaum eine Miene.

„Sag‘ mal, stimmt eigentlich irgendwas nicht?“, fragte sie, als sie wieder auf dem Weg zurück zu den Schulgebäuden waren.

„Nein, alles okay. Warum fragst du?“, antwortete er verwundert.

„Naja, ich habe das Gefühl, du hast nicht gerade Spaß an der Besichtigung“, erklärte Hikari und zuckte mit den Schultern.

Er zögerte eine Weile, bevor er antwortete. „Ich wäre eigentlich lieber an meiner alten Schule geblieben, aber meine Mutter wollte wieder herziehen.“

„Oh“, machte sie und ließ enttäuscht den Kopf hängen. Sie hatte gedacht, er würde sich freuen, sie wiederzusehen.

„Das liegt nicht an dir“, warf er hastig ein und hob die Hände. „Aber ich hatte eben alle meine Freunde an der alten Schule und so. Hier kenne ich bis auf dich keinen.“

Hikaris Miene hellte sich wieder ein wenig auf. „Die Kinder hier sind eigentlich alle ganz nett. Du findest bestimmt schnell viele Freunde und bis dahin hast du ja wenigstens mich.“

Er grinste schief. „Na, ich hoffe, ich kann dich auch behalten, selbst, wenn ich neue Freunde finde.“

„Klar kannst du das“, antwortete Hikari sofort.

„Versprochen?“

„Versprochen.“

8. Kapitel, in dem Taichi und Yamato kriminell werden

„Ich kann es einfach nicht glauben!“, rief Natsuko aufgebracht ins Telefon, während sie wild mit der freien Hand gestikulierte, was die Person am anderen Ende natürlich nicht sehen konnte. „Hast du diesen Jungen denn gar nicht im Griff? Das ist ja wohl die Höhe!

Es sind nicht nur ein paar Ohrlöcher, verdammt! Es geht darum, dass er mit einer gefälschten Unterschrift ins Piercingstudio rennt und etwas tut, was du ihm verboten hast! Und außerdem hat er sich das Geld dafür einfach von dir geklaut! Er hat sich…

Um Himmels willen, Hiroaki! Wenn du das so siehst, ziehe ich vor Gericht und erwirke, dass Yamato zu mir kommt!“

Angespannt biss Hikari sich auf die Unterlippe und warf einen Blick auf Takeru. Sie hatten sich eigentlich bei ihm zu Hause getroffen, um sich gegenseitig die Langeweile nach dem Schultag zu vertreiben, bis Natsuko vor Wut schnaubend nach Hause gekommen war. Yamato hatte sich heimlich Ohrlöcher vom Geld seines Vaters stechen lassen, weil er unbedingt Tunnel in den Ohrläppchen haben wollte. Schon seit einem Jahr hatte er seinem Vater und auch seiner Mutter damit in den Ohren gelegen, das wusste Hikari. Er interessierte sich auch für Tattoos und Piercings, doch wollte erst einmal klein anfangen. Einmal hatte er Hikari ein Tattoomagazin gezeigt. Zuerst war sie geschockt, doch dann hatte sie ihn für seinen Mut und seine Coolness bewundert.

Nachdem Natsuko nach Hause gekommen war, hatte sich Takerus Stimmung geändert. Er war wachsam geworden und von dem Augenblick an, da Natsuko das Telefonat mit Hiroaki begonnen hatte, galt seine volle Aufmerksamkeit dem Gespräch. Zu Beginn hatte Hikari noch versucht, ihn abzulenken, da sie ahnte, dass es kein nettes Gespräch werden würde, doch nun saß sie nur da, hoffte, dass es bald vorbei war und beobachtete Takeru. Dieser saß auf dem Boden seines Zimmers, hatte den Kopf gesenkt, den Blick starr auf einen unbestimmten Punkt gerichtet und lauschte mit finsterer Miene.

„Natürlich lohnt sich das noch! Das wären immerhin drei Jahre, die er bei jemandem verbringt, der sich um ihn zu kümmern weiß! Wäre er von Anfang an bei mir geblieben, hätte er jetzt sicher nicht diese Rockstarflausen im Kopf!

Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher! Wenn er in drei Jahren wie ein Penner unter der Brücke schläft und sich mit seiner albernen Gitarre Geld erbettelt, ist das allein deine Schuld!

Es interessiert doch überhaupt niemanden, ob er Talent hat! Was glaubst du, wie viele Möchtegern-Musiker es da draußen in der großen weiten Welt gibt, die Talent und trotzdem keinen Erfolg haben? Ich werde um jeden Preis verhindern, dass mein Sohn einer davon wird!

Schön! Dann sei es so!“

Man konnte hören, wie Natsuko das Telefon unsanft zurück in seine Halterung beförderte, in ihr Schlafzimmer stampfte und die Tür zuknallte.

„Keru“, murmelte Kari. Es war ihr unangenehm, bei so einem Gespräch dabei gewesen zu sein. Und sie hatte Angst vor seiner Reaktion. Wie oft hatte er nicht schon mit ihr darüber gesprochen, wie er seine Eltern wieder miteinander versöhnen könnte?

„Wollen wir zu dir gehen?“, fragte er, ohne sie anzusehen.

„Ja.“

 

Keine zehn Minuten später schloss Hikari die Wohnungstür zu den Yagamis auf und sie betraten die Wohnung. Während sie ihre Schuhe und Jacken auszogen, kam Yuuko ihnen entgegen gelaufen.

„Hallo, ihr beiden. Wart ihr bei T.K.?“, fragte sie.

Beide nickten.

„Kari, ich habe mir das zwar schon gedacht, aber ich will trotzdem, dass du mir das nächste Mal Bescheid sagst, wo du bist, okay? Ich mache mir doch Sorgen, wenn du nach der Schule nicht nach Hause kommst.“

„Entschuldige, Mama. Hab’s vergessen“, erwiderte Hikari.

„Schon gut. Merk‘ es dir einfach fürs nächste Mal.“ Sie wandte sich lächelnd an Takeru. „Möchtest du zum Essen bleiben? Es gibt Spinatauflauf.“

„Ähm… ja, danke“, antwortete er.

Sie verzogen sich für eine Weile in Hikaris Zimmer, bis Yuuko sie erneut zum Essen rief. Zum gleichen Zeitpunkt betrat auch Taichi die Wohnung. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, nach dem Fußballtraining wieder in seine Schuluniform zu schlüpfen, sondern trug noch immer seine schlammbespritzte Fußballkleidung. Sein Trainer hatte kein Erbarmen, sondern ließ sie auch bei Regenwetter über den Platz rennen. Taichi sagte mittlerweile jedoch selbst, es gäbe kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung.

„Ah, Herrgott, Tai! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du die Schuhe vor der Tür ausziehen sollst, wenn sie so aussehen?“, rief Yuuko ihm entgegen und deutete auf seine Fußballschuhe, mit denen er eine kleine Schlammpfütze um den Bereich der Wohnungstür verursacht hatte.

„Sorry“, murmelte er und trat sich achtlos die Schuhe von den Füßen. Er machte sich auf den Weg ins Badezimmer, doch Yuuko hielt ihn auf, während Hikari und Takeru sich an den Tisch setzten.

„Ich muss noch was mit dir besprechen.“

Taichi hielt in seiner Bewegung inne und Hikari konnte sehen, wie er sich anspannte. Wann immer Yuuko Yagami so etwas zu ihm sagte, bedeutete es nichts Gutes. Es bedeutete, dass er etwas ausgefressen hatte.

„Was denn?“, fragte er und Hikari konnte sehen, dass er versuchte, möglichst unschuldig auszusehen. Wie immer.

„Hast du gewusst, dass Matt sich mit gefälschter Unterschrift und geklautem Geld Ohrlöcher stechen lässt?“

Stille im Raum. Hikari und Takeru tauschten einen beklommenen Blick. Da flohen sie vor diesem Thema aus seiner Wohnung und dann das.

Taichi unterdessen hielt zwar dem Blick seiner Mutter stand – das hatte er jahrelang trainiert – antwortete jedoch nicht, was ihr Antwort genug war.

„Also hast du es gewusst.“

„Es sind nur Ohrlöcher. Was ist schlimm daran?“, verteidigte er seinen besten Freund.

„Dass er die Unterschrift seines Vaters dafür fälscht und ihm auch noch Geld klaut“, antwortete Yuuko nun lauter.

„Ja, weil sein Vater die ganze Zeit nein gesagt hat und…“

„Und da ist es die richtige Entscheidung, es einfach heimlich zu machen?“

„Es sind nur Ohrlöcher“, wiederholte Taichi, wurde jedoch allmählich unsicher. Er war einen Schritt zurückgetreten, während Yuuko ihm näherkam.

„Und wusstest du auch von dem geklauten Geld?“, fragte sie scharf, ohne auf seinen Einwand einzugehen.

„Es war nur das eine Mal. Er will es ihm…“

„Nur das eine Mal?“, unterbrach Yuuko ihn ungehalten. „Ich zweifle langsam an deinen Moralvorstellungen! Findest du es in Ordnung, seinen Eltern Geld zu klauen, um sich etwas zu besorgen, was sie einem verboten haben?“

„N-nein, aber…“ Er druckste herum, schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. „Es war nur das eine Mal.“

„Warte mal.“ Yuuko verschränkte die Arme vor der Brust und baute sich vor ihm auf. Er war mittlerweile ein wenig größer als sie, schien jedoch gerade zu schrumpfen. „Sag‘ mir nicht, dass du das auch schon ‚nur das eine Mal‘ getan hast.“

Er zögerte einen Augenblick zu lang.

„Oh mein Gott, Taichi Yagami! Ich kann es nicht glauben!“, rief Yuuko und fuhr sich mit beiden Händen in die Haare. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst.“

Mit großen Augen starrte Hikari ihren Bruder an. Hatte er ihren Eltern tatsächlich Geld geklaut? Wofür?

„Es war wirklich nur einmal!“, beteuerte Taichi sofort und hob abwehrend die Hände. „Und ich habe es zurückgegeben!“

„Was hast du mit dem Geld gemacht?“, fauchte Yuuko.

„Ich habe es für diese eine CD gebraucht“, antwortete Taichi kleinlaut. „Ich wollte sie unbedingt haben und mein Geburtstag und Weihnachten waren noch so lang hin und ich wusste, dass ihr sie mir nicht kaufen würdet.“

„Und da hast du gedacht, du klaust dir das Geld einfach mal?“

„Ich habe danach mein ganzes Taschengeld gespart und es zurückgetan“, erwiderte Taichi verzweifelt. „Ehrlich.“

„Erst raucht ihr heimlich und lasst euch von einem aus der Oberschule Zigaretten besorgen, dann das mit dem Bier und jetzt klaut ihr euren Eltern auch noch Geld! Ihr werdet langsam zu Kriminellen! Was haben wir falsch gemacht?“, rief Yuuko und starrte Taichi fassungslos an.

Dieser stand inzwischen mit dem Rücken zur Wand und schien mit jedem ihrer Worte ein Stückchen kleiner geworden zu sein.

„Mama, ich bin doch nicht…“

„Ach, geh’ mir aus den Augen!“ Yuuko wandte sich um und kehrte an den Esstisch zurück, um sich dem Essen zu widmen.

Sowohl Hikari als auch Takeru war der Hunger mittlerweile vergangen.

9. Kapitel, in dem Hikari sich verknallt

„Na los, mach‘ den Mund auf. Ich will’s sehen“, forderte Hikari ihn auf und sah ihn erwartungsvoll an.

Takeru runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Seit gestern hatte er eine feste Zahnspange im Mund, die ein ziemlich schmerzendes Druckgefühl auf seinen Zähnen verursachte und sein Lächeln verunstaltete. Er hatte sich gestern Abend im Spiegel gesehen und einen Schock bekommen, als ihm statt Zähne nur Metall entgegenblitzte. Doch sein Kieferorthopäde hatte darauf bestanden, dass er eine trug. Sein Unterkiefer stand zu weit hinten und zwischen seinen oberen Schneidezähnen hatte sich eine Lücke gebildet und auch sonst gab es den ein oder anderen schiefen Zahn. Takeru war das alles nicht wichtig gewesen, doch trotzdem hatte er nun dieses Ding im Mund und musste zwei Jahre lang damit herumlaufen, was ihn schon am ersten Tag unsagbar nervte.

„So schlimm ist es gar nicht, T.K.“, sagte Yamato gelassen.

„Und außerdem, was soll’s. Heute gucken dich alle an, morgen sieht es keiner mehr und fertig. Und in zwei Jahren bist du das Ding doch wieder los“, fügte Taichi schulterzuckend hinzu.

Schließlich seufzte Takeru und öffnete widerwillig den Mund, um Hikari seine Zahnspange zu zeigen. Sie musterte ihn, dann lächelte sie aufmunternd.

„Sieht echt nicht so schlimm aus“, meinte sie.

Takeru, Hikari und ihre Brüder hatten den Samstagnachmittag gemeinsam im Park auf der Wiese verbracht und das schöne Sommerwetter genossen. Es kam mittlerweile recht selten vor, dass sie zu viert etwas unternahmen, da Taichi und Yamato oft keine Lust auf ihre jüngeren Geschwister hatten, doch heute war es anders. Da Takeru sich wegen seiner Zahnspange mies fühlte, hatten sie ihn wieder ein wenig aufmuntern wollen.

„Echt mal. Und wenn dir irgendeiner blöd kommt, kannst du immer noch mit deinen großen Brüdern drohen“, sagte Taichi und grinste überheblich.

Große Brüder. Mehrzahl. Ja, es hatte sich schon von Anfang an so angefühlt, als hätte er zwei große Brüder. Und Hikari war so etwas wie seine Schwester. Das hatte sich mal geändert, während er ein paar Jahre nicht in Odaiba gewohnt hatte, doch jetzt waren sie wieder wie Pech und Schwefel. Heute würde er bei ihr übernachten, weil sie noch gemeinsam Musik hören wollten. Hikari hatte eine neue CD bekommen, die sie ihm unbedingt zeigen wollte.

„Jap. Dann machen wir sie fertig und sie werden sich wünschen, nie geboren worden zu sein“, stimmte Yamato seinem besten Freund zu.

„Ähm, also übertreiben braucht ihr es nicht“, meinte Takeru, doch Hikari lachte amüsiert und fuhr sich durch das kurze Haar.

„Ich übertreibe nicht, ich helfe ihnen nur beim Verstehen“, sagte Yamato schulterzuckend, woraufhin Hikari noch mehr lachte. Er lächelte spöttisch. „Ist alles okay mit dir? Kommst du klar?“

Sie nickte und kriegte sich endlich wieder ein, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und zupfte schon wieder an ihrem Haar herum. Eigentlich tat sie das nur, wenn sie nervös war. Zum Beispiel, wenn sie in der Schule nach vorn an die Tafel musste, um eine Aufgabe vorzurechnen, kurz vor einem ihrer Ballettauftritte vor der ganzen Schule oder im Wartezimmer beim Zahnarzt. Doch warum war sie jetzt nervös? Skeptisch hob Takeru eine Augenbraue und musterte sie.

 

Später am Abend lagen sie in Hikaris Bett, jeder einen Ohrstöpsel im Ohr und hörten sich die neue CD aus Hikaris Discman an. Dabei redeten sie über ganz belanglose Sachen und starrten die Zimmerdecke an. Nichts Wichtiges, sondern einfach ein normaler Abend für sie beide.

„Jetzt kommt mein Lieblingslied“, verkündete sie aufgeregt und drehte die Lautstärke höher. Leise sang sie mit und bewegte die Hände im Takt der Musik, als würden sie tanzen, ganz ohne ihr Zutun. „Ich glaube, ich frage Matt mal, ob er das auf der Gitarre spielen kann. Stell‘ dir vor, er singt dieses Lied! Das muss unglaublich gut sein.“

„Wieso? Der Sänger klingt doch ganz cool“, erwiderte Takeru verständnislos. Ja, er mochte es auch, wie sein Bruder Gitarre spielte und sang, doch Hikari schwärmte ja geradezu von ihm.

„Ja, schon. Aber Matts Stimme ist noch besser.“ Sie sang ein besonders emotionales Stück des Refrains mit. „Ja, er sollte das definitiv mal singen.“

Takeru musterte sie stirnrunzelnd von der Seite. Dieses verträumte Lächeln auf ihren Lippen, der seltsame Ausdruck in ihren haselnussbraunen Augen… Das passte gar nicht zu ihr. Er kannte sie so gut, doch es war das erste Mal, dass er sie so sah.

„Sag mal, bist du in ihn verknallt oder so?“, fragte er und bemühte sich um einen lässigen Tonfall.

Er beobachtete ihre Reaktion genau. Ertappt drehte sie den Kopf von ihm weg, ihre Wangen färbten sich rosa und ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen und zeigte ihre Zähne.

„Vielleicht“, antwortete sie geheimnisvoll, was für Takeru ein eindeutiges Ja war.

„Was?“, erwiderte er entgeistert. „Ist das dein Ernst? Matt?“

„Mann, T.K.!“ Sie spielte nervös mit ihren Fingern. „Jetzt sag‘ das doch nicht so komisch. Ich bin dreizehn, also kein Kind mehr. Darf ich da nicht mal verknallt sein?“

Takeru zögerte. „Doch, aber… Matt?“

„Naja, er ist schon ziemlich süß“, murmelte Hikari verlegen.

Genervt wandte Takeru den Blick von ihr ab und versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren. Warum störte es ihn eigentlich so, dass Hikari seinen Bruder süß fand? Es konnte ihm doch genau genommen egal sein. Aber nein, stattdessen fühlte es sich an, als wäre sein Herz plötzlich ein Stein. Kalter, grauer Stein. Er war wütend. Er wollte sie verletzen.

„Ich glaube, er hat eh bald ‘ne Freundin“, sagte er herablassend.

Nun drehte Hikari sich zu ihm um und sah ihn mit großen Augen an. „Glaubst du? Woher willst du das wissen?“

„Als ich letztens bei ihm war, hat er dauernd SMS an ein Mädchen geschrieben. Sora oder so“, erzählte Takeru scheinbar gleichgültig.

Hikaris Lächeln verblasste. „Was hat er ihr denn geschrieben?“

„Woher soll ich das wissen? Ich hab‘ nicht mitgelesen.“

„Weißt du, wie sie aussieht? Geht sie auch auf seine Oberschule?“

Takeru stöhnte. „Keine Ahnung, Mann. Frag‘ ihn doch.“

„Ähm, nein?“, rief Hikari, so als wäre es völlig abwegig, überhaupt mit Yamato zu reden. Sie zögerte eine Weile, schien über irgendetwas nachzudenken. „Kannst du ihn nicht fragen?“

Takeru hob eine Augenbraue. „Nee. Ich will das überhaupt nicht wissen.“

„Wieso denn nicht? Er ist dein Bruder.“

„Eben.“

„Aber das muss dich doch interessieren. Komm‘ schon, ich hab‘ dir letztens auch erzählt, dass ich Tai und dieses Mädchen beim Rumknutschen gesehen habe.“

„Und das wollte ich auch nicht wissen.“

„Dafür warst du aber voll interessiert.“

„War ich gar nicht.“

„Warst du wohl. Ist jetzt auch egal. Bitte frag‘ Matt mal nach dieser Sora aus für mich, okay?“

„Nee, keine Lust.“

„Bitte.“

„Nein.“

„Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, -“

„Na schön!“

Sie strahlte ihn an und kuschelte sich an ihn. „Du bist der Beste.“

„Jaja“, murrte er.

„Nein wirklich“, betonte Hikari. „Aber sag‘ mal, wen findest du denn aus der Schule süß?“

„Was? Süß?“ Er war verwirrt. Wen fand er denn eigentlich aus der Schule süß? Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Bisher hatte sich sein Leben einfach um seinen Alltag gedreht: Schule, Hausaufgaben, seine zerrüttete Familie, Basketball und Hikari. Er hatte noch gar keine Gelegenheit gehabt, irgendjemanden süß zu finden. „Gar keinen.“

Hikari machte ein enttäuschtes Gesicht. „Wie langweilig. Nicht mal Kanako?“

Kanako war das coolste Mädchen in der Klasse. Sie hatte die größten Brüste, die strahlendsten Augen, das süßeste Lächeln und erzählte jedem, wie gut ihr siebzehnjähriger Freund küssen konnte. Sie war den anderen, vor allem den Jungs, weit voraus, wodurch sie den Ton angab und es schaffte, dass jedes Mädchen in der Klasse mit ihr befreundet sein wollte. Selbst Hikari. Takeru jedoch war sie einfach nur unheimlich.

„Nee“, antwortete er entschieden.

„Also echt keine?“, hakte Hikari verständnislos nach. Anscheinend war auch sie schon weiter als er, denn immerhin dachte sie schon über ihre Mitschüler des anderen Geschlechts nach.

„Nein, keine“, bestätigte Takeru kopfschüttelnd.

„Naja, jetzt mit der Zahnspange hättest du es eh ganz schön schwer bei den Mädels“, erwiderte sie und lächelte schelmisch.

„Ach, halt‘ doch die Klappe!“, grummelte er und schlug sie mit einem Kissen.

10. Kapite, in dem die Pubertät zuschlägt

„Oh Gott“, jammerte Hikari und betrachtete das Dilemma. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott. T.K.?”

Verzweifelt lauschte sie auf eine Antwort, bekam jedoch keine. Was sollte denn das? In so einer Situation brauchte sie doch seelischen Beistand. Hier passierte gerade immerhin etwas Schreckliches.

„T.K.?“, rief sie, dieses Mal etwas lauter.

Endlich hörte sie seine Schritte vor der Badezimmertür und sah seinen Schatten unter dem Türspalt. Kurz darauf erklang seine dumpfe Stimme. „Was denn? Ist dir schon wieder das Klopapier ausgegangen?“

„Ich glaube, ich habe meine Tage gekriegt“, verkündete Hikari unheilvoll.

„Igitt. Warum erzählst du mir das?“ Bei der Frage sprang seine Stimme von einer Tonlage plötzlich eine Oktave höher, sodass er sich vergebens räusperte. Seit einigen Wochen hatte er mit seinem Stimmbruch zu kämpfen.

„Wem soll ich es denn sonst erzählen?“, fauchte Hikari.

„Was weiß ich denn. Deiner Mutter oder Momo oder Kazu, irgendwem“, antwortete er mürrisch.

„Die sind aber alle gerade nicht hier, falls dir das nicht aufgefallen ist“, erwiderte sie energisch. „Und stell‘ dich nicht so an! Ich bin die, die jetzt Blut in ihrer Unterhose hat.“

„Alter! Willst du, dass ich kotze?“, rief er von draußen.

„Ich will, dass du mir hilfst! Kotzen ist nicht hilfreich“, maulte Hikari. Noch immer saß sie auf der Toilette, völlig geschockt von dem, was passiert war. Natürlich wusste sie, dass Mädchen irgendwann im Laufe ihrer Pubertät ihre Periode bekommen und das bedeutet, dass sie von nun an schwanger werden können. Sie wusste, dass die Eierstöcke jeden Monat eine Eizelle produzieren und ihr Körper diese wieder ausstieß, wenn sie nicht befruchtet wurde. Und trotzdem war sie auf diesen Tag nicht vorbereitet gewesen.

„Wie soll ich dir denn helfen?“, fragte Takeru angewidert. „Ich kann dir mehr Klopapier bringen, wenn du willst.“

„Nein, du Idiot!“ Hikari fühlte sich zunehmend verstört und verunsichert. „Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“

Sie hörte ihn seufzen und wusste nicht, was genau sie eigentlich von ihm erwartete. Er konnte ihr tatsächlich nicht helfen. „Ähm… gibt es dafür nicht irgendwie Binden oder sowas?“

„Ja“, antwortete Hikari langsam.

„Naja schau‘ dich doch mal um. Deine Mutter hat doch bestimmt irgendwo welche.“ Sie hörte ihn erneut seufzen. „Ich kann nicht glauben, dass ich gerade dieses Gespräch mit dir führe.“

„Ich glaube, sie hat hier wirklich irgendwo welche.“ Unentschlossen musterte Hikari die blutige Spur in ihrem Slip, dann stand sie auf und zog ihn hoch, bevor sie sich ohne Hose auf die Suche nach Binden machte. Mit zitternden Händen durchwühlte sie den Badezimmerschrank und wurde auch schnell fündig.

„Hab‘ sie gefunden“, berichtete sie Takeru, der noch immer vor der Tür stand.

„Super“, murmelte er. „Wie man die Dinger platziert, kann ich dir aber leider nicht sagen.“

„Das kriege ich schon irgendwie hin.“ Etwas unsicher zog Hikari ihren Slip wieder herunter, setzte sich auf die Toilette und klebte die Binde an den dafür vorgesehenen Platz. Warum waren es überhaupt Frauen, die ihre Periode bekommen mussten? Warum konnten Männer nicht genauso leiden?

Kurz darauf verließ sie das Badezimmer endlich wieder. Takeru stand noch immer vor der Tür und musterte sie mit gerunzelter Stirn, als würde er darauf warten, dass sie eine Erklärung ablieferte.

„Fühlt sich irgendwie komisch an“, sagte Hikari und trat von einem Fuß auf den anderen.

In einer Mischung aus Ekel und Mitleid verzog er das Gesicht. „Bitte keine Details mehr.“

„Mann, T.K.!“, rief Hikari und schlug ihm gegen den Arm. „Glaubst du, ich finde das vielleicht schön? Hör auf, mich eklig zu finden!“

„Ich finde dich doch gar nicht eklig“, widersprach er. „Kari, du bist meine beste Freundin, aber bitte hör‘ auf, mir komische Sachen von deinen… Blutungen zu erzählen. Das ist echt zu viel.“

„Das war das erste Mal! Echt, ich frage mich, wer von uns beiden gerade seine Tage bekommen hat.“ Wütend funkelte sie ihn an und er starrte zurück.

„Mann, Kari! Ich stand als seelischer Beistand vor der Badezimmertür, während du auf dem Klo saßt und verblutet bist!“

„Ich bin nicht verblutet, das war nur ein bisschen…“

„Ah, ich will’s nicht wissen!“ Abwehrend hob er die Hände. „Ich wollte nur wissen, was du eigentlich von mir erwartest. Ich hab‘ doch versucht, dir zu helfen, und trotzdem meckerst du.“

„Du sollst einfach nur nicht so angeekelt sein wegen sowas. Das ist nur meine Periode. Du benimmst dich wie ein… ein… Junge.“

Einen Augenblick lang sahen sie sich an, dann mussten sie lachen.

„Vielleicht sollte ich mir doch eine weibliche beste Freundin suchen“, meinte Hikari und verschränkte die Arme vor der Brust.

Takeru schnaubte entrüstet. „Mach‘ doch.“

„Mache ich ja auch. Ich will nämlich demnächst meinen ersten BH kaufen gehen und so, wie du dich anstellst, kann ich dich schlecht mitnehmen“, antwortete sie schnippisch.

„Kannst auch Matt fragen. Der geht bestimmt auch gern mit dir BHs kaufen“, erwiderte Takeru trocken.

Hikari spürte, dass sie auf der Stelle knallrot anlief beim Gedanken daran, vor Yamato im BH herumzulaufen und ihn nach seiner Meinung zu fragen.

„Kein Grund, rot zu werden.“ Frech grinste er sie an und zeigte dabei zwei Grübchen auf seinen Wangen, auf denen einige rote Pickel prankten.

„Halt‘ die Klappe, Metallzahn!“, fauchte sie.

11. Kapitel, in dem Yamato kein Kind mehr ist

Seine Finger flogen ein letztes Mal über die Saiten der Gitarre, seine Stimme sang den letzten Ton, bevor es wieder still im Raum wurde und Yamato Takeru erwartungsvoll ansah. „Und? Wie findest du es?“

Takeru nickte ehrfürchtig, war in Gedanken noch vollkommen bei dem Song, den sein Bruder ihm gerade präsentiert hatte. Selbstgeschrieben und selbstkomponiert.

„Ja, ich weiß, ist noch nicht so geil. Du musst dir natürlich auch das Schlagzeug und den Bass dazu vorstellen, damit das richtig wirkt. Damit werden wir dann in zwei Wochen beim Schulwettbewerb auftreten“, erklärte Yamato und machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Nein, ich finde es echt gut“, sagte Takeru und dachte automatisch an Hikari. Sie würde diesen neuen Song lieben.

„Wirklich? Na dann haben wir ja vielleicht sogar ‘ne Chance“, erwiderte Yamato schief grinsend.

„Klar habt ihr das.“ Takeru nickte zustimmend. „Würde mich wundern, wenn ihr das Ding nicht gewinnt.“

„Kommen du und Kari auch zugucken?“, fragte der Ältere der beiden Brüder und legte die Gitarre behutsam beiseite.

„Ja, auf jeden Fall. Kari freut sich schon total drauf“, antwortete Takeru. Schon seit Wochen redete seine beste Freundin hin und wieder von dem Wettbewerb, der in der Schule ihrer älteren Brüder stattfand. Die Gewinner durften einen Radiosender besuchen, dort etwas über ihre Band erzählen und schließlich würde auch eines ihrer Lieder dort gespielt werden. Eine Chance also, entdeckt zu werden.

„Na dann hoffe ich, dass sie auch kommt“, meinte Yamato und stand auf. „Los, lass‘ uns langsam mal anfangen. Wir wollen ja nicht, dass Papa sein Essen an seinem Geburtstag zu spät bekommt.“

Gemeinsam gingen sie in die Küche und machten sich an die Essensvorbereitung. Takeru schälte Möhren, während Yamato Champignons putzte. Heute war Hiroakis Geburtstag und zu seiner Überraschung würden Yamato und Takeru ihm zusammen das Abendessen kochen. Die Einzige, die fehlte, war Natsuko.

„Ich hoffe, Mama kommt auch zum Bandwettbewerb“, sagte Takeru, während er sich darauf konzentrierte, nicht seine Finger zu schälen.

„Ich glaube nicht, dass sie kommt. Sie mag mich doch eh nicht“, erwiderte Yamato betont gleichgültig. Takeru drehte sich zu ihm um, doch er hatte ihm den Rücken zugewandt und konnte sein Gesicht nicht sehen.

„Natürlich mag sie dich“, wiedersprach er unwirsch.

„Nein, tut sie nicht. Ständig hat sie irgendwas auszusetzen. Haare zu lang, Ohrlöcher zu groß, Klamotten zu schwarz, Noten nicht gut genug und natürlich die viel zu vielen Stunden, die ich mit der Band verbringe. Wahrscheinlich bereut sie es, dass sie damals dafür gestimmt hat, dass ich Gitarre lerne“, sagte Yamato mürrisch.

Nun wandte Takeru sich langsam wieder den Möhren zu und dachte darüber nach, was sein Bruder gerade gesagt hatte. Ja, es stimmte, dass Natsuko sich ständig über etwas an Yamato beschwerte, am allermeisten über seine Band. Sie war der festen Überzeugung, er kümmerte sich zu wenig um die Schule und redete andauernd davon, wie er als Bettler in den Straßen Tokios Gitarre spielen und sich damit seinen täglichen Kaffee verdienen würde. Sie sah seine Zukunft in äußerster Gefahr. Aber all diese Ängste hatte sie doch nur, weil sie ihn liebte. Sonst wäre ihr das doch völlig egal.

„Ich bin ganz froh, dass ich bei Papa lebe. Ihm macht es nichts aus, dass ich in der Band bin. Er sagt immer, solange ich die Schule nicht vernachlässige und glücklich bin mit dem, was ich mache, erlaubt er mir das“, redete Yamato weiter.

„Ja, ich weiß. Er ist wirklich lockerer als Mama“, murmelte Takeru. Deswegen waren seine Eltern ja auch geschieden. Hiroaki war zu locker gewesen und sowieso zu selten zu Hause, um sich über irgendetwas, was mit den Jungs passierte, aufzuregen. Deswegen hatte Natsuko ihn irgendwann verlassen und hatte eigentlich beide Kinder mitnehmen wollen, doch Yamato hatte rebelliert. Wie bei allem. Er hatte sich heimlich auf den Weg gemacht, seinen Vater zu besuchen, sodass Hiroaki und Natsuko sich irgendwann darauf geeinigt hatten, dass Yamato bei ihrem Vater und Takeru bei ihrer Mutter blieb. Yamato rebellierte einfach gegen alles: seine Eltern, Lehrer, Konventionen, Pflichten, Verbote. Passenderweise hatte seine Band erst vor kurzem ihren Namen von Teenage Wolves zu Tokyo Rebels geändert. Es war, als wäre die Band mittlerweile ein Symbol für Yamatos Persönlichkeit.

„Egal, lass‘ uns über was Anderes reden. Ist ansonsten alles okay bei dir? Hast du endlich mal ‘ne Freundin?“ Yamato grinste Takeru über die Schulter hinweg an, sodass dieser sich peinlich berührt wieder den Möhren zuwandte.

„Ich bin dreizehn“, murmelte er.

„Ich hatte mit dreizehn schon meine erste Freundin“, erzählte Yamato und ließ es fast wie einen Vorwurf klingen. „Ein bisschen knutschen ist da schon mal drin.“

Takeru verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Beim besten Willen konnte er sich nicht vorstellen, mit einem Mädchen rumzuknutschen. Schon gar nicht mit Zunge. Ihm fiel gar keine an, die er auch nur ansatzweise dafür in Betracht ziehen würde, außer vielleicht Hikari aus Übungszwecken. Klar gab es das ein oder andere Mädchen an der Mittelschule, das er hübsch fand, aber küssen?

In dieser Richtung war er so ganz anders als sein Bruder. Yamato war schon in der Grundschule jemand gewesen, der die Mädchen angezogen hatte. Nicht nur sein Aussehen, sondern auch seine kühle und rebellische Art wirkte auf viele Mädchen wie Honig auf Ameisen.

Bei Takeru war es ganz anders. Zwar hatte er das gleiche, auffallend blonde Haar wie Matt und auch die tiefseeblauen Augen, doch im Gegensatz zu seinem großen Bruder hatte er ein Gesicht voller roter Pickel, eine Zahnspange, einen schlaksigen Körper und war außerdem nicht annähernd so cool wie er, sondern eher der nette, höfliche Junge von nebenan. Ganz so, wie seine Mutter ihn erzogen hatte.

„Und… wie sieht es im Moment aus?“, fragte Takeru, als er endlich seine Chance sah, seinen Bruder auf das Thema anzusprechen, über das er mit Hikari vor einer Weile gesprochen hatte.

„Wie sieht was aus?“, fragte Yamato verwirrt und schnitt mit flinken Bewegungen Champignons in Scheiben.

„Naja, hast du im Moment auch eine Freundin? Du hast doch letztens irgendwie was von einer Sora erzählt.“

Erneut warf Yamato ihm über die Schulter hinweg ein schiefes Grinsen zu. „Warum interessiert dich das denn?“

Betont gleichgültig zuckte Takeru mit den Schultern. „Nur so. Wollte nur mal wissen, wie sie so ist.“

„Sie ist süß“, antwortete Yamato. „Ziemlich ruhig. Spielt Fußball und Tennis, also echt sportlich. Fährt in den Ferien ins Trainingslager. Oh und ich hatte letztens mein erstes Mal mit ihr.“

Vor Schreck rutschte Takeru mit dem Schäler ab und schnitt sich in den Daumen.

„Mist“, fluchte er und legte Schäler und Möhre aus der Hand, um den blutenden Daumen unter Wasser zu halten. Dass sein Bruder also keine Jungfrau mehr war, hatte ihn komplett aus der Fassung gebracht. Es war, als hätte Yamato nun das letzte bisschen Unschuld und Kindsein, das noch in ihm gesteckt hatte und sich über Prügeleien, Rauchen, Alkohol und Tunnel in den Ohren hatte retten können, endgültig verloren. Es fühlte sich so an, als wäre er ihm nun noch weiter voraus, als er es ohnehin schon war. Takeru beschloss, Hikari davon nichts zu erzählen. Er war sich sicher, das würde sie sehr verletzen, so oft wie sie in letzter Zeit von Yamato schwärmte.

„Was erschreckst du dich denn da so?“, fragte dieser lachend.

„Ich erschrecke doch gar nicht. Bin nur abgerutscht“, murmelte Takeru hastig und tupfte seine Wunde mit einem Küchentuch ab. „Dann seid ihr also fest zusammen?“

Yamato schien einen Moment zu überlegen. „Hm ja, könnte man so sagen.“

„Könnte man so sagen?“, wiederholte Takeru verständnislos. Das klang nicht sehr überzeugend, aber man konnte doch nicht mit jemandem schlafen, mit dem man nicht fest zusammen war. Das ging doch nicht. Sex war doch eine Sache, wofür man viel Vertrauen in den anderen brauchte.

„Ja, wir haben halt noch nicht drüber geredet, aber glaub‘ schon, dass wir zusammen sind“, erklärte Yamato.

Takeru nickte stirnrunzelnd. Wie sollte er das nur Hikari beibringen?

12. Kapitel, in dem Hikari alles über Sora wissen will

„Und du bist dir sicher, dass sie zusammen sind?“, hakte Hikari nach. Es fühlte sich an, als hätte sich etwas Eiskaltes um ihr Herz gelegt und würde es im Klammergriff halten. Bei dieser Sora handelte es sich nun anscheinend also um Yamatos feste Freundin.

„Naja, er war sich selbst nicht so ganz sicher, aber er glaubt schon“, antwortete Takeru etwas kleinlaut. Am Telefon klang seine auf- und abhüpfende Stimme noch komischer als sonst.

Mit dem Hörer in der Hand ließ Hikari sich auf ihr Bett fallen und presste die Lippen aufeinander. „Weißt du, wie sie aussieht?“

„Er hat mir ein Foto gezeigt. Warum willst du das wissen?“

„Weiß nicht. Ist sie hübsch?“

Takeru zögerte eine Weile, anscheinend nicht sicher, was er antworten sollte. „Ja, schon.“

„Was?“, rief Hikari entsetzt. „Wie sieht sie aus?“

„Ähm… naja normal“, stammelte Takeru.

„Was heißt denn normal? Groß oder klein? Dick oder dünn? Lange Haare? Und ihr Gesicht?“, fragte Hikari. Wenn sie versuchte, sich Sora vorzustellen, hatte sie nur eine schattenhafte Person vor Augen. Sie brauchte mehr Informationen.

„Mann, was weiß ich. Normal groß, glaube ich. Und dünn. Also schlank halt. Sportlich. Was weiß ich. Haare sind schulterlang. Und das Gesicht ist halt hübsch“, antwortete Takeru ein wenig genervt.

„Ich hab‘ auch schulterlange Haare!“, erwiderte Hikari entgeistert. „Welche Haarfarbe?“

Takeru stöhnte genervt auf. „So rötlich.“

„Und ihre Augen?“

„Boah, Kari, frag‘ ihn doch einfach selber! Oder geh‘ gleich zur Schule und sprich mit Sora!“, fauchte Takeru.

„Jetzt werd‘ doch nicht gleich so gemein“, erwiderte Hikari erschrocken. „Ich hab‘ doch nur gefragt.“

„Und ich hab‘ dir von Anfang an gesagt, dass ich es nicht so genau weiß. Also frag‘ nicht so viel“, murrte Takeru nun wieder ein wenig ruhiger.

Hikari seufzte resigniert. Es klang ganz so, als wäre Sora tatsächlich ein hübsches Mädchen, gegen das sie keine Chance hatte. Mit ihren dreizehn Jahren war sie ohnehin zu jung, um mit einer Sechzehnjährigen mitzuhalten. Bestimmt sah Yamato sie als zu klein an, um eine Beziehung zu haben. Zu klein und außerdem als eine Art Schwester.

„Ist alles okay?“, fragte Takeru nach einigen Sekunden des Schweigens. „Soll ich bei dir vorbeikommen?“

„Nee, geht schon“, murmelte sie und ließ den Kopf hängen.

„Bist du sicher?“

„Ja. Danke, dass du ihn für mich ausgefragt hast.“

„Kein Problem. War ganz einfach.“

„Also dann mach’s gut, wir sehen uns morgen.“

„Ja, bis morgen.“

Sie legte auf und ließ sich nach hinten auf ihr Bett fallen. Das durfte doch nicht wahr sein. Es fühlte sich an, als würde ihre Welt untergehen. Yamato hatte nun tatsächlich eine Freundin, bei der es sich nicht um Hikari handelte. Wie konnte er nur? Sah er denn nicht, dass sie in ihn verliebt war? Vielleicht blieb er ja mit dieser Sora gar nicht lange zusammen und dann konnte sie einen erneuten Versuch starten. Und überhaupt sah sie ihn ja ziemlich oft. Vielleicht würde er seine Meinung ändern, wenn sie ihn anbaggerte.

Ihre Zimmertür wurde aufgerissen und Taichi polterte herein.

„Kannst du vielleicht mal nicht dauernd das Telefon stundenlang blockieren?“, fuhr er sie genervt an und schritt durch das Zimmer auf ihn zu. „Andere Leute wollen auch telefonieren.“

„Wen willst du denn anrufen?“, fragte Hikari, setzte sich ruckartig auf und versteckte das Telefon hinter ihrem Rücken.

„Geht dich nichts an“, antwortete Taichi abweisend, blieb vor ihr stehen und streckte die Hand aus. „Telefon.“

Hikari drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und hielt seinem Blick stand. „Nö. Erst will ich wissen, wen du anrufen willst.“ Sie sah in sein genervtes Gesicht, das in der letzten Zeit zunehmend kantiger geworden war. Sein ganzer Körper war in den letzten drei Jahren so sehr gewachsen, dass Hikari der Größenunterschied zwischen ihnen nun riesig vorkam.

„Kari, gib mir das Telefon“, wiederholte er, nun in schärferem Ton.

„Nö.“

Entschlossen kniete er sich auf ihr Bett, beugte sich über sie und griff hinter ihren Rücken. Hikari fing an zu kichern und hielt das Telefon fest umklammert, sodass er es ihr nicht entreißen konnte. Er drehte ihr die Arme auf den Rücken, bis sie einen Schmerz verspürte und losließ.

„Au! Bist du bescheuert? Das tut weh!“, rief sie empört und rieb sich die Handgelenke.

„Selbst schuld“, brummte Taichi.

„Du bist schon genauso gemein wie Matt“, zischte Hikari beleidigt.

Taichi war schon auf dem Weg nach draußen gewesen, als er mit dem Telefon in der Hand stehen blieb und sich mit fragendem Blick zu ihr umdrehte. „Wie Matt? Wieso?“

„Ach, nur so“, grummelte Hikari, ließ sich auf die Seite fallen und umklammerte ihr Kissen.

Taichi runzelte nur verständnislos die Stirn und wollte gehen, als Hikari ihn noch einmal zurückhielt. Plötzlich war ihr etwas eingefallen.

„Sag mal, kennst du eigentlich Sora?“

Einen Augenblick lang musterte ihr Bruder sie argwöhnisch, bevor er langsam „Ja?“ antwortete.

„Wie ist sie so?“, fragte Hikari und beobachtete seine Reaktion.

„Ich bin mit ihr befreundet. Kenne sie schon seit der Grundschule aus dem Fußballverein. Warum fragst du?“

„Naja“, Hikari druckste herum und zögerte ihre Erklärung hinaus, „sie ist doch mit Matt zusammen, oder?“

„Hat T.K. dir das erzählt?“, hakte Taichi nach und hob eine Augenbraue.

„T.K. hat gesagt, dass Matt gesagt hat, dass er sich selbst nicht so ganz sicher ist“, murmelte Hikari.

„Und das interessiert dich, weil?“ Mit wachsamem Blick verschränkte er die Arme vor der Brust.

Zur Antwort seufzte sie nur tief und wandte den Blick von ihm ab.

„Mann, bist du etwa in ihn verknallt?“

Sie schwieg betreten und presste die Lippen aufeinander. Daraufhin brach Taichi plötzlich in Gelächter aus, sodass sie ihn verstört ansah. Augenblicklich verstummte er und machte nun ein entsetztes Gesicht.

„Scheiße, du meinst das ernst.“

„Natürlich meine ich das ernst!“, rief Hikari beleidigt.

„Ah, komm‘ schon, lass‘ das. Er ist viel zu alt für dich. Und überhaupt, was soll das? Das ist Matt! Der hat dich schon nackt auf dem Topf gesehen!“, erwiderte Taichi ungläubig und schüttelte den Kopf.

„Boah, du bist so ein Idiot, Tai!“, rief Hikari wütend, ließ ihr Kissen los und setzte sich auf. Bei der bildhaften Vorstellung, die er ihr gegeben hatte, war sie rot angelaufen.

„Und du bist gerade mal dreizehn! Du bist nicht verknallt, das ist nur eine Spinnerei. Wirst schon sehen, nächste Woche ist das wieder weg“, sagte er herablassend und ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, bevor er endlich ihr Zimmer verließ. Unwillkürlich fragte sich Hikari, ob er sie oder sich selbst von seiner Behauptung überzeugen wollte.

13. Kapitel, in dem es nur einen Sieger geben kann

Der Schulhof der Oberschule war mehr als nur voll. Er war überladen mit Menschen jeder Altersgruppe, die gespannt darauf warteten, dass der Bandwettbewerb endlich losging. Große Plakate wiesen auf die heutige Veranstaltung hin und warben ebenso für den Radiosender, der einer der teilnehmenden Bands die Chance geben würde, entdeckt zu werden. Eine große Bühne war aufgebaut worden und die Verstärker und Mikrofone standen bereit. Zehn Bands von verschiedenen Schulen aus Tokio würden gleich versuchen, die Leute vom Radiosender und auch die Zuschauer von sich zu überzeugen.

Aufgeregt hibbelte Hikari von einem Bein aufs andere und wartete, dass es endlich losging. Sie stand mit Takeru, Natsuko und Yuuko inmitten der Menge von Schülern, Lehrern und Eltern. Hiroaki hatte keine Zeit gehabt, herzukommen, da er auf der Arbeit festhing. Sowohl Natsuko als auch Takeru stimmte das verärgert. Yuuko war mitgekommen, weil sie einerseits Yamatos Band spielen hören wollte und andererseits auch, um Natsuko Gesellschaft zu leisten.

Taichi hatte sich mit seinen Freunden irgendwo anders aufgestellt und hielt Abstand von seiner Familie. Hikari konnte ihn in der Menge nirgends entdecken, doch sie war ohnehin wegen einer ganz anderen Person hier.

„Ich glaube, es geht los“, meinte Yuuko und spähte zur Bühne. Dort hatte gerade die erste Band Aufstellung genommen und ihre Instrumente angeschlossen. Die ersten Töne erklangen und ein kleiner Teil der Zuschauer begann lautstark zu jubeln und selbstgemalte Plakate hochzuhalten. Hikari lauschte der Musik eher mäßig interessiert. Sie hielt keine Band für auch nur ansatzweise so gut wie die Tokyo Rebels, ohne sie überhaupt gehört zu haben.

Jede Band durfte zwei Lieder spielen, bevor die nächste dran war.

Die erste Band war alles in allem nicht besonders herausragend und bekam nur mäßigen Applaus. Mit der zweiten Band sah es nicht viel besser aus, während die dritte ein klein wenig besser ankam. Anschließend traten endlich die Tokyo Rebels auf.

Hikari hüpfte aufgeregt auf ihrem Platz herum und krallte sich in Takerus Arm, während die Band sich auf der Bühne vorbereitete.

„Sie sehen echt gut aus“, seufzte sie und starrte Yamato an, der gerade seine E-Gitarre testete. „Findest du nicht auch?“

„Ja, total“, sagte Takeru trocken.

„Sie sehen wirklich gut aus“, meinte Yuuko und sah Natsuko erwartungsvoll an.

„Mhm“, machte diese ein wenig reserviert. „Aber das tun die anderen auch.“

„Ach, nun sei doch nicht so pessimistisch“, sagte Yuuko und knuffte sie mit dem Ellbogen in die Seite. „Sieh sie dir doch erstmal an.“

„Mach‘ ich ja.“

Die Tokyo Rebels begannen zu spielen und Hikari starrte wie gebannt nach vorn, hing an Yamatos Lippen und versuchte, zu verstehen, worüber er sang. Er wirkte wie voll und ganz in seinem Element. Seine Augen waren geschlossen und seine Stimme klang so gefühlvoll, als hätte er in seinem Leben noch nie etwas anderes gemacht als zu singen. Hikari seufzte begeistert

Das erste Lied kam beim Publikum gut an und die Band bekam den bisher meisten Applaus. Das nächste Lied war schneller, rockiger, regte noch mehr zum Mittanzen an als das erste und bekam schließlich noch mehr Applaus. Hikari klatschte und jubelte aus voller Kehle. Ihrer Meinung nach hatten die Tokyo Rebels schon gewonnen.

„Siehst du? Sie sind doch richtig beliebt“, sagte Yuuko an Natsuko gewandt. „Ich würde sagen, sie haben eine reelle Chance.“

„Ja, sie klingen wirklich gut“, meinte Natsuko, klang jedoch noch nicht vollends überzeugt. Hikari hingegen hatte gar keine Zweifel.

Die fünfte und sechste Band bekamen weitaus weniger Beifall, die siebte war wieder etwas erfolgreicher, doch die achte konnte das Publikum perfekt für sich begeistern. Sie hatte zwei Popsongs gespielt, die im Publikum gute Laune ausgelöst hatten und daher gut ankamen. Verbissen schaute Hikari nach vorn. Sie hoffte, die Tokyo Rebels würden es trotzdem noch schaffen, diesen Wettbewerb zu gewinnen.

Die neunte Band war ebenfalls recht erfolgreich, während die letzte wieder weniger Beifall bekam.

Ein Mitarbeiter des Radiosenders verkündete schließlich, der Sender würde nun einige Minuten brauchen, um den Sieger zu bestimmen.

„Glaubst du, sie haben eine Chance?“, fragte Hikari an Takeru gewandt, der mit den Schultern zuckte.

„Keine Ahnung. Ich finde, sie waren echt gut. Das Lied hat er mir letztens schon teilweise vorgespielt.“

„Oh, das war so schön“, schwärmte Hikari verträumt.

„Ich wusste, dass es dir gefallen würde“, meinte Takeru grinsend.

„Ich hoffe so sehr, dass sie die Chance bekommen und das Ding gewinnen.“

Eine Weile redeten sie noch, dann ertönte wieder die Stimme des Radiomoderators, der verkündete, dass eine Entscheidung getroffen worden wäre. Hikari und Takeru verstummten und sahen nach vorn zur Bühne.

Der Moderator verkündete, dem Sender hätten drei Bands besonders gut gefallen und rief die Bands nach vorn. Es handelte sich um die Tokyo Rebels, die Wild Boys und die Sugar Sugars. Hikari jubelte natürlich bei den Tokyo Rebels besonders laut.

Der Moderator wandte sich direkt an die Bands und betonte, wie gut sie alle drei gespielt hatten, doch es konnte schließlich nur einen Sieger geben. Er ließ sich mit der Verkündung der Gewinner Zeit und Hikari spürte ihr Herz vor Aufregung rasen. Es konnten nur die Tokyo Rebels sein. Es ging gar nicht anders.

„Und gewonnen haben die Wild Boys! Herzlichen Glückwunsch!“, rief der Moderator strahlend und die Zuschauer brachen in Jubel und Beifall aus.

Hikari klappte die Kinnlade herunter. Hatte sie sich gerade verhört? Das konnte doch nicht sein. Vielleicht hatte er sich versprochen. Doch die Tokyo Rebels und die andere Band applaudierten ebenfalls für die Wild Boys, die in der Mitte standen, die Arme in die Luft warfen und sich umarmten. Der Moderator wiederholte noch einmal, was genau sie gewonnen hatten.

„Das darf doch nicht sein“, meinte Hikari fassungslos und sah Takeru an. „Das muss ein Fehler sein, oder? Matt war doch viel besser.“

„Das sehen die vom Radio anscheinend anders“, erwiderte Takeru schulterzuckend, doch auch er wirkte ein bisschen enttäuscht.

„So ein Mist! Das ist so unfair! Da gab es bestimmt Bestechung und Betrug!“, rief Hikari wütend und ballte die Hände zu Fäusten.

„Reg‘ dich ab. Wir können das jetzt eh nicht mehr ändern“, sagte Takeru, der sie mit hoch gezogenen Augenbrauen musterte.

„Wie schade“, meinte Yuuko bedauernd. „Ich hätte es ihnen echt so sehr gewünscht.“

„Ich sag’s ja immer wieder. Er soll diese blöde Musikbranche links liegen lassen und sich mal für was Vernünftiges interessieren“, sagte Natsuko und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das wird doch eh nichts.“

14. Kapitel, in dem Takeru zum ersten Mal Pralinen bekommt

Valentinstag. Der dämlichste Tag im ganzen Jahr. Takeru hasste ihn und das nicht nur, weil er vierzehn und immer noch Single war. Noch nicht einmal seinen ersten Kuss hatte er bisher erlebt. Nicht, dass er es unbedingt darauf anlegte, doch seine Klassenkameraden machten ihn nervös. Es schien gerade die Zeit ihres Lebens zu sein, in der viele die ersten Erfahrungen in Sachen Verliebtsein und Beziehungen sammelten und voreinander damit angaben, händchenhaltend über den Schulhof liefen und heimlich hinter der Turnhalle knutschten. Für Takeru jedoch schienen diese Erfahrungen noch meilenweit entfernt zu sein. Er war einfach nicht der Typ Junge, auf den die Mädchen standen und das wusste er. Mittlerweile zu groß und schlaksig, zu blond, zu pickelig und dann auch noch die Zahnspange. Zwar hatte er sich gut in sein Umfeld eingegliedert, hatte Freunde und galt immerhin nicht als Streber, Nerd oder Langweiler, doch trotzdem hielten Mädchen stets Abstand zu ihm. Und das war der zweite Grund, warum er Valentinstag hasste. Er bekam nie etwas.

Mit finsterer Miene betrat er das Schulgebäude und ging direkt weiter in seinen Klassenraum, ohne auf seine Umgebung zu achten. Er wollte die ganzen verknallten Mädchen gar nicht erst sehen.

Im Klassenraum war es natürlich noch schlimmer. Damit hatte er zwar gerechnet, dennoch nervte es ihn. Mädchen standen kichernd zusammen, Jungs zeigten sich gegenseitig, was sie schon bekommen hatten. Ein Mädchen saß nervös auf ihrem Platz und wartete darauf, dass der Junge ihrer Träume endlich den Klassenraum betrat, um ihm ihre selbstgemachte Schokolade zu geben. Ein Junge unterhielt sich gerade von einem Ohr zum anderen strahlend mit dem Mädchen, das ihm Schokolade geschenkt hatte.

Takeru verdrehte die Augen und ging auf seinen Platz. Gelangweilt schlug er ein Buch auf und tat, als würde er sich auf den Unterricht vorbereiten. Dabei hörte er, wie Akio am Tisch vor ihm mit der Schokolade angab. Er hatte gleich von vier Mädchen aus der Klasse etwas bekommen und führte sich auf, als wäre er der König der Welt.

„Momoko, Emi, Kaori und Midori“, zählte er auf, als er danach gefragt wurde, wer ihm etwas geschenkt hatte. Takeru konnte das Grinsen aus seiner Stimme praktisch heraushören. „Aber eine fehlt mir noch.“

„Wer denn? Etwa Hikari?“, fragte Kenji spöttisch und Takeru konnte nun erst recht nicht mehr weghören. Nicht, wenn es um seine beste Freundin ging.

Akio antwortete nichts, schien jedoch einen vielsagenden Blick aufzusetzen, denn die anderen drei Jungs fingen an zu lachen.

„Vergiss es, von der kriegst du nichts“, meinte Tetsuya und klopfte Akio auf die Schulter. „Sie hat doch letztes Jahr schon keinem was geschenkt, obwohl so einige darauf gehofft haben.“

Ja, Hikari war recht beliebt bei den Jungs. Im Gegensatz zu Takeru entsprach sie genau dem gefragten Typ: relativ klein, hübsch, süß, etwas zurückhaltend und unbeschwert. Schon seit einer Weile befürchtete Takeru, jemand könnte sie in naher Zukunft nach einem Date fragen.

„Letztes Jahr war letztes Jahr. Das ist doch schon ewig her“, erwiderte Akio abwinkend. „Bestimmt hat sie es sich jetzt anders überlegt und… da ist sie!“

Nun blickte auch Takeru auf und entdeckte Hikari, die gerade gemeinsam mit Kazumi das Klassenzimmer betreten hatte. Die vier Jungs vor ihm hatten nun allesamt ihre volle Aufmerksamkeit Hikari gewidmet, die zu ihrem Platz neben Takeru ging und ihnen im Vorbeigehen nur ein müdes Lächeln schenkte.

„Morgen, Keru“, begrüßte sie ihn fröhlich.

„Morgen“, erwiderte Takeru und musterte sie argwöhnisch. Er wusste, dass auch die Jungs vor ihm sie im Blick behielten, wenn sie auch nun wieder angefangen hatten, miteinander zu reden.

Hikari packte unbekümmert ihre Sachen für die erste Stunde auf den Tisch und fischte zum Schluss eine kleine Tüte voller Schokopralinen, die mit einer gelben Schleife verziert war, heraus. Bestimmt legte sie sie direkt vor Takerus Nase auf dem Tisch ab und lächelte ihn an.

„Fröhlicher Valentinstag.“

Takeru und auch die vier anderen Jungs vor ihm waren sprachlos und starrten auf die Tüte.

„Ähm… was?“, fragte Takeru verdattert, den Blick auf den Inhalt der Tüte geheftet.

„Mann, T.K., heute ist Valentinstag und das heißt, dass Mädchen den Jungs, in die sie verliebt sind, Schokolade schenken“, klärte Hikari ihn überflüssigerweise auf.

„Schon klar. Aber… hä?“ Takeru spürte Hitze in seinem Gesicht aufsteigen.

„Anscheinend läuft da doch was“, hörte er Kenji von vorn tuscheln.

„Naja ich bin zwar nicht verliebt, wollte aber so gern jemandem Schokolade schenken, also habe ich dir welche gemacht. Du kommst einem festen Freund am nächsten.“ Sie zwinkerte verschwörerisch und Takeru konnte sich denken, was passiert war. Sie hatte Mitleid.

Natürlich hatte sie in den letzten Jahren mitbekommen, dass Takeru nie Schokolade von einem Mädchen bekommen hatte. Garantiert hatte sie Mitleid mit ihm bekommen und ihm deswegen welche geschenkt. Obwohl ihm das missfiel, rührte ihn diese Geste.

„Cool, danke“, murmelte er ein wenig nüchtern und nahm die Tüte voller Pralinen in die Hand. Natürlich waren sie herzförmig.

„Hab ewig dafür gebraucht. Sind mit Milchcreme gefüllt, ganz wie du es am liebsten magst“, verkündete Hikari stolz.

Takeru sah sie an und lächelte schief. „Du bist ganz schön blöd, weißt du das?“

„Bin ich nicht! Koste lieber die Pralinen, du Idiot“, entgegnete sie und warf der Tüte einen ungeduldigen Blick zu.

„Nö. Du willst nur welche abhaben. Ich esse die erst, wenn ich allein zu Hause bin“, antwortete er entschieden.

„Ich finde, wir sollten heute einen DVD-Abend machen“, sagte Hikari und verengte die Augen zu Schlitzen. Sie würde keine Widerrede dulden.

„Das sagst du nur, weil du mir meine Pralinen wegfuttern willst“, grummelte Takeru und ließ die kleine Tüte in seiner Schultasche verschwinden.

„Mann, sei doch nicht so geizig!“ Sie boxte ihm leicht gegen den Arm.

„Ich und geizig? Wer verschenkt denn hier Pralinen und will sie selbst essen? Dabei hast du garantiert noch eine Wagenladung davon zu Hause, wie ich dich kenne.“

Sie machte ein ertapptes Gesicht und er grinste sie triumphierend an.

„Erwischt.“

„Hast ja Recht“, murmelte sie beleidigt und stützte den Kopf auf der Hand ab.

„DVD-Abend heute bei mir. Aber bring‘ noch ein paar Pralinen mit“, sagte Takeru und schon strahlte sie wieder.

15. Kapitel, in dem Mütter nerven

„Boah, Mama, wieso darf ich denn nicht?“, rief Hikari wütend und ballte die Hände zu Fäusten. „Das ist total unfair! Alle gehen dahin!“

„Das stimmt doch gar nicht“, antwortete Yuuko gelassen. „Takeru darf auch nicht gehen, das weiß ich.“

„Ja, toll, einer. Aber die ganze restliche Schule geht hin! Ich bin voll der Außenseiter, wenn ich nicht beim Konzert bin!“

„Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass nicht ‚die ganze restliche Schule‘ dort sein wird, weil viele der Schüler noch jünger sind als du.“

Hikari wusste nicht, was sie an ihrer Mutter im Moment mehr nervte: dass sie ihr verbot, das Konzert der Tokyo Rebels in einem Nachtclub am Samstag zu besuchen oder dass sie nebenbei seelenruhig die Küche aufräumte, als würden sie hier gerade sorglos über das Wetter plaudern.

„Ist doch egal, wer alles hingeht!“, fauchte Hikari. „Momoko und Kazumi gehen hin und ich wollte mit ihnen zusammen gehen!“

„Daraus wird leider nichts, weil ich meine vierzehnjährige Tochter nicht allein in einen Nachtclub gehen lasse“, erwiderte Yuuko ruhig und wischte die Arbeitsfläche. Sie sah Hikari nicht einmal an.

„Boah warum denn nicht? Was soll denn passieren? Ich bestell‘ mir schon keinen Alkohol! Ich will einfach nur das Konzert sehen!“ Und Yamato. Vor allem Yamato. Immer, wenn sie ihn singen hörte und sah, wurden ihre Knie ganz weich und ihr Herz schien aus ihrer Brust springen zu wollen. Sie wollte so oft seine Konzerte besuchen, wie es nur ging. Und außerdem wäre es ihre erste Gelegenheit, Sora einmal auszukundschaften, da diese auch auf dem Konzert sein würde, wie sie von Taichi wusste. Doch leider legte ihre Mutter ihr anscheinend nur zu gern Steine in den Weg.

„Wie würdest du denn zu dem Club und wieder zurückkommen?“, fragte Yuuko, drehte sich nun endlich zu ihr um und musterte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Mit dem Bus oder so“, antwortete Hikari ungeduldig. „Ich fahre ständig allein Bus, falls dir das noch nicht aufgefallen ist!“

„Nicht in diesem Ton“, sagte Yuuko angesäuert. „Und ich will nicht, dass du nachts allein Bus fährst und dich in einem Nachtclub herumtreibst.“

„Aber Tai und Matt sind doch da. Ich kann doch zu ihnen gehen, wenn ich ein Problem habe“, widersprach Hikari genervt.

„Und du glaubst, die beiden Jungs haben nichts Besseres zu tun, als auf dich aufzupassen?“, fragte ihre Mutter und verschränkte die Arme vor der Brust. Dieser Satz traf Hikari härter, als sie erwartet hatte. Auch ihre eigene Mutter sah es also so, dass Hikari das kleine Mädchen war, das beschützt werden musste. Nur eine kleine Schwester, sowohl für Taichi als auch für Yamato. Eine kleine Schwester, in der nie jemand etwas anderes sehen würde.

„Wieso darf Tai da überhaupt hingehen und ich nicht?“, rief sie nun empört und stampfte mit dem Fuß auf. Ihre Mutter beobachtete die Geste missbilligend.

„Tai ist fast achtzehn. Du bist vierzehn.“

„Das ist total unfair!“, rief Hikari entrüstet. „Tai darf voll viel und ich darf nichts! Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich jünger bin!“

„Du armes Kind, nichts darfst du“, murmelte Yuuko trocken und wandte sich wieder ihrer Arbeit in der Küche zu.

„Hallo, hörst du mir überhaupt zu? Ich fühle mich null ernst genommen von dir!“, rief Hikari und war kurz vorm Ausflippen. „Wieso darf ich nie was? Ich bin kein Kind mehr! Ich werde voll die Außenseiterin sein und alle werden sich am Montag über das Konzert unterhalten, nur ich kann nicht mitreden! Willst du das? Willst du, dass ich keine Freunde mehr habe, weil ich bei allen nur noch das peinliche Mamakind bin?“

Yuuko antwortete nicht, sondern seufzte nur schwer und räumte das Putzmittel zurück in den Schrank.

„Jetzt lass‘ mich doch bitte auf das Konzert gehen. Ich verspreche auch, dass nichts passiert und ich rechtzeitig wieder nach Hause komme, keinen Alkohol trinke und nicht mit Fremden rede“, bettelte Hikari in einem letzten Versuch, ihre Mutter dazu zu überreden, sie auf das Konzert zu lassen. Wenn Yamato wüsste, dass sie hier gerade ihre Würde im hohen Bogen über Bord warf, würde er sich wohl erst recht nicht für sie interessieren.

„Du wirst am Samstag nicht auf dieses Konzert gehen. Ende der Diskussion“, sagte Yuuko nun entschieden und warf den Lappen in die Spüle.

„Aber Mama, ich…“

„Ich sagte, Ende der Diskussion.“

„Warum darf ich denn nicht…“

„Ich wiederhole es gern noch einmal: Ende der Diskussion.“

Hikari stieß einen wütenden Schrei aus, drehte sich um und stampfte davon. Sie wollte nur eines: so schnell wie möglich weg. Weg aus dieser Wohnung, in der sie niemand verstand, in der Taichi alles durfte und sie nicht, in der Eltern das Sozialleben ihrer Kinder egal war.

Sie knallte die Wohnungstür hinter sich zu und ging den kurzen Fußweg zur Wohnung von Takeru und Natsuko, wo sie Sturm klingelte. Nach einigen Sekunden riss Natsuko die Tür auf und kam ihr wütend entgegen, sodass Hikari zurückschreckte.

„Hallo Kari. T.K. ist in seinem Zimmer“, fauchte sie, rauschte an ihr vorbei und machte sich auf den Weg die Treppe hinunter.

„Ähm…“ Verwirrt blickte Hikari ihr hinterher und drehte sich schließlich langsam um, um in Takerus Zimmer zu gehen, doch er stand bereits im Flur und musterte sie mit gerunzelter Stirn. „Was ist denn mit deiner Mutter los?“

„Drama“, murmelte Takeru mit finsterer Miene. „Matt hat sich ein Tattoo stechen lassen. Mein Vater hat es erlaubt. Meine Mutter ist auf dem Weg zu deiner, denke ich. Will sich bestimmt auskotzen.“ Er drehte sich um, ging zum Sofa im Wohnzimmer und ließ sich lang gestreckt darauf fallen. Er war so groß, dass seine Füße über die Armlehne hinaus gingen.

„Haben sie gerade telefoniert?“, fragte Hikari und ging ihm unschlüssig hinterher.

„Mhm“, machte Takeru und starrte an die Zimmerdecke.

Hikari beugte sich über die Rückenlehne und musterte ihn von oben. Sie konnte nur erahnen, wie sehr ihn der erneute Streit seiner Eltern wegen Matt nervte, wo es doch sein größter Wunsch war, seine Mutter und seinen Vater endlich wieder vereint zu sehen.

„Bestimmt kommt Natsuko wieder runter, wenn sie mit meiner Mutter redet“, meinte Hikari zuversichtlich, halb über der Rückenlehne hängend.

Takeru erwiderte nichts, sondern verschränkte die Arme hinter dem Kopf und verzog das Gesicht.

„Hey, mach‘ dir nicht so viele Gedanken, Keru.“ Hikari rutschte noch weiter nach vorn, hing nun kopfüber von der Sofalehne und legte den Kopf auf seiner Brust ab. „Sie kriegt sich schon wieder ein irgendwie. War doch bisher immer so.“

Er zuckte mit den Schultern und erwiderte ihren Blick dann irritiert. „Was machst du da eigentlich?“

„Du hast ja die ganze Sitzfläche blockiert, also hänge ich halt hier ab“, antwortete sie kichernd. Sie spürte schon, wie ihr das Blut dank ihrer unnatürlichen Haltung in den Kopf stieg.

„Du hättest dich auch einfach auf den Sessel setzen können“, erwiderte Takeru grinsend.

„Da ist es so einsam.“ Sie machte Anstalten, über die Rückenlehne zu klettern, rutschte jedoch mit dem Knie ab und verlor mit einem leisen Schrei das Gleichgewicht, sodass sie auf Takeru landete.

„Mann, pass‘ doch auf“, meinte dieser und musterte sie, als sie sich auf den Ellbogen rechts und links neben ihm abstützte und ihn ansah. „Du brichst dir noch was.“

„Gut, dass uns gerade keiner sieht. Diese Position könnte man auch falsch verstehen“, sagte Hikari verschwörerisch grinsend.

Einen Augenblick lang sahen sie einander an und verharrten in dieser merkwürdigen Stellung, bis Takeru auf einmal hochschnellte, Kari an den Schultern packte und von sich schob.

„Na los, geh‘ runter, du bist schwer“, grummelte er und setzte sich aufrecht hin, das Gesicht knallrot angelaufen.

Verwirrt blickte Hikari ihn an. „Was ist denn jetzt auf einmal los?“

„Nichts, Mann.“ Er wandte sich ab und griff nach der Fernsehzeitung, die auf dem Couchtisch lag, um darin zu blättern, doch Hikari war sich nicht sicher, ob er tatsächlich das Programm wissen wollte, oder einfach nur eine Ablenkung von was auch immer suchte. Was war ihm denn nur auf einmal peinlich? Dass sie auf ihm gelegen hatte? So schlimm war das doch nun wirklich nicht gewesen und sie hatten schon oft im gleichen Bett übernachtet. Was sollte also dieses Benehmen?

„Warum bist du eigentlich hier?“, fragte Takeru nun, seine Aufmerksamkeit scheinbar noch immer auf die Fernsehzeitung gerichtet.

Hikari überkreuzte die Beine, legte dabei ihr linkes Bein halb auf seinem Oberschenkel ab. „Meine Mutter nervt total. Sie hat mir verboten, auf Matts Konzert am Samstag zu gehen.“

„Oh“, machte Takeru, klang jedoch wenig überrascht.

„Ja, ich weiß, du darfst auch nicht hingehen“, grummelte Hikari und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Dabei ist er dein Bruder.“

„Jep“, machte Takeru.

„Das ist so unfair. Tai darf auch hingehen. Warum dürfen wir denn nicht?“, beschwerte sich Hikari und spürte ihre Wut zurückkehren.

„Weil wir die kleinen Geschwister sind“, murmelte Takeru, warf die Fernsehzeitung wieder auf den Tisch und lehnte sich zurück.

Einen Augenblick hingen sie beide ihren Gedanken nach, bis Hikari einen Einfall hatte. „Lass‘ uns heimlich hingehen.“

Takeru sah sie fragend von der Seite an.

„Ja, ist doch kein Problem. Ich sag‘ meinen Eltern, ich übernachte bei dir und du sagst deiner Mutter, dass du bei mir übernachtest. Und dann gehen wir aufs Konzert. Fertig.“ Sie klatschte in die Hände und grinste ihn an, völlig überzeugt von ihrem Plan.

Takeru jedoch, ganz der Pessimist, hob eine Augenbraue. „Und wenn sie am nächsten Tag darüber reden? Dann fliegen wir auf.“

„Ach was, die reden doch nie darüber“, erwiderte Hikari und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist doch für die was ganz Normales.“

Seufzend kratzte Takeru sich am Kopf. „Ich weiß nicht.“

„Komm‘ schon, sei einmal cool“, forderte sie ihn auf und lächelte verschmitzt, genau wissend, dass sie ihn damit dazu brachte, zu tun, was sie wollte.

„Was soll das denn heißen?“, grummelte er. „Ich bin immer cool.“

„Eigentlich bist du voll der Langweiler“, stichelte Hikari und gähnte gekünstelt. „Immer voll langweilig und so. Nie machst du mal Spaß mit. Nie kann man mit dir…“

„Ist ja schon gut, wir gehen Samstag auf das Konzert!“

16. Kapitel, in dem Hikari allein aufs Konzert geht

Mit verschränkten Armen und argwöhnischem Blick lehnte sich Yuuko gegen die Wand und beobachtete Hikari dabei, wie sie sich die Schuhe anzog und ihre Tasche überprüfte. Hikari wusste, dass sie Verdacht schöpfte. Sie sollte über eine Karriere als Detektiv nachdenken. Als Hausfrau verschwendete sie nur ihre Talente.

„Und du bist sicher, dass du nur zu Takeru gehst?“, fragte sie mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme.

„Klar, wo soll ich denn sonst hingehen? Auf das Konzert lässt du mich ja nicht“, murrte Hikari, ohne ihr in die Augen zu sehen. Zu sehr fürchtete sie sich davor, sich selbst unter dem strengen Blick ihrer Mutter zu verraten.

„Und es ist reiner Zufall, dass du ausgerechnet heute bei Takeru übernachten möchtest?“, fragte Yuuko weiter.

„Ich will eben nicht den ganzen Abend zu Hause sitzen und nichts machen, nur weil ich nicht auf das Konzert darf!“, fauchte Hikari ungeduldig. „Außerdem habe ich bestimmt schon seit zwei Monaten nicht mehr bei T.K. übernachtet.“

Darauf schien Yuuko keine Antwort mehr zu wissen, sondern verabschiedete sich nur von Hikari, bevor diese endlich die Wohnung verließ. Auf dem Weg zur Metrostation traf sie sich mit Takeru.

„Und? Hat deine Mutter es geschluckt?“, fragte sie nervös. Es reichte, dass eine der beiden Mütter misstrauisch war.

„Ja, als ich ihr das erzählt habe, meinte sie, das passt perfekt, weil sie sowieso was vorhat heute Abend“, antwortete Takeru. „Sie geht auch gleich los.“

„Ach echt? Was hat sie denn vor?“, fragte Hikari neugierig und musterte ihn von der Seite.

„Sie meinte, sie hat eine Verabredung.“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern, doch Hikari schlug erschrocken eine Hand vor den Mund.

„Etwa mit einem Mann?“

„Nein, mit…“ Er zögerte, bevor er sie mit skeptischem Blick ansah. „Keine Ahnung. Bestimmt mit Kollegen oder so.“

„An einem Samstag?“

„Oder mit einer Freundin. Oder… was weiß ich.“

„Sie hat dir also nicht gesagt, mit wem sie sich verabredet hat?“, hakte Hikari neugierig nach.

„Nee.“

„Woher willst du dann wissen, dass es kein Mann ist?“

Takeru antwortete nicht, sondern kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Auch wenn er anscheinend nicht daran glaubte, dass seine Mutter eine Verabredung mit einem Mann haben könnte, war Hikari davon überzeugt, dass es so war. Immerhin hatte Natsuko seit der Scheidung von Hiroaki keine feste Beziehung mehr gehabt. Doch das wäre furchtbar für Takeru.

„Hat deine Mutter dir geglaubt?“, wechselte er schließlich das Thema.

„Nicht so wirklich. Ich glaube, sie ist echt misstrauisch. Ich hoffe, sie ruft deine Mutter nicht an oder so“, antwortete Hikari.

„Was? Oh Mann“, stöhnte Takeru und fasste sich an die Stirn. „Wenn das rauskommt, sind wir am Arsch und du bist schuld.“

„Ich?!“, rief Hikari entrüstet.

„Ja, weil es deine Idee war“, antwortete Takeru giftig. „Du wolltest dich unbedingt zu diesem Konzert schleichen.“

„Du willst doch auch hingehen!“, feuerte Hikari empört zurück. „Jetzt tu‘ nicht so, als wäre ich die Einzige, die dieses Verbot ankotzt!“

„Nein, mich kotzt es auch an, aber ich wollte trotzdem zu Hause bleiben, weil ich keinen Stress will!“, rief Takeru hitzig.

„Ach ja? Und warum bist du dann nicht zu Hause geblieben?“, fauchte Hikari.

„Weil ich dich nicht alleine gehen lassen wollte und du so gedrängelt hast! Und das nur, weil du unbedingt meinen ach so tollen Bruder sehen willst, bei dem du eh keine Chance hast!“

Hikari blieb der Mund offen stehen. Sie spürte, dass sie rot anlief. „Ach, weißt du was? Bleib‘ doch einfach zu Hause, du Langweiler! Kein Wunder, dass kein Mädchen sich für dich interessiert!“

Nun war es Takeru, der stehen blieb und sie finster ansah. „Mach‘ ich auch. Viel Spaß auf deinem bescheuerten Konzert.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und ging in die Richtung davon, aus der sie gerade gekommen waren. Entgeistert starrte Hikari ihm hinterher. Jetzt ließ er sie auch noch wirklich allein!

Für einen Augenblick überlegte sie, ihm nachzulaufen, doch dann entschied sie sich dagegen und ging rauchend vor Wut weiter zur Metrostation. Sollte der langweilige Takeru eben zu Hause vergammeln.

Auf der Fahrt zum Nachtclub, in dem das Konzert stattfand, dachte Hikari, während sie sich etwas ungeschickt schminkte, über den Streit nach. Je mehr ihre Wut sich legte, desto mehr Platz breitete sich in ihrem Kopf für ein schlechtes Gewissen aus. Sie hatte ihm nicht eine solche Gemeinheit an den Kopf werfen wollen. Sie war nur wütend und enttäuscht darüber gewesen, dass er gesagt hatte, sie hätte sowieso keine Chance bei Yamato, obwohl das nur der Wahrheit entsprach. Aus Rache hatte sie ihn mit etwas verletzt, von dem sie wusste, dass es ihn verletzen würde. Sie musste ihn morgen unbedingt anrufen und sich bei ihm entschuldigen.

Takeru verschwand allmählich aus ihren Gedanken, als sie aus der Metro stieg und den Weg zum Nachtclub suchte. Einmal bog sie falsch ab, doch beim zweiten Anlauf schaffte sie es. Es gelang ihr, sich in einer größeren Gruppe Jugendlicher in den Club zu schmuggeln, ohne vom Türsteher nach einem Ausweis gefragt zu werden. Ganz offensichtlich war er etwas lustlos.

Im Club, der bereits ziemlich gut gefüllt war, sah sie sich nach ihrem Bruder um. Er musste irgendwo hier unterwegs sein. Hoffte sie zumindest.

Sie drängte sich zwischen all den Menschen hindurch, um sich den Club anzusehen und hoffte, dass sie nicht allzu sehr auffiel. Die Menschen hier waren alle mindestens sechzehn oder siebzehn, die meisten eher älter. Hikari hatte sich die größte Mühe gegeben, sich ihr Alter nicht ansehen zu lassen. Sie trug einen kurzen Rock und eine Strumpfhose, ein T-Shirt und einen Cardigan darüber. Ihre Augen hatte sie dunkel geschminkt, ihre Lippen mit rosafarbenem Lipgloss nachgezogen. Sie reckte das Kinn und bemühte sich um einen selbstbewussten Gesichtsausdruck.

Bei ihrer zweiten Runde allein durch den Club entdeckte sie endlich den unverkennbaren wuscheligen Haarschopf ihres Bruders und steuerte erleichtert auf ihn zu. So ganz ohne Begleitung fand sie es in dem Club tatsächlich ein wenig unheimlich. Und ohne Takeru unterwegs zu sein, fühlte sich auch komisch an.

„Hey Tai!“

Er unterbrach das Gespräch mit dem Mädchen, in das er bis eben noch vertieft gewesen war, und drehte sich mit verdutztem Blick zu ihr um, als sie ihn an der Schulter berührte. „Kari? Alter, was machst du hier?!“

Das Mädchen musterte sie neugierig.

„Ich gehe auf Matts Konzert“, antwortete sie schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wolltest du nicht bei T.K. übernachten?“, fragte Taichi verdattert und kratzte sich am Kopf.

„Ja. Nein. Wir wollten heimlich zusammen herkommen, aber jetzt bin ich allein hier. Ich wollte mir das Konzert nicht entgehen lassen“, antwortete Hikari.

„Und wieso ist er nicht mitgekommen?“

Ihre selbstbewusste Fassade bröckelte. „Er… naja… ist doch egal.“

Taichi runzelte die Stirn und musterte sie argwöhnisch und sah dabei Yuuko nicht unähnlich. „Du solltest echt wieder nach Hause gehen. Wenn Mama das rausfindet, bist du tot“, sagte Taichi trocken.

„Du wirst ihr doch nichts sagen, oder?“ Sie versuchte, bedrohlich zu klingen, klang jedoch eher ängstlich.

Taichi machte ein nachdenkliches Gesicht und fuhr sich durch die Haare. „Mann, Kari, wenn dir was passiert… und ich wusste, dass du hier bist… ich bin sozusagen der Verantwortliche.“

„Ich bin kein Kind mehr, okay?“, fuhr sie ihn an. „Ich hab‘ genauso ein Recht auszugehen wie du!“

„Okay, okay. Aber mach‘ keinen Scheiß, kapiert? Lass‘ dein Getränk nicht irgendwo stehen. Rede nicht mit schrägen Typen. Rede am besten mit niemandem, den du nicht kennst. Und trink‘ keinen Alkohol, klar? Und nach dem Konzert fährst du gemeinsam mit mir nach Hause.“ Er sah sie streng an.

„Jaja, schon klar“, murrte Hikari peinlich berührt. Das Mädchen hatte alles mitangehört.

„Ach, das ist übrigens Sora. Matts Freundin“, stellte Taichi nun seine Begleitung vor und betonte dabei besonders das Wort Freundin. Hikari ärgerte sich darüber, schenkte besagter Sora jedoch ein Lächeln, das diese erwiderte. Nun erkannte Hikari das Mädchen, dessen Aussehen Takeru ihr mal geschildert hatte: normal groß, sportlich, schulterlanges, rötliches Haar, hübsches Gesicht.

„Das ist meine Schwester Kari“, stellte Taichi nun Hikari vor und schenkte ihr dabei einen mürrischen Blick.

„Schön, dich endlich mal kennenzulernen. Tai hat schon viel von dir erzählt“, sagte Sora noch immer lächelnd.

„Hat er das?“, fragte Hikari und hätte ihren Bruder am liebsten geschlagen. Wer wusste schon, was er dieser Sora alles über sie erzählt hatte?

„Ja. Du sollst eine ziemlich gute Balletttänzerin sein“, erwiderte Sora. „Ich bewundere Menschen, die gut tanzen können. Ich kann das nämlich überhaupt nicht.“

„Kann sie echt nicht. Du solltest sie mal sehen“, kommentierte Taichi.

„Mann, Tai!“, rief Sora gespielt beleidigt und verpasste ihm einen Klaps auf den Arm.

Hikari kicherte gegen ihren Willen. Vielleicht war diese Sora ja gar nicht so schlimm, wie sie angenommen hatte.

17. Kapitel, in dem Hikaris Herz gebrochen wird

Das Konzert war unglaublich gewesen und Yamatos Band hatte für eine super Stimmung im ganzen Club gesorgt. Nach jedem Lied hatte es lauten Jubel und Beifall gegeben, Yamato und die Mitglieder seiner Band hatten sich angegrinst und am Ende sogar noch eine Zugabe gegeben, als diese verlangt wurde.

Hikari war einfach hin und weg gewesen. Die ganze Zeit hatte sie Yamato angestarrt und ihn bewundert, wie er voller Leidenschaft ins Mikrofon sang, auf seiner E-Gitarre spielte und sich das schulterlange Haar mit wilden Kopfbewegungen aus dem Gesicht schüttelte. Er trug ein schwarzes T-Shirt der Band Nirvana, dazu eine Jeans und ein paar dünne Lederarmbänder um das Handgelenk. Auf seinem linken Oberarm prankte ein Tattoo einer unheimlichen Gestalt mit stechenden Augen und spitzen Zähnen, die ihm förmlich aus dem Arm zu springen schien. Die Tunnel in seinen Ohrläppchen waren mittlerweile so groß, dass ein kleines Kind einen Finger hindurchstecken könnte.

Hikari hatte starkes Herzklopfen verspürt und ihre Knie waren immer weicher geworden, während sie ihn beobachtet hatte. Sie bereute es definitiv nicht, auch ohne Takeru auf das Konzert gegangen zu sein.

Nun wartete sie hibbelig neben ihrem Bruder darauf, dass Yamato endlich zu ihnen stieß, doch die Band war im Moment noch damit beschäftigt, selbst erstellte CDs mit ihren Songs zu verkaufen. Hikari hatte leider nicht genug Geld dabei, um eine zu erstehen, doch das konnte sie sicher irgendwann nachholen.

Zu Hikaris Freude entschuldigte sich Sora bei ihr und Taichi, da sie auf die Toilette musste, und wenige Minuten später stieß Yamato endlich zu ihnen. Es war perfekt. Er begrüßte Taichi mit einem Handschlag und warf Hikari einen überraschten Blick zu, bevor er sie umarmte. Ihr schlug das Herz bis zum Hals bei dieser unerwarteten Berührung. Verlegen versuchte sie, sich ihre übermütige Freude nicht ansehen zu lassen, als er sie wieder losließ.

„Was machst du denn hier? Ich dachte, du und Takeru dürft nicht hier sein?“ Yamato sah sich um, suchte scheinbar nach seinem kleinen Bruder.

„Dürfen wir ja auch nicht. Takeru ist nicht hier, aber ich habe mich raus geschlichen“, antwortete Hikari grinsend.

„Was im Ernst? Du?“ Yamato lachte und klopfte Taichi auf die Schulter. „Mann, Tai, du hast einen schlechten Einfluss sie.“

„Tja, ich schätze, sie wird langsam groß“, erwiderte dieser und kniff Hikari in die Wange, die daraufhin seine Hand wegschlug. Dennoch glaubte sie, ein bisschen Stolz in seinen Augen erkennen zu können.

„Das Konzert war wirklich unglaublich!“, sagte Hikari zu Yamato und strich sich mit fahrigen Bewegungen eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich habe leider nicht genug Geld dabei, sonst würde ich mir die CD holen. Aber wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich auf jeden Fall…“

Sie hielt inne, denn Yamato hielt ihr plötzlich eine CD vor die Nase. „Hier. Ich schenk‘ sie dir.“

Verdutzt wanderte Hikaris Blick von der CD zu Yamato. „Was?“

„Na komm‘ schon, nimm sie. Wir kennen uns seit hundert Jahren, da passt das schon.“ Er zwinkerte ihr zu und Hikari nahm ihm freudestrahlend die CD aus der Hand, wobei sich ihre Hände flüchtig berührten. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken.

„Danke!“, rief sie. „Das ist so cool! Echt!“

„Krieg‘ dich wieder ein“, meinte Taichi spöttisch und tätschelte Hikari die Schulter, die ihm einen verärgerten Blick zuwarf. „Willst du kurz mit raus kommen ein bisschen frische Luft schnappen? Ist so stickig hier drin.“

„Gute Idee“, stimmte Yamato zu und fuhr sich durch die verschwitzten Haare.

„Ich gehe nur noch schnell auf die Toilette, dann komme ich nach“, verkündete Hikari und huschte davon, so gut es in dem Club eben ging.

Vor den Toiletten kam ihr Sora mit einem etwas genervten Blick entgegen, doch als sie Hikari erkannte, lächelte sie.

„Die stehen ganz schön an. Hat Ewigkeiten gedauert, bis ich dran war“, warnte sie Hikari vor, doch diese zuckte nur mit den Schultern. Es nutzte ja nichts. Verkneifen wollte sie es sich nicht für den Rest des Abends.

Das Stehen in der Schlange fühlte sich tatsächlich an wie eine Ewigkeit. Es ging kaum voran und Hikari trat, während sie wartete, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Sie wollte so schnell wie möglich wieder zurück zu Yamato. Die Nacht war noch recht jung, sie konnte also noch viel Zeit mit ihm verbringen. Vielleicht ging Sora ja auch schon eher nach Hause. Vielleicht lief es zwischen den beiden ja auch gar nicht so gut, denn immerhin hatte Yamato ihr eine CD geschenkt. Ob er wohl doch an ihr interessiert war und sie nicht nur als kleine Schwester sah? Wen interessierte es schon, was Takeru geredet hatte? Von wegen keine Chance. Momentan sah es ganz anders aus.

Allein beim Gedanken daran, eine Chance bei Yamato Ishida zu haben, machte Hikaris Herz Freudensprünge. Es war ihr egal, dass die Toiletten furchtbar schmutzig und unzumutbar aussahen. Gut gelaunt machte sie sich auf den Rückweg zu dem Platz, an dem sie bis vor einigen Minuten noch gestanden hatten. Sie hoffte, dass die anderen drei auf sie gewartet hatten und nicht schon draußen waren.

Sie reckte den Hals, um Ausschau nach Yamato und Taichi zu halten, als sie bei dem Anblick, der sich ihr bot, wie angewurzelt stehen blieb. Sie war nur noch wenige Meter von ihrem Standort entfernt und hatte daher einen ausgezeichneten Blick aus Yamato und Sora, die sich gerade leidenschaftlich küssten.

Hikaris Augen weiteten sich vor Schock. Hatte ihr Herz bis eben noch Luftsprünge gemacht, fühlte es sich nun so an, als würde es sich in der dunkelsten Ecke ihrer Brust verkriechen. Eng aneinandergedrängt standen sie dort und schienen um sich herum nichts mehr wahrzunehmen. Soras Hände lagen an seinen Wangen, während Yamato seine Hände in die Gesäßtaschen ihrer Jeans geschoben hatte. Beide hatten sie die Augen geschlossen und die Münder aufeinander gepresst. Einmal konnte Hikari sogar kurz ihre Zungen sehen.

Ihr wurde schlecht und ein dicker Kloß schien sich in ihrem Hals zu bilden. Sie drehte sich weg von diesem Anblick und drängte sich durch die Menschen hindurch zum Ausgang. Plötzlich wollte sie nur noch weg. Weg aus diesem Schlamassel. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie angestrengt wegzublinzeln versuchte.

Angenehm kühle Luft schlug ihr entgegen, als sie den Club verließ und schien ihre Augen zu trocknen. Sie rannte los Richtung Metro, sprang in die Nächstbeste, die in ihre Richtung fuhr und setzte sich auf einen freien Platz.

Mit starrem Blick sah sie aus dem schwarzen Fenster, konnte jedoch nur das Spiegelbild dessen erkennen, was in der Metro geschah. Das Bild von Yamato und Sora erschien vor ihrem geistigen Auge, wie sie sich eng umschlungen inmitten von Menschen küssten. Erneut schossen ihr Tränen in die Augen und diesmal konnte Hikari sie nicht zurückhalten. Erbarmungslos bahnten sie sich einen Weg über ihre Wangen und Hikari wischte sich mit den Händen darüber, darauf achtend, sich nicht über die Augen zu wischen. Wie würde sie denn aussehen, wenn sie jetzt auch noch ihr Make-up quer über ihr Gesicht schmierte?

Der Mann neben ihr warf ihr bereits verwirrte Blicke zu. Immer wieder fuhren ihre Hände über ihre Wangen, doch die Tränen wollten einfach nicht aufhören. Nicht einmal angestrengtes Blinzeln half.

Sie stürmte aus der Bahn, als sie endlich ihre Haltestelle erreichte. Als sie jedoch die Station verließ, blieb sie unschlüssig stehen. Wohin sollte sie jetzt? Sie wollte nicht nach Hause. Sie wollte und konnte nicht nach Hause. Ihre Eltern würden sie hören und sie fragen, was los war, warum sie wieder nach Hause kam, warum sie so aufgebrezelt war und warum sie weinte. Dann würde sie ihre Lüge gestehen müssen und würde vielleicht Hausarrest bekommen.

Es gab nur einen anderen Ort, an den sie jetzt gehen konnte.

Zögerlich zückte sie ihr Handy, suchte nach der richtigen Nummer und hielt es sich ans Ohr. Es klingelte und klingelte, bis die Mailbox ansprang. Verzweifelt seufzend legte Hikari auf und versuchte es noch einmal, doch wieder erreichte sie nur die Mailbox. Ein letztes Mal wollte sie es noch versuchen. Sie wusste, dass er einen tiefen Schlaf hatte. Wenn er nun nicht aufwachte, konnte sie auch aufgeben. Erneut ließ sie es klingeln und kurz bevor die Mailbox ansprang, meldete sich endlich Takerus verschlafene Stimme.

„Ja?“

„Keru? Ich bin’s“, wisperte sie mit rauer Stimme.

„Hab‘ ich gesehen“, brummte er.

Sie schluckte und wischte sich erneut mit der freien Hand über die Wangen. „Entschuldige, dass ich dich geweckt habe.“

Er schwieg einen Moment. „Sag‘ mal, weinst du?“

Zur Antwort schluchzte Hikari ins Handy und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. Wieder war das Bild von Yamato und Sora in ihrem Kopf erschienen, als hätte es sich eingebrannt.

„Was ist passiert?“ Takeru klang auf einmal viel weniger abweisend, sondern eher besorgt.

„Kann ich zu dir kommen?“, fragte Hikari zwischen einigen Schluchzern. „Es tut mir Leid, was ich heute zu dir gesagt habe. Das war nicht so gemeint. Ich meine…“

„Ja, klar. Wo bist du gerade?“, unterbrach er ihre gestammelte Entschuldigung.

„An der Metro. Ich komme jetzt zu dir gelaufen“, antwortete Hikari schniefend und legte auf. Mit eiligen Schritten machte sie sich auf den Weg zu dem Haus, in dem Takeru wohnte. Als es in Sichtweite kam, konnte sie ihn schon im Licht einer Straßenlaterne erkennen, wie er in Jogginghose und T-Shirt gekleidet auf sie zukam. Sie rannte ihm entgegen und fiel ihm in die Arme, vergrub das Gesicht in seinem Shirt und schluchzte erneut los.

„Mann, Kari, was ist denn los?“, fragte er verdattert und legte ungeschickt die Hände auf ihren Rücken.

„Ich hasse mein Leben! Alles ist scheiße!“, presste sie zwischen ihren Schluchzern hervor.

„Ähm… okay“, erwiderte Takeru verständnislos. „Wollen wir erst mal rein gehen?“

Sie nickte, ließ von ihm ab und folgte ihm in die Wohnung der Takaishis, wo sie in Takerus Zimmer gingen und sich auf seinem Bett niederließen. Der vertraute Geruch seines Zimmers ließ Hikari ein klein wenig zur Ruhe kommen und sie hörte auf zu schluchzen.

„Ich hab‘ sie beim Rumknutschen gesehen“, sagte sie schließlich nach einigen Sekunden des Schweigens und schnäuzte sich geräuschvoll in ein Taschentuch, das er ihr reichte.

„Und deswegen weinst du?“, fragte er verwirrt.

Entgeistert sah Hikari ihn an, sodass er abwehrend die Hände hob und sich erklärte. „Naja, ich meine nur, du wusstest doch, dass sie zusammen sind. Ich hatte es dir doch gesagt.“

„Schon, aber ich dachte, vielleicht sind sie ja inzwischen nicht mehr zusammen oder so. Keine Ahnung. Und er war so nett zu mir, hat mich umarmt und mir eine CD geschenkt und… ich dachte, er ist vielleicht doch an mir interessiert“, antwortete sie und tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen.

„Ach, Hika“, murmelte Takeru und legte ihr etwas hilflos einen Arm um die Schultern. „Es gibt noch so viele andere Jungs, die dich sogar ziemlich mögen. Also… die wissen das zu schätzen, dass du dich für sie interessierst, weißt du?“

„Ich will aber keinen anderen“, murmelte Hikari. „Matt ist so toll. Er sieht so gut aus und ist so lieb und…“ Sie seufzte tief und hatte ein Bild von Yamato und seinem unwiderstehlichen Lächeln vor Augen.

„So toll ist er gar nicht“, erwiderte Takeru schulterzuckend. „Er ist ganz schön launisch, wird immer gleich gewalttätig, rastet schnell aus… weißt du noch, wie er dich mal vom Klettergerüst geschubst hat? Das macht man doch nicht.“

Hikari schnaubte. „Da war ich vier und er sieben oder so.“

„Trotzdem“, erwiderte Takeru bestimmt. „Oder wie er mal, weil er sich mit Tai gestritten hat, vor Wut gegen dein Puppenhaus getreten hat?“

Hikari dachte nach. Daran konnte sie sich noch gut erinnern, denn da war sie ungefähr acht gewesen und hatte ziemlich viel geweint. Yamato hatte sich zwar entschuldigt, doch das Puppenhaus war kaputt.

„Oder wie er und Tai über dein neues Kleid gelacht haben?“

Oh ja. Da war Hikari wirklich sauer und sehr verletzt gewesen. Sie war zehn Jahre alt gewesen und ihre Mutter hatte ihr für die Hochzeit einer Cousine von ihr ein neues Kleid gekauft. Es war pink und mit Rüschen und Schleifchen versehen gewesen. Aus heutiger Sicht schämte sie sich natürlich selbst, einmal so ein Kleid getragen zu haben, doch damals hatte sie es wunderschön gefunden und vor Wut geheult, als Yamato und Taichi sie ausgelacht hatten.

Sie presste die Lippen aufeinander und nickte langsam.

„Siehst du? Er ist gar nicht so perfekt“, sagte Takeru, ließ seinen Arm sinken und stützte die Hände hinter sich auf dem Bett ab. Er streckte die langen Beine aus und legte die Füße übereinander. „Und du bist echt hübsch und nett und hilfsbereit und kümmerst dich immer um alle. Es gibt so viele Jungs, die was von dir wollen. Da brauchst du gar keinen Matt.“

Nun sah Hikari ihn leicht lächelnd an und tupfte sich die letzten Tränen von den Wangen. „Du bist echt süß, weißt du das? Ich wünschte, alle Jungs wären so wie du.“ Sie lehnte sich gegen seine Schulter und schloss die Augen. „Tut mir echt leid, was ich heute gesagt hab‘. Das war gemein.“

„Mir tut’s auch leid“, murmelte Takeru.

Einen Moment lang saßen sie schweigend auf dem Bett, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Hikari hatte sich endgültig wieder beruhigt und fühlte sich besser. Zwar war sie noch immer zutiefst getroffen, doch Takeru hatte es tatsächlich geschafft, sie ein wenig aufzumuntern.

„Deine Mutter hat übrigens hier angerufen“, berichtete er dann plötzlich.

Hikari hob den Kopf und sah ihn ungläubig an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Echt? Scheiße!“

„Ja. Hab‘ ihr gesagt, dass du bei mir bist, aber gerade unter der Dusche stehst“, antwortete er.

„Hat sie dir geglaubt?“, fragte Hikari bang.

Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht so richtig. Hat noch ein bisschen geredet und ich hab so getan, als würde ich durch die Badtür mit dir reden, aber irgendwann hat sie dann aufgelegt.“

Hikari fiel ein Stein vom Herzen und erleichtert seufzend ließ sie sich nach hinten fallen. „Danke, du bist der Beste. Hast was gut bei mir.“

Hätte ihre Mutter herausbekommen, dass sie auf dem Konzert war, wäre sie erledigt gewesen.

18. Kapitel, in dem Takeru unauffindbar ist

„Sag mal, Kari“, fing Yuuko in diesem ganz bestimmten Tonfall an, der Hikari vermuten ließ, dass jetzt eines dieser typischen Mutter-Tochter-Gespräche auf sie zukam. Innerlich stöhnte sie auf und hielt die Luft an. Nur, weil sie gerade gemeinsam Gemüse für das Abendessen klein schnitten, hieß das noch lange nicht, dass Hikari über ihr Leben plauderte. „In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass dich irgendwas bedrückt.“

Hikari hob die Augenbrauen und antwortete nicht, sah nicht einmal auf. Sie schnippelte einfach weiter die Möhren und hoffte, Yuuko würde bald aufhören zu reden.

„Du bist irgendwie ruhiger geworden, isst weniger, machst andauernd ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter… ist irgendetwas nicht in Ordnung?“, fragte ihre Mutter und aus den Augenwinkeln bemerkte Hikari, dass sie sie musterte.

„Klar, alles super“, erwiderte Hikari betont gelichgültig und zuckte mit den Schultern. „Hab‘ gar nicht gemerkt, dass ich anders bin. Ist keine Absicht.“

„Bist du sicher?“, hakte Yuuko argwöhnisch nach.

„Ganz sicher.“ Nie im Traum würde Hikari daran denken, ihrer Mutter zu stecken, dass ihre schlechte Laune in letzter Zeit mit Yamato und der Tatsache zu tun hatte, dass sie sich geschlagen geben musste. Zwar waren die beiden schon seit einer Weile zusammen, doch Hikari hatte sie nie zusammen gesehen und all die Monate gehofft, das wäre sowieso nichts Ernstes. Immerhin kannte sie selbst Yamato doch viel besser als Sora, hatte schon so viel mit ihm erlebt. Doch seit sie den Kuss zwischen den beiden vor zwei Monaten beobachtet hatte, lagen ihre Hoffnungen, eines Tages selbst das Objekt Yamatos Begierde zu sein, auf dem Nullpunkt. Aktuell war sie dabei, zu versuchen, sich zu entlieben, was ihr viel zu schwer fiel.

Yuuko setzte gerade zu einer weiteren Frage an, als es an der Tür klingelte.

„Ich geh‘ schon“, sagte Hikari sofort, froh um die Ablenkung, die genau im richtigen Moment gekommen war. Sie ging zur Wohnungstür und öffnete sie schwungvoll, bereit, ihren Retter dankbar anzulächeln.

Es war Natusko, die geklingelt hatte und Hikari etwas besorgt musterte.

„Hallo“, begrüßte Hikari sie und trat einen Schritt zur Seite, um sie rein zu lassen. Yuuko war hinter Hikari getreten und begrüßte sie nun ebenfalls.

„Wir machen gerade Essen. Möchtest du bleiben?“, bot sie ihr an.

Natsuko machte keine Anstalten, die Wohnung zu betreten, sondern blieb mit unsicherem Blick im Türrahmen stehen. „Nein, danke. Ich bin eigentlich nur hier, weil ich fragen wollte, ob T.K. hier ist.“

Verwirrt schüttelte Hikari den Kopf.

„Ist alles okay?“, fragte Yuuko skeptisch.

Natsuko seufzte ernüchtert. „Ja. Nein. War er vielleicht vorhin hier oder so?“

„Kari ist erst vor einer Stunde vom Ballett nach Hause gekommen“, erklärte Yuuko und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und davor war er auch nicht hier.“

Stöhnend schlug Natsuko sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Das darf doch nicht wahr sein.“

„Willst du vielleicht hereinkommen und erzählen, was los ist?“, schlug Yuuko nun vor, die anscheinend ein Problem witterte. „Kari, setz‘ mal Tee auf.“

Genervt verzog Hikari das Gesicht und ging zurück in die Küche, um eine Kanne Tee zu kochen, während Yuuko und Natsuko sich an den Küchentisch setzten.

„Das Problem ist, T.K. ist weg und ich hab‘ keine Ahnung, wo er sein könnte. Ich war schon bei seinem Vater, aber dort ist er auch nicht gewesen und da dachte ich, er könnte vielleicht hierher gekommen sein“, erklärte Natsuko langsam und stützte den Kopf auf den Händen ab.

„Er ist weg? Oh mein Gott, wie meinst du das? Ist er nach der Schule nicht nach Hause gekommen?“, rief Yuuko alarmiert und auch Hikari spürte, wie sich ihr Herzschlag vor Angst beschleunigte. Takeru verschwunden? War er vielleicht entführt worden?

„Doch, er war zu Hause. Aber es gab da ein kleines… Problem“, murmelte Natsuko.

„Ein Problem?“, hakte Yuuko verständnislos nach.

„Naja, er kam eher nach Hause. Ist bei euch heute was ausgefallen, Kari?“

Beide Frauen drehten sich zu Hikari um, die am Wasserkocher stand und nickte. „Die letzte Stunde ist ausgefallen, weil der Lehrer krank ist.“

„Ah. Deswegen kam er eher nach Hause. Ich war darauf nicht vorbereitet. Du weißt ja, ich hatte heute frei und war gerade noch… beschäftigt. Wenn du verstehst, was ich meine.“ Natsuko hustete gekünstelt. Hikari verstand nur Bahnhof, doch Yuuko schien zu wissen, wovon sie sprach.

„Oh!“, rief sie. „Ach du… oh nein! Ist es das, was ich denke?“

Natsuko nickte langsam und senkte betreten den Blick.

„Hä? Was ist denn passiert?“, fragte Hikari nun, die beiden Mütter mit gerunzelter Stirn beobachtend.

Natsuko warf ihr einen kurzen Blick zu, doch Yuuko machte nur eine wegwerfende Handbewegung in ihre Richtung, um ihr zu signalisieren, dass sie den Mund halten sollte. Grummelnd wandte Hikari sich ab und goss das heiße Wasser in eine Kanne.

„Ja, genau das. Er kam einfach rein geplatzt und ich hatte keine Chance mehr, noch etwas zu verhindern. Oh Gott, du hättest sein Gesicht sehen müssen. Es war so unangenehm. Er war völlig schockiert“, erzählte Natsuko weiter und vergrub das Gesicht in den Händen. „Er ist gleich wieder aus der Wohnung gerannt. Ich dachte, ich lasse ihn erst mal. Muss sich nur wieder einkriegen. Nach einer Stunde habe ich versucht, ihn anzurufen, aber er hat sein Handy zu Hause gelassen. Ich hab‘ noch eine Stunde gewartet und dann Hiroaki angerufen. Der Idiot hat erst einmal angefangen, mir Vorwürfe zu machen, als ich ihm die Situation erklärt habe.“ Sie schnaubte verächtlich. „Jedenfalls hat T.K. sich da auch nicht blicken lassen. Dann dachte ich, er wäre vielleicht hierher gekommen.“

Yuuko nickte langsam, während Hikari immer noch keine Ahnung hatte, wovon Natsuko sprach. Warum war Takeru aus der Wohnung geflohen? Und noch viel wichtiger: Wo war er jetzt?

Sie stellte die Teekanne und drei Tassen mit Teeblättern auf dem Tisch ab und setzte sich auf einen der freien Stühle.

„Hast du irgendeine Ahnung, wo T.K. sein könnte?“, fragte Natsuko nun an sie gewandt. „Irgendwelche Freunde, bei denen er untergekommen sein könnte?“

Hikari dachte nach, doch ihr fiel niemand ein. Wenn Takeru über irgendetwas reden wollte oder einfach keine Lust mehr auf sein Zuhause hatte, war er immer zu ihr gekommen, genau wie auch andersrum. Vorsichtshalber nannte sie ihm jedoch drei Jungen aus ihrer Klasse, die ihm recht nahe standen. Zu dritt suchten sie deren Telefonnummern aus dem Telefonbuch heraus und riefen dort an, doch Takeru hatte sich bei keinem der drei blicken lassen.

„Nein, da ist er auch nicht“, sagte Yuuko kopfschüttelnd, als sie nach dem letzten Gespräch auflegte. Dass diese Telefonate nichts ergeben hatten, wunderte Hikari wenig.

Natsuko seufzte resigniert. „Hast du keine Ahnung, wo er stecken könnte, Kari? So langsam mache ich mir echt Sorgen. Ich hoffe, ihm ist nichts passiert.“

Hikari dachte über Orte nach, an denen Takeru sich aufhalten könnte, wenn er allein sein wollte. Sie glaubte nicht, dass er gerade in einem Café saß. Nein, er würde irgendwo anders herumhängen, wo ihn niemand störte und er in Ruhe nachdenken konnte. Doch wo konnte das sein?

Ein Ort fiel ihr ein. Ein Ort, an dem sie sich schon öfter getroffen hatten, wenn einer von ihnen Probleme hatte, weil er Ruhe ausstrahlte und das Denken anregte. Vielleicht war Takeru ja da irgendwo zu finden.

„Ich wüsste vielleicht, wo er sein könnte“, sagte Hikari nach einigen Sekunden des Überlegens. Yuuko und Natsuko sahen sie erwartungsvoll an. „Vielleicht ist er am Meer.“

Die beiden Mütter sahen einander ratlos an, bis Natsuko sich schließlich wieder an Hikari wandte und das Wort ergriff.

„Würdest du vielleicht nachsehen gehen? Vielleicht findest du ihn ja wirklich dort und ich denke, mit dir redet er eher als mit mir“, bat sie Hikari.

„Klar“, sagte Hikari sofort. Sie wollte unbedingt wissen, was passiert war. Und natürlich wollte sie auch, dass Takeru unbeschadet wieder auftauchte.

„Gut, Kari, du gehst zum Meer, aber nimm dein Handy mit. Und wenn du ihn in einer halben Stunde nicht gefunden hast, kommst du wieder zurück, klar?“, bestimmte Yuuko und sah Hikari streng an. „Und du gehst besser nach Hause, falls T.K. doch zurückkommt. Ich bleibe hier, falls er hier auftauchen sollte und wir bleiben alle in Kontakt.“

Natsuko und Hikari verließen die Wohnung und bogen vor dem Haus in verschiedene Richtungen ab. Eilig lief Hikari zum Meer. Sie hoffte inständig, dass sie ihn dort fand. Wenn er nicht dort war, würden ihr zwar noch ein paar andere Orte einfallen, an die er sich zurückgezogen haben könnte, doch die schienen ihr allesamt weniger wahrscheinlich. Falls sie ihn nicht am Meer fand, würde sie sich ernsthaft Sorgen machen.

Sie kam am Strand an und sah sich um. Das Meer war ihr bei Nacht einfach nicht geheuer. Schwarz und bedrohlich rollten die Wellen über den dunklen Sand und schienen sich nach ihr auszustrecken. Obwohl es Hochsommer und daher alles andere als kalt war, fröstelte Hikari und hielt nach Takeru Ausschau. Je eher sie ihn fand, desto besser.

Die Arme um den Oberkörper geschlungen stapfte sie durch den Sand, möglichst viel Abstand zum Wasser haltend. Sie hatte die irreale Angst, das Meer könnte sie tatsächlich zu sich ziehen, wenn die Wellen sie erreichten. Sie kniff die Augen zusammen, bemüht, in der Dunkelheit überhaupt etwas zu erkennen. Die Straßenlaternen waren zu weit weg, um ihren Weg zuverlässig auszuleuchten.

Doch dann erkannte sie endlich etwas. Nein, jemanden. Dort saß jemand im Sand und starrte aufs Meer hinaus, doch handelte es sich bei diesem Menschen wirklich um Takeru? Hikari musste näher herangehen, um das beurteilen zu können. Wenn es nicht Takeru war, würde sie sich ziemlich zum Löffel machen.

Vorsichtig näherte sie sich der Person Schritt für Schritt und schließlich wandte er ihr das Gesicht zu, als er sie bemerkte.

„Puh, du bist es wirklich“, sagte Hikari erleichtert und hüpfte die letzten Schritte zu ihm, um sich neben ihn zu setzen. „Ich hatte schon Angst, das bist gar nicht du und ich quatsche einen Fremden an.“

„Hi“, grummelte Takeru statt einer Antwort.

„Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Deine Mutter kam ganz verzweifelt zu uns“, klärte Hikari ihn etwas vorwurfsvoll auf.

Takeru schnaubte nur verächtlich und warf im flachen Bogen einen Stein ins Wasser. „Die kann mich echt mal.“

„Was ist denn passiert?“, fragte Hikari, erschrocken über seine Ausdrucksweise.

„Hat sie das etwa nicht erzählt?“ Takeru sah sie finster an.

„Nur, dass du unerwartet früher nach Hause kamst und sie gerade beschäftigt war oder so“, meinte Hikari schulterzuckend. „Aber sie wollte nicht sagen, womit.“

„Manchmal stehst du ganz schön auf dem Schlauch“, erwiderte Takeru trocken. „Sie war gerade im Bett mit irgendsoeinem Kerl. Keine Ahnung, hab‘ den Typen noch nie gesehen. Spast ey.“

Es dauerte einen Augenblick, bis Hikari verstand, was er ihr da gerade erzählt hatte. Entsetzt riss sie die Augen auf, als der Groschen fiel. „Ach du Scheiße! Mit ‚im Bett‘ meinst du…“

„Ja, genau das, was du denkst“, brummte Takeru.

„Oh Gott!“, rief Hikari und raufte sich das Haar. Sie kniff die Augen zusammen und bemühte sich, ihr Kopfkino auszuschalten. „Iiiiih! Das ist ja Horror!“

„Jap“, machte Takeru düster. „Ich hatte keine Ahnung, dass sie einen Typen hat. Und auch nicht, dass sie… du weißt schon.“

„Das hätte ich auch nie gedacht“, stimmte sie ihm zu, noch immer damit beschäftigt, nicht zu genau über das nachzudenken, was er ihr gerade erzählt hatte. „Oje und was machen wir jetzt?“

„Keine Ahnung“, murmelte er. „Wie ich sie kenne, wird sie versuchen, mir zu erklären, wer dieser Volltrottel ist.“

Er seufzte und legte die Stirn auf den Armen ab, die auf seinen angezogenen Knien lagen. Hikari hatte ihn selten so geknickt erlebt.

„Hey“, sagte sie in einfühlsamem Ton. „Das kriegen wir schon hin. Irgendwie. Wir können sie einfach wieder auseinanderbringen.“

„Was ist, wenn mein Vater auch ‘ne Freundin hat, von der ich nichts weiß? Was, wenn sie sich beide auf einmal neu verlieben? Dann hab‘ ich gar keine Chance mehr“, sagte er resigniert, ohne den Kopf zu heben.

„Keru“, murmelte Hikari besorgt. Sie legte die Hände um seinen Oberarm und lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Mach‘ dir doch nicht so einen Kopf. Wir wissen doch, dass sie füreinander bestimmt sind und deswegen werden sie auch wieder zusammenkommen. Vielleicht versuchen sie einfach gerade, sich gegenseitig zu ersetzen und merken bald, dass es nicht klappt, weil sie nur mit dem jeweils Anderen wirklich glücklich werden können.“ So wirklich glaubte sie ihren eigenen Worten jedoch nicht. Takerus Eltern waren einfach schon zu lange getrennt.

„Ich hoffe, du hast Recht“, nuschelte er.

„Klar hab‘ ich das“, erwiderte sie bestimmt. „Und jetzt sollten wir zurückgehen, bevor unsere Mütter noch die Polizei rufen.“

„Glaubst du, es ist okay, wenn ich heute Nacht bei dir bleibe?“, fragte Takeru unsicher. „Hab‘ keinen Bock, nach Hause zu gehen.“

Hikari nickte. „Bestimmt. Dann können wir uns schon mal einen Plan ausdenken, wie wir deine Mutter und den Typen wieder auseinanderbringen.“

19. Kapitel, in dem es eine Geburtstagsüberraschung gibt

„Alles Gute zum Geburtstag!“, rief Hikari fröhlich und fiel ihm um den Hals. Taichi kam direkt hinter ihr in die Wohnung und grinste ihn an.

„Von mir auch alles Gute.“

„Danke“, erwiderte Takeru und kratzte sich verlegen lächelnd am Nacken.

„Wow, sieh sich einer dieses Lächeln an“, rief Taichi und klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist das Ding also doch endlich los.“

„Ja, zum Glück“, seufzte Takeru. Gestern, pünktlich einen Tag vor seinem fünfzehnten Geburtstag, war die Zahnspange endlich entfernt worden. Das befreiende Gefühl hinterher war wohl das Schönste, das er je gehabt hatte. Endlich war der Druck verschwunden, seine Zähne waren glatt und gerade und er musste nicht nach jeder Mahlzeit zehn Minuten vor dem Spiegel verbringen, um sich Essensreste aus der Zahnspange zu puhlen.

Auch Hikari musterte ihn nun und lächelte schließlich, was in ihm ein warmes Gefühl verursachte. „Grins‘ doch mal. Mit Zähnen.“

Takeru tat, was sie sagte und sie kicherte, während Tai nur anerkennend pfiff.

„Mann, T.K., ich sag’s dir: noch ein oder zwei Jahre und die Mädels stehen Schlange bei dir. Ich glaube, du wirst Matt Konkurrenz machen.“

Takeru versteckte sein Grinsen und machte ein beschämtes Gesicht. Er wollte überhaupt nicht, dass die Mädels Schlange bei ihm standen. Momentan konnte er sich eigentlich nur eine vorstellen, deren Interesse er gern auf seiner Seite hätte.

„Hab‘ ich meinen Namen gehört?“ Yamato kam aus der Küche gelaufen und baute sich neben Takeru auf. „Hör‘ doch auf, ihn so verlegen zu machen.“

„Was denn? Ich sage nur die Wahrheit“, erwiderte Taichi mit einem Seitenblick auf Hikari, die sich jedoch als Einzige nicht für dieses Gespräch zu interessieren schien.

„Ist eure Mutter schon weg?“, fragte sie und sah Takeru und Yamato an.

„Ja, ist vorhin los“, antwortete Takeru. Er hatte sie für seine kleine Geburtstagsparty aus dem Haus haben wollen, also war sie zu ihrem Freund gegangen, mit dem er sie im Sommer erwischt hatte. Zu Takerus Verdruss waren sie noch immer ein Paar und auch, wenn es ihm heute gelegen kam, dass sie ihn hatte, ärgerte er sich noch immer darüber und versuchte bei jeder Gelegenheit, seine Mutter von den Nachteilen dieses neuen Freundes zu überzeugen. Zum Beispiel rauchte er, weswegen es in der Wohnung immer nach Rauch stank, wenn er da war.

„Dann können wir ja sofort anfangen. Hier, wir haben ein Geschenk für dich.“ Taichi und Hikari hielten einen reich verzierten Schokokuchen und ein flaches, in buntes Papier eingewickeltes Päckchen in die Höhe.

„Cool, danke“, murmelte Takeru und nahm Hikari das Päckchen aus der Hand, während Yamato den Kuchen entgegennahm und in die Küche trug. Takeru folgte ihm und riss im Gehen das Päckchen auf. Es war ein Basketballtrikot mit der Nummer fünfzehn und seinem Namen auf dem Rücken in seiner Lieblingsfarbe grün. Das kam ihm gelegen, denn er war schon wieder aus einem seiner Trikots herausgewachsen.

„Wow, das ist echt cool, danke“, sagte er grinsend und voller Begeisterung zu Taichi und Hikari.

„Zieh’s mal an. Ich will sehen, ob es passt“, forderte Hikari ihn auf.

„Muss das jetzt sein?“, fragte Takeru stirnrunzelnd.

„Klar, hab‘ dich nicht so“, sagte nun auch Yamato und stellte den Kuchen auf dem Esstisch ab.

Takeru seufzte genervt, zog sich in einer fließenden Bewegung das T-Shirt, das er gerade trug, über den Kopf und griff nach dem neuen Trikot.

„Okay, Matt, bei dem Körper kannst du schon jetzt nicht mehr mithalten“, sagte Taichi und grinste seinen besten Freund an.

„Fresse“, entgegnete Yamato, während Takeru spürte, dass er rot anlief. Hastig zog er sich das grüne Trikot über und zupfte es am Saum zurecht. Die anderen drei musterten ihn mit kritischen Blicken.

„Sitzt echt gut“, sagte Hikari schließlich und nickte zufrieden.

„Fast wie Michael Jordan“, kommentierte Taichi etwas spöttisch grinsend.

„Steht dir super“, meinte Yamato anerkennend.

Takeru ging zum Spiegel, der im Eingangsbereich hing und betrachtete sich selbst von vorn und von hinten, so gut es ging. Ja, ihm gefiel das Trikot auch wirklich sehr gut. Er freute sich schon, wenn er es das erste Mal beim Training tragen konnte. Er tauschte es wieder gegen das T-Shirt und ging zu den anderen zurück, die inzwischen schon damit begonnen hatten, den Kuchen in Stücke zu schneiden. Takeru und Yamato deckten gemeinsam den Tisch und Yamato holte drei Bierflaschen aus einem Kasten hervor, der neben dem Tisch stand. Er war der Meinung gewesen, an seinem fünfzehnten Geburtstag durfte Takeru ruhig ein Bier trinken. Und alle anderen auch.

„Für dich auch, Kari?“, fragte er und hielt die Flaschen in die Höhe.

Hikari sah ihn an und Takeru konnte sie überlegen sehen. Er wusste, dass sie kein Bier mochte.

„Klar“, antwortete sie schulterzuckend und strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Takeru verdrehte die Augen und setzte sich auf einen der Stühle. Auch Taichi und Hikari setzten sich, während Yamato noch auf seinem Laptop die Musik anschaltete. Als auch er saß, erhoben sie alle ihre Flaschen.

„Auf T.K. und seinen Geburtstag“, sagte Yamato.

„Und darauf, dass er sich bald vor Frauen nicht mehr retten kann“, fügte Taichi hinzu.

„Und darauf, dass wir seinen Geburtstag zu viert feiern können“, ergänzte Hikari.

„Danke“, erwiderte Takeru. Sie prosteten einander zu und nippten an ihren Flaschen.

 

Der Abend verlief wirklich witzig und Taichi und Yamato hatten sichtlich Spaß dabei, ihre Geschwister an Alkohol heranzuführen. Sie erzählten ihnen Geschichten von peinlichen Erlebnissen, als sie selbst betrunken gewesen waren. Beide hatten den ersten Alkoholabsturz schon lange hinter sich. Von Yamatos Abstürzen wusste Natsuko jedoch nichts und das brauchte sie auch nicht zu erfahren. Das würde nur wieder für neuen Streit zwischen ihren Eltern sorgen. Takeru war sich sicher, dass er selbst nicht alles über Yamatos Abstürze wusste. Er erinnerte sich nur, wie Hikari ihm mal erzählt hatte, dass Taichi den kotzenden Yamato eines Nachts nach Hause gebracht hatte. Andersherum war es jedoch auch schon der Fall gewesen. Taichi hatte soeben erzählt, wie er einmal völlig betrunken versucht hatte, mit einer Straßenlaterne zu tanzen, bevor er neben ebendieser hatte einschlafen wollen. Und Yamato erzählte, wie er ebenfalls völlig betrunken einmal einen Song geschrieben und diesen später tatsächlich mit seiner Band gesungen hatte.

Takeru lachte über die Geschichten der beiden Älteren und nippte an seinem Bier. Es war schon sein drittes und er fühlte sich allmählich ziemlich benebelt. Seine Zunge fühlte sich schwerer an und seine Sicht verschwamm ein wenig. Er staunte jedoch noch mehr über Hikari, die ebenfalls schon ihr drittes Bier hatte, obwohl sie schon beim ersten das Gesicht verzogen hatte. Immer, wenn sie sprach, hörte es sich jedoch seltsam verwaschen an.

Es war irgendwann weit nach Mitternacht, als Taichi und Yamato sich verabschiedeten. Der Kuchen war aufgegessen und der Kasten Bier geleert. Hikari lehnte sich gegen Takeru, während sie im Flur darauf warteten, dass die Jungs ihre Schuhe anzogen und aus der Wohnung verschwanden. Takeru musste sie festhalten, da sie gefährlich schwankte.

„Feiert nicht mehr so wild“, verabschiedete Taichi sich grinsend.

„Und macht keine verbotenen Sachen“, fügte Yamato mit einem vielsagenden Lächeln hinzu.

„Oh, echt mal. Ganz wichtig. Halt‘ dich zurück.“ Taichi verengte die Augen zu Schlitzen und sah Takeru gespielt streng an. „Niemals die erste Alkoholerfahrung mit der ersten…“

„Jaja, komm‘ schon“, unterbrach Yamato ihn und schob ihn aus der Wohnung. Takeru schloss die Tür hinter ihnen und wandte sich an Hikari, deren Augen nur noch halb geöffnet waren.

„Ich will kein Bier mehr“, murmelte sie und sah Takeru gequält an. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, ihre Arme waren um seinen Bauch geschlungen und er hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt. In ihrem Körper befand sich nicht mehr das geringste Bisschen an Spannung. Würde er sie loslassen, würde sie umfallen.

„Ist eh alle“, antwortete er und wandte das Gesicht von ihr ab. Ihre Nähe jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. „Lass‘ uns schlafen gehen.“

„Mhm“, machte sie zustimmend. Es dauerte einige Sekunden, bis er sie so weit stabilisiert hatte, dass sie von allein stehen und laufen konnte.

Gemeinsam gingen sie ins Badezimmer und machten sich daran, sich die Zähne zu putzen. Hikaris Zahnbürste hatte schon seit geraumer Zeit ihren Stammplatz im Badezimmerschrank, genau wie seine Zahnbürste im Badezimmerschrank der Yagamis. Für spontane Übernachtungen.

Hikari steckte sich die Zahnbüste in den Mund und ging zur Toilette. Takeru dachte, sie musste sich einfach nur hinsetzen, doch als sie plötzlich den Deckel hochklappte und sich etwas ungeschickt die Hose öffnete, riss er schockiert die Augen auf und drehte sich zu ihr um.

„Was machst du da?“ Hatte sie vergessen, dass er sich ebenfalls noch im Badezimmer befand?

„Muss pullern“, nuschelte sie unverständlich mit ihrer Zahnbürste im Mund und zog sich die Hose runter. Takeru spürte, wie er auf der Stelle knallrot anlief und drehte sich hastig weg. Das letzte Mal hatten sie im Kindergarten die Toilette benutzt, während der jeweils andere sich im selben Raum befunden hatte. Takeru wünschte sich an einen anderen Ort und versuchte in den folgenden Sekunden alles, was Hikari machte, komplett auszublenden, hätte am liebsten Augen und Ohren fest verschlossen.

Er atmete erleichtert aus, als sie wieder in seinem Zimmer waren und Takeru dachte, er hätte es überstanden, doch Hikari fing plötzlich an, sich umzuziehen. Natürlich hatte er keine Probleme damit, sie in Unterwäsche zu sehen, doch als sie Anstalten machte, ihren BH zu öffnen, kniff er endgültig die Augen zu und stolperte zum anderen Ende des Raumes, eine Ausrede nuschelnd, was er dort zu erledigen hatte.

„Sei nich‘ so ein Spießer“, murmelte Hikari kichernd. „Du kannst wieder gucken.“

Takeru zögerte, riskierte dann jedoch einen kurzen Blick, indem er nur ein Auge öffnete. Sie saß dort in T-Shirt und Shorts und erleichtert ging er zu seinem Bett zurück. Sie machte keine Anstalten, auf ihren Platz an der Wand zu rutschen, sodass er sie fragend ansah. Sie lächelte verschleiert und zog an seiner Hand, um ihm zu signalisieren, dass er sich hinsetzen sollte. Verwirrt nahm er neben ihr Platz.

„Was ist? Ich dachte, wir wollten schlafen gehen.“

„Sag‘ mal, T.K.“, fing sie an, „wir erzählen uns doch alles, oder?“

„Ähm… ja?“, erwiderte er langsam.

„Du hattest deinen ersten Kuss noch nicht, oder?“

Zum dritten Mal in dieser Nacht schockte sie ihn mit etwas, das sie tat oder sagte. Verblüfft starrte er sie an. „Nee.“

„Wollen wir das jetzt vielleicht einfach machen?“

„Ähm…“ Ihm klappte der Mund auf. Er war sprachlos. Ein wenig verängstigt rutschte er von ihr weg. „Mann, Kari, du kriegst nie wieder Alkohol.“

„Was’n? Ich mein’s ernst“, erwiderte sie verständnislos und rutschte wieder an ihn heran. „Wir sind schon vierzehn. Naja, du sogar schon fünfzehn. Und wir haben beide noch nie geküsst. Lass‘ uns das doch jetzt einfach machen“, sagte sie, als wäre es das Logischste auf der Welt. Und schon kam ihr Gesicht seinem gefährlich nahe und sie senkte die Lider.

Er zog den Kopf zurück und drehte sich weg. „Warte doch mal. Findest du nicht, das sollte man mit jemandem machen, den man… naja liebt? Oder für den man halt irgendwie Gefühle hat?“

„Können wir ja. Aber es schadet nix, das vorher mal zu üben, oder? Wir müssen’s ja niemandem erzählen und können einfach so tun, als hätten wir unseren ersten Kuss noch nich‘ gehabt“, antwortete sie, ohne von ihm abzurücken.

„Naja, ich weiß nicht“, murmelte Takeru.

„Komm‘ schon. Willst du denn nich‘ auch wissen, wie’s is‘?“, drängte sie unerbittlich.

Er dachte nach und sah sie an. Eigentlich wollte er schon wissen, wie sich ein Kuss anfühlte und irgendwie hatte sie ja auch Recht. Man musste es schließlich mal üben, oder nicht? Woher sollte man sonst wissen, was man zu tun hatte? Und irgendwie waren beste Freunde ja auch für solche Dinge da.

„Ähm… okay“, willigte er schließlich ein.

Und schon kam Hikari ihm wieder näher, schloss allmählich die Augen und zögerlich, ganz vorsichtig, legten sie die Lippen aufeinander. Es folgte ein kurzer, scheuer Kuss, ein Schmatzer. Ein Schmatzer, der ein seltsam kribbelndes Gefühl auf Takerus Rücken auslöste und seinen Herzschlag beschleunigen ließ. Ein weiterer Kuss, nicht weniger vorsichtig als der erste. Und noch einer. Takeru schloss die Augen, begann, es gegen seinen Willen zu genießen. Beim vierten Kuss spürte er, wie Hikari den Mund leicht öffnete. Automatisch tat er es ihr gleich, spürte ihren Atem auf seinen Lippen, als sich ihre Zungen gegenseitig anstupsten. Gerade wollte er mutiger werden, den Kuss intensivieren, als Hikari sich ganz plötzlich von ihm löste und ihn ansah. Völlig irritiert erwiderte er ihren Blick.

„Boah, krass“, sagte sie und verzog das Gesicht. „Als würde ich meinen Bruder küssen. Total komisch.“

„Ja, fand ich auch“, log Takeru.

„Okay, war doch keine so gute Idee. Lass‘ uns einfach schlafen, ja?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, krabbelte sie unter die Decke und sank in die Kissen, während Takeru noch immer auf der Bettkante saß und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Sie waren beide zum ersten Mal betrunken und hatten sich soeben geküsst. Einfach nur zum Testen. Takeru jedoch hatte es mehr gefallen, als er zugeben wollte, während Hikari anscheinend nicht begeistert war. Dabei war es ihre verdammte Idee gewesen.

Wie sollte er denn jetzt nach dieser schrägen Situation einfach so schlafen können?

20. Kapitel, in dem Brüder nerven

„Hey!“ Yamato grinste breit, als er ihn sah, und zerzauste ihm das Haar. „Super gespielt, kleiner Bruder. Bin richtig stolz auf dich.“

Verlegen grinste Takeru zurück. „Ach, so gut war das gar nicht. Muss immer noch an meiner Wurftechnik arbeiten und so.“

„Stell‘ dein Licht nicht so unter den Scheffel. Ihr habt gewonnen und das hättet ihr ohne dich sicher nicht geschafft“, erwiderte Yamato und verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter. Takeru versuchte einfach, ihm zu glauben. „Warten wir noch auf Kari oder gehen wir?“

„Nee, wir können gehen. Kari ist heute im Kino“, antwortete Takeru und machte sich langsam auf den Weg.

„Dann hab‘ ich dich ja mal für mich allein. Ein Wunder“, lachte Yamato.

Ja, heute war Brudertag. Soeben hatte Takeru mit seiner Basketballmannschaft ein Spiel gegen die Mannschaft einer anderen Mittelschule gewonnen. Die Stimmung war daher ausgelassen und alle waren gut drauf und hatten sich gegenseitig zu dem guten Spiel gratuliert. Yamato hatte unbedingt zusehen wollen. Wann immer er es irgendwie einrichten konnte, kam er, um sich Takerus Spiele anzuschauen. Und wenn sie beide Zeit hatten, gingen sie anschließend noch Pizza essen, da Takeru nach den Spielen meist am Verhungern war. So auch heute.

Gemeinsam schlenderten sie zu ihrer Lieblingspizzeria und unterhielten sich auf dem Weg dorthin über das Spiel.

„Was macht eigentlich deine Verletzung?“, fragte Yamato, als Takeru leicht das Gesicht verzog, während er seine Jacke abstreifte. Er war im Spiel einmal mitten im Sprung gefoult worden, was ihn zurückgeworfen hatte. Zwei Meter war er auf seinem Ellbogen über den Boden geschlittert und hatte sich dabei eine große Schürfwunde zugezogen, die sich über Ellbogen und Unterarm erstreckte und beim Duschen schrecklich gebrannt hatte.

„Ist schon okay, nicht so schlimm“, antwortete Takeru abwinkend, doch Yamato griff bestimmt nach seinem Handgelenk und zog vorsichtig den Ärmel seines Sweatshirts zurück. Takeru sog scharf die Luft ein, als sich der Stoff, der an der Wunde geklebt hatte, löste.

„Oh, Scheiße“, rief Yamato und runzelte die Stirn. „Sieht echt eklig aus. Lass‘ das mal an der Luft, das muss trocknen.“

„Ja, Mama“, seufzte Takeru und warf ihm ein spöttisches Lächeln zu.

„Nicht so frech. Ich mache mir nur Sorgen um meinen kleinen Bruder“, erwiderte Yamato und ließ sich auf einen der Stühle fallen.

Takeru nahm ihm gegenüber Platz und zog trotzig den Ärmel seines Shirts wieder in die richtige Position. Er brauchte niemanden, der ihn bemutterte.

In der Pizzeria war es zu dieser Tageszeit wie üblich recht voll. Die Musik war laut und die Atmosphäre locker. Es roch verführerisch nach frischer Steinofenpizza. Sie ließen sich die Menükarte geben, obwohl sie beide genau wussten, was sie wollten, und wandten sich wieder dem jeweils anderen zu.

„Und? Wie geht’s dir und Papa so?“, begann Takeru das Gespräch und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab.

Yamato lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Gut, alles in Ordnung. Papa arbeitet viel, wie immer. Und er hat erst gestern zu mir gesagt, du sollst mal wieder vorbeikommen. Hast dich schon seit einer Weile nicht mehr gemeldet.“

Beschämt kaute Takeru auf seiner Unterlippe herum. Er war in letzter Zeit tatsächlich zu viel mit Schule, Basketball und Freunden beschäftigt gewesen und hatte seinen Bruder und seinen Vater vernachlässigt. „Ich komme nächstes Wochenende vorbei, wenn das okay ist.“

„Klar ist das okay. Ich sag‘ Papa Bescheid“, erwiderte Yamato lächelnd.

„Sag‘ mal“, begann Takeru nach einer kurzen Pause langsam, „weißt du eigentlich, ob Papa eine Freundin oder sowas hat?“

Yamato schnaubte verächtlich. „Ich glaube ehrlich gesagt, er hat nicht nur eine.“

Verständnislos hob Takeru die Augenbrauen.

„Naja, hab‘ ihn in den letzten drei Wochen mit zwei verschiedenen Frauen gesehen.“ Schulterzuckend wandte Yamato sich dem Kellner zu, der gerade gekommen war und fröhlich ihre Bestellungen aufnahm, bevor er wieder verschwand. „Wie auch immer, ich glaube nicht, dass das irgendwas Ernstes ist.“

Langsam nickte Takeru, nicht wissend, ob er beruhigt oder enttäuscht sein sollte. Immerhin schien Hiroaki keine feste Beziehung zu haben.

„Hat Mama diesen Bauarbeiter noch?“, fragte Yamato nun.

„Nee.“ Takerus Miene hellte sich auf. „Sie meinte letztens zu mir, er würde von nun an nicht mehr bei uns zu Hause auftauchen. Ich glaube, sie war sauer auf ihn. Keine Ahnung, was er gemacht hat.“

„Ich glaube, es ist besser, dass wir das nicht wissen, sonst müssten wir ihn vielleicht umbringen“, sagte Yamato leichthin und zuckte mit den Schultern.

„Glaubst du, wir könnten sie jetzt irgendwie dazu bringen, miteinander auszugehen? Ich meine, offensichtlich haben sie gerade beide niemanden.“

Überrascht sah Yamato ihn an. Er bekam noch einige Sekunden, über seine Antwort nachzudenken, denn der Kellner kam gerade und brachte ihnen die Getränke. Yamato genehmigte sich einen Schluck von seiner Cola, während er weiter überlegte. Takeru ließ ihn nicht aus den Augen, beobachtete gespannt seine Gesichtszüge.

„Vielleicht“, sagte Yamato schließlich, „sollten wir diese Sache vergessen.“

Nun war es an Takeru, überrascht zu sein. Er riss die Augen auf und starrte seinen älteren Bruder entgeistert an. „Vergessen?“

„Naja, meinst du nicht, sie nähern sich von selbst an, wenn sie das wollen, ohne dass wir nachhelfen müssen?“, gab dieser zu bedenken.

„Die beiden hassen sich!“, platzte Takeru heraus. „Die nähern sich nicht von selbst an. Da müssen wir nachhelfen, sonst wird das nie was.“

„Eben.“ Abwartend sah Yamato ihn an, während Takeru die Welt nicht mehr verstand. Sie beide hatten immer versucht, die Beziehung ihrer Eltern zu retten, jede Woche auf Chancen gewartet, die beiden in den gleichen Raum zu bringen und sie dazu zu bringen, miteinander zu reden. Dabei war Takeru zwar von Anfang an derjenige von ihnen beiden gewesen, der mit mehr Eifer bei der Sache war, doch Yamato hatte ihn stets unterstützt. Umso erschrockener war Takeru nun über seine Reaktion.

„Vielleicht sollten wir es einfach lassen und endlich einsehen, dass das keinen Sinn hat. Wir können sie schließlich nicht zwingen. Vielleicht sind unsere Eltern einfach nicht füreinander bestimmt“, erklärte er und schob sich die Ärmel seines schwarzen Sweatshirts zurück. Dabei entblößte er das Gitarrentattoo, das seinen halben linken Unterarm bedeckte. Er hatte es sich kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag stechen lassen und damit wieder einmal einen Streit zwischen ihren Eltern provoziert und Natsukos Hass auf Hiroaki geschürt.

Takeru wandte den Blick von seinem Tattoo zu seinen Augen. „Ist dir eigentlich klar, dass es auch deine Schuld ist, dass sie sich hassen?“

Yamato erwiderte nichts, sondern hob nur fragend eine Augenbraue.

„Die Ohrlöcher. Die Tattoos. Das heimliche Rauchen und Trinken mit Tai. Der Ärger in der Schule. Sie streiten sich so oft wegen dir. Man könnte meinen, du machst das mit Absicht“, erklärte Takeru finster.

„Mann, T.K., was ich mache, hat nichts mit Mama und Papa zu tun, klar? Ich mach‘ einfach nur mein Ding.“

„Ja, ohne an andere zu denken“, murmelte Takeru.

Nun fixierte Yamato ihn skeptisch mit seinem Blick. „Was ist los mit dir?“

„Nichts.“ Er griff nach seiner Cola und trank einen Schluck, nur um nicht weiter sprechen zu müssen. Manchmal nervte Yamato ihn wirklich.

Dieser lehnte sich jetzt ein Stück nach vorn und stützte einen Unterarm auf dem Tisch ab. Kritisch musterte er seinen Bruder. „Bist du sicher, dass alles okay ist?“

„Mhm“, machte Takeru, noch immer an seiner Cola nippend.

„Ist auch alles in Ordnung mit Kari?“, hakte Yamato nun nach.

Langsam stellte Takeru sein Glas wieder auf dem Tisch ab und zuckte mit den Schultern, ohne ihm in die Augen zu sehen.

„Was ist? Habt ihr euch gestritten?“

„Nee.“ Sollte er ihm wirklich erzählen, was passiert war? Niemand wusste es, vielleicht nicht einmal mehr Hikari.

„Sondern?“

Schließlich seufzte Takeru resigniert. „An meinem Geburtstag, nachdem du und Tai weg wart, haben wir uns geküsst.“

Überrascht hob Yamato die Augenbrauen. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet und Takeru fühlte sich, als hätte er soeben eine Schandtat gestanden.

„Sie hat es vorgeschlagen“, erzählte er weiter. „Ich wollte eigentlich nicht, aber naja. Sie meinte dann, wir müssten für unseren ersten richtigen Kuss doch vorbereitet sein und dann kam das halt so.“

„Wow.“ Yamato nickte anerkennend. „Da haben wir ja ganz schön was verpasst. Und seid ihr jetzt zusammen?“

„Nein“, schnaubte Takeru. „Das war nur so ein Testkuss und sie fand es blöd. Und betrunken war sie auch. Weiß nicht mal, ob sie sich überhaupt noch dran erinnert.“

„Und wie fandest du es?“

Ohne Yamato in die Augen sehen zu müssen, wusste Takeru genau, wie er ihn gerade mit durchdringendem Blick musterte.

„Keine Ahnung. Seltsam.“ Das war nur die halbe Wahrheit, aber wahrscheinlich würde sein Bruder ihn ohnehin gleich durchschauen.

„Du bist in sie verknallt, oder?“

„Ach Qautsch“, sagte er in einem Tonfall, als wäre das völlig abwegig. „Sie ist meine beste Freundin. Mehr nicht.“

„Komm‘ schon“, erwiderte Yamato grinsend. „Wem versuchst du gerade, etwas vorzumachen? Gib es doch einfach zu. Verübeln kann ich es dir nicht, sie ist ja auch echt süß. Hübsch und klug. Die perfekte Freundin.“

„Ist sie gar nicht!“, brauste Takeru auf. „Das ist einfach nur Kari. Sie ist sowas wie meine Schwester.“

„Hey, schon gut.“ Lachend hob Yamato die Hände, als müsste er sich ergeben. „Aber du solltest wissen, dass Gefühle sich auch ganz schnell ändern können. Vielleicht war sie früher sowas wie deine Schwester. Deswegen kannst du das heute trotzdem ganz anders sehen. Und wenn du mich fragst, ist sie viel mehr als nur deine beste Freundin.“

„Ich frag‘ dich aber nicht“, schnappte Takeru und nippte verärgert und beschämt an seiner Cola.

„Habt ihr mal darüber geredet?“, fragte Yamato nun wieder in sachlichem Tonfall.

„Nee. Wie gesagt, sie war ganz schön angetrunken. Weiß nicht mal, ob sie sich noch daran erinnern kann.“

„Vielleicht solltest du sie mal darauf ansprechen“, schlug Yamato vor.

„Auf keinen Fall! Und wehe, du erzählst ihr was!“ Wie konnte er nur überhaupt so etwas vorschlagen? Wenn er wüsste, dass Hikari in ihn verliebt war, würde er Takeru nicht solche halbherzigen Ratschläge geben. Es fühlte sich an, als wäre er im falschen Film.

Yamato öffnete gerade den Mund in einem weiteren Versuch, Takeru einen unsinnigen Ratschlag zu geben, als ihre Pizzen gebracht wurden.

21. Kapitel, in dem Takeru und Hikari auf die Oberschule kommen

„Mann, T.K., ich kann’s nicht glauben, dass wir jetzt schon in der Oberschule sind“, murmelte Hikari, nachdem sie sich zusammen einen Tisch in ihrem neuen Klassenraum in ihrer neuen Schule gesucht hatten. Es war die gleiche Schule, an die auch Taichi und Yamato gegangen waren. „Nur noch drei Jahre Schule, dann ist es vorbei. Gott, dieser Rock ist so kurz.“ Sie hatte sich gerade hingesetzt, war nun jedoch wieder aufgestanden, um sich den schwarzen Rock ihrer neuen Schuluniform zurechtzuzupfen.

Takeru biss sich auf die Unterlippe, als er ihren Bewegungen mit seinem Blick folgte. Diese Röcke waren tatsächlich ziemlich kurz und brachten Hikaris schlanke, wohlgeformte Beine besonders gut zur Geltung. Er schluckte, als er sich an den Traum erinnerte, den er in der vergangenen Nacht gehabt hatte. In diesem Traum hatte er sie berührt. Nicht so, wie er sie bisher berührt hatte. Nein, es hatte nichts mit einer freundschaftlichen Umarmung oder einem Stupser in die Seite zu tun gehabt. Nicht im Geringsten. Schon öfter hatte er solche Träume von Hikari gehabt und war jedes Mal völlig beschämt aufgewacht, sich wünschend, er hätte es nicht geträumt. Er wollte sie nicht so sehen, obwohl er diese verwirrenden Gefühle für sie nun schon seit einer Weile hatte, mal stärker, mal schwächer. In letzter Zeit wieder stärker.

Er setzte sich neben sie und kramte seine Stifte aus seiner Schultasche hervor. Der Einführungstag würde nicht lange dauern. Zwei Stunden Blabla, dann konnten sie wieder gehen.

Während Hikari fröhlich Überlegungen über die Oberschule anstellte, beobachtete Takeru die Schüler, die nach und nach in den Raum kamen und sich ein wenig nervös umsahen. Kein Wunder, für sie alle war es eine neue Situation. Ihm entging dabei nicht, wie einige der Jungen flüchtige Blicke auf Hikari warfen, was ihn jetzt schon nervte. Genau das hatte er befürchtet. Schon seit Beginn der Mittelschule hatte Hikari die Aufmerksamkeit vieler Jungs auf sich gezogen und sie war seitdem nicht hässlicher geworden. Nein, das Gegenteil war der Fall. Sie hatte ihr Haar ein wenig wachsen lassen, sodass es nun schulterlang war. Ihr Körper war weiblicher geworden, hatte sanfte Rundungen bekommen. In letzter Zeit ertappte Takeru sich immer wieder dabei, wie sein Blick zu ihren Brüsten wanderte. Sie waren nicht groß, das hätte auch überhaupt nicht zu ihrer zierlichen Figur gepasst, und doch reichten sie allemal, um ihn abzulenken. Durch das Balletttraining hatte sie außerdem schön geformte Beine und einen trainierten Po.

„Mann, Keru, worüber denkst du schon wieder nach?“, riss Hikari ihn aus seinen Gedanken, als hätte sie geahnt, dass er gerade an sie dachte.

„Nichts Wichtiges“, log er schief lächelnd.

In diesem Moment betrat ein Mann, ungefähr Mitte fünfzig, den Raum und brachte die leisen Gespräche zwischen den Schülern zum Verstummen. Er stellte sich selbst als Herr Suzuki vor und begrüßte alle. Soweit Takeru sich erinnerte, hatten auch Yamato und Taichi bei einem Lehrer namens Herrn Suzuki Unterricht gehabt. Aus einem Hefter zog er ein Blatt Papier hervor, setzte sich eine Brille auf und begann, die Namen der Schüler vorzulesen und deren Anwesenheit zu überprüfen. Schließlich kam er nach etwa einem Dreiviertel der Schüler bei Takeru an.

„Takaishi Takeru“, sagte er und sah suchend in die Runde.

„Ja“, meldete sich Takeru und hob die Hand.

Herr Suzuki musterte ihn einen Moment lang nachdenklich, was Takeru verwirrte, dann fuhr er fort, die Namen vorzulesen. Zwei Schüler später kam er bei Hikari an.

„Yagami Hikari?“, sagte er und blickte erneut auf.

„Ja.“ Auch Hikari meldete sich und lenkte die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich. Auch sie wurde einige Sekunden kritisch beäugt.

„Bist du zufällig mit Taichi Yagami verwandt?“, fragte er schließlich.

„Er ist mein Bruder“, antwortete sie irritiert.

Herr Suzuki hob die Augenbrauen und seufzte resigniert, kratzte sich am Kopf und las den letzten Namen vor.

Mit entgeistertem Blick wandte Hikari sich an Takeru, der sich ein Lachen verkneifen musste.

„Sieht aus, als hättest du einiges auszubügeln“, murmelte er.

„Manchmal würde ich Tai gern umbringen“, knirschte Hikari. „Wahrscheinlich kriege ich jetzt wegen ihm nur schlechte Noten.“

„Ach was. Zeig‘ Herrn Suzuki einfach deinen Spagat, dann wird das schon.“

Hikari lachte leise und schlug ihm gegen den Arm. „Du bist so blöd.“

„Einen Versuch ist es wert, oder nicht?“, erwiderte Takeru schulterzuckend.

„Nee, lass‘ mal“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. „Ich will mir meine gute Noten ordentlich verdienen und nicht mit meinem Körper.“

„Tja, dann musst du damit leben, mit Tai verglichen zu werden. Der kann nämlich bestimmt keinen Spagat.“

Hikari prustete los und einige Schüler drehten sich zu ihnen um. Auch Herr Suzuki, der bereits mit den Informationen zum Schuljahr begonnen hatte, unterbrach sich und sah sie an.

„Scheint, als würdest du deinem Bruder alle Ehre machen, Yagami“, sagte er trocken und Hikari blieb das Lachen im Hals stecken.

 

Zwei Stunden später schlenderten sie aus ihrem neuen Klassenraum und unterhielten sich über ihre ersten Eindrücke zu ihren Mitschülern und ihrem Lehrer. Sie waren beide froh, jetzt schon Schluss zu haben, denn so konnten sie den Rest des Tages nutzen und das schöne Frühlingswetter genießen. Gemeinsam gingen sie durch die Gänge zum Ausgang, wobei ihnen viele kleine Schülergrüppchen entgegenkamen. Takeru musterte sie alle desinteressiert, doch dann blieb sein Blick an einem Mädchen hängen. Sie plauderte gerade mit einer Freundin, die neben ihr lief, und nahm überhaupt keine Notiz von Takeru, doch er bemerkte sie durchaus. Sie hatte langes, welliges Haar in einem sanften Haselnusston. Ihr Gesicht war ausgesprochen hübsch, wie von einem Model. Ihr Körper war ebenso wenig zu verachten; etwas größer als Hikari und schlank. Ihr Gang war elegant, ihr Blick selbstbewusst. Takeru bekam nur mit, dass er ihr hinterhersah, weil Hikari ihn darauf hinwies.

„Sag mal, starrst du gerade dieses Mädel da an?“, fragte sie und drehte sich mit ihm um.

„Ähm“, machte er ertappt und wandte sich an Hikari. Er spürte, dass er rot anlief.

„Vergiss das besser gleich wieder. Hast du die mal genau angeschaut? Das ist doch so ‘ne typische Schülersprecherfreundin. Das hübscheste Mädchen der Schule und so. Da hast du eh keine Chance“, sagte sie bestimmt und zog ihn weiter Richtung Ausgang.

„Das sagt ausgerechnet die, die schon seit Jahren in meinen Bruder, den ach so tollen Weiberhelden, verknallt ist“, grummelte er und machte sich von ihr los.

Erschrocken sah sie ihn an.

„Was denn?“

„Das war gemein.“

„Was du gesagt hast, war genauso gemein.“

Betreten presste Hikari die Lippen aufeinander. „Tut mir Leid. Ich wollte eigentlich nur sagen… naja, sie hat bestimmt schon einen Freund.“

„Na und? Das interessiert mich doch gar nicht. Ich habe sie nur angesehen, okay? Das heißt nicht, dass ich sie heiraten will.“

„Ist ja schon gut“, murmelte Hikari.

22. Kapitel, in dem Takeru Mimi kennenlernt

In der zweiten Schulwoche ging Takeru das erste Mal an der Oberschule zum Basketballtraining. Von Anfang an hatte für ihn festgestanden, dass er Basketball weitermachen wollte. Mittlerweile war er einfach zu sehr in diesen Sport verliebt. Es war der Ausgleich, den er so dringend brauchte, um sich von der Schule, seinen Eltern und seinen nervigen Gefühlen für Hikari abzulenken.

In der Umkleidekabine musterte er die Jungs, die noch im Team waren. Einer davon, Akito, ging ebenfalls in seine Klasse und Takeru war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Sofort kam er mit ihm in ein lockeres Gespräch und gemeinsam gingen sie von der Umkleidekabine den Gang entlang in die Halle. Es war eine große Halle mit drei Feldern, von denen das ganz links für die Basketballer vorgesehen war. In der Mitte führten ein paar Mädchen gerade Dehnübungen aus und ganz rechts war anscheinend die Volleyballmannschaft.

Takeru ließ seinen Blick durch die Halle wandern auf der Suche nach bekannten Gesichtern. In der Mädchengruppe befanden sich zwei Mädchen aus seiner Klasse und auch bei den Volleyballern meinte er, zwei Jungen und zwei Mädchen aus seiner Klasse wiederzuerkennen. Das war doch gar nicht so schlecht und bot Stoff für gemeinsame Gesprächsthemen.

Gerade wollte Takeru sich wieder an Akito wenden, als er abgelenkt wurde. Er erkannte sie wieder. Sie. Jenes Mädchen vom ersten Schultag mit dem langen braunen Haar, das nun zu einem Pferdeschwanz gebunden war, und dem Modelgesicht. Sein Blick blieb an ihr kleben. Sie trug Shorts und ein enges Top, betonte somit ihren Körper, der an Perfektion grenzte. Wieder unterhielt sie sich mit ein paar Mädchen und bemerkte zum Glück nicht, dass Takeru sie anstarrte.

Das Training begann kurz darauf, doch Takeru war etwas abgelenkt. Die ganze Zeit war er bemüht, eine gute Figur zu machen und fragte sich, warum es ihm auf einmal so wichtig war, wie er auf andere wirkte. Etwa wegen dieses Mädchens?

Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Cheerleadergruppe handelte, die nicht nur Takerus Aufmerksamkeit auf sich zog. Er bemerkte, dass auch der ein oder andere aus dem Basketballteam hin und wieder einen flüchtigen Blick auf die Mädchen warf, wenn mal wieder eine von ihnen durch die Luft wirbelte oder sie einen bestimmten Schritt übten. Das Mädchen mit dem langen braunen Haar schien die Anführerin zu sein, denn sie war es, die immer wieder Befehle rief und die anderen anfeuerte.

Takeru bemühte sich, nicht mehr auf sie zu achten, sondern sich ganz auf das Spielen zu konzentrieren. Er erinnerte sich selbst daran, dass er sich anstrengen musste, um in die Mannschaft aufgenommen zu werden und an wichtigen Spielen teilnehmen zu dürfen. Zwar wusste er von sich selbst, dass er ganz gut war – schnell und treffsicher – doch jetzt gehörte er wieder zu den jüngsten. Die meisten anderen waren ein oder zwei Jahre älter als er und kannten die Ansprüche des Trainers.

Sie spielten sich zunächst ein, übten zu zweit Pässe, Ausweichmanöver und Korbleger und spielten schließlich ein richtiges Spiel. Takeru fühlte, dass er wieder voll in seinem Element war. Er genoss die Atemlosigkeit, die ihn überkam, wenn er minutenlang über das Feld sprintete, die Anspannung, wenn die gegnerische Mannschaft punktete, den Adrenalinstoß, wenn er selbst den Ball auf den Korb warf und die Freude, wenn er einen Punkt erzielte. Er genoss sogar der Schweiß, der ihm auf der Stirn stand und an seinen Wangen hinunterlief, sein Haar befeuchtete. Er signalisierte ihm, dass er voll und ganz in das vertieft war, was er tat und alles andere für eine kurze Zeit vergessen konnte. Er brauchte den Sport einfach. Er war fast schon lebenswichtig.

Nach anstrengenden neunzig Minuten nahm der Trainer eine Auswertung vor, bei der Takeru glücklicherweise gut wegkam, und entließ sie schließlich zum Duschen. Sich den Schweiß von der Stirn wischend schlenderte Takeru mit Akito aus der Halle und wurde auf dem Weg zur Umkleidekabine plötzlich aufgehalten.

„Hey, ich habe euch beobachtet. Du hast echt gut gespielt.“ Es war das hübsche Mädchen, das plötzlich neben ihm aufgetaucht war und ihn nun anlächelte. Takeru und auch Akito waren stehen geblieben und sahen sie verwirrt an. „Spielst du schon länger?“

„Seit der dritten Klasse“, stammelte Takeru verlegen.

„Cool, das ist schon echt lang. Ich gehöre zu den Cheerleadern. Wir kommen mit zu euren Spielen und heizen euch und die Menge an.“ Sie zwinkerte verschwörerisch, als müsste Takeru sich durch diese Tatsache sofort mit ihr verbunden fühlen. „Wie heißt du?“

„Ähm Takeru“, antwortete er langsam und kratzte sich am Kopf.

„Alles klar. Ich bin Mimi. Schätze mal, wir werden uns demnächst öfter hier sehen.“ Mit einem verschmitzten Lächeln drehte sie sich um und ging zu den Umkleidekabinen der Mädchen, während Takeru wie festgewachsen auf der Stelle stand.

„Wow“, machte Akito nur und nickte anerkennend.

 

„Na? Wie war dein erstes Basketballtraining an der Oberschule?“

Takeru grinste und ließ sich mit dem Telefonhörer am Ohr aufs Bett fallen. Hikari hatte ihn, kurz nachdem er zu Hause angekommen war, angerufen. Das war typisch. „Ganz cool eigentlich. Ich wurde zumindest nicht rausgeschmissen.“

„Sehr gut! Ich bin stolz auf dich“, lachte Hikari. „Kann es kaum erwarten, bei eurem ersten Spiel dabei zu sein.“

„Ja, mal sehen, wie es wird. Sag‘ mal, wusstest du eigentlich, dass es eine Cheerleadergruppe gibt?“

„Cheerleader? Ich dachte, sowas gibt es nur in den USA“, antwortete Hikari und klang verwirrt.

„Ja, dachte ich auch. Anscheinend begleiten die uns zu Spielen und treten dort auf und so“, erklärte Takeru.

„Oh echt? Klingt irgendwie witzig. Dann freue ich mich ja noch mehr auf euer erstes Spiel. Bin gespannt, was die so machen.“

„Ja, ich auch. Und weißt du, wer bei den Cheerleadern ist?“

„Nein, wer?“

„Dieses Mädchen, das wir schon am ersten Tag hier gesehen haben. Die mit den langen braunen Haaren. Weißt du, welche ich meine?“

Hikari zögerte einen Augenblick, bevor sie antwortete. „Ja, glaub‘ schon. Irgendwie wundert mich das nicht. Die sieht schon so aus.“

„Was meinst du denn damit?“

„Weiß auch nicht. Sie sieht einfach irgendwie aus wie eine typische Cheerleaderin“, murmelte sie.

Verwirrt kratzte sich Takeru am Kopf. „Wenn du meinst.“

„Hör‘ mal, ich muss jetzt auflegen, gibt gleich Abendbrot. Also mach’s gut und bis morgen, okay?“

„Okay. Tschüss.“ Takeru ließ den Hörer neben sich aufs Bett fallen und starrte an die Decke. Manchmal war Hikari ein bisschen eigenartig.

23. Kapitel, in dem Mimi Takeru in Verlegenheit bringt

„Okay, es sind noch knapp fünf Minuten Spielzeit. Gebt noch mal alles, wir können das schaffen. Wir können das noch reißen, klar? Es liegt in eurer Hand.“ Einem nach dem anderen blickte der Trainer in die Augen. Schwitzend und keuchend standen sie um ihn herum und lauschten seiner Ansprache. Noch knapp fünf Minuten Spielzeit und sie lagen im Rückstand. Sie mussten wirklich alles geben, wenn sie dieses Spiel noch gewinnen wollten.

Angespannt rückte Takeru sein schwarzes Stirnband zurecht, das den Schweiß davon abhalten sollte, in seine Augen zu laufen. Er warf einen abwesenden Blick auf die Cheerleader, die den Zuschauern die Langeweile während der kurzen Auszeit vertreiben sollten. Mimi stand ganz vorn und heizte nicht nur die Menge, sondern auch die anderen Mädchen an. Das bauchfreie T-Shirt und der kurze Rock schmeichelten ihrer Figur, ihre langen zum Pferdeschwanz gebundenen Haare wippten im Takt zu ihren Sprüngen und Drehungen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und Takeru bemerkte, wie auch ihm ein Lächeln bei ihrem Anblick über das Gesicht huschte und ihm die Hoffnung, ja sogar die Überzeugung gab, das Spiel zu gewinnen.

„Wir packen das“, sagte er bestimmt, als er sich wieder an die Mannschaft wandte. Überrascht sahen die anderen ihn an, nickten dann jedoch beim Anblick des entschlossenen Ausdrucks in seinem Gesicht. Sie liefen zurück aufs Feld und das Spiel ging weiter.

Takeru und auch die anderen Jungs gaben noch einmal alles. Fünf Minuten lang verausgabten sie sich komplett, setzten alles aufs Spiel, spornten sich gegenseitig an. Schließlich gelang es ihnen, in der letzten Minute die Führung zu erlangen und als der erlösende Pfiff ertönte, jubelten sie auf und klatschten miteinander ab, während die gegnerische Mannschaft ernüchtert und erschöpft vom Feld trottete.

Der Trainer lobte Takeru und die anderen und schickte sie schließlich zurück in die Umkleidekabine.

Gut gelaunt und in Partystimmung traf sich die Mannschaft nach dem Duschen draußen vor der Halle. Schnell stand fest, dass sie noch zusammen ihren Sieg feiern wollten, anstatt jetzt schon nach Hause zu gehen. Gemeinsam beschlossen sie, sich in einem nahe gelegenen Supermarkt ein paar Getränke zu holen und anschließend in den Park zu gehen, um dort eine Wiese zu belagern. Auch die Cheerleader waren dabei. Zusammen zogen sie plaudernd und lachend durch die Straßen auf dem Weg zum nächstbesten Supermarkt. Sie kauften Getränke und Chips für alle und schlenderten anschließend in den nahegelegenen Park, wo sie sich eine Wiese suchten. Die wenigen Leute, die sich auf ebendieser Wiese bis vor einer Sekunde noch die Abendsonne hatten ins Gesicht scheinen lassen, ergriffen nun nach und nach die Flucht, als die lärmende Gruppe es sich auf der Rasenfläche bequem machte. Es war Mai und abends schon so warm, dass man keine Jacke brauchte, solange die Sonne schien.

In kleinen Grüppchen aber trotzdem alle zusammen ließen sie sich auf den weichen Boden fallen und machten sich daran, ihre Chipstüten aufzureißen und ihre Getränkedosen zu öffnen. Takeru saß neben Akito und zwei anderen Jungs aus dem Team. Sie alle plauderten und lachten miteinander. Kaum einer bekam den Sonnenuntergang mit, niemand registrierte, wie spät es wurde.

Takeru sah sich immer wieder nach Mimi um, die einfach umwerfend aussah. Sie trug einen kurzen Rock und einen Pulli, ihre Haare fielen ihr Offen über die Schultern und sie war leicht geschminkt. Sie saß mit ein paar Mädchen der Cheerleader zusammen, doch ab und an begegnete sie Takerus Blicken. Dann lächelten sie beide und Takeru wandte schnell den Blick wieder ab. Sicher dachte sie schon, er würde sie anstarren.

Dann jedoch, als er gerade nicht in ein Gespräch mit Akito vertieft war, setzte sie sich plötzlich neben ihn und hielt ihm ihre Dose zum Anstoßen entgegen. Ein wenig verwirrt sah Takeru sie an, stieß dann jedoch seine Dose leicht gegen ihre.

„Wir haben noch gar nicht angestoßen, glaube ich“, erklärte sie grinsend, bevor sie an ihrem Getränk nippte.

„Stimmt“, sagte Takeru lahm und trank ebenfalls einen Schluck.

„Du warst echt super. Ich glaube, ohne dich hätten wir nicht gewonnen“, lobte Mimi ihn. Als Takeru sie ansah, leckte sie sich gerade über die Lippen und ließ dort eine leicht feuchte Spur zurück.

„Ähm danke. Ebenfalls. Also ich meine…“, verlegen kratzte er sich am Kopf, „ohne dich wäre das Cheerleaderteam auch nicht so… gut.“

„Also findest du uns schlecht?“, fragte sie und sah ihn schief an.

„Was? Nein, ich meine nur, dass… ihr seid echt gut, aber du bist… also ähm…“

Mimi kicherte und zeigte dabei ihre strahlendweißen Zähne. „Du bist echt süß, weißt du das?“

Takeru war sein Gestammel ziemlich peinlich. Was würde Mimi jetzt wohl von ihm denken, da er so herumstotterte und sich nicht ordentlich ausdrücken konnte? Er war ganz froh, dass sie anscheinend sehr redselig war, denn schon sprach sie weiter, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen.

„Du bist dieses Jahr neu dazugekommen, richtig?“

„Ja, genau. Ich komme gerade von der Mittelschule“, erklärte Takeru.

„Ansonsten wärst du mir nämlich schon längst aufgefallen“, erwiderte sie vielsagend lächelnd und strich sich durch die Haare.

„Wirklich? Warum?“ Wie schaffte sie es nur, ihn mit allem, was sie sagte, noch verlegener zu machen, als er ohnehin schon war?

„Naja, so viele blonde Jungs gibt es hier ja nicht. Und schon gar keine gutaussehenden“, antwortete Mimi verschmitzt und drehte sich ein wenig mehr zu ihm.

Takeru war froh, dass es bereits dunkel war. So konnte niemand sein knallrotes Gesicht sehen. Warum war es auf einmal so schwer, sich mit einem Mädchen zu unterhalten? Etwa nur, weil sie hübsch war und älter als er?

„Auf welche Mittelschule bist du gegangen?“, fragte er ausweichend, um nicht auf ihre Bemerkung eingehen zu müssen. Andererseits fragte er sich aber tatsächlich, woher sie kam.

„Auf eine High School in New York City.“

Verdutzt sah er sie an, sodass sie lachte. „Meine Eltern sind mit mir nach New York ausgewandert, als ich elf war. Und bevor ich auf die Mittelschule kam, also als ich fünfzehn war, sind wir wieder zurückgekommen. Aber ich habe früher auch schon hier in Odaiba gelebt.“

„Wow. Hast du die Cheerleader an unserer Schule gegründet?“, fragte Takeru beeindruckt.

„Habe ich wirklich“, antwortete Mimi. „Ich habe das in New York schon gemacht und dachte, es wäre hier vielleicht auch ganz cool.“

„Ja, war ‘ne gute Idee“, stimmte Takeru ihr zu.

„Ach, genug von mir. Erzähl‘ mal was von dir. Warum ist deine Freundin heute nicht dabei?“, lenkte Mimi die Aufmerksamkeit nun von sich auf ihn.

„Ähm… meine Freundin?“, fragte Takeru. Er wünschte sich, sie hätten weiter über sie gesprochen anstatt über ihn.

„Na die süße Kleine mit den schulterlangen Haaren.“

„Achso, Kari. Sie ist nicht meine Freundin, nur meine beste Freundin“, stammelte Takeru und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und sie hatte heute keine Zeit. Hatte einen Ballettauftritt.“

Mimi machte ein erstauntes Gesicht. „Oh, ich dachte, ihr wärt ein Paar.“

„Nee, nee.“ Er musste ein Seufzen unterdrücken.

„Und sonst so? Hast du vielleicht Geschwister?“, fragte Mimi neugierig.

„Ja, einen Bruder. Er ging auch auf unsere Oberschule und ist seit April fertig.“

„Echt? Wie heißt er denn? Vielleicht kenne ich ihn sogar.“

„Yamato Ishida.“

Plötzlich klatschte Mimi sich in die Hände und grinste triumphierend. „Ha! Wusste ich es doch! Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, hab‘ ich mich gefragt, ob du vielleicht mit ihm verwandt bist. Wie gesagt, es gibt hier nur sehr wenige blonde, gutaussehende Jungs. Ach, dann ist das also tatsächlich dein Bruder? Den kannte auf der Schule jeder. Natürlich auch wegen seiner Band.“

„Mhm“, machte Takeru, der wenig Lust hatte, jetzt über seinen Bruder zu reden.

„Was macht er denn jetzt so nach der Schule?“, fragte sie interessiert.

„Naja, er… zieht mit der Band durch die Gegend und sucht nach Möglichkeiten, irgendwo aufzutreten und entdeckt zu werden“, murmelte Takeru und kratzte sich am Hinterkopf. Er musste an den Streit denken, den Yamatos Karrierepläne bei seinen Eltern ausgelöst hatten. Während Natsuko sich fast jeden Tag darüber aufregte, dass Yamato eines Tages ohne Geld und Wohnung auf der Straße sitzen würde und endlich anfangen sollte, etwas Vernünftiges zu studieren, war Hiroaki der Meinung, man könnte den Jungen sowieso zu nichts zwingen und er sollte tun, was er für richtig hielt.

„Echt? Cool!“, rief Mimi begeistert. „Ich hoffe, es klappt.“

Takeru zuckte mit den Schultern. „Mal sehen.“

„Und hast du schon einen Plan, was du nach der Schule machen willst?“, fragte Mimi weiter.

„Ich? Nee ähm… keine Ahnung. Hab‘ da noch gar nicht drüber nachgedacht“, antwortete Takeru langsam. „Und was ist mit dir? Willst du wieder zurück nach New York?“

„Puh, ich weiß es noch nicht. Habe auch noch nicht drüber nachgedacht“, gestand Mimi grinsend. „Aber ich sollte mir langsam mal einen Plan machen. Das Schuljahr ist bestimmt schnell vorbei. Mal gucken, was so passiert und wer noch so in mein Leben tritt.“ Ein Augenaufschlag in seine Richtung und ein verwegenes Lächeln auf den Lippen. Mit einer Hand strich sie sich das Haar hinter die Ohren.

Verwirrt erwiderte Takeru ihren Blick. Was meinte sie denn mit ‚wer noch so in mein Leben tritt‘? Auf wen wartete sie?

Beherzt trank sie einen Schluck aus seiner Cola, ohne ihn zu fragen, und grinste ihn an. „Sag‘ mal, Takeru, was machst du eigentlich so in deiner Freizeit, wenn du mal nicht Basketball spielst und nicht mit deiner besten Freundin rumhängst?“

„Ähm… essen und schlafen?“

Anscheinend fasste sie es als Scherz auf, denn sie lachte, obwohl er es durchaus ernst meinte. Seine Freizeit war voll mit Hikari und Basketball.

„Glaubst du, du könntest da irgendwo noch ein bisschen Platz schaffen, damit wir was gemeinsam unternehmen können?“, fragte sie schließlich.

Takeru war ein wenig verwundert über diesen Wunsch. „Äh… klar, warum nicht?“

„Super.“ Mimi lächelte zufrieden. „Wie sieht es bei dir in der kommenden Woche aus?“

„Am Dienstag müsste ich Zeit haben“, meinte er, während er im Kopf seinen Wochenplan durchging.

„Klasse, das passt mir auch. Dann lass‘ uns irgendwas Cooles zusammen machen.“

24, Kapitel, in dem Hikari ein Stalker wird

Gemeinsam waren sie nach der Schule auf dem Weg nach Hause und plauderten zwanglos, wie immer.

„Sag‘ mal, hast du vielleicht heute Zeit? Wir könnten noch ein Eis essen gehen. Es ist so warm heute“, schlug Hikari vor und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu. Es war Anfang Juni und gefühlt einhundert Grad.

„Ich kann leider nicht. Treffe mich heute mit Mimi. Aber wir können morgen was miteinander machen, wenn du Zeit hast“, antwortete Takeru.

Hikari sah ihn an und musste sich einen genervten Gesichtsausdruck verkneifen. „Mimi? Schon wieder?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ja. Hast du was dagegen?“

„Nein, es ist nur…“, Hikari zögerte, „langsam wird’s auffällig.“

„Was wird denn da auffällig? Mit dir treffe ich mich auch oft. Gerade du müsstest doch wissen, dass man auch Zeit miteinander verbringen kann, ohne dass da irgendwas läuft.“

„Also stehst du echt nicht auf sie?“, hakte Hikari nach und musterte ihn prüfend.

„Nein. Also… naja, sie ist schon ziemlich hübsch.“ Ihr entging das Lächeln nicht, das ihm über die Lippen huschte, als er das sagte. „Aber keine Ahnung… wir sind nur befreundet.“

Hikari hatte ihn und Mimi in den letzten Wochen beobachtet. Sie hatten hin und wieder die Pausen miteinander verbracht und trafen sich ein oder zwei Mal in der Woche und die Art, wie sie sich ansahen und wie sie miteinander redeten, deuteten darauf hin, dass da mehr im Anflug war als nur Freundschaft. Hikari wusste nicht, was sie davon halten sollte. Takeru war immer jemand gewesen, für den sich die Mädchen nicht interessiert hatten. Immer hatte Hikari seine ungeteilte Aufmerksamkeit gehabt. Und jetzt?

„Was habt ihr denn heute vor, du und Mimi?“, fragte Hikari gespielt beiläufig.

„Wir gehen nur in den Park Eis essen oder spazieren oder so“, antwortete Takeru. „Du kannst ja mitkommen, wenn du willst.“

Hikari hob eine Augenbraue. „Nee, danke. Lass‘ mal.“ Das würde Mimi garantiert nicht gefallen. Wenn die wüsste, dass Takeru Hikari überhaupt gefragt hatte… „Ich kümmere mich endlich mal um diese blöde Japanisch-Hausaufgabe.“

 

Zu Hause angekommen dachte Hikari nicht einmal daran, sich an ihre Hausaufgaben zu setzen. Nein, stattdessen schlüpfte sie in eine kurze Hose, ein Top und ihre Laufschuhe. Es war höchste Zeit, joggen zu gehen. Und zwar im Park.

„Was machst du denn?“, fragte Taichi skeptisch, der gerade eben von seiner Vorlesung nach Hause gekommen war. Er hatte sich für ein Studium der Politikwissenschaften qualifiziert und damit alle überrascht. Wildfang und Sportskanone Taichi, der in der Schule immer nur Unsinn im Kopf hatte, interessierte sich auf einmal für Politikwissenschaften. Susumu und Yuuko hatten ihn beide eher als Mechaniker gesehen. Oder Bauarbeiter. Irgendwas Praktisches eben. Es war nicht so, dass er nichts im Kopf hatte. Nein, Taichi war sogar sehr intelligent. Nur hatte ihn das nie davon abgehalten, mit Yamato Unruhe zu stiften und sich Ärger einzuhandeln.

„Ich gehe joggen“, antwortete Hikari einsilbig. Eigentlich ging es ihn doch gar nichts an, was sie machte.

Er runzelte die Stirn. „Wieso denn das auf einmal? Du warst noch nie joggen.“

„Lass‘ mich doch. Und natürlich war ich schon joggen“, schnappte sie und ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzugießen.

„Fünf Minuten lang um den Block laufen zählt nicht als joggen“, erwiderte Taichi grinsend und klopfte ihr auf die Schulter, sodass sie sich verschluckte. „Aber warte eine Sekunde. Ich zieh‘ mich schnell um und komm‘ mit.“

„Du machst was?“, fragte Hikari entsetzt. Er war drauf und dran, ihr den Plan zu durchkreuzen.

„Ich komm‘ mit dir mit. Einer muss ja deinen Laufstil überwachen, damit du kleines Tanzmäuschen dir nicht noch Knieschäden zuziehst“, erklärte er bestimmt.

Hikari verdrehte die Augen. „Vergiss es. Ich geh‘ allein.“

„Nein, tust du nicht. Komm‘ schon, hab‘ dich nicht so. Ich geh‘ mich schnell umziehen.“ Er lief in sein Zimmer und Hikari sah ihm stirnrunzelnd hinterher. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Insgeheim hatte sie gehofft, nicht nur ein paar Kalorien zu verbrennen, sondern auch unauffällig einen Blick auf Takerus Date mit Mimi werfen zu können.

Wenige Minuten später joggte sie mit Taichi los und er steuerte sofort den Park an, während er über das Laufen redete. Was für Kleidung man brauchte, wie man die Arme halten sollte, wie die Schritte sein sollten, wie man atmen sollte, wie schnell man laufen sollte… schon nach fünf Minuten war Hikari völlig genervt.

„Weißt du, man sollte immer in der Lage sein, dabei zu reden, sonst ist man zu schnell und übertreibt es. Das ist nicht gut, weil…“

Hikari schweifte mit den Gedanken ab und hielt im Park Ausschau nach Takeru. Sie wollte ihm jetzt bloß nicht über den Weg laufen, da er ja wusste, dass sie wusste, dass er im Park unterwegs war. Er würde sofort wissen, was sie hier tat. Das musste sie vermeiden.

„Sag‘ mal, könnten wir nicht mal ein bisschen schneller laufen oder ist das alles, was du drauf hast?“, meckerte Taichi und Hikari verdrehte die Augen.

„Hast du mir nicht eben noch erzählt, man sollte… oh!“ Ohne Vorwarnung sprang Hikari hinter einen nahegelegenen Baum. Sie hatte Takeru und Mimi in einigen Metern Entfernung entdeckt, wie sie direkt auf Taichi und Hikari zukamen.

Erschrocken duckte Hikari sich hinter der dicken Eiche und versuchte, so gut es ging aus Takerus Sichtfeld zu verschwinden. Sie wünschte sich, Taichi würde einfach weiterlaufen, was er natürlich nicht tat. Mit skeptischem Blick tauchte er neben ihr auf.

„Was soll das denn?“

„Pscht!“, zischte Hikari und presste sich den Zeigefinger auf die Lippen. Mit der anderen Hand zog sie Taichi zu sich, sodass auch er vom Gehweg verschwand.

„Was wird das? Versteckst du dich?“, fragte Taichi verwirrt.

„Halt‘ einfach die Klappe!“, zischte Hikari und versuchte, sich möglichst klein und dünn zu machen.

„Dein Ernst?“ Er hob eine Augenbraue. „Mann, Kari. Wenn du irgendwelche Probleme mit irgendwem hast, dann sag‘ doch einfach Bescheid. Ich kläre das für dich. Wer will eins auf die Fresse? Zeig‘ mir den mal.“

Hikari griff nach seinem T-Shirt und zerrte ihn zurück. Gleichzeitig versuchte sie, ein wenig um den Baum herumzulaufen, da Takeru und Mimi sich nun gefährlich näherten.

„Es geht um Takeru und Mimi, okay?“, flüsterte sie.

Taichi legte verständnislos den Kopf schief. „Okay? Und warum versteckst du dich vor denen?“

„Ist doch egal. Frag‘ einfach nicht. Wir warten nur, bis sie vorbeigelaufen sind, und dann laufen wir weiter“, murmelte Hikari eindringlich und hoffte, Taichi würde endlich aufhören, zu fragen und einfach tun, was sie sagte.

Noch immer musterte er sie misstrauisch, doch dann schien er zu beschließen, auf sie zu hören, und sie lugten gemeinsam hinter dem Baum hervor, um einen Blick auf Takeru und Mimi zu erhaschen. Sie gingen nebeneinander her, redeten ungezwungen miteinander und schienen keine Notiz von Taichi und Hikari zu nehmen.

„Seit wann hängen die überhaupt miteinander ab? Wusste gar nicht, dass die sich kennen“, meinte Taichi.

„Haben sich angefreundet, weil T.K. beim Basketball ist und sie bei den Cheerleadern. Die fahren immer zusammen zu Spielen und so“, antwortete Hikari.

Takeru und Mimi gingen vorbei und als sie um die nächste Ecke gebogen waren, kamen Hikari und Taichi aus ihrem Versteck hervor und joggten weiter.

„Kennst du Mimi?“, fragte Hikari nach einem Augenblick.

Taichi schnaubte, was sie nicht zu deuten wusste. „Ich glaube, es gab niemanden, der sie nicht kannte.“

Das hatte Hikari sich schon gedacht. „Aber mit ihr befreundet warst du nicht, oder?“ Sie konnte sich nicht erinnern, dass Taichi jemals etwas von ihr erzählt hatte.

„Nicht direkt“, erwiderte er grinsend.

„Was soll das denn heißen? Entweder man ist befreundet oder man ist es nicht“, erwiderte Hikari irritiert.

Zu ihrer Verwunderung druckste Taichi herum. „Naja, weißt du… kleine Kari, du bist noch so unschuldig. Wie soll ich dir das nur erklären? Wenn Mädchen und Jungs langsam erwachsen werden, haben sie bestimmte Bedürfnisse. Sie wollen einander näherkommen und…“

„Oh mein Gott, Tai! Versuchst du gerade, mich aufzuklären? Dann bist du ein paar Jahre zu spät, okay?“ Dieses Gespräch wurde allmählich ziemlich peinlich. Worauf wollte er denn da bloß hinaus? „Warst du etwa mit ihr zusammen?“

Er grinste verwegen. „Nö, wir haben nur gepimpert.“

Erschrocken riss sie die Augen auf und starrte ihn an. Sie spürte, dass sie rot anlief. Über was redeten sie hier nur? „Ähm…“

„So drei- oder viermal vielleicht. Und ich war nicht der Einzige. Und ich habe da so eine Ahnung, was sie mit T.K. vorhat.“

Wie vom Blitz getroffen blieb Hikari plötzlich stehen und starrte Taichi mit offenem Mund an. Sie wusste nicht, was sie mehr schockte: dass ihr Bruder mit einem Mädchen geschlafen hatte, ohne mit ihr zusammen zu sein, oder dass Takeru vielleicht bald sein erstes Mal mit Mimi erleben würde, die anscheinend schon so einige Jungs ihrer Schule gehabt hatte.

Taichi war einen Meter vor ihr stehen geblieben und drehte sich nun zu ihr um. „Was denn?“

„Ich glaube, ich muss T.K. warnen“, stieß Hikari atemlos hervor.

„Wovor denn?“, fragte er verständnislos. „Sex ist nichts Lebensgefährliches. Jedenfalls nicht, wenn man ein Kondom benutzt. Lass‘ ihn doch seine ersten Erfahrungen machen. Er ist alt genug.“

„Nein, das geht nicht“, protestierte sie und sie setzten sich wieder in Bewegung. „Das kann er doch nicht machen. Er sollte das mit jemandem machen, der ihm etwas bedeutet. Und derjenigen sollte er auch etwas bedeuten. Das erste Mal kann man doch nicht einfach so wegwerfen.“

Taichi lachte spöttisch. „Ach Kari. Liebe, süße, unschuldige Kari. Irgendwann wirst du das auch verstehen.“

„Was soll das denn? Das kannst du dir sparen, ich bin kein Baby mehr“, fauchte sie wütend.

„Wärst du etwa gern an Mimis Stelle? Ich dachte, Matt wäre der Traum deiner schlaflosen Nächte. Oder hast du ihn etwa endlich aufgegeben?“

Verärgert wandte sie sich von ihm ab und wünschte sich nicht zum ersten Mal an diesem Tag, er hätte sie einfach allein gelassen. Dämlicher großer Bruder. Konnte er nicht einfach mal nett sein? „Halt‘ doch einfach die Klappe.“

„Also stehst du jetzt wirklich auf T.K.?“ Überrascht sah Taichi sie an.

„Nein, Mann!“, rief sie ungeduldig. „Und jetzt hör‘ auf, so einen Scheiß zu fragen. Das geht dich außerdem überhaupt nichts an.“

25. Kapitel, in dem Mathe auch nicht mehr hilft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

26. Kapitel, in dem sich niemand verlieben sollte

„Ist ja mal ein Ding, dass du heute nichts mit Mimi unternimmst. Hatte sie etwa keine Zeit oder warum bin ich auf einmal wieder gut genug?“ Ein wenig eingeschnappt verschränkte Hikari die Arme vor der Brust und musterte Takeru. Sie hatte es sich mit einer Dose Cola auf seinem Schreibtischstuhl gemütlich gemacht und beobachtete ihn dabei, wie er sein Zimmer aufräumte.

„Mann, Kari, was soll denn das?“, erwiderte er kopfschüttelnd und warf ihr einen mürrischen Blick zu. „Du weißt, dass es so nicht ist.“

„Wie ist es denn dann? Ist Mimi jetzt deine neue beste Freundin?“, fragte sie schnippisch.

Ihr entging nicht, wie er die Augen verdrehte.

„Guck‘ nicht so“, murrte sie. Sie war noch immer ein wenig angefressen, weil er Tanabata nicht mit ihr, sondern mit Mimi verbracht hatte. Dabei waren sie in den letzten Jahren immer zusammen über das Fest flaniert und hatten es gemeinsam genossen. Nicht, dass es mit Momoko und Kazumi nicht schön gewesen wäre. Sie hatten Mädchengespräche führen können. Doch es war einfach nicht das Gleiche wie mit Takeru. Überhaupt nichts war in den letzten Wochen so, wie es normalerweise war. Und alles nur, weil Takeru andauernd bei Mimi hockte. Dämliche Mimi mit ihrem perfekten Haar und ihrem perfekten Körper.

„Du weißt genau, dass ich dich nicht ausgetauscht habe“, sagte Takeru ungeduldig und sortierte ein paar Klamotten in seinen Kleiderschrank ein. „Tut mir leid, dass ich dich für Tanabata versetzt habe. Nächstes Jahr gehen wir wieder zusammen aufs Fest, okay?“

Hikari erwiderte nichts, sondern zog einen Schmollmund und musterte ihn. Er erwiderte ihren Blick, legte den Pulli, den er gerade in der Hand hielt, beiseite und kam auf sie zu. Er hockte sich vor ihr auf den Boden und sah ihr in die Augen.

„Was kann ich machen, damit du mir verzeihst?“, fragte er und setzte einen reuevollen Blick auf.

Hikari verkniff sich ein Grinsen. „Mir ein Pferd kaufen. Und ein Prinzessinnenkleid.“

Theatralisch griff er nach ihren Händen. „Verehrte Prinzessin Hikari von Yagami, ich kann es nicht erwarten, Euch bei Eurem königlichen Ausritt zu Pferde zu begleiten und Euer edler Ritter zu sein.“

Nun kicherte Hikari doch und entzog ihm ihre Hände. „Hast du irgendwas genommen oder wieso hast du heute so gute Laune?“

„Du tust ja so, als wäre ich sonst ein Trauerkloß“, erwiderte er grinsend und stand wieder auf, um weiter Klamotten in seinen Schrank zu sortieren.

„Das nicht“, Hikari nippte an ihrer Cola, „aber irgendwie wirkst du echt glücklich. War es denn schön gestern auf dem Fest? Hast du vielleicht eine Million Yen gewonnen oder so?“

„So ähnlich“, murmelte Takeru, ohne sie anzusehen.

Nun wurde Hikari neugierig. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte sie seine Rückseite. „So ähnlich? Was heißt das denn?“

Er zögerte eine Weile, bevor er ausweichend antwortete. „Nichts weiter.“

Hikari runzelte die Stirn. „Ja, wer’s glaubt. Na sag‘ schon, was habt ihr denn gemacht?“

Takeru knetete ein T-Shirt in seiner Hand und war anscheinend nicht mehr ganz bei der Sache. Mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen starrte er die Wand an. „Naja, wir waren erst eine Weile auf dem Fest und dann waren wir noch eine Weile bei ihr zu Hause.“

Bei ihr zu Hause? Hikari bekam ein komisches Gefühl in der Magengegend. Als hätte sie einen großen, kalten Klumpen verschluckt. „Ähm… cool. Und warum macht dir das so gute Laune? Ich dachte, ihr seid ‚nur Freunde‘.“

Er lächelte seltsam und biss sich auf die Unterlippe, bevor er das T-Shirt endlich in den Schrank stopfte und die Tür schloss. „Nicht mehr nur Freunde. Wir haben uns geküsst und wir haben… du weißt schon.“

Hikari riss die Augen auf. „Nein, weiß ich nicht. Was habt ihr?“ Das durfte nicht sein. Das hatten sie nicht getan.

Takeru lachte leicht und fuhr sich durch das blonde Haar, das mal wieder einen Schnitt nötig hatte. „Ich hab‘ mit ihr geschlafen, Mensch.“

Entsetzt starrte Hikari ihn an. „Du hast was? Ist das dein Ernst?“

Er wirkte ein wenig verwundert über ihre Reaktion. „Ja. War nicht geplant oder so und ich wollte eigentlich erst gar nicht. Aber dann haben wir es doch getan. Es war… puh.“

Hikari waren völlig die Gesichtszüge entgleist. Das durfte doch nicht wahr sein. Das kalte Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich, breitete sich bis zu ihrem Herzen aus und schien es in einem kalten Klammergriff zu halten.

„Oh mein Gott, Takeru, ich kann’s nicht glauben.“

Er hob eine Augenbraue und sah sie verwirrt an. „Wieso? Was ist so schlimm daran?“

„Du hast immer gesagt, ihr wärt nur befreundet und du bist nicht an ihr interessiert“, antwortete Hikari unwirsch.

„Ja und? Dann hat sich meine Meinung halt geändert. Wo ist das Problem?“, fragte er.

„Also seid ihr jetzt zusammen?“, hakte Hikari nach und fürchtete sich vor der Antwort.

„Nein. Jedenfalls noch nicht. Nicht offiziell.“

Abwertend runzelte Hikari die Stirn. „Dann hast du mit ihr geschlafen, obwohl ihr nicht zusammen seid?“

„Ja, und?“

Ungläubig schüttelte sie den Kopf und sah ihn an. „Seit wann bist du eine männliche Schlampe? Das hätte ich nie von dir gedacht.“

„Was?“, rief er entgeistert. „Männliche Schlampe?“

„Ja, wenn du dich durch die Gegend vögelst, ohne in einer Beziehung zu sein, bist du genau das“, erwiderte sie schnippisch.

„Sag‘ mal, hast du sie noch alle?“, fuhr er sie an. „Ich vögel‘ mich doch nicht durch die Gegend! Ich habe nur mit Mimi geschlafen!“

„Mit der du nur befreundet bist!“, erwiderte Hikari.

Er stöhnte genervt auf. „Mann, Kari, ich bin in sie verliebt, okay? Und ich habe keine Ahnung, warum du jetzt so einen Aufstand machst. Ist es, weil ich von uns beiden zuerst mein erstes Mal hatte?“

Hikari sprang von dem Stuhl auf und starrte ihn empört an. „Ich kann drauf verzichten, mir den nächstbesten Schulschönling zu nehmen und mich entjungfern zu lassen! Ich warte auf jemanden, den ich wirklich liebe und mit dem es mir etwas bedeutet!“ Mit diesen Worten stürmte sie aus seinem Zimmer.

„Du bist echt die letzte Zicke, weißt du das?!“, hörte sie ihn noch rufen, bevor sie aus der Wohnung lief.

 

In der Nacht bekam Hikari kein Auge zu. Sie hatte sich nicht mehr bei Takeru gemeldet. Zu sehr war sie verletzt. Die Tatsache, dass er in Mimi verliebt war und sogar schon mit ihr geschlafen hatte, machte sie fertig. Und sie wusste nicht einmal, warum. Sie war doch gar nicht in ihn verliebt. Sie waren einfach nur beste Freunde. Doch wahrscheinlich war genau das das Problem. Jetzt, wo er bald eine feste Freundin hatte, würde Hikari nur noch die zweite Geige spielen. Er würde weniger Zeit mit ihr verbringen und sie würde nicht länger diejenige sein, die er sofort anrief, wenn es etwas zu erzählen gab. Sie würde ihren besten Freund verlieren, wenn sie ihn nicht durch ihr Verhalten am Nachmittag bereits verloren hatte. Sie hatte sich dämlich benommen, das wusste sie. Natürlich war Takeru keine männliche Schlampe. Es tat ihr leid, dass sie ihn so genannt hatte.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Es war ein ungeduldiges Klopfen, das von der Wohnungstür kam. Ängstlich zog sich Hikari die Decke bis zum Kinn und wartete ab, doch das Klopfen kehrte immer wieder, wurde lauter und ungeduldiger. Ein Einbrecher! Nein, warum sollte ein Einbrecher klopfen?

Sie wartete noch einige Sekunden ab, bevor sie aus ihrem Bett kletterte und aus ihrem Zimmer zur Wohnungstür schlich. Mit angehaltenem Atem stellte sie sich auf die Zehenspitzen und blickte durch den Türspion. Und war überrascht, die Gestalt, die draußen vor der Tür stand, zu erkennen. Sie entriegelte das Schloss und zog die Tür auf. „Matt?!“

Er stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab und sah sie aus halb geöffneten Augen an. Sein blondes Haar war unordentlich, er hatte Mühe, gerade zu stehen und roch nach Alkohol und Rauch. Offensichtlich war er betrunken.

„Scheiße, Kari. Wollt‘ dich nich‘ wecken“, nuschelte er. „Is‘ Tai gar nich‘ da?“

„Ich… er schläft. Warte, ich geh‘ ihn wecken“, flüsterte Hikari, um ihre Eltern nicht noch aufzuwecken.

„Nee, nee schon gut. Ich hätt‘ gar nich‘ herkommen soll’n“, lallte er und machte Anstalten, sich zum Gehen umzudrehen, fiel jedoch gegen die Wand. „Scheiße, mir is‘ voll schlecht.“ Er presste die Lippen aufeinander, als müsste er seinen Mageninhalt bereits zurückhalten.

„Komm‘, ich bring‘ dich ins Bad“, entschied Hikari schnell, griff nach seinem Arm und zerrte ihn mit sich in die Wohnung. So schnell und leise es ging, führte sie ihn ins Badezimmer. Sie schaffte es gerade noch, den Klodeckel für ihn hochzuklappen, bevor er vor der Toilette auf die Knie fiel und sich geräuschvoll übergab. Eilig schloss Hikari die Badezimmertür, damit er nicht ihre Eltern weckte.

„Oh Gott, Matt. Was ist nur passiert?“, fragte sie entsetzt und blieb an der Tür stehen. Sie wollte ihm in dieser Situation nicht zu nahe kommen. Er hatte die Arme auf dem Sitz abgestützt und atmete schwer. Mit zitternder Hand betätigte er die Spülung. Er antwortete nicht, sondern stöhnte nur gequält vor sich hin und vergrub die Hände in seinem Haar. Schnell huschte Hikari aus dem Badezimmer in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen und lief zurück zu Yamato, um es ihm zu geben. Anschließend schlich sie in Taichis Zimmer, um ihn zu wecken.

Er lag auf dem Bauch, die Decke auf dem Boden. Typische Taichi-Schlafposition. Hikari lief zu ihm und rüttelte ihn unsanft an der Schulter. Sie wusste, dass sie mit sanften Methoden nicht weit kam.

„Tai, wach‘ auf! Komm‘ schon!“, flüsterte sie.

Er gab ein Grummeln von sich und drehte sich auf die Seite. „Kari? Was’n los?“

„Matt ist hier. Er ist im Bad und kotzt“, berichtete Hikari ungeduldig.

„Was?!“ Taichi fuhr hoch und ihre Köpfe stießen unsanft zusammen.

„Autsch! Pass‘ doch mal auf!“, zischte sie und hielt sich die Stirn.

„Hast du gesagt, Matt ist hier?“, fragte er ungläubig und rieb sich ebenfalls die Stirn.

„Ja. Im Bad.“

Taichi stand auf und ging ins Bad, dicht gefolgt von Hikari, die in den lichtdurchfluteten Raum schlüpfte und die Tür schloss.

„Alter, was machst du?“, fragte Taichi und klang ein wenig erschrocken, als er zu Yamato ging, sich zu ihm herunterbeugte und ihm eine Hand auf die Schulter legte.

„Ich wollt‘ dich nich‘ wecken“, wiederholte Yamato nur, ohne den Kopf zu heben. Das Wasser, das Hikari ihm gebracht hatte, hatte er noch nicht angerührt.

Taichi setzte sich neben ihn auf den Boden und musterte ihn besorgt. „Warum bist du voll? Wo warst du denn?“

„Draußen“, murmelte Yamato.

„Hattest du Stress mit deinem Vater?“, hakte Taichi nach.

Yamato schüttelte kaum merklich den Kopf.

Unsicher ging Hikari zu den beiden und setzte sich auf die andere Seite neben Yamato. Auch sie sah ihn besorgt an. Es war nicht seine Art, hier völlig betrunken mitten in der Nacht aufzutauchen. Um genau zu sein hatte er das noch nie getan.

„Warst du allein unterwegs?“, fragte Taichi weiter.

„Seit heut‘ Abend ja“, nuschelte Yamato in seine Unterarme, die er quer über den Toilettensitz gelegt hatte.

„Willst du jetzt endlich mal erzählen, was passiert ist, Mann? Warum bist du voll wie ‘ne Kompanie Russen?“, drängte Taichi ungeduldig.

Hikari warf ihm für seinen dämlichen Spruch einen mürrischen Blick zu, den er ignorierte.

„Sie hat Schluss gemacht“, murmelte Yamato endlich und Hikari spitzte die Ohren.

„Was? Sora?“ Perplex runzelte Taichi die Stirn.

„Nee, Scarlett Johansson. Natürlich Sora“, erwiderte Yamato gequält.

„Aber… wieso?“

„Ihr gefällt mein Lebensstil nich‘, hat sie gesagt“, lallte Yamato nach kurzem Zögern. „Weil ich nichts Ordentliches mache, sondern nur durch die Gegend ziehe und so. Nur weil ich kein beschissener Klugscheißer-Student bin. Weil ich machen will, was mir Spaß macht.“

„Was? Aber ihr hattet doch darüber geredet, dachte ich. Es war doch okay für sie, oder nicht?“, fragte Taichi verwirrt.

„Ja. Was weiß ich eh. Keine Ahnung, warum die scheiß Frauen dauernd ihre Meinung ändern müssen. Nichts für ungut, Kari.“

Hikari starrte ihn an. Sora hatte sich also von ihm getrennt. Das waren ja ganz neue Aussichten. Auch, wenn Yamato ihr leidtat und sie gern etwas tun würde, um ihm zu helfen, kam sie nicht umhin, sich ein klein wenig zu freuen. Plötzlich kam es ihr weniger schlimm vor, dass Takeru auf einmal mit Mimi zusammen war.

Erneut übergab sich Yamato, wobei sich sein ganzer Körper zu verkrampfen schien. Während Hikari die Luft anhielt, klopfte Taichi ihm auf die Schulter und murmelte: „Besser raus als rein.“

„Hätt‘ weniger trinken soll’n“, murmelte er, nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Dachte, es war gar nich‘ so viel.“

„Bestimmt, weil du nebenbei noch so viel geraucht hast“, mutmaßte Taichi.

„War gar nich‘ so viel“, wiederholte Yamato nur.

„Geht es dir wieder besser?“, fragte Hikari besorgt.

„Mir is‘ immer noch schlecht“, antwortete er mit heiserer Stimme.

„Ich geh‘ dir mal ein Bett vorbereiten, okay?“ Taichi gab ihm einen Klaps auf die Schulter, bevor er aufstand, aus dem Badezimmer ging und Hikari und Yamato allein zurückließ. Hikari schnappte sich ein paar Blätter Toilettenpapier und tippte Yamato an. „Hier, brauchst du?“

Beschwerlich hob er den Kopf und sah sie an. Seine Haut war blass, seine Augen tränten, ein paar Haarsträhnen klebten ihm in der verschwitzten Stirn und in seinem Unterlippenpiercing hing Erbrochenes fest. Mit zitternder Hand nahm er ihr das Toilettenpapier aus der Hand und wischte sich den Mund damit ab.

„Danke“, nuschelte er.

„Tut mir echt leid, Matt“, murmelte Hikari und sah ihn mitfühlend an. „Kann ich irgendwas für dich tun?“

Er schüttelte den Kopf und starrte mit leerem Blick vor sich hin. „Ich versteh’s einfach nich‘. Warum is‘ es ihr so wichtig, dass ich studiere?“

Hikari schwieg und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte keine Ahnung, dass Sora und Yamato deswegen anscheinend öfter gestritten hatten. Natürlich wusste sie, dass Natsuko damit nicht zufrieden war, aber dass es auch Sora so sehr störte, dass sie sich nun von ihm getrennt hatte, war ihr nicht bewusst gewesen.

„Glaubst du, ich sollte studieren gehen? Ob sie mich dann wohl zurücknehmen würde?“, überlegte Yamato laut.

„Man sollte machen, was man für richtig hält und was einen glücklich macht“, antwortete Hikari. „Was bringt es dir, studieren zu gehen, obwohl du das eigentlich gar nicht willst? Am Ende hast du Sora, aber einen Beruf, mit dem du total unglücklich bist und du könntest es auf ewig bereuen, dass du nicht deinen Traum gelebt hast.“

Er sah sie aus halb geöffneten Augen an. Sein Blick war nachdenklich. „Manchmal vergesse ich voll, dass du kein Kind mehr bist.“

Verlegen wandte Hikari den Blick ab und zuckte mit den Schultern. „Naja, jeder wird irgendwann erwachsen.“

„Verdammt, Kari, ich liebe sie so sehr“, stöhnte er und ließ den Kopf wieder auf die Arme sinken. „Sie ist das Beste, was mir jemals passiert ist.“

Hikari presste die Lippen aufeinander und ließ enttäuscht den Kopf hängen. Natürlich liebte er Sora. Sie waren immerhin zwei Jahre lang ein Paar gewesen. Und doch verletzte es sie, das zu hören. Warum konnte er nicht so über sie sprechen? Wieso liebte dieser Junge Sora und nicht sie?

„Verlieb‘ dich niemals“, nuschelte Yamato.

In diesem Augenblick kam Taichi zurück und ging zu ihm. „Komm‘ schon, dein Bettchen wartet auf dich.“ Mit etwas Mühe schaffte er es, Yamato auf die Beine zu helfen, sodass er ihn aus dem Badezimmer bugsieren konnte. Seufzend ging auch Hikari endlich zurück in ihr Bett.

27. Kapitel, in dem Hikari perfekt ist

„Nanu, Yamato? Was machst du denn hier?“ Fragend musterten Susumu und Yuuko Taichi und Yamato, die beide mit müden Gesichtern und zerzausten Haaren aus Taichis Zimmer kamen. Hikari saß schon seit einer halben Stunde mit ihren Eltern beim Frühstück und nippte nun an ihrem Tee, während ihr Blick auf Yamato ruhte. Er sah nicht besser aus als letzte Nacht. Eher noch schlechter.

„Ähm… er kam heute Nacht. Hatte ich euch das nicht erzählt?“, stammelte Taichi und kratzte sich am Kopf. „War schon lange geplant. Mussten was Dringendes besprechen.“

„Aha.“ Susumu zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder seiner Zeitung, doch Yuuko musterte die beiden Jungs wachsam.

„Wollt ihr was frühstücken?“

Yamato hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf. „Danke.“ Er sah aus, als müsste er sich jeden Moment erneut übergeben.

„Er muss schnell nach Hause. Ich bringe ihn noch zur Tür“, verkündete Taichi und ging schon einmal vor. Bevor Yamato ihm folgte, warf er Hikari einen flüchtigen Blick zu und sie glaubte, so etwas wie ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen, doch das konnte auch Einbildung gewesen sein.

 

Am Nachmittag machte sich Hikari auf den Weg zu Takeru. Nachdem sie sich mit Yamato unterhalten und eine Nacht drüber geschlafen hatte, kam ihr ihr gestriges Verhalten ziemlich albern und daneben vor. Takeru konnte doch tun und lassen, was er wollte und sie hatte kein Recht, so über ihn zu urteilen. Genau genommen ging es sie doch gar nichts an.

Sie kam bei Takeru an und drückte auf den Klingelknopf. Hoffentlich war er überhaupt zu Hause. Vielleicht traf er sich ja auch mal wieder mit Mimi.

Natsuko öffnete die Tür und sah sie verwundert an. „Hallo, Kari. Willst du zu T.K.?“

„Ja, genau“, antwortete Hikari nickend.

„Er ist leider nicht hier. Er meinte vorhin, er geht ein paar Körbe werfen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist er auf dem Platz beim Park.“

„Okay. Danke, ich gehe mal nachschauen“, erwiderte Hikari und drehte sich um, um das Haus wieder zu verlassen. Sie fragte sich, ob „Körbe werfen“ wohl ein Synonym für „mit Mimi schlafen“ war.

In Gedanken versunken verließ sie das Gebäude und ging in Richtung Park. Sie wusste, dass er sich tatsächlich ab und an auf jenem Platz aufhielt, um ein bisschen zu trainieren. Vielleicht hatte sie ja Glück und erwischte ihn dort. Auf dem Weg zum Platz versuchte sie, sich die Worte zurechtzulegen, die sie sagen wollte. Wie sollte sie sich nur am besten entschuldigen?

Schon von weitem konnte sie Takeru auf dem Platz ausmachen. Sein blondes Haar leuchtete in der Sonne und mit einem orangefarbenen Ball lief er über den Platz, wich unsichtbaren Gegnern aus und versenkte ihn im Korb. Er hielt kurz inne, wischte sich Schweiß von der Stirn und dribbelte weiter.

Hikari schluckte und ging dann bestimmt auf ihn zu. Ob er wohl noch sauer auf sie war? Sie würde es gleich erfahren. Einen Augenblick lang blieb sie am Rand des Betonplatzes stehen und sah ihm zu, wie er in der glühenden Hitze über den Platz jagte.

„Du holst dir noch einen Sonnenstich“, rief sie ihm schließlich zu.

Er hielt inne und drehte sich zu ihr um. „Was machst du denn hier?“ Dann kam er mit dem Ball in der Hand auf sie zu.

„Dir was zu trinken bringen“, antwortete Hikari und kramte eine kleine Wasserflasche aus ihrer Handtasche hervor.

Takeru verzog keine Miene und sah von der Wasserflasche zu ihr. Fragend hob er eine Augenbraue.

„Ich hab‘ dich gesucht. Deine Mutter hat mir gesagt, dass du wahrscheinlich hier bist“, gab Hikari zu und packte die Flasche wieder weg.

Er schwieg und sah sie abwartend an.

„Ich wollte mich für gestern entschuldigen. Also… tut mir leid, was ich gesagt hab‘“, murmelte sie und wich seinem Blick aus. „Ich glaube, ich war nur neidisch, weil du jetzt schon so weit gegangen bist und ich noch nicht, und das fühlt sich irgendwie komisch an und… naja, war blöd. Und war nicht so gemeint.“ Sie spielte mit ihren Fingern und starrte ihre Fußspitzen an. Erst, als er einige Sekunden lang nichts sagte, hob sie den Kopf, um ihn anzusehen. Er lächelte leicht.

„Schwamm drüber, okay?“

Hikari nickte erleichtert. Zum Glück gehörte Takeru nicht zu der Sorte Mensch, die lange sauer oder gar nachtragend waren.

„Danke“, murmelte sie.

Langsam schlenderten sie in den Schatten eines nahen Baumes und ließen sich ins Gras fallen. Hier war es viel angenehmer als in der prallen Sonne. Das Zirpen der Zikaden war ohrenbetäubend an Tagen wie diesen und die Luft schien zu flimmern.

„Kann ich vielleicht doch einen Schluck Wasser haben?“, bat Takeru und wischte sich erneut Schweiß von der Stirn.

Hikari kramte ihre Wasserflasche wieder hervor und reichte sie ihm. „Ich sag‘ doch, du holst dir noch einen Sonnenstich. Vielleicht solltest du es für heute lassen. Es sind bestimmt tausend Grad.“

„Ach was. Das passt schon“, sagte er abwinkend und nahm einen großen Schluck aus der Plastikflasche.

„Möchtest du erzählen, wie es war?“, fragte sie nun neugierig.

Takeru betrachtete nachdenklich die Flasche und schluckte das Wasser herunter. „Hm. Nass und erfrischend, aber nicht so kalt, wie ich gehofft habe.“

Daraufhin musste Hikari lachen und verpasste ihm einen Klaps gegen das Knie. „Nicht das Wasser. Das mit Mimi am Freitag.“

Er grinste verlegen und knibbelte mit den Fingern am Etikett der Wasserflasche herum. „Es war ganz cool irgendwie. Und schön.“

„Wie fühlt es sich an? Tat es weh?“, hakte sie nach.

„Nee. Mann, Kari, du bist ein Mädchen. Bei dir fühlt sich das doch bestimmt ganz anders an als bei mir“, erwiderte er.

„Hätte ja sein können, dass es trotzdem wehtut“, murmelte Hikari. „Habt ihr ein Kondom benutzt?“

„Ja, klar. Was denkst du denn?“

„Und wie lange dauert das so?“

Takeru runzelte die Stirn. „Was weiß ich. Hab‘ doch nicht auf die Uhr geguckt. Gab Besseres zu tun.“

Sie kicherte verlegen. „Aber gestern hast du noch gesagt, du wolltest eigentlich erst gar nicht. Warum hast du es trotzdem gemacht?“

Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wollte halt keinen Rückzieher machen. Und ich hätte ja jederzeit gehen können. Aber dann hat es sich so gut angefühlt.“

„Woher wusstest du, was du machen musst?“

„Wusste ich nicht.“

Sie sah ihn verständnislos an.

„Naja, es reicht, wenn einer weiß, was er machen muss. Und Mimi wusste es ziemlich genau“, erklärte Takeru.

Unwillkürlich tat sich vor Hikaris geistigem Auge ein seltsames Bild von Takeru auf, der völlig teilnahmslos in einem Zimmer stand und Mimi, die wie eine Ballerina um ihn herumtänzelte. Unwirsch schüttelte sie den Kopf. So war es garantiert nicht abgelaufen.

„Keru, ich wollte dir da noch was sagen. Also zu Mimi“, begann Hikari unsicher.

„Was denn?“, fragte er verwundert.

„Naja, zufällig hat Tai mir erzählt, dass er schon mal mit ihr geschlafen hat“, berichtete sie.

Er hob eine Augenbraue und musterte sie skeptisch, als wüsste er nicht, ob sie tatsächlich die Wahrheit sagte. „Anscheinend sogar mehrmals und er war wohl nicht der Einzige. Ich wollte nur, dass du das weißt.“

Einen Augenblick lang zögerte er, bevor er eine wegwerfende Handbewegung machte. „Bei mir und ihr ist das anders. Das ist ernst. Ich glaube, sie mag mich echt.“

Hikari zog die Beine an und legte das Kinn auf den Knien ab. „Ich wollte es dir ja nur sagen.“

Für eine kleine Weile hingen sie jeder ihren Gedanken nach und starrten Löcher in die Luft. Dann seufzte Hikari tief. „Ich glaube, ich bin noch nicht bereit für das alles. Ich kann mir noch überhaupt nicht vorstellen, mit jemandem zu schlafen.“

„Musst du ja auch nicht“, sagte Takeru überzeugt. „Kannst dir doch Zeit lassen.“

Sie zuckte nur mit den Schultern. Es fühlte sich irgendwie nicht so an, als könnte sie sich Zeit lassen. Jetzt, da Takeru diesen Schritt schon gegangen war, hatte sie das seltsame Gefühl, sie müsste es auch tun, um mit ihm mitzuhalten. Sie mussten doch gleichauf sein und gemeinsame Erfahrungen teilen.

Plötzlich sprang Takeru auf und hielt ihr seine Hand hin. „Los, lass‘ uns ein paar Körbe werfen.“

Sie verdrehte die Augen und sah ihn an. „Was jetzt? In der Hitze? Ich bin doch nicht irre. Und außerdem kann ich Basketball nicht.“

„Ach, komm‘ schon. Nur ein paar Minuten“, bettelte er grinsend.

„Aber…“

„Nichts aber. Oder soll ich dir erst sagen, dass du dringend mal wieder Sport machen musst?“

Hikari warf ihm einen finsteren Blick zu und zog einen Schmollmund. „Du bist so bescheuert.“ Doch dann griff sie nach seiner Hand und ließ sich von ihm hoch ziehen.

„War doch nur ein Witz. Du bist perfekt so, wie du bist. Und jetzt komm‘.“ Mit dem Ball unter dem Arm lief er voller Tatendrang zurück zum Platz, während Hikari ihm zögerlich folgte. Sie war perfekt so, wie sie war?

28. Kapitel, in dem Takeru ein Wochenende mit Mimi verbringt

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

29. Kapitel, in dem Hikari eine unschöne Entdeckung macht

An Valentinstag, kurz nach Hikaris sechzehntem Geburtstag, hatte Hikari sich entschlossen, Takeru spontan Pralinen vorbeizubringen. Vor zwei Jahren hatte sie ihm das erste Mal etwas zum Valentinstag geschenkt, um ihm eine kleine Freude zu bereiten und weil sie das Gefühl hatte, er wäre traurig, weil so viele Jungs etwas von Mädchen bekamen, nur er nicht. Auch letztes Jahr hatte sie ihm wieder etwas geschenkt und dieses Jahr wollte sie es genauso machen. Es war fast schon eine kleine Tradition. Vielleicht hatte er ja sogar heute noch nichts vor, auch wenn das recht unwahrscheinlich war. Immerhin war Valentinstag der Tag der Verliebten und bestimmt verbrachte er ihn mit Mimi, aber vielleicht würde er sich ja zwei Minuten Zeit für seine beste Freundin nehmen. Falls er überhaupt zu Hause war.

Hikari stieg die Treppen nach oben, ging zur Wohnung der Takaishis und war kurz davor, auf den Klingelknopf zu drücken, als sie sah, dass die Wohnungstür nicht richtig geschlossen war. Wie leichtsinnig. Sie lauschte, konnte aber nichts hören und klopfte zögerlich. Niemand reagierte. Vorsichtig öffnete sie die Tür und betrat die Wohnung. Obwohl sie hier so oft ein- und ausging, kam sie sich vor wie eine Einbrecherin. Doch sie war sich sicher, dass Takeru und Natsuko nichts dagegen hatten, dass sie hier unangekündigt hereinspazierte.

„Keru?“, fragte sie und lauschte. Keine Antwort. „Natsuko?“ Nichts.

Unschlüssig sah sie sich um. Es musste jemand zu Hause sein, wenn die Wohnungstür offen gestanden hatte, denn wenn man losging, schloss man schließlich die Wohnung ab.

Hikari tapste den Flur entlang in das leere Wohnzimmer, doch auch hier war niemand. Die Küche war ebenfalls leer. Dann hielt sie inne, weil sie ein Geräusch gehört hatte. Ein leises Rumpeln und ein Seufzen. Da war doch jemand und hatte sich anscheinend wehgetan. Das Geräusch war aus Takerus Zimmer gekommen, dessen Tür ebenfalls nur angelehnt war. Entschlossen schritt Hikari darauf zu, öffnete beherzt die Tür und riss vor Überraschung die Augen auf.

„Scheiße, Kari!“ Bis vor einer Sekunde hatten Takeru und Mimi es noch miteinander in seinem Bett getrieben, er auf ihr, ihre Beine um seine Hüften geschlungen. Doch als Hikari hereingekommen war, waren sie wie vom Blitz getroffen auseinander gefahren und starrten sie nun entsetzt an. Mimi griff hastig nach der Bettdecke, um ihre Blöße zu bedecken, während Takeru sich seine Unterhose schnappte, die auf dem Boden lag. Doch für einige Sekunden hatte Hikari ihn komplett nackt gesehen.

„Sorry!“, rief Hikari nahezu panisch und hielt sich die Augen zu. „Ich wollte nicht… also eigentlich wollte ich… sorry!“ Sie machte auf dem Absatz kehrt, floh aus der Wohnung und knallte die Wohnungstür hinter sich zu. Das war wohl das mit Abstand Peinlichste, was ihr in ihrem bisherigen Leben passiert war. Mit hochrotem Kopf eilte sie die Treppe hinunter und knallte dabei fast mit jemandem zusammen.

„Oh, Matt“, sagte sie überrascht.

„Warum hast du es denn so eilig?“, fragte er und musterte sie mit einem schiefen Lächeln. „Und warum bist du so rot?“

„Ach, ich wollte nur schnell nach Hause, weil… Hausaufgaben und so.“ Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich eine Haarsträhne ihrer nun mehr als schulterlangen Haare aus der Stirn und lächelte verlegen. Ihr Herz klopfte wild in Yamatos Anwesenheit. „Und du?“

„Ich wollte mal gucken, ob mein kleiner Bruder zu Hause ist“, antwortete er. „Aber jetzt kann ich ja auch dich fragen.“

„Mich was fragen?“, fragte Hikari aufgeregt. Yamato wollte sie etwas fragen?

Yamato hob eine Augenbraue. „Na ob er zu Hause ist.“

„Achso!“ Schon wieder eine peinliche Situation. „Ähm… ja, aber er ist gerade beschäftigt.“

„So beschäftigt, dass er keine Zeit für dich hat?“, hakte Yamato skeptisch nach.

„Mimi ist da“, nuschelte Hikari mit gesenktem Kopf.

„Na und? Kein Grund, nicht mal fünf Minuten mit ihm zu quatschen“, beschloss Yamato und wollte weitergehen, doch sie hielt ihn auf.

„Sie waren gerade dabei, du weißt schon was zu tun und ich bin voll reingeplatzt“, gestand sie.

Zunächst schaute er sie erstaunt an, doch dann fing er plötzlich an zu lachen. Verdutzt starrte Hikari ihn an. Sie fand das Ganze überhaupt nicht zum Lachen, sondern einfach nur peinlich, doch Matt sah so süß aus, wenn er lachte, dass sie verlegen grinste.

„Es ist komisch, wenn der kleine Bruder plötzlich erwachsen wird“, sagte er, als er sich wieder beruhigt hatte. „Dann lass‘ ich sie wohl besser mal in Ruhe. Aber was mache ich jetzt mit meiner Freizeit?“

Er sah sie prüfend an.

„Ähm… keine Ahnung?“, erwiderte sie, weil sie das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen.

„Komm‘, wir gehen einen Kaffee trinken. Bist eingeladen“, sagte er dann lächelnd und machte sich auf den Weg nach unten.

Einen Augenblick lang blieb Hikari noch überrumpelt stehen, dann eilte sie ihm nach. Mit Yamato einen Kaffee trinken? Das hatten sie noch nie gemacht, zumindest nicht zu zweit. Es waren immer entweder noch Takeru oder Taichi dabei gewesen.

Sie suchten sich das nächstbeste Café und besetzten einen kleinen Tisch am Rand. Hikari spürte, wie schwitzig ihre Finger waren, als sie den Stuhl zurückzog, um sich zu setzen. Die Leute um sie herum warfen ihnen verstohlene Blicke zu. Kein Wunder, Yamato zog immer die Aufmerksamkeit auf sich. Blonde Haare, Tunnel in den Ohren, der linke Arm von Tattoos übersät und dazu noch ein Piercing in der Unterlippe. Und nun war er auch noch in Begleitung von einem Mädchen wie Hikari. Klein, dünn, unscheinbar. Sicher sahen sie ziemlich merkwürdig zusammen aus.

„Du wolltest also am Valentinstag T.K. besuchen?“, begann Yamato nun das Gespräch und musterte Hikari über den Tisch hinweg.

„Ja, ich… oh!“ Ihr fiel ein, dass sie in der Aufregung ganz vergessen hatte, dass sie ja das Tütchen mit der gelben Schleife und den Pralinen noch bei sich hatte. Sie fischte es aus ihrer Handtasche heraus. „Eigentlich wollte ich ihm die hier geben, aber naja…“ Sie zuckte mit den Schultern und lächelte schief.

„Selbstgemachte Pralinen?“ Er nahm ihr die Tüte aus der Hand und musterte die blumenförmigen Schokopralinen. Dann richtete er den Blick wieder auf sie. „Du weißt doch, dass er eine Freundin hat.“

„Ach, so ist das ja auch gar nicht gemeint“, sagte Hikari und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist nur so eine kleine Tradition. Ich mache ihm einfach Pralinen, weil ich ihn gern hab‘. Fertig.“

Yamato runzelte argwöhnisch die Stirn. „Weil du ihn gern hast.“

Sie nickte.

„Pralinen am Valentinstag bedeuten…“

„Ja, ich weiß, aber so ist das bei uns nicht.“

Er grinste breit. „Na wenn das so ist, kann ich sie ja jetzt haben.“

Sie hob die Augenbrauen und sah ihn erstaunt an. „Willst du echt?“

„Klar. Mich hast du doch auch gern, oder?“

Oh, wenn er nur wüsste, wie gern sie ihn hatte. Wie sich ihr Herz in seiner Nähe überschlug und wie ihre Hände zitterten und schwitzten.

Sie lächelte und schob ihm die Tüte über den Tisch hinweg zu. Er griff danach, zog die Schleife auf und steckte sich eine Praline in den Mund. Hikari beobachtete ihn dabei, wie er darauf herumkaute und sich schließlich über die Lippen leckte.

„Mh, echt lecker. T.K. verpasst was“, lobte er.

Hikari war sich sicher, dass, könnte Takeru zwischen Pralinen und mit Mimi schlafen wählen, sich für letzteres entschieden hätte, doch trotzdem freute sie sich über seine Bemerkung. „Danke.“

„Wieso hast du mir eigentlich noch nie Pralinen gemacht?“, fragte Yamato und steckte sich eine zweite in den Mund.

„Ich weiß nicht. Du hast nie danach gefragt“, antwortete Hikari schulterzuckend. „Hättest du denn… welche gewollt?“

„Klar. Erst recht an Valentinstag.“ Er zwinkerte verschwörerisch und Hikari wurde schon wieder rot.

„Hast du denn heute schon was bekommen?“, fragte sie neugierig, obwohl sie die Antwort schon erahnen konnte.

Er hob die Augenbrauen. „Ja, auch ein paar Briefe und Pralinen. Aber deine hier sind die besten bisher.“

„Schleimer“, sagte Hikari und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Das ist kein Schleimen. Ich meine das ernst“, erwiderte er lächelnd.

Sie wandte den Blick ab und kratzte sich am Kopf. Ihr wurde auf einmal ganz heiß. „Hast du eigentlich auch etwas von Sora gehört heute?“ Die Frage war heraus, bevor sie darüber nachgedacht hatte.

Sein Blick verfinsterte sich ein wenig und er seufzte tief. „Sie hat mir in einer SMS einen fröhlichen Valentinstag gewünscht und geschrieben, dass sie hofft, dass es mir gut geht und ob wir uns vielleicht mal wieder zum Quatschen treffen wollen.“

Hikari beobachtete ihn aufmerksam. Er hatte den Kopf auf der Hand abgestützt und starrte auf irgendeinen unbestimmten Punkt. Seit jener Nacht, in der Yamato sturzbetrunken bei den Yagamis aufgetaucht war, hatten er und Hikari kein Wort mehr darüber verloren und dennoch war diese Nacht noch präsent in ihrem Kopf, als wäre es erst gestern gewesen. Dabei war es nun schon über ein halbes Jahr her.

„Das klingt echt mies“, meinte sie und presste die Lippen aufeinander.

Er zuckte mit den Schultern. „Bin langsam darüber hinweg, denke ich.“

Sie lächelte und freute sich innerlich. Nicht nur, weil es ihm wieder besser ging, sondern weil sie das Gefühl hatte, ihre Chancen würden steigen, wenn er Sora endlich vergaß. „Freut mich.“

Yamato erwiderte ihr Lächeln und nippte an dem Kaffee, der inzwischen gebracht worden war. Er stellte die Tasse wieder ab, stützte den Kopf auf der Hand ab und musterte Hikari interessiert. „Was ist bei dir eigentlich so los? Gibt’s da jemanden?“

Verlegen senkte Hikari die Lider und grinste beschämt. „Kann schon sein.“

Er hob eine Augenbraue. „Tatsächlich? Wen denn?“

„Ach, niemand, den du kennst“, antwortete sie hastig und winkte ab.

„Weiß Tai davon?“, fragte Yamato weiter.

„Nein, nein“, log sie schnell, obwohl sie vermutete, dass Taichi tatsächlich vergessen hatte, dass sie in Yamato verliebt war. Damals hatte er es als Schwärmerei abgetan und sie hatte nie wieder mit ihm darüber geredet. Der Einzige, der tatsächlich davon wusste, war Takeru.

„Vielleicht sollte er das auch besser nicht erfahren“, meinte Yamato geheimnisvoll lächelnd.

„Wieso?“, fragte Hikari verwirrt.

„Glaub‘ mir, er würde den Kerl aufsuchen und ihm die Hölle heiß machen, bevor er überhaupt von seinem Glück weiß“, erklärte Yamato.

Hikari seufzte ein wenig genervt und lehnte sich zurück. So konnte sie sich ihren Bruder tatsächlich vorstelle. Er hatte sie zwar früher oft geärgert, doch im Moment machte er sich meist Sorgen um sie und stellte ihr unnatürlich viele Fragen zu ihrem Privatleben.

Wenn Yamato doch nur wüsste, dass er gerade über sich selbst sprach…

„Ich werde ihm nichts erzählen“, versprach sie ehrlich.

Er nickte zufrieden. „Aber falls dir mal irgendein Kerl Probleme macht, sag‘ mir ruhig Bescheid, okay? Ich regle das dann.“

Hikari spürte die Hitze in ihrem Gesicht aufsteigen und konnte sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen. Seine Fürsorge machte sie verlegen, obwohl er dieses Verhalten ihr gegenüber schon immer an den Tag gelegt hatte. „Wenn es soweit ist, wirst du es als Erster erfahren, okay?“

„Das will ich schwer hoffen.“

Einen Augenblick lang schwiegen sie und nippten an ihren Getränken, dann räusperte sich Yamato und sah Hikari wieder an. „Ich habe den Eindruck, dass es zwischen T.K. und Mimi ziemlich gut läuft, oder?“

Hikari musste es sich verkneifen, die Augen zu verdrehen. Ja, zwischen den beiden Turteltauben lief es anscheinend sehr gut. Zumindest war Takeru ganz verrückt nach ihr und konnte es immer kaum erwarten, Zeit mit ihr zu verbringen. Jedoch fragte Hikari sich, ob die beiden außer Sex überhaupt etwas miteinander unternahmen.

„Sieht so aus“, murmelte sie.

„Versetzt er dich oft?“, fragte Yamato und sah sie nun ernst an.

Hikari zögerte. „Naja, manchmal. Aber das ist schon okay, er ist halt verliebt und ich bin nur seine beste Freundin.“

Yamato wischte sich mit einer Hand die blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ihm immer wieder in die Augen fielen und machte eine skeptische Miene.

„Ist das wirklich okay?“, hakte er nach.

„Mhm“, machte Hikari und nickte zur Bestätigung.

„Wenn du dich mal langweilst und mein kleiner Bruder keine Zeit für dich hat, kannst du dich auch bei mir melden. Dann können wir was zusammen machen“, schlug er lächelnd vor und ließ damit Hikaris Herz höher schlagen.

„Klar, das wäre echt cool.“

30. Kapitel, in dem Hikari die Welt zu Füßen liegt

Am nächsten Tag saßen Hikari und Takeru zusammen in seinem Zimmer. Soeben war Hikari zu ihm gekommen und noch hatte keiner der beiden ein Wort gesagt. Zu peinlich war beiden das, was gestern geschehen war. Dann fingen sie gleichzeitig an zu reden.

„Kari, das gestern…“

„Keru, gestern hab‘ ich…“

Sie sahen sich an und lachten.

„Du zuerst“, sagte Takeru und sah sie auffordernd an.

„Ich wollte nur sagen, dass ich gestern Matt getroffen habe. Er war gerade auf dem Weg zu dir. Ich hab‘ ihn aufgehalten“, erzählte sie und blickte beschämt zu Boden. „Sorry, dass ich einfach reingeplatzt bin, aber die Tür stand offen und… naja.“

„Schon okay“, meinte Takeru schulterzuckend.

„Aber sag‘ mal, machen du und Mimi eigentlich überhaupt irgendwas anderes als Sex, wenn ihr euch seht?“, fragte Hikari nun schnippisch und grinste ihn an.

Takeru musterte sie mit zu Schlitzen verengten Augen. „Man kann was anderes machen als Sex? Was denn?“

„Naja, zum Beispiel miteinander reden oder ins Kino gehen oder kochen oder so“, erwiderte sie.

Er tat, als müsste er darüber nachdenken, dann setzte er eine überraschte Miene auf. „Du hast Recht. Über sowas habe ich ja noch nie nachgedacht! Danke für die Tipps, das werde ich mal versuchen umzusetzen.“

„Glaubst du, du schaffst das?“, fragte Hikari nun und hob zweifelnd eine Augenbraue.

„Ich schon. Aber ob Mimi das schafft… Schon wenn sie mich nur sieht, will sie mir sofort die Klamotten vom Leib reißen. Sie kann mir einfach nicht widerstehen.“ Er lächelte verwegen und fuhr sich in einer geschmeidigen Bewegung durch die Haare.

Hikari lachte und verpasste ihm einen Klaps gegen den Arm. „Du bist so ein Spinner. Zum Glück bist du so bescheiden.“

„Hat Matt denn noch irgendwas erzählt gestern?“, fragte Takeru nun wieder ernst.

„Wir waren noch zusammen im Café und haben noch ein bisschen gequatscht“, antwortete Hikari und fing unwillkürlich an zu lächeln bei der Erinnerung an das Gespräch mit Yamato. Verlegen tat sie, als müsste sie ihre Fingernägel überprüfen.

„Kari. Ich dachte, du hättest ihn inzwischen aufgegeben“, seufzte Takeru und klang ein wenig genervt.

„Aber warum? Er hat doch keine Freundin, also ist doch alles gut“, erwiderte sie schulterzuckend.

„Ja, aber nur weil er keine Freundin hat, heißt das noch lange nicht, dass er…“

„… dass er mich gut genug finden würde?“ Sie hob den Kopf und sah ihn verletzt an.

„Das wollte ich nicht sagen.“

Sie schwiegen für einen Moment. Dann seufzte Takeru schwer.

„Mann, Hika. Warum Matt? Von all den Typen, die du haben könntest, warum verliebst du dich da ausgerechnet in Matt?“

„Das klingt ja, als würde mir die ganze Welt zu Füßen liegen“, murmelte Hikari spöttisch.

„Naja zumindest unsere halbe Klasse tut es und auch in der zweiten und dritten gibt’s welche. Du wirst doch ständig von irgendwem nach einem Date gefragt. Warum gibst du nicht einfach mal einem ’ne Chance?“

„Keine Ahnung“, murmelte sie ausweichend, obwohl sie die Antwort genau kannte. Es gab einfach nur einen Jungen, der seit Jahren durch ihre Gedanken schwirrte, und an diesen kam niemand heran. Keiner konnte ihm das Wasser reichen. Doch sie wollte jetzt nicht mit Takeru über dessen Bruder diskutieren.

„Du solltest es mal versuchen“, fand er. „Und wenn es blöd ist, brauchst du dich ja nie wieder mit ihm zu treffen.“

„Vielleicht hast du ja Recht“, murmelte sie, nur damit er endlich aufhörte, über irgendwelche Typen zu reden, mit denen sie sich treffen sollte.

„Klar hab‘ ich das. Mimi hat mich übrigens gefragt, ob ich mit ihr auf ihren Abschlussball gehe“, verkündete er dann wie aus dem Nichts.

Überrascht sah Hikari ihn an. Natürlich, der Abschlussball der dritten Klasse stand vor der Tür und Takeru war mit einer Drittklässlerin zusammen. Es war klar, dass er gefragt werden würde, doch trotzdem überraschte es Hikari.

„Oh“, machte sie. „Und gehst du hin?“

„Klar. Wenn du es schaffst, dir bis dahin noch einen anzulachen, können wir sogar zusammen hingehen“, erwiderte er grinsend.

Hikari musterte ihn nachdenklich. Noch vor einer Weile war sie diejenige gewesen, die seine komplette Aufmerksamkeit hatte. Dass er jetzt so leichtfertig darüber redete, dass sie sich mit einem Jungen treffen sollte, verletzte sie schon beinahe.

 

Nur zwei Tage später bekam Hikari tatsächlich eine Einladung zum Abschlussball der dritten Klasse. Er hieß Makoto, war ebenfalls im Basketballteam und sie hatte sich schon ein oder zwei Mal mit ihm zuvor unterhalten, wenn auch nur über Takeru. Er war plötzlich einfach an sie herangetreten und hatte sie gefragt, ob sie ihn zum Ball begleiten wollte. Hikari fiel es schwer, ihre Überraschung zu verbergen und sie hatte einfach ja gesagt. Am Ende des Tages machte sie sich gemeinsam mit Takeru auf den Weg nach Hause.

„Sag‘ mal“, konfrontierte sie ihn, sobald sie das Schulgelände verlassen hatten, „Makoto hat mich heute auf den Ball eingeladen. Hast du damit rein zufällig etwas zu tun?“

„Was? Wie kommst du denn darauf?“ Sein Grinsen verriet ihn.

„T.K., du brauchst nicht für mich Amor zu spielen“, wies Hikari ihn zurecht und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist total peinlich. Was hast du zu ihm gesagt? Und was soll er denn jetzt von mir denken? Dass ich zu feige bin, mich selbst um ein Date zu kümmern?“

„Hey, keine Angst“, erwiderte Takeru lachend. „Ich habe ihm nur einen kleinen Tipp gegeben.“

„Was denn für einen? ‚Wenn du keine findest, versuch‘ es mit Kari. Die ist immer noch Jungfrau und leicht zu haben‘?“

„Nein, Mann! Ich hab‘ mit ihm über den Ball geredet und er meinte, er hätte noch kein Date, aber findet dich ganz süß.“

Hikari starrte ihn mit großen Augen an. „Das hat er nicht gesagt!“

„Doch“, antwortete Takeru grinsend. „Hab‘ ihn dann nur ermutigt, dich einfach mal zu fragen und das war schon alles. Hast du denn zugesagt?“

„Das wüsstest du wohl gern“, sagte Hikari schnippisch.

„Bist du jetzt eingeschnappt? Ich hab‘ doch nur ein bisschen nachgeholfen“, protestierte Takeru und klang fast ein wenig verzweifelt. „Ich wollte dich doch nur auf dem Ball dabei haben.“

„Warum? Damit ich dir und Mimi beim Fummeln zugucken kann?“ Sie sah ihn schief von der Seite an.

„Mann, Hika!“ Er blieb stehen und griff nach ihrem Arm, um auch sie zum Anhalten zu bringen. Sie drehte sich zu ihm um. „Ich fände es einfach nur cool, wenn du auch dabei wärst, okay?“

Hikari lächelte leicht. „Na dann hast du ja Glück gehabt. Ich habe ihm zugesagt.“

31. Kapitel, in dem Takeru und Hikari auf den Abschlussball gehen

An einem Samstag Ende März, am Tag des Abschlussballs, klingelte Takeru an Mimis Wohnungstür, um sie abzuholen. Gespannt wartete er, dass jemand öffnete und fragte sich, wie Mimi wohl aussehen würde. Sicherlich umwerfend. Aus ihrem Kleid hatte sie ein Geheimnis gemacht und wollte es ihm unter keinen Umständen vor dem Ball zeigen. Sie würde die Blicke der meisten Jungs auf sich ziehen, so wie sie es immer tat mit ihrem hübschen Gesicht und ihrer Traumfigur.

Mimis Vater öffnete die Tür und grinste Takeru an. „Sie ist unterwegs.“ Er trat zur Seite und Takeru spähte neugierig an ihm vorbei. Das Klackern von Absätzen kündigte Mimis Näherkommen an, dann bog sie im Flur um die Ecke und erschien, begleitet von ihrer strahlenden Mutter, an der Wohnungstür.

Takeru blieb der Mund offen stehen. Sie trug ein langes, goldfarbenes Kleid aus fließendem Stoff mit Trägern. Das Kleid schmiegte sich perfekt an sie und betonte ihre schlanke Figur. Ihr Gesicht war stärker geschminkt als sonst und betonte besonders ihre Augen und ihre vollen Lippen. Die hellbraunen Haare hatte sie auf einer Seite weggesteckt, auf der anderen fielen sie ihr jedoch bis über die Brust. Sie lächelte und hauchte Takeru einen Kuss auf die Lippen.

„Gefall‘ ich dir?“, fragte sie und drehte sich anschließend einmal im Kreis, wobei sie einen tiefen Rückenausschnitt präsentierte, der ihre makellose Haut zeigte.

„Und wie“, brachte Takeru heraus.

Mimi und ihre Eltern lachten, dann verabschiedeten sie sich und machten sich auf den Weg zum Ball.

Dieser fand in der Sporthalle der Schule statt, die für diesen Anlass mit dunklen Teppichen ausgelegt worden war. An den Wänden und der Decke hingen zahlreiche Girlanden und Lichterketten. Ein DJ spielte leise Musik, denn noch war der Ball nicht in Gang. Mädchen trugen Kleider in leuchtenden Farben und Jungs dunkle Anzüge. Viele tummelten sich am Eingang, die meisten waren jedoch bereits in der Halle, um nach ihren Plätzen Ausschau zu halten. Takeru hielt Mimi an der Hand und hielt gleichzeitig nach Hikari Ausschau. Sie hatte ihm erzählt, dass sie ein schwarzes Kleid tragen würde. Sie wollte unter keinen Umständen auffallen, da es nicht ihr Abschlussball war, doch gezeigt hatte sie Takeru das Kleid trotzdem nicht. Er verstand nicht, warum Frauen so ein Geheimnis um ihre Kleider machen mussten. Es waren immerhin nur Kleider. Nackt sahen sie ohnehin alle besser aus.

„Suchst du Kari?“, fragte Mimi, die bemerkt hatte, wie sein Blick durch die Menge schweifte.

„Ja. Vielleicht könnten wir kurz zu ihr“, antwortete er.

„Meinetwegen“, seufzte Mimi.

Als er sie draußen nicht entdecken konnte, gingen sie in die Halle, wobei sie immer wieder stehen blieben, um ein paar von Mimis Freunden zu begrüßen.

In der Halle entdeckte Takeru Hikari und Makoto recht schnell. Sie standen in einem Grüppchen von sechs Leuten und unterhielten sich. Zumindest Makoto unterhielt sich. Hikari stand neben ihm und wirkte ein wenig fehl am Platz.

„Da ist sie“, sagte Takeru und zog Mimi mit sich mit zu Hikari. Als diese Takeru bemerkte, sah sie ihn an und strahlte über das ganze Gesicht.

„T.K.!“, rief sie und umarmte ihn. Überrascht erwiderte er ihre Umarmung. Sie musste wirklich froh sein, ihn zu sehen. Als sie ihn wieder losließ, musterten sie sich gegenseitig von oben bis unten. Ihr Kleid war ein knielanges, schwarzes Trägerkleid, das sehr schlicht gehalten war. Dazu trug sie cremefarbene Schuhe. Ihr Haar war wie immer glatt, offen und an einer Seite mit einer Spange befestigt, um die störende Strähne daran zu hindern, ihr ins Gesicht zu fallen. Außerdem war sie ein wenig geschminkt, jedoch lange nicht so auffällig wie Mimi. Diese hatte sich inzwischen an das Grüppchen gewandt und sich in die Unterhaltung eingemischt.

„Oh mein Gott, dein Anzug!“ Hikari starrte ihn mit großen Augen an und lachte dann, woraufhin er eine Augenbraue hob und an sich heruntersah.

„Was ist damit?“, fragte er in Erwartung, irgendwo einen Fleck oder ein Loch zu haben.

„Nichts, alles in Ordnung. Du siehst richtig gut aus, weißt du das?“ Sie kicherte noch immer, als sie ihm wieder in die Augen sah.

„Warum überrascht dich das? Willst du mich beleidigen?“, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Nein, du Idiot. Ich wollte einfach nur sagen, dass du… echt toll aussiehst“, sagte sie lächelnd.

„Ähm… danke?“ Er grinste verlegen. Mimi war mit ihm shoppen gegangen und hatte ihm einen Anzug ausgesucht, der zu ihrem Kleid passen würde. Der Anzug war schwarz und dazu trug er ein weißes Hemd. „Du siehst auch hübsch aus.“

„Danke“, murmelte Hikari und richtete unnötigerweise ihre Haare.

 

Der Abend verlief, wie ein typischer Abschlussball in Takerus Vorstellung ablief. Er tanzte hin und wieder ungeschickt mit Mimi, jedoch hatte er nie einen Tanzkurz belegt und hatte keine Ahnung, wie man sich eigentlich bei einem Partnertanz bewegte. Mimi lachte und versuchte immer wieder, es ihm zu zeigen, doch ständig stolperte er oder ging in die falsche Richtung. Irgendwann tanzte sie mit einem anderen Jungen aus ihrem Jahrgang und Takeru ließ sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen, nippte an seiner Cola und beobachtete sie nur. Mit dem anderen Jungen sah es besser aus, ziemlich gekonnt. Und für Takerus Begriffe lag die Hand des Jungen zu weit unten an ihrem Rücken. Er runzelte die Stirn, doch dann gerieten die beiden aus seinem Sichtfeld, da sich andere Paare vor sie schoben.

Takeru hielt nach Hikari Ausschau, die mit Makoto tanzte. Auch bei den beiden sah es gekonnt aus. Hikaris Bewegungen waren geschmeidig und grazil. Hin und wieder schenkte sie Makoto ein Lächeln, das Takeru einen seltsamen Stich im Herzen verspüren ließ.

Nach dem Lied jedoch trennten die beiden sich voneinander. Makoto ging an einen anderen Tisch und Hikari kam auf ihn zu, grinste und setzte sich neben ihn.

„Na, du bist ja so allein hier.“

„Mimi tanzt gerade mit jemand anderem“, murmelte Takeru und zuckte mit den Schultern. „Und wie läuft’s bei euch?“

„Ganz gut. Makoto ist echt nett“, antwortete Hikari.

Nun grinste Takeru vielsagend. „Siehst du? Und du hast dich beschwert, dass ich ein Date für dich arrangiert habe.“

„Weil ich deine Hilfe nicht brauche, um Typen kennenzulernen“, erwiderte Hikari abwinkend. „Ich kann das allein.“

„Ja, merke ich. Ohne mich wärst du doch gar nicht hier.“

Sie warf ihm einen feindseligen Blick zu. „Suchst du jetzt Streit? Oder willst du mein Wingman werden?“

„Dein Wingman? Nee, lieber nicht.“ Er zog die Nase kraus. Er wollte ganz sicher nicht Hikari dabei helfen, den Mann ihres Lebens zu finden. Dass aus ihr und Makoto etwas werden würde, hatte er nicht eine Sekunde lang geglaubt. Er wollte nur, dass sie sich von ihren Gedanken an Yamato ein wenig ablenkte und etwas Spaß hatte. Und er wollte sie bei diesem Ball dabei haben.

„Gut. Du wärst eh ein miserabler Wingman“, behauptete Hikari und sah ihn herausfordernd an.

„Wieso das denn?“, fragte er verwirrt. „Ich bin dafür ja wohl total geeignet.“

„Jeder Kerl würde doch sofort denken, dass du mein Freund bist und mich deswegen gar nicht erst ansprechen. Du siehst einfach zu gut aus für einen Wingman“, erwiderte Hikari, als wäre es die logischste Sache der Welt. Dann sah sie ihn an, offensichtlich erschrocken über das, was sie gesagt hatte, und wurde rot um die Nase. Auch Takeru fühlte sich ein wenig verlegen wegen dieses unverhofften Kompliments.

„Ähm… danke?“

„Also ich meinte… was ich sagen wollte… ähm…“ Sie wandte sich von ihm ab und nahm einen großen Schluck von ihrem Wasser, sodass Takeru lachen musste.

„Schon okay. Mach‘ mir ruhig Komplimente“, meinte er und beobachtete sie weiter.

„Nö, sonst kriegst du noch einen Höhenflug. Hast du Lust, stattdessen mit mir zu tanzen?“ Fragend sah sie ihn an, die Wangen noch immer rot gefärbt.

„Ich kann nicht tanzen“, erwiderte Takeru entschlossen.

„Mit Mimi schon?“

„Es ist ihr Abschlussball. Ich musste mit ihr tanzen, oder?“

Hikari zog eine Schnute. „Na schön. Dann eben nicht.“

„Jetzt sei nicht beleidigt.“

Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete die tanzenden Paare. Takeru wusste genau, dass sie eingeschnappt war. Nahezu jedes einzelne Körperteil verriet sie: die verschränkten Arme, das leicht gereckte Kinn, die halb gesenkten Lider, der nach rechts verzogene Mund, der wippende Fuß…

„Habe ich dir schon gesagt, wie gut dir dein Kleid steht?“, fragte er in einem Versuch, sie wieder zu besänftigen. „Deine Schultern sehen damit wirklich schmal aus. Und es macht deine Oberweite größer. Und insgesamt siehst du noch schlanker aus, als du sowieso schon bist. Und wie gut deine Beine erst…“

Ihr Lachen unterbrach ihn. „Halt‘ die Klappe, du Schleimer.“ Doch immerhin schien sie nicht mehr beleidigt zu sein.

Grinsend zuckte er mit den Schultern. „Einer muss dir ja mal Komplimente machen.“

„Blödmann. Makoto hat auch gesagt, dass ich hübsch aussehe.“

„Ja“, sagte Takeru, stützte den Ellbogen auf dem Tisch ab und sah sie an. „Aber hat er auch betont, wie schmal deine Taille aussieht und wie gut deine Haare liegen?“

Wieder musste sie lachen und verpasste ihm einen Klaps gegen den Arm. „Wenn du nicht gleich aufhörst, werde ich Mimi sagen, dass ihr Freund gerade fremdflirtet.“

„Ich flirte doch gar nicht, ich sage nur die Wahrheit“, erwiderte Takeru lässig.

Hikari kicherte und sah ihn dann an. „Mimi hat echt Glück, jemanden wie dich abbekommen zu haben.“

Er hob eine Augenbraue. „Weißt du noch, als wir Mimi vor einem Jahr das erste Mal gesehen haben und du sagtest, ich hätte sowieso keine Chance?“

Sie nickte und ein seltsamer Ausdruck schlich sich in ihre Augen. Er wüsste nur zu gern, was sie gerade dachte.

„Ja, ich erinnere mich sehr gut.“

32. Kapitel, in dem ein unverzeihlicher Fehler begangen wird

Es war kurz vor den Sommerferien und Hikari machte sich gerade für einen Tag am Strand mit Takeru fertig. Der Tag versprach, heiß zu werden, wie auch schon die vorangegangenen Tage. Sich im Bikini an den Strand zu legen und hin und wieder ins Wasser zu hüpfen, schien die einzig vernünftige Tagesbeschäftigung zu sein.

Es war schon Mittag und aus Taichis Zimmer hatte sie noch immer keinen Mucks gehört. Er war letzte Nacht irgendwo feiern gewesen und hatte ein Mädchen mit nach Hause gebracht. Das wusste Hikari, weil sie mitten in der Nacht von lustvollem Stöhnen geweckt worden war. Seit er studierte, brachte Taichi immer wieder mal Mädchen für eine Nacht mit nach Hause, die sich dann jedoch früh morgens wieder aus dem Haus schlichen. Oft wachte Hikari auf, wenn er sich mit ihnen mitten in der Nacht vergnügte. Meist zog sie sich, wie auch letzte Nacht, genervt die Decke über den Kopf und versuchte, wieder einzuschlafen.

Hikari war gerade auf dem Weg zur Wohnungstür, als Taichis Zimmertür aufging und das Mädchen im Türrahmen stand. Hikari wollte eigentlich gleich weitergehen und Taichis Bettgefährtin gar nicht weiter beachten, doch sie kam ihr aus den Augenwinkeln so bekannt vor. Also drehte sie sich doch zu ihr um, um sich zu versichern, dass sie es nicht war. Doch sie war es.

„Mimi?!“ Fassungslos starrten sich die Mädchen an. Mimi strahlte gerade nicht vor Schönheit, so wie sonst. Ihr Haar war zerzaust und teilweise plattgelegen. Offenbar hatte sie sich letzte Nacht nicht abgeschminkt, denn ihre Wimperntusche und ihr roter Lippenstift waren verschmiert. Sie war außerdem ziemlich blass und sah müde aus.

„Hi-hikari“, stotterte sie und hielt sich am Türrahmen fest, als hätte sie Angst, umzufallen.

„Was machst du hier mit meinem Bruder?“, fragte Hikari schrill.

„Ich… wir… oh Gott… das war nur…“ Hilfesuchend drehte sich Mimi um und Taichi erschien hinter ihr, nur mit Boxershorts bekleidet und sah nicht weniger müde aus. Er kratzte sich am Kopf und musterte erst Mimi und dann Hikari.

„Morgen“, murmelte er.

„Tai, was bitte soll das?“, fragte Hikari anklagend und deutete auf Mimi. „Warum war sie in deinem Zimmer? Bitte sag‘ mir nicht, ihr habt…“

„Wir waren total betrunken, okay?“, unterbrach Mimi sie. „Es war nur eine einmalige Sache. Nicht von Bedeutung. Oh, bitte sag‘ Takeru nichts.“

Hikari starrte Taichi an. Sie war entsetzt. Wie hatte er das nur tun können? Wie konnte er Takeru so hintergehen?

„Sie ist mit Takeru zusammen!“, erinnerte sie ihn. „T.K.! Weißt du noch? Kennst du den noch? Oder hast du dir gestern Nacht das Hirn weggesoffen?“

„Alter, Kari“, murmelte er und rieb sich die Schläfe. „Es ist einfach passiert, okay?“

„Einfach passiert?“, rief Hikari, dann starrte sie wieder Mimi an. Sie versuchte, so viel Abscheu, Empörung und Verachtung wie nur möglich in ihren Blick zu legen.

„Du darfst es ihm nicht erzählen“, wimmerte Mimi und erwiderte Hikaris Blick verzweifelt. „Bitte.“

„Dann erzähl‘ du es ihm“, forderte sie.

„Okay“, willigte sie kleinlaut ein.

„Heute“, betonte Hikari.

Mimi wandte den Blick ab und presste die Lippen aufeinander. Hikari setzte gerade dazu an, sie zu schimpfen, als Taichi sich einmischte.

„Kari, jetzt mach‘ mal halblang. Setz‘ sie nicht so unter Druck“, sagte er und trat einen Schritt auf sie zu.

„Ich soll… sag‘ mal, spinnst du?“ Hikari platzte der Kragen. „Rafft ihr überhaupt, was ihr getan habt? Ihr habt Takeru hintergangen! Macht es euch etwa Spaß, auf den Gefühlen anderer Menschen herumzutrampeln? Könnt ihr euch nicht mal eine Nacht lang zusammenreißen? Das ist wirklich das Letzte!“

„Hör‘ auf, dich einzumischen! Das geht dich überhaupt nichts an. Das ist unsere Sache“, fauchte Taichi und sah sie feindselig an.

„Ich werde es ihm sagen, okay?“, sagte Mimi und schien den Tränen nahe.

„Ihr seid so widerlich!“, zischte Hikari und verschwand aus der Wohnung. Rauchend vor Wut machte sie sich auf den Weg zum Strand, wo sie sich mit Takeru treffen wollte. Sie konnte einfach nicht glauben, was da passiert war. Sie wusste, dass Mimi jetzt zufällig an der gleichen Uni wie ihr Bruder studierte und die beiden sich eventuell ab und an auf dem Campus über den Weg liefen, doch sie hätte nie gedacht, dass sich daraus etwas entwickeln könnte. Sie hatte gedacht, die Affäre, die sie vor einer Weile gehabt hatten, war längst Geschichte.

Doch vielleicht war es ja auch gar kein Zufall gewesen, dass Mimi sich an der gleichen Uni wie Taichi beworben hatte?

Hikari blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Gedanken rasten, suchten nach einer Situation, die ihren plötzlichen Verdacht bestätigte. Hatte Taichi Mimi in den letzten Monaten vielleicht mal erwähnt? Oder sie gar gesehen? Nein, nicht dass Hikari wüsste. Aber vielleicht war er auch sehr vorsichtig gewesen. Vielleicht war dieser Betrug schon seit langem geplant.

Sie zuckte zusammen, als ihr plötzlich jemand von hinten die Augen zuhielt.

„Hier ist dein schlimmster Alptraum“, raunte eine tiefe, verstellte Stimme in ihr Ohr.

„Scherzkeks“, murmelte Hikari, konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen. Sie drehte sich um und Takeru nahm die Hände von ihren Augen und lächelte sie an.

„Hi“, begrüßte er sie gut gelaunt.

Angestrengt wich Hikari seinem Blick aus und ging sogleich weiter Richtung Strand.

„Warum standest du hier eigentlich so in der Gegend rum?“, fragte Takeru, als sie keine Anstalten machte, etwas zu sagen.

„Ähm… hab‘ nur überlegt, ob ich meine Sonnencreme eingepackt habe“, log Hikari hastig.

„Ich hab‘ welche mit, die du haben kannst. Die ist noch von Mimi. Hat sie mal bei mir vergessen“, sagte Takeru.

Hikari spürte einen schmerzhaften Stich in der Magengegend. Mimi. Sollte sie es ihm sagen? Es würde ihm das Herz brechen, doch er musste es erfahren. Jedoch hatte Taichi im Grunde genommen Recht. Eigentlich ging es sie ja wirklich nichts an, aber Takeru war ihr bester Freund. Sie konnte ihn doch nicht so einfach im Dunkeln tappen lassen. Sie musste Mimi bei Gelegenheit ein Ultimatum setzen. Eine Woche würde sie ihr noch Zeit geben, es Takeru zu erzählen, bevor sie es ihm selbst sagen würde.

Sie schlenderten zum Strand, wo es an diesem heißen Tag besonders voll war, und suchten sich ein freies Plätzchen nahe des Wassers. Sie breiteten die Decke auf dem heißen Sand aus, schlüpften aus ihren Klamotten und ließen sich auf die Decke fallen.

„Es ist viel zu heiß“, beschwerte Takeru sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Vielleicht hätten wir doch in unseren kalten Wohnungen bleiben sollen.“

Wieder dachte Hikari an Taichi und Mimi zurück, die sich in der kalten Wohnung vergnügt hatten. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wäre Takeru plötzlich noch dazugestoßen.

„So warm ist es doch gar nicht“, murmelte Hikari, obwohl es unerträglich heiß war. Verstört sah Takeru sie an.

„Es sind gefühlt tausend Grad“, murrte er und blickte sehnsüchtig Richtung Wasser. „Kommst du mit eine Runde schwimmen?“

„Nein, geh‘ allein. Ich tanke noch ein bisschen Sonne“, erwiderte Hikari ausweichend. Sie lag auf dem Rücken und tat, als würde sie ein Nickerchen in der Sonne halten wollen, doch Takeru beugte sich über sie und musterte sie misstrauisch.

„Sag‘ mal, stimmt irgendwas nicht mit dir?“, fragte er.

„Nur ein bisschen müde“, antwortete Hikari und gähnte herzhaft, wie um ihre Lüge zu bestätigen.

„Ehrlich? Mir kommst du eher vor, als hättest du heute Morgen ein Gespenst gesehen“, sagte er.

„Ach, so ein Quatsch“, nuschelte Hikari. „Los, geh‘ schwimmen, sonst jammerst du noch weiter über die Hitze.“

„Vielleicht hast du ja auch einfach nur deine Tage“, überlegte Takeru weiter.

„Boah, Keru!“

Er lachte, stand auf und ging zum Wasser, während Hikari zurückblieb. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen, sonst würde er noch herauskriegen, dass sie ihm etwas verheimlichte. Sie hasste Mimi und Taichi dafür, was sie getan hatten und auch dafür, dass Hikari nun davon wusste. Wie sollte sie es nur schaffen, den ganzen Tag mit Takeru zu verbringen, ohne ihm etwas zu sagen?

„Hikari?“

Sie zuckte zusammen, setzte sich auf und blickte in Makotos Gesicht.

„Oh, hallo“, begrüßte sie ihn verwundert.

„Hi! Ich habe dich gerade gesehen und mir gedacht: Mann, die kennst du doch“, erklärte er grinsend. „Wie geht’s dir so?“

„Ähm… gut, danke und dir?“ Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Zuletzt hatte sie Makoto am Abend seines Abschlussballs gesehen und seither keinen Kontakt zu ihm gehabt. Gefunkt hatte es nicht gerade zwischen ihnen.

„Auch“, antwortete er.

„Wie läuft dein Studium bisher so?“, fragte sie interessiert. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass er ihr erzählt hatte, dass er ein Sportstudium anfangen würde.

„Gut“, erwiderte er. „Ist ganz cool eigentlich und die Leute sind ganz nett. Aber ich bin echt froh, dass jetzt fast Ferien sind.“

Hikari nickte. „Kann ich mir vorstellen.“ Noch konnte sie sich nicht vorstellen, selbst mal die Schule zu verlassen und zu studieren.

„Sag‘ mal, bist du ganz allein hier? Ich bin mit ein paar Kumpels gekommen. Wenn du willst, kannst du zu uns kommen“, bot er ihr dann lächelnd an.

„Nein, ich bin mit Takeru hier. Aber danke für das Angebot“, antwortete sie, sein Lächeln erwidernd.

„Oh, achso. Na, dann geh‘ ich mal wieder rüber“, verkündete er. Er hatte sich schon halb zum Gehen umgedreht, als er sie noch einmal ansah. „Sag‘ mal, hättest du Lust, mal was zusammen zu machen? Was trinken gehen oder so?“

Verwirrt hob Hikari die Augenbrauen. „Ähm… klar, wieso nicht?“

33. Kapitel, in dem Mimi gesteht

„Du hast was?!“

Fassungslos starrte Takeru Mimi an, die wie ein Häufchen Elend vor ihm stand und ihn schuldbewusst ansah. Soeben hatte sie ihm gestanden, dass sie in der vergangenen Nacht mit einem anderen Jungen geschlafen hatte.

„Takeru, es tut mir so leid“, murmelte sie mit erstickter Stimme. „Es ist einfach passiert. Wir waren angetrunken und irgendwie…“

„Und deswegen nimmst du dir einfach den Nächstbesten?“

„Nein, so war es nicht.“ Sie wich seinem Blick aus und schüttelte den Kopf, wobei ihr langes Haar hin und her schwang.

Takeru atmete tief durch und ließ sich auf sein Bett fallen. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und sah sie an. Er konnte nicht glauben, was sie ihm gerade offenbart hatte. Hatte sie das wirklich gesagt oder träumte er vielleicht gerade nur? „Und wie war es dann?“

Erneut schüttelte sie den Kopf und griff sich mit einer fahrigen Bewegung in die Haare, fing an, eine Strähne in den Fingern zu drehen. „Ich… ich weiß es nicht. Es war ein Fehler und es hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir so leid.“

Takeru rieb sich die Schläfen. Ein seltsam beengendes Gefühl breitete sich in seinem Inneren aus und schien ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Vor seinem inneren Auge erschien ein Bild von Mimi und irgendeinem Typen zusammen im Bett. Takeru verspürte auf einmal den starken Drang, sich zu übergeben.

„Wer war der Typ? Kenne ich ihn?“, fragte er nach einigen Augenblicken des Schweigens. Vielleicht war es ja nur irgendwer und man konnte es wirklich auf den Alkohol schieben. Ein kurzer Moment der Schwäche.

Mimi zögerte. „Taichi.“

Takeru hob eine Augenbraue und sah sie an. Das konnte nicht sein. „Taichi wer?“

Mimi biss sich auf die Unterlippe, bevor sie antwortete. „Yagami.“

Es fühlte sich an, als wäre plötzlich ein Eisbrocken in seiner Brust eingeschlagen und schlummerte nun dort vor sich hin, alles in seiner Nähe einfrierend. Taichi Yagami. Der Wildfang, den Takeru schon sein ganzes Leben kannte. Der fast so etwas wie ein Bruder für ihn war. Ungläubig starrte er Mimi an, darauf wartend, dass sie zugab, dass es doch nicht Taichi gewesen war. Er suchte nach irgendeinem Zeichen in ihrer Mimik, dass sie log, doch sie erwiderte seinen Blick. Tränen liefen ihr mittlerweile über die Wangen.

„Es tut mir so leid“, wiederholte sie mit erstickter Stimme. „Es war wirklich nicht geplant. Nicht gewollt. Takeru, du… ich… bitte verzeih‘ mir.“

„Scheiße“, murmelte Takeru und stützte die Stirn auf den Händen ab. Es tat weh. Wie konnte sie ihm das nur antun?

„Takeru…“ Er spürte, wie sie behutsam eine Hand auf seine Schulter legte, doch er schüttelte sie ab und sprang auf.

„Lass‘ mich in Ruhe“, murmelte er und ging zum Fenster.

„Lass‘ uns doch darüber reden und das klären“, bat Mimi, folgte ihm jedoch nicht.

„Was sollen wir denn noch klären?“

„Naja, was wird denn jetzt mit uns?“

Er starrte sein Spiegelbild an, das von der Fensterscheibe dank der Dunkelheit draußen reflektiert wurde. Langsam schüttelte er den Kopf. „Keine Ahnung.“

„Bitte gib‘ mir noch eine Chance. Ich mache es wieder gut. Irgendwie.“

„Geh‘ jetzt einfach“, sagte er nun etwas lauter.

Ein paar Sekunden lang stand sie noch hinter ihm und starrte ihn an, bevor sie leise seufzte und aus dem Zimmer ging. Takeru stand schweigend am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Irgendwann griff er nach seinem Handy und tippte eine Nachricht an Hikari ein.

 

Kannst du herkommen?

 

Schon zehn Minuten später klingelte es und Hikari stand keuchend an der Tür. Offenbar hatte sie sich beeilt. Es war offensichtlich, dass sie bereits wusste, was passiert war, denn sie sah ihn mitleidig an, bevor sie ihn ohne Vorwarnung umarmte. Takeru ließ es einfach über sich ergehen und ging anschließend mit ihr in sein Zimmer.

„Du wusstest es schon, oder?“, fragte er und lehnte sich gegen die geschlossene Tür.

Hikari presste die Lippen aufeinander und nickte.

„Seit wann? Gerade eben erst?“

„Heute Morgen. Mimi hat bei uns übernachtet“, antwortete sie leise.

Takeru runzelte die Stirn. „Du hast den ganzen Tag mit mir am Strand verbracht und nichts gesagt?“

„Keru, es tut mir leid. Glaub‘ mir, ich bin echt stinksauer auf Mimi und Tai, aber ich dachte, Mimi sollte es dir selbst sagen. Ich hätte es dir gesagt, wenn sie es nicht getan hätte, ehrlich“, erwiderte Hikari.

Takeru dachte kurz über das nach, was sie gesagt hatte, und nickte dann schließlich. Er wusste, dass sie ihm nichts Böses wollte. „Schon okay.“

Sie schien erleichtert, dass er nicht sauer auf sie war. „Sie ist echt eine Schlampe. Ich könnte sie umbringen! Was hat sich diese blöde Kuh nur gedacht? Und dann noch dieser doofe Tai! Er ist so schwanzgesteuert momentan, das ist so nervig. Bestimmt hat er total vergessen, dass Mimi eigentlich mit dir zusammen ist, anders kann ich mir das nicht erklären. Ich hätte ihm das nie zugetraut. Wie konnte er nur? Die beiden sind so scheiße!“

Takeru konnte nicht anders, als ein klein wenig zu grinsen. „Komm‘ mal wieder runter.“

Ungläubig starrte Hikari ihn an. „Warum bleibst du so ruhig?“

„Ich… irgendwie kann ich das alles nicht so richtig glauben“, seufzte Takeru und ließ sich wieder auf sein Bett fallen. Nachdenklich starrte er seine Zimmerdecke an. Ganz allmählich sickerte die Erkenntnis zu ihm durch, dass Mimi ihn betrogen hatte und was das bedeuten könnte. Ja, was bedeutete es eigentlich?

„Kann ich verstehen“, murmelte Hikari und setzte sich behutsam neben ihn auf das Bett. „Die beiden sind so bescheuert.“

„Warum hat sie das nur gemacht?“, fragte Takeru und schüttelte langsam den Kopf. „Ich versteh‘ das nicht. Ich dachte, sie wäre glücklich mit mir.“

Hikari griff nach seiner Hand und drückte sie sanft. „Sie hat dich nicht verdient. Du bist viel besser als sie.“

„Aber… ich liebe sie“, erwiderte Takeru und sah Hikari an.

Diese zog skeptisch die Augenbrauen hoch. „Keru, sie hat dich betrogen.“

„Ja, aber trotzdem.“

„Du wirst ihr das doch wohl nicht etwa verzeihen?“, fragte Hikari und musterte ihn durchdringend. Er wusste, was für eine Antwort sie hören wollte, doch er konnte sie ihr nicht geben.

„Ich weiß nicht. Ich will nicht, dass es aufhört“, gab er zu und wich ihrem Blick aus.

„T.K., Betrug geht gar nicht! Offensichtlich magst du sie mehr als sie dich, sonst hätte sie das ja nicht gemacht. Sie hat dich nicht verdient, du solltest sie abschießen“, sagte sie energisch und ließ seine Hand los.

„Du hast leicht reden“, seufzte er und rieb sich die Augen. „Du bist ja nicht in meiner Situation.“

Hikari kletterte über ihn hinweg, lehnte sich gegen die Wand und überkreuzte die Beine. „Na und? Ich finde, du solltest dich nicht so herumschubsen lassen. Du hast etwas Besseres verdient.“

Er schwieg und versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl sein würde, wenn er sich jetzt tatsächlich von Mimi trennen würde. Objektiv gesehen wäre es wohl die einzig vernünftige Lösung, doch Vernunft war hier fehl am Platz.

„Du bleibst doch nicht wirklich mit ihr zusammen, oder?“, riss Hikari ihn wieder aus seinen Gedanken.

Takeru ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Keine Ahnung. Ich glaube, wenn sie mich noch will, würde ich ihr verzeihen.“

Hikari fiel die Kinnlade herunter. „Wenn sie dich noch will? Aber… wie… du solltest sie nicht mehr wollen!“

„Vielleicht habe ich ja auch irgendwas falsch gemacht“, überlegte Takeru nun niedergeschlagen. Hatte ihr vielleicht irgendwas nicht gefallen? War er zu anhänglich? Oder zu unaufmerksam? Hatte er doch zu viel Zeit mit Hikari verbracht?

Diese starrte ihn gerade fassungslos an. „Nein, du darfst nicht dir die Schuld geben! Du bist ein toller Freund. Niemand weiß das besser als ich. Mimi ist einfach nur ein Flittchen, genau wie Tai.“

Takeru war unsicher. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt machen sollte. Hikari riet ihm unmissverständlich, sich von Mimi zu trennen und das war auch das, was sein Verstand ihm sagte. Doch sein Herz wollte sie nicht verlieren. Er wollte nicht all das aufgeben, was er bisher mit ihr hatte. Er brauchte sie doch. Mit ihr war immer alles schön. Nein, er würde sie nicht aufgeben.

„Ich werde noch mal mit ihr reden.“

34. Kapitel, in dem Takeru verzeihen will

Zwei Wochen lang hatte Takeru über Mimis Betrug nachgedacht und darüber, was er jetzt machen sollte. Schließlich hatte er sich dazu entschlossen, ihr zu sagen, dass er ihre Beziehung nicht beenden wollte. Nein, er wollte darum kämpfen. Jeder machte Fehler und jeder sollte in der Lage sein, zu verzeihen. Diese Dinge gehörten genauso zu einer Beziehung wie die schönen Dinge.

In freudiger Erwartung stand vor er vor der Tür, bis Mimi sie öffnete. Sie spähte durch den Türspalt und sah ihn erstaunt an.

„Takeru.“

„Hey. Kann ich rein kommen?“, fragte er leicht lächelnd.

„Ich… ähm… ich bin gerade nicht allein.“

Stutzig hob er eine Augenbraue. „Okay?“

Sie presste kurz die Lippen aufeinander. „Tai ist hier.“

Es fühlte sich an, als hätte eine kalte Hand Takerus Herz umklammert. Taichi war hier? „Tai? Wieso?“

„Wir mussten noch einmal über das reden, was passiert war“, murmelte sie ausweichend.

„Okay“, sagte Takeru langsam und mit neuer Hoffnung. Vielleicht war das Gespräch zwischen Taichi und Mimi ganz harmlos abgelaufen und sie hatte ihm erklärt, dass sie sich in einer glücklichen Beziehung befand und auch bleiben wollte. „Ich will auch mit dir reden.“

„Ähm…“ Fahrig strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wich seinem Blick aus. „Ich weiß nicht, ob es noch viel zu reden gibt.“

Da war er wieder, der kalte Griff. „Wie meinst du das?“

„Ich… habe Gefühle für Tai.“

Er starrte sie an und stolperte einen Schritt rückwärts. „Was?“

„Es tut mir leid“, flüsterte sie.

„Ist das dein Ernst?“

Sie nickte.

„Aber… warum?“

„Takeru. Ich kann es nicht ändern“, erklärte sie bedauernd. „Das mit dir und mir ist irgendwie… ich glaube, wir sind am Ende.“

Verständnislos schüttelte er den Kopf. Er hörte zwar, was sie sagte, aber er verstand es nicht.

„Bitte versteh‘ mich nicht falsch. Du bist echt süß und siehst gut aus und bist so lieb, aber… ich weiß nicht. Du bist irgendwie nicht das, was ich suche.“

„Aber… warum Tai?“, fragte Takeru verzweifelt. „Warum er? Was hat er denn, was ich nicht habe?“

„Er ist… Takeru, bitte. Mach‘ es nicht noch schwerer, als es sowieso schon ist. Ich kann dir das nicht erklären.“

„Mimi, was gefällt dir nicht an mir? Bitte sag‘ es mir, ich kann mich ändern“, bat er.

„Nein, nein, du sollst dich nicht ändern. Du bist gut so, wie du bist. Ich bin das Problem, verstehst du?“

„Ich verstehe gar nichts.“

Mimi seufzte traurig. „Du bist echt nett, aber ich glaube… du bist schon fast zu nett.“

Zu nett?

„Ich habe dich gar nicht verdient, weißt du? Ich brauche etwas anderes. Und du brauchst auch etwas anderes. Du bist für mich eher wie ein bester Kumpel, mit dem man über alles reden kann. Wir würden auf die Dauer nicht zusammen glücklich werden.“

„Aber wir waren doch glücklich, oder etwa nicht?“

Sie sah ihn traurig an. „Es tut mir leid, Takeru.“

„Nein, bitte gib mich nicht auf!“, bat Takeru verzweifelt.

„Es ist vorbei. Glaub‘ mir, es ist besser so.“

Langsam schüttelte Takeru den Kopf. „Bitte gib mir eine Chance. Ich werde mich ändern.“

„Nein, bitte bleib‘ so, wie du bist. Du bist so ein lieber Mensch und solltest für immer so bleiben. Und… ich finde auch, wir sollten wirklich Freunde bleiben. Ich würde mich gern weiter mit dir treffen, aber eben nicht… auf diese Art.“

Mit zittrigen Händen fuhr Takeru sich durch die Haare. „Du machst also Schluss?“

Sie nickte. „Es ist besser so.“

Er trat noch einen Schritt rückwärts und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. In seinem Kopf herrschte Schwindel und Übelkeit stieg in ihm auf.

„Es tut mir leid, Takeru“, flüsterte Mimi und schloss leise die Wohnungstür. Sie ließ ihn einfach so hier stehen.

Alles drehte sich und er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Hatte sie gerade tatsächlich mit ihm Schluss gemacht? Weil er zu nett war? Er wusste nicht, dass es tatsächlich Mädchen gab, denen ein Arschloch lieber war als ein netter Typ. Er dachte, er hätte alles richtig gemacht, doch er war am Ende nicht gut genug für sie gewesen.

Ohne wirklich zu bemerken, was er tat, ging er wieder nach Hause. In seinem Kopf wiederholten sich Mimis Worte wieder und wieder. Es ist vorbei. Wir sollten Freunde bleiben. Nicht auf diese Art. Es ist besser so.

Und Taichi. Takeru spürte eine unbändige, heiße Wut in seinem Bauch, wenn er nur an Taichi dachte. Wie hatte er ihm das antun können? Wie hatte er ihm nur die Freundin ausspannen können? Ihm, der so etwas wie sein kleiner Bruder war? Hatte ihm ihre jahrelange Freundschaft denn gar nichts bedeutet?

Takeru ballte die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen. Am liebsten würde er ihm jetzt gerade eine reinhauen.

Fast schon überrascht fand er sich plötzlich vor seiner Wohnungstür wieder, schloss auf und trat ein. Er durchquerte den Flur und wollte eigentlich direkt weiter in sein Zimmer gehen, doch seine Mutter, die gerade in der Küche aufräumte, hielt ihn auf.

„Du bist schon zurück? Ich dachte, du würdest über Nacht bei Mimi bleiben.“

„Nee.“

Sie musterte ihn neugierig. „Ist alles okay? Du siehst wütend aus.“

„Mit Mimi ist Schluss“, antwortete er knapp.

Nun machte Natsuko große Augen. „Was? Wieso das denn?“

„Egal“, knirschte er. „Es ist vorbei.“

„Oh, Schatz, das tut mir sehr leid“, seufzte Natsuko und machte ein mitleidiges Gesicht.

„Nenn‘ mich nicht so, klar? Ich bin kein Kind mehr“, fauchte er, marschierte in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

35. Kapitel, in dem Hikari mitreden will

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

36. Kapitel, in dem Takeru eine Ablenkung braucht

Hallo Takeru, ich wünsche dir alles Liebe zum Geburtstag!

Ich hoffe, du hast eine schöne Feier!

Mimi

 

Mit düsterer Miene warf Takeru sein Handy zurück auf sein Bett und fuhr sich durch die Haare. Dieses Mädchen hatte es tatsächlich fertig gebracht, ihm so eine SMS zu schicken. Wie konnte sie nur, nach dem, was sie getan hatte?

Am Anfang hatte Takeru die Gründe für ihr Fremdgehen bei sich selbst gesucht. Hikari hatte ihm immer wieder versichert, dass es nicht seine Schuld gewesen war, doch sie hatte ihn nicht überzeugen können. Ständig hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wie er seinen Charakter ändern konnte, damit er ihr wieder gefiel. Damit er nicht mehr zu lieb war. Doch irgendwann hatte er von ganz allein angefangen, eine Abneigung gegen Mimi zu entwickeln. Er suchte nach Fehlern an ihr und plötzlich fiel ihm auf, was an ihr nicht stimmte. Ständig hatten er und sie nur das getan, worauf sie Lust hatte. Er hatte kaum Mitspracherecht gehabt. Shopping, Liebesfilme anschauen, mit ihren Freundinnen Kaffee trinken gehen… Außerdem war sie ziemlich launisch, änderte ständig ihre Meinung und schaffte es irgendwie, immer die Aufmerksamkeit aller anderen auf sich zu ziehen. Und ständig hatte sie behauptet, keinen Hunger zu haben, und ihm dann doch sein Essen weggegessen. Warum war er überhaupt mit ihr zusammen gewesen?

Jedoch musste er sich eingestehen, dass ihm der Sex fehlte. Es war einfach zu gut gewesen und er vermisste es, mit ihr zu schlafen. Was war nur mit ihm los?

„T.K., du hast Geburtstagsbesuch“, rief Natsuko fröhlich vom Flur aus. Takeru atmete tief durch, versuchte, sich zu entspannen, und trat aus seinem Zimmer. Er durchquerte den Flur und ging zur Haustür, wo er Hikari und auch Taichi vorfand, der ein wenig so aussah, als wäre ihm die Situation unangenehm.

„Alles Gute zum Geburtstag!“, rief Hikari strahlend und warf die Arme um ihn. Takerus Blick jedoch ruhte auf Taichi.

„Was macht er hier?“, fragte er grimmig.

„Hey, ich wollte dir alles Gute zum Geburtstag wünschen“, murmelte Taichi und streckte seine Hand aus, als wollte er ihm nicht nur gratulieren, sondern ihm auch noch ein Friedensangebot machen.

Takerus Blick wanderte von seiner Hand zurück zu seinem Gesicht. Er rührte sich nicht. „Hast du. Dann kannst du jetzt wieder gehen.“

„Keru“, sagte Hikari leise und berührte ihn am Arm.

„Warum hast du ihn mitgebracht?“, fuhr er sie an, sodass sie zusammenzuckte.

„Ich habe sie gebeten, mich mitzunehmen“, sagte Taichi nun energischer. „Hör‘ mal, es war scheiße, was ich gemacht habe, aber Mimi und ich, wir…“

„Oh nein, es ist vollkommen in Ordnung, die Freundin eines anderen zu vögeln. Vor allem, wenn man den anderen schon seit Ewigkeiten kennt“, unterbrach Takeru ihn bissig. „Und jetzt verpiss‘ dich.“

„T.K.“, seufzte Taichi. „Es tut mir leid. Aber ich liebe sie.“

„Ach ja? Und was, glaubst du, habe ich gemacht?“

„Es… es ist alles ein bisschen blöd gelaufen und sie hätte sich vorher von dir trennen sollen, aber es ist jetzt einfach nicht mehr zu ändern. Man kann sich ja schlecht aussuchen, in wen man sich verliebt“, erklärte Taichi ruhig.

„Aber man kann sich aussuchen, mit wem man in die Kiste springt!“, rief Takeru wütend.

„Ich hab‘ doch gesagt, dass es ein Fehler war, aber das mit dir und Mimi wäre früher oder später sowieso schief gegangen“, widersprach Taichi.

„Nur, weil du dazwischen gefunkt hast und meintest, dich einmischen zu müssen!“

„Keru“, versuchte Hikari es erneut und verstärkte den Griff an seinem Arm. Er schüttelte sie ab.

„Seid ihr jetzt etwa zusammen?“, fragte er und ein seltsames Gefühl der Angst machte sich in ihm breit. Plötzlich loderte eine Erkenntnis in ihm auf. Taichi und Mimi. Da war doch schon einmal etwas gewesen zwischen ihnen. Hikari hatte es ihm erzählt.

„Ja“, antwortete Taichi.

Angst verwandelte sich in Wut, Übelkeit, Schmerz, Eifersucht, eisige Kälte. „Boah, ich kotz‘ gleich.“ Er drehte sich um und ging zurück in die Wohnung, ließ die beiden einfach dort stehen.

„T.K.!“ Hikari hatte die Wohnungstür geschlossen und eilte ihm nach.

„Hättest du nicht einfach allein kommen können?“, fauchte er.

„Es tut mir leid. Ich dachte, inzwischen ist es so lang her und Tai tut es wirklich leid. Er will sich unbedingt wieder mit dir vertragen. Er hat echt ein schlechtes Gewissen“, versuchte Hikari ihren Bruder zu verteidigen. „Hallo, Natsuko.“

Natsuko musterte die beiden neugierig, sagte aber nichts. Natürlich hatte sie das Drama mitbekommen, auch wenn nicht Takeru selbst es ihr erzählt hatte. Doch sie hatte von der Trennung erfahren und dann irgendwie über Yuuko herausbekommen, was passiert war. Zum Glück war sie schlau genug, ihn nicht darauf anzusprechen.

Takeru schlurfte zurück in sein Zimmer, gefolgt von Hikari, und ließ sich auf sein Bett fallen.

„Keru“, murmelte Hikari und setzte sich neben ihn. „Ich wollte das nicht.“

„Ich kann ihn immer noch nicht einmal ansehen“, brummte Takeru und rieb sich das Gesicht. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und starrte den Boden an. „Er war sowas wie ein Bruder für mich.“

„Es tut mir so leid, dass ich ihn mitgeschleppt habe“, schluchzte Hikari plötzlich und als Takeru sie ansah, wedelte sie sich mit der flachen Hand Luft zu, um die Tränen zu trockenen, die sich in ihren Augen sammelten, bevor sie ihr das Makeup ruinierten.

„Schon gut, okay?“, erwiderte er ein wenig perplex. „Ich weiß, dass du es nur gut gemeint hast.“

„Ich hätte genauer darüber nachdenken müssen“, widersprach Hikari kopfschüttelnd und wedelte schneller mit ihrer Hand.

Bestimmt griff er nach ihrem Handgelenk und hielt es fest. „Lass‘ das. Du machst mich nervös. Und fang‘ bitte nicht an zu heulen deswegen.“

„Niemand heult!“

Sie sahen sich an und lachten leise.

„Möchtest du dein Geschenk haben?“, fragte sie dann lächelnd.

„Was für ’ne Frage.“

Sie griff nach ihrer Tasche und kramte einen Umschlag mit himmelblauem und rosafarbenem Blumendruck hervor. Takeru nahm ihn neugierig entgegen und öffnete ihn. Heraus kamen eine Glückwunschkarte und ein selbst gebastelter Gutschein.

„Ein Gutschein für einen Herbstausflug mit Picknick?“ Fragend sah er sie an.

„Naja, du bist in letzter Zeit echt nicht gut drauf. Aber draußen sieht es gerade so hübsch aus mit den bunten Blättern und so und da dachte ich, vielleicht freust du dich über ein bisschen Ablenkung“, erklärte sie verlegen lächelnd und kratzte sich am Kopf.

„Bringst du zum Picknick deine leckeren Kekse mit?“, fragte Takeru und musterte sie kritisch.

„Klar“, antwortete sie.

„Und deine selbst gemachten Reisbällchen?“

„Wenn du willst.“

„Und werden wir Süßkartoffeln essen?“

„Alles, was du willst.“

„Auch Schokolade?“

„Wie kann man nur so verfressen sein?“

Er grinste. „Danke für das Geschenk, Kari. Ich freue mich echt. Wann machen wir den Ausflug?“

„Keine Ahnung. Wann du willst“, antwortete sie schulterzuckend.

37. Kapitel, in dem Hikari endlich gesteht

Hikari spürte eine ziemliche Aufregung in sich aufsteigen, während sie in dem Club bei Takeru und den anderen stand und sich umsah. Zur Feier von Takerus Geburtstag trafen sie sich mit Akito und ein paar anderen aus ihrer Klasse und dem Basketballclub in einer Disco und wollten zusammen anstoßen und die Nacht genießen. Was Hikari an dieser Idee jedoch am besten gefiel: auch Yamato würde kommen. Seit einer Ewigkeit würde sie ihn endlich mal wieder sehen.

Sie wusste, dass er momentan mit seiner Band in Tokio unterwegs war und sich mit kleinen Auftritten in Clubs über Wasser hielt. Jedoch hatte sie auch diese Informationen eher von Taichi und Takeru erhalten als von Yamato selbst. Weder Hiroaki noch Natsuko hießen diese Lebensweise gut, doch Hiroaki ließ ihn trotzdem einfach gewähren, während man in Natsukos Gegenwart kaum den Namen Yamato erwähnen durfte, ohne dass sie die Augen verdrehte und anfing zu schimpfen. Er würde sein Leben wegschmeißen. Er sollte etwas Ordentliches studieren, anstatt seinen Hirngespinsten hinterherzujagen. Takeru stimmte ihr da mehr oder weniger zu, denn auch er rechnete nicht damit, dass aus Yamato eines Tages ein weltberühmter Rockstar wurde. Hikari hingegen fand ihn unheimlich mutig und cool und glaubte fest daran, dass er und die Tokyo Rebels irgendwann den ganz großen Durchbruch schafften.

Nach über einer Stunde, als Hikari sich gerade mit Takeru und den anderen unterhielt, tauchte Yamato endlich auf. Hikari sah ihn aus den Augenwinkeln auf sich zukommen, drehte sich um und strahlte ihn an. Yamato trat zu der Gruppe, zog Takeru in eine kurze Umarmung und gratulierte ihm zum Geburtstag. Dann umarmte er auch Hikari, deren Herz wild klopfte, und begrüßte dann den Rest der Gruppe, die ihn neugierig musterten.

„Schön, dich endlich mal wiederzusehen“, begann Hikari ein Gespräch mit ihm und lächelte ihn an. Sie musste ihn fast schon anschreien, da die Musik in dem Club so laut war.

„Ebenso. Ich hätte mich echt mal öfter melden können“, erwiderte er und grinste entschuldigend.

„Ach was, schon okay. Du bist bestimmt ziemlich beschäftigt. Wie läuft es denn so?“, fragte sie neugierig.

„Es geht so.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mal so, mal so. Eigentlich haben wir jedes Wochenende irgendwo einen Auftritt.“

„Das klingt doch super“, meinte Hikari begeistert. „Bestimmt ist bald schon einer von einem Label oder so dabei, der euch entdeckt.“

Yamato lachte. „Das wäre schön. Ich geh‘ uns was zu trinken holen. Was hättest du gern?“

Überrascht sah Hikari ihn an. „Ähm… ich nehm‘ eine Cola.“

Er nickte lächelnd und verschwand. Hikari sah ihm verträumt hinterher und fing dann Takerus skeptischen Blick auf. „Was?“

„Nichts“, brummte er.

„Warum guckst du mich dann so an?“

„Warum guckst du ihn so an?“, erwiderte er und hob eine Augenbraue.

„Wie guck‘ ich denn?“, fragte Hikari schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wie ein Eichhörnchen auf Drogen. Bist du mit hergekommen, weil du dich an Matt ranmachen willst?“

Empört starrte sie ihn an, konnte jedoch nicht leugnen, dass er ein wenig Recht hatte. „Ich bin hergekommen, weil ich mit dir deinen Geburtstag feiern wollte!“

„Schon klar“, schnaubte er.

„Glaub‘ doch, was du willst“, fauchte sie.

Er verdrehte die Augen. „Sei einfach vorsichtig, okay?“

„Wieso sollte ich denn vorsichtig sein? Dafür gibt es doch gar keinen Grund.“

„Hast du schon vergessen, was letztens mit Makoto war?“

Sie erstarrte. Warum erinnerte er sie denn jetzt daran? Fast spürte sie ihren Unterleib erneut brennen, als wäre diese Sache erst vor wenigen Stunden passiert. Was dachte er denn nur von ihr? Dass sie Yamato hier und jetzt mitten im Club vernaschen wollte? Als ob sie eine Chance hätte.

Moment mal. Dachte Takeru etwa, sie hätte eine Chance bei Yamato?

Fragend sah sie ihn an, sodass er die Stirn runzelte. „Was denn jetzt? Hast du es etwa wirklich vergessen?“

„Nein, Mann“, erwiderte sie ungeduldig. „Ich werde mich schon nicht sofort flachlegen lassen, keine Angst.“

Er sah nicht überzeugt aus und schien etwas sagen zu wollen, doch in dem Moment tauchte Yamato wieder auf und drückte ihr ein Glas Cola in die Hand. Sie lächelte ihn an und bedankte sich, bevor sie einander zuprosteten und an ihren Gläsern nippten.

 

Hikari konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal so viel mit Yamato geredet zu haben wie an diesem Abend. Während Takeru und die anderen Jungs irgendwann auf der Tanzfläche verschwunden waren, saß Hikari mit Yamato an der Bar, trank Cola und redete mit ihm über Gott und die Welt. Er erzählte ihr von seinen Auftritten, von der schlechten Beziehung zu seiner Mutter und von einem Streit, den er mit Taichi wegen Takeru und Mimi hatte.

„Du hast dich deswegen mit Tai gestritten?“, fragte Hikari verblüfft. „Davon hat Tai mir gar nichts erzählt.“

„Naja, er tratscht nicht gern. Das weißt du doch. Und er ist auch echt nicht stolz auf sich wegen dieser Sache“, erklärte Yamato langsam.

„Ich bin immer noch stinksauer deswegen“, seufzte Hikari kopfschüttelnd. „Wie konnte er das T.K. nur antun? Er wusste doch, dass er mit Mimi zusammen war.“

„Ja, es war Mist und er hätte es anders machen sollen, aber trotzdem ist es besser so, wie es jetzt ist.“

„Was?“ Verständnislos sah sie ihn an.

„Hast du sie noch nicht zusammen gesehen? Sie sind so verliebt, dass es schon wieder eklig ist.“ Yamato schmunzelte leicht.

„T.K. war auch total verliebt in sie“, widersprach Hikari.

Er hob die Augenbrauen. „Glaubst du?“

„Hä? Natürlich. Du etwa nicht?“

Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir kam es immer eher so vor, als würde er sich mit ihr austesten.“

„Austesten?“

Er sah sie vielsagend an. „Komm‘ schon, du weißt genauso gut wie ich, womit die beiden den Großteil ihrer Freizeit verbracht haben.“

Da musste sie ihm zustimmen. Auch Hikari hatte immer das Gefühl gehabt, Takeru und Mimi verbrachten fast jede freie Minute im Bett. „Du denkst also, er hatte gar keine Gefühle für sie, sondern wollte nur mit ihr schlafen?“

„Nein, das nicht. Er hatte sicher Gefühle für sie, aber… ich glaube, das mit Mimi hätte auch ohne Tai nicht mehr lang gehalten, weil seine wahren Interessen bei einer anderen liegen.“ Er lächelte sie verschmitzt an.

Hikari war zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie weit Takerus Gefühle für Mimi wohl gingen, um Yamatos andere Bemerkung wahrzunehmen. War Takeru etwa wirklich nur mit Mimi zusammen gewesen, um mit ihr zu schlafen, und hatte sich sämtliche Gefühle für sie nur eingebildet?

Doch dann interessierte sie ein anderes Thema. „Wie sieht es denn eigentlich bei dir aus? Hast du gerade… eine Freundin?“ Gespannt sah sie ihn an.

Sein Blick wurde wehmütig. „Nein. Keine Zeit für sowas.“

Hikari nickte wissend. „Das verstehe ich.“

Gedankenverloren nippte er an seinem Drink.

„Und… und es gibt auch keine, die du im Auge hast?“, hakte sie schließlich etwas verlegen nach und musterte ihn verstohlen. Sie versuchte, süß zu lächeln.

Er erwiderte ihr Lächeln. „Doch, da gibt’s eine.“

Da war es wieder, dieses kalte Gefühl in Hikaris Herz. Nein, sie durfte jetzt nicht den Mut verlieren. Vielleicht, mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, handelte es sich ja um sie. Immerhin hatte Takeru sich vorhin so angehört, als hätte sie eine Chance bei Yamato. Vielleicht wusste ihr bester Freund ja etwas, das sie noch nicht wusste.

Plötzlich klopfte Hikaris Herz wild und sie fasste neuen Mut. „Kenne ich sie?“

„Ja.“ Er nickte. „Und ich kenne sie auch schon seit einer Ewigkeit.“

Hikaris Herz machte einen Luftsprung. Damit konnte er tatsächlich sie meinen. Sie musste sich bemühen, nicht zu jubeln.

„Und wie sieht’s bei dir aus? Gibt’s gerade jemanden?“, fragte er dann und musterte sie interessiert.

„Ja, es gibt wirklich jemanden“, antwortete sie verlegen.

Er hob die Augenbrauen. „Ach wirklich? Immer noch der, über den wir am Valentinstag gesprochen haben?“

„Ja. Und du kennst ihn auch. Ziemlich gut sogar“, antwortete Hikari schüchtern lächelnd.

Verständnislos runzelte er die Stirn. „Achso? Damals hast du gesagt, ich kenne ihn nicht.“

Hikari spürte, wie sie rot anlief. „Da habe ich gelogen.“

Yamato nickte und grinste vielsagend. „Und weiß derjenige jetzt endlich von seinem Glück?“

Verlegen schüttelte sie den Kopf. „Ich habe mich immer noch nicht getraut, es ihm zu sagen.“

Er näherte sich ihr ein wenig und sah ihr in die Augen. „Dann solltest du das endlich mal machen. Ich bin mir ganz sicher, derjenige steht genauso auf dich.“

Sie schluckte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Finger wurden kalt und feucht. „Ja, hoffentlich.“

„Hundertpro.“

Hikari nahm all ihren Mut zusammen, überwand den Abstand zwischen ihnen und küsste Yamato auf den Mund. So lang hatte sie auf diesen Moment gewartet. Seit sie zwölf Jahre alt war, war sie nun schon in ihn verknallt – mal weniger, mal mehr, doch es hatte nie aufgehört. Und nun endlich traute sie sich, ihm das zu zeigen und allem Anschein nach empfand er das Gleiche für sie.

Sie löste sich von ihm und sah ihn erwartungsvoll an. Zu ihrer Verwunderung sah er überrascht aus und wenig glücklich. „Ähm, Kari…“ Er sprach nicht weiter.

„Was ist denn?“, fragte sie verunsichert, lächelte jedoch noch immer. „Du hast doch gesagt, ich kenne sie und du kennst sie schon lange.“

„Ich meinte Sora.“

Autsch. Es war, als würde etwas in ihr zerbrechen. Nicht nur, dass er ihr eine Abfuhr erteilte, nein, sie hatte sich auch noch gründlich vor ihm blamiert, indem sie angenommen hatte, er würde von ihr reden.

„Hast du etwa von mir gesprochen?“, fragte er völlig verdattert. „Ich dachte, du meinst…“

„Ja!“, rief Hikari. „Ich meinte dich. Schon seit einer Ewigkeit, Matt.“

Er schien sprachlos und starrte sie nur perplex an. Dann rieb er sich die Stirn. „Kari, tut mir echt leid. Du bist wie eine kleine Schwester für mich.“

Sie nickte und presste die Lippen aufeinander. Natürlich. Wie hatte sie nur annehmen können, er würde etwas anderes in ihr sehen? Warum war sie so dumm gewesen, ihn einfach zu küssen?

„Klar“, presste sie hervor und sprang von dem Barhocker.

„Hey“, sagte er und griff nach ihrem Arm. „Ich hab‘ dich echt gern, okay? Du wirst immer was Besonderes sein. Aber… nicht so.“

Hikari nickte und machte sich von ihm los. „Ich muss jetzt los.“ So schnell sie konnte, quetschte sie sich zwischen den Menschen hindurch auf die Tanzfläche und suchte nach Takeru. Es war sein Geburtstag. Sie musste ihm wenigstens Bescheid sagen, dass sie ging.

Während sie den Blick suchend über die Menge schweifen ließ, versuchte sie, nicht in Tränen auszubrechen, obwohl ihr sehr danach zumute war. Sie wollte sich in ihrem Bett verkriechen und nie wieder herauskommen, niemanden je wiedersehen. Schon gar nicht Yamato. Wie sollte sie ihm nur jemals wieder unter die Augen treten nach dieser Blamage?

Endlich entdeckte sie Akito und kämpfte sich zu ihm vor. „Wo ist T.K.?“

Akito grinste breit und deutete in eine Richtung. Hikari sah sich um und traute ihren Augen kaum. Dort stand Takeru eng umschlungen mit einem schwarzhaarigen Mädchen und anscheinend bekamen beide um sich herum nichts mehr mit. War sie im falschen Film gelandet?

Angewidert verzog sie das Gesicht und erklärte Akito, dass sie jetzt nach Hause müsste, bevor sie endlich aus dem Club verschwand.

38. Kapitel, in dem keiner schlafen kann

Der Morgen graute und die ersten Vögel kündigten mit ihrem Zwitschern den neuen Tag an, als Takeru endlich leise aus dem Bett kletterte und seine Unterhose vom Boden aufhob. Er zog sie an und drehte sich dann zu dem Mädchen um, in dessen Bett er geschlafen hatte. Noch immer konnte er nicht glauben, was er getan hatte. Er hatte tatsächlich eine völlig Fremde im Club aufgerissen, war mit ihr nach Hause gegangen und hatte mit ihr geschlafen. Einfach so und ohne sie zu kennen. Es war nicht ansatzweise so gewesen wie mit Mimi. In der Nacht hatte er kein Auge zu bekommen und die ganze Zeit darüber nachgedacht, was er getan hatte. Und was er im Club gesehen hatte.

Das Bild von Yamato und Hikari tauchte erneut vor seinem geistigen Auge auf und wieder sah er, wie Hikari sich vorbeugte und seinen Bruder küsste. Takeru hatte sich augenblicklich abgewandt und das Mädchen, mit dem er bis dahin nur getanzt und ein wenig geflirtet hatte, geküsst. Es war eine Trotzreaktion gewesen, doch in dem Moment hatte es so unglaublich gut getan. Und dann hatte er plötzlich ein Verlangen in sich gespürt, das ihn dazu getrieben hatte, dem Mädchen in ihre Wohnung zu folgen.

Nun wieder vollkommen angezogen schlich Takeru zur Tür und wollte sie öffnen, als er hinter sich die Bettdecke rascheln hörte. „Gehst du schon?“

Er drehte sich um. Ihr Haar hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht und sie blickte ihn aus verschlafenen Augen an.

„Bleib‘ hier“, bat sie und streckte die Hand nach ihm aus.

„Ich muss los“, murmelte Takeru ausweichend und öffnete die Tür. Sie erwiderte noch etwas, doch er war schon aus dem Zimmer verschwunden und stahl sich leise aus der Wohnung.

Erleichtert trat er aus dem Haus und sog die frische Morgenluft ein. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg nach Hause. Nachdenklich kramte er sein Handy aus der Hosentasche hervor und öffnete noch einmal die SMS, die er letzte Nacht von Hikari erhalten hatte.

 

Ich gehe jetzt nach Hause

Viel Spaß noch mit deiner Errungenschaft…

 

Es waren nur zwei Sätze, doch er konnte genau herauslesen, was sie von dieser Aktion hielt. Wahrscheinlich das Gleiche wie er von dem Kuss mit Yamato.

Er würde sie gern anrufen und mit ihr darüber reden, doch höchstwahrscheinlich schlief sie noch. Und außerdem wäre es wohl keine gute Idee, darüber zu reden. Das Gespräch würde vermutlich nur in einem Streit enden, weil sie ihm klarmachen würde, was sie davon hielt, mit einem Menschen zu schlafen, den man nicht einmal kannte. Andererseits hatte er irgendwie das Bedürfnis, sich zu erklären, sich zu rechtfertigen. Und er wollte wissen, was da jetzt zwischen ihr und Yamato lief. Oder wollte er es doch nicht wissen? Was, wenn aus den beiden jetzt plötzlich ein Paar geworden war?

Ein bedrückendes Gefühl machte sich in Takerus Magen beim Gedanken an Yamato und Hikari breit. Das wäre so falsch. Fast genauso falsch wie Taichi und Mimi.

Wie automatisch fischte er sein Handy erneut hervor und tippte eine SMS.

 

Ruf mich mal bitte an, wenn du wach bist

 

Es dauerte nicht einmal eine Minute, bis sein Handy klingelte und Takeru überrascht auf das leuchtende Display sah. Sie rief ihn tatsächlich an.

„Du bist ja wach“, begrüßte er sie.

„Ja, Sherlock. Warum sollte ich dich anrufen?“, fragte sie bissig. Es klang ganz so, als wäre ihre Laune am Tiefpunkt. Ein Indiz dafür, dass aus ihr und Yamato nicht allzu viel geworden war. Vielleicht sollte er wirklich Detektiv werden.

„Können wir reden?“

„Schieß‘ los. Ich bin ganz Ohr. Bin mal gespannt, warum du um diese Uhrzeit wach bist.“

„Nicht am Telefon. Kannst du raus kommen?“

Er hörte sie seufzen. „Okay. Bin in zehn Minuten unten.“

„Bis gleich.“ Er legte auf und schob sein Handy zurück in die Hosentasche. Beim nächsten Shop hielt er an und kaufte zwei Becher Tee zum Mitnehmen. Als er am Haus der Yagamis ankam, stand Hikari schon vor der Tür. Sie trug eine graue Jogginghose, eine dunkle Jacke und einen hellen Schal, den sie sich so um den Hals geschlungen hatte, dass ihr Mund nicht mehr zu sehen war. Ihre Augen wirkten verquollen, ihre Miene war finster und ihre Haare in einen unordentlichen Dutt gebunden.

„Morgen“, begrüßte Takeru sie und drückte ihr einen Becher Tee in die Hand.

„Danke“, murmelte sie.

Sie machten sich auf den Weg Richtung Meer, das an diesem Morgen in einem hellen Grau strahlte. Ein einzelner Jogger quälte sich durch den feuchten Sand, sonst war niemand zu sehen.

Takeru und Hikari steuerten wortlos die nächste Bank an und setzten sich. Beide hielten sie mit den Händen die Teebecher umklammert und saugten die Wärme auf.

„Also worüber willst du reden?“, fragte sie schließlich, als er keine Anstalten machte, das Wort zu ergreifen.

„Über gestern. Deine SMS klang so angepisst“, antwortete er.

„Warum sollte ich angepisst sein?“

„Keine Ahnung, das habe ich mich auch gefragt. Du sahst viel zu beschäftigt aus, um dich über irgendwas anderes als meinen Bruder zu kümmern“, entgegnete er trocken.

Sie sah ihn von der Seite an. „Hast du das etwa gesehen?“

„Ich hab‘ gesehen, wie du an ihm geklebt hast und mehr wollte ich nicht sehen.“

„Und hast du auch das danach gesehen?“, fragte Hikari.

„Nein“, sagte er verwirrt.

„Er hat mir erklärt, es gäbe da ein Mädchen, das er will. Ich kenne sie und er kennt sie schon lange. Ich dachte, er meint mich und habe ihn geküsst. Dann hat er gesagt, er meinte Sora. Das war alles. Dann bin ich gegangen. Ich wollte dir Bescheid sagen, aber du hast mit diesem Mädel rumgeknutscht. Wollte eure traute Zweisamkeit nicht stören.“ Sie nippte an ihrem Becher und hielt den finsteren Blick starr aufs Meer gerichtet.

Takeru beobachtete sie mitleidig. Er konnte sich nicht erinnern, sie schon einmal so niedergeschlagen gesehen zu haben. Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie bis vor kurzem noch geweint. Ihre Schultern hingen schlaff herunter und selbst ihr Haar wirkte glanzlos.

„Tut mir echt leid, dass es so gelaufen ist“, murmelte er.

Sie zuckte mit den Schultern. „Hätte es wissen sollen.“ Mit dem Handrücken rieb sie sich über die Augen. Es sah aus, als würde sie wieder anfangen zu weinen.

Er griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft.

„Ich sei wie eine Schwester für ihn, hat er gesagt“, erklärte sie mit erstickter Stimme. „Das tat so weh, aber ich hätte es einfach wissen müssen.“

Takeru erwiderte nichts. Er wusste genau, was sie meinte, konnte in etwa nachempfinden, wie es sich anfühlte.

„Aber vielleicht ist es besser so“, sagte er nach einer Weile.

„Hm?“ Sie sah ihn fragend an.

„Naja, jetzt weißt du, woran du bist und kannst diese Sache endlich abhaken. Ich meine, wie lang bist du ihm jetzt hinterhergelaufen? Vier Jahre? Jetzt hat das endlich ein Ende und du kannst dich auf was Neues konzentrieren“, erklärte er.

„Wow, danke. Das hilft mir wirklich sehr“, erwiderte sie sarkastisch. „Dann waren also die letzten vier Jahre meines Lebens umsonst? Willst du das damit sagen? Ein gebrochenes Herz ist besser als glücklich zusammen sein?“

Er seufzte. Manchmal konnte sie eine richtige Dramaqueen sein. „Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Stell‘ dir vor, du wärst ihm jetzt noch zehn Jahre hinterhergelaufen und hättest dann erst irgendwann mitgekriegt, wie er das Ganze sieht. So, wie es jetzt ist, tut es zwar weh, aber ich glaube, später hätte es noch mehr wehgetan.“

Eine Weile schwieg sie und schien über seine Worte nachzudenken.

„Vielleicht sollte es einfach so sein, verstehst du? Vielleicht wollte das Schicksal es so, wie es gestern passiert ist, weil da draußen noch etwas anderes auf dich wartet. Was Besseres“, redete er weiter.

Sie sah ihn stirnrunzelnd an. „Bist du betrunken?“

„Nee, nur übermüdet.“ Er lächelte schief.

Einen Augenblick lang sagte keiner von ihnen etwas.

„Scheiße“, nuschelte sie dann und wischte sich über die Augen. „Und wie war’s bei dir? Warum bist du um diese Uhrzeit wach?“

„Konnte nicht schlafen“, antwortete er leise.

„Warst du zu Hause?“, fragte sie und er spürte ihren prüfenden Blick auf sich.

Er zögerte. „Nein.“

„Du bist nicht ernsthaft mit diesem Mädel mitgegangen?“

„Doch.“

Sie stöhnte. „Oh Takeru. Bitte werd‘ nicht einer von denen.“

„Einer von wem?“, fragte er verständnislos.

„Von diesen Typen, die ihre Wochenenden damit verbringen, sich in Clubs zu betrinken und eine nach der anderen abzuschleppen. Das passt nicht zu dir.“

Er hob eine Augenbraue. „Was soll das heißen?“

„Du bist lieb und gut, hilfsbereit und denkst immer an andere. Typen, die sowas machen, denken nur an sich und trampeln auf den Gefühlen anderer herum“, erklärte sie energisch.

Takeru schwieg. Wieder kamen ihm Mimis Worte in Erinnerung. Er wäre lieb und süß, aber zu nett. Wie ein bester Kumpel, mit dem man über alles reden konnte. Und für Hikari war es offenbar genauso. Er war ihr bester Freund und sie würde nie etwas anderes in ihm sehen.

„Bitte werd‘ nicht so“, bat sie eindringlich.

„Kari, das war einmal, okay? Und überhaupt, was ist so falsch daran?“, erwiderte er trotzig.

„Dass das nicht du bist.“

39. Kapitel, in dem man zusammen weniger allein ist

Auf einmal kamen Hikari die Tage merkwürdig trostlos und öde vor. In der Schule starrte sie nur aus dem Fenster und dachte an Yamato und daran, wie er sie zurückgewiesen hatte. Noch nie hatte sie sich so entwürdigt, niedergeschlagen und ungeliebt gefühlt. Dabei versuchten sowohl Takeru als auch ihre Freundinnen Momoko und Kazumi nahezu dauerhaft, sie abzulenken und aufzumuntern. Sie war shoppen mit den Mädchen und verbrachte die Nachmittage mit Takeru, doch es änderte nichts. Sie lenkten sie alle ab, solange sie bei ihr waren, doch sobald sie allein war, schweiften ihre Gedanken sofort zu Yamato und dem, was sie verloren hatte.

Zwei Wochen nach dem Vorfall, als sie gerade dabei war, sich für den Ausflug mit Takeru fertig zu machen, klopfte Taichi an ihre Zimmertür und trat unaufgefordert ein.

„Warum klopfst du überhaupt, wenn dir sowieso egal ist, ob du rein darfst oder nicht?“, fragte sie, ohne ihn anzusehen. Sie stand vor dem Spiegel und schminkte sich.

„Ich wollte nur mal wissen, wie es dir so geht“, sagte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.

„Gut, warum?“, erwiderte sie skeptisch.

„Naja, hab‘ zufällig mitbekommen, dass da was Blödes passiert ist“, meinte er beiläufig.

Hikari starrte ihn an. „Hat Matt dir etwa was erzählt?“

Er zuckte mit den Schultern. „Könnte man so sagen.“

„Oh nein“, stöhnte Hikari und fasste sich an die Stirn, wobei sie sich aus Versehen mit ihrer Wimperntusche anmalte. „Mist.“

„Es klang so, als wärst du ziemlich am Ende gewesen und Mama macht sich auch schon Sorgen um dich, weil du immer so traurig aussiehst“, erklärte Taichi und setzte sich auf Hikaris Bett.

„Ist halt nicht so geil, eine Abfuhr zu bekommen“, murrte sie und wischte mit einem Taschentuch auf ihrer Stirn herum.

„Mann, Kari. Ich dachte, diese Schwärmerei wäre schon seit einer Ewigkeit wieder vorbei“, sagte Taichi ungläubig und schüttelte den Kopf, während er sie beobachtete.

„Es war keine Schwärmerei!“, rief Hikari. „Das hast du nur so abgestempelt. Du hast das einfach nicht ernst genommen.“

„Tut mir leid“, nuschelte er.

„Was hat Matt gesagt?“, fragte sie und fragte sich gleichzeitig, warum sie das überhaupt wissen wollte.

„Nur, dass du anscheinend in ihn verliebt bist und er glaubt, dass er dich ziemlich verletzt hat. Er hat es echt nicht geahnt.“

Hikari schnaubte verächtlich. Den schwarzen Strich auf ihrer Stirn hatte sie inzwischen weggerubbelt, dafür hatte sie an der Stelle nun einen roten Fleck.

„Und er meinte, er hätte ein paarmal versucht, dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen“, redete Taichi weiter.

„Mhm“, machte sie. Dreimal hatte er sie in den letzten zwei Wochen versucht, anzurufen, doch sie wollte unter keinen Umständen mit ihm reden. Am besten nie wieder.

„Ähm… wie geht es dir denn jetzt?“, fragte er zögerlich.

„Keine Ahnung“, grummelte Hikari und griff nach ihrer Tasche, um noch einmal zu kontrollieren, ob sie alles eingepackt hatte.

„Kari, ähm“, begann Taichi zögerlich, „Matt hängt echt noch ziemlich an Sora und… ich glaube nicht, dass… naja, du bist eben…“

Hikari stellte ihre Tasche wieder ab, sah ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust.

Taichi seufzte tief. „Glaub mir, er hat dich echt gern, aber ungefähr so, wie ich dich gern hab‘. Und zumindest ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das in absehbarer Zeit ändert, weißt du?“

Eine Weile sahen sie einander an, dann wandte Hikari sich ab und tat, als würde sie noch einmal ihre Tasche kontrollieren. Sie hockte sich auf den Boden und wandte ihm den Rücken zu, damit er ihren verletzten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte.

Sie hörte, wie er aufstand und auf sie zukam. Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter.

„Es gibt so viele nette Jungs da draußen und du bist sowieso noch viel zu jung. Überstürz‘ es nicht, okay?“

„Um es nicht zu überstürzen, ist es ein bisschen zu spät“, platzte Hikari schnippisch heraus, verärgert darüber, dass ihr Bruder sie schon wieder als kleines Mädchen betrachtete.

„Wieso? Es ist doch noch nichts passiert und noch kannst du einfach…“

„Ich hatte schon Sex, okay?!“, rief sie und starrte ihn an.

Er starrte zurück. „Du hattest was? Mit Matt?“

„Nein, natürlich nicht!“ Sie sprang auf, schnappte ihre Tasche und stürmte aus dem Zimmer.

Taichi eilte ihr nach und hielt sie am Arm fest. „Mit wem dann?“

„Das geht dich nichts an!“, fauchte sie.

„Geht es wohl! Raus mit der Sprache! Wer war es? Wolltest du das?“

„Lass‘ mich in Ruhe! Ich muss jetzt los!“ Sie riss sich von ihm los und griff nach dem Picknickkorb, den sie in der Küche bereitgestellt hatte. Yuuko warf den beiden irritierte Blicke zu.

„Du kannst jetzt nicht einfach abhauen! Wer war der Typ? Takeru?“

„Oh mein Gott, nein!“

„Was war Takeru?“, mischte Yuuko sich neugierig ein und folgte Hikari und Taichi zur Wohnungstür, wo Hikari in ihre Schuhe schlüpfte.

„Nichts!“, riefen sie und Taichi wie aus einem Munde.

„Warum streitet ihr? Was ist los?“, fragte Yuuko und blickte vom einen zum anderen.

„Könnt ihr mich nicht mal alle in Ruhe lassen?“, motzte Hikari, zog sich eilig die Jacke über und rannte aus der Wohnung, bevor ihr Bruder und ihre Mutter ihr noch weitere nervige Fragen stellen konnten.

 

Genüsslich schloss Hikari die Augen und ließ die wärmende Herbstsonne auf ihr Gesicht scheinen. Sie und Takeru saßen auf einer gepunkteten Decke im Park und ließen sich das Essen schmecken, das Hikari extra für heute vorbereitet hatte. Neben ihnen räucherte ein großer Haufen Herbstlaub vor sich hin. Süßkartoffeln schlummerten in seinem Inneren und warteten schon darauf, endlich gegessen zu werden. Hikari konnte es kaum erwarten. Sie beide liebten Süßkartoffeln.

Zunächst waren sie eine Stunde mit dem Fahrrad gefahren und verbrachten nun ihre wohlverdiente Pause auf einer Wiese im schönsten Park Tokios. Natürlich hatte Hikari Takeru schon von dem Gespräch mit Taichi erzählt.

„Ich würde am liebsten einfach hier bleiben. Für immer“, seufzte sie, ohne die Augen zu öffnen.

„Ich glaube, du hast eine große Portion Ablenkung noch nötiger als ich“, stellte Takeru nüchtern fest.

„Wir können das beide ganz gut gebrauchen, denke ich“, murmelte Hikari und lächelte leicht. Sie öffnete die Augen, um ihn anzusehen. Er musterte sie mit nachdenklicher Miene.

„Ja, wahrscheinlich.“

Takeru stocherte mit einem Stock in dem rauchenden Laubhaufen herum und prüfte, ob die Kartoffeln schon weich genug waren, während Hikari sich aus einer Thermoskanne Tee einschenkte.

„Sag‘ mal“, begann sie zögerlich, „glaubst du, du kannst irgendwann wieder normal mit Tai reden?“

Stirnrunzelnd sah er sie an. „Warum?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das mit Mimi ist jetzt schon über drei Monate her. Und ihr habt euch so gut verstanden. Er will sich wirklich wieder mit dir vertragen.“

„Das hätte er sich überlegen müssen, bevor er mir die Freundin ausgespannt hat“, erwiderte Takeru mit finsterer Miene.

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Naja, Matt“, es tat schon fast weh, seinen Namen auszusprechen, „hat da am Samstag irgendwie was Komisches gesagt.“

„Ach ja?“ Er klang argwöhnisch.

„Ja. Er glaubt, dass es auch ohne Tai mit dir und Mimi nicht mehr lang gehalten hätte“, sagte Hikari.

Takeru stöhnte genervt auf. „Ich hatte schon von Anfang an den Eindruck, dass er was gegen uns hat.“

„Und er glaubt auch, dass es besser so ist, wie es jetzt ist“, fügte Hikari hinzu.

„Was?“ Ungläubig starrte Takeru sie an.

„Naja, ich glaube, er meint damit, dass du und Mimi einfach nicht gut zueinander gepasst habt“, erklärte sie leise.

Er schwieg einen Moment. „Glaubst du das auch?“

Sie sah ihn an. „Ich weiß es nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es da noch jemanden gibt, der besser zu dir passt als sie.“

„Ach ja? Und wer soll das bitte sein?“, murrte Takeru desinteressiert.

„Keine Ahnung.“

Er sah sie durchdringend an. „Das Gleiche kann ich dir übrigens auch über Matt sagen. Bin mir hundertprozentig sicher, dass es tausende Jungs gibt, die viel besser zu dir passen als er.“

„Jaja“, grummelte Hikari.

Dann schwiegen sie beide wieder einen Augenblick lang.

„Sieht so aus, als müssten wir jetzt beide suchen“, sagte er dann.

„Mhm“, machte sie.

„Und wir sollten wohl beide endlich versuchen, das, was war und nichts gebracht hat, abzuhaken und zu vergessen“, fügte Takeru hinzu.

Hikari antwortete nicht. Sie wusste nicht, ob sie schon bereit war, Yamato loszulassen und zu vergessen. Er hatte in den letzten Jahren eine so wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt, dass es ihr unmöglich erschien, ihn einfach aus ihrem Herzen zu verbannen. Andererseits hatte er all die Jahre nichts davon gewusst. Ihm schien nicht einmal ansatzweise klar gewesen zu sein, welche Gefühle Hikari für ihn gehegt hatte. Und man konnte wohl nichts verlieren, was man nie besessen hatte.

„Wenn wir das zusammen machen, ist es vielleicht nicht so schwer“, riss Takeru sie aus ihren Gedanken.

Fragend sah sie ihn an.

„Irgendwie müssen wir doch gerade beide durch eine ähnliche Sache durch und ich glaub‘, das macht es leichter. Zu zweit ist doch alles leichter und irgendwie, auch wenn das jetzt komisch klingt, bin ich froh, dass es dir gerade so geht wie mir. Und dass wir uns gegenseitig verstehen. Dann geht es bestimmt schneller.“

Sie lächelte leicht und nickte. „Irgendwie hast du ja Recht. Dann lass uns da zusammen durch und darüber hinwegkommen. Das schaffen wir locker.“

„Klar. Gar kein Problem.“

Sie lächelten sich an und schlugen ein. Hikari fühlte sich tatsächlich endlich einmal bedeutend besser. Es tat gut, Takeru immer an ihrer Seite zu wissen. Was auch war, sie konnte sich immer auf ihn verlassen und es wurde Zeit, dass sie das schätzen lernte.

„Was machen eigentlich die Kartoffeln? Die sind doch da jetzt schon mindestens zehn Stunden drin.“

40. Kapitel, in dem Sora gar nicht so übel ist

Es war kurz vor Weihnachten und Hikari war allein in der Stadt unterwegs, um noch ein paar letzte Geschenke zu besorgen. Sie suchte noch nach etwas für Takeru. Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm dieses Jahr schenken konnte. Ein wenig ziellos schlenderte sie durch die Läden, sah sich in den Schaufenstern um, doch fand einfach nichts, was ihr gut genug gefiel, um es Takeru zu schenken.

Zu dieser Jahreszeit war es in der Einkaufsmeile ziemlich voll mit Menschen, die in dicke Jacken gehüllt ebenfalls auf der Suche nach Geschenken für ihre Liebsten waren. Die Geschäfte waren mit Lichterketten und glitzernden Rentierfiguren, Weihnachtsmännern und Tannenbäumchen geschmückt und empfingen ihre Besucher mit fröhlichen Weihnachtsliedern. Hikari war bester Laune. Sie liebte Weihnachten und genoss die ganz spezielle Atmosphäre.

Gedankenverloren schlenderte sie durch ein Süßigkeitengeschäft und betrachtete die außergewöhnlich bunten Formen, in die die Schokolade dort gebracht worden war. Nun zur Weihnachtszeit gab es natürlich jede nur erdenkliche Form, die wenigstens ansatzweise etwas mit Weihnachten zu tun hatte, in allen möglichen Größen und Farben. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.

„Hikari?“

Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Vor ihr stand zu ihrer Überraschung Sora, die sie anlächelte.

„Oh, ähm… hi“, murmelte sie und wusste nicht, was sie von dieser Begegnung halten sollte. Eigentlich gehörte zusammen mit Yamato auch Sora auf die Liste der Menschen, die sie auf keinen Fall sehen wollte.

„Ich war mir nicht ganz sicher, ob du es wirklich bist. Hab‘ dich ja schon lange nicht mehr gesehen“, sagte Sora lächelnd. „Wie geht’s dir so?“

„Gut, danke. Und dir?“, erwiderte Hikari ein wenig steif.

„Auch. Es ist ja schließlich Weihnachten, nicht wahr?“ Sie kicherte. „Bist du auch noch auf der Suche nach Geschenken?“

„Mhm“, machte Hikari lahm. „Ziemlich spät.“

„Ja. Immerhin ist Weihnachten schon in vier Tagen. Oh, das ist aber süß.“ Sie zog einen Schokoladenpinguin aus dem Regal, der eine leuchtendrote Weihnachtsmütze und einen Schal trug und zeigte ihn Hikari.

„Ja, aber… ich weiß nicht“, seufzte sie unschlüssig und betrachtete den Pinguin. Ja, er war süß, aber ob er Takeru gefallen würde?

„Für wen suchst du denn was? Vielleicht kann ich dir helfen“, bot Sora lächelnd an und musterte sie interessiert.

„Für ähm… für T.K.“

„Ach, Matts Bruder, oder?“, hakte sie nach.

Hikari nickte. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Sora wohl etwas von ihrer Blamage wusste. Sie stand zumindest mit Taichi noch in Kontakt, das wusste Hikari. Ob sie und Yamato noch etwas miteinander zu tun hatten, wusste sie hingegen nicht. Aber vielleicht hatte ihr Bruder ihr das auch erzählt. Das wäre furchtbar. Und ob sie wohl wusste, dass Yamato sie immer noch liebte?

„Hm, was könnte ihm denn gefallen?“, murmelte Sora vor sich hin und inspizierte das Regal. Sie zog eine weitere Tüte heraus. „Der ist doch auch ganz süß.“ Sie hielt einen Schneemann aus weißer Schokolade in der Hand. Hikari nahm ihn ihr ab.

„Ja, der ist wirklich süß. Und er mag weiße Schokolade.“

„Dann ist das doch schon mal ein guter Anfang“, meinte Sora und ging weiter das Regal entlang. Sie zog noch ein paar weitere Schokoladenfiguren aus dem Regal heraus, doch Hikari gefiel der Schneemann am besten.

„Und für wen suchst du etwas?“, fragte sie.

Sora kicherte erneut. „Du wirst lachen, aber ich brauche noch etwas für deinen Bruder.“

„Oh.“ Hikari musste tatsächlich lachen. „Was für ein Zufall.“

„Ja. Echt witzig, dass ich ausgerechnet dich hier treffe.“

„Bei Tai kann ich dir helfen. Er mag lieber dunkle Schokolade und er findet Weihnachtsmänner blöd“, erklärte Hikari.

„Achso? Das wusste ich noch gar nicht. Warum das denn?“

„Naja, als wir noch klein waren, sind wir mal mit unseren Eltern durch die Stadt gelaufen und da kam ein Weihnachtsmann auf Tai zu und hat ihn gezwungen, ein Gedicht aufzusagen, obwohl ihm keins einfiel. Dann habe nur ich etwas Süßes bekommen und er nicht. Seitdem ist er auf Weihnachtsmänner nicht gut zu sprechen“, erzählte Hikari. Sie und Sora lachten über die Geschichte.

„Der Arme. Dann schenke ich ihm wohl besser keinen Weihnachtsmann, um ihn nicht noch zu traumatisieren“, meinte Sora.

Sie gingen gemeinsam durch das Geschäft, staunten über all die Süßigkeiten und überlegten, welche Tai wohl gefallen könnten und welche nicht. Nach einer halben Stunde entschied Sora sich für den Pinguin, den sie Hikari am Anfang gezeigt hatte. Sie bezahlten und verließen das Geschäft.

Sora warf einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich treffe mich in einer halben Stunde mit meiner Mutter. Wenn du auch noch Zeit hast, könnten wir vielleicht noch einen Kaffee trinken gehen, wenn du magst?“

Verdattert sah Hikari sie an. Kaffee trinken? Mit ihrer Erzfeindin, die ihr leider ziemlich sympathisch war? „Ähm… okay, klar.“

„Super.“

Sie betraten das nächste Café, wo ihnen sofort ein angenehm süßer Duft in die Nase stieg. Auch hier war alles weihnachtlich geschmückt und lud zum Verweilen ein. Sie suchten sich einen Tisch für zwei Personen in einer Ecke und setzten sich. Hikari griff nach der Karte und blätterte darin herum.

„Wie geht es denn Takeru?“, fragte Sora und stützte den Kopf auf den Händen ab.

„Ganz gut. Er ist heute beim Training“, antwortete Hikari beiläufig.

„Training in den Ferien? Der ist aber fleißig“, stellte Sora amüsiert fest. „Geht es ihm denn wegen der Sache mit Mimi wieder besser?“

Hikari ließ die Karte sinken und starrte Sora an.

„Naja, ich habe durch Tai davon mitbekommen. Durch ihn habe ich Mimi kennen gelernt und sie hat mir dann so ein bisschen erzählt, was passiert ist“, erklärte sie hastig und wurde ein wenig rot.

„Oh, achso. Ja, er ist darüber hinweg“, antwortete Hikari und dachte grimmig daran, wie Takeru sich hin und wieder am Wochenende mit irgendwelchen Mädchen vergnügte.

„Das war sicher schwer für ihn“, seufzte Sora und machte ein mitleidiges Gesicht.

„Ja, das war es“, murmelte Hikari.

„Aber es freut mich, dass es ihm besser geht.“ Sora lächelte. Die Bedienung kam und sie bestellten sich beide eine heiße Schokolade mit Sahne.

„Und wie geht es Matt so?“, fragte Sora dann zögerlich.

Hikari biss sich auf die Unterlippe. Anscheinend wusste Sora nichts davon, dass Hikari vor einer Weile von ihm abgewiesen worden war, sonst hätte sie dieses Thema wohl nicht angesprochen. Außerdem sah sie ein wenig verlegen aus.

„Gut, schätze ich. Hab‘ ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen“, antwortete Hikari. Sie musterte Sora über den Tisch hinweg, wie sie gerade mit der Zuckerdose spielte. Was sie wohl dachte? Hikari erinnerte sich an die Nacht zurück, in der Yamato sturzbetrunken bei den Yagamis aufgetaucht war, weil Sora sich von ihm getrennt hatte.

Die Bedienung kam zurück und servierte ihnen die heiße Schokolade.

„Er ist noch immer mit seiner Band unterwegs, oder?“, fragte Sora nach einer Weile.

„Ja“, antwortete Hikari. Sie sah, wie Sora tief ein- und ausatmete und konnte sie einfach nicht verstehen. Yamato liebte sie. Warum war es ihr nicht egal, wie er seinen Lebensunterhalt verdienen wollte? Warum war sie nicht einfach mit ihm zusammen? Hikari an ihrer Stelle hätte nicht eine Sekunde gezögert.

„Anscheinend meint er es wirklich ernst“, murmelte Sora und Hikari wusste nicht, ob sie mit ihr oder mit sich selbst sprach. Sie erwiderte nichts, sondern nippte nur nachdenklich an ihrer heißen Schokolade.

„Wie auch immer. Entschuldige, dass ich damit angefangen hab‘. Ich habe da irgendwie noch ein paar Probleme, obwohl es schon eine Weile her ist“, sagte Sora schließlich und lächelte schief.

„Schon okay. Ich verstehe das“, sagte Hikari langsam.

Sora nippte an ihrer Schokolade und warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster.

„Und wie feierst du Weihnachten?“, fragte Hikari, nur um das Gespräch erneut anzuregen.

Sie unterhielten sich noch einige Minuten locker über das Weihnachtsfest, bevor sie ihre Getränke bezahlten und das Café verließen.

„Also dann, ich wünsche dir ein schönes Weihnachtsfest“, sagte Sora und lächelte. „Es war wirklich schön, dich mal wieder gesehen zu haben.“

„Danke, ebenso“, erwiderte Hikari und lächelte ebenfalls. Zu ihrem Verdruss musste sie feststellen, dass es tatsächlich nett war, mit Sora Zeit zu verbringen. Sie war ein durchaus sympathisches Mädchen, doch Hikari konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich von Yamato getrennt hatte und ihn damit so unglücklich machte.

41. Kapitel, in dem Takeru noch mehr Pralinen bekommt

Es war Valentinstag und Hikari saß im Klassenraum und wartete auf Takeru. Natürlich hatte sie ihm, wie in den letzten drei Jahren, Pralinen gemacht, damit er auch etwas bekam und weil sie ihm eine Freude bereiten wollte. Jedes Jahr vor Valentinstag stand sie also stundenlang in der Küche und gab sich besondere Mühe. Nun ruhte das Tütchen voller Pralinen in ihrer Tasche und wartete darauf, endlich an Takeru weitergegeben zu werden.

Dann betrat er den Klassenraum, in der Hand eine pinke Schachtel mit Schleife haltend und einem leichten Lächeln auf den Lippen.

„Morgen“, begrüßte er Hikari fröhlich und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.

Sie setzte gerade dazu an, ihn nach der Schachtel zu fragen, die er in der Hand hielt, doch in dem Moment wurden sie abgelenkt. Rika aus ihrer Klasse stand plötzlich vor ihnen mit einer kleinen Tüte in der Hand und einem verlegenen Lächeln.

„Guten Morgen“, begrüßte sie Takeru und Hikari freundlich, sah jedoch nur Takeru an.

„Morgen“, sagte er wieder, während Hikari nur eine Augenbraue hob.

„Ich würde dir gern etwas geben, wenn das okay ist“, sagte sie und hielt die mit einer aufwendigen roten Schleife versehenen Tüte nach oben. „Die habe ich gestern selbst gemacht und ähm… es würde mich freuen, wenn du sie annimmst.“

Hikari verdrehte die Augen und wandte sich ab. Was war denn jetzt auf einmal los?

„Klar“, hörte sie Takeru sagen und vernahm das Rascheln der Tüte, als sie den Besitzer wechselte. „Danke, ich kann’s kaum erwarten, die zu essen.“

„Ich hoffe, sie schmecken dir“, sagte Rika noch, bevor sie zurück zu ihrem Platz ging.

Hikari warf Takeru einen argwöhnischen Blick zu. Was war denn nur auf einmal los? Ja, seit ein paar Tagen trug er nicht mehr seinen üblichen Haarschnitt, den er seit gefühlten zehn Jahren hatte, sondern einen modischen, durchgestuften Schnitt mit angedeutetem Seitenscheitel, etwas länger als Ohrlänge. Eben so, wie ihn die meisten Jungs momentan trugen. Doch reichte ein moderner Haarschnitt schon aus, um seine Beliebtheit zu steigern?

Vielleicht gaben ihm auch die Mädchen, die er hin und wieder am Wochenende abschleppte, ein neues Selbstbewusstsein.

„Also?“, fragte er und sah Hikari erwartungsvoll an.

„Was also?“, erwiderte sie ein wenig schnippisch.

„Wo bleiben meine Pralinen?“ Fordernd hielt er ihr die geöffnete Hand entgegen.

„Du hast doch anscheinend schon genug“, meinte sie schulterzuckend.

„Deine brauch‘ ich aber auch.“

„Warum?“

„Das sind meine Lieblingspralinen und außerdem ist es doch ein Ritual. Jedes Jahr Pralinen von meiner besten Freundin.“ Er lächelte hinreißend.

„Sei nicht so gierig. Ich hab‘ dieses Jahr keine gemacht“, log Hikari und wandte sich wieder von ihm ab.

„Was?“, sagte er und Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Kari! Wie soll ich denn den Valentinstag überstehen ohne deine Pralinen?“

„Du wirst es schon überleben“, murmelte Hikari und ordnete die Arbeitsmaterialien auf ihrem Tisch.

 

Hikari fokussierte ihn angriffslustig, während sie den Basketball dribbelte. Takeru erwiderte ihren Blick herausfordernd und stand ihr mit leicht gebeugten Knien gegenüber. Sie holte Luft und lief dann auf ihn zu, nun den Korb im Auge. Er breitete die Arme aus und trat ihr in den Weg, um sie am Wurf zu hindern. Hikari drehte sich weg, um den Ball zu sichern. Sie machte eine ungeschickte Drehung, sprang und versuchte einen Korbleger, doch Takeru schlug ihr den Ball ohne Mühe aus der Hand und verhinderte somit, dass er auch nur in Korbnähe gelangte.

„Tänzel‘ nicht immer so“, tadelte er sie.

„Ich tänzel‘ doch gar nicht“, widersprach sie und fing den Ball auf, den er ihr zuwarf.

„Nur wie eine Ballerina“, meinte er sarkastisch.

„Das nächste Mal können wir gern Ballett machen. Ich zeige dir ein paar Schritte, die du dann mitmachen darfst. Bin mal gespannt, wie du dich beim Spagat anstellst.“

Er lachte und begab sich wieder in Verteidigungsposition. „Ich bin doch nicht schwul.“

„Aber das wäre nur fair. Schließlich muss ich auch immer mit dir Basketball spielen“, erwiderte Hikari schulterzuckend und dribbelte den orangefarbenen Ball.

„Wir spielen nicht Basketball. Wir werfen nur ein paar Körbe“, korrigierte Takeru sie.

„Klugscheißer“, murmelte sie, grinste aber.

„Das hab‘ ich gehört.“

„Solltest du auch.“

Wieder lief sie auf ihn zu, machte einen Satz nach links, dann nach rechts, doch immer sprang er ihr in den Weg. Sie schien einfach zu langsam. Wieder versuchte sie eine Drehung und einen Sprung, um den Ball im Korb zu versenken, doch wieder schnappte er ihr den Ball weg, bevor sie überhaupt richtig werfen konnte.

„Du bist ja auch viel größer als ich“, beschwerte sie sich und stemmte die Hände in die Hüften. „Kein Wunder, dass ich keine Chance habe. Lass uns mal wechseln. Ich geh‘ in die Verteidigung.“

„In die Defense“, korrigierte er sie schon wieder.

Sie legte den Kopf schief. „Du bist so ein verdammter Klugscheißer.“

„Tu‘ nicht so. Du verdrehst auch immer die Augen, wenn ich Ballettschuhe sage.“

„Sind ja auch Spitzenschuhe.“ Sie grinste und warf ihm den Ball zu, dann tauschten sie die Positionen. Nun ging Hikari in eine leichte Hockstellung und versuchte, Takeru nachzumachen. „Na komm‘ schon.“

Er dribbelte, wobei er natürlich viel geschmeidiger aussah als sie. Bei ihr kam es ihr immer so vor, als würde sie den Ball verprügeln. Bei ihm sah es mehr so aus, als wären er und der Ball eine untrennbare Einheit.

Er kam auf sie zu und sie breitete die Arme aus, um ihn aufzuhalten. Er machte eine solche Drehung, wie Hikari sie versucht hatte, sprang leichtfüßig an ihr vorbei und versenkte den Ball zielsicher im Korb.

Sie schnaubte frustriert, während er den Ball fing und zurück in seine Ausgansposition ging. Dann führten sie beide noch einmal fast genau die gleichen Bewegungen aus und wieder versagte Hikari und Takeru erzielte einen Punkt.

„Das ist doch blöd, wenn einer viel kleiner ist als der andere“, beschwerte sie sich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du musst aufdringlicher sein“, meinte er. „Riskier‘ mal was. Werd‘ ruhig körperlich. Ist so beim Basketball.“

„Ich dachte, wir spielen kein Basketball, sondern werfen Körbe“, erwiderte Hikari und lächelte schief.

„Klugscheißer“, wiederholte er ihre Worte von vorhin.

„Und du meinst, ich soll dich foulen?“, fragte sie unsicher.

Er zuckte mit den Schultern. „Naja, versuch‘ es ruhig. Versuch‘ alles, mich am Werfen zu hindern.“

„Na schön.“ Sie begab sich wieder in ihre Ausgangsposition und sah ihn auffordernd an. „Dann mal los. Aber wehe du heulst hinterher.“

Er lachte und begann zu dribbeln. Dann kam er auf sie zu und diesmal kam sie ihm entgegen. Nein, sie sprang ihm mit einem Schrei entgegen, als wäre sie der Angreifer. Er war offensichtlich zu überrascht, denn er stolperte rückwärts, fiel zu Boden und sie landete auf ihm.

„Aua“, beklagte er sich und rieb sich den Ellbogen. „Das war definitiv ein Foul. Du sollst mich am Werfen hindern, nicht anspringen wie eine wildgewordene Katze.“

„Aber ich hab den Ball“, rief sie triumphierend und hielt den Ball nach oben. Dann kletterte sie von ihm herunter, damit er sich aufsetzen konnte.

„Aus dir wird kein Basketballer mehr“, meinte er kopfschüttelnd und schnappte ihr den Ball weg.

Hikari blieb neben ihm auf dem Boden sitzen und strich den kurzen Rock ihrer Schuluniform wieder glatt. „Ich glaube, damit kann ich leben.“

Er ließ den Ball auf einem Finger balancieren. „Ich überlege, mich nach der Schule für eine Sportschule zu bewerben.“

„Oh“, machte Hikari, überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel. „Das ist doch super und wird bestimmt kein Problem für dich.“

„In New York“, fügte er hinzu.

Verblüfft starrte sie ihn an. „New York?“

„Ja.“

„Das New York in Amerika?“

Er verdrehte die Augen. „Nein, das in Tokio. Natürlich das in Amerika.“

„Aber… das… das ist so weit weg“, stammelte Hikari verdattert.

„Ich weiß, aber ich hätte schon echt Lust, in der NBA mitzumachen“, sagte Takeru und beobachtete den Ball, während er ihn hin und her wirbelte.

„Aber… was ist mit deiner Mutter? Und deinem Vater? Und Matt? Die kannst du dann alle nicht mehr sehen“, gab Hikari zu bedenken, meinte jedoch eigentlich sich selbst.

„Wieso? Es gibt doch Skype und so. Und sie können mich ja besuchen kommen und ich kann auch zu Besuch kommen. Wäre ja kein Problem.“

Hikari starrte ihn mit offenem Mund an. Anscheinend dachte er ernsthaft darüber nach, nach Amerika zu gehen. Aber das ging doch nicht. Wie sollte sie denn hier ohne ihren besten Freund leben? Sie hatten sich eigentlich an der gleichen Uni in Tokio bewerben wollen, um zusammen zu bleiben und sich auch nach der Schule täglich zu sehen. Jetzt schien er den Plan einfach über den Haufen werfen zu wollen. „Aber das ist doch ein ganz anderes Land. Vielleicht kommst du ja mit der Kultur da überhaupt nicht klar. Und die Wohnungen sollen da unglaublich teuer sein. Und bestimmt sind die Menschen total unfreundlich und das Essen komisch.“

„Es ist ja erst mal nur ein Gedanke“, erwiderte er schulterzuckend. „Vielleicht ändere ich meine Meinung ja wieder.“

Hoffentlich, dachte Hikari.

42. Kapitel, in dem ein Herz langsam geflickt wird

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

43. Kapitel, in dem Yamato sich umorientiert

Ihre letzten Sommerferien neigten sich dem Ende, als Hikari und Takeru zusammen mit Yamato bei den Takaishis am Küchentisch saßen und sich eine Broschüre über die New Yorker Schule anschauten, für die Takeru sich interessierte.

„Sieht echt nicht schlecht aus“, meinte Yamato anerkennend und nickte. Inzwischen waren seine Arme vollkommen zutätowiert, was jetzt im Sommer, da er nur T-Shirts trug, besonders auffiel. Takeru und Hikari hatten in den Sommerferien viel Zeit mit ihm verbracht und Hikari konnte wieder einigermaßen normal mit ihm umgehen. „Aber bist du dir sicher, dass du da wirklich hin willst? Das ist ein riesiger Schritt, so weit weg zu ziehen von allen, die du kennst.“ Er musterte Takeru mit gerunzelter Stirn.

„Nee, sicher bin ich mir nicht. Ich bewerbe mich einfach mal und dann mal gucken. Mehr als ablehnen können sie mich ja nicht.“

„Und angenommen, du darfst da studieren? Gehst du dann?“, fragte Yamato weiter.

Takeru zuckte mit den Schultern. „Warum eigentlich nicht? Wäre bestimmt ziemlich cool.“

Hikari presste die Lippen aufeinander. Mit dem Gedanken, nach New York zu ziehen, spielte er nun schon seit einigen Monaten. Offensichtlich wurde daraus doch etwas Ernsteres.

„Das wäre ganz schön komisch, ohne meinen kleinen Bruder hier in Japan zu wohnen“, meinte Yamato schief lächelnd.

„Ja.“ Hikari nickte zustimmend. Sie fing Takerus unergründlichen Blick auf und hob fragend die Augenbrauen, doch in diesem Moment ergriff Yamato wieder das Wort.

„Ich überlege auch, nächstes Jahr ein Studium anzufangen.“

Takeru und Hikari sahen ihn überrascht an.

„Was?“

„Wieso?“

„Ihr könnt Fragen stellen“, murmelte Yamato und hob eine Augenbraue, während er die beiden abwechselnd ansah. „Geld. Es klappt halt mit der Band nicht so, wie ich wollte. Und Kenta will sowieso aussteigen. Wir müssten uns also erst mal einen neuen Bassisten suchen und naja.“

„Wollt ihr die Band auflösen?“, fragte Hikari entsetzt.

Yamato lachte leise. „Nein. Ich will mich nur umorientieren.“

„Aber Matt! Das war doch dein großer Traum. Ihr wolltet doch mit der Band berühmt werden und um die Welt reisen. Auf großen Festivals auftreten und auf Tournee gehen und so. Das kannst du doch nicht einfach aufgeben!“ Sie war völlig verwirrt von dieser plötzlichen Neuigkeit, mit der sie so gar nicht gerechnet hatte. Die ganze Zeit hatte sie erwartet, dass die Tokyo Rebels ganz groß rauskommen würden und nur noch auf die richtige Gelegenheit warteten.

Schon wieder bekam sie einen seltsamen Blick von Takeru und wieder runzelte sie fragend die Stirn.

„Hey, bleib‘ ruhig“, sagte er amüsiert und hob abwehrend die Hände. „Wir behalten die Band doch trotzdem, aber keiner von uns kann allein davon leben. Deswegen suchen wir uns jetzt was Neues.“

Ungläubig schüttelte Hikari den Kopf. Sie wusste nicht einmal genau, weshalb sie diese Neuigkeit so enttäuschte und fassungslos machte. Vielleicht waren ihre Erwartungen an Yamato einfach zu hoch gewesen. Sie hätte ihm alles zugetraut, hatte immer gedacht, er könnte alles schaffen, wenn er nur wollte. Und nun sah sie mit an, wie er seinen Traum aufgab, um… um etwas Normales zu machen.

„Und was genau willst du studieren?“, fragte Takeru.

Yamato zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es noch nicht so genau. Ich werde mal zur Berufsberatung gehen. Vielleicht bin ich dann klüger.“

„Du könntest doch Musik studieren“, schlug Hikari vor und schöpfte wieder neue Hoffnung. Wenn er Musik studierte, könnte er doch seinen Traum trotzdem noch verwirklichen und müsste die Musikerkarriere nicht an den Nagel hängen.

„Nein“, meinte er dann jedoch. „Ich glaube eher nicht. Ich weiß nicht, ob mich ein Musikstudium weiterbringen würde.“

„Aber wieso denn nicht? Du bist doch Musiker mit Leib und Seele“, widersprach sie verständnislos. Diesmal warf Takeru ihr einen sichtlich genervten Blick zu, doch sie ignorierte ihn einfach.

„Eben deswegen denke ich, dass mir das nichts bringt. Ich will einfach was anderes probieren“, erklärte Yamato nachdrücklich, sodass Hikari ihre Widerrede aufgab.

Ein paar Minuten später verabschiedete Yamato sich und ließ die beiden allein zurück. Takeru schloss die Wohnungstür hinter ihm, drehte sich zu Hikari um und verschränkte die Arme vor der Brust. Argwöhnisch musterte er sie.

„Was ist denn?“, fragte sie mürrisch.

„Stehst du etwa immer noch auf ihn?“, fragte er, sodass es wie ein Vorwurf klang.

Hikari ging in eine Abwehrhaltung über. „Nein, warum?“

„Warum? Weil du dich benimmst wie ein Groupie vielleicht? ‚Du kannst doch nicht einfach deinen großen Traum aufgeben‘“, ahmte er sie nach. „Mann, haben dir die bisherigen Abfuhren nicht gereicht?“

Verletzt starrte sie ihn an. „Ach und du willst natürlich auch nur für Matt das Beste und denkst überhaupt nicht daran, dass er sich ‚was Vernünftiges‘ suchen sollte, damit deine Eltern wieder zusammenkommen, stimmt’s? Ob er glücklich ist oder nicht, spielt doch jetzt für dich gerade gar keine Rolle, solange du glücklich sein kannst.“

Er wich ihrem Blick aus. „Du verstehst gar nichts.“

Wütend griff sie nach ihrer Tasche und marschierte an ihm vorbei zur Tür. „Ich gehe jetzt. Du kannst dich ja melden, wenn du wieder normal bist.“

 

_

 

Es war Ende November, als Takeru Yamato zum ersten Mal an seinem neuen Arbeitsplatz, einer Bar in Odaiba, besuchte. Seit über einem Monat arbeitete er nun schon dort, kellnerte, mixte Cocktails und verdiente so viel, dass er sich vor ein paar Tagen eine eigene kleine Einraumwohnung gemietet hatte. Er war heilfroh gewesen, endlich von zu Hause auszuziehen.

Takeru war mit Ami gekommen. Seit er im Mai spontan vor ihrer Tür aufgekreuzt war, hatten sie eine Art Affäre am Laufen und trafen sich hin und wieder am Wochenende. Takeru hatte ihr von Anfang an klar gemacht, dass er keine Gefühle für sie hatte, doch ihr hatte das nichts ausgemacht. So hatten sie einfach beide ihren unverfänglichen Spaß ohne Verpflichtungen.

„Hey, kleiner Bruder“, begrüßte Yamato ihn grinsend, als er und Ami sich einen Platz am Tresen suchten. Wie die anderen Angestellten der Bar trug er ein weißes T-Shirt und eine dunkle Hose. Sein Blick fiel auf Ami. „Hi. Matt.“

„Ami“, stellte sie sich lächelnd vor.

„Was kann ich euch bringen?“, fragte Yamato.

„Eine Cola, bitte“, bestellte Takeru.

„Für mich auch.“

Yamato nickte und wandte sich ab.

„Das ist dein Bruder?“, fragte Ami und hob beeindruckt die Augenbrauen. „Ihr seht euch echt ähnlich.“

„Findest du?“

„Ja. Er hat nur ein paar Tattoos mehr als du.“ Sie grinste.

Yamato stellte die beiden Colas vor ihnen ab und verschwand dann im Gastraum, um Bestellungen aufzunehmen. Takeru sah ihm hinterher und beobachtete, wie er mit zwei Mädchen flirtete, die ihn wie Frischfleisch musterten.

„Er ist bestimmt ziemlich beliebt, oder?“, fragte Ami, die ihn anscheinend ebenfalls beobachtet hatte.

„Ja, glaub‘ schon“, murmelte Takeru kopfschüttelnd. Er könnte so viele haben und wollte doch nur eine. War das nicht seltsam und irgendwie auch ziemlich dumm? Was für eine Verschwendung.

Fünf Minuten später, als hätte sie gewusst, dass man an sie gedacht hatte, erschien Sora in Begleitung von Mimi in der Bar. Sie sah Takeru, machte ein überraschtes Gesicht und kam auf ihn zu. Takeru war nicht weniger überrascht.

„Nanu, Takeru“, sagte sie lächelnd. „Mit dir habe ich hier ja nicht gerechnet.“

„Ich mit dir auch nicht“, erwiderte er, stellte ihr Ami vor und lud sie und Mimi dazu ein, sich zu ihnen zu setzen. Er war verwundert, dass Sora mit Mimi zusammen in eine Bar ging und wusste nicht, was er davon halten sollte, sie jetzt hier zu sehen.

„Ähm… bist du sicher, dass das okay ist?“, fragte Sora mit einem Seitenblick auf Ami, deren Lächeln ein wenig aufgesetzt wirkte. Auch Mimi musterte sie unverhohlen und warf ihr langes Haar mit einer Kopfbewegung nach hinten.

„Klar, wieso nicht?“, antwortete Takeru lässig und zuckte mit den Schultern.

„Ja“, fügte Ami zögerlich hinzu.

Die beiden Mädchen nahmen Platz und in diesem Moment kam auch Yamato zurück hinter den Tresen und machte sich daran, Getränke einzuschenken. Sein Blick fiel auf Sora und Mimi und auch die beiden bemerkten ihn.

„Matt?“ Ungläubig starrte Sora ihn an.

„Hi“, begrüßte er sie lächelnd, als wären sie nur zwei zufällige Gäste. „Was kann ich euch bringen?“

„Was machst du hier?“, fragte Sora statt einer Antwort.

„Arbeiten“, erwiderte er, ohne sein Lächeln verblassen zu lassen.

„Das sehe ich“, sagte Sora.

„Gut. Ich möchte nämlich nicht faul wirken.“ Er grinste schief und drapierte die fertigen Getränke auf einem Tablett. „Also, was kann ich euch bringen?“

„Ich nehme einen Mai Tai“, verkündete Mimi fröhlich.

„Ha, der war gut“, erwiderte Yamato zwinkernd und sie lachten. Takeru verdrehte die Augen. „Und du, Sora?“

„Ähm… einen Pina Colada bitte“, murmelte sie.

„Kommt sofort.“ Er schnappte sich das Tablett mit den Getränken und verschwand wieder im Gastraum.

„Wusstest du, dass er hier arbeitet?“, fragte Sora in vorwurfsvollem Ton an Mimi gewandt. „Wolltest du deswegen hierher kommen?“

„Nö“, antwortete diese unschuldig lächelnd. Takeru erkannte, dass sie log. „Ich wollte hierher kommen, weil ich die Bar mag.“

„Klar“, murmelte Sora trocken und drehte sich zu Takeru um. „Seit wann arbeitet er denn hier?“

„Erst seit ein paar Wochen“, antwortete er und warf Mimi einen skeptischen Blick zu, dem sie auswich.

Sora nickte langsam und sah sich nach Yamato um, während Takeru sich wieder an Ami wandte, die ihn nicht allzu begeistert musterte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er sie verwundert.

„Ja“, antwortete sie kurz angebunden. „Ich bin nur schon ziemlich müde. Ich glaube, lange möchte ich heute nicht mehr bleiben.“

„Okay, kein Problem“, meinte Takeru schulterzuckend. Eigentlich passte ihm das recht gut in den Kram. So konnte er Mimi wenigstens zeigen, wie er wirklich war. Dass er nicht so lieb und nett war, wie sie dachte. Dass sie einen Fehler begangen hatte, als sie sein Angebot einer zweiten Chance nicht angenommen hatte. Es war nicht so, dass er sie noch zurück wollte, selbst wenn sie nun auf einmal entdecken sollte, dass sie lieber mit ihm als mit Taichi zusammen war. Nein, es ging ihm nur darum, ihr eins auszuwischen. Er lächelte schelmisch und sagte laut, sodass Mimi und Sora es auch hören konnten: „Wir haben ja eh noch was Besseres vor.“

Ami lief ein wenig rot an und kicherte verlegen, während sie eine Hand auf sein Knie legte.

Neugierig beugte sich Mimi nach vorn und musterte ihn. „Wie lang seid ihr denn schon zusammen?“

„Ach, das geht schon seit einer Weile so“, meinte Takeru abwinkend. Er hatte bewusst nach einer Antwort gesucht, die weder bestätigte noch widerlegte, dass sie ein Paar waren. So würde Ami keine seltsamen Fragen stellen und Mimi konnte weiter spekulieren.

„Freut mich für euch“, mischte Sora sich ein und lächelte. Sie ging anscheinend davon aus, dass Takeru und Ami fest zusammen waren.

„Ja.“ Mimi nickte zustimmend.

Yamato kam mit einem Tablett voller leerer Gläser zurück und machte sich hinter dem Tresen daran, die Gläser einer weiteren Bedienung zu geben, die sie abwusch. Yamato machte sich währenddessen daran, die Cocktails für Sora und Mimi vorzubereiten.

„Und? Wie geht es euch so?“, fragte er an die beiden Mädchen gewandt.

„Sehr gut“, antwortete Mimi fröhlich.

„Ganz gut“, erwiderte Sora nur schulterzuckend.

„Tja, das liegt nur daran, dass du einfach nicht den richtigen Kerl findest“, meinte Mimi lässig und tätschelte ihr die Schulter.

Takeru beobachtete, wie Yamato eine Augenbraue hob und Sora musterte. Diese warf Mimi gerade einen genervten Blick zu.

„Was denn? Ist doch so.“ Mimi lächelte vielsagend. „Manchmal hatte man die Person fürs Leben auch schon und hat es nicht so richtig mitbekommen. Dann muss es einem erst klarwerden. Aber dafür darf man sich nicht so verschließen, sonst merkt man es nicht. Du stimmst mir doch zu, oder Matt?“

„Ähm…“

„Was redest du da?“, knirschte Sora und stieß Mimi in die Seite.

„Aua! Ich mein‘ ja nur.“

Takeru schüttelte ungläubig den Kopf. Versuchte Mimi etwa ernsthaft, Yamato und Sora wieder miteinander zu verkuppeln?

„Also ich glaube, wenn es mit einer Person, die man schon kannte, nicht geklappt hat, dann ist sie auch nicht die Richtige“, mischte Ami sich ein und nippte an ihrer Cola. „Und dann sollte man den Kontakt wohl auch besser abbrechen.“

Mimi warf ihr einen verärgerten Blick zu. „Kontakt abbrechen? Aber wenn man gut befreundet ist, hat das doch gar keinen Sinn.“

„Man sollte seine Lebenszeit nicht mit Menschen verschwenden, die einem nicht gut tun. Und mit dem oder der Ex weiterhin befreundet zu sein, kann einem ja wohl kaum gut tun. So etwas geht doch nie gut aus“, erklärte Ami überzeugt.

Betretenes Schweigen breitete sich unter den anderen vieren aus. Yamato starrte auf die Cocktails, die er gerade in Gläser abfüllte, Sora war rot angelaufen und Mimi untersuchte akribisch ihre Fingernägel.

Takeru trank in einem Zug seine Cola leer und stellte das Glas geräuschvoll auf den Tresen zurück. „Genau der richtige Zeitpunkt, um zu gehen.“

Yamato stellte die Cocktailgläser vor Mimi und Sora ab, die beide sofort danach griffen und einen großen Schluck tranken.

„Hab‘ ich irgendwas Falsches gesagt?“, fragte Ami verunsichert und sah Takeru an.

Er zögerte, die anderen schwiegen. „Alles gut. Lass‘ uns lieber gehen.“

44. Kapitel, in dem neue Hoffnung geschöpft wird

Es tat so gut, sich nur auf sich selbst zu konzentrieren und Ami dabei trotzdem einen Gefallen zu tun. Mit ihr war es so einfach. Kein Nachdenken, keine Gefühle, kein schlechtes Gewissen, keine Verpflichtungen, einfach nur Spaß.

Rücksichtslos stieß er immer wieder in sie, wobei es ihm egal war, was sie dabei empfand. Es war einfach ein Glücksfall, dass es ihr so gefiel, doch im Grunde spielte es für ihn keine Rolle, ob sie auf ihre Kosten kam oder nicht. Solange er auf seine Kosten kam, war es in Ordnung.

Noch immer erhitzt, zog er sich aus ihr zurück und ließ sich erschöpft in die Kissen fallen.

„Das war mal wieder gut“, seufzte Ami glücklich und kuschelte sich an ihn. Ihr langes Haar fühlte sich ganz weich an seiner nackten Schulter an. „Du bist einfach der Beste und dafür liebe ich dich.“

Er erstarrte. Liebe? Was redete sie denn da?

„Du liebst mich?“, fragte er und bemühte sich um einen amüsierten Tonfall.

Sie veränderte ihre Position ein wenig. „Naja, du weißt schon, wie ich das meine.“

„Klar“, murmelte er und streichelte ihr gedankenverloren über die Schulter. In Wirklichkeit wusste er jedoch nicht, was sie meinte. Er konnte nur hoffen, dass sie es nicht so gemeint hatte, wie er annahm. Dann wäre er in Schwierigkeiten.

Sie zog mit ihrem Finger Kreise auf seiner Brust und kitzelte ihn dabei sanft mit dem Fingernagel. „Wir könnten das, was wir jetzt haben, aber auch noch ausbauen, meinst du nicht?“

„Hm?“, machte Takeru irritiert.

„Es läuft so gut mit uns und ich habe echt das Gefühl, wir passen super zusammen. Es ist so schön, Zeit mit dir zu verbringen“, erklärte Ami leise, griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Und da dachte ich mir, wir könnten auch einfach was Richtiges draus machen, oder?“

 

„Und du hast ja gesagt?!“ Ungläubig starrte Hikari ihn an.

„Was hätte ich denn machen sollen?“, fragte Takeru trotzig und schob die Hände in die Hosentaschen, während er in Hikaris Zimmer auf und ab ging.

„Ihr sagen, dass du nichts für sie empfindest vielleicht?“, entgegnete sie schnippisch.

„Ja, ganz toll wäre das geworden. ‚Nee, sorry, ich steh‘ nicht auf dich, will nur Sex. Mach’s gut, das war’s dann.‘“

„Genau das hättest du aber sagen sollen!“

„Kurz nachdem wir Sex hatten und sie mir praktisch sagt, dass sie mich liebt? Wie scheiße ist das denn?“

„Mit ihr eine ernste Beziehung anzufangen, obwohl du keine Gefühle für sie hast, ist noch viel schlimmer als das. Viel, viel schlimmer.“ Entschlossen verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte ihn vernichtend an, als ginge es hier um ihre beste Freundin und nicht um eine für sie Fremde.

„Ich kann doch jederzeit wieder Schluss machen“, antwortete Takeru verständnislos.

Offenbar fassungslos hob Hikari die Augenbrauen. „Wann bist du denn so ein Arsch geworden, Takeru?“

„Hey!“ Ein wenig verletzt runzelte er die Stirn. „Ich bin kein Arsch. Ich hab‘ nur ein bisschen Spaß und hab‘ ihr außerdem von Anfang an gesagt, dass das nichts Ernstes werden soll.“

„Dann sag‘ es ihr eben nochmal. Wahrscheinlich denkt sie, du hast in der Zwischenzeit deine Meinung geändert“, sagte Hikari nachdrücklich.

„Dann hätte ich das doch wohl gesagt.“

„Sie ist ein Mädchen. Sie hat sich in dich verliebt und versucht eben, dein Verhalten zu interpretieren und sucht nach Anzeichen dafür, dass du sie auch magst.“

„Wenn sie sich in mich verliebt, obwohl ich ihr gleich gesagt hab‘, dass ich nur Spaß will, ist das doch ihre eigene Schuld“, widersprach Takeru bestimmt.

Hikaris Blick war eine Mischung aus Unverständnis, Verwirrung und Ungeduld. Schließlich seufzte sie jedoch und ließ sich auf ihr Bett fallen. „Ich geb’s auf. Tu‘, was du nicht lassen kannst.

„Mach‘ dir doch nicht so viele Sorgen“, meinte er schulterzuckend und ging zu ihr hinüber. Irgendwie verstand er nicht ganz, warum sie sich so aufregte. Es ging hier doch nicht um sie. „Ich mach‘ das schon irgendwie.“

Sie sah zu ihm herauf und für ein paar Sekunden blickten sie sich in die Augen.

„Du hast dich ganz schön verändert“, murmelte sie.

„Wie meinst du das?“

„Naja, früher warst du netter. Der alte T.K. hätte das nicht gemacht. Dem waren die Gefühle anderer nicht so egal.“

„Mir sind ihre Gefühle doch gar nicht egal“, protestierte er und war allmählich genervt. Hätte er es ihr doch bloß nicht erzählt.

„Doch, sonst hättest du ihr gestern die Wahrheit gesagt, als du die Gelegenheit dazu hattest, anstatt eine Beziehung mit ihr anzufangen.“

„Wir drehen uns im Kreis“, stellte er nüchtern fest.

„Weil du nicht einsehen willst, dass du ein egoistisches Arschloch geworden bist“, erwiderte sie genauso nüchtern.

„Was?!“ Er starrte sie an.

„Netter kann ich das nicht mehr ausdrücken.“

Takeru musste zugeben, dass er tief getroffen war von dem, was sie gesagt hatte. Wieder und wieder wiederholte sich der Satz in seinem Kopf, während er sie weiterhin anstarrte. Egoistisches Arschloch. War ihr überhaupt klar, was sie da sagte? Sie hatte doch keine Ahnung. Und überhaupt hatte sie leicht reden.

„Tschüss“, brummte er, drehte sich um und ging.

 

_

 

Mit schlechtem Gewissen lag Hikari auch eine halbe Stunde, nachdem Takeru gegangen war, noch immer auf dem Bett und starrte an die Decke. Vielleicht hätte sie ihn nicht so nennen sollen. So schlimm war er ja schließlich gar nicht.

Naja eigentlich doch. Was war nur mit ihm los? Seit er nicht mehr mit Mimi zusammen war, hatte er sich komplett verändert. Plötzlich war er nicht mehr der liebe Junge, der er immer gewesen war. Früher hätte er jemanden, der mit einem Mädchen zusammen war, das er nicht liebte, zutiefst verachtet. Und nun? Er könnte ja jederzeit wieder mit ihr Schluss machen, hatte er gesagt. Was diese Ami davon hielt, war ihm total egal. Und überhaupt hatte Hikari keine Ahnung, mit wie vielen verschiedenen Mädels er schon geschlafen hatte. Was war nur aus ihm geworden?

Seufzend erhob sie sich vom Bett, setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer an. Vor ein paar Wochen hatten sie und Takeru sich auf Facebook angemeldet, weil ihre Klasse neuerdings von nichts anderem mehr sprach. Da waren auch sie neugierig geworden und waren mittlerweile zumindest online mit der ganzen Schule und halb Odaiba befreundet.

Hikari loggte sich in ihren Account und suchte Takerus Profil auf. Auf seinem Foto stand er mit ausdruckslosem Gesicht und einem Basketball in den Händen vor einer mit Graffiti besprühten Hauswand. Dieses Foto hatte Hikari von ihm gemacht, als er sie mal wieder dazu gezwungen hatte, mit ihm Körbe zu werfen. Sie klickte das Bild an, fand einen Haufen „voll cool, T.K.!“-Kommentare und sah, dass das Bild inzwischen sechsundfünfzig Leuten gefiel.

Sie klickte das Bild weg und warf einen Blick auf seine Pinnwand. Einige Einträge waren von ihm, andere von Mitschülern, die ihn mit haufenweise Smileys fragten, ob er wann auch immer Zeit hatte, was auch immer zu machen. Eine Information jedoch stach Hikari besonders ins Auge. Sie war erst ein paar Minuten alt und lautete: Takeru Takaishi ist jetzt in einer Beziehung mit Ami Matsuda.

„Oh mein Gott“, murmelte Hikari und schüttelte den Kopf. Selbst im Internet konnte er es nicht lassen. Sofort musste er diese neue Information über sich verbreiten.

Sie klickte auf seine Freundesliste, überflog sie und fand schließlich auch zu ihrer Überraschung Mimis Namen darin. Ob er ihr wohl eins auswischen wollte mit seiner Liebesbekundung?

Hikari schnüffelte noch auf ein paar anderen Profilen herum, die sie auf seiner Freundesliste gefunden hatte, bevor sie den Computer wieder ausschaltete und sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte. Nachdenklich betrachtete sie ihr Spiegelbild im schwarzen Bildschirm und fragte sich, warum sie sich in diese Angelegenheit überhaupt einmischte. Eigentlich konnte es ihr doch egal sein. Sie kannte diese Ami ja nicht einmal, nur von ein paar Facebookfotos. Takeru sprach kaum über sie und hatte bisher nicht die geringsten Anstalten gemacht, sie ihr vorzustellen. Für Hikari war sie doch nur irgendeine Fremde. Warum also kümmerte sie sich überhaupt um sie?

 

_

 

Wütend kickte Takeru einen Stein aus seinem Weg. Wie konnte Hikari ihn nur so bezeichnen? Sie hatte doch keine Ahnung. Sie war immer beliebt gewesen und hätte, bis auf Yamato, jeden haben können, den sie wollte. Und außerdem hatte sie seit der Erfahrung mit Makoto Angst vor zu viel körperlicher Nähe, weshalb sie Takerus Bedürfnis nach Spaß nicht nachvollziehen konnte. Sie konnte sich überhaupt nicht in seine Lage hineinversetzen und trotzdem verurteilte sie ihn. Das sollte eine beste Freundin nicht tun.

Er schloss die Wohnungstür auf, trat ein und sofort fielen ihm die zwei Paar Schuhe auf, die hier nicht zu Hause waren. Er streifte seine eigenen Schuhe ab, hängte seine Jacke in die Garderobe und lief ins Wohnzimmer.

Tatsächlich. Dort auf der Couch saßen Hiroaki und Yamato und drehten sich zu ihm um. Natsuko hatte sich in ihrem Sessel platziert und sah ihn an. „Da bist du ja schon wieder.“

„Hey, Großer“, begrüßte Hiroaki ihn lächelnd.

Takeru war ein wenig sprachlos. Der Ärger über Hikaris Worte war vorerst verflogen. „Hi. Was macht ihr denn hier?“

„Ich wollte Mama und Papa ein bisschen von den Studiengängen erzählen, die ich mir ausgesucht habe“, antwortete Yamato und Natsuko nickte bekräftigend. Auf dem Tisch standen drei Tassen Kaffee und ein Teller mit Keksen. Alles sah nach einer gemütlichen Familienrunde aus und Takeru hob die Augenbrauen.

„Warum wusste ich davon nichts?“, fragte er.

Natsuko zuckte mit den Schultern. „Du warst in letzter Zeit so selten zu Hause und ich dachte, du bist jetzt sowieso bei Kari. Aber setz‘ dich doch einfach zu uns.“

Noch immer verwirrt sah Takeru zwischen den dreien hin und her und konnte kaum glauben, sie an einem Tisch zu sehen. Und nun kam er auch noch dazu und die Familie war komplett. Gab es etwa noch Chancen?

Er setzte sich neben Yamato auf die Couch und sie fuhren mit ihrem Gespräch fort. Yamato hatte ein paar Broschüren über verschiedene Unis und Studiengänge mitgebracht und erklärte sie. Hiroaki und Natsuko hörten interessiert zu, fragten nach und erzählten sogar von ihrer eigenen Studienzeit. Takeru hatte die Geschichten, genau wie Yamato, bereits mindestens eine Million mal gehört und achtete eher darauf, wie seine Eltern miteinander umgingen, beobachtete Blickkontakte und Gesten. Es war das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass er sie normal, ja sogar gut gelaunt miteinander reden sah. Sie lachten viel und Natsuko holte sogar irgendwann Sekt zum Anstoßen.

„Auf unseren Großen, der anscheinend doch langsam vernünftig wird“, rief sie fröhlich und vier Sektgläser wurden klirrend aneinander gestoßen.

45. Kapitel, in dem es knistert

„Los, du zuerst“, forderte Takeru und sah sie eindringlich an.

Hikari biss sich nervös auf die Unterlippe und musterte den Briefumschlag in ihrer Hand. Ihre Finger zitterten. „Ich trau‘ mich nicht.“

Sie saßen sich gegenüber auf ihrem Bett und hielten die Antwortbriefe auf ihre Universitätsbewerbungen in den Händen. Die Briefe, die über ihre Zukunft entscheiden konnten. Hikaris Herz raste vor Aufregung.

„Boah, gib her.“ Er nahm ihr den Umschlag aus der Hand und fing an, ihn aufzureißen, als Hikari ihn ihm empört wieder wegschnappte.

„Hey, das ist mein Brief!“ Langsam öffnete sie den Umschlag und holte vorsichtig den Bogen Papier darin heraus. Mit dem Blick überflog sie die schwarzen Zeilen bis zum Ende, ließ den Brief dann wie in Zeitlupe sinken und starrte Takeru an.

Er hob die Augenbrauen. „Und?“

„Ich bin angenommen“, stieß Hikari ungläubig hervor. „Oh mein Gott.“

Er grinste breit. „Siehst du? Ich hab‘ dir doch gleich gesagt, dass du die Prüfung geschafft hast. Glückwunsch!“

„Oh mein Gott“, wiederholte sie nur kopfschüttelnd. „Ich kann es nicht glauben. Los, jetzt mach‘ deinen auf.“

„Ja, schon gut“, erwiderte Takeru und griff nach seinem eigenen Umschlag. Er ging beim Öffnen nicht so zögerlich vor wie Hikari, zog den Brief heraus und überflog ihn. Dann grinste er erneut. „Auch angenommen.“

Hikari stieß einen Freudenschrei aus und fiel ihm um den Hals. Sie hatten es geschafft! Ab April würden sie also an der gleichen Universität studieren – sie Pädagogik und er Journalistik mit dem Schwerpunkt auf Sportjournalismus. Sie hatten alle beide nicht so wirklich gewusst, was sie werden wollten. Doch weil Hikari Kinder mochte, hatte sie sich für Pädagogik und entschieden. Und Takeru? Er hatte eigentlich nach New York gehen wollen, um Basketballstar zu werden.

Sie ließ ihn wieder los und sah ihn an. „Glaubst du, das ist okay so?“

„Was?“, fragte er verwirrt.

„Dass du… dass du das mit New York nicht machst“, murmelte Hikari.

„Klar. Meine Eltern nähern sich endlich wieder an nach so vielen Jahren! Da kann ich doch nicht abhauen“, erwiderte er glücklich lächelnd.

Hikari nickte langsam. Es war nicht so, dass sie nicht wollte, dass er in Tokio blieb, doch sie war, was seine Eltern betraf, lange nicht so optimistisch wie er. Wenn es nach ihm ging, waren Hiroaki und Natsuko bereits frisch verliebt ineinander, dabei schafften sie es seit ein paar Monaten lediglich, sich normal zu unterhalten. Hikari sah das eher als beginnende Freundschaft als neu erwachte Liebe, doch davon wollte Takeru nichts hören.

„Außer natürlich, du willst mich nicht mehr in Japan haben“, fügte er hinzu und musterte sie gespielt beleidigt. „Dann geh‘ ich eben.“

„Blödmann“, sagte sie und boxte ihm gegen die Brust. „Ich wüsste doch gar nicht, was ich ohne dich hier machen sollte. Oh, das wird so cool! Ich kann noch nicht glauben, dass wir in der gleichen Uni studieren werden. Lass‘ uns eine WG gründen!“ Sie sah ihn mit leuchtenden Augen an.

„Eine WG?“, fragte er überrascht. „Ich ähm… meinst du, das geht gut?“

Sie hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. „Keru, wir kennen uns gefühlt eine Million Jahre und wissen, wie der andere tickt. Klar geht das gut.“

„Naja, wenn du kochst, putzt und Wäsche wäschst, dann könnte ich mir das vorstellen.“

„Okay, vergiss es. Ich such‘ mir jemand anderen.“

 

„Du siehst unglaublich hübsch aus.“ Taichi stand im Türrahmen und beobachtete sie dabei, wie sie die letzten Schichten ihres aufwändigen Make-ups auftrug. Mimi hatte ihr dabei geholfen, ihr die Haare zu machen. Eigentlich hatte Hikari das nicht gewollt, doch sie hatte so lang gequengelt, bis sie schließlich eingewilligt hatte. Überhaupt kam sie mit Mimi seit einer Weile ziemlich gut zurecht. Hikari hatte den Eindruck, dass sie und Taichi sich gegenseitig zu besseren Menschen machten, denn irgendwie waren beide ruhiger und vernünftiger geworden. Ihre Beziehung schien ihnen sehr gut zu tun.

„Ihre Haare sind ja auch ein Meisterwerk“, meinte Mimi zufrieden und zupfte an einer Haarsträhne herum. Sie hatte Hikari eine lockere Hochsteckfrisur an der Seite mit geflochtenen Elementen gezaubert. „Und dein Kleid ist wirklich ein Traum.“ Hikari hatte sich für ein schlichtes malvenfarbenes Ballonkleid mit einem dünnen Band in der Taille entschieden. Dazu trug sie schwarze High Heels, die sie sich von Mimi ausgeborgt hatte.

„Wen willst du denn eigentlich in dem Aufzug abschleppen? Ich dachte, T.K. ist dein Partner“, fragte Taichi skeptisch.

Eigentlich hatte Takeru mit Ami zum Abschlussball gehen wollen, doch dummerweise hatte diese am gleichen Tag in ihrer eigenen Schule Abschlussball.

„Es ist ihr Abschlussball. Da will sie natürlich gut aussehen“, meinte Mimi unwirsch und machte eine wegwerfende Handbewegung.

Hikari steckte den Lippenstift in ihre kleine Handtasche und drehte sich zu den beiden um. „Fertig.“

Mimi begutachtete sie mit einem Glitzern in den Augen. „Die Farbe steht dir super gut. Und das Make-up ist toll geworden.“

„Du siehst viel älter aus“, meinte Taichi und Hikari wusste nicht, ob er das positiv oder negativ meinte. „Gar nicht mehr wie meine jüngere Schwester.“

„Sie wird eben auch erwachsen. Gewöhn‘ dich dran.“ Mimi zuckte mit den Schultern und zupfte erneut an Hikaris Haaren herum.

„Willst du das jetzt den ganzen Abend machen?“, fragte er belustigt. „Dann ruinierst du ihre Frisur irgendwann.“

„Ich hör‘ ja schon auf“, grummelte sie. „Ich glaube, wir müssen los, sonst kommen wir zu spät.“

Susumu Yagami fuhr die ganze Familie und Mimi zur Schule. Wie auch schon Mimis Abschlussball fand der von Takeru und Hikari in der festlich geschmückten Sporthalle statt. Sie stiegen aus dem Auto und gingen auf den Eingang zu. Überall tummelten sich Mädchen in aufwändigen Kleidern und Jungs in schicken Anzügen, stolze Eltern und fröhliche Geschwister. Hikari entdeckte Takeru und seine Familie in der Nähe des Eingangs und steuerte mit ihrer Familie auf sie zu. Als Takeru sie entdeckte, lächelte er. Sie umarmten sich flüchtig und auch ihre Familien begrüßten sich herzlich.

„Da ist ja mein Abschlussball-Date. Ich dachte schon, ich muss allein gehen“, witzelte er und Hikari hakte sich bei ihm unter.

In der Sporthalle gingen sie zu ihren Plätzen und warteten darauf, dass der Ball offiziell eröffnet wurde. Bis dahin quatschten sie mit ihren Familien und Mitschülern. Bisher war die Stimmung ausgelassen, alle strahlten und waren gut gelaunt. Dann wurde endlich die Musik lauter gedreht und die Tanzfläche eröffnet.

Takeru und Hikari sahen einander erwartungsvoll an.

„Tanzen?“, fragte er.

„Okay“, antwortete sie.

„Ja, beim Eröffnungstanz müsst ihr doch dabei sein und glänzen“, meinte Taichi grinsend.

„Ach, halt‘ die Klappe“, murmelte Hikari und hakte sich bei Takeru unter, während sie auf die Tanzfläche schritten. Mutig mischten sie sich unter die wenigen Paare, die sich bisher hierhin getraut hatten und ihre Tanzkünste zum Besten gaben. Es war ein langsamer Walzer und vorsichtig tanzten sie die ersten Schritte.

„Oh mein Gott, T.K.!“, sagte Hikari plötzlich und sah ihn aufgeregt an, sodass er verwirrt eine Augenbraue hob. „Das ist das erste Mal, dass wir zusammen tanzen.“

„Ach was. Bestimmt haben wir im Kindergarten schon mal zusammen getanzt“, meinte er schulterzuckend.

„Das zählt doch nicht.“

„Hör‘ auf zu quatschen und konzentrier‘ dich lieber, damit du uns nicht blamierst.“

„Ich? Wer hat denn hier zwei linke Füße?“, erwiderte sie empört.

„Ich jedenfalls nicht“, murmelte er und drehte sie etwas ruckartig, sodass sie herumgewirbelt wurde, doch trotzdem sichere Schritte machte.

„Ich wusste gar nicht, dass du führen kannst“, sagte sie kichernd.

„Weil du mich dauernd unterschätzt“, meinte er gespielt vorwurfsvoll.

„Warum bist du jetzt eigentlich mit mir zum Ball gegangen? Haben dich nicht ein paar Mädchen gefragt, ob du sie begleiten willst?“, fragte Hikari.

Ihr fiel auf, dass er ihrem Blick auswich. „Naja, ich hab‘ doch eigentlich ‘ne Freundin und wenn ich mit einem Mädchen gegangen wäre, hätte die sich nur Hoffnungen gemacht.“

Hikari seufzte tief. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du tatsächlich immer noch in dieser seltsamen Beziehung bist.“

„Oh, bitte fang‘ heute nicht damit an, okay?“ Er wirkte ein wenig genervt.

Inzwischen kannte Hikari zwar Fotos von Ami, hatte sie aber noch nie in echt gesehen und Takeru machte nicht die geringsten Anstalten, sie ihr vorzustellen. Er redete nicht einmal über sie. In Hikaris Augen war das keine Beziehung.

„Womit anfangen?“, fragte sie und setzte einen unschuldigen Blick auf.

Takeru lächelte schief. „Lass‘ uns einfach tanzen.“

Sie überstanden das Lied und Hikari hatte sogar das Gefühl, sie hätten sich gar nicht so schlecht geschlagen. Takeru konnte tatsächlich führen.

Beim zweiten Lied kamen auch viele der anderen Besucher auf die Tanzfläche, sodass es voll wurde. Takeru und Hikari tanzten noch ein paar Lieder mit und gingen anschließend zurück an ihren Tisch, um etwas zu trinken. Takeru befreite sich aus seinem Jackett, setzte sich neben Yamato und fing ein Gespräch mit ihm an, während Hikari nach ihrem Wasserglas griff. Taichi und Mimi und auch ihre Eltern waren tanzen. Hiroaki und Natsuko unterhielten sich, wirkten jedoch ein wenig steif.

Hikari ließ den Blick durch die Turnhalle schweifen und beobachtete ihre Klassenkameraden und deren Familien. Die Tanzfläche war noch immer voll und an den Tischen saßen die übrigen Menschen zusammen, quatschten und lachten. Einige machten sich an der Bar, die extra für diesen Ball in der Turnhalle aufgebaut worden war, über die Getränke her und verschütteten auf dem Weg zurück zu ihrem Platz die Hälfte. Die Kleider der Mädchen leuchteten in allen möglichen Farben, während die Jungs fast alle dunkle Anzüge trugen. Es war das letzte Mal, dass sie sich alle so sahen. Schon in zwei Wochen würden sie alle ihr Studium beginnen. Die Schulzeit war vorbei und der Ernst des Lebens ging los.

Hikaris Blick blieb an Takeru hängen, der ihr gegenüber saß. Er hatte die Ärmel seines Hemds nach oben zu den Ellbogen gekrempelt und die beiden oberen Knöpfe geöffnet. Den Kopf hatte er auf der Hand abgestützt und sein Blick ruhte auf Yamato, der gerade mit ihm sprach. Sein blondes Haar war wie immer etwas wirr, auch wenn man ihm ansehen konnte, dass er versucht hatte, Ordnung rein zu bringen. Er lachte über etwas, was Yamato gesagt hatte und zeigte dabei seine dank der Zahnspange perfekt geraden, weißen Zähne. In seinen Wangen bildeten sich Grübchen, wenn er lachte. Seine azurblauen Augen waren von schwarzen Wimpern umrahmt. Seine Gesichtszüge waren markant und schienen irgendwie genau aufeinander abgestimmt zu sein.

Seit wann sah er eigentlich so gut aus?

Er fing ihren Blick auf, ohne dass das Lächeln auf seinen Lippen verblasste, und Hikari spürte, dass sie rot anlief. Hastig wandte sie den Blick ab und trank einen großen Schluck Wasser. Sie hatte ihn tatsächlich angestarrt.

Zum Glück kamen in diesem Moment ihre Eltern zurück von der Tanzfläche und sie verwickelte sie hastig in ein Gespräch.

 

Es wurde später und später und Hikari verbrachte zwei Stunden damit, in der Turnhalle von Tisch zu Tisch zu gehen und sich mit ihren Klassenkameraden zu unterhalten. Jedoch tauchte in ihrem Kopf ständig Takeru auf, wie er neben Yamato saß und lachte. Sie konnte einfach nicht fassen, dass sie ihn angestarrt hatte. Hoffentlich hatte er es nicht mitbekommen.

Gegen Mitternacht waren bis auf wenige Ausnahmen nur noch Schüler der Schule übrig, die ihren Abschluss gemacht hatten. Takerus und auch Hikaris Eltern waren bereits gegangen und Taichi, Mimi und Yamato saßen mit zwei anderen ehemaligen Schülern an einem Tisch und unterhielten sich.

Hikari tanzte zwei Lieder mit Akio, dann eins mit Tetsuya und schließlich mit Kenji. Alle drei Jungen hatten sie gefragt, ob sie mit ihnen auf den Ball gehen wollte, doch sie hatte sich für Takeru entschieden.

Nach dem Tanz setzte Hikari sich neben ihn, der gerade bei einigen ihrer Mitschüler saß, und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu. Inzwischen war es in der Turnhalle durch die vielen Menschen nahezu unerträglich heiß geworden. Sie schnappte sich Takerus Glas und trank einen Schluck Wasser.

„Na, du Fremdgeherin?“, sagte er schief grinsend.

„Fremdgeherin?“ Sie hob eine Augenbraue.

„Dauernd sehe ich dich mit anderen tanzen. Ich dachte, du bist meine Begleitung.“ Er sah sie gespielt beleidigt an.

Hikari verschränkte die Arme vor der Brust. „Du tanzt ja nicht mit mir, sondern quatschst nur.“

„Darf ich Sie um diesen Tanz bitten, verehrte Dame?“ Er bot ihr seine Hand an.

„Nee. Jetzt bin ich k.o. und ich schwitze wie ein Schwein.“

Er lachte. „Du bist so eine Lady.“

„Ist doch die Wahrheit.“

Er musterte sie von der Seite. „Du siehst übrigens echt hübsch aus.“

„Danke“, antwortete Hikari ein wenig verlegen und fuhr sich unwillkürlich durch die Haare. „Das meiste hat Mimi gemacht. Haare und Make-up und so. Sie hatte viel Spaß dabei und es hat irgendwie auch Spaß gemacht. Ich mag sie echt gern und sie ist… oh, tut mir leid.“ Sie schlug sich eine Hand vor den Mund, als sie Takerus ausdrucksloses Gesicht sah. Für einen kurzen Moment hatte sie vergessen, dass Mimi Takeru einmal eine Menge Kummer bereitet hatte.

Doch jetzt lächelte er leicht und zuckte mit den Schultern. „Schon okay. Ich komm‘ damit klar.“

„Sicher?“

Er nickte langsam und sah hinüber zu dem Tisch, an dem Taichi und Mimi saßen. „Ist zwar immer noch komisch, sie zu sehen, aber es ist okay.“

„Dann könntest du ja…“, begann Hikari und verengte die Augen zu Schlitzen.

„Könnte ich was?“, fragte er verwirrt.

„Dann könntest du dich endlich mal mit Tai unterhalten und ihr könntet das zwischen euch klären. Und dann könnten wir wieder etwas zu viert unternehmen. Das wäre doch cool, oder nicht?“

Er schnaubte belustigt. „Könnte ich.“

„Oh, komm‘ schon, Keru! Spring‘ über deinen Schatten“, bettelte Hikari und umklammerte seinen Arm.

 

_

 

Sie hatte es tatsächlich geschafft, ihn zu überreden, sich mit Taichi auszusprechen. Eine Ewigkeit hatte sie auf ihn eingeredet und nun hatte Takeru sich sein Getränk geschnappt und ging hinüber zu Taichi, Mimi und Yamato, die noch immer mit einigen ehemaligen Mitschülern zusammensaßen und sich unterhielten. Zufällig war neben Taichi gerade ein Platz frei, sodass er sich neben ihn setzen konnte. Yamato und Mimi lächelten nur, als sie ihn sahen, führten aber das Gespräch mit den anderen fort, in das sie gerade vertieft waren. Taichi hingegen hatte sich ausgeklinkt und sah nun überrascht Takeru an.

„Kann man dir irgendwie helfen?“, fragte er und schien verwirrt.

„Ähm…“, machte Takeru und kratzte sich am Kopf, „ich dachte nur, wir könnten uns mal unterhalten.“

Taichis Blick huschte kurz zu einem Punkt irgendwo hinter Takeru, dann sah er ihn wieder an und hob amüsiert eine Augenbraue. „Kari hat dich geschickt, oder?“

Takeru konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Kann sein. Aber ich bin nicht nur wegen ihr gekommen. Ich glaube echt, es reicht langsam.“

„Es reicht langsam?“

„Naja, du warst früher sowas wie ein Bruder für mich und ein echt guter Kumpel. Vielleicht ist es langsam Zeit, das Kriegsbeil zu begraben“, erklärte er.

Taichis Gesichtsausdruck wurde nun ernst. „Naja, du hast jeden Grund, sauer zu sein und mich auf ewig zu hassen.“

„Ja, irgendwie schon, aber das mit dir und Mimi scheint echt gut zu klappen. Auch, wenn es damals echt scheiße gelaufen ist und ich dich umbringen wollte, ist es vielleicht besser so, wie es jetzt ist. Und dann gibt es keinen Grund, dich noch länger zu hassen.“

Einen Augenblick lang sah Taichi ihn an, ohne etwas zu erwidern. „Es war ziemlich schlimm für dich, oder?“

Takeru hob die Augenbrauen und nickte langsam. „Sie war eben meine erste Beziehung und es war echt schön. Und dann kommst ausgerechnet du und… naja, du weißt schon.“ Er seufzte. „Aber egal, lassen wir das jetzt. Mittlerweile komme ich damit klar.“

„Freut mich, das zu hören“, erwiderte Taichi matt lächelnd. „Wie sieht es momentan eigentlich aus bei dir? Gibt es jemanden?“

Takeru drehte sich nachdenklich um und sah zu Hikari, die gerade mit Momoko und Kazumi tanzte. Er beobachtete, mit wie viel Sicherheit sie sich zum Takt der Musik bewegte. Ihre geschmeidigen Bewegungen, ihre Haare, die durch die Gegend flogen, wenn sie sich drehte, ihr zierlicher Körper, ihr süßes Lachen, das auf etwas folgte, was Momoko zu ihr gesagt hatte…

Ami war die Falsche. Würde immer die Falsche sein. Ja, sie sah gut aus und war durchaus nett, doch sie würde Hikari niemals das Wasser reichen können. In keinem Punkt.

Er drehte sich wieder zu Taichi um, der ihn bereits argwöhnisch musterte. „Nein, da gibt es gerade niemanden.“

46. Kapitel, in dem Takeru das Polarmeer braucht

„Fertig“, verkündete Takeru und wischte sich den Schweiß von der mit grüner Farbe besprenkelten Stirn. Grün in seinen Augen. Helles Seegrün in Hikaris Augen, die gerade ein paar Schritte zurücktrat und kritisch die Wand beäugte.

„Das sieht irgendwie so fleckig aus“, mäkelte sie und legte den Kopf schief.

„Das muss ja auch erstmal trocknen. Morgen sieht das gut aus“, erwiderte er überzeugt, war sich jedoch nicht sicher. Das würde er Hikari allerdings lieber verschweigen, sonst würden sie die Wand noch einmal streichen müssen.

„Hoffentlich“, meinte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du sicher, dass du in deinem Zimmer keine Farbe haben willst? Weiß ist doch so langweilig.“

„Nee, lass‘ mal. Außerdem hätten wir heute Nacht keinen Platz zum Schlafen, wenn ich mein Zimmer jetzt auch noch streichen würde, du Genie.“

Sie wuschen die Malerrollen aus und gingen den Gang des Wohnheims entlang zu Takerus Zimmer. Sie hatten es tatsächlich geschafft, jeder ein kleines Wohnheimzimmer im selben Gebäude zu ergattern und dann befanden sich ihre Zimmer auch noch zufällig auf der selben Etage. Sie wohnten also noch viel näher beieinander als vorher.

Die Zimmer waren winzig und nur mit den nötigsten Möbeln bestückt: einem Bett, einem Schreibtisch mit Stuhl, einem engen Kleiderschrank und einem Regal. Platz zum Bewegen hatte man kaum noch.

Heute war die erste Nacht, die sie im Wohnheim verbringen würden. Takeru schnappte sich zwei Flaschen von dem Bier, das er unter seinem Schreibtisch lagerte, und drückte eine davon Hikari in die Hand. Yamato hatte ihm das Bier besorgt, er selbst durfte erst in anderthalb Jahren Alkohol kaufen.

„Also“, sagte Takeru und hob seine Flasche, um Hikari zuzuprosten, „auf das nächste Level. Auf uns, dass wir es bis hierher geschafft haben.“

„Und auf Matt, ohne den wir nur mit Wasser anstoßen könnten“, fügte Hikari grinsend hinzu. Sie ließen ihre Flaschen aneinander klirren und nippten am Bier. „Schade, dass er heute nicht hier ist. Er hätte mit uns feiern können.“

Auch Yamato hatte sich für die selbe Universität qualifiziert und würde nun ein Physikstudium beginnen. Mit seiner Wahl für Physik hatte er alle überrascht, doch er meinte, er interessierte sich dafür, vor allem für Astronomie, und wollte es einfach mal probieren. Heute arbeitete er allerdings in der Bar. Den Nebenjob wollte er nicht aufgeben.

„Er wird schon irgendwann mal wieder Zeit haben“, meinte Takeru abwinkend. Sie hockten nebeneinander auf seinem Bett – woanders konnte man in dem kleinen Zimmer kaum sitzen – und tranken ihr Bier. Takeru musterte Hikari von der Seite, bis sie ihren Blick verwirrt erwiderte.

„Was denn?“

„Du hast Farbe im Gesicht, wusstest du das?“ Ein breiter grüner Streifen zierte ihre linke Wange und auch ihr Haar hatte ein paar Spritzer abbekommen.

„Du solltest dich mal sehen“, kicherte sie, streckte die Hand aus und wischte mit dem Daumen auf seiner Stirn herum. Die Stelle, die sie berührte, schien auf einmal ganz warm zu werden und Takeru spürte ein angenehm kribbelndes Gefühl in der Magengegend. „Das klebt voll.“ Sie setzte dazu an, ihren Daumen anzulecken, doch er hielt sie auf.

„Denk‘ nicht mal dran, Spucke zu benutzen.“

„Wieso nicht? Dann geht’s bestimmt.“

„Spucketrauma“, murmelte er nur und dachte an seine Mutter, die zu Kindergartenzeiten gern mit einem Spuckefinger in seinem Gesicht herumgewischt hatte, um Dreck oder Essen zu entfernen.

„Hab‘ dich nicht so“, erwiderte Hikari, gab jedoch auf. „Wir sollten mal duschen gehen.“

„Du meinst, wir sollten mal die Gemeinschaftsduschen testen?“ Er grinste schief. „Gern, bin dabei.“

Sie starrte ihn an und wurde rot um die Nase, sodass Takeru lachte. „War nur ein Witz.“ Zumindest teilweise…

„Ich hab‘ doch schon mal gesagt, dass das keine Gemeinschaftsduschen sind, du Spinner“, grummelte Hikari.

„Schade eigentlich.“

Ellbogenstoß von Hikari. „Nicht zu glauben. Kaum aus einer Beziehung raus, schon nur noch versaute Gedanken.“

„Ist doch nur Spaß. Sei nicht so spießig.“

„Hat sie dir eigentlich heute schon geschrieben?“, fragte sie und sah ihn neugierig an.

Takeru warf einen Blick auf sein Handy und schüttelte den Kopf. „Bisher noch nicht.“

Schon am Tag nach dem Abschlussball war er zu Ami gefahren und hatte mit ihr Schluss gemacht. Begründet hatte er seine Entscheidung damit, dass das zwischen ihnen einfach nicht passte und nicht dauerhaft funktionieren würde, obwohl das nicht der einzige Grund war. Die Hälfte hatte er ihr verschwiegen, weil er es sich selbst kaum eingestehen konnte. Seither hatte sie ihm jeden Tag geschrieben oder versucht, ihn anzurufen. Sie wollte ihn umstimmen, ihn dazu bringen, seine Entscheidung zu überdenken, doch das würde nicht passieren. Daher ignorierte er ihre SMS und Anrufe.

„Weißt du was? Du hättest es verdient, dass sie dich bis an dein Lebensende verfolgt und terrorisiert“, sagte Hikari mitleidlos.

„Nicht jeder ist so ein krankhafter Stalker wie du“, entgegnete er trocken und kassierte einen weiteren Hieb mit dem Ellbogen, bevor sie sich gegen die Wand lehnte, die Beine anzog und an ihrem Bier nippte.

„Sie wird schon irgendwann aufgeben“, meinte sie. „Ich hätte gern mal so viel Glück wie du. Alle Mädchen fliegen dir zu und du brauchst nur mit den Fingern schnippen“, sie schnippte demonstrativ mit den Fingern, „und schon sind sie unsterblich in dich verliebt.“

„Boah Kari“, stöhnte Takeru genervt. „Erstens fliegen mir nicht alle Mädchen zu und zweitens habe ich dir schon hundertmal erklärt, wie du auf Kerle wirkst. Du weist sie nur immer alle ab und irgendwann haben sie Angst vor dir.“

„Angst vor mir?“ Sie schnaubte verächtlich.

„Naja, wenn du immer alle abblitzen lässt, traut sich irgendwann keiner mehr“, erklärte er schulterzuckend. „Vielleicht hast du ja auch Angst vor ihnen. Keine Ahnung, woran es liegt.“

Er sah, wie sich ihr Blick ein wenig verfinsterte und sie offenbar nachdenklich auf das Etikett ihrer Bierflasche starrte. Hatte er einen wunden Punkt getroffen? Etwa die Sache mit Makoto?

Er lehnte sich neben ihr gegen die Wand. „Ich bin mir sicher, es gibt mindestens hundert, die alles dafür tun würden, dich glücklich zu machen. Für die du der Nabel der Welt bist. Die ohne dich nicht leben können. Die jeden Tag neben dir aufwachen und dir sagen wollen, dass sie dich lieben, obwohl du nach dem Schlafen aussiehst wie eine Vogelscheuche.“

„Du bist blöd“, tadelte sie ihn, grinste dabei jedoch. „Weißt du, wie du nach dem Schlafen aussiehst? Wie Gollum auf Drogen.“

„Frauen.“ Takeru seufzte theatralisch. „Man macht ihnen zwanzig Komplimente auf einmal und sie hören nur das Negative heraus.“

„Ich bin es eben nicht gewöhnt, dass was Nettes aus deinem Mund kommt“, stichelte Hikari.

„Dabei bin ich die Freundlichkeit in Person.“

Sie lachte und nippte an ihrem Bier. Dann lehnte sie den Kopf gegen seine Schulter. „Ach Keru. Obwohl du manchmal ein Assi bist, wünsche ich mir, dass ich mal einen Freund habe, der so ist wie du.“

Takeru schluckte. „Ähm… ich bin wie ich.“

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Jaja. Du bist sowas von tabu, das wäre ja, als hätte ich eine Beziehung mit Tai.“

Ein harter, kalter Klumpen schien sich in Takerus Magen zu bilden und er biss sich auf die Unterlippe. Käme jetzt ein wahnsinniger Axtmörder und würde auf Takeru einhacken, der Schmerz könnte nicht größer sein als der, den er gerade bei Hikaris Worten empfunden hatte. Sie verletzten ihn mehr, als sie sollten und ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Sie sollte doch für ihn genauso tabu sein.

Er stand auf und stellte die Bierflasche auf dem Schreibtisch ab. „Ich geh‘ mal schnell duschen.“ Mit diesen Worten verschwand er aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal nach Hikari umzusehen.

 

Das heiße Wasser prasselte auf seine Schultern und ließ die Fensterscheiben im Duschraum der Männer beschlagen. Takeru hatte die Stirn gegen die Fliesen gelehnt und starrte die weiße Fläche vor sich an. Was war nur los mit ihm? Er hatte diese seltsamen Gefühle für seine beste Freundin doch schon einmal überwunden. Warum kamen sie jetzt wieder? Warum wollte er ihr näher sein, als es sich für Freunde gehörte?

Er sah ihr Gesicht vor sich, ihre strahlenden Augen, ihr süßes Lächeln und konnte nur daran denken, wie gern er sie berühren, sie küssen würde. Er dachte an den fruchtigen Duft, der schon seit jeher von ihrer Haut auszugehen schien. Er kribbelte ihn in der Nase. Er dachte daran, wie sich ihre Finger auf seiner Haut anfühlten, wann immer sie ihn flüchtig berührte. Er dachte daran, wie es war, wenn sie ihn umarmte, ihren Körper an seinen presste, ihre Wärme auf ihn übertrug. Er dachte an ihren Körper, ihre schlanken Beine, ihre kleinen Brüste, die sich unter dem dünnen Stoff ihres Tops hervor wölbten…

„Verdammt“, murmelte er mit finsterer Miene und drehte das Wasser mit einem Ruck auf kalt. Kalt wie Polarmeer. Minus einhundert Grad höchstens. Eher minus zweihundert. Sein ganzer Körper zog sich bei dem Schock zusammen, doch es wirkte. Er blieb so lang unter dem eisig kalten Wasserstrahl, bis er seine Haut nicht mehr spürte, dann stieg er aus der Dusche, trocknete sich ab und schlüpfte in frische Klamotten. Ein anderer Junge betrat den Duschraum, brummte einen Gruß und begann damit, sich zu entkleiden, als Takeru den Raum verließ. Mit dem Handtuch um den Schultern und seinen Waschutensilien in der Hand ging er langsam zurück in sein Zimmer.

Mit feuchten Haaren und roten Spuren im Gesicht, die davon zeugten, dass sie Probleme beim Abwaschen der Farbe gehabt hatte, saß Hikari auf seinem Bett, tippte auf ihrem Handy herum und sah auf, als er eintrat. Ihr Blick war besorgt, eine senkrechte Falte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. „Da bist du ja wieder.“

Er setzte sich neben sie, sie musterte ihn fragend von der Seite.

„Hab‘ ich vorhin irgendwas Falsches gesagt?“

Er musste seine Gefühle so schnell wie möglich loswerden. Er durfte das nicht fühlen. Und vor allem durfte sie nicht merken, was in seinem Kopf vorging. Nur wegen seines Abgangs vorhin war sie auf den Gedanken gekommen, dass etwas nicht stimmte. Er hatte sie ungerecht behandelt. Sie hatte es nicht verdient, dass er sie einfach so wortlos zurückließ und abhaute, weil seine Gefühle verletzt waren. Das durfte nicht noch einmal passieren.

Lächelnd erwiderte er ihren Blick. „Nee, alles gut. Mir ist nur das bescheuerte Grün zu Kopf gestiegen.“

„Du meinst wohl das helle Seegrün“, berichtigte sie ihn.

„Kotzgrün.“

„Wenn so deine Kotze aussieht, solltest du mal zum Arzt gehen.“

 

Sie verbrachten den Rest des Abends damit, gemeinsam Takerus Sachen aus den Kartons zu räumen und sahen sich anschließend noch einen Film auf dem Laptop an. Dann gingen sie schlafen.

Takeru hatte Hikari sein Bett überlassen und übernachtete selbst auf einem Futon auf dem Boden. Damit hatte man in dem Zimmer keinen Platz mehr zum Gehen.

Hikari war schnell eingeschlafen, doch Takeru bekam kein Auge zu. Eine gefühlte Ewigkeit starrte er die Zimmerdecke an und wusste nicht, ob seine Ruhelosigkeit daran lag, dass er gerade die erste Nacht in seinem neuen Zuhause auf Zeit verbrachte, oder daran, dass er direkt neben dem Mädchen schlief, für das er unangemessene Gefühle hatte.

Während er wach lag, dachte er darüber nach, wie es wohl war, zu studieren. Von nun an stand er nicht mehr unter mütterlicher Beobachtung. Sie hatte ihn zwar nie zu sehr unter Druck gesetzt, doch sie hatte es sich bis zum zweiten Jahr der Mittelschule nicht nehmen lassen, seine Hausaufgaben zu kontrollieren. Außerdem hatte sie regelmäßig lange Gespräche über seine Schulleistungen führen wollen und wie er mal enden konnte, wenn er sich verschlechtern sollte. Takeru war nie ein schlechter Schüler gewesen, jedoch gelegentlich faul und schlechter, als er hätte sein können. Nun würde er nicht mehr das Gefühl haben, beobachtet zu werden und konnte tun und lassen, was er wollte. Er hatte einen eigenen kleinen Haushalt und Hikari wohnte nur einen Katzensprung entfernt. Er würde viele neue Leute kennenlernen, Vorlesungen und Seminare besuchen, mit Hikari in der Mensa essen gehen, Hausarbeiten schreiben und versuchen, einen möglichst guten Abschluss zu machen. Und vielleicht würde er nebenbei die Liebe seines Lebens finden.

Er setzte sich auf und warf einen Blick auf sein Handy. Zwei Uhr nachts. Irgendwo, vielleicht zwei Zimmer weiter, war dumpfes Gerede und Gelächter zu hören. Draußen liefen schnatternde Mädchen vorbei, die vielleicht gerade von einer Studentenparty kamen. Würde er auch viele Partys miterleben? Mädchen kennenlernen und eine Nacht mit ihnen verbringen?

Er wandte den Blick zu Hikari, die auf der Seite lag, ihm zugewandt, und friedlich schlief. Die Decke bedeckte nur ihre Beine, ihr Oberkörper lag frei. Ihre Schulter hob und senkte sich ganz leicht beim Atmen. Eine Haarsträhne hing ihr quer über das Gesicht. Takeru schob sie mit den Fingern vorsichtig zurück, sodass sie sie nicht stören konnte. Dabei strichen seine Finger über ihre Wange. Ihre Haut fühlte sich glatt und weich an.

Alles an ihr war so unglaublich schön, irgendwie weich, strahlend, duftend, lieblich. Sie war wie eine Blume, wie ein Vogel, ein Schmetterling. Wie eine warme Brise im Sommer, wie der Duft nach frisch gemähtem Gras, wie ein funkelnder Stern mitten in der Nacht.

Takeru seufzte, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und ließ sich nach hinten auf seinen Futon fallen. Jetzt brachte sie ihn schon dazu, in kitschigen Vergleichen zu denken. Wenn das so weiterging, würde er irgendwann Liebesgedichte schreiben. Dann konnte er sich auch gleich lebendig begraben lassen. Er brauchte ganz dringend eine Ablenkung.

47. Kapitel, in dem es eine nächtliche Ruhestörung gibt

Jäh schreckte Hikari aus dem Schlaf, als jemand gegen ihre Tür donnerte. Ihr Herz raste, so sehr hatte sie sich erschrocken. Ihr stockte der Atem, als sie sich aufsetzte und zur Tür starrte. Hatte sie abgeschlossen? Ja, hatte sie. Wer wollte da etwas von ihr?

Angespannt wartete sie ab, doch das Klopfen hörte nicht auf, wurde eher drängender. Hikari griff nach ihrem Handy. Kurz nach drei Uhr in der Nacht, doch das interessierte sie nicht. Mit zittrigen Fingern wählte sie den Notruf, doch dann ertönte von der anderen Seite der Tür eine dumpfe Stimme.

„Kari? Komm‘ schon, mach‘ auf!“ Takeru.

Erleichtert und gleichzeitig wütend sprang Hikari aus dem Bett, drehte den Schlüssel um und riss die Tür auf. „Was zur Hölle?!“

Schon auf den ersten Blick konnte sie sehen, dass er betrunken war. Wie so oft in den letzten Monaten. Mit einer Hand hielt er sich am Türrahmen fest und schwankte trotzdem gefährlich. Seine Augen waren glasig und nur halb geöffnet, sein Haar zerzaust. Seine Jacke war offen und am Kragen des T-Shirts, das er darunter trug, befand sich ein roter Fleck. Lippenstift? Seine Jeans hingen tief und sein T-Shirt war ein wenig verrutscht, sodass sie den Bund seiner Boxershorts und einen Streifen Haut sehen konnte.

„Hi“, murmelte er, legte im nächsten Moment die Hände an ihr Gesicht, zog sie an sich und presste seine Lippen auf ihre.

Der Geruch von Alkohol schlug ihr entgegen, drang ihr in Mund und Nase, benebelte ihr Gehirn. Ein Schauer schoss ihr über den Rücken und im ersten Moment war Hikari zu geschockt, zu überwältigt von der Situation, um sich zu bewegen, doch als sie ihr Bewusstsein zurückerlangte, machte sie sich grob von ihm los und sprang einen Schritt zurück. Takeru stolperte und fiel fast.

Entsetzt starrte sie ihn an, unfähig etwas zu sagen.

Er starrte zurück, oder versuchte es zumindest. Er runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen, als hätte er Schwierigkeiten, sie zu erkennen.

„Bist du irre?!“, fuhr sie ihn schließlich an.

„Ich muss dir was sagen“, nuschelte er mit heiserer Stimme.

„Nein“, erwiderte sie und schüttelte heftig den Kopf.

„Kari, ich…“

„Nein, ich will es nicht hören“, unterbrach sie ihn und hielt sich demonstrativ die Ohren zu. Plötzlich wusste sie, was kommen würde, was er auf einmal zu sagen hatte. Immerhin hatte er sie eben geküsst. Oder es zumindest versucht.

„Es is‘ wichtig“, drängte er, stolperte auf sie zu und griff nach ihren Handgelenken, um ihre Hände von ihren Ohren wegzuziehen.

„Takeru, es ist nach drei Uhr nachts und du bist sternhagelvoll!“, rief Hikari und trat noch einen Schritt zurück. „Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um irgendwas zu sagen.“

„Es is‘ der richtige Zeitpunkt“, beharrte er. „Kari, ich…“

„Geh‘ einfach schlafen, okay? Wir reden morgen.“

„Nein! Es muss jetz‘ sein!“

„Ich will es aber nicht hören!“

„Du musst es hören, weil es das Wichtigste überhaupt in meinem ganzen Leben ist!“

Hikari presste die Lippen aufeinander und starrte ihn an. Dann sollte er es ihr halt sagen. Danach konnte sie ihn in sein Bett schicken und dann war endlich Ruhe. Nur ein paar Minuten, dann war es vorbei.

„Hika“, setzte er an, schwankte und hielt sich mit einer Hand am Schreibtisch fest, „ich muss dir was sagen.“

Inzwischen kaute Hikari angespannt auf ihrer Unterlippe herum und ließ ihn nicht aus den Augen. Sie hatte Angst, dass er noch einmal versuchen würde, sie zu küssen. „Was denn?“

„Ich…“, er senkte die Lider, blickte zu Boden, als würde er dort nach den richtigen Worten suchen, dann sah er sie wieder an. „Ich liebe dich.“

Stille.

Hikaris Herz raste. Sie war fassungslos, obwohl sie seit ein paar Minuten damit gerechnet hatte. Es aus seinem Mund zu hören, war noch einmal etwas anderes. Sie wurde sich der skurrilen Situation bewusst, in der sie beide sich befanden. Er total betrunken, kaum aufrecht stehen könnend, nach Alkohol riechend, gestand ihr lallend seine Liebe; sie im Pyjama, wahrscheinlich zerzauste Haare und müde aussehend, wollte das nicht hören. Zudem war es mitten in der Nacht und sie waren eigentlich beste Freunde.

„Ich liebe dich, Hika“, wiederholte er. „So sehr, dass es manchmal weh tut. Ich kann nur noch an dich denken. Wenn ich die Augen schließe, seh‘ ich nur dich. Du bist alles für mich. Meine Welt. Mein Leben. Ich kann nicht ohne dich, ich will dich immer bei mir haben. Ich will diese ganzen anderen Weiber nich‘. Niemand kommt an dich ran. Niemand. Du bist alles, was ich mir wünsche. Was ich mir immer gewünscht hab‘. Was ich mir je wünschen werde. Ich würde alles für dich tun, ich würd‘ mein Leben für dich geben. Und ich… ich…“, er seufzte, „ich weiß nicht‘, was ich noch sagen soll.“

Hikari erwiderte nichts. Noch hallte das, was er gesagt hatte, zu sehr in ihrem Kopf wider und versuchte, in ihr Bewusstsein vorzudringen. Sie hatte seine Worte zwar gehört aber nicht verarbeitet. Wie Fetzen schwirrten sie in ihrem Kopf herum. Mein Leben. Meine Welt. Alles für mich.

„Ich dachte, du solltest es wissen“, nuschelte er.

Noch immer starrte sie ihn an. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie langsam verstand. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte. Er! Sie! Er liebte sie!

Nein, er war doch nur betrunken. Betrunkene erzählten viel, wenn die Nacht lang war. Das war sicher nicht die Wahrheit. Das konnte gar nicht die Wahrheit sein.

Gerade, als sie etwas erwidern wollte, würgte er plötzlich, krümmte sich und übergab sich auf den Fußboden.

Hikari machte ein angewidertes Geräusch und sprang noch einen Schritt zurück, um nichts abzubekommen. Takeru würgte ein paarmal, dann ließ er sich nach hinten auf den Boden fallen und saß wie ein Häufchen Elend vor ihrem Bett und hielt sich den Kopf. „Sorry. Mir is‘ schlecht.“

„Was du nicht sagst.“ Sie versuchte angestrengt, nicht durch die Nase zu atmen, da sie sich sonst sehr wahrscheinlich auch übergeben müsste.

Takeru bewegte sich nicht mehr, sondern saß einfach nur mit hängendem Kopf dort. Hikari machte einen langen, umständlichen Schritt auf ihn zu, um nicht in sein Erbrochenes zu treten, und packte ihn am Arm.

„Na los, ich bring‘ dich rüber“, sagte sie und zog an seinem Arm, doch er bewegte sich nicht. Er war wie ein nasser Sack. „Jetzt komm‘ schon! Ich kann dich nicht tragen.“

Keine Reaktion.

„T.K.! Los!“ Sie zerrte mit aller Kraft und endlich bewegte er sich, stand langsam und schwankend auf. Sie stützte ihn und brauchte dabei all ihre Kraft, da er sich nahezu mit seinem ganzen Gewicht auf sie lehnte. Langsam führte sie ihn zur Tür hinaus und den Gang entlang.

„Hätt‘ auch bei dir schlafen können“, murmelte Takeru.

Sie ignorierte ihn und lehnte ihn vorsichtig gegen die Wand, als sie an seiner Tür ankamen. Sie schob eine Hand in seine Hosentasche und kramte nach dem Schlüssel für sein Zimmer.

„Was machst du da?“, nuschelte Takeru.

„Deinen Schlüssel suchen.“

„Andere Tasche.“

Hikari seufzte und schob die Hand verlegen in die andere Hosentasche.

„Du muss‘ weiter zur Mitte hin“, meinte er grinsend.

Hikari lief knallrot an. Als wäre es nicht so schon peinlich genug, in seiner Hose herumzuwühlen, machte er nun auch noch dämliche Witze darüber. Endlich bekam sie den Schlüsselbund zu fassen und zog ihn heraus. Sie schloss die Tür auf und bugsierte Takeru zu seinem Bett, wo er sich fallen ließ und sich nicht mehr bewegte.

Hikari zog ihm die Schuhe aus und stellte sie ordentlich auf dem Boden neben dem Bett ab. Dann zögerte sie. Sollte sie ihm die Jeans auch noch ausziehen? Ohne schlief es sich zumindest besser. Und er bekam es wahrscheinlich sowieso nicht mehr mit. Er lag auf dem Rücken, einen Arm über die Stirn gelegt, die Augen geschlossen.

Mit zittrigen Fingern griff sie nach seinem Hosenbund und machte sich vorsichtig am Knopf zu schaffen. Wenn sie es ganz behutsam machte, merkte er es vielleicht gar nicht. Sie öffnete den Knopf und zog den Reißverschluss herunter. Dann griff sie die Hose am Bund und zog sie vorsichtig herunter. Es erforderte einiges an Kraft und Mühe, doch schließlich schaffte sie es, ihm die Hose auszuziehen.

„Ich krieg‘ sowieso keinen mehr hoch“, nuschelte Takeru und Hikari zuckte zusammen. Er hatte die Augen noch immer geschlossen und wirkte auch sonst nicht sehr wach.

„Ich will nur, dass du besser schlafen kannst“, antwortete Hikari und faltete seine Jeans ordentlich zusammen, bevor sie sie auf seinen Schreibtischstuhl legte. Dann griff sie nach dem Putzeimer, der neben dem Schreibtisch stand, und stellte ihn Takeru neben das Bett. Sie wandte sich zum Gehen um, doch er griff nach ihrer Hand, sodass sie ihn ansah.

„Geh‘ nicht“, wisperte er, den glasigen Blick auf sie gerichtet.

„Schlaf‘ einfach“, erwiderte Hikari und entzog ihm ihre Hand, was nicht schwer war, denn sein Griff war nicht besonders fest. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie mit zittrigen Knien zur Tür, schaltete das Licht aus und ließ ihn allein.

Nun musste sie nur noch sein Erbrochenes in ihrem eigenen Zimmer aufwischen, bevor auch sie wieder schlafen gehen konnte. Was für eine Nacht.

48. Kapitel, in dem Takeru Hikari was schuldig ist

Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht und weckte ihn somit unsanft. Langsam und beschwerlich öffnete er die Augen einen Spaltbreit und versuchte, herauszufinden, wo er war. Weiße Wände, ein Fenster, spärliche Einrichtung. Sein Studentenzimmer.

Ein Wunder, dass er es geschafft hatte, hierher zu kommen, hatte er doch keinerlei Erinnerung daran, wie er überhaupt die Party verlassen hatte. Ja, er war auf einer Party gewesen. Erleichtert wollte er die Augen wieder schließen und versuchen, noch ein wenig Schlaf zu bekommen, als ihm ein heftiger Schmerz in den Kopf fuhr. Fast gleichzeitig stieg auch Übelkeit in ihm auf und er drehte sich stöhnend auf die Seite. Da war er, der Kater.

Er biss sich auf die Unterlippe und wartete, bis die Welle der Übelkeit allmählich abebbte und nicht mehr sein Denken einnahm. Dann versuchte er, sich an die Party zu erinnern.

Er war mit ein paar anderen Journalistikstudenten dorthin gegangen. Es war die Jahresabschlussparty, denn nun hatten sie das erste Studienjahr komplett hinter sich gebracht. Das musste natürlich begossen werden. Takeru konnte sich erinnern, dass er ganz normal mit Bier angefangen hatte. Irgendwann war ein Cocktail dazu gekommen, dann noch einer und schließlich Schnaps. Von da an fehlte ihm die Erinnerung.

Mit einem dumpfen Gefühl im Bauch griff er nach seinem Handy. Hoffentlich hatte er keine peinlichen Nachrichten an irgendwen verschickt. Ein Blick auf die Uhr auf dem Display verriet ihm, dass es halb neun war. Er ging zu seinem Postausgang und überflog die Nachrichten, die er gestern Abend verschickt hatte. Erleichtertes Ausatmen. Keine peinlichen SMS.

Er musste auf die Toilette. Schwerfällig schob er die Bettdecke beiseite und setzte sich auf. Augenblicklich wurde ihm erneut übel, diesmal so schlimm, dass er sich übergeben musste. Zum Glück stand der Putzeimer gleich neben dem Bett. Hatte er den dorthin gestellt? Wenn er daran noch gedacht hatte, konnte er ja gar nicht so sehr besoffen gewesen sein.

Mit zitternden Händen stützte er seinen Kopf ab und wartete darauf, dass es besser wurde. Es dauerte eine Weile, doch schließlich fühlte er sich so gut, dass er glaubte, er könnte zu den Toiletten gehen, ohne sich unterwegs erneut zu übergeben. Vorsichtig stand er auf und stellte fest, dass er auch keine Hose mehr anhatte. Selbst daran hatte er noch gedacht vor dem Schlafengehen.

Ohne sich eine Hose drüberzuziehen, verließ er sein Zimmer und torkelte den Gang entlang zu den Toiletten. Um diese Uhrzeit war hier an einem Samstag sowieso noch nichts los.

Wieder zurück in seinem Zimmer ließ er sich erschöpft auf sein Bett fallen, griff nach seinem Handy und schrieb eine SMS an Hikari.

 

Boah, mir ist so schlecht.

Kochst du mir Tee? :(

 

Hoffentlich las sie seine SMS, bevor er elendig zu Grunde ging. Im Augenblick fühlte er sich so, als müsste er sterben.

 

Am frühen Nachmittag war Takeru zwar wider Erwarten noch immer am Leben, doch Hikari hatte nicht geantwortet. Er hatte sich seitdem noch zweimal übergeben und war nur in seinem Bett vor sich hinvegetiert, unfähig, sich zu bewegen. Sein Kopf drohte zu explodieren. Er warf einen weiteren Blick auf sein Handy, nur um enttäuscht feststellen zu müssen, dass Hikari noch immer nicht geantwortet hatte, und beschloss dann, bei ihr vorbeizuschauen. Es war untypisch für sie, selbst nach Stunden nicht zu antworten. Normalerweise bekam man seine Antwort spätestens nach einer Stunde.

Er setzte sich auf und wartete einen Augenblick ab, bis die Übelkeit so weit abgeklungen war, dass er aufstehen konnte. Dann schlurfte er aus seinem Zimmer zu Hikaris. Er machte das Klopfzeichen, das sie vereinbart hatten, als sie hier eingezogen waren: zweimal lang, dreimal kurz. Dann lehnte er sich gegen die Wand neben der Tür und wartete. Es passierte nichts. Noch einmal klopfte er. Zweimal lang, dreimal kurz.

Er wollte gerade wieder in sein Zimmer zurück gehen, als die Tür zögerlich geöffnet wurde. Hikari erschien im Türspalt. „Hi.“

Sie wirkte steif.

Takeru runzelte verwirrt die Stirn. „Ich hab‘ dir geschrieben. Hast du meine SMS nicht gelesen?“

„SMS? Ähm… hab‘ heute noch nicht auf mein Handy geguckt“, stammelte sie und senkte den Blick. Irgendetwas war hier faul.

„Kann ich reinkommen?“, fragte er.

„Ich… naja, eigentlich… also…“

Er hob eine Augenbraue. „Hast du gerade Besuch?“

Sie schüttelte den Kopf und trat zur Seite. „Komm‘ rein.“

Während er an ihr vorbei in ihr Zimmer ging, bedachte er sie mit einem argwöhnischen Blick. Sie sah ihn nicht an und schloss leise die Tür hinter ihm.

„Ich hab‘ dir eigentlich nur geschrieben, weil du mir Tee kochen sollst. Aber da du nicht vorbeigekommen bist, komme ich jetzt eben zu dir. Also“, er ließ sich auf ihr Bett fallen und klatschte zweimal in die Hände, „man koche mir Tee.“

Hikari nickte, griff nach dem Wasserkocher und verließ ihr Zimmer, um Wasser zu holen. Kopfschüttelnd sah Takeru ihr nach. Irgendetwas stimmte nicht. Sie kam wieder, setzte das Wasser auf und stand unschlüssig im Zimmer herum.

„Was ist los mit dir?“, fragte er und musterte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Sie sah ihn unsicher an. „Ähm… wegen letzter Nacht… naja…“

Letzte Nacht? Was sollte da gewesen sein? Er hatte doch seinen Postausgang kontrolliert, es war keine SMS an Hikari dabei gewesen. „Was war da?“

Nun war ihr Blick überrascht und es dauerte eine Weile, bis sie antwortete. „Verarschst du mich gerade?“

„Kari, ich bin so extrem verkatert, ich weiß nicht mal mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.“

Sie sah ihn an, ihr Mund klappte auf und wieder zu. Takeru fragte sich, was er gemacht hatte. Es musste etwas ziemlich Ungewöhnliches gewesen sein, so wie sie sich benahm.

„Kannst du dich echt an nichts erinnern?“, fragte sie ungläubig.

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf.

„An gar nichts?“

Er seufzte. „Mann, Kari, was habe ich so Schlimmes gemacht? Sag’s mir doch einfach.“

„Du hast…“, sie zögerte wieder einen Augenblick, „du hast mitten in der Nacht hier geklopft, weil du mir gute Nacht sagen wolltest.“

„Was?!“ Er machte große Augen.

„Und dann hast du auf den Boden gekotzt.“

Nun klappte Takeru der Mund auf und wieder zu. „Ich hab… was?“

„Ja, auf den Boden gekotzt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn gespielt streng an. Endlich schien ihre seltsam steife Art wieder ein wenig von ihr abzufallen.

„Nicht dein Ernst“, sagte Takeru entsetzt.

„Leider doch. Und rate mal, wer es aufwischen musste. Kleiner Tipp: Du warst es nicht.“ Sie verengte die Augen zu Schlitzen und starrte ihn mit vorwurfsvollem Blick nieder.

„Oh Gott“, stöhnte Takeru und rieb sich über die Augen. „Tut mir echt leid.“

„Das will ich schwer hoffen.“

„Scheiße. Hast was gut bei mir. Was habe ich danach gemacht?“

„Nichts. Du warst zu nicht mehr viel in der Lage. Hab‘ dich dann ins Bett gebracht.“ Sie ging zurück zum Wasserkocher und machte zwei Becher Tee fertig. Einen davon drückte sie ihm in die Hand.

„Danke“, sagte Takeru, richtete sich ein wenig auf und nahm den Becher entgegen. Hikari setzte sich zu ihm auf die Bettkante und hielt ihren eigenen Becher in den Händen, als wollte sie sich daran festhalten.

„Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich mich gewundert, warum ein Eimer neben meinem Bett steht. Hast du den da hingestellt?“

„Ja.“

„Danke. Das war echt gut.“ Er grinste schief.

„Dachte ich mir.“

Er nippte vorsichtig an seinem heißen Tee und überlegte, ob sie ihm wohl auch die Hose ausgezogen hatte. Würde sie so etwas machen? Bei der Vorstellung, wie sie ihm die Hose öffnete und langsam auszog, wurde ihm heiß. Eilig versuchte er, an etwas Anderes zu denken.

„Soll ich uns was zu essen besorgen oder kriegst du noch nichts runter?“, fragte Hikari und lenkte ihn damit zum Glück ab.

„Ähm… wenn du Lust hast.“ Er lächelte unschuldig.

„Weil du es bist.“ Sie lächelte zurück und stand auf. „Ich mache uns schnell eine Suppe, okay? Warte einfach hier.“

Er sah ihr zu, wie sie aus ihrem Regal und dem winzigen Kühlschrank ein paar Zutaten hervorkramte und dann aus dem Zimmer ging. Er hatte sie aus dem Schlaf gerissen, ihr ins Zimmer gekotzt und dann hatte sie ihn auch noch ins Bett bringen müssen. Und jetzt kümmerte sie sich um ihn und machte ihm Essen. Sie war so perfekt.

Er stellte die Tasse auf dem Boden ab und ließ sich zurück in das Kissen sinken.

 

„Ich wusste gar nicht, dass du ohne mich was Leckeres kochen kannst“, stichelte er sie, als er den letzten Löffel aus seiner Suppenschale verdrückt hatte.

„Du denkst auch, ich bin ohne dich nicht lebensfähig, was?“, grummelte Hikari und schlug ihm mit ihrem Löffel gegen das Knie.

„Aua!“, beschwerte er sich und rieb sich die Stelle. „Du erkennst ein Lob auch nicht, wenn du eines bekommst, was?“

Sie streckte ihm die Zunge raus, nahm ihm die leere Schüssel aus der Hand und stellte beide Schüsseln weg.

„Kari?“

Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an. „Ja?“

„Danke. War echt lecker. Jetzt schulde ich dir noch mehr.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ach was. Du schuldest mir gar nichts. Ansonsten wären wir keine Freunde.“

Erneut tauschten sie ein Lächeln. Dann war es, als hätte ihn plötzlich ein Blitz getroffen. Er holte tief Luft und versuchte, sein rasendes Herz zu ignorieren.

„Kari, ich…“ Er hielt inne.

Mit großen Augen sah sie ihn an. „Ja?“

Er schluckte und presste die Lippen aufeinander. In seinem Kopf spielte sich ein Szenario ab, was passieren würde, wenn er ihr jetzt sagte, was er für sie empfand. Vermutlich wäre sie geschockt, verwirrt und würde ihn dann nach einigen Augenblicken erklären, dass sie nicht die gleichen Gefühle für ihn hatte, aber sie nicht wollte, dass das ihre Freundschaft irgendwie beeinflusste. Er würde das auch nicht wollen. Trotzdem wäre ihre Freundschaft fortan völlig anders. Sie würden niemals wieder so locker miteinander umgehen können, wie es bisher immer der Fall gewesen war.

„Nichts, schon gut.“

49. Kapitel, in dem Weihnachten zum ersten Mal ein Familienfest ist

„Hast du den Tisch gedeckt?“, fragte Natsuko und befestigte eine Haarklammer in ihrer Frisur, für die sie eben eine halbe Stunde vor dem Spiegel gestanden hatte.

„Jap“, antwortete Takeru gut gelaunt.

„Für fünf?“

„Ja.“

„Gut. Hast du die Servietten auch ordentlich aufgestellt und nicht nur hingelegt?“

Takeru seufzte. „Ja, Mama.“ Er musterte seine Mutter, die vorsichtig ihr Haar abtastete und nach losen Strähnen untersuchte. Sie trug ein knielanges schwarzes Kleid und silbernen Schmuck, außerdem noch ein dezentes Make-up. „Warum hast du dich eigentlich so schick gemacht?“

„Weil Weihnachten ist“, erwiderte Natsuko, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

„Ach wirklich? Komisch. Die letzten Jahre hast du dich an Weihnachten aber nicht so aufgebrezelt.“ Takeru lächelte schelmisch. „Oder liegt es daran, dass wir zum ersten Mal seit gefühlt hundert Jahren wieder mit Papa und Matt zusammen feiern?“

„Ach, sei nicht albern.“ Sie machte eine unwirsche Handbewegung, doch Takeru entging nicht, dass sich ihre Wangen rosa färbten. Er konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Momentan sah es so aus, als würde es das glücklichste Weihnachten aller Zeiten werden.

„Bitte sag‘ sowas nicht, wenn Papa hier ist, okay?“, fügte sie noch hinzu.

„Schon klar.“ Er wollte zurück in die Küche gehen und nach dem Essen sehen, doch Natsuko hielt ihn auf.

„Du, T.K.?“

„Hm?“ Mit fragendem Blick drehte er sich zu ihr um.

„Also… du bist ja jetzt kein Kind mehr und“, sie spielte nervös mit ihren Fingern, „da kann ich ruhig mit dir darüber reden. Ähm… naja, es könnte durchaus sein, dass Papa und ich… uns wieder annähern. Also…“ Sie seufzte und machte ein gequältes Gesicht. „Warum ist das so schwer? Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Ich habe viel mit deinem Vater zu tun und ich weiß momentan nicht, wo das hinführt. Es kann sein, dass sich etwas entwickelt, aber es kann auch sein, dass es nichts wird und… und ich möchte nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst, okay?“

Verwirrt sah er seine Mutter an. „Ähm… okay.“ Doch dann realisierte er, was sie ihm da gesagt hatte. Sie sah tatsächlich Hoffnung für sich und ihren Vater und zog die Möglichkeit in Betracht, wieder mit ihm zusammen zu sein. Natürlich hatte er schon darüber nachgedacht, als sie ihm erzählt hatte, dass sie Weihnachten zu viert verbringen wollten, doch erst jetzt keimte wirklich reale Hoffnung in ihm auf. Hoffnung auf eine heile Familie. Endlich. „Mach‘ dir keinen Stress, Mama. Lass‘ dir Zeit. Das wird schon.“ Er musste es möglichst bald nach dem Essen schaffen, Yamato von seinen Eltern wegzulocken, sodass die beiden ungestört sein konnten. Allerdings war es unter diesem Gesichtspunkt etwas ungünstig, dass Yamato seine neue Freundin mitbrachte, mit der er seit kurzem zusammen war. Weder Takeru, noch Natsuko, noch Hiroaki hatten sie bisher kennengelernt, sie wussten alle nicht einmal ihren Namen. Takeru hoffte inständig, dass sie in Ordnung war.

Es klingelte an der Tür und Natsuko lief wie ein aufgescheuchtes Huhn in den Flur, um sie zu öffnen. Mit einem amüsierten Lächeln sah Takeru ihr dabei zu, wie sie die Gäste begrüßte. Hiroaki bekam ein freundliches Lächeln, Yamato einen Kuss auf die Wange und…

„Oh, Sora! Wie schön dich zu sehen.“

Sora? Verblüfft beobachtete Takeru, wie Natsuko Sora umarmte. Es handelte sich tatsächlich um die Sora, die vor viereinhalb Jahren mit Yamato Schluss gemacht hatte, weil er sich geweigert hatte, einen ordentlichen Beruf zu ergreifen.

„Hi, T.K.“, begrüßte sie ihn und umarmte ihn. „Schön, dich zu sehen.“

„Ähm… hi“, murmelte Takeru noch immer verwirrt. Warum hatte Yamato nichts erzählt? Er zückte sein Handy und tippte eine SMS an Hikari.

 

Du errätst nie, wer Matts „Neue“ ist. Sora!

 

_

 

Es war bereits etwas später am Weihnachtsabend, als Hikari in Yoheis Zimmer saß. Sie hatte noch gemeinsam mit ihren Eltern, Tai und Mimi zu Abend gegessen, Geschenke ausgetauscht und war dann zu ihm gefahren, um den Rest des Abends mit ihm zu verbringen. Zunächst hatten sie noch ein wenig mit seinen Eltern zusammengesessen, doch nun waren sie allein in seinem Zimmer.

Yohei studierte ebenfalls Pädagogik und Hikari hatte ihn in einer Vorlesung kennen gelernt. Es folgten lockere Plaudereien in der Vorlesung, gemeinsame Mittagessen in der Mensa, dann eine Party, auf der sie sich geküsst hatten. Seitdem waren sie so etwas wie ein Paar. Der erste Kuss war nun drei Monate her und Hikari war seitdem nicht weiter gegangen. Nicht, dass Yohei es nicht ein paarmal unauffällig versucht hätte.

Er schloss seine Zimmertür hinter sich und wandte sich ihr zu. „Endlich haben wir mal ein bisschen Zeit für uns“, sagte er lächelnd und kam auf sie zu. Ohne Umschweife verwickelte er sie in einen Kuss, der schnell sehr intensiv wurde. Hikari genoss das Gefühl des Herumknutschens sehr. Sie mochte das. Es verschaffte ihr ein Kribbeln in der Magengegend und es machte Spaß. Gern ließ sie sich diese Zärtlichkeiten gefallen. Seine Hand fuhr in ihr Haar und zog sie etwas näher zu sich heran und auch sie legte ihre Hände an sein Gesicht. Oh ja, es war schön, sich begehrt zu fühlen. Gewollt. Auf diese Art gemocht zu werden.

Sanft drückte Yohei sie aufs Bett und stützte sich neben ihr ab, während er sie weiter küsste. Keine Sekunde unterbrachten sie ihren Kuss, ließen ihn eher noch intensiver werden. Sie spürte, wie er ihren Arm streichelte. Seine Hand war warm und weich.

Hikari hatte keine Ahnung, wie lang sie dort so lagen und sich einfach nur küssten und streichelten, doch irgendwann wanderte Yoheis Hand unter ihre Bluse. Augenblicklich spannte sie ihren ganzen Körper an. Sie wusste nicht, ob sie das wollte.

Doch noch war alles harmlos. Er streichelte nur ihren Bauch, fuhr mit den Fingerspitzen langsam darüber, sodass es kitzelte. Wenn es dabei blieb, war alles in Ordnung, versuchte Hikari sich selbst zu beruhigen.

Doch bald wanderte seine Hand höher und zupfte an ihrem BH herum. Hikari unterbrach den Kuss nicht, wurde jedoch vorsichtiger. Sie spürte, wie seine Hand den Rand ihres BH entlangfuhr und vorsichtig über die Stelle zwischen ihren Brüsten strich. Denn legte er eine Hand ganz über ihre linke Brust und massierte sie sanft. Noch war alles in Ordnung, sagte Hikari zu sich selbst. Noch gab es keinen Grund zur Panik.

Doch dann schob seine Hand sich wieder über ihren Bauch nach unten und schlüpfte unter den Bund ihres Rocks.

Hikari unterbrach den Kuss und griff nach seinem Handgelenk, um seine Hand zurückzuziehen.

„Warte mal“, murmelte sie und sah ihn an. Er sah verwirrt aus. „Ich… ich glaube, ich muss jetzt los.“

„Was?“ Er hob eine Augenbraue. „Ich dachte, du wolltest über Nacht bleiben?“

„Ähm… nein, ich muss morgen ganz früh raus und meiner Mutter helfen. Also sollte ich jetzt besser nach Hause.“

Er seufzte, ließ von ihr ab und setzte sich auf. „Warum willst du nicht mit mir schlafen?“

„Ich… ich will doch“, log Hikari.

„Ja, merkt man“, erwiderte er sarkastisch. „Liegt es an mir?“

„N-nein, liegt es nicht. Es liegt an mir. Oh Yohei, ich glaube, wir sollten das hier lassen.“

Er hob überrascht die Augenbrauen. „Ich hab‘ doch schon aufgehört.“

„Nein, ich meine das alles.“

Einen Augenblick lang starrte er sie an. „Machst du gerade mit mir Schluss? An Weihnachten?“

„Nein, nein! Naja… vielleicht doch. Ja… irgendwie schon. Aber ich… ich kann das hier irgendwie nicht. Ich bin nicht bereit dafür, glaube ich. Und… keine Ahnung.“

„Hikari…“ Er sah sie gequält an. „Gib mir noch eine Chance. Komm‘ schon. Ich zeig‘ dir, dass es schön sein kann.“ Er streichelte ihr den Oberschenkel hinauf Richtung Körpermitte, doch Hikari sprang hastig auf.

„Nein, das ist nicht, was ich will!“, rief sie und trat ein paar Schritte zurück. „Es tut mir leid, aber ich geh‘ jetzt. Das hier ist so falsch.“

Sie stürmte aus der Wohnung und war froh, dass Yoheis Familie schon schlief. Eilig rannte sie durchs Treppenhaus und hinaus auf die Straße. Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade getan hatte. Sie hatte nicht nur mit ihrem „Freund“ an Weihnachten Schluss gemacht, sondern war auch noch davongelaufen, als hätte sie ein Verbrechen begangen. Aber sie wollte einfach nicht mit ihm schlafen und sie war sich ziemlich sicher, dass sich das in den nächsten Monaten nicht ändern würde. Er hatte nicht den Eindruck gemacht, als könnte er das akzeptieren. Also war nur eine Möglichkeit übrig geblieben: Trennung.

Sie zog ihr Handy aus ihrer Tasche, um Takeru zu schreiben, doch sie sah, dass er ihr geschrieben hatte.

 

Du errätst nie, wer Matts „Neue ist. Sora!

 

Überrascht starrte sie die Nachricht an und wusste nicht, was sie fühlen sollte. Freude? Verwirrung? Eifersucht? Nein, keine Eifersucht. Das war vorbei. Aber Freude konnte sie auch nicht so wirklich spüren. Blieb nur noch Verwirrung. Ja, Verwirrung. Sie waren doch jetzt so lang getrennt gewesen. Warum dann dieser Umschwung? Etwa nur, weil er jetzt studierte und etwas Vernünftiges machte?

 

Ach echt? Wie kam es denn dazu?

Und wie läuft es bei euch zu Hause so?

 

_

 

Der Abend war völlig anders verlaufen, als Takeru ihn sich zu Beginn vorgestellt hatte. Es war nach Mitternacht und noch immer saßen sie alle fünf an einem Tisch, hatten inzwischen zu viel Wein getrunken, doch die Stimmung konnte kaum besser sein. Sie redeten, scherzten und lachten, sangen sogar Weihnachtslieder und schlugen sich die Bäuche mit allen möglichen Leckereien voll. Zuerst war Takeru ein wenig verägert gewesen, weil seine Eltern nicht die Chance bekommen hatten, sich allein zu unterhalten, doch irgendwann hatte er beschlossen, dass es so, wie es nun gelaufen war, besser war. Immerhin hatten sie eine tolle Zeit als Familie verbracht und die Stimmung war nicht einmal für eine Sekunde angespannt gewesen. Sie hatten alle einen wirklich schönen Weihnachtsabend gehabt.

Als Hiroaki, Yamato und Sora wieder gegangen waren, half Takeru Natsuko noch beim Aufräumen.

„Ist doch alles gut gegangen, oder?“, fragte Natsuko ein wenig unsicher, während sie Geschirr in die Spülmaschine einsortierte.

„Ja, war ein schöner Abend“, erwiderte Takeru gähnend. Der viele Wein hatte ihn müde gemacht. „Das sollten wir wiederholen.“

Natsuko lächelte glücklich und schloss den Geschirrspüler. „Dafür bin ich auch. Aber jetzt husche ich ins Bett. Bin hundemüde. Gute Nacht, Takeru.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand in ihr Schlafzimmer.

Takeru lächelte ebenfalls. Es freute ihn, seine Mutter so zufrieden zu sehen. Er hatte das Gefühl, seinem Traum, seine Eltern wieder miteinander zu versöhnen, ein Stückchen näher gekommen zu sein.

Auch er ging nun in sein Zimmer und schnappte sich sein Handy, das auf dem Nachttisch lag. Er hatte vor einer halben Stunde eine Nachricht von Hikari bekommen. Vielleicht war sie ja noch wach.

Er suchte ihre Nummer heraus und rief sie an. Es klingelte zweimal, dann ging sie dran.

„Hey“, begrüßte sie ihn und klang ein wenig bedrückt.

„Na? Alles klar bei dir?“

„Ja, klar. Wie ist es bei euch gelaufen?“

„War echt schön. Papa, Matt und Sora sind erst vorhin wieder gegangen. Hätte nicht gedacht, dass wir so lange machen. Mama sah so glücklich aus. Hoffe mal, wir treffen uns jetzt öfter.“

„Das klingt toll.“

„Ja.“ Takeru ließ sich auf sein Bett fallen und schloss die Augen. „Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du klingst deprimiert.“

„Ähm…“, sie zögerte, „ich hab‘ mich vorhin von Yohei getrennt.“

„Was?“ Rückartig setzte Takeru sich wieder auf. „Wieso?“

„Ich weiß es selbst nicht so richtig“, murmelte sie. „Wir waren allein in seinem Zimmer und haben uns geküsst. Dann wollte er mit mir schlafen und ich hab‘ irgendwie Panik bekommen. Dann habe ich einfach Schluss gemacht und bin gegangen.“

Takeru war für einen Augenblick sprachlos. „Ähm… okay?“

„Ja, ich weiß. Ich hatte halt irgendwie nicht das Gefühl, dass ich in den nächsten Monaten mit ihm schlafen wollen würde. Wollen könnte. Wollen will. Ach, du weißt schon.“ Sie seufzte. „Ich hätte ihn nicht gleich verlassen müssen. Was stimmt denn nicht mit mir?“

„Keine Ahnung“, antwortete Takeru schulterzuckend. „Vielleicht hast du dich zu sehr unter Druck gesetzt gefühlt. Und wenn er dich wirklich unter Druck gesetzt hat, ist er es sowieso nicht wert.“

Sie nuschelte etwas Unverständliches ins Telefon und seufzte erneut. „Ich glaube, ich bin einfach nicht beziehungsfähig.“

„So ein Quatsch. Ehrlich gesagt mochte ich ihn eh nicht besonders“, gestand Takeru.

„Was? Wieso nicht?“, fragte sie überrascht.

„Keine Ahnung. Der hat immer so seltsame Witze gemacht. Und dieser eine Kumpel von ihm hatte auch ein totales Rad ab.“

Hikari kicherte leise. „Tolle Begründungen. Wirklich wohl überlegt und absolut nachvollziehbar.“

Er schnaubte, musste jedoch ebenfalls grinsen. „Wenn es nicht gehalten hat, war es sowieso nicht der Richtige.“

„Ich hoffe nur, er ist nicht zu sehr verletzt.“

„Er wird darüber hinwegkommen.“

„Bloß nicht zu viel Mitleid zeigen, Takaishi.“

Takeru fühlte sich wirklich erleichtert, dass Hikari nicht mehr mit diesem Yohei zusammen war. Als sie ihm vor drei Monaten erzählt hatte, dass sie jetzt mit einem Kommilitonen was am Laufen hatte, war ihm ganz schlecht geworden. Er wusste, dass er nicht das Recht dazu hatte, Eifersucht zu empfinden. Er durfte diese Gefühle für sie überhaupt nicht hegen. Sie war tabu. Doch trotzdem konnte er sich nicht dagegen wehren, Eifersucht zu empfinden, wann immer sie von einem Typen redete. Er wollte es nicht. Er wollte nicht in sie verliebt sein. Wollte nicht eifersüchtig sein. Wollte nicht ständig von ihr träumen, nicht andauernd auf diese Art an sie denken. Doch er konnte die Gefühle einfach nicht abstellen.

„Hast du noch Bock auf Treffen?“, unterbrach sie seine Gedanken. „Musst mir genauer erzählen, wie es heute bei euch war.“

„Jetzt noch?“, fragte er mit einem Blick auf die Uhr.

„Ja. So spät ist es doch noch gar nicht, oder hast du morgen Früh um sieben einen Termin für eine Gebissreinigung, du alter Opa?“

Er lachte. „Du bist echt dämlich. Okay, ich bin in einer Viertelstunde bei dir.“

50. Kapitel, in dem Grenzen überschritten werden

„Noch einen“, verlangte Hikari und knallte das leere Schnapsglas zurück auf den Tresen.

„Immer diese Zwanzigjährigen“, grummelte der Barkeeper vor sich hin, reichte ihr aber einen neuen Wodka.

„Vielleicht sollten wir es nicht übertreiben“, meinte Takeru zu ihr. Sein Blick war bereits glasig.

„Hallo?“ Ungläubig starrte sie ihn an. „Heute ist der erste Tag, an dem wir uns legal betrinken dürfen. Es ist Volljährigkeitsfest!“

„Ja, aber wir hatten langsam genug, glaub‘ ich.“

„Sei nicht so ein Spießer, T.K.“ Sie setzte das Schnapsglas an und kippte es in einem Zug hinunter. Der Alkohol brannte ihr in der Kehle, doch das Gefühl war schnell vergessen. Stattdessen spürte sie nun die Wärme in ihrem Bauch und das fröhliche Gefühl, das sich in ihr ausbreitete.

„Komm‘ schon, Kari!“ Momoko packte sie am Arm und zog sie mit sich zurück mitten auf die Tanzfläche. Sie jubelten, als ein Lied begann, das sie mitsingen konnten, und begannen, wild zu tanzen. Sie ließ ihre Hüften kreisen, drehte sich, wirbelte ihre Arme durch die Gegend und schüttelte das Haar. Zwischendurch wimmelte sie einen Kerl ab, der versucht hatte, sie anzutanzen. Heute hatte sie keine Lust dazu. Nicht auf einen Wildfremden. Sie wollte einfach nur Spaß mit ihren Freunden haben und die Sau rauslassen. Seit vier Stunden schon zogen sie in einer großen Gruppe durch verschiedene Clubs, die sich in Laufnähe zum Wohnheim befanden, tranken und tanzten. Hikaris Hirn war von dem verhältnismäßig vielen Alkohol, den sie heute getrunken hatte, längst benebelt. Immer wieder erwischte sie sich dabei, lauthals über Kleinigkeiten zu lachen oder über ihre eigenen Füße zu stolpern. Der Alkohol hatte sie im Griff und würde sie wohl erst allmählich loslassen, wenn sie zu Hause in ihrem Bett lag.

Sie, Momoko und Kazumi, die ebenfalls beide zu der Gruppe gehörten, sangen das Lied mit und lachten dabei. Hikari fühlte zwei Hände, die sich auf ihre Hüften legten und ihre Bewegungen lenken wollten. Sie machte einfach mit und erteilte dem Kerl vorerst keine Abfuhr. Ein bisschen tanzen war schon okay. Sobald er zu aufdringlich wurde, konnte sie ihn ja einfach wegscheuchen.

Sie grinste Momoko und Kazumi an, die zurückgrinsten, und rutschte ein wenig enger an den Körper hinter sich. Der Griff der Hände verfestigte sich und sie fühlte Lippen an ihrer Schulter. Sie drehte den Kopf zur Seite, um sich den Typen anzusehen, der sie da gerade anmachte und begegnete Takerus Blick, der noch immer an der Bar saß. Sobald sich ihre Blicke begegneten, wandte er sich ab und unterhielt sich mit wem auch immer neben sich. Hikari konnte die Person nicht sehen.

Sie drehte sich nun ganz um, machte sich von dem Kerl los und hob abwehrend die Hände, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie nicht wollte. Der Typ versuchte, sie wieder an sich zu ziehen, doch sie schob ihn bestimmt weg, sodass er schließlich mit den Schultern zuckte und sich aus dem Staub machte. Hikari sah wieder zu Takeru, doch er sah nicht zu ihr, schien beschäftigt zu sein.

Es dauerte noch eine Weile, bis der Club sich allmählich leerte und auch Hikari beschloss, nach Hause zu gehen. Es fiel ihr immer schwerer, sich zu bewegen und sie spürte beim Gehen, dass sie schwankte. Sie hatte genug.

Auch Momoko und Kazumi machten sich gemeinsam mit ihr auf den Heimweg, ebenso wie Takeru und ein paar andere. Lärmend ging die Gruppe durch die Straßen, gröhlte Lieder, lachte und kam nur langsam voran. Einer nach dem anderen verabschiedete sich, um in eine andere Richtung zu gehen und schließlich auch Takeru und Hikari.

Sie schlenderten auf ihr Wohnheim zu und erschöpft lehnte sie sich gegen ihn, während er die Haustür aufschloss.

„Ich glaub‘, ich hatte zu viel“, lallte sie.

„Ich glaub‘, wir hatten alle zu viel“, erwiderte er lachend.

„Gut, dass ich jetzt schlafen gehen kann. Bin total durch.“

Es dauerte gefühlt Stunden, bis sie die Treppen erklommen hatten und ihren Flur erreichten. Sie gingen den Gang entlang und stoppten an Hikaris Zimmertür.

„Gute Nacht. Und mach‘ keinen Blödsinn mehr“, sagte Takeru schief lächelnd.

Hikari sah ihn an und hatte das Gefühl, ihre Augen nicht mehr komplett öffnen zu können. Sein Lächeln war so süß, das typische Takeru-Lächeln. Seine blauen Augen waren so tief, die Grübchen an seinen Mundwinkeln so sympathisch. Er drehte sich um, um zu gehen, doch sie hielt ihn auf.

„Takeru.“

Fragend sah er sie wieder an und im selben Moment legte sie die Hände an sein Gesicht, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Einfach so. Sie hatte plötzlich das unerklärliche Bedürfnis danach verspürt.

Grinsend sah sie ihn an, die Hände immer noch an seinem Gesicht, während sein Blick völlig verwirrt war.

„Ich glaub‘, ich steh‘ ein bisschen auf dich“, nuschelte sie.

„Hika…“

Dann ging es von beiden aus. Erneut trafen ihre Lippen sich, vereinten sich zu noch einem Kuss, doch diesmal löste Hikari ihn nicht sofort wieder, sondern verweilte an seinen Lippen, küsste ihn wieder und wieder, bis er leicht den Mund öffnete und sie es ihm nachmachte.

Sie verloren das Gleichgewicht und Hikari stieß mit dem Rücken gegen ihre Zimmertür. Verlangend schlang sie die Arme um Takerus Hals, um ihn näher an sich zu ziehen. Die unsichtbare Grenze, die nun schon seit zwanzig Jahren zwischen ihnen bestand, war endgültig überschritten worden. Das hier war etwas völlig anderes und hatte nichts mit dem Probekuss an Takerus fünfzehnten Geburtstag zu tun, auch nichts mit Takerus Kussversuch vom letzten Jahr. Das hier löste Gefühle in ihr aus. Nicht nur in ihrem betrunkenen Gehirn, sondern auch in ihrem Herzen, das ihr gerade wild gegen den Brustkorb schlug. Nach diesem Moment würde zwischen ihnen nichts mehr so sein, wie es einmal war, doch das war ihr gerade egal.

Atemlos lösten sie den Kuss und sahen sich für einen Augenblick einfach nur an, ohne etwas zu sagen. Hikari wusste, dass nicht nur sie verwirrt von dem war, was hier geschah, was es bedeutete. Wie in Zeitlupe drehte sie sich um und schloss mit zittrigen Fingern die Zimmertür auf. Als sie eintrat, drehte sie sich wieder zu Takeru um, der unschlüssig vor der Tür stand. Kurz entschlossen griff sie nach seiner Hand und zog ihn zu sich herein. Noch während sie hinter ihm die Tür zuknallte, küsste sie ihn erneut.

Endlich ergriff auch er die Initiative. Sie hatte schon Angst gehabt, er wäre nicht interessiert und hätte ihren Kuss vielleicht nur aus Höflichkeit erwidert, doch nun spürte sie seine Hände auf ihrer Taille und wie er sie langsam Richtung Bett drängte.

Oh Gott, was taten sie hier?

Ohne den Kuss zu unterbrechen, zog Hikari den Reißverschluss seiner Jacke auf und er schüttelte sie sich von den Schultern. Auch Hikari befreite sich aus ihrer Jacke, kickte sich die Schuhe von den Füßen und presste sich an ihn, schlang die Arme wieder um seinen Hals. Seine Hände glitten verlangend über ihre Seiten, streichelten sie, wanderten zum Reißverschluss ihres Kleides auf dem Rücken und zogen ihn auf. Sie ließ die Arme sinken, damit er ihr das Kleid abstreifen konnte. Er verließ ihre Lippen und küsste ihren Hals, ihre Schulter, während das Kleid langsam zu Boden sank. Dann schob er sie weiter sanft Richtung Bett, bis sie dagegen stieß und sich setzte. An den Schultern drückte er sie in eine liegende Position und beugte sich über sie, um sie erneut in einen Kuss zu verwickeln. Seine Fingerspitzen fuhren über ihren Bauch und hinterließen ein Kribbeln auf ihrer Haut. Wieder wandte er sich ihrem Hals zu, wanderte weiter runter, küsste ihre Brust, ihren Bauch und spielte mit dem Bund ihres Slips.

Hikaris Atem beschleunigte sich. Nervosität machte sich in ihr breit. Sie krallte die Hände in das Laken und starrte an die Decke. Seine Bartstoppeln kratzten leicht auf ihrer Haut, doch seine Lippen fühlten sich umso weicher an. Als sie seine Finger am Bund ihres Slips spürte, breitete sich ein wohliges Prickeln in ihrem Unterleib aus.

Takeru richtete sich auf und zog sich das T-Shirt aus, gefolgt von seiner Hose. Für den kurzen Augenblick, in dem er dort stand und sich auszog, betrachtete sie seinen Körper. Es war das erste Mal, dass sie ihn auf diese Weise ansah. Der viele Sport tat seinem Körper augenscheinlich gut. Auf seinem Bauch zeichneten sich Muskeln ab, ebenso an seinen Oberarmen. Seine Schultern hatten genau die richtige Breite. Konnte ein Mensch einen perfekten Körper haben?

Dann legte er sich wieder neben sie, beugte sich über sie und küsste sie erneut. Ihre Finger fuhren zärtlich über seine Brust, während seine Hand auf ihrem Bauch lag.

„Was machen wir hier eigentlich?“, nuschelte sie in den Kuss hinein.

„Keine Ahnung“, flüsterte er und schob seine Hand ohne Vorwarnung unter ihren Slip. Sie sog scharf die Luft ein, als er ihre empfindlichste Stelle berührte und war nicht in der Lage, ihn weiterhin zu küssen. Seine Lippen wandten sich ihrem Hals zu, während Hikari die Augen schloss und sich auf seine Berührungen konzentrierte. Seine Finger streichelten sie nur ganz leicht, doch das Gefühl, das er damit in ihr auslöste, war überwältigend. Hikaris Kehle entwich ein leises Seufzen und sie wollte mehr. Bereitwillig spreizte sie die Beine ein wenig, um ihm mehr Freiraum zu gewähren. Sofort verstärkte er den Druck seiner Finger, bewegte sie jedoch quälend langsam.

Ihre Erregung wuchs mit jeder Sekunde. Der letzte Junge, auf den sie sich so eingelassen hatte, war Makoto gewesen, doch auch er hatte sie nicht so berührt, wie Takeru es gerade tat. Vorsichtig drang er mit einem Finger in sie ein, bewegte ihn ein wenig, zog ihn wieder heraus und streichelte sie wieder.

Hikari wand sich unter ihm, bog den Rücken durch, stöhnte leise. Sie hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Wieder drang er mit einem Finger in sie ein und bewegte ihn in ihr, erst langsam, dann ein wenig schneller. Dann nahm er einen zweiten Finger hinzu und sie biss sich auf die Unterlippe. Im ersten Moment tat es etwas weh, doch er wurde langsamer, gewöhnte sie langsam daran und rieb sie dann noch zusätzlich mit dem Daumen.

Hikaris Hand krallte sich in seinen Rücken und sie bog sich ihm entgegen, wollte mehr haben. Ihr Atem ging schneller und erneut stöhnte sie, diesmal etwas lauter. Er ließ von ihrem Hals ab und schien sich komplett auf ihre untere Körperregion zu konzentrieren. Immer wieder änderte er den Rhythmus seiner Bewegungen, mal schneller, mal langsamer, mal mehr, mal weniger Bewegung. Hikari spürte ihren Höhepunkt auf sich zukommen. Sie öffnete den Mund und stöhnte kehlig, wollte, dass er es beendete.

Doch plötzlich zog er seine Hand zurück und Hikari öffnete verwirrt die Augen. Ihre Blicke begegneten sich.

„Warum hörst du auf?“, wisperte sie.

„Ich mach‘ gleich weiter“, raunte er, setzte sich auf und griff nach seiner Hose, um sein Portemonnaie hervorzuziehen.

„Was machst du?“, fragte Hikari nervös.

„Kondom suchen“, antwortete er knapp und packte sein Portemonnaie wieder weg, nachdem er fand, wonach er gesucht hatte.

„Warum das denn?“

Verständnislos sah er sie an. „Ähm… Verhütung?“

„I-ich dachte, wir würden nur… also… okay.“

„Alles in Ordnung?“, fragte er und legte eine Hand auf ihren Oberschenkel.

„Ja, klar.“

Er lächelte und stand auf, um sich seine Hose auszuziehen, doch Hikari setzte sich auf, sodass er innehielt.

„Warte mal. Kann… kann ich?“ Ihre Hände griffen nach dem Bund seiner Boxershorts und zogen sie langsam herunter, bis sie auf den Boden fielen. Unverhohlen starrte sie sein bestes Stück an, dem die Erregung deutlich anzusehen war. So lang waren sie nun schon befreundet und noch nie hatte sie ihn so gesehen. Vorsichtig griff sie danach, ließ ihre Fingerspitzen darüber fahren und umschloss es schließlich mit der ganzen Hand, führte langsame Bewegungen aus. Takeru setzte sich wieder aufs Bett und küsste sie erneut, während sie ihn weiter massierte. Nach einigen Augenblicken stöhnte er leise in den Kuss und schob bestimmt ihre Hand weg.

Mit einigen geschickten Handgriffen streifte er sich das Kondom über und brachte sie wieder in eine liegende Position. Langsam legte er sich über sie und positionierte sich so, dass er in sie eindringen konnte. Doch als Hikari die Spitze zwischen ihren Beinen spürte, veränderte sich etwas in ihr.

Plötzlich tauchte Makotos Gesicht vor ihr auf und die Erinnerungen an ihr erstes Mal, die Schmerzen. Diese unerträglichen Schmerzen. Augenblicklich verkrampfte sie sich, obwohl Takeru noch nicht einmal in sie eingedrungen war. Panik stieg in ihr auf. Sie wollte diese Schmerzen nicht noch einmal spüren, wollte nicht, dass es wieder blutete, wollte nicht wieder weinen und es bereuen.

Takeru wollte in sie eindringen, doch sie schnappte nach Luft. „Nein!“

„Was?“ Erschrocken sah er sie an.

„Ich kann nicht!“

Er zögerte. „Kari, entspann‘ dich.“

„Nein!“ Sie stieß ihn von sich herunter, sodass er fast vom Bett fiel. „Geh‘ bitte!“

„Was? Was ist denn los?“

„Ich kann das nicht!“, wiederholte sie nur und zog hastig die Bettdecke über sich, um ihren nackten Körper zu verbergen. „Bitte geh‘ einfach.“

Er kletterte aus dem Bett und schlüpfte wieder in seine Unterhose. „Kari, was ist denn auf einmal los? Hab‘ ich irgendwas falsch gemacht?“

„Boah, Takeru!“ Auch sie kletterte, die Decke um ihren Körper geschlungen, aus dem Bett, durchquerte ihr Zimmer und riss die Tür auf. „Geh‘ jetzt!“

„Darf ich mich vielleicht noch anziehen?“, fragte er und klang nun ein wenig genervt, während er seine Jeans anzog.

Sie antwortete nicht, sondern blieb nur an der offenen Tür stehen.

Er schnappte seine Jacke, sein T-Shirt und seine Schuhe und lief ebenfalls durch das Zimmer. Neben ihr angekommen blieb er stehen. „Würdest du mir das bitte noch erklären?“

Sie presste die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wollte jetzt nicht anfangen zu heulen, während er sich noch in ihrem Zimmer befand. Als sie eine Zeitlang nicht antwortete, ging er wortlos aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Hikari schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

Sie hatte es vermasselt. Sie hatte nicht nur die Freundschaft zu ihm mit diesem blöden Kuss vorhin aufs Spiel gesetzt, nein, jetzt hatte sie sich mit ihrer albernen Angst auch noch vollkommen lächerlich gemacht.

Sie hatte alles versaut.

51. Kapitel, in dem Alt immer besser ist

In der Nacht war Takeru andauernd von wirren Träumen heimgesucht worden, nachdem er zuvor mindestens zwei Stunden wach gelegen hatte. Als er am nächsten Morgen gegen elf aufwachte und sich kein bisschen erholt fühlte, fragte er sich, ob das mit Hikari überhaupt wirklich passiert war, oder ob er das nur geträumt hatte. Er warf einen Blick auf sein Handy. Sie hatte ihm nicht geschrieben. Was war da nur passiert?

Er seufzte, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Sie hatten rumgemacht und es war von ihr ausgegangen. Sie hatte ihn einfach geküsst und in ihr Zimmer gezogen. Wie sollte er das interpretieren? Ob sie einfach nur ein bisschen rummachen wollte? Das konnte er sich bei ihr beim besten Willen nicht vorstellen. Das war nicht ihr Ding. Und als er mit ihr schlafen wollte, war sie auf einmal in Panik geraten und hatte ihn rausgeschmissen. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie noch immer wegen des Erlebnisses mit Makoto Probleme hatte, doch warum hatte sie dann überhaupt erst angefangen?

Plötzlich fiel ihm ein, dass er ja um zwölf zum Mittagessen bei seiner Mutter sein wollte. Wie vom Blitz getroffen sprang er auf und fasste sich im nächsten Moment an den Kopf. Der Alkohol, den er gestern anlässlich des Mündigkeitsfestes getrunken hatte, machte sich bemerkbar. Er stöhnte gequält und stützte sich an der Wand ab. Es dauerte eine Weile, bis der Schwindel und der bohrende Kopfschmerz ein wenig abklangen und er sich endlich fertig machen konnte.

 

„Zu spät“, tadelte Natsuko, als er halb eins die Wohnung betrat. Sie hatte sich eine Kochschürze umgebunden und wuselte durch die Küche. Auch Yamato war da und rührte gerade in einem Topf auf dem Herd herum.

„Hab‘ verschlafen“, murmelte Takeru und kratzte sich am Kopf.

„Studenten“, murmelte Natsuko. „Wollte Kari gar nicht mitkommen?“

Takeru erstarrte beim Klang ihres Namens. „Wer?“

Natsuko hob die Augenbrauen. „Kari? Kennst du die noch?“

„Die Süße mit den braunen Haaren“, rief Yamato grinsend aus der Küche. „Ich glaube, ihr wart zusammen auf der Schule.“

Takeru verdrehte genervt die Augen. „Sie hatte keine Zeit.“

„Achso“, meinte Natsuko schulterzuckend und verteilte Teller und Besteck auf dem Tisch.

„Wie war es denn gestern? Habt ihr ordentlich einen drauf gemacht?“, fragte Yamato und trug die brutzelnde Pfanne zum Tisch.

„Ja, kann man so sagen“, murmelte Takeru. Er ließ sich auf einen Stuhl sinken und trank einen Schluck aus dem Wasserglas, das an seinem Platz stand. Erst jetzt bemerkte er, wie pelzig seine Zunge sich anfühlte.

Yamato setzte sich auf den Platz ihm gegenüber und musterte ihn über den Tisch hinweg. „Kann mich noch gut erinnern, wie es vor drei Jahren mit Tai und Sora war. Ich glaube, das war die beste Nacht unseres Lebens.“

Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte Takeru die vergangene Nacht wohl auch als die beste seines Lebens bezeichnet. Hätte Hikari ihn nicht rausgeschmissen, hätte sie zumindest ganz weit oben auf der Liste der besten Nächte aller Zeiten gestanden. Jetzt rangierte sie eher irgendwo im unteren Mittelfeld. Wieder schweiften seine Gedanken zurück zu dem Kuss, ihrem Körper in dem engen schwarzen Kleid und wie er es ihr ausgezogen hatte, ihrer weichen Haut. Warum hatte sie ihm nicht einfach sagen können, was das Problem war? Warum hatte sie ihn rausgeworfen? Und wieso hatten sie das alles überhaupt getan?

„Langweile ich dich mit meinen Geschichten?“, riss Yamato ihn aus seinen Gedanken. „Ich komme mir schon vor wie Oma.“

„Nee, bin nur noch ein bisschen müde“, erwiderte Takeru abwinkend, obwohl er tatsächlich nicht zugehört hatte.

„Müde?“, hakte Yamato nach. „Oder eher verkatert?“

„Siehst wirklich ziemlich müde aus. Möchtest du einen Kaffee?“, mischte Natsuko sich nun ein, während sie Servietten verteilte.

„Ja, das wäre vielleicht gut“, meinte Takeru langsam.

„Geh‘ deinem Bruder einen Kaffee kochen“, befahl Natsuko an Yamato gewandt und setzte sich auf den Stuhl neben Takeru.

„Was zum…“, begann Yamato mit einem bedepperten Blick, stand dann jedoch wieder auf und ging zurück in die Küche. „Er hätte mir Kaffee kochen müssen. Immerhin ist er der Jüngere.“

„Ich habe euren Vater zu meiner Mündigkeitsparty kennen gelernt“, erzählte sie, ohne auf Yamatos Beschwerden zu achten.

Takeru stützte den Kopf auf der Hand ab und musterte sie interessiert. „Das hast du schon mal erwähnt. Aber wie genau habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?“

„Das ist keine Geschichte, die man seinen Kindern so genau erzählen sollte“, sagte sie nun hastig und lief auf einmal rot an. Takeru tauschte einen Blick mit Yamato.

„Sie ist also nicht jugendfrei?“, fragte Letzterer.

„Doch, aber nicht vorbildhaft.“

„Ach komm‘ schon, Mama, wann verhältst du dich denn mal wie ein gutes Vorbild?“, entgegnete Yamato und machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Pass‘ auf, was du sagst, mein Lieber“, grummelte sie mit erhobenem Zeigefinger und wandte sich wieder an Takeru. „Ihr wisst ja, wie das in dieser Nacht ist. Man trifft sich mit Freunden, zieht durch die Clubs und Bars, trinkt hier mal was, trinkt da mal was…“

„Du warst also betrunken?“, fragte Takeru.

„Durchaus ein wenig. Nicht so viel. Aber mehr als nötig. Jedenfalls habe ich mich dann im Morgengrauen auf dem Nachhauseweg verlaufen, mich auf den Boden gesetzt und geheult.“

Yamato und Takeru prusteten gleichzeitig los.

„Das ist überhaupt nicht witzig!“, rief Natsuko empört. „In dem Moment war ich sehr verzweifelt, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich war.“

„Du lebst ja noch“, meinte Yamato.

„Wegen Papa?“, fügte Takeru hinzu.

„Ja, ich schwöre bis heute, dass er mir in jener Nacht – oder eher an jenem Morgen – das Leben gerettet hat. Er war nämlich gerade auf dem Weg zu seinem Nebenjob, den er damals hatte, um sein Studium zu finanzieren, als er an mir vorbeikam. Er war wirklich ein Gentleman. Hat sich zu mir gesetzt und mich gefragt, was passiert ist. Ich weiß nicht mehr genau, was ich zu ihm gesagt habe. Vermutlich nur wirres Zeug. Aber er hat seinen Nebenjob an jenem Morgen sausen lassen und mich stattdessen nach Hause gebracht.“

Takeru lächelte, als er vor seinem inneren Auge Hiroaki und Natsuko vor über zwanzig Jahren sah, wie sie vor Natsukos Wohnung standen und sich verlegen voneinander verabschiedeten.

„Ich habe ihn nicht gehen lassen, bevor ich seine Telefonnummer hatte. Handys gab es ja damals noch nicht. Und dann habe ich ihn zwei Tage später angerufen und wollte ihn zum Kaffee einladen, um mich zu bedanken.“ Ihre Augen leuchteten, während sie das erzählte und man konnte sehen, dass sie die Bilder der Vergangenheit noch genau im Kopf hatte, als wären sie erst gestern passiert.

„Und dann habt ihr geheiratet“, schlussfolgerte er.

Natsuko lachte ein wenig spöttisch. „Nein, so einfach war das damals nicht. Er hatte zu der Zeit eine Freundin und hat mir beim Kaffeetrinken ganz nebenbei von ihr erzählt.“

„Du hast also einer anderen den Freund ausgespannt? Mama!“ Yamato schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Er stellte eine Tasse Kaffee vor Takeru ab, der sich bedankte.

„So einfach kann man das nicht sagen, Yamato“, erwiderte Natsuko energisch und lief erneut rot an. „Ich wollte dann natürlich die Finger von ihm lassen und dachte schon, ich würde ihn nach dem Kaffee nie wieder sehen. Und erst einmal hatten wir danach auch ein paar Wochen keinen Kontakt, aber dann hat er mir einen Brief geschrieben.“

„Und was stand da drin?“, fragte Takeru neugierig.

„Dass er jeden Tag an mich denken muss, seit er mich aufgelesen hat und ich ihm einfach nicht aus dem Kopf gehe. Der Brief war so unglaublich romantisch formuliert, dass ich fast geweint habe.“

Takeru konnte nicht anders, als an die Frau zu denken, die vorher an Hiroakis Seite gewesen war. Immerhin wusste er, wie es sich anfühlte, betrogen zu werden und empfand Mitleid, obwohl es hier um die Liebesgeschichte seiner Eltern ging. Er hatte eine Vorstellung davon, wie sie sich wohl gefühlt hatte, als sie herausgefunden hatte, dass Hiroaki Liebesbriefe an eine andere schrieb.

„Dann habe ich ihm natürlich geantwortet, dass ich auch andauernd an ihn denken muss, aber mein Brief war nicht halb so romantisch wie seiner“, erzählte Natsuko weiter und ein Grinsen huschte über ihre Lippen. „Dann haben wir einen Tag zusammen verbracht und danach hat er mit seiner Freundin Schluss gemacht. Wir waren wirklich total verknallt ineinander und haben schon ein halbes Jahr später geheiratet. Das ist natürlich total überstürzt und ich möchte nicht, dass das einer von euch beiden macht.“ Sie warf beiden Jungs einen scharfen Blick zu.

„Hat ja eh nicht gehalten“, meinte Yamato trocken.

Takeru warf ihm einen verärgerten Blick zu, während Natsuko tief seufzte und auf einmal wehmütig aussah.

„Es war einfach die Arbeit. Er hat keine Zeit mehr für uns gehabt. Ich musste alles allein machen mit euch beiden und es war wirklich eine schwere Zeit. Ich wollte das einfach so nicht mehr weitermachen.“

„Und dann habt ihr euch scheiden lassen. Von da an kennen wir die Geschichte“, meinte Yamato abwinkend und begann, sich Essen auf den Teller zu laden.

„Ja. Er hat wirklich lange versucht, mich umzustimmen, aber ich war zu stur. Ich wollte davon nichts hören und habe ihm sowieso kein Wort geglaubt, obwohl ich es gern wollte. Er hat mir schrecklich gefehlt.“

„Vielleicht hättet ihr nicht so schnell aufgeben sollen“, meinte Takeru leise.

„Wenn es nicht funktioniert, dann funktioniert es eben nicht. Warum soll man Zeit sinnlos damit verschwenden, etwas am Leben zu erhalten, was schon längst tot ist?“, erwiderte Yamato.

„Woher willst du wissen, dass es schon längst tot war?“, fuhr Takeru ihn an. Er war genervt von seinem Bruder.

„Woher willst du wissen, dass es noch am Leben war?“, stellte dieser die Gegenfrage und hob eine Augenbraue.

„Du solltest das doch eigentlich wissen. Immerhin hast du auch jahrelang um Sora gekämpft, oder nicht? Warum ist das bei dir in Ordnung, aber bei anderen Leuten Zeitverschwendung?“, zischte Takeru.

„Jetzt streitet euch nicht. Wir sind hier, weil wir gemütlich zusammen essen wollen“, sprang Natsuko dazwischen, bevor Yamato etwas erwidern konnte, und belud Takerus Teller mit Essen. „Vielleicht haben wir das damals wirklich zu schnell beendet. Ich muss zugeben, dass ich auch ziemlich stur war und wir uns geschieden haben, obwohl wir uns liebten. Allerdings war ich damals einfach so wütend und enttäuscht, weil ich mir das alles so anders vorgestellt hatte.“

„Manchmal braucht man halt ein bisschen Zeit“, sagte Takeru einfühlsam.

„Ist ja jetzt auch egal. Das ist längst Vergangenheit“, sagte Natsuko lächelnd. „Lasst uns jetzt essen, sonst wird es noch kalt.“

 

Am Nachmittag machten Yamato und Takeru sich gemeinsam auf den Weg zurück zu ihren Wohnheimen. Sie konnten ein Stück gemeinsam mit der Metro fahren, bevor sie sich wieder verabschieden mussten.

„Was sollte das denn eigentlich heute?“, fragte Takeru schließlich und bedachte seinen Bruder mit einem genervten Blick.

Dieser hob nur fragend die Augenbrauen. „Was denn?“

„Hörst du dir überhaupt selbst zu? Man könnte meinen, du willst nicht, dass Mama und Papa sich wieder vertragen und zusammen leben.“

„T.K.“, seufzte Yamato, „nicht schon wieder dieses Gespräch. Das hatten wir doch schon zu oft.“

„Ja, aber merkst du nicht, wie sie von ihm redet? Da ist doch noch was.“

„Ja, nämlich das natürliche Interesse, das man nunmal am Vater seiner Kinder zeigt. Wenn sie wieder zusammen sein wollen würden, wären sie es doch längst, so lang, wie sie sich nun schon wieder annähern.“

„Das glaube ich nicht. Vielleicht sind sie einfach nur beide zu schüchtern oder zu stur, über ihren eigenen Schatten zu springen und es nochmal zu versuchen“, erwiderte Takeru überzeugt. „Es klang für mich so nach der großen Liebe.“

„Wenn es die große Liebe wäre, hätten sie sich nicht scheiden lassen und sich anschließend jahrelang gestritten. Ich glaube nicht, dass das bei den beiden die große Liebe ist und das solltest du auch langsam mal sehen. Sieht momentan eher aus wie vergessen, was damals schief gelaufen ist.“

„Sie haben es nicht vergessen. Mama hat uns doch erzählt, was schief gegangen ist.“

„Und du weißt ganz genau, dass Papa immer noch Tag und Nacht arbeitet. An der Situation hat sich nichts geändert und wird sich auch nichts ändern.“

„Warum bist du verdammt nochmal so negativ?“, rief Takeru wütend, sodass sich benachbarte Fahrgäste neugierig nach ihm umdrehten.

„Takeru.“ Yamato beugte sich ein wenig nach vorn und sah ihn ernst an. „Ich meine das doch nicht böse. Mir wären Eltern, die sich lieben, auch lieber als geschiedene, aber ich sehe einfach keinen Grund, warum ihre Beziehung jetzt auf einmal klappen sollte, nachdem sie sich über Jahre nicht gegenübertreten konnten, ohne sich an die Gurgel zu springen. Das, was da gerade los ist mit denen, ist irgendwie Verzweiflung, weil keiner von beiden einen festen Partner hat, und auch Bequemlichkeit, weil sie sich lieber in etwas Altes zurückflüchten, das sie kennen. Egal, ob es funktioniert hat oder nicht. Angst, etwas Neues auszuprobieren.“

Takeru verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Er hätte ihm noch so viel erwidern können, hatte aber keine Lust, zu diskutieren. Yamatos Sturheit und Pessimismus regten ihn auf. Er hatte sich doch selbst in etwas Altes und Bekanntes zurückgeflüchtet, indem er erneut eine Beziehung mit Sora angefangen hatte. Warum durften Hiroaki und Natsuko es dann nicht? Das machte überhaupt keinen Sinn.

Wenige Minuten später verabschiedete er sich von Yamato und stieg aus der Bahn. Die Hände in den Taschen vergraben schlenderte er zurück zum Wohnheim und dachte über seine Eltern nach. Es gab wirklich nichts, was er sich mehr wünschen würde als eine heile Familie. Aber was, wenn Yamato Recht hatte und Hiroaki und Natsuko gar nicht die große Liebe des jeweils anderen waren und das, was sie gerade taten, vielleicht nur aus Einsamkeit und Gewohnheit machten? Dann würde die Beziehung wahrscheinlich wieder schiefgehen, wenn es denn überhaupt erneut eine Beziehung gab. Und erst an Weihnachten hatte Natsuko Takeru gesagt, er sollte sich keine falschen Hoffnungen machen.

Auf dem Gang zu seinem Zimmer kam ihm Hikari entgegen. Takeru war so in Gedanken versunken, dass er sie fast übersah und sie erst erkannte, als sie direkt vor ihm stand. Sie hielt einen Korb mit dreckigem Geschirr in den Händen und war offenbar auf dem Weg in die Küche. Stocksteif blieb sie vor ihm stehen und wich seinem Blick aus.

„Hey“, sagte er nach einer Weile ein wenig trocken. „Abwaschen?“

„Mhm.“ Sie nickte.

Die Bilder von letzter Nacht blitzten in seinem Kopf auf. Es war fast, als könnte er wieder ihr Stöhnen hören. „Muss auch noch.“

„War schon lange nicht mehr“, murmelte Hikari.

„Sieht man.“

„Ja. Hab‘ keinen einzigen sauberen Teller mehr.“

„Na, dann wird es ja Zeit.“

„Ja.“

Sie tauschten einen verlegenen Blick. Takeru konnte sich nicht erinneren, jemals ein so belangloses Gespräch mit ihr geführt zu haben. Es tat schon fast weh, so mit ihr zu reden.

„Also ich gehe dann mal“, meinte sie und ging an ihm vorbei.

„Viel ähm… Spaß“, erwiderte Takeru und ging dann in sein Zimmer.

52. Kapitel, in dem zu klassischer Musik getanzt wird

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

53. Kapitel, in dem nur einer weiß, was er will

Es war das wohl Schönste, was er jemals erlebt hatte. Mit Hikari zu schlafen war so intensiv gewesen, dass er etwas gespürt hatte, was er noch nie zuvor gespürt hatte. Er wollte sie. Sie war die Richtige für ihn. Die Eine oder keine. Wie sehr er sie doch liebte, sie begehrte, bei ihr sein wollte, am liebsten für immer. Ganz deutlich konnte er spüren, dass sich von nun an etwas verändern würde. Ihre Freundschaft würde sich verändern und es würde etwas noch Schöneres daraus entstehen. Sie hatten das nächste Level erreicht.

Er lag auf der Seite, den Kopf auf dem Ellbogen abgestützt und beobachtete sie beim Schlafen. Ihre Schulter hob und senkte sich gleichmäßig, ihr Gesicht sah friedlich aus.

Sie war so unglaublich schön.

Sanft strichen seine Finger über ihre Schulter, berührten ihre glatte, weiche Haut. Er könnte ewig hier mit ihr liegen und sie einfach nur ansehen. Es würde ihm reichen, um glücklich zu sein.

Ihre Lider flatterten und sie öffnete die Augen. Sie blinzelte ein paarmal, bevor sich ihr Blick auf ihn richtete.

Er lächelte. „Morgen.“

„Takeru!“, sagte sie und richtete sich plötzlich auf. Eine Hand fuhr zu ihrem Kopf. „Autsch, verdammt.“

„Ja, ich merke es auch“, murmelte er und drehte sich auf den Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

Sie klammerte die Decke eng an sich. „Oh Gott, ich bin nackt.“

Mit einem schiefen Grinsen erwiderte er ihren leicht geschockten Blick. „Ich auch. Ist von Vorteil, wenn man…“

„Wir haben wirklich miteinander geschlafen, oder?“, unterbrach sie ihn und machte große Augen.

„Ähm“, er war verunsichert, „ja.“

Sie stöhnte und fuhr sich durch die vom Schlaf zerzausten Haare. „Oje. Ich dachte, ich hätte das geträumt. Oh Gott, warum haben wir das gemacht? Was war los mit uns? So viel haben wir doch gar nicht getrunken.“

„Kari?“ Er setzte sich auf und sah sie entgeistert an. „Beruhig‘ dich mal. Du tust ja so, als hätten wir einen Mord begangen.“

„Ich… das wollte ich nicht. Ich meine, haben wir ja nicht… also… wir ähm…“ Sie stammelte nur vor sich hin, ohne ihn anzusehen. Ihre Finger zupften nervös an der Bettdecke herum.

„Bereust du es?“, fragte Takeru und ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit.

„Was? Nein, es war schön! War es echt. Also zumindest… oh Gott, haben wir verhütet?“ Panisch sah sie ihn an.

„Ja, natürlich“, erwiderte er stirnrunzelnd.

„Gut.“ Sie wirkte erleichtert. „Ich will nämlich nicht schwanger werden oder eine Geschlechtskrankheit kriegen oder so.“

Er stutzte. „Was?“

„Naja… das weiß man doch… wenn einer viele Partner hat, dann ähm…“ Einen Augenblick lang sah sie ihn unsicher an, dann kämpfte sie sich mühselig aus der Decke und kletterte hastig über ihn hinweg.

Er beschloss, ihre gestotterte und unvollständige Erklärung nicht weiter zu kommentieren, und beobachtete schweigend, wie sie eilig in ihre Klamotten schlüpfte, die auf dem Boden verstreut lagen.

„Ich hole uns schnell einen Kaffee, okay?“, sagte sie, während sie ihre Haare in einem unordentlichen Dutt zusammenband.

„Okay.“

„Mit oder ohne Milch?“

„Ohne.“

„Okay.“ Hastig zog sie Jacke und Schuhe an und man könnte meinen, sie wäre auf der Flucht. Auf der Flucht vor ihm. „Bin gleich wieder da.“ Im nächsten Moment fiel die Tür hinter ihr geräuschvoll ins Schloss.

Takeru seufzte tief und starrte die Tür an. Mit einem Mal war der Zauber der vergangenen Nacht verschwunden. Dass sie nicht so glücklich über die Lage der Dinge war wie er, war nicht schwer zu erkennen, doch Takeru wusste nicht, woran es lag. Bereute sie es wirklich nicht? Was verunsicherte sie so? Irgentwas stimmte ganz und gar nicht mit ihr. Hatte er irgendetwas falsch gemacht? War es wohlmöglich doch ein Fehler gewesen, mit ihr zu schlafen?

 

_

 

Als sie das Wohnheim verließ, nahm Hikari einen tiefen Atemzug der frischen Luft. Es regnete ein wenig, doch das war ihr egal. Hauptsache weg von Takeru und dieser seltsamen Situation, in die sie sich gebracht hatten.

Er hatte sie gestern tatsächlich verführt mit seinem Bier und seinen Tanzkünsten. Plötzlich war sie völlig berauscht gewesen vom Alkohol und… auch von ihm. Wie er sich angefühlt hatte auf ihrer Haut. Sein Lächeln. Seine Augen. Seine Zärtlichkeit.

Ihr Gesicht brannte, als sie sich daran erinnerte, was sie getan hatten. Schon im Januar nach dem Volljährigkeitsfest hatten sie die Grenze zwischen Freundschaft und mehr-als-Freundschaft gehörig überschritten, doch damals war es ganz plötzlich passiert. Gestern jedoch hatte es genug Gelegenheiten gegeben, die Sache abzubrechen und wieder zur Vernunft zu kommen. Sie hatte jede davon verpasst und sich stattdessen vollkommen einlullen lassen von seinem Charme.

Wie sollte es denn jetzt weitergehen? Er war ihr bester Freund, nicht ihr Betthäschen. Solche Freundschaft-plus-Geschichten endeten doch nie gut. Diese Sache würde von jetzt an für immer zwischen ihnen stehen. Keiner von beiden würde es je wieder vergessen, dessen war sich Hikari sicher. Sollten sie vielleicht einfach darüber reden und es als einmalige Sache abhaken? Schwamm drüber und vergessen?

Wollte sie überhaupt, dass es eine einmalige Sache blieb?

Es war schön gewesen und sie hatte sogar einen Orgasmus gehabt. Sie hatten sich fast die ganze Zeit geküsst. Bei der Erinnerung daran schlug Hikaris Herz heftig gegen ihre Brust.

Sie betrat das kleine Café, das sich auf der anderen Straßenseite des Wohnheims befand, und stellte sich ans Ende der kurzen Schlange. Sie hatte ihn einfach so allein da oben in ihrem Zimmer zurückgelassen und war nahezu geflohen. Hoffentlich verstand er es nicht falsch. Obwohl… wie war es überhaupt richtig zu verstehen?

Hikari raufte sich das Haar. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Mit belegter Stimme bestellte sie zwei Kaffee zum Mitnehmen, als sie endlich an der Reihe war. Sie drückte dem Verkäufer ein paar Münzen in die Hand, nahm die Becher und verschwand wieder aus dem Café.

Wahrscheinlich würde jetzt eine Konfrontation kommen. Takeru würde sie auf ihr komisches Verhalten ansprechen und sie würden darüber reden müssen, wie es jetzt zwischen ihnen weitergehen sollte. Dabei hatte Hikari überhaupt keine Ahnung. Am liebsten würde sie sich irgendwo verkriechen, doch sie konnte schlecht aus ihrem eigenen Zimmer fliehen.

Langsam stieg sie die Treppe nach oben und überlegte sich die richtigen Worte, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Mit aufeinandergepressten Lippen öffnete sie die Tür.

„Sorry, dass es so lang gedauert hat, aber da waren…“ Sie blieb mitten im Zimmer stehen und sah sich verdutzt um.

Takeru war nicht mehr da.

War er vielleicht nur auf die Toilette gegangen?

Ihr fiel ein Zettel auf, der auf dem Schreibtisch lag, daneben ein paar Münzen. Sie ging hin und stellte die Kaffeebecher ab, um den Zettel in die Hand zu nehmen.

 

Hikari,

tut mir leid, dass ich gegangen bin, aber ich glaube, wir müssen beide über ein paar Dinge nachdenken. Vielleicht sollten wir uns erstmal nicht sehen, bis wir wieder einen klaren Kopf haben. Das tut uns sicher beiden gut.

Das gestern hätte nicht passieren sollen.

 

T

 

Fassungslos starrte Hikari den Zettel an. Ihre Knie wurden weich und sie ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Noch einmal las sie seine Notiz, doch sie wurde nicht angenehmer. Im Gegenteil. Es fühlte sich an, als hätte sie einen kalten Stein im Magen, der mit jedem Mal lesen ein bisschen zu wachsen schien.

Er bereute es!

Hatte sie sich gerade eben noch gewünscht, sie könnte sich vor ihm verkriechen, verfluchte sie ihn nun dafür, dass er einfach gegangen war. Sie mussten doch darüber reden und konnten das nicht so einfach stehen lassen, jeder seinen eigenen Gedanken überlassen.

Er bereute es!

Sollte sie besser gleich zu ihm gehen und mit ihm reden? Nein, lieber nicht. Sicher wollte er nicht mit ihr reden.

Warum hatte sie sich nur so schnell aus dem Staub gemacht, um Kaffee zu holen? Sowas Bescheuertes! Sie hätte bleiben und mit ihm reden sollen, dann wäre er gar nicht erst auf die Idee gekommen, dass sie sich eine Weile nicht sehen sollten.

Wieder einmal hatte sie alles falsch gemacht.

 

Nach einer heißen Dusche und einem kargen Frühstück machte sie sich auf den Weg zu Taichi und Mimi. Sie brauchte einen Rat und musste einfach mit jemandem darüber reden. Und da sie mit Mimi gut zurechtkam und sie einmal mit Takeru zusammen gewesen war, schien sie die richtige Person zu sein. Vielleicht konnte sie ihr ja neue Denkanstöße geben, auf die sie selbst nicht kam.

Sie drückte auf den Klingelknopf und wartete ungeduldig. Zu ihrer Erleichterung war es Mimi, die die Tür öffnete und sie überrascht musterte.

„Hallo, Kari“, begrüßte sie sie.

„Hi. Ähm… hast du vielleicht mal eine Minute?“

„Klar, komm‘ rein.“ Mimi trat zur Seite, um sie einzulassen. „Worum geht’s denn? Brauchst du was?“

„Nein. Ja. Keine Ahnung. Ist Tai gar nicht da?“ Sie zog sich Schuhe und Jacke aus und folgte Mimi in die Küche.

„Nee, der ist beim Training. Kommt aber in einer Stunde wieder. Möchtest du zum Essen bleiben? Ich koche jetzt.“

„Ähm… ja, gern.“

„Super. Es gibt Curry“, verkündete Mimi und holte Gemüse aus dem Kühlschrank. „Wenn du willst, kannst du beim Schnippeln helfen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Mimi ihr ein paar Zwiebeln vor die Nase und reichte ihr ein Messer und ein Brett.

„Klar“, sagte Hikari und begann, die Zwiebeln abzupellen.

„Worüber wolltest du denn nun reden?“

Hikari holte tief Luft. „Ich hab‘ mit T.K. geschlafen und weiß nicht, was ich jetzt machen soll.“

Mimi war gerade dabei gewesen, Paprika zu waschen, als sie jedoch innehielt und sich mit ungläubigem Blick zu ihr umdrehte. Das Wasser plätscherte weiter munter aus dem Hahn in die Spüle. „Du hast mit Takeru geschlafen?“

Hikari nickte schuldbewusst.

Mimi hob eine Augenbraue. „Wow. Ähm… wie kam es denn dazu?“

„Wir haben was getrunken und dann ist es irgendwie passiert“, murmelte Hikari schulterzuckend.

„Einfach so also. Plötzlich wart ihr beide nackt und irgendwie habt ihr plötzlich aufeinander gelegen?“

„Es ist einfach passiert.“

„Sowas passiert doch nicht einfach so. Sowas bahnt sich doch an. Aber um ehrlich zu sein, warte ich eh schon seit einer Weile darauf, dass es passiert.“ Sie lächelte schief und drehte endlich den Wasserhahn aus.

„Wie bitte?!“ Sie hatte schon darauf gewartet?

„Naja, ich bitte dich. Ihr seid so eng befreundet, hockt dauernd aufeinander und jetzt wohnt ihr auch noch auf der gleichen Etage, weit genug weg von Mama und Papa. Irgendwie war es logisch, dass es passieren würde.“

Ein wenig verärgert wandte Hikari den Blick ab und schnitt die Zwiebeln. War es ein Fehler gewesen, mit Mimi zu reden?

„Entschuldige“, sagte sie plötzlich lachend. „Aber so wirklich überrascht es mich nicht. War es denn wenigstens schön?“

„Ja, schon.“

„Wo ist dann das Problem?“

„Wir sind Freunde? Wir sollten so etwas nicht tun.“

„Ach Kari“, seufzte Mimi, als würde sie mit einem Kind sprechen, „vielleicht ist das ja ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ihr mehr sein solltet als Freunde.“

„Sollten wir?“

„Keine Ahnung. Ich kann dir nicht in den Kopf gucken, aber ich denke, ihm würde das schon gefallen.“

„Glaubst du?“

Mimi sah sie vielsagend an. „Ich bin mir ziemlich sicher.“

„Woher willst du das wissen?“ Sie hatte doch schon seit Jahren keinen engen Kontakt mehr zu ihm.

„Es ist einfach alles. Die Art, wie er dich ansieht. Wie er mit dir redet. Wie er über dich redet. Schon als ich mit ihm zusammen war, hatte ich das Gefühl, dass eigentlich gar nicht ich es bin, die er will.“

„Was?“ Verblüfft starrte Hikari sie an. „Er war doch so verrückt nach dir.“

Mimi lachte leise. „Nee. Er war verrückt nach Sex mit mir. Das ist ein Unterschied.“

Verständnislos verzog Hikari das Gesicht.

„Ich glaube, ich bin nie seine erste Wahl gewesen, Kari. Und damit meine ich nicht, dass er dich nicht manchmal wegen mir versetzt hat.“

„Was? Aber das ist doch… was?“ Hikari war vollkommen verwirrt.

„Ich glaube, er war schon damals ziemlich in dich verliebt, aber hat einfach keine Chance gesehen, näher an dich heranzukommen. Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, dass in seinem Herzen eine andere die Nummer eins war. Oder ist. Und deswegen ist unsere Beziehung wohl auch gescheitert.“

„Eure Beziehung ist gescheitert, weil du ihn betrogen hast!“, platzte Hikari heraus.

Mimi seufzte theatralisch. „Ja, das war ziemlich mies, keine Frage. Aber ich hätte ihn nicht betrogen, wenn es die wahre Liebe gewesen wäre und wenn ich mir sicher gewesen wäre, dass ich die Einzige für ihn bin.“

Unwirsch schüttelte Hikari den Kopf. „Aber das ist doch Quatsch. Du warst die Einzige für ihn! Er war am Boden zerstört, als du die Beziehung mit ihm nicht weiterführen wolltest.“

„Ach, das war doch mehr verletzter Stolz als alles andere. Wir wären einfach nicht zusammen glücklich geworden und das weiß er genauso gut wie ich.“

Skeptisch runzelte Hikari die Stirn. Was Mimi erzählte, würde zumindest zu dem Liebesgeständnis passen, das er ihr gemacht hatte. Doch wenn das wirklich die Wahrheit war, dann wäre er ja schon seit Ewigkeiten in sie verliebt. Das konnte nicht sein, er hatte so viele Affären gehabt.

„Frag‘ ihn doch einfach“, meinte Mimi leichtfertig. Anscheinend hatte sie Hikaris Misstrauen bemerkt. „Du wolltest doch wissen, was du jetzt machen sollst. Du solltest ihn fragen, wie er die Sache sieht. Ob das für ihn was Ernstes war oder nicht. Aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es ernst war.“

„Aber er ist heute Früh abgehauen, als ich Kaffee für uns geholt habe und hat mir einen Zettel geschrieben. Darauf stand, dass wir uns erst einmal nicht mehr sehen sollten, weil wir uns beide über einige Dinge klarwerden müssen. Ich glaube, er will erst einmal nicht mit mir reden.“

„Oder“, sagte Mimi mit erhobenem Zeigefinger, „er will, dass du dir über einige Dinge klarwirst. Für mich sieht die Sache eher so aus, dass du verwirrt bist und nicht er. Ich glaube, er weiß genau, was er will.“

Hikari schwieg und starrte die kleingeschnittenen Zwiebeln an. Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht wartete Takeru darauf, dass sie zu ihm kam und wusste, was sie wollte. Aber… „Er hat auch geschrieben, dass das nicht hätte passieren sollen.“

„Hm“, machte Mimi nachdenklich und rieb sich das Kinn.

„Allerdings… ich glaube, ich hab‘ mich seltsam verhalten. Er wirkte erst glücklich, aber ich hab‘ komisches Zeug gebrabbelt und bin dann Kaffee holen gegangen.“

Mimi nahm ihr die geschnittenen Zwiebeln weg und warf sie in eine große Pfanne. „Vielleicht macht er sich Sorgen um dich und denkt, dir hat es nicht gefallen oder du könntest es bereuen. Du weißt doch, wie er ist.“

Hikari stützte den Kopf auf den Händen ab und beobachtete Mimi dabei, wie sie in der Pfanne herumrührte.

„Wie stehst du denn nun dazu?“, fragte Mimi und sah sie neugierig an. „War es für dich was Ernstes oder eine einmalige Sache?“

„Wenn ich das wüsste“, seufzte Hikari.

„Darüber solltest du erst einmal nachdenken, bevor du mit ihm redest“, meinte Mimi. „Und da kann dir auch leider niemand helfen. Das musst du selbst wissen.“

„Aber selbst, wenn ich mehr für ihn empfinde, gefährdet das doch unsere Freundschaft. Vielleicht geht alles schief und dann hassen wir uns am Ende.“

„Ja, vielleicht. Oder ihr werdet glücklich miteinander, bekommt drei Kinder, sieben Enkelkinder und liebt euch unsterblich bis ans Ende eurer Tage.“

Argwöhnisch runzelte Hikari die Stirn.

„Oder Takeru wird von Aliens auf einen weit entfernten Planeten verschleppt und ihr seht euch nie wieder. Kari, was ich damit sagen will: Du kannst vorher nie wissen, was passiert. Manchmal muss man einfach was scheinbar Perfektes riskieren, um etwas noch Perfekteres zu erhalten. Hör‘ auf dein Herz.“

Ihr Herz? Es raste, wenn sie an Takeru dachte. Das Gleiche war früher auch mit Yamato passiert.

Sie wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufging und Taichi hereinkam.

„Bin wieder zu Hause“, verkündete er lautstark. „Ist das Essen fertig? Ich sterbe vor Hunger. Oh, hi Kari.“ Verdutzt blieb er am Küchentisch stehen und musterte seine Schwester. Er trug noch immer seine Sportkleidung und die Haare klebten ihm an der schweißnassen Stirn.

„Essen gibt’s erst, wenn du duschen warst“, sagte Mimi streng und hielt sich demonstrativ die Nase zu.

„Was machst du hier? Was verschafft uns die Ehre?“, fragte Taichi an Hikari gewandt, ohne auf Mimi zu achten.

Hikari zögerte. „Ähm…“

„Ich hab‘ sie nur spontan zum Essen eingeladen“, erwiderte Mimi an ihrer Stelle und grinste vielsagend.

„Okay, cool. Schön, dass du da bist.“ Er schien keinen Verdacht zu schöpfen. „Ich freue mich schon aufs Essen. Bin in fünf Minuten wieder da.“ Und schon verschwand er ins Badezimmer.

54. Kapitel, in dem Takeru ein Poet wird

Liebe.

Was bedeutet das eigentlich?

Liebe ist, zu einem bestimmten Menschen eine Verbindung zu spüren, die man zu keinem anderen spürt. Liebe ist, in guten und in schlechten Zeiten füreinander da zu sein. Liebe ist, sich um den anderen mehr zu sorgen als um sich selbst.

Liebe ist Vertrauen. Liebe ist Sehnsucht. Liebe ist Mut. Liebe ist Hoffnung. Liebe ist Verzweiflung. Liebe ist Angst.

Liebe ist, sich gegenseitig vor den großen Kindern zu beschützen. Liebe ist, den anderen trotz Pickeln und Zahnspange schön zu finden. Liebe ist, für die beste Freundin da zu sein, während sie gerade zum ersten Mal ihre Periode bekommt. Liebe ist, die beste Freundin trotz ihrer Periode nicht eklig zu finden. Liebe ist, mit dem besten Freund Basketball zu spielen, obwohl man gar keine Lust hat. Liebe ist, jede freie Minute zusammen zu verbringen. Liebe ist, den anderen zu vermissen, wenn es einmal nicht so ist. Liebe ist, gemeinsam Erfahrungen zu machen.

Liebe ist

 

Nachdenklich kaute Takeru auf dem Ende seines Bleistifts herum und starrte auf seinen Notizblock. Der Baumstamm an seinem Rücken fühlte sich rau an und er rutschte ein wenig auf dem Gras herum, um seine Sitzposition zu ändern. Eine Fliege krabbelte über seinen Arm und er beobachtete geistesabwesend, wie sie immer wieder anhielt, ihre dünnen Beinchen aneinanderrieb, und sich schließlich weiter durch die feinen Härchen auf seinem Arm kämpfte. Durch seinen Kopf schwirrten weiterhin Worte, die er mit dem Thema Liebe verband.

Freundschaft. Vertrauen. Hoffnung. Hoffnungslosigkeit.

Er seufzte und lehnte den Kopf gegen den Baumstamm. Eine leichte Brise wehte ihm durch die Haare und ließ ihn ein wenig frösteln. Es war eben noch nicht Sommer.

Wieder betrachtete er seine Notizen und kaute auf seiner Unterlippe herum. Seit der Nacht mit Hikari und dem nachfolgenden Morgen dachte er viel über die Bedeutung von Liebe nach, schrieb seine Gedanken auf, formulierte sie um und verwarf sie wieder. Schon seit drei Wochen herrschte zwischen ihnen Funkstille. Nicht einmal im Wohnheim waren sie sich über den Weg gelaufen.

Takeru wollte sich nicht bei ihr melden, weil er sie nicht unter Druck setzen wollte. Ihm war deutlich bewusst, dass sie miteinander geschlafen hatten, weil es von ihm ausgegangen war. Er hatte sie praktisch verführt. Nun wollte er ihr genug Zeit geben, darüber nachzudenken, was es für sie bedeutete, auch, wenn er sie schrecklich vermisste und sich nach ihrer Nähe sehnte. Immer, wenn das Bedürfnis, zu ihr zu gehen und sie zur Rede zu stellen, besonders groß war, schnappte er sich Zettel und Stift und schrieb, fasste seine Gedanken in Worte, um sie irgendwie loszuwerden. Vier Kurzgeschichten über unerfüllte Liebe hatte er schon geschrieben und versucht, die Emotionen, die in ihm nur so überkochten, zum Ausdruck zu bringen. Es erleichterte ihn, doch es war nur ein schwacher Trost. Dennoch hielt es ihn davon ab, einfach zu ihr zu gehen.

Erneut zückte er den Bleistift.

 

Liebe ist…

 

„Sag‘ mal, hast du nichts zu tun?“

Ruckartig hob Takeru den Kopf und klappte seinen Notizblock zu. Vor ihm, mit einer Tasche über der Schulter und einer Sonnenbrille auf der Nase, stand Yamato und grinste zu ihm herunter.

„Gedichte schreiben unter einem Baum auf dem Campus? Ich dachte, du wirst Journalist und kein Poet.“

„Ich schreib‘ keine Gedichte“, murmelte Takeru und packte den Block in seine Tasche.

„Nicht? Was denn dann? Liebesbriefe?“ Yamato warf seine Tasche auf den Boden und setzte sich neben ihn.

„Hast du keine Uni?“, fragte Takeru, etwas genervt von der Neugier seines Bruders.

„Hab‘ noch ein paar Minuten und dann habe ich dich hier sitzen sehen. Da dachte ich, ich schau‘ mal vorbei“, antwortete er. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst nicht so glücklich aus.“

„Klar, alles bestens.“

„Super.“ Yamato beugte sich nach vorn, nahm seine Sonnenbrille ab und musterte ihn eindringlich. „Und jetzt die Wahrheit.“

„Das ist die Wahrheit“, beharrte Takeru. Es kostete ihn große Anstrengung, seinem Blick standzuhalten.

„Verstehe.“ Yamato lehnte sich wieder ein wenig zurück und richtete den Blick auf die vorbeilaufenden Studenten. „Und das mit Kari macht dir gar nichts aus?“

Überrascht starrte Takeru ihn an. „Woher…“

Yamato zuckte mit den Schultern. „Der Buschfunk funktioniert, auch wenn ich es lieber von dir persönlich erfahren hätte.“

Takeru blieb der Mund offen stehen. In seinem Gehirn ratterte es. „Hat Kari dir etwa davon erzählt?“

Yamato schnaubte. „Nein. Aber Tai. Anscheinend hat sie mit Mimi gesprochen und Mimi… nun ja. Geheimnisse für sich zu behalten, fällt ihr offenbar schwer.“

„Sie hat mit Mimi gesprochen?“ Das Mädchen, in das er verliebt war, redete mit seiner Ex über ihn? War er im falschen Film gelandet?

„T.K., was macht ihr nur?“

Verständnislos sah er ihn an.

„Ihr verschwendet eure Zeit mit diesem Rumgeeier. Warum macht ihr nicht endlich klar Schiff und fangt eine richtige Beziehung für Erwachsene an?“

„Was willst du eigentlich?“, fuhr Takeru ihn an.

„Ich will dir helfen“, antwortete Yamato sachlich. Er klemmte seine Sonnebrille am Ausschnitt seines dunklen T-Shirts fest. „Du liebst sie doch, oder?“

Takeru wandte den Blick ab und schwieg. Das schien Yamato Antwort genug zu sein.

„Weiß sie es? Hast du ihr das mal gesagt?“

„Nein. Denke nicht, dass sie es weiß.“ Oder doch? Vielleicht rechnete sie ja damit, nachdem er sich aus ihrem Zimmer verkrümelt hatte. Oder aber sie dachte das genaue Gegenteil.

„Dann sag’s ihr“, meinte Yamato und kramte in seiner Tasche herum. Er zog eine Schachtel Zigaretten hervor und steckte sich eine zwischen die Lippen, bevor er Takeru auch eine anbot. Dieser zögerte einen Moment, nahm dann aber auch eine. Yamato steckte erst Takerus und dann seine eigene Zigarette mit einem Feuerzeug an.

Zögerlich zog Takeru an seiner Zigarette. Der Rauch kratzte ihn im Hals. Er rauchte nur sehr selten und war das Gefühl nicht gewohnt.

„Soll ich es ihr sagen?“, griff Yamato das Thema wieder auf.

Takeru warf ihm einen genervten Seitenblick zu, den er grinsend erwiderte.

„Ich könnte es ja ganz unauffällig machen“, redete Yamato weiter. „Ich verpacke es in eine verschlüsselte Botschaft. Kari ist clever, die kriegt das raus und es würde so aussehen, als hätte ich mich aus Versehen verplappert. So behältst du deine Würde und kriegst das Mädchen. Win-win.“

„Sie will mich doch gar nicht“, widersprach Takeru mürrisch. „Ich bin der falsche Bruder, das weißt du auch.“

„Das ist doch Quatsch. Du bist…“

„Das ist kein Quatsch. Du weißt doch ganz genau, dass sie jahrelang in dich verliebt war“, unterbrach Takeru ihn.

„Das ist doch schon längst vorbei. Und sie war nicht wirklich in mich verliebt. Eher fasziniert oder so, weil ich älter bin als sie, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es mit mir in einer Beziehung nie und nimmer ausgehalten hätte. Oh Gott, allein der Gedanke an eine Beziehung mit ihr fühlt sich so falsch an.“

Takeru schnaubte verächtlich. Was wusste Yamato denn schon? Er hatte Hikaris Achterbahnfahrt der Gefühle ja nicht miterlebt, hatte sie nicht getröstet, als sie einen Korb bekommen hatte. „Du hast ja keine Ahnung.“

Eine Weile rauchten sie schweigend ihre Zigaretten und starrten Löcher in die Luft, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.

„Vielleicht wartet sie nur darauf, dass du endlich die Initiative ergreifst und ihr die Wahrheit sagst.“

„Ja, klar“, murrte Takeru sarkastisch.

„Takeru, sie hat mit dir geschlafen. Reicht dir das nicht als Zeichen dafür, dass sie was für dich empfindet?“

„Sie hat nur mit mir geschlafen, weil ich… sie verführt habe.“

Yamato lachte leise und drückte seine Zigarette auf dem Boden aus. „Das sind die Gene. Liegt in der Familie.“

„Nicht witzig.“

„Du hast sie ja wohl nicht vergewaltigt und ich bin mir sicher, wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich gewehrt und du hättest aufgehört. Und bestimmt hätte sie nicht mit dir geschlafen, wenn sie nicht irgendetwas für dich empfinden würde. Wahrscheinlich ist sie einfach nur durcheinander.“

Takeru seufzte und drückte dann ebenfalls seine Zigarette aus. Er war nicht überzeugt von dem, was Yamato sagte. Für ihn sah es eher so aus, dass Hikari ihre gemeinsame Nacht als einmaligen Ausrutscher betrachtete. Zumindest hatte er so ihr Verhalten am nächsten Morgen interpretiert.

„Willst du mal was sehen?“, fragte Yamato dann plötzlich mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen.

„Was denn?“ Takeru war nur halb interessiert.

Yamato griff in seine Tasche und zog einen braunen Umschlag aus einem Schreibblock hervor. Dann fischte er eine verschwommene schwarz-weiße Aufnahme aus dem Umschlag und drückte sie Takeru in die Hand.

Dieser nahm das Bild und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Es sah aus wie eine Blase mit einem unförmigen Etwas darin. Seine Augen weiteten sich. „Matt… ist das…“

„Du wirst Onkel“, antwortete Yamato grinsend.

Fassungslos und mit offenem Mund starrte Takeru ihn an. „Was… wie… seit wann…“

„Es war nicht geplant“, gab Yamato zu und zuckte mit den Schultern. „Wir waren gerade bei ihrer Ärztin. Ich weiß es selbst erst seit einer halben Stunde.“ Er schüttelte den Kopf, als könnte er selbst nicht glauben, was passiert war. „Aber wir sind beide verdammt glücklich.“ Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen.

Takerus Kehle war ganz trocken geworden. Er konnte es nicht glauben. Sein Bruder wurde Vater! Und die Mutter seines Kindes war die Frau, die er nun schon seit einer Ewigkeit liebte und um die er ein paar Jahre hatte kämpfen müssen. Dieser verdammte Glückspilz.

„Krass“, brachte er hervor und gab ihm das Bild zurück.

„Krass? Ist das alles, was dir dazu einfällt?“ Yamato hob eine Augenbraue.

„Ich weiß nicht. Ich bin gerade sprachlos.“

Yamato lachte. „Waren wir auch im ersten Moment. Sie ist schon in der zehnten Woche, aber hat bis vor ein paar Tagen nichts gemerkt.“

Takeru atmete tief durch und kratzte sich am Kopf. Mit solchen Neuigkeiten hatte er definitiv nicht gerechnet. Wie seine Eltern wohl reagieren würden? „Wann wirst du es Mama und Papa sagen?“

„Keine Ahnung. Möglichst bald. Immerhin ist Ende Oktober Geburtstermin.“

„Krass“, wiederholte Takeru nur kopfschüttelnd.

Yamato sah ihn schief an. „Schreibst du so auch deine Liebesgedichte? ‚Ich liebe dich voll krass‘?“

„Ich schreib‘ keine Liebesgedichte“, grummelte Takeru.

„Wie auch immer.“ Yamato packte das Bild wieder ein und stand auf. „Ich muss dann mal. Bis später. Und lass‘ dir nicht mehr so lange Zeit.“ Er schlenderte über den Rasen hinweg und Takeru sah ihm hinterher. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in seinem Magen breit und schien durch seinen ganzen Körper zu strömen. Yamato studierte gerade einmal seit zwei Jahren und hatte unbeabsichtigt seine Freundin geschwängert, die ebenfalls mit ihrem Studium noch nicht fertig war. Beide hatten eigentlich weder Zeit noch Geld, sich um ein Kind zu kümmern.

Und Takeru? Er verspürte einen unerträglichen Neid.

55. Kapitel, in dem kein Risiko eingegangen wird

„Sie haben es also echt gut aufgenommen“, fasste Takeru Yamatos Erzählungen zusammen. Gerade eben hatte er ihm bei einem gemeinsamen Abendessen in der Mensa darüber berichtet, wie er und Sora seinen Eltern gestern von dem kommenden Nachwuchs erzählt hatten. Hiroaki und Natsuko waren zunächst einmal geschockt gewesen, waren nach einem längeren Gespräch dann aber doch ruhiger geworden. Und sie machten Yamato keine Vorwürfe. Wahrscheinlich lag es daran, dass er in seinem Leben schon so viele Dinge getan hatte, die seine Eltern auf die Palme gebracht hatten, dass sie sich über eine ungeplante Schwangerschaft nicht weiter aufregten. Es hätte schlimmer kommen können.

„Ja, ich war auch überrascht“, meinte Yamato lächelnd. „Hab‘ gedacht, sie würden ausrasten.“

„Hätte ich auch gedacht.“

Eine Woche war es jetzt her, dass Takeru von der Schwangerschaft erfahren hatte. Am liebsten hätte er mit Hikari darüber gesprochen, doch sie hatten noch immer nicht miteinander geredet.

„Wie geht es jetzt weiter? Werdet ihr zusammenziehen?“, fragte Takeru.

„Klar. Ich habe schon angefangen, nach einer Wohnung zu suchen. Und ich werde öfter arbeiten gehen, um ein bisschen Geld anzusparen. Dieser ganze Babykram ist echt verdammt teuer“, antwortete Yamato.

„Wow, Matt“, machte Takeru und hob anerkennend die Augenbrauen. „Hätte mir vor drei Jahren jemand erzählt, dass du bald vernünftig wirst, hätte ich ihn für verrückt erklärt, aber ich erkenne dich kaum wieder.“

Yamato zuckte mit den Schultern. „Alles nur wegen ihr.“

„Wegen ihr?“

„Ja. Ich habe diese Musiksache nicht aufgegeben, weil ich ‚was Vernünftiges‘ machen wollte, sondern weil ich Sora wiederhaben wollte“, erklärte Yamato und schob seinen leeren Teller ein Stück nach oben.

Takeru beobachtete ihn stirnrunzelnd.

„Ich würde einfach alles für sie machen. Alles.“

Takeru glaubte es ihm aufs Wort. Sora war seine große Liebe und er hatte sie vor seinen Traum, Rockstar zu werden, gestellt. Sie war ihm wichtiger als er selbst und deswegen würde ihn die Geburt ihres gemeinsamen Kindes zum glücklichsten Menschen der Welt machen. Er hatte für seine Liebe gekämpft und gewonnen.

„Matt, ich…“, Takeru räusperte sich ein wenig verlegen, „ich wollte mich noch für letzte Woche entschuldigen. Ich habe echt blöd reagiert auf die Nachricht. Ich schätze, ich war neidisch. Aber… ich gönne es dir. Und ich freue mich für dich. Ehrlich.“

Yamato musterte ihn und lächelte leicht. „Schon okay. Nicht der Rede wert.“

„Doch. Das war unangebracht.“

„Du solltest einfach endlich mal mit ihr reden.“

Takeru seufzte. „Bitte nicht schon wieder.“

Abwehrend hob Yamato die Hände. „Ich mein‘ ja nur. Aber okay, lassen wir das. Ich muss eh los.“

„Ja, ich auch. Muss noch ein paar Seiten für das Seminar morgen lesen.“

Sie brachten ihre Tabletts weg, verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg nach Hause. Nachdenklich schlenderte Takeru zum Wohnheim. Immer wieder kreisten seine Gedanken um Yamato, Sora und die wahre Liebe. Würde er sie jemals finden, diese wahre Liebe? Oder würde er für immer allein sein müssen?

In seinem Zimmer angekommen warf Takeru sich mit seinen Texten für das Seminar aufs Bett und begann zu lesen. Es war schwer, sich auf den Text zu konzentrieren, wenn seine Gedanken ganz woanders waren. Er erwischte sich dabei, mehrere Stellen zweimal lesen zu müssen.

Nach einer halben Stunde ließ die Türklingel ihn hochschrecken. Kurz überlegte er, das Klingeln zu ignorieren, doch vielleicht war es wichtig. Also rappelte er sich auf und ging mit dem Text in der Hand zur Tür, um sie zu öffnen.

Es war Hikari.

„Hika“, sagte er überrascht.

„Sag‘ mir, ob du mich liebst!“, befahl sie ohne eine Begrüßung.

Takeru blieb der Mund offen stehen. Hatte er sich gerade verhört? Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und seine Sprache wiederzufinden. „W-was?“

„Du musst mir sagen, ob du mich liebst“, beharrte Hikari und sah ihm fest in die Augen. Ihr Blick war wild entschlossen und es sah fast so aus, als würde sie in den nächsten Minuten in einen Kampf ziehen.

Takeru brauchte eine Weile zum Antworten. „Wie kommst du darauf?“

„Weil du es mir gesagt hast. In der Nacht, als du betrunken bei mir aufgetaucht bist“, antwortete sie unbeirrt.

Zuerst wusste er nicht, wovon sie redete, doch dann fiel ihm ein, welche Nacht sie meinte. Nun machte er große Augen. Er hatte was?! Das konnte nicht ihr Ernst sein. Das hatte er nicht getan! „Ähm… komm‘ erst mal rein.“

Stocksteif schritt sie an ihm vorbei und blieb mitten in seinem Zimmer stehen. Eindringlich sah sie ihn an und wartete darauf, dass er die Tür schloss und zu ihr kam. Er kratzte sich am Kopf, als er vor ihr zum Stehen kam. „Ähm… also ich habe was gesagt?“

Hikari seufzte. „In dieser Nacht, als du betrunken bei mir aufgetaucht bist, hast du versucht, mich zu küssen und du hast mir gesagt, dass du mich liebst.“

Takeru biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte ihre Geschichte nicht geändert. Sagte sie tatsächlich die Wahrheit? Hatte er das wirklich getan? „Ich… oh Mann.“ Er rieb sich mit der Hand die Stirn. „Verdammt.“

„Ist es wahr?“, kam sie auf ihre eigentliche Frage zurück.

Einen Augenblick lang sah er ihr beklommen in die Augen, dann nickte er langsam. „Ja, es ist wahr.“

Dann tat Hikari etwas, womit Takeru nicht gerechnet hatte. Schon wieder überraschte sie ihn, denn urplötzlich brach sie in Tränen aus.

„Was zum…“, stammelte Takeru überfordert und starrte sie an.

Sie ließ sich auf sein Bett fallen, vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte, als würde sie nie wieder aufhören. Ganze Sturzbäche schienen sich aus ihren Augen zu lösen, denn nur wenige Sekunden später tropften Tränen auf ihren Schoß.

„Kari!“ Verwirrt setzte Takeru sich neben sie und tätschelte ihr den Rücken. „Ist das wirklich so schlimm?“

Sie schluchzte weiter, doch schüttelte immerhin den Kopf.

„Warum weinst du dann? Was ist denn los?“

„Ich will dich nich‘ verlier’n. Ich gann das nich‘. Alles meine Schuld. Alles falsch gemach‘“, schniefte sie in ihre Hände, sodass Takeru Mühe hatte, alles zu verstehen.

„W-was meinst du denn?“, fragte er perplex, weiter ihren Rücken streichelnd.

Sie wartete einen Augenblick, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte und nicht mehr so hemmungslos schluchzte. Er reichte ihr ein Taschentuch und sie schnäuzte sich geräuschvoll und tupfte sich damit über die Augen. Dann sah sie ihn an. Ihr Gesicht war rot gefleckt, das Weiß in ihren Augen von unzähligen roten Adern durchzogen.

„Wir sollten kein Paar sein, Takeru“, sagte sie mit belegter Stimme. „Ich will unsere Freundschaft nicht riskieren. Auf keinen Fall. Ich habe so viel darüber nachgedacht in den letzten Wochen, aber mir ist das Risiko einfach zu groß, dass es schief geht und wir hinterher nicht mehr befreundet sein können.“ Sie schniefte und erneut rollten Tränen über ihre Wangen.

„Aber… deswegen brauchst du doch nicht zu weinen“, murmelte Takeru und bemühte sich, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aber was hatte er auch erwartet? Dass sie bei seinem Geständnis vor Freude in die Luft sprang?

„Ich habe aber das Gefühl, dass ich dir das Herz breche“, murmelte sie. „Ich will das nicht. Keru.“ Sie sah ihn eindringlich an.

„Ja?“

„Du bedeutest mir einfach alles. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich würde es nicht ertragen, dich zu verlieren.“

Er öffnete den Mund, wollte ihr sagen, dass er das Gleiche für sie empfand und dass das doch ein Grund wäre, zusammen zu sein und einer festen Beziehung eine Chance zu geben. Aber nein, er ließ es bleiben. Er wollte sie nicht unter Druck setzen. Sie war ja ohnehin schon mit den Nerven am Ende.

„Ich will dich doch auch nicht verlieren“, murmelte er.

„Aber es ist alles so seltsam“, redete Hikari mit ihrer verschnupften, kratzigen Stimme weiter. „Es war so schön, mit dir… zu schlafen. Es hat sich richtig angefühlt und… es tut mir so leid, dass ich mich am nächsten Tag so komisch benommen habe. Ich habe da auch gewisse Gefühle für dich.“ Er horchte auf. „Ich merke, dass da irgendwas ist. Etwas in mir will mehr als Freundschaft. Aber… ich habe einfach zu viel Angst, dass wir das, was wir jetzt haben, zerstören könnten.“

„Mhm“, machte er langsam und nickte wissend.

„Gott, das ist alles so kompliziert. Ergibt das irgendeinen Sinn, was ich hier rede?“

„Ja, ich verstehe das.“

„Es tut mir leid, dass ich jetzt hier so reingeplatzt bin. Ich wollte dich eigentlich nicht darauf ansprechen. Ich wollte warten, bis du es mir von allein sagst, aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich musste wissen, ob es stimmt und irgendwie… ich habe gehofft, es würde nicht stimmen.“

Mit finsterer Miene runzelte er die Stirn, während sie sich mit dem Ärmel über die nassen Wangen wischte.

„Können wir jetzt einfach so weiter befreundet bleiben? Geht das?“, fragte sie und sah ihn mit hoffnungsvollem Blick an.

Ein dumpfer Schmerz breitete sich in seiner Brust aus und schien ihm die Kehle zuzuschnüren. „Klar. Warum sollte das nicht gehen?“

Sie ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken und weinte in sein Sweatshirt. „Es tut mir so leid“, nuschelte sie gegen den Stoff.

„Das braucht dir doch nicht leidzutun. Niemand kann etwas für seine Gefühle.“

„Wann ist das bloß passiert? Wann hat das angefangen, dass sich etwas verändert zwischen uns?“, fragte sie verzweifelt.

Vor einer gefühlten Ewigkeit… „Keine Ahnung.“

„Warum muss man nur erwachsen werden? Kann man nicht einfach für immer ein Kind bleiben und sorglos weiterleben? Immer das Gleiche fühlen? Es sollte doch eigentlich gar nicht möglich sein, etwas für seinen besten Freund zu empfinden“, sagte sie, ohne den Kopf zu heben, sodass ihre Worte dumpf klangen.

„Keine Ahnung“, wiederholte Takeru nur düster, noch immer ihren Rücken streichelnd. Ihre Nähe war im Moment Qual und Wonne zugleich. Warum wollte sie es denn nicht versuchen? Wie sollte denn etwas zwischen ihnen schief gehen? Sie waren doch so ein eingespieltes Team, von kleinauf aneinander gewöhnt, unzertrennlich wie Pech und Schwefel, wie Licht und Schatten, wie… Freundschaft und Liebe.

Takeru seufzte. Wie gern er sie einfach küssen würde, ihr sagen würde, dass nichts schief gehen konnte, dass sie trotz allem immer beste Freunde sein würden, auch als Paar. Für immer und ewig. Aber es würde ja doch nichts bringen.

56. Kapitel, in dem Bier neue Türen öffnet

„Oh mein Gott, sie ist so wahnsinnig süß“, hauchte Hikari und wiegte das winzige Mädchen in ihren Armen hin und her. „Wie kann ein Baby nur so süß sein?“

„Naja, sie hat sich ja auch zehn Tage länger Zeit gelassen“, antwortete Sora lachend und betrachtete liebevoll ihre kleine Tochter in Hikaris Armen.

„Sie sieht aus wie du“, sagte Takeru an Yamato gewandt. Er stand neben Hikari und strich der kleinen Yuki behutsam über den Kopf. „Naja oder zumindest wie die Babyfotos von dir.“

„Ja, die haben wir echt gut hinbekommen, nicht wahr?“ Grinsend legte Yamato Sora einen Arm um die Schultern und zog sie an sich.

„Ich kann mich auch nicht beschweren“, stimmte Sora ihm zu und warf ihm einen kurzen verliebten Blick zu. Obwohl ihr die Strapazen der Geburt noch anzusehen waren – immerhin war Yuki vor gerade einmal zwanzig Stunden auf die Welt gekommen –, wirkte sie wie der glücklichste Mensch der Welt. Kein Wunder, dachte Hikari. Sie hatte Yamato und nun auch noch ein Kind von ihm. Wenn das kein perfektes Leben war… Obwohl sie sich seltsam fühlte, konnte sie nicht von sich behaupten, dass sie eifersüchtig war. Nein, sie gönnte sowohl Sora als auch Yamato das Glück, das sie gerade genossen, von Herzen. Und dennoch… er würde eben für immer der Junge bleiben, in den sie jahrelang verliebt gewesen war und dessen Zurückweisung ihr das Herz gebrochen hatte.

„Ich will sie auch mal halten. Sie ist schließlich meine Nichte“, bestimmte Takeru und streckte die Arme aus. Vorsichtig gab Hikari Yuki an ihn weiter und er nahm sie so behutsam auf den Arm, als wäre sie ein rohes Ei. Yuki selbst schien davon nicht besonders viel mitzubekommen. Sie schlief einfach vor sich hin und ließ sich nicht im Geringsten stören. Offenbar war auch sie erledigt von der Geburt.

Hikari beobachtete, wie Takeru die Kleine an sich drückte und leise murmelnd mit ihr sprach. Er hauchte ihr einen Kuss auf den dunklen Haarflaum und in seinen Armen sah sie noch winziger aus, als sie sich bei Hikari angefühlt hatte. Bestimmt würde Takeru auch einen guten Vater abgeben. Der Umgang mit einem Baby stand ihm einfach unheimlich gut.

„Wie war eigentlich die Geburt? Tat es sehr weh?“, fragte Hikari und wandte den Blick von Yuki ab.

Sie saßen zu viert auf dem Teppichboden in Yamatos und Soras Wohnung, die die beiden jetzt seit drei Monaten bewohnten. Sie war klein und hatte nur zwei Zimmer, doch den frisch gebackenen Eltern reichte sie vollkommen aus.

„Oh, es war in Ordnung“, antwortete Sora lächelnd. „Zehn Stunden hat es gedauert und die Schmerzen waren auszuhalten. Man vergisst sie irgendwie ganz schnell, wenn man das Baby dann im Arm hält.“

Hikari seufzte und fing Yamatos Blick auf, der sie vielsagend ansah. Dann sah er zu Takeru und wieder zurück zu Hikari und lächelte. Sie runzelte verwirrt die Stirn, doch in diesem Moment lenkte Yuki die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie ein glucksendes Geräusch von sich gab. Wenige Sekunden später fing sie an zu weinen. Oder zu schreien? Auf jeden Fall schien sie nicht zufrieden zu sein.

„Ich glaube, sie hat Hunger“, meinte Sora und streckte die Hände nach Yuki aus. Takeru gab sie ihr zurück und Sora ging aus dem Raum.

„Mann, ich kann’s nicht glauben“, seufzte er und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Sofa, vor dem er saß.

„Ich glaube, Mama und Papa auch nicht“, murmelte Yamato grinsend. „Die müssten auch gleich hier sein.“

„Kommen sie zusammen?“, fragte Takeru.

„Ja.“

Hikari sah seine Augen aufleuchten. Obwohl Hiroaki und Natsuko sich immer besser verstanden, hatten sie noch keine Beziehung miteinander angefangen. Hikari wusste, dass Takeru die ganze Zeit genau darauf wartete, während Yamato nicht daran glaube, dass es passierte. Beide hatten viel mit ihrer Arbeit zu tun und so schafften sie es nicht allzu oft, sich zu treffen und Hikari wusste auch nicht, ob sie überhaupt ein Interesse am jeweils anderen hatten. Vielleicht waren sie auch einfach nur daran interessiert, eine gute freundschaftliche Basis wegen ihrer Söhne und ihrer neugeborenen Enkelin zu haben. Für Takeru jedoch sah die Sache anders aus.

Wenige Minuten später tauchten sie in der Wohnung auf und so verbrachten sie den Nachmittag alle gemeinsam, bevor Hikari und Takeru sich am frühen Abend auf den Weg zurück ins Wohnheim machten.

 

Am Abend traf Hikari sich mit Momoko und Kazumi in einem Studentenclub. Sie wollten sich einfach eine angenehme Tanznacht machen und nach hübschen Kerlen Ausschau halten. Zumindest Momoko und Kazumi wollten nach Kerlen Ausschau halten. Hikari wollte einfach nur ein bisschen Spaß haben und sich nur um sich selbst kümmern. Seit sie mit Takeru geschlafen hatte, hatte sie nichts mit einem anderen Jungen gehabt und auch nicht das Bedürfnis danach verspürt. Lieber kümmerte sie sich um ihr Studium und verbrachte Zeit mit Freunden.

Sie redete mit Momoko und Kazumi darüber, dass ihr langjähriger Schwarm Yamato jetzt ein Baby hatte und sie stießen darauf an, dass sie deswegen nicht eifersüchtig war.

„Wurde auch höchste Zeit, dass das mal aufhört“, kommentierte Momoko.

Sie trafen ein paar Kommilitonen, plauderten ein wenig und stürzten sich dann auf die Tanzfläche. Die Musik war gut, die Stimmung der Clubbesucher ausgelassen. Schnell wurde es auf der Tanzfläche so voll, dass man aufpassen musste, nicht mit jeder Bewegung jemanden anzurempeln, doch das war Hikari egal. Sie sang die Lieder mit, die sie kannte, und schaltete den Kopf ab.

Hin und wieder gesellte sich jemand zu ihnen, den eine von ihnen kannte. Manche begrüßten sie nur kurz, andere blieben für einen kurzen Plausch. Doch ganz egal, wer kam, er begrüßte stets nur diejenige der drei Freundinnen, die er kannte. Den anderen wurde keine Beachtung geschenkt. Bis auf einen Jungen. Er umarmte Kazumi und wandte sich dann lächelnd an Momoko und schließlich an Hikari, um ihnen zuzunicken. In dem Moment nippte Hikari gerade an ihrer Bierflasche und verschluckte sich. Sie hustete und lachte schließlich peinlich berührt. Der Junge grinste amüsiert und beugte sich zu ihr.

„Nur, weil ich dich angucke, brauchst du nicht gleich so nervös zu werden“, rief er über die Lautstärke der Musik hinweg.

„Bescheidenheit gehört nicht zu deinen Stärken, oder?“, erwiderte Hikari und hob eine Augenbraue.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte er und sah sie gespielt verständnislos an.

Hikari lachte und musterte ihn unverhohlen. Er war kein Japaner, sondern offensichtlich europäischer Abstammung. Sein Haar war strohblond, heller als das von Takeru, und nach der aktuellen Mode geschnitten: an den Seiten kurz, oben länger und mit etwas Gel in Form gebracht. Dunkle Wimpern umrahmten leuchtende, eisblaue Augen. Er hatte einen verschmitzten Gesichtsausdruck und sah alles in allem ziemlich gut aus.

„Weiß auch nicht. War so eine spontane Vermutung“, antwortete sie schulterzuckend.

Er grinste und hielt ihr seine Bierflasche entgegen, sodass sie anstoßen konnte. Als sie ihre Flasche klirrend gegen seine stieß, hob er überrascht die Augenbrauen.

„Du trinkst Bier?“, fragte er beeindruckt. „Ich kenne echt nicht viele Mädchen, die Bier mögen.“

„Bin mit einem Haufen Jungs aufgewachsen“, erklärte Hikari locker.

Der Kerl nickte. „Alles klar, verstehe.“ Er lächelte Hikari noch einmal zu und verschwand dann wieder in der Menschenmenge. Seinem blonden Haarschopf konnte man noch eine Weile hinterhersehen.

„Wer war denn das?“, fragte Hikari an Kazumi gewandt.

„Der heißt Willis und studiert auch BWL“, antwortete sie. „Ich dachte, du kennst ihn. Ihr habt doch gerade gequatscht.“

„Er hat mich angesprochen“, erklärte Hikari schulterzuckend und grinste schief.

„Er ist süß, oder?“, mischte Momoko sich kichernd ein. „Vielleicht sucht er ja für heute Nacht noch einen Schlafplatz.“

Hikari seufzte und schüttelte den Kopf. Nein, für solche Geschichten war sie nicht zu haben. Sie könnte niemals mit einem völlig Fremden schlafen, den sie wenige Stunden zuvor in einem Club kennen gelernt hatte.

Sie tanzten eine Weile weiter, dann entschuldigte Hikari sich bei ihren Freundinnen, weil sie auf die Toilette musste. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, sich zur Toilette zu quetschen und dann noch eine weitere Ewigkeit, bis sie dran war. Auf dem Rückweg zur Tanzfläche hielt sie an der Bar an, um sich ein neues Bier zu bestellen. Wie witzig, dass es Willis aufgefallen war. Hikari konnte sich noch gut an ihr erstes Bier erinnern. Damals hatte sie es ziemlich eklig gefunden, doch in Gegenwart von Takeru und ihren Brüdern war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ebenfalls Bier zu trinken. Sie hatte einfach dazugehören wollen.

Sie wartete an der Bar, bis sie dran war, und bestellte dann ein weiteres Bier. Sie griff nach der Flasche und wollte sich umdrehen, um zurück auf die Tanzfläche zu gehen, stieß jedoch prompt mit jemandem zusammen.

„Entschuldige“, rief sie und hob den Kopf.

„Du schon wieder.“ Es war Willis, der zu ihr herunter grinste.

„Oh, hi.“ Ein wenig verlegen strich sie sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Schon wieder Bier“, kommentierte er mit einem Blick auf die Bierflasche in ihrer Hand. „Ich hole mir auch eins. Hast du Lust, dich irgendwo hinzusetzen?“

„Ähm… klar“, antwortete sie schulterzuckend.

Während sie darauf wartete, dass er sich ebenfalls ein Bier bestellt hatte, nippte sie an ihrer eigenen Falsche und stand etwas abseits der Bar. Er wollte sich irgendwo hinsetzen und mit ihr reden! Auf eine seltsame Art und Weise war Hikari nervös. Ihre Hände fühlten sich schwitzig an und sie trat auf der Stelle. Sie hatte wirklich Lust, mit ihm zu quatschen. Und das, obwohl sie eigentlich nur mit Momoko und Kazumi hatte tanzen wollen. Aber irgendwie zog er sie an.

Mit einem Bier in der Hand tauchte er vor ihr auf und sie suchten sich ein freies Zweiersofa, das voller undefinierbarer Flecken war. Hoffentlich nur verschüttete Getränke.

„Ich bin übrigens Willis“, stellte er sich nun lächelnd vor.

„Hikari“, erwiderte sie.

„Hübscher Name“, kommentierte er und nickte anerkennend.

„Ähm… danke. Woher kommst du eigentlich?“

„Ich bin aus Denver, Colorado. Aber wir sind vor ein paar Jahren hierher gezogen“, erklärte er.

„Oh, vor ein paar Jahren erst? Du hörst dich an wie ein Muttersprachler“, erwiderte sie überrascht.

„Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Ich habe eine japanische Großmutter“, sagte er abwinkend.

„Wow, wie cool“, fand Hikari und war beeindruckt.

„Ach, genug von mir. Erzähl‘ mal was von dir. Was studierst du denn?“

Sie redeten und lachten und redeten und lachten und merkten gar nicht, wie die Zeit verging. Zwischendurch kamen Momoko und Kazumi vorbei und warfen Hikari vielsagende Blicke zu und grinsten sie an. Hikari wusste genau, was sie dachten, doch sie ging gar nicht darauf ein. Mit Willis war es einfach so nett. Sie quatschten über alles Mögliche und je mehr Bier sie tranken, desto lockerer wurden die Gespräche. Sie hatten ihre Flaschen längst geleert, als sie sich entschlossen, gemeinsam zurück auf die Tanzfläche zu gehen.

Sie kamen nicht bis zu Momoko und Kazumi durch, da es inzwischen, falls das überhaupt möglich war, noch enger geworden war. So berührten sie sich ebenfalls fast beim Tanzen und stießen auch ständig gegen andere. Die Musik war nicht nach Hikaris Geschmack. Zu viel Elektro. Doch das war ihr egal. Sie tanzte einfach und konzentrierte sich sowieso nur auf Willis. Sie sahen sich in die Augen, während sie sich zum Rhythmus der Musik bewegten. Hikari spürte, wie sie von hinten noch mehr in seine Richtung gedrängt wurde, sodass ihr Körper gegen seinen stieß.

Ihr wurde noch heißer. Es war sowieso schon unerträglich warm und stickig in dem Club und jetzt war sie Willis auch noch näher als nötig. Seine Hand schob sich auf ihren Rücken und zog sie näher an sich. Ihre Körper schmiegten sich eng aneinander, ihre Bewegungen passten sich an die des anderen an.

Etwas verlegen hob Hikari den Kopf, um ihn anzusehen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und in seinem Blick lag nicht die Spur von Verlegenheit. Seine freie Hand strich ihr Haar nach hinten, legte sich in ihren Nacken und dann verwickelte er sie plötzlich in einen Kuss. Zuerst etwas zurückhaltender, dann inniger und leidenschaftlicher. Hikari fühlte sich zwar ein wenig überfahren, doch sie ließ sich trotzdem darauf ein. Seine Lippen waren weich und es fühlte sich gut an. Die Hand in ihrem Rücken rutschte ein wenig tiefer und legte sich auf ihren Po. Dieser Willis ließ aber auch nichts anbrennen. Hikari wusste nicht, wohin mit ihren Händen und legte sie an Willis‘ Taille ab. Er intensivierte den Kuss daraufhin noch und sie konnte ihn in ihrem Mund schmecken.

Sie hatte das hier noch nie gemacht: einfach so in einem Club mit einem Typen knutschen, den sie eben erst kennen gelernt hatte. Das war überhaupt nicht ihr Ding. Aber irgendwie fühlte es sich gerade richtig an und Willis war wirklich süß. Sie hatten sich so gut unterhalten und er war so witzig und charmant. Außerdem wurde es allerhöchste Zeit, dass Hikari endlich ein paar Erfahrungen sammelte. Vielleicht würde ja zwischen ihr und Willis auch etwas Ernstes entstehen.

57. Kapitel, in dem Hikari einen Freund hat

Es hatte nicht lang gedauert, bis aus Hikari und Willis ein Paar geworden war. In jener Nacht, in der sie sich kennen gelernt hatten, hatte er sie noch nach Hause gebracht und keine Anstalten gemacht, sie zu mehr als einem Abschiedskuss bewegen zu wollen. Sie hatten Nummern ausgetauscht und schon am nächsten Tag hatte er ihr geschrieben. Genau wie Momoko und Kazumi, die unbedingt alles wissen wollten. Sie hatten gesehen, wie Hikari mit ihm rumgeknutscht hatte.

Einen Monat später hatten sie beschlossen, sich eine Chance zu geben und eine Beziehgung angefangen. Sogar miteinander geschlafen hatten sie schon und es war für Hikari nach anfänglichen Schwierigkeiten okay gewesen. Momoko und Kazumi freuten sich für sie. Nur Takeru hatte sie von alldem noch nichts erzählt. Sie hatte sich einfach nicht getraut. Es würde seltsam werden, wenn er davon erfuhr, nach allem, was zwischen ihnen passiert war.

Doch heute war es soweit. Sie wollte kein Geheimnis haben. Willis hatte es nicht verdient, geheim gehalten zu werden, schon gar nicht vor ihrem besten Freund. Und Takeru hatte fast schon ein Recht darauf, zu erfahren, dass Hikari in einer Beziehung steckte.

Also hatte sie ganz normal ein Treffen mit ihm ausgemacht und Willis erzählt, dass sie ihm ihren besten Freund vorstellen wollte. Schon oft hatte sie ihm von Takeru erzählt und er hatte sich interessiert gezeigt. Von Eifersucht keine Spur. Er würde sich sicher freuen, Takeru kennenzulernen und bestimmt würden sie sich gut verstehen.

Sie hatten sich zu einem gemeinsamen Abendessen in der Mensa verabredet. Takeru wartete schon vor dem Eingang, als Hikari mit Willis angeschlendert kam. In ihrem Bauch machte sich Nervosität breit. Wie würde Takeru reagieren?

Er sah auf, als er sie erkannte, und machte ein fragendes Gesicht, als er sah, dass Willis zu ihr gehörte und nicht zufällig neben ihr lief.

„Hallo“, murmelte sie und umarmte ihn zur Begrüßung. „Ähm… Willis, das ist Takeru. Takeru, Willis.“

Falls Takeru verwirrt war, ließ er es sich nicht anmerken. Er lächelte und nickte Willis zu. Dieser tat es ihm gleich.

„Wollen wir rein gehen? Ich verhungere“, fragte er und deutete auf den Eingang.

Sie betraten die Mensa, suchten sich etwas zu essen aus und krallten sich einen freien Tisch am Fenster.

Schweigend begannen sie mit dem Essen und Hikari fühlte sich etwas unwohl. Sie wusste jedoch auch nicht, was sie sagen sollte. Wenn keiner redete, gab es zumindest keine peinlichen Gespräche.

„Du bist also der berüchtigte Takeru“, fing Willis schließlich doch ein Gespräch an. „Hab‘ schon viel von dir gehört. Schön, dich mal live zu sehen.“

„Berüchtigt?“ Irritiert hob Takeru eine Augenbraue.

„Hikari hat schon viel von dir erzählt“, erklärte Willis schulterzuckend.

Fragend sah Takeru Hikari an.

„Nur Gutes“, sagte sie hastig.

„Ja, natürlich nur Gutes. Ich finde es echt cool, wenn man jemanden hat, mit dem man schon sein ganzes Leben lang befreundet ist“, redete Willis weiter. „Das ist echt viel wert. Ich hätte auch gern so jemanden.“

„Wir kennen uns auch nur durch unsere Mütter und Brüder“, meinte Takeru lässig.

„Trotzdem cool. Du studierst Journalistik, oder? Das hatte ich auch mal eine Weile überlegt, aber dann hat mich BWL irgendwie doch mehr gereizt“, erzählte Willis und schob sich einen neuen Bissen in den Mund.

„Ja, genau. Woher kennt ihr euch, wenn du BWL machst? Ich dachte, du würdest auch Pädagogik studieren“, fragte Takeru.

„Aus einem Club.“ Willis grinste Hikari an. „Sie hat Bier getrunken und das hat mir gefallen.“

Sie lächelte und spürte, dass sie rot wurde. Takerus sorgloser Ausdruck hatte sich unterdessen ein wenig verändert.

„Okay“, murmelte er und sah zwischen ihnen hin und her.

„Ja. Ich meine, wie viele Mädels trinken schon Bier?“ Willis lachte und legte einen Arm um Hikaris Schultern. „Das muss jetzt so rüberkommen, als wäre ich ziemlich leicht zu beeindrucken. Dabei ist das eigentlich gar nicht so. Hikari ist eine Ausnahme.“ Er lächelte sie vielsagend an. Diese wich verlegen seinem Blick aus und sah zu Takeru, der sie stirnrunzelnd musterte. Er musste gerade begriffen haben, was Sache war.

„Ihr seid also…“

„Ja“, beantwortete Willis die unvollständige Frage. „Hast du ihm das noch gar nicht erzählt?“

„Nein, hat sie nicht.“ Takerus Blick ruhte noch immer auf ihr. „Wie lang seid ihr denn schon… zusammen?“

„Naja, offiziell erst seit ein paar Tagen“, murmelte Hikari und senkte den Blick.

„Offiziell? Okay… na dann herzlichen Glückwunsch.“ Jemandem, der Takeru nicht kannte, würde nicht auffallen, dass an seiner Tonlage etwas nicht stimmte, doch Hikari kannte ihn gut genug, um den Sarkasmus herauszuhören. Sie knabberte auf ihrer Unterlippe herum und schob ihr Essen auf dem Teller hin und her.

„Danke“, sagte Willis unbekümmert. Er schien nichts zu merken.

Sie aßen ihr Abendessen und plauderten nebenbei locker. Das hieß, Takeru und Willis führten einen belanglosen Smalltalk über dieses und jenes, während Hikari sich lieber heraushielt. Ihr war die Situation unangenehm. Sie hätte Takeru lieber vorher von Willis erzählen sollen, anstatt ihn einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihn so zu überraschen. Wie er sich wohl fühlte?

Nach dem Essen verabschiedeten sie sich von Willis und gingen zu zweit zum Wohnheim zurück.

„Das ist also dein… ähm… Freund“, meinte Takeru nach einer Weile.

„Ich… es tut mir leid, ich hätte dir eher von ihm erzählen sollen“, sagte Hikari leise.

„Ach was. Ich bin mir sicher, du hattest deine Gründe, nichts zu sagen“, erwiderte er scheinbar gleichgültig.

„Du bist böse auf mich, oder?“, murmelte Hikari mit gesenktem Kopf. Angestrengt starrte sie auf den Boden vor sich.

Er zögerte. „Was? Wieso sollte ich denn böse auf dich sein?“

„Naja weil… wegen dem, was wir hatten… und jetzt ist da halt Willis… und ich hab‘ dir nichts gesagt. Und irgendwie… ich weiß nicht. Ich glaube, es ist einfach irgendwie blöd für dich oder so“, stammelte sie.

„Ach Kari, ich bin doch deswegen nicht böse“, erwiderte Takeru abwinkend.

„Echt nicht?“, fragte sie zweifelnd.

Er schüttelte den Kopf. „Wieso sollte ich? Eigentlich will ich doch auch nur, dass du glücklich bist und dass es dir gut geht. Und wenn dieser Willis dich glücklich macht, dann… bin ich auch glücklich.“

Verstohlen sah sie ihn von der Seite an. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und sah ausdruckslos geradeaus.

„Und… was denkst du über Willis?“

„Keine Ahnung. Er scheint nett zu sein.“

„Ist er wirklich. Und er ist auch echt witzig und lieb. Ich glaube, ihr könntet Freunde werden.“

„Oh ja, das glaube ich auch. Vielleicht wechsel‘ ich seinetwegen noch das Ufer und spanne ihn dir aus.“ Er lächelte sie verschmitzt an, sodass sie lachen musste.

„Du bist so bescheuert!“

 

_

 

Leise schloss Takeru seine Zimmertür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er konnte noch nicht ganz glauben, was gerade passiert war. Noch immer fühlte sich sein Herz schwer und kalt an und ihm war etwas übel. Als er beim Essen langsam begriffen hatte, dass dieser Willis Hikaris fester Freund war, hatte er zunächst geglaubt, sich in einem schlechten Traum zu befinden. Er hatte schon ein ungutes Gefühl gehabt, als er sie zusammen gesehen hatte, doch hatte sich an die Hoffnung geklammert, er wäre einfach nur ein Studienkumpel, von dem sie noch nichts erzählt hatte.

Zudem sah es diesmal auch noch ernster aus. Bei Makoto und diesem Yohei hatte Takeru von Anfang an das Gefühl gehabt, dass es nicht lange halten würde. Die beiden hatten einfach nicht zu Hikari gepasst. Doch Willis wirkte tatsächlich wie ein netter Typ, der Hikari gefallen konnte.

Takeru seufzte tief. Was hatte er denn eigentlich erwartet? Dass sie für immer ohne Freund bleiben würde, bis sie irgendwann erkannte, dass Takeru der Richtige für sie war? Dass sie endlich ihre Meinung ändern würde und ihm doch sagte, dass sie ihn liebte und mit ihm zusammen sein wollte?

Wohl kaum.

Sie waren eben dazu bestimmt, beste Freunde zu sein und zu bleiben. Nicht weniger aber auch nicht mehr, egal wie sehr er es sich auch wünschte.

Es wurde höchste Zeit, dass auch Takeru sich endlich anderweitig umsah. Er musste jemand anderen finden. Jemanden, der Hikari irgendwie ebenbürtig war und ihn endlich von ihr ablenkte. Er wollte sie ja gar nicht lieben, aber er konnte es einfach nicht abstellen.

Mit einem Schnauben warf er seinen Rucksack in die Ecke und schaltete seinen Laptop an. In seinem Kopf befanden sich so viele Gedanken, die einfach raus mussten, die aufgeschrieben werden wollten. Vielleicht ging es ihm hinterher ja besser.

58. Kapitel, in dem verzweifelt nach Ablenkung gesucht wird

Es war schwer für Takeru, sich damit abzufinden, dass Hikari jetzt einen festen Freund hatte. Er lernte einfach, damit zu leben. Dennoch tat es ihm weh, wenn sie von Willis redete oder wenn er sie zusammen sah. Sie schienen glücklich miteinander zu sein und objektiv gesehen passten sie ja auch gut zusammen. Und trotzdem fühlte es sich für Takeru so an, als hätte er vor einem halben Jahr ein wichtiges Stück seines Lebens verloren.

Er schloss die Tür zu seinem Zimmer auf und ließ Haruka zuerst eintreten. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und ihrer Jacke und sah sich neugierig um. Ein wenig gelangweilt schob Takeru die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich gegen die geschlossene Tür und beobachtete sie, wie sie durch sein Zimmer streifte.

„Das ist ja wirklich klein“, kommentierte sie.

„Hab‘ ich ja gesagt.“

„Naja, aber dafür so nah an der Uni und so“, meinte sie schulterzuckend. „Ist bestimmt auch entspannend, nicht mehr bei seinen Eltern zu wohnen, oder?“

„Ja, man hat mehr Ruhe“, erwiderte Takeru.

„Oh, das ist ja süß.“ Sie stand vor einer gebastelten Fotocollage, die Hikari ihm zum zwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Er hatte sie an die Wand gehängt. „Bist du das hier?“ Sie deutete auf ein Kleinkindfoto von Takeru, wie er mit großen Augen in die Kamera starrte.

„Ja.“

„Und wer ist das Mädchen hier überall? Deine Schwester?“, fragte Haruka weiter.

„Nee, meine beste Freundin.“

„Oh, achso“, machte sie überrascht. Sie sah sich noch weiter in seinem Zimmer um, bis sie anscheinend beschloss, dass sie alles gesehen hatte. Lächelnd kam sie auf ihn zu und spielte mit dem Saum seines T-Shirts.

„Ist es auch wirklich in Ordnung für dich?“, fragte Takeru und legte seine Hände auf ihre Hüften.

„Das hast du mich jetzt schon mindestens dreimal gefragt“, entgegnete Haruka kichernd. „Ja, ist es.“ Sie warf einen verstohlenen Blick auf sein Bett. „Dein Bett ist auch ganz schön klein.“

„Ich bin sicher, wir brauchen nicht viel Platz“, murmelte er, schob ihr Top nach oben und zog es ihr aus.

Sie kicherte, zog ihn zu sich herunter und begann, ihn zu küssen.

 

Der Himmel färbte sich langsam rosa und orange, als Takeru aufwachte. Das Bett war doch zu klein für zwei Leute. Das nächste Mal würde er doch lieber noch einen Futon ausbreiten.

Vorsichtig, um Haruka nicht zu wecken, drehte er sich auf die Seite. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht und ihre Schulter hob und senkte sich gleichmäßig. Es war okay gewesen mit ihr. Gut aber nicht herausragend. Ein netter Zeitvertreib.

Er hatte Haruka gestern beim Feiern mit ein paar Kumpels in einem Club kennen gelernt. Sie hatten getanzt, sich nett unterhalten, zusammen getrunken und schließlich hatte er sie gefragt, ob sie noch einen Schlafplatz bräuchte. Jedoch hatten sie noch im Club darüber gesprochen, dass sie nichts Ernstes wollten.

Das letzte Mal, als Takeru mit einer Clubbekanntschaft geschlafen hatte, war sechs Wochen her. Mit ihr war es so ähnlich abgelaufen. Er genoss die Ablenkung, war jedoch nicht darauf aus, möglichst kein Wochenende allein zu verbringen. Nur, wenn er ein Mädchen wirklich sympathisch fand, ging er weiter mit ihr, in der Hoffnung, sich endlich neu zu verlieben. Mit jeder klärte er vorher fast schon peinlich genau, dass er jedoch nur Spaß wollte. Bisher hatte es noch bei keiner gefunkt, sodass er sie unbedingt wiedersehen wollte.

Harukas zerzauster Haarschopf hob sich und ihr Gesicht wandte sich ihm zu. Aus müden Augen schaute sie ihn an.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie.

„Du bist ja schon wach“, stellte sie mit heiserer Stimme fest. „Wie spät ist es?“

„Um fünf“, antwortete er.

Haruka stöhnte auf und ließ sich wieder zurück ins Kissen sinken. „Viel zu früh“, nuschelte sie und rieb sich die Augen.

Takeru erwiderte nichts, sondern gähnte nur herzhaft. Drei Stunden Schlaf waren eben nicht genug. Und ein siebzig Zentimeter breites Bett auch nicht.

Haruka setzte sich auf und fuhr sich durch die Haare in einem verzweifelten Versuch, sie zu ordnen. „Ist es in Ordnung, wenn ich nach Hause fahre?“

„Klar.“ Dankbar nickte er und sie lächelte schief. Dann kämpfte sie sich aus dem Bett und schlüpfte nach und nach in ihre Klamotten, die verstreut auf dem Boden lagen. Ihre Haare band sie zu einem unordentlichen Dutt zusammen, was Takeru an Hikari erinnerte. Haruka überprüfute ihre Tasche, ob sie auch alles dabei hatte, dann wandte sie sich um zu Takeru.

„Ähm… tja also… vielleicht sieht man sich mal wieder“, stammelte sie.

„Jap“, machte er kurz angebunden.

„Es war nett, dich kennengelernt zu haben, Takeshi.“

„Takeru.“

„Oh. Sorry.“

Sie sahen sich an und mussten beide beschämt und belustigt lachen.

„Danke, dass es so unkompliziert mit dir ist. Das ist wirklich entspannend“, meinte Haruka nun lockerer.

„Ja, finde ich auch.“

„Vielleicht sollten wir das öfter machen“, schlug sie schulterzuckend vor.

Takeru hob eine Augenbraue. „Tja, mal sehen.“

Haruka grinste. „Okay, ich bin ja schon weg. Mach’s gut.“

Er hob die Hand zum Abschied und wenige Sekunden später war sie aus seinem Zimmer verschwunden. Nachdenklich betrachtete Takeru die Tür. Nein, ein Funke war nicht unbedingt übergesprungen. Er fühlte sich genauso wie vorher, als er sie noch nicht gekannt hatte und er merkte, dass es ihm egal war, ob er sie je wiedersah oder nicht.

 

Es war Frühling, die Zeit der Kirschblüte, und Takeru und Hikari hatten ihren Bachelor in der Tasche. Zu diesem Anlass trafen sich ihre Familien im Park zu einem gemeinsamen Picknick und um auf die beiden anzustoßen. Es sollte ein gemütliches Familienfest werden.

Die kleine Yuki hatte inzwischen gelernt, sich von allein zu drehen und wirkte überaus neugierig. Sie schien Takeru zu lieben, da sie ihn immer anlachte, sobald er sie besuchte. Vielleicht lag es auch daran, dass er immer ein Spielzeug oder ein Kuscheltier für sie parat hatte. Gerade lag sie auf einer flauschigen Babydecke und drehte sich fröhlich auf den Bauch. Mit ihrer kleinen Hand griff sie nach einem Reisbällchen, das Sora ihr jedoch sofort wegschnappte.

„Nein, nein, dafür bist du noch ein bisschen klein“, ermahnte sie Yuki lächelnd.

„Ich glaube, ich hätte auch keine Lust, mich nur von Milch zu ernähren. Ich kann sie verstehen“, kommentierte Taichi, der einen Finger nach Yuki ausstreckte. Sie ergriff ihn und steckte ihn sich in den Mund. „Ich glaube, wenn sie schon Zähne hätte, würde sie mich einfach essen.“

Hikari, die zwischen Takeru und Taichi saß, lachte und griff nach Taichis Handgelenk, um Yuki den Finger zu entziehen. „Deine Hände sind bestimmt viel zu dreckig für die arme Yuki.“

„Ich glaube, sie hat Hunger“, meinte Yamato, nahm Yuki auf den Arm und ließ sich von Sora eine Flasche Milch aus der übergroßen Tasche reichen, die sie mitgeschleppt hatten. Sofort riss diese ihren Mund weit auf und gab ein quietschendes Geräusch von sich. Sie schien erst befriedigt, als sie den Sauger im Mund hatte und endlich trinken konnte.

Hikari seufzte und beobachtete das kleine Mädchen mit einem verträumten Lächeln.

„Nein, denk‘ nicht mal dran“, wies Yuuko sie in strengem Tonfall zurecht, der das nicht entgangen war. Alle anderen lachten. Bis auf Takeru. Er fragte sich, ob Hikari wohl schon Nachwuchspläne mit Willis hatte. Er wusste, dass sie Kinder liebte und unbedingt selbst welche wollte.

„Aber sie ist so unglaublich süß!“, schwärmte nun auch Mimi. „Die habt ihr echt toll hinbekommen.“

„So klein und schon der absolute Star in der Familie“, meinte Taichi. Er saß neben Yamato und strich Yuuki sanft über den kupferfarbenen Haarflaum.

„Ja. Mama und Papa streiten sich ständig um sie“, sagte Yamato mit einem Seitenblick auf seine Eltern.

Takeru wusste, dass er Recht hatte. Hiroaki und Natsuko liebten die kleine Yuki über alles und wollten sie ständig bei sich haben. Nur leider konnte Yuki sich nicht zerteilen, weshalb sie ab und an sogar schon gemeinsam mit ihr spazieren waren oder auf sie aufgepasst hatten. Takeru ertappte sich dabei, dass er immer wieder hinsgeheim hoffte, die Kleine könnte seine Eltern wieder einander näherbringen.

„Weswegen sind wir nochmal hier? Gab es nicht was zu feiern?“ Vielsagend grinste Taichi Takeru und Hikari an.

„Ohje!“, rief Sora erschrocken. „Das tut mir echt leid. Yuki steht echt ständig im Mittelpunkt. Das muss unbedingt aufhören. Sie wird sonst noch zum Prinzesschen.“

„Ich glaube, das ist sie schon lange“, erwiderte Taichi.

„Ich mache mal den Sekt auf, dann können wir wenigstens anstoßen“, verkündete Susumu, schnappte sich eine der mitgebrachten Sektflaschen und öffnete sie mit knallendem Korken. Bis auf Sora bekam jeder einen Plastikbecher voll Sekt. Fröhlich prosteten alle einander zu, beglückwünschten Takeru und Hikari zu ihrem Studienabschluss und nippten an ihren Bechern.

 

Je später es wurde, desto besser wurde die Laune. Yamato und Sora machten sich nach zwei Stunden mit Yuki auf den Heimweg, da der ganze Tumult für die Kleine sehr anstrengend war.

Der Rest genoss den fröhlichen Nachmittag. Die Sonne schien durch die Äste und ließ die rosafarbenen Kirschblüten erstrahlen. Der kleine Park war voller Menschen, die den warmen Frühlingstag genossen und es sich mit ausrechend Essen und Getränken auf Decken bequem gemacht hatten.

„Hoffentlich kriegen wir den Master auch gut rum“, meinte Hikari mit besorgtem Gesichtsausdruck.

„Klar, wieso denn nicht? Ist bestimmt auch nicht schwerer als der Bachelor“, antwortete Takeru abwinkend. Er hatte keine Lust, jetzt über das Studium nachzudenken.

„Und hoffentlich finden wir Arbeit danach“, redete Hikari weiter. „Ich habe keine Lust, wieder zu Hause einzuziehen und mir Geld von meinen Eltern zu leihen. Ich will endlich unabhängig werden.“

Er warf ihr einen mürrischen Blick zu, griff nach der Sektflasche und schenkte ihr unaufgefordert nach. „Trink‘ noch was und genieß‘ den Tag.“

„Hast ja Recht“, murmelte sie und trank einen Schluck. „Wobei ich glaube, dass ich langsam genug habe.“

„Genug? Wir feiern doch heute.“ Verdutzt sah er sie an. „Heute gibt’s kein genug.“

„Mann T.K. Du weißt, was passiert, wenn wir zu viel trinken“, murmelte sie kichernd.

„Was denn? Wir kichern blöd?“

„Nein!“ Empört boxte sie ihm gegen den Arm. „Du weißt schon, was ich meine. Jedes Mal, wenn wir zu viel getrunken haben, werden wir auf einmal anhänglich. Und können die Finger nicht voneinander lassen. Ach, du weißt schon.“ Nervös kichernd wedelte sie mit der Hand.

Takeru verzog nachdenklich das Gesicht. Ja, sie hatte Recht. Jedes Mal, wenn sie die Grenzen ihrer Freundschaft überschritten hatten, waren sie betrunken gewesen. „Ein Grund mehr, weiterzumachen.“ Er zuckte mit den Schultern und nahm einen großen Schluck aus seinem Becher.

„Was?“ Mit großen Augen starrte sie ihn an. „Keru, ich… das… nein… ich kann nicht…“

„Reg‘ dich ab, war nur ein Witz.“ Er setzte ein Grinsen auf.

„Ich bin mit Willis zusammen.“

Er sah sie an. Ihr Blick war seltsam, sodass er nicht wusste, ob sie gerade mit ihm oder mit sich selbst gesprochen hatte.

„Ich bin mit Willis zusammen, Takeru“, wiederholte sie.

„Schon okay. Tut mir leid, dass ich damit angefangen habe. So war das gar nicht gemeint“, murmelte er.

„Sag‘ mal, Kari, warum ist Willis heute eigentlich nicht hier? Ich wollte ihn doch mal kennenlernen“, riss Mimi sie aus ihrem Gespräch, als hätte sie mitgehört.

 

_

 

Alles fühlte sich so seltsam mit Takeru an. Nichts war mehr so, wie es gewesen war, bevor sie miteinander geschlafen hatten. Zwar konnten sie normal miteinander reden und trafen sich noch genauso oft wie eh und je, doch irgendetwas lag in der Luft, wenn sie zusammen waren. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, dachte sie daran, wie er sie geküsst hatte. Wenn sie sich zufällig berührten, dachte sie daran, wie sich seine nackte Haut auf ihrer angefühlt hatte. Es machte sie wahnsinnig. Sie wollte nicht mehr daran denken und sie wusste auch gar nicht, warum sich diese Erinnerungen so sehr in ihr Gehirn gebrannt hatten. Diese Sache war doch schon über ein Jahr her. Sie war doch mit Willis zusammen und auch sehr glücklich mit ihm. Sie dachte nicht einmal viel an Takeru, wenn sie Zeit mit Willis verbrachte.

Meistens jedenfalls.

„Woran denkst du?“ Willis‘ hellblaue Augen musterten sie aufmerksam. Er lag neben ihr im Bett und hatte den Kopf auf der Hand abgestützt. Seine freie Hand streichelte langsam über Hikaris Arm.

„Nichts Bestimmtes“, antwortete sie ausweichend und lächelte.

„Also ich habe mich gerade gefragt, ob man seinen bestandenen Bachelor irgendwie besser feiern kann als im Bett mit seiner heißen Freundin“, sagte er grinsend, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie.

Hikari kicherte und schlang die Arme um seinen Hals. Als sie die Augen schloss, blitzte Takerus Gesicht vor ihr auf. Sie versuchte einfach, es zu ignorieren und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

59. Kapitel, in dem ein Entschluss gefasst wird

Nachdenklich saß Takeru vor seinem Laptop und starrte den Text an, den er in den letzten drei Stunden verfasst hatte. Eigentlich sollte er sich einem Essay widmen, das in einer Woche für ein Seminar fällig war. Immerhin wollte er seinen Master möglichst gut abschließen und die Noten fielen schließlich nicht vom Himmel. Seit dem Sommer hatte er außerdem einen Nebenjob bei einer Sportzeitschrift, für die er hin und wieder kleinere Artikel verfassste, um ein bisschen mehr Geld zur Verfügung zu haben.

Doch gerade in den letzten Monaten hatte er sich hauptsächlich und meist sehr intensiv mit etwas völlig anderem befasst: einem Roman. Vor allem in den Sommerferien hatte er fast jeden Tag an der Story gesessen. In der Geschichte ging es um einen jungen Mann, der davon träumte, Profisportler zu werden, allerdings wurde dieser Traum durch eine schwere Verletzung zerschmettert. Keinen Sinn mehr in seinem Leben sehend wollte der junge Mann sich von einer Brücke stürzen. Dabei traf er zufällig auf eine junge Frau, die wegen einer verlorenen Liebe das Gleiche vorhatte. Die beiden hielten sich gegenseitig davon ab, wurden Freunde und schafften es mit einigen Schwierigkeiten und Rückschlägen, den jeweils anderen aus seiner Lebenskrise zu holen. Mit der Zeit entwickelten sie auch Gefühle füreinander, wurden jedoch am Ende kein Paar. Keiner der beiden wollte diese Freundschaft, die ihnen das Leben gerettet hatte, aufs Spiel setzen.

Die Worte für diese Geschichte waren Takeru nur so zugeflogen. Manchmal hatte er ein Kapitel an nur einem Tag geschafft. Sein Kopf war vor lauter Ideen für die Story nur so übergesprudelt. Allerdings hatte er bei der jungen Frau, der er den Namen Aiko gegeben hatte, die ganze Zeit Hikari vor Augen. Als hätte sein Unterbewusstsein ihn angeleitet, hatte er ihr einige von Hikaris Charaktereigenschaften gegeben.

Takeru legte den Kopf schief und las sich noch einmal den allerletzten Satz der Geschichte durch. Ja, so konnte er ihn lassen.

Ein wenig fassungslos saß er vor seinem Laptop und starrte das Dokument an. Er hatte gerade tatsächlich eine Geschichte von über vierhundert Seiten beendet und wusste nicht, was er fühlen sollte. Erleichterung, dass er es geschafft hatte? Kummer, weil es vorbei war? Die Geschichte hatte ihm in den letzten Monaten so sehr dabei geholfen, das Wirrwarr in seinem Kopf zum Ausdruck zu bringen und Dinge loszuwerden, die er nicht aussprechen konnte, obwohl sie ihn so sehr bedrückten. Es fühlte sich an, als würde ein wichtiger Teil von ihm ihn gerade verlassen. Es tat schon fast weh.

Was sollte er jetzt machen? Die Story jemandem zum Lesen geben? Aber wem? Niemand wusste, dass er an einem Roman geschrieben hatte. Nicht einmal Hikari. Das war etwas gewesen, was er ganz für sich allein haben wollte. Doch nun, da es fertig war, konnte er es genauso gut anderen zeigen. Vielleicht gefiel es ja sogar jemandem.

Einen Augenblick noch saß Takeru unschlüssig vor seinem Laptop, dann kopierte er die Story auf einen USB-Stick und machte sich auf den Weg in die Uni, um sie auszudrucken.

 

„Was ist das?“ Yamato hob eine Augenbraue und musterte den Stapel Papier kritisch, den Takeru ihm in die Hand gedrückt hatte. „Sag‘ mir nicht, ich soll deine Masterarbeit korrekturlesen.“

„Das ist doch nicht meine Masterarbeit.“ Takeru setze sich auf das Sofa in Yamatos und Soras Wohnzimmer. Die kleine Yuki saß mit ein paar bunten Bausteinen am Fenster und sah ihn mit großen Augen an. „Das ist ähm… eine Story.“

„Eine Story?“ Verwirrt musterte sein großer Bruder ihn.

„Ja.“

Langsam blätterte er den Stapel durch. „Hast du das alles geschrieben?“

Takeru nickte.

„Wow.“ Yamato machte ein verblüfftes Gesicht. „Wann hast du das alles geschrieben?“

„In den letzten Monaten. Irgendwie hat es geholfen. Und ich ähm… naja, ich dachte, vielleicht könnte ein Verlag es herausbringen.“

„Was?!“ Überrascht grinste Yamato ihn an. „Dein Ernst?“

„Jetzt lach‘ doch nicht“, grummelte Takeru ein wenig verletzt.

„Ich lache doch gar nicht, ich bin nur… ich mein‘, warum hast du nie erzählt, dass du an einem Buch schreibst?“, erwiderte Yamato, schlug die erste Seite um und begann, den Prolog zu lesen. Die kleine Yuki war zu ihnen herüber gekrabbelt, zog sich an seinem Bein hoch und legte ihre kleine Hand auf das Papier.

„Ich weiß nicht. Ich war nicht bereit, es jemandem zu sagen, aber jetzt ist es ja fertig.“

„Was ist mit deinem Studium? Ich dachte, du wolltest Sportjournalist werden und jetzt kommst du damit“, fragte Yamato, legte den Stapel Papier auf dem Tisch ab und musterte ihn neugierig. Yuki zerrte in der Zeit an der Hose ihres Vaters herum und machte Kniebeuge.

„Ich kann doch beides gleichzeitig machen.“

„Und glaubst du echt, ein Verlag nimmt dir das ab? Versteh‘ mich nicht falsch, aber das versuchen tausende ohne Erfolg. Und ich bin mir sicher, viele von denen, die schon abgelehnt wurden, sind echt gut“, sagte Yamato.

Genervt verdrehte Takeru die Augen. „Kannst du es nicht einfach lesen und mir sagen, wie du es findest? Vielleicht behalte ich es auch einfach für mich und niemand außer dir und Mama wird es je lesen.“

„Mama hast du es auch gegeben? Was hat sie dazu gesagt?“, fragte Yamato interessiert.

„Mama?“, mischte Yuki sich in das Gespräch ein. Fragend sah sie Yamato an.

Takeru schmunzelte über die Kleine, bevor er sich wieder seinem Bruder zuwandte. „Sie war auch überrascht, aber sie hat nicht so viele dämliche Fragen gestellt.“

„Mama kommt bald wieder, Schatz“, sagte Yamato zu seiner Tochter, nahm sie auf den Schoß und küsste sie auf das lockige, rotblonde Haar. „Und entschuldige, dass ich mich für meinen kleinen Bruder interessiere.“ Er warf Takeru einen missbilligenden Blick zu.

Yuki machte sich von ihm los und krabbelte über die Couch hinweg zu Takeru. Sie stützte ihre kleinen Hände auf seinem Oberschenkel ab und strahlte ihn an. Er lächelte und nahm sie auf den Schoß.

„Ich hätte echt nicht gedacht, dass du mal zu demjenigen von uns beiden wirst, der versucht, mit etwas erfolgreich zu werden, was andere als brotlose Kunst abstempeln“, nahm Yamato das Gespräch wieder auf, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Takeru von der Seite.

„Ich will doch gar nicht erfolgreich damit werden. Ich hab‘ es einfach geschrieben, weil es mir geholfen hat. Vielleicht hilft es ja auch anderen. Und warum sollte man nicht mit etwas, was einem Spaß macht, zuätzlich Geld verdienen?“

„Das habe ich mich auch gefragt und damit eine Menge Leute, die mir sehr wichtig sind, in den Wahnsinn getrieben“, antwortete Yamato mit ernstem Blick.

Schweigend sahen sie einander an, während Yuki sich an Takerus Shirt festklammerte und sich hochzog, sodass sie auf seinen Oberschenkeln stand. Er hielt sie fest, damit sie nicht umfiel, und wich dabei Yamatos Blick aus.

„Takeru, was auch immer du vorhast, ich werde dich unterstützen. Du solltest tun, was du für richtig hältst und dir von niemandem reinreden lassen. Auch, wenn du vielleicht keinen Erfolg mit dem Buch hast, musst du es versuchen. Sonst wirst du es dir ewig vorwerfen.“

Takeru nickte langsam, während er vorsichtig Yukis Hand aus seinem Gesicht entfernte. Sie war drauf und dran gewesen, ihm die Finger in die Nase zu stecken.

„Und das hier werde ich natürlich lesen. Bin schon ganz gespannt. Ich bringe es nur mal eben an einen sicheren Ort, bevor das Hausmonster sich darüber hermacht“, verkündete Yamato, stand auf und ging mit Takerus Geschichte aus dem Raum. Aufgeregt sah Yuki ihm hinterher, bevor sie von der Couch rutschte und ihm nach krabbelte. Yamato las sie auf dem Rückweg vom Boden auf und setzte sich zurück auf das Sofa.

„Ich hätte auch mehr hinter dir stehen sollen“, murmelte Takeru mit gesenktem Blick.

„Schon okay. Ich glaube, ich habe es euch allen damals nicht so leicht gemacht mit meinem Verhalten“, meinte Yamato abwinkend und schaukelte Yuki auf seinem Schoß. Diese griff nach seiner Hand und begann, auf seinem Finger herumzukauen.

„Trotzdem. Muss ziemlich mies sein, wenn keiner an einen glaubt“, erwiderte Takeru seufzend.

„Worum geht’s in deiner Geschichte?“, wechselte Yamato das Thema.

„Um einen Mann und eine Frau, die sich das Leben nehmen wollen und sich dabei kennenlernen. Sie halten sich gegenseitig davon ab und freunden sich an“, erklärte Takeru knapp.

Yamato hob die Augenbrauen. „Okay? Klingt ziemlich düster. Ich hoffe, du willst uns mit diesem Buch nichts Bestimmtes sagen.“

Takeru lachte leicht. „Nein, keine Sorge. Wie gesagt, es hat mir geholfen, die Story zu schreiben.“

„Geholfen bei was?“

„Ach bei… ein paar Sachen.“

Yamato seufzte tief. „Immer noch Kari, hm?“

Takeru wandte den Blick ab und zuckte mit den Schultern.

„Wann schnappst du sie dir endlich?“, fragte Yamato und klang dabei fast ein wenig genervt.

„Was soll die Frage? Du weißt doch, dass sie einen Freund hat“, erwiderte Takeru unwirsch.

„Ja, aber nur, weil du nicht aus dem Knick kommst“, warf Yamato ihm vor. „Du solltest endlich mal deinen Hintern hochkriegen und dafür sorgen, dass aus euch endlich mal was mit Hand und Fuß wird.“

„Ich hab‘ dir doch schon erklärt, dass sie mich nicht will. Freundschaft und so. Können wir das Thema jetzt bitte lassen?“

„Natürlich will sie dich, du bist nur nicht aggressiv genug. Ihr könntet schon seit Jahren ein Paar sein, wenn du endlich mal aus deinem Schneckenhaus kommen würdest. Dann müsstest du keine Deprigeschichten schreiben.“

„Sag‘ mal, hab‘ ich mit ihr geredet oder du? Sie hat mir gesagt, dass sie keine Beziehung will, weil sie Angst um unsere Freundschaft hat.“

„Ja und du hast dazu auch gesagt, dass sie trotzdem Gefühle für dich hat.“ Stöhnend fuhr Yamato sich durch das blonde Haar und erschreckte dabei Yuki mit der ruckartigen Handbewegung. „Mann Takeru. Du musst einfach mal kämpfen und ihr zeigen, dass du das wirklich willst. Wie soll sie sich denn sicher sein, wenn du es nicht bist? Es reicht nicht, herumzusitzen und auf ein Wunder zu hoffen. Man muss eben was dafür machen.“

„Ach ja, und wie soll ich das deiner Meinung nach machen? Soll ich sie zwingen, sich von Willis zu trennen?“, rief Takeru wütend. Warum musste Yamato immer wieder damit anfangen?

„Das ist doch gar nicht nötig. Mit dem macht sie von allein Schluss, wenn sie merkt, dass sie dich haben kann“, erwiderte Yamato überzeugt.

Ruckartig stand Takeru auf. „Das Leben ist kein Ponyhof. Es läuft nicht alles so, wie man es gern hätte und nur, weil du es geschafft hast, dir deine große Liebe zu schnappen, schaffen das nicht alle anderen auch.“

Während er sich die Schuhe anzog, versperrte Yamato mit Yuki auf dem Arm ihm die Wohnungstür. „Takeru, ich will einfach nur, dass du glücklich bist. Und das bist du nicht, obwohl du es sein könntest. Es wäre so einfach.“

„Du hast doch keine Ahnung“, fauchte Takeru, schob ihn unsanft zur Seite und verließ die Wohnung.

 

Takeru war noch immer wütend, als er aus dem Bus stieg und den restlichen Weg zum Wohnheim zu Fuß zurücklegte. Warum nur konnte Yamato einfach nicht damit aufhören, ihn mit dieser Sache zu nerven?

Dennoch musste er sich eingestehen, dass sein großer Bruder wahrscheinlich Recht hatte. Takeru hatte tatsächlich bisher nicht gerade hart um sie gekämpft. Wenn er an die verschiedenen Situationen mit ihr zurückdachte, konnte er nicht von sich behaupten, ihr jemals deutlich genug gesagt zu haben, dass er sie wollte. Ob sie vielleicht wirklich darauf wartete? Selbst jetzt, da sie mit Willis zusammen war? Vielleicht brauchte es ja wirklich nur die passenden Worte von Takeru, damit Hikari sich sicher sein konnte.

Wie von selbst war er zu ihrer Zimmertür gelaufen und hatte geklingelt. Yamato hatte so überzeugt gewirkt. Als wäre er sich totsicher, dass es an Takeru lag. Dass alles an Takeru lag.

Nach einer Weile öffnete sie die Tür und musterte ihn verwundert. „Hallo.“

„Hikari“, fing er an und sie zuckte zusammen. Kein Wunder. Nur in ernsten Situationen benutzten sie ihre vollen Namen. „Ich kann das nicht länger. Das hat so alles keinen Sinn, wie es momentan läuft. Ich merke es jedes Mal, wenn du von ihm sprichst und wenn ich euch zusammen sehe. Es tut so verdammt weh und ich stelle mir ständig vor, wie es wäre, wenn ich an seiner Stelle wäre. Ich kann ständig nur an dich und an uns denken. Ich weiß, dass du gesagt hast, du willst keine Beziehung mit mir, weil du Angst um unsere Freundschaft hast, aber das ist totaler Quatsch. Das brauchen wir nicht, weil es einfach perfekt zwischen uns wäre. Wir kennen uns unser ganzes Leben lang. Ich kenne all deine Macken und du kennst meine. Und trotzdem sind wir schon immer unzertrennlich gewesen. Wir konnten uns immer aufeinander verlassen und…“

„Takeru“, unterbrach sie ihn mit dünner Stimme.

„Nein, lass‘ mich ausreden. Ich weiß, was du sagen willst. Du bist mit ihm zusammen und ich weiß, dass es dir gut geht. Aber mit mir würde es dir noch besser gehen. Wir gehören einfach zusammen. Ich kann nicht einmal in Worte fassen, was ich für dich empfinde, und du hast auch Gefühle. Ich bin mir sicher, dass du sie immer noch hast, auch wenn du mit ihm zusammen bist. Ich kenne dich einfach zu gut.“ Er griff nach ihrer Hand und sah ihr tief in die Augen. „Bitte verlass‘ ihn. Das ist nicht richtig so. Es fühlt sich einfach alles so falsch an. Sei mit mir zusammen, lass‘ es uns einfach wagen. Es kann nicht schief gehen, ich weiß es. Nichts zwischen uns könnte jemals schief gehen.“

Erleichterung durchströmte ihn, nachdem er ihr das alles gesagt hatte. So lange schon hatten ihm diese Worte auf dem Herzen gelegen und ihn bedrückt. Nun hatte er endlich alles genau so gesagt, wie er es empfand. Er hatte nicht einmal über seine Worte nachdenken müssen, während er gesprochen hatte. Wie von selbst hatten sie sich einfach geformt. Sie mussten Hikari einfach überzeugt haben, denn es war die reine Wahrheit. Er hatte Recht und sie wusste das.

Doch ihre Augen sagten etwas anderes. Schmerzerfüllt und feucht glänzend sahen sie ihn an. „Takeru, ich bin schwanger.“

60. Kapitel, in dem endgültig alles verloren ist

„Takeru, ich bin schwanger.“

Sie beobachtete, wie der hoffnungsvolle Ausdruck in seinen Augen langsam verschwand. Stattdessen bildete sich eine senkrechte Falte auf seiner Stirn und sein Blick wurde ungläubig. Eine ganze Weile sahen sie einander schweigend in die Augen.

„Was?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Ich bin schwanger“, wiederholte Hikari leise und senkte den Blick.

Sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Er schien sprachlos. „Ich… Scheiße…“ Mit zittrigen Händen fuhr er sich durchs Haar und wandte sich von ihr ab.

Hikari presste die Lippen aufeinander. Obwohl sie geahnt hatte, dass er so oder so ähnlich auf diese Nachricht reagieren würde, schmerzte es sie mehr, als sie erwartet hatte. Und wie sehr es ihm erst wehtun musste. Er ging ein paar Schritte auf und ab, bevor er sich wieder zu ihr umdrehte. Er setzte dazu an, etwas zu sagen, doch in diesem Moment wurde auf dem Flur eine Tür geöffnet und jemand kam den Gang entlang.

Kurzerhand griff Hikari nach seinem Handgelenk und zog ihn in ihr Zimmer. Auf Zuhörer hatte sie keine Lust.

„Kari, nein…“, murmelte er, als sie die Tür hinter ihm schloss, und machte Anstalten, wieder zu gehen, doch sie verstärkte den Griff um sein Handgelenk.

„Bitte lass‘ uns reden.“

Er seufzte resigniert und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür.

„Ich ähm… ich bin im zweiten Monat und weiß es selbst erst seit ein paar Tagen“, begann sie zu erklären. „Ich habe gar nichts gemerkt. Erst, als mir aufgefallen ist, dass ich meine Tage nicht bekommen habe, habe ich einen Test gemacht. Der war positiv und ich bin noch am gleichen Tag zum Arzt. Der hat es dann bestätigt.“

Takeru nickte, ohne sie anzusehen. Sie sah, dass sein Kiefer angespannt war.

„Es war nicht geplant. Wir haben… naja. Aber ich will das Kind auf jeden Fall behalten“, sagte Hikari leise. Sie suchte seinen Blick, doch er sah nur zu Boden und nickte erneut. Unschlüssig stand sie ihm gegenüber. „Ich… ich möchte allerdings kein uneheliches Kind bekommen und deswegen… deswegen haben wir beschlossen, noch vor der Geburt zu heiraten.“

Endlich sah er wieder auf, doch sein Blick war nun auf einmal vollkommen ausdruckslos. Anscheinend sprachlos starrte er sie an.

„Ich weiß, das ist irgendwie ganz schön viel auf einmal. Mir ist es auch zu viel und ich weiß auch nicht, wo mir gerade der Kopf steht.“ Sie rieb sich über die brennenden Augen. „Aber es wird schon alles gut werden irgendwie.“

„Liebst du ihn wirklich so sehr, dass du für immer mit ihm zusammen bleiben willst?“, fragte Takeru ruhig.

Hikari zögerte irritiert. „Ich… also… naja, wir bekommen ein Kind zusammen.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

„Naja, woher soll man wissen, ob man für immer mit jemandem zusammen sein will? Wir sind noch so jung und für immer ist eine lange Zeit. Und ich denke, ein Kind ist eine gute Voraussetzung, um für immer…“

„Sag‘ einfach ja oder nein“, unterbrach er ihr Gestammel.

Erschrocken sah sie ihn an. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Es fiel ihr sehr schwer, sich vorzustellen, wie sie mit Willis zusammen eines Tages im Schaukelstuhl saß und ihren gemeinsamen Enkelkindern beim Spielen zusah. So lang waren sie doch noch gar nicht zusammen. Das musste sich doch erst im Laufe der Zeit zeigen. Und außerdem hatte sie doch jetzt sowieso keine Wahl mehr. Sie bekam ein gemeinsames Kind mit Willis. Das würde sie auf ewig zusammenschweißen und damit würde sie sich schon arrangieren können. Ihre Beziehung funktionierte immerhin ziemlich gut.

„Ja“, antwortete sie mit brüchiger Stimme und räusperte sich.

Takeru biss sich auf die Unterlippe und musterte sie. Dann nickte er langsam. „Na dann herzlichen Glückwunsch und viel Spaß in deiner perfekten Zukunft.“

„Was?!“, rief Hikari entsetzt, doch er hatte sich schon umgedreht, öffnete die Tür und verschwand aus ihrem Zimmer.

Erschrocken starrte sie die Tür an. Das durfte doch nicht wahr sein. Wie konnte er denn jetzt einfach gehen? Sie mussten doch miteinander reden und dieses Problem irgendwie aus der Welt schaffen. Sein Sarkaksmus war so verletzend gewesen.

Für einige Minuten stand sie reglos dort, während es in ihrem Kopf arbeitete, dann verließ sie ihr Zimmer und eilte über den Gang zu Takerus Zimmer. Sie presste den Finger auf den Klingelknopf und rief mehrmals seinen Namen. Sie wartete und klingelte wieder, klopfte ungeduldig mit der Hand gegen die Tür und rief weiter seinen Namen, doch er machte nicht auf. Vielleicht war er tatsächlich nicht zu Hause?

Sie eilte zurück in ihr eigenens Zimmer, schnappte ihr Handy und rief ihn an. Es klingelte und klingelte, doch schließlich meldete sich die Mailbox.

„Verdammt“, fluchte sie verzweifelt und warf ihr Handy zurück auf ihr Bett.

Ihr Bett. Dort hatten sie vor anderthalb Jahren miteinander geschlafen und damit alles durcheinander gebracht. Und doch bereute Hikari es nicht. Dank jener Nacht mit Takeru hatte sie ihre Angst vor Sex überwunden. Und es hatte sich einfach zu gut angefühlt, um es zu bereuen. Selbst, wenn es deswegen heute so große Probleme zwischen ihnen gab.

Als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war, hatte sie zuerst an Takeru gedacht und daran, wie er wohl auf diese Nachricht reagieren würde. Allein der Gedanke an sein Gesicht hatte ihr Angst gemacht. Eigentlich hatte sie es ihm in einer ruhigen Minute erzählen wollen, doch die Situation hatte gefordert, dass es heute passieren musste.

Sie konnte noch immer nicht ganz glauben, dass er sie tatsächlich gebeten hatte, Willis zu verlassen und stattdessen mit ihm zusammen zu sein. Er hatte auf einmal so fordernd gewirkt, so voller Hoffnung und Überzeugung. Er wollte sie, er wollte sie wirklich.

Und wenn Hikari ehrlich zu sich selbst war, musste sie sich eingestehen, dass sie nicht wusste, wie sie reagiert hätte, wenn das Baby nicht wäre. Ihr Herz hatte gerast, ihre Knie hatten sich ganz wackelig angefühlt bei seinen Worten. Wie hatte sie nur annehmen können, er wäre über diese Sache hinweg?

 

_

 

Nach seinem Abgang hatte Takeru sich übergeben müssen. Nachdem ihre Worte zu ihm durchgedrungen waren, war ihm kotzübel geworden. Anschließend war er eine Stunde joggen gegangen und hatte es so sehr übertrieben, dass er dachte, seine Lungen würden bersten. Nach einer Dusche hatte er sich ein wenig besser gefühlt. Er wusste, dass er ihr Unrecht getan hatte, wusste, dass er sich selbst endlich in den Griff bekommen musste. Wie hatte er sich nur all die Zeit über immer noch irgendwelche Hoffnungen machen können, dass Hikari sich doch noch für ihn entscheiden würde? Er musste seine Gefühle für sie endlich aufgeben.

Warum hatte Takeru nur auf seinen bescheuerten Bruder gehört? Er hatte sich komplett zum Löffel gemacht. Am liebsten würde er Yamato jetzt den Hals umdrehen. Nie wieder würde er auf seinen Rat hören. Der hatte doch keine Ahnung mit seinem perfekten Leben, seiner perfekten Freundin und seiner perfekten Tochter.

Takeru musste sich bei Hikari für sein Verhalten entschuldigen und danach würde er endlich daran arbeiten, diese ganze Sache zu vergessen und nach vorn zu sehen. Vielleicht sollte er doch noch ins Ausland gehen. Einfach, um Abstand zu gewinnen und etwas anderes zu erleben. Hier war überall Hikari und er würde sie wohl nie aufgeben können. Dabei wollte er sich für sie freuen. Er gönnte ihr doch alles Glück der Welt.

Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. Obwohl er nur halb angezogen war, öffnete er die Tür. Wie er es erwartet hatte, stand Hikari davor.

„Keru“, sagte sie mit drängender Stimme. Für eine Sekunde huschte ihr Blick über seinen nackten Oberkörper, heftete sich dann jedoch wieder fest auf seine Augen. „Bitte lass‘ uns nochmal über vorhin reden. Wir können das doch nicht so stehen lassen.“

Takeru nickte, trat zurück, um sie einzulassen, und zog sich ein T-Shirt über.

„Es tut mir leid. Es war dämlich von mir. Ich sollte mich für dich freuen“, sagte er und ließ sich auf sein Bett fallen.

„Ich freue mich ja selbst nicht so richtig“, murmelte Hikari und setzte sich unschlüssig neben ihn.

„Was?“ Irritiert sah er sie an.

„Ich fühle mich noch überhaupt nicht bereit, ein Kind zu erziehen. Ich bin doch gerade mal einundzwanzig und studiere noch. Und so zeitig heiraten wollte ich eigentlich auch nicht“, erklärte sie.

„Dann tu‘ es doch nicht“, sagte Takeru verständnislos.

„Doch, ich will kein uneheliches Kind bekommen. Das wäre nicht richtig. Ich wollte immer erst heiraten und dann Kinder kriegen. Nicht andersrum. Es wird schon irgendwie gehen.“

„Wisst ihr denn schon, wann ihr heiraten wollt?“, fragte Takeru, obwohl er es eigentlich gar nicht wissen wollte.

„Im Februar. Dann haben wir bis dahin noch genug Zeit, alles vorzubereiten und so. Das sind immerhin noch vier Monate.“

„Mhm“, machte Takeru.

Hikari räusperte sich. „Ich ähm… wir wollten im kleinen Kreis heiraten. Nur die engste Familie und Freunde. Und eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mein Trauzeuge sein willst, aber… ich schätze, das ist keine gute Idee.“

Takeru schwieg. Das hielt er allerdings auch nicht für eine gute Idee und hasste sich selbst dafür. Sie war seine beste Freundin, es sollte ihm also eine Ehre sein, ihr Trauzeuge zu sein. Wenn er nur nicht die Gewissheit hätte, dass er auf der falschen Seite sitzen würde. Für immer in der Freundeszone.

Er rutschte auf seinem Bett ein Stück nach hinten und lehnte sich seufzend gegen die Wand. „Kari, bei aller Liebe…“

„Ich weiß“, unterbrach sie ihn.

Er betrachtete ihren Rücken. Ihre Schultern hingen schlaff herunter und trotzdem wirkte sie angespannt. Sie wirkte ganz und gar nicht wie eine glückliche schwangere Frau, die bald die Liebe ihres Lebens heiraten würde.

„Ich hoffe nur, du weißt, was du tust“, murmelte er.

„Mhm“, machte sie.

„Kari, ich… bitte nimm’s mir nicht übel, aber ich glaube, ich brauche ein bisschen Abstand von dir.“

Jetzt drehte sie sich zu ihm um und sah ihn aus großen traurigen Augen an.

„Jetzt guck‘ mich doch nicht so an. Ich kann das einfach nicht mehr. Dir habe ich damals vorgworfen, dass du jahrelang hoffnungslos meinem Bruder hinterhergerannt bist. Und jetzt bin ich keinen Deut besser. Eher noch schlimmer. Und es wird einfach nicht besser werden, wenn ich dir weiterhin so nahe bin. Ich brauche einfach etwas anderes. Jemand anderen.“

„Keru“, flüsterte sie und wischte sich über die Augen.

„Hey, das heißt ja nicht, dass wir uns nicht mehr sehen. Ich bin trotzdem immer da, wenn du mich brauchst. Ich brauche einfach nur… ein bisschen Ablenkung.“

„Kann es nicht einfach wieder so sein wie früher?“, fragte sie mit heiserer Stimme.

Nicht, solange einer von ihnen unglücklich in den anderen verliebt war. Er lächelte traurig. „Wir sind eben erwachsen geworden.“

Plötzlich schluchzte sie, warf sich ihm entgegen und schlang die Arme um seinen Hals. Zuerst war Takeru überrascht, doch dann legte er die Hände auf ihren Rücken und schloss die Augen. Er atmete ihren typischen Hikari-Duft ein: frisch und süßlich.

„Hika“, nuschelte er in ihr Haar.

„Es ist das letzte Mal. Ich versprech’s“, flüsterte sie.

61. Kapitel, in dem jeder seiner Wege geht

Hikaris Eltern hatten mit Schock und Enttäuschung auf die Nachricht ihrer Schwangerschaft und bald anstehenden Hochzeit reagiert, sich jedoch relativ schnell wieder beruhigt und ihr ihre Unterstützung zugesichert.

Taichis Reaktion war weitaus schlimmer gewesen. Wäre Mimi nicht dabei gewesen, Hikari war sich sicher, er wäre Willis an die Gurgel gesprungen. Er hasste ihn dafür, dass er Hikari geschwängert hatte und sie ihn jetzt heiraten wollte. Zwei Wochen lang hatte er kein Wort mit ihr geredet und war noch immer der Überzeugung, dass sie einen schweren Fehler beging. Willis war bei ihm fortan unten durch.

Hikari selbst war von ständiger Übelkeit geplagt und konnte kaum etwas essen. So lungerte sie ständig nur in ihrem Zimmer im Wohnheim herum und versuchte, über das Internet eine Wohnung zu finden, die sie, Willis und das Baby zu dritt bewohnen könnten. Im Wohnheim konnten sie kaum bleiben, doch die Mietpreise normaler Wohnungen ließen ihr die Haare zu Berge stehen.

Außerdem versuchte sie noch, nebenbei die Hochzeit zu organisieren. Eingeladen waren von ihrer Seite ihre Eltern, ihre Großeltern, Tai mit Mimi und Takeru. Nur die Allerwichtigsten. Auf Takeru konnte sie einfach nicht verzichten. Sie wusste, dass er trotzdem kommen würde. Wie viele Personen von Willis‘ Familie kommen würden, wusste sie noch nicht. Immerhin mussten sie aus den USA anreisen.

Die Hochzeit selbst sollte ganz einfach stattfinden. Erst die Trauung, dann würden sie alle gemeinsam essen gehen und ein bisschen feiern. Hikari wollte auch kein tolles, prinzessinnenhaftes Kleid, auch wenn sie früher genau davon geträumt hatte. Eigentlich hatte sie immer eine riesige Party zu ihrer Hochzeit veranstalten wollen. Alle Menschen, die ihr auch nur im Entferntesten etwas bedeuteten, sollten kommen. Doch nun verlangten es die Umstände einfach anders.

Hikari wurde bang, wenn sie an die Hochzeit und die Geburt ihres Kindes dachte. Es war nicht so, dass sie Willis oder das Kind nicht liebte, doch es fühlte sich auf einmal alles so endgültig an, so unwiderruflich. Als gäbe es keinen Ausweg mehr. Der Rest ihres Lebens war plötzlich vorherbestimmt und das beunruhigte sie. Selbst, wenn sie wollte, gab es keinen Rückzug mehr.

Mit einer Tasse Kamillentee hockte sie auf ihrem Bett und versuchte, sich auf eine Hausarbeit zu konzentrieren, doch immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Sie hatte das Gefühl, dass ihr momentan alles zu viel wurde. Ihr Leben entwickelte sich in eine ganz andere Richtung, als sie eigentlich geplant hatte.

In einigen Minuten würde Sora hier sein. Hikari hatte sie um ein Gespräch zum Thema Schwangerschaft und Geburt gebeten. Obwohl sie noch fast ein halbes Jahr Zeit hatte, machte sie sich schon viel zu viele Gedanken über die Geburt an sich und darüber, ob sie sich die restlichen sechs Monate auch so elend fühlen würde. Warum sie lieber mit Sora statt mit ihrer Mutter darüber reden wollte, wusste sie nicht so genau. Sie hatte das Gefühl, mit Yuuko würde es auf jeden Fall peinlicher werden.

Müde starrte sie auf die wenigen Zeilen, die sie bisher geschrieben hatte. Die letzten Male hatte Takeru ihr immer beim Schreiben geholfen. Er war einfach viel wortgewandter als sie. Hatte er auf seine schriftlichen Arbeiten eigentlich schon einmal etwas anderes als Einsen bekommen?

Hikari seufzte tief und lehnte den Kopf gegen die Wand. Sie wünschte sich Takeru herbei. Ihn und die unbeschwerte Beziehung, die sie früher zueinander gehabt hatten, als noch keine Gefühle im Spiel gewesen waren.

Es klingelte und Hikari stand schwerfällig auf. Sie trottete zur Tür, öffnete sie und ließ Sora herein.

„Hallo“, begrüßte diese sie lächelnd und hielt eine Tüte hoch. „Ich hab‘ dir Kuchen mitgebracht.“

Hikari würgte und hob abwehrend die Hände.

„Hey, so schlecht bin ich gar nicht im Backen“, erwiderte Sora gespielt beleidigt und stemmte die Hände in die Hüften.

„So war das ja auch gar nicht gemeint. Ich bin nur in letzter Zeit nicht wirklich hungrig“, meinte Hikari und ließ sich wieder auf ihr Bett fallen.

„Du musst was essen. Dein Kind braucht Nahrung“, tadelte Sora sie, zog sich den Schreibtischstuhl heran und setzte sich.

„Aber mir ist so schlecht“, jammerte Hikari und legte sich vorsichtig die Hände auf den Bauch. „Ich muss mich andauernd übergeben.“

Sora sah sie mitleidig an. „Das klingt wirklich nicht gut. Hast du das deiner Ärztin gesagt?“

„Ja, die hat aber auch nur das Gleiche gesagt wie du. Und dass ich einfach essen soll, worauf auch immer ich Appetit habe.“

„Ach, du Ärmste. Aber sicher bist du bald aus dem Schlimmsten raus. Diese Übelkeit dauert meist nur drei Monate an.“

„Dann müsste es ja bald vorbei sein“, murmelte Hikari wenig hoffnungsvoll.

„Das wird schon.“ Sora lächelte zuversichtlich. „Und spätestens, wenn du dein Kind nach der Geburt im Arm hältst, vergisst du sowieso all die Qualen und Strapazen. Das war es dann einfach wert.“

„Aber es sind neun Monate, die ich bis zu diesem Moment überstehen muss. Und ich habe solche Angst vor der Geburt“, seufzte Hikari und verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, wie ich das durchstehen soll.“

„Das schaffst du schon“, erwiderte Sora und griff nach ihrer Hand. „Es ist eigentlich halb so wild.“

„Wie fühlt es sich an? Die Geburt, meine ich.“ Ängstlich musterte Hikari Sora.

„Hm“, sie dachte einen Augenblick nach, „kennst du die Krämpfe, die man während seiner Regel hat?“

„Ja, klar.“

„Ungefähr so fühlen sich auch Wehen an. Nur stärker“, erklärte Sora. „Und sie werden natürlich auch zunehmend stärker während der Geburt.“

„Oh Gott.“

„Das geht schon“, meinte Sora abwinkend.

„Und wie lange dauert die Geburt?“

„Das kann ganz unterschiedlich sein. Bei mir hat es insgesamt acht Stunden gedauert. Vormittags hatte ich die ersten Wehen und am Abend war Yuki dann da.“ Sie lächelte verträumt und schien in glücklichen Erinnerungen zu schwelgen.

„Du siehst aus, als wäre die Geburt etwas total Tolles“, stellte Hikari fest und hob eine Augenbraue.

„Es ist ja auch etwas Tolles. Es war wirklich unglaublich, mit anzusehen, wie ein neuer Mensch geboren wird. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Mit nichts zu vergleichen.“

„Hm“, machte Hikari und strich sich mit beiden Händen über ihren Bauch. Sie konnte bereits eine leichte Wölbung spüren, die jedoch von außen kaum sichtbar war und nicht für einen Babybauch gehalten wurde. Wie sie wohl in ein paar Monaten aussehen würde?

„Du solltest dich wirklich nicht so verrückt machen, Kari“, sagte Sora sanft. „Ich habe dir mein Schwangerschaftsalbum mitgebracht. Möchtest du es dir anschauen?“

„Dein Schwangerschaftsalbum?“, fragte Hikari verwundert.

Zur Antwort griff Sora in ihre Tasche und zog ein Fotoalbum mit einem hübsch dekorierten Cover heraus. Sie rutschte neben Hikari aufs Bett, legte sich das Album auf den Schoß und schlug es auf. „Ich habe es angefangen, als ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin. Es ist nicht nur ein Fotoalbum. Ich habe alles Mögliche festgehalten, was mich so bewegt hat: meine Gedanken und Gefühle, meinen sich verändernden Bauch, mein körperliches Wohlbefinden, aber auch so etwas wie Babybetten und Kinderwagen, die ich vielleicht kaufen möchte und süße Babykleidung.“

Sie verbrachten über eine Stunde damit, das Album durchzublättern. Hikari lauschte Soras Erläuterungen zu den einzelnen Seiten, betrachtete die Fotos, die Ultraschallbilder und all die Kleinigkeiten, die Sora dort festgehalten hatte. Die letzte Seite des Albums bildete das erste Foto der kleinen Familie: Yamato und Sora mit Baby Yuki auf dem Arm. Ergriffen betrachtete Hikari das Foto. Sora sah darauf ziemlich erschöpft aber auch sehr glücklich aus. In ihren Armen hielt sie die winzige Yuki, deren Augen fest geschlossen waren. Yamato strahlte nur so in die Kamera und hatte einen Arm um Sora gelegt. Unwillkürlich musste Hikari lächeln beim Anblick dieser glücklichen Familie.

 

Das Gespräch mit Sora hatte Hikari zumindest ein bisschen geholfen und beruhigt. Sie hatte nicht mehr allzu viel Angst vor der Geburt ihres eigenen Kindes und sah auch dem Rest ihrer Schwangerschaft optimistischer entgegen. Es tat außerdem gut, mit Sora jemanden an ihrer Seite zu wissen, der sie unterstützte, wenn sie Fragen oder Probleme hatte.

„Wie war das Gespräch?“, fragte Willis und setzte sich zu ihr. Er war vor fünf Minuten gekommen, um die Nacht bei ihr zu verbringen.

„Gut. Ich glaube, es geht mir jetzt besser“, antwortete Hikari lächelnd.

„Das freut mich zu hören“, erwiderte er und streichelte ihr über den Rücken. „Und was macht das Kleine? Alles in Ordnung?“

„Ja, ich denke schon“, murmelte sie und strich sich geistesabwesend über den Bauch. „Jedenfalls war mir heute wieder den ganzen Tag übel. Also scheint es wohl zu wachsen und zu gedeihen.“

Er grinste und tätschelte ebenfalls ihren Bauch. „Bring‘ bloß nicht deine Mutter um, du Partylöwe.“ Dann küsste er Hikari sanft auf den Mund. „Wir können ja einfach eine Gegenparty starten“, raunte er und drückte sie in eine liegende Position zurück auf ihre Kissen. Zärtlich begann er, ihren Hals zu küssen, doch Hikari seufzte und schob ihn vorsichtig von sich.

„Ich würde ehrlich gesagt lieber gleich schlafen“, murmelte sie müde und rieb sich die Augen. „Bin nicht so in Stimmung.“

„Soll ich versuchen, dich in die richtige Stimmung zu bringen?“, fragte er und lächelte schief.

„Willis, bitte. Ich möchte wirklich einfach schlafen“, nuschelte sie. Ihre Augenlider fühlten sich auf einmal viel zu schwer an, um noch länger gegen die Müdigkeit anzukämpfen.

„Ist in Ordnung“, erwiderte Willis und küsste sie auf die Wange. „Dann lass‘ uns schlafen gehen.“

 

_

 

Takeru war gerade auf dem Weg zu seiner Mutter. Es war Wochenende und sie wollten endlich einmal wieder zusammen zu Abend essen. Er hatte noch eine Hausarbeit beenden und abgeben wollen, bevor er zu ihr kam, allerdings war er damit schon zwei Stunden eher fertig geworden als erwartet. Er war sich sicher, dass seine Mutter nichts dagegen hatte, wenn er schon eher kam, ganz im Gegenteil. Und sollte sie gerade nicht zu Hause sein, würde er halt auf sie warten. Auch kein Problem.

Er schloss die Wohnungstür auf, schlüpfte aus seinen Schuhen und trat ein. Zielstrebig ging er ins Wohnzimmer und blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Was er sah, verschlug ihm den Atem.

„Mama?!“, rief er fassungslos. Sein Mund blieb vor Überraschung offen stehen.

Seine Mutter saß dort auf der Couch. Nackt. Auf seinem Vater. Und erwiderte seinen Blick ebenso geschockt.

„T.K.!“

Bevor sie mehr sagen oder irgendetwas tun konnte, hatte Takeru sich schon umgedreht und stolperte zurück zur Tür. „Ich komme dann später wieder!“ Mit hochrotem Kopf verließ er die Wohnung wieder und stürmte die Treppe hinunter. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Peinlicheres erlebt zu haben. Ja, Hikari hatte ihn und Mimi schon einmal beim Sex erwischt, doch selbst das war nicht so peinlich gewesen, wie die eigene Mutter dabei zu sehen. Und dann auch noch mit dem eigenen Vater, von dem sie eigentlich geschieden war.

Er hielt am nächstbesten Café an, holte sich einen Becher Kaffee und ging zum Strand. Unterwegs kramte er sein Handy heraus, suchte nach der Nummer seines Bruders und rief ihn an.

„Ja?“, meldete Yamatos verwunderte Stimme sich.

„Matt“, brachte Takeru atemlos hervor, „du glaubst nicht, was ich gerade gesehen habe.“

„Ein Ufo?“, riet Yamato.

„Ich glaube, ein Ufo hätte mich weniger überrascht. Ich habe Mama beim Sex erwischt.“

„Irks“, machte Yamato trocken.

„Rate mal, mit wem.“

„Boah, keine Ahnung. Wird das hier eine Quizshow? Ich weiß es nicht. Barrack Obama? Dem Kaiser? Scarlett Johansson? Dem Nachbarsjungen?“

„Scarlett Johansson?“, fragte Takeru verwirrt und runzelte die Stirn.

„Warum überrascht Scarlett dich mehr als der verheiratete Obama?“

„Vielleicht weil… über was reden wir hier eigentlich? Es war Papa.“

„Papa?!“ Zu Takerus Befriedigung klang Yamato überrascht. Offensichtlich hatte auch er davon nichts gewusst. „Bist du sicher?“

„Ja, leider bin ich sicher“, grummelte Takeru.

„Oh Gott…“

Takeru nippte an seinem Kaffee und für einen Augenblick schwiegen sie beide. Immerhin brauchte Yamato ein paar Sekunden, um diese Information zu verarbeiten.

„Ich bin gelinde gesagt irritiert“, meinte dieser schließlich.

„Du hast also auch nicht gewusst, dass sich da was anbahnt?“, schlussfolgerte Takeru.

„Nein. Ich muss aber auch gestehen, dass ich sie seit Wochen nicht gesehen habe. Hatte hier alle Hände voll zu tun mit Studium und Kind.“

„Ich glaube, das könnte gleich ziemlich peinlich werden, wenn ich mit ihr rede. Wir wollten eigentlich nur zusammen essen, Mama und ich.“

„Oh ja. In deiner Haut will ich gerade nicht stecken.“ Er hörte Yamato lachen. „Aber versuch‘ mal, herauszufinden, was genau da zwischen ihnen ist.“

„Ja, werde ich.“

„Guter Junge. Ruf‘ mich dann an, ja?“

Takeru runzelte die Stirn. „Klar.“

Sie redeten noch einige Minuten, dann setzte Takeru sich für eine Weile auf eine Bank am Strand und trank in Ruhe seinen Kaffee. Trotz der peinlichen Situation konnte er nicht anders, als sich ein klein wenig darüber zu freuen. Vielleicht fingen seine Eltern ja wieder etwas Ernstes miteinander an. Vielleicht würde er jetzt als Erwachsener doch noch seine heile Familie bekommen.

Eine gute Stunde, nachdem er die Wohnung fluchtartig verlassen hatte, kehrte er wieder zurück. Zögerlich betrat er die Wohnung und schlich nahezu ins Wohnzimmer, als erwartete er, seine Eltern könnten sich noch immer dort auf dem Sofa vergnügen. Doch das Wohnzimmer war leer.

„Ich bin in der Küche“, hörte er Natsuko rufen.

Langsam ging er in die Küche, blieb unschlüssig im Türrahmen stehen und sah sie an. Sie räumte gerade den Geschirrspüler aus. Von Hiroaki war keine Spur. Ihr Gesicht war so rot, wie seines vorhin gewesen sein musste. Hastig wich sie seinem Blick aus und fuhr fort, Besteck in die Schublade einzusortieren.

„Ich hatte nicht so früh mit dir gerechnet“, eröffnete sie das Gespräch kleinlaut.

„Das habe ich gesehen“, erwiderte er.

„Es tut mir wirklich leid, T.K.“, murmelte sie. „Ich wollte nicht, dass du das siehst.“

Takeru zuckte nur mit den Schultern. Nun war es ja ohnehin zu spät. Er hatte Dinge gesehen, die er nie hatte sehen wollen.

„Hast du gar keine Fragen?“, fragte Natsuko nach einer längeren Redepause.

„Ähm… also du und Papa seid…“

„Naja, das ist nichts Offizielles irgendwie. Deswegen haben wir dir und Matt auch lieber nichts davon gesagt“, gestand sie.

Takeru nickte. „Verstehe. Wie lange habt ihr denn schon ‚nichts Offizielles‘?“

„Hm.“ Sie schien nachzudenken. „Seit einem halben Jahr.“

„Seit einem halben Jahr“, wiederholte Takeru ungläubig. Wie hatte er in all der Zeit nichts davon mitbekommen können?

„Ja. Es kommt mir nicht so lang vor. Aber es ist irgendwie echt nett so, wie es ist. Wir treffen uns hin und wieder, reden, gehen zusammen essen oder ins Kino…“, zählte sie auf und zuckte mit den Schultern. „Es ist wirklich schön.“

Takeru lächelte leicht. Seine Mutter machte auf ihn tatsächlich einen glücklichen Eindruck. Sie schien zufrieden zu sein mit der Situation, wie sie war. Und eigentlich waren Eltern, die eine Affäre miteinander am Laufen hatten, doch auch viel besser als Eltern, die sich nicht sehen konnten, ohne sich anzuschreien und sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Dennoch konnte er nicht ganz glauben, dass er tatsächlich ein halbes Jahr lang nicht gemerkt hatte, dass seine Mutter und sein Vater eine Art Paar waren.

Natsuko schloss die Spülmaschine und sah ihn erwartungsvoll an. „Wollen wir mit dem Kochen anfangen?“

„Sehr gern.“

Gemeinsam machten sie sich an die Vorbereitung ihres Abendessens und Takeru war die Situation schon nicht mehr ganz so peinlich. Zumindest konnten sie sich wieder normal miteinander unterhalten über ganz alltägliche Dinge wie Arbeit und Studium. Die Stimmung lockerte sich zusehends.

„Ah, mir fällt ein, ich habe übrigens dein Buch gestern fertig gelesen“, verkündete Natsuko schließlich und warf Gemüse in eine Pfanne auf dem Herd.

„Oh“, machte Takeru. „Und? Was sagst du?“

„Ich finde es wirklich gut. Eine tolle Geschichte und du schreibst echt super. Dein Ausdruck ist toll“, lobte Natsuko ihn. „Ich wusste ja, dass du wortgewandt bist, aber so?“

„Danke“, erwiderte Takeru verlegen lächelnd.

„Eine Frage habe ich aber“, fuhr sie fort. „Warum sind die beiden am Ende nicht zusammengekommen? Sie haben doch Gefühle füreinander.“

„Sie wollten ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Das wird doch erklärt“, antwortete Takeru verwirrt.

„Schon, aber wenn sie so offensichtlich ineinander verliebt sind, können sie es doch ruhig versuchen“, meinte Natsuko locker.

„Nein. Vielleicht wäre es schief gegangen und dann hätten sie hinterher den Freund verloren, der ihnen das Leben gerettet hat. Das hätte sie doch in die nächste Krise gestürzt“, erwiderte Takeru kopfschüttelnd.

„Oder es hätte sie total glücklich gemacht und vor jeder weiteren Krise bewahrt.“ Natsuko schien überzeugt zu sein von ihrer Idee. „Ich würde an deiner Stelle noch einmal über das Ende nachdenken. Die Charaktere haben es nicht so leicht, da könntest du ihnen wenigstens ein glückliches Ende verpassen.“

„Sie haben doch ein glückliches Ende mit ihrer Freundschaft“, entgegnete Takeru verständnislos. „Freunde zu haben ist doch auch viel wert.“

„Wenn man sich liebt, sollte man zusammen sein und es einfach versuchen. Sonst wird einem doch immer etwas fehlen im Leben.“

Er seufzte resigniert. „Es läuft aber im Leben nicht immer alles so, wie man es gern hätte. Dann sollte man dankbar sein für gute Freunde und nicht zu viel wollen. Sonst hat man am Ende gar nichts mehr.“

„Das sind ganz schön verbitterte Ansichten für dein Alter“, stellte sie fest und musterte ihn prüfend. „Das hat aber nichts mit Kari zu tun, oder?“

„Nein“, antwortete er, ohne zu zögern. „Das hat nicht das Geringste mit Kari zu tun. Das ist nur eine Geschichte mit zwei ausgedachten Figuren.“

„Schon gut. Ich wollte dich ja auch nicht weiter bedrängen“, erwiderte sie abwinkend. „Ich finde, du solltest es ruhig mal an einen Verlag schicken. Ich denke, du hast durchaus eine Chance. Vielleicht auch gerade wegen des Endes. Es ist mal etwas anderes. Vermutlich würde jeder schon beim Lesen der Inhaltsangabe erwarten, dass aus den beiden ein Paar wird.“

„Glaubst du?“

„Ja.“ Sie nickte bekräftigend. „Sei mutig. Versuch‘ es einfach mal. Mehr als dich ablehnen können sie nicht.“

62. Kapitel, in dem es viel zu früh ist

Es war eine kalte, stürmische Nacht Anfang Februar, als Hikari aufwachte und zunächst nicht wusste, wieso. Doch dann plötzlich spürte sie den ziehenden Schmerz, der durch ihren Unterleib schoss und sie das Gesicht verziehen ließ. Für einen Augenblick dachte sie in ihrer schlaftrunkenen Irritation, sie hätte ihre Tage bekommen, doch dann fiel ihr ein, dass sie schwanger war. Schwanger im sechsten Monat, fast im siebten. Eigentlich durfte sie solche Schmerzen nicht haben.

Sie stöhnte leise auf, als der Schmerz stärker wurde und rollte sich auf die Seite. Mit den Armen umschlang sie ihren Bauch, der inzwischen deutlich sichtbar ein Kind beinhaltete, doch es half natürlich nichs. Irgendetwas stimmte nicht.

Der Schmerz flaute ab und Hikari kam langsam wieder zu Atem, doch dann fing es wieder an und sie wimmerte leise. Nein, das war nicht normal. Sie brauchte Hilfe. Das war nicht in Ordnung. Irgendwas war mit ihrem Kind.

Sie setzte sich in ihrem Bett auf, woraufhin ihr übel wurde. Waren das etwa schon Wehen? Es war doch noch viel zu früh.

Mit wackeligen Beinen stand sie auf und schleppte sich zur Tür. Immer wieder musste sie zwischendurch anhalten, weil die Schmerzen unerträglich wurden. Vornübergebeugt verließ sie ihr Zimmer und wankte über den Gang zu Takerus Zimmer. Während sie eine zittrige Hand auf den Klingelknpf presste, sank sie auf die Knie. Sie konnte sich nicht länger aufrecht halten. Wimmernd und schniefend kauerte sie auf dem Boden und wartete, dass Takeru endlich die Tür öffnete. Was sollte sie tun, wenn er nicht aufmachte? Wenn er nicht da war, um ihr zu helfen? Würde sie dann hier nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet auf dem Gang ihres Wohnheims sterben mit ihrem ungeborenen Kind?

Endlich öffnete sich die Tür und Hikari konnte durch ihren verschleierten Blick seine Füße vor sich erkennen.

„Kari, was… scheiße!“ Er fiel vor ihr auf die Knie, legte die Hände auf ihre Schultern und starrte sie an.

„Ich glaube, ich muss sterben“, schluchzte sie.

Sie spürte, wie er ihren Oberschenkel berührte und als er die Hand wieder hob, klebte Blut an seinen Fingerspitzen. War das etwa ihr Blut?

„Ich… warte, ich ruf‘ ein Taxi!“ Er stand auf und verschwand wieder in seinem Zimmer. Hikari wollte ihm hinterherrufen, dass er sie nicht allein lassen sollte, doch sie war zu schwach, hatte keine Stimme mehr. Sie hörte ihn ungeduldig ins Telefon brüllen, dann war er wieder bei ihr.

„Das Taxi ist in fünf Minuten hier“, verkündete er. Hikari konnte das Zittern in seiner Stimme deutlich heraushören. Mit fahrigen Bewegungen wickelte er sie in eine Decke und hob sie kurzerhand auf seine Arme. Hikari stöhnte auf vor Schmerz.

„Es tut mir leid“, keuchte er. „Aber wir müssen dich irgendwie nach unten bringen.“

Sie schlang die Arme um seinen Hals und presste das Gesicht gegen seine Schulter. Sie wollte nichts sehen und nichts hören. Der Schmerz in ihrem Unterleib brachte sie förmlich um.

„Keine Angst. Es wird alles gut“, murmelte er, klang jedoch wenig überzeugend. „Sobald wir im Auto sitzen, rufe ich Willis an. Das wird schon. Und morgen Früh seid ihr dann bestimmt schon Eltern. Keine Angst. Alles gut.“

Erneut wimmerte Hikari vor Schmerz. Da sie nichts sah, hatte sie keine Ahnung, wo genau Takeru mit ihr hinging. Irgendwann setzte er sie jedoch vorsichtig auf der Rückbank eines Autos ab. Hikari öffnete die Augen. Der Taxifahrer hatte sich zu ihr umgedreht und starrte sie entgeistert an.

„In zehn Minuten sind wir im Krankenhaus“, sagte er und als auch Takeru auf der Rückbank Platz genommen hatte, setzte sich das Auto in Bewegung und fuhr viel zu schnell die Straße entlang. Hikari sah blinkende Lichter an ihnen vorbeirasen, nahm sie jedoch kaum war. Auch dass Takeru die ganze Zeit ihre Hand streichelte, nahm sie kaum war. Was sie jedoch überdeutlich spürte, waren die Schmerzen in ihrem Unterleib, die mal etwas abflauten und dann auf einmal wieder unerträglich wurden.

Takeru tippte auf seinem Handy herum und hielt es sich ans Ohr. „Er hat sein Handy aus“, fluchte er und schob es zurück in seine Hosentasche.

„Hat er immer über Nacht“, flüsterte Hikari.

„So ein Mist! Was soll das?“

„Glaubst du, ich muss sterben?“, fragte sie mit Tränen in den Augen und drehte sich zu Takeru.

„Was? Nein! Niemand stirbt!“, eriwderte er heftig. „Hör‘ auf, das zu denken. Können Sie nicht schneller fahren?“

„Ich fahre schon zu schnell!“, brummte der Taxifahrer.

Endlich kamen sie am Krankenhaus an. Takeru sprang aus dem Wagen und hob dann auch Hikari heraus. Eilig betrat er mit ihr den gläsernen Eingangsbereich des Gebäudes und stürmte zum Empfang.

„Hikari Yagami!“, rief er der Frau dort zu. „Sie hat Wehen oder so. Keine Ahnung. Zumindest ist sie schwanger und blutet!“

 

Was Hikari mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und auch Takeru in den Wahnsinn getrieben hatte, waren tatsächlich Wehen gewesen. Als sie sich endlich im Kreißsaal befand, dauerte es noch über vier Stunden, bis das Kind auf der Welt war.

Takeru war die ganze Zeit bei ihr gewesen, das Gesicht so voller Sorge, dass Hikari ihn zwischendurch hatte nach Hause schicken wollen. Doch das hätte eh nichts gebracht, das wusste sie. Er hatte jedoch die ganze Zeit ihre Hand gehalten, ihre Stirn gestreichelt und ihr gut zugeredet.

Endlich, mit einem letzten Schmerzensschrei, brachte Hikari das Kind zur Welt. Die Krankenschwester nahm es an sich und starrte es an.

Völlig erschöpft und mit Schweiß auf der Stirn streckte Hikari die Hände nach ihrem Baby aus. Sie wollte es endlich im Arm halten. Auch, wenn es aufgrund des viel zu frühen Zeitpunkts sicher versorgt werden musste, wollte sie es wenigstens für eine Sekunde im Arm halten und ansehen. Außerdem wollte sie nun endlich wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war.

Doch die Krankenschwester rührte sich nicht. Sie tauschte einen vielsagenden Blick mit der Ärztin, die daraufhin aufstand und ihr das winzige Neugeborene aus den Händen nahm. Und auch da fiel es Hikari auf. Das Kleine hatte noch keinen einzigen Laut von sich gegeben.

„Was ist los?“, fragte sie schwach.

Mit einem betroffenen Gesichtsausdruck kam die Ärztin auf sie zu. Hikari starrte ihr Kind an. Die Hautfarbe war seltsam. Sie hatte immer gedacht, neugeborene Babys würden rosa oder sogar rot aussehen. Ihr Baby war eher… grau.

„Es tut mir furchtbar leid“, sagte die Ärztin bedauernd, „aber ihr Sohn lebt nicht mehr. Er muss schon vor Tagen gestorben sein.“

Hikari erstarrte. Was hatte sie da gesagt?

„Was?“, erwiderte Takeru an ihrer Stelle.

„Wir können nichts mehr für ihn tun. Er ist tot“, wiederholte die Ärztin.

Hikaris Mund klappte auf. Ungläubig starrte sie von ihrem Baby – ihrem Sohn – in das Gesicht der Ärztin. Diese begann mit Erklärungen. Dass es in seltenen Fällen passierte, dass Kinder auch nach der zwölften Schwangerschaftswoche im Mutterleib verstarben und dass dies zunächst eventuell gar nicht auffiel. Sie nannte Hikari Gründe, woran es gelegen haben könnte, doch sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Alles, was sie verstanden hatte, war: ihr Sohn war tot. Ihr erstes Kind war in ihrem Bauch gestorben und sie hatte gerade ihr totes Kind zur Welt gebracht. Aus den Augenwinkeln bekam sie mit, wie Takeru den Kopf sinken ließ und sich leise stöhnend durch die Haare fuhr.

„Ich…“, begann sie heiser, als die Ärztin ihre Ausführungen beendet hatte, „das… das geht doch nicht. Mein Kind ist tot?“

Sie nickte betreten.

„Ich habe mein totes Kind geboren?“

„Es ist wichtig, dass Sie es auf natürlichem Wege zur Welt gebracht haben“, erklärte die Ärztin leise. „Das hilft dem Verarbeitungsprozess. Möchten Sie ihn halten?“

Es dauerte eine Weile, bis Hikari fassungslos nickte. Behutsam legte die Ärztin ihr das winzige Baby in die Arme.

Hikari sah auf ihn hinab. Obwohl er so klein und viel zu früh auf die Welt gekommen war, sah er aus wie ein richtiges Baby. Wie ein kleiner Mensch. Arme, Beine, ein Gesicht mit Augen, Nase und Mund, Ohren, kleine Hände mit winzigen Fingern. Sanft strich sie ihm über das Köpfchen und sah zu Takeru.

Sie wusste nicht, was sie erwartete. Takeru war in ihrem Leben immer da gewesen, wenn sie am Verzweifeln war. Irgendwie waren ihm immer die richtigen Worte eingefallen, um sie zu beruhigen, sie aufzumuntern oder zum Lachen zu bringen. Vielleicht hatte sie sich auch jetzt erhofft, dass er ihr etwas anderes erzählen würde als die Ärztin. Doch als sie in sein Gesicht sah, glänzten seine Augen feucht und waren gekennzeichnet von Hoffnungslosigkeit. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten und wandte sich ab, während er sich mit dem Handrücken über die Augen wischte.

Und dann schossen plötzlich auch Hikari Tränen in die Augen. Eine Sekunde später begann sie zu schluchzen und ihre Wangen wurden nass. Sie presste ihren Sohn – nein, den leblosen Körper ihres Sohnes – an sich und weinte hemmungslos. Sie spürte, wie Takeru die Arme um sie schlang und sie an sich drückte. Tränen tropften auf das kleine fahle Gesicht ihres toten Babys.

 

_

 

Gegen halb acht Uhr morgens stürmte Willis in das Krankenzimmer, auf das man Hikari inzwischen gebracht hatte. Er wirkte abgehetzt und panisch. Anscheinend hatte er erst vor wenigen Minuten Takerus Nachricht gelesen.

„Kari!“, rief er und kam auf sie zu. „Oh mein Gott, geht’s dir gut?“ Er setzte sich an die andere Seite ihres Bettes und griff nach ihrer Hand.

Sie hatte die ganze Zeit fast ununterbrochen geweint. Ihre Augen waren geschwollen und rot und in ihrem Gesicht war sehr deutlich zu erkennen, dass es ihr nicht gut ging. Takeru presste die Lippen aufeinander.

„Was ist passiert? Wo ist unser Kind?“, fragte Willis, als sie nichts erwiderte.

„Er… er ist…“, begann sie mit heiserer Stimme, brach jedoch wieder in Tränen aus und konnte nicht weitersprechen, sodass Willis hilfesuchend zu Takeru sah.

Er räusperte sich und wich seinem Blick aus. „Es war ein Junge. Er war schon tot, als er auf die Welt kam.“

„Was?!“ Entsetzt starrte Willis von Takeru zu Hikari. „Wie… was… ist das dein Ernst?“

Hikari vergrub das Gesicht in ihrer Bettdecke und weinte herzzerreißend. Takeru konnte das nicht länger mitansehen. Außerdem war es ohnehin Zeit, die beiden allein zu lassen.

„Ich ähm… gehe jetzt mal“, murmelte er und machte Anstalten, aufzustehen, doch Willis hielt ihn auf.

„Warte. Kannst du mich mal aufklären? Ich verstehe nicht, was hier passiert ist.“

Unschlüssig beobachtete Takeru Hikari, doch sie sah nicht so aus, als würde sie in den nächsten Minuten die Kraft aufbringen, Willis zu erzählen, was genau passiert war. Also seufzte er tief und erklärte ihm möglichst genau, was in den letzten Stunden vorgefallen war. Völlig verstört hörte Willis ihm zu, fragte hin und wieder nach und streichelte nebenbei Hikari beruhigend den Rücken. Als Takeru seine Schilderung beendete, schüttelte Willis ungläubig den Kopf und starrte Hikari an. Diese schluchzte zwar nicht mehr so hemmungslos, hatte jedoch das Gesicht noch immer in ihre Decke gepresst, als wollte sie die Welt um sich herum ausschließen.

„Es tut mir echt leid“, sagte Takeru an Willis gewandt, denn nicht nur Hikari hatte ein Kind verloren. „Ich wünschte, ich hätte irgendetwas tun können.“

„Du hast genug getan“, widersprach Willis bestimmt. „Wer weiß, was passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst. Danke.“

„Nicht dafür“, nuschelte Takeru und warf einen letzten Blick auf Hikari, bevor er aufstand und die beiden allein ließ.

63. Kapitel, in dem Hikari fast allein klarkommt

„Bist du sicher, dass du allein hier bleiben willst?“ Besorgt musterte Willis Hikari, die ein wenig verloren mitten in ihrem Wohnheimzimmer stand und sich umsah. Alles war noch so, wie es gewesen war, als sie es vor über einer Woche verlassen hatte. Als wäre nichts passiert. Das Bett war noch immer zerwühlt, auf dem Schreibtisch stand eine Tasse mit einem Rest Tee darin, Bücher stapelten sich neben ihrem Bett.

„Ja, ich… ich brauche die Zeit“, murmelte sie.

Willis seufzte und strich ihr über den Rücken. „Ab März haben wir endlich die Wohnung. Dann musst du nicht mehr allein sein. Das wird so schön.“

Hikari nickte geistesabwesend. Die Wohnung. Der Umzug. Das alles war auf einmal völlig aus ihren Gedanken verschwunden. Alles, was in ihrem Kopf Platz hatte, war das Bild von Daiki, wie sie ihren Sohn genannt hatten, wie er stumm und mit seiner fahlen Haut in ihren Armen lag. In den letzten Nächten war Hikari ständig aufgewacht, da sie von wirren Träumen geplagt wurde, wenn sie denn überhaupt einschlief. Immer wieder fragte sie sich, wieso so etwas passieren musste, was sie falsch gemacht hatte. Und dann waren da natürlich diese Gedanken an ein alternatives Universum, wenn ihr Kind überlebt hätte. Wie würde er wohl aussehen? Was wäre aus ihm geworden? Welche Schule hätte er besucht? Hätte er gute Noten bekommen? Was wären seine Hobbys gewesen? Hätte er viele Freunde gehabt? Welche Angewohnheiten hätten ihn ausgezeichnet?

All diese Dinge würde sie niemals erfahren, denn Daiki war gestorben. In ihrem Bauch, der doch eigentlich der sicherste Ort der Welt für den Kleinen hätte sein sollen.

„Und ich kann es kaum erwarten, dass wir endlich heiraten. Dann haben wir alle Zeit der Welt, es noch einmal mit einem Kind zu versuchen. Und dann klappt es bestimmt“, redete Willis weiter, legte einen Arm um Hikaris Schultern und küsste sie auf die Schläfe.

Sie war sich sicher, dass er sie beruhigen und aufmuntern wollte, doch Hikari sah ihn ungläubig an. „Heiraten?“

Verwirrt lächelnd erwiderte er ihren Blick. „Ja. Schon vergessen? Wir heiraten nächste Woche.“

Einen Augenblick lang wusste sie nicht, ob er das ernst meinte, was er da redete, doch er sah sie nur weiter abwartend an.

„Willis, wir können nicht heiraten“, erwiderte sie wie selbstverständlich.

„Was?“, hakte er nach, noch immer lächelnd. „Natürlich können wir das. Wir müssen sogar.“

Langsam schüttelte Hikari den Kopf und machte sich von ihm los. „Unser Sohn ist gestorben. Wie kannst du da ans Feiern denken?“

„Kari“, fing er an, sein Lächeln nun verblasst, „was passiert ist, ist schrecklich. Wir haben ein Kind verloren, ja. Aber davon dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen. Gerade jetzt müssen wir zusammenhalten, um das durchzustehen. Und ich glaube, eine Hochzeit würde uns noch enger zusammenschweißen und uns helfen, diese Sache zu überwinden. Wir lieben uns doch. Was spielt es da für eine Rolle, zu welchem Zeitpunkt wir heiraten?“

„Aber… wir wollten seinetwegen heiraten. Damit er kein uneheliches Kind ist. Aber jetzt lebt er nicht mehr. Es gibt doch gar keinen Grund mehr zu heiraten“, erklärte Hikari langsam.

Willis zog verständnislos die Augenbrauen zusammen. Seine hellblauen Augen waren auf Hikari gerichtet und schienen nach einem Zeichen dafür zu suchen, dass sie Witze machte. „I-ist das dein Ernst? Ich meine… es ist alles organisiert. Meine Verwandtschaft kommt in ein paar Tagen an. Und… es gibt immer einen Grund zu heiraten. Wir lieben uns doch und wollen unser Leben miteinander teilen.“

Hikari zögerte. Leben teilen. Heiraten. Für immer zusammen. Sie rieb sich die Schläfen und schloss die Augen. „Ich… ich kann das momentan nicht. Das wäre falsch. Es würde sich so falsch anfühlen. Wie können wir unsere Liebe feiern, wenn unser gemeinsamer Sohn gestorben ist, bevor er überhaupt auf der Welt war? Das ist nicht richtig. Das geht nicht. Ich…“

„Okay, okay.“ Willis hob abwehrend die Hände, um sie am Weitersprechen zu hindern. „Weißt du was? Wir lassen das besser für heute. Ich glaube, du bist ziemlich durcheinander, was ja auch kein Wunder ist. Du solltest dich einfach hinlegen und ein bisschen schlafen, okay? Und wir reden dann einfach morgen nochmal.“

Hikari war sich sehr sicher, dass sie auch morgen ihre Meinung nicht ändern würde, doch sie erwiderte nichts, sondern nickte nur. Sie wollte gerade lieber allein sein und Willis würde vermutlich nicht gehen, wenn sie ihm jetzt wieder widersprechen würde.

Er küsste sie zum Abschied auf die Stirn und verließ dann das Zimmer.

 

Hikari war keine Stunde allein, als es an ihrer Tür klopfte.

Schwerfällig erhob sie sich aus ihrem Bett, ging zur Tür und öffnete sie. Takeru stand davor und lächelte leicht.

„Hi. Oh.“ Verwirrt musterte er ihr Outfit, das nur aus einem langen T-Shirt und einem Slip bestand. „Hast du gerade geschlafen?“

„Nein“, antwortete Hikari und rieb sich über die Augen. Sie hatte versucht zu schlafen, doch es hatte nicht geklappt. Die Trauer beherrschte noch immer ihren Kopf und ihr Herz und schien sie zu erdrücken.

„Bist du allein?“, fragte er weiter und spähte neugierig an ihr vorbei in ihr Zimmer.

„Ja.“

„Gut. Ich dachte mir, dass du vielleicht allein bist, obwohl du nicht allein sein willst“, meinte er und hielt eine Tüte hoch. „Ich hab‘ dir auch was mitgebracht.“

„Also eigentlich…“ Sie dachte an Willis, dem sie gesagt hatte, dass sie allein sein wollte. Und eigentlich wollte sie ja auch wirklich allein sein. Sie brauchte Zeit, um über alles, was passiert war, nachzudenken und es zu verarbeiten. Immerhin hatte sie ein Kind verloren. Aber andererseits konnte ein guter Freund an ihrer Seite auch nicht schaden. „Komm‘ rein.“

Während er ihr Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss, setzte Hikari sich zurück auf ihr Bett und kuschelte sich in die Decke. Takeru kramte zwei Löffel aus ihrem Besteckbecher hervor und setzte sich mit der Tüte auf dem Schoß neben sie. Nacheinander packte er eine große Packung Eiscreme, zwei Tafeln ihrer Lieblingsschokolade, eine Tüte Chips und drei Tüten Gummibärchen aus.

„Was zum…“, begann Hikari ungläubig und betrachtete die ganzen Köstlichkeiten.

„Ich wusste nicht, worauf du Hunger hast, deswegen habe ich einfach alles geholt. Ich habe dir auch noch Obst, Gemüse und Reis mitgebracht, damit du morgen nicht einkaufen musst. Ist also alles da“, erklärte Takeru und stellte die Tüte mit dem restlichen Inhalt auf dem Boden ab.

„Wow“, machte Hikari beeindruckt. „Danke. Du bist der Beste.“ Sie griff nach der Eispackung und öffnete sie langsam.

„Wie geht’s dir?“, fragte Takeru, der sie dabei beobachtete.

„Ähm… bescheiden?“, schlug sie vor, nicht wissend, welches Wort am besten ihre derzeitige Gefühlslage beschrieb.

„Ich meine körperlich. Hast du noch irgendwelche Schmerzen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Das ist ja schon mal ein guter Anfang.“

„Findest du?“ Gedankenverloren starrte Hikari vor sich hin und strich sich über ihren nun wieder flachen Bauch. „Die Übelkeit und das seltsame Gefühl, die beide mein Baby verursacht hat, sind weg. Es fühlt sich falsch an, dass es mir körperlich gut geht. Es sollte nicht so sein.“

Takeru seufzte leise und wandte den Blick von ihr ab. „Entschuldige. Das war eine dämliche Frage.“

„Nein, schon okay“, erwiderte Hikari und versenkte endlich ihren Löffel in der Eiscreme.

Takeru tat es ihr gleich und für eine Weile saßen sie einfach nur schweigend nebeneinander und aßen Eis. Hikari hatte das Gefühl, dass die Kälte sie ein wenig belebte und ihr dabei half, sich ein wenig wacher zu fühlen. Während sie immer wieder den Löffel in das Eis tunkte und die kalte Süßspeise auf ihrer Zunge zergehen ließ, dachte sie über Willis und die kommende Hochzeit nach. Er hatte sie nicht wirklich ernst genommen und dachte, sie wäre nur verwirrt und sollte noch eine Nacht darüber schlafen. Vielleicht würde sie ja morgen wirklich anders über die Sache denken. Vielleicht war sie momentan vor lauter Trauer ja überhaupt nicht zurechnungsfähig.

„Keru?“

„Hm?“

„Ist es falsch, wenn ich… wenn ich nicht mehr heiraten möchte?“

Verblüfft sah er sie von der Seite an. „Was?“

„Naja, ich will Willis nicht mehr heiraten. Zumindest nicht jetzt, weil mir das alles so falsch vorkommt. Wir haben gerade erst ein Kind verloren und ich möchte nicht feiern. Ich kann das nicht“, stammelte sie.

„Ähm…“ Er wirkte überrascht und schien eine Weile nachzudenken. „Nein, ich kann verstehen, dass du erst einmal nicht heiraten willst. Ich meine, die Hochzeit ist schließlich schon nächste Woche. Ihr könntet sie ja einfach ein wenig verschieben.“

„Ja, das denke ich auch, aber Willis möchte das nicht. Seine Verwandten kommen ja extra aus den USA her. Er will morgen noch einmal mit mir reden, weil er denkt, ich sehe die Sache morgen wieder anders“, erklärte Hikari matt.

Takeru runzelte skeptisch die Stirn. „Kari, lass‘ dich zu nichts überreden, was du nicht möchtest. Er sollte deine Entscheidung respektieren und nicht versuchen, dich umzustimmen. Ihr macht gerade viel durch.“

„Er findet, dass es gerade jetzt der richtige Zeitpunkt zum Heiraten ist, weil wir zusammenhalten müssen. Aber…“ Sie wusste nicht, wie sie diesen Satz beenden wollte.

„Ich finde, er sollte dich nicht so unter Druck setzen“, ergriff Takeru wieder das Wort. „Er sollte dir die Zeit lassen, die du brauchst. Es ist doch ganz normal, dass man so kurz nach so einem Erlebnis nicht übers Feiern nachdenken will.“

„Ich weiß nicht“, nuschelte Hikari und kaute auf ihrem Löffel herum. „Ich fühle mich irgendwie schlecht deswegen. Ich glaube, ich habe ihn ziemlich enttäuscht damit.“

„Du musst auch mal an dich denken und das machen, was dir gut tut. Es bringt dir doch nichts, immer das zu machen, was andere von dir erwarten, wenn du damit selbst nicht glücklich bist.“

Ihre Blicke trafen sich. Er wirkte entschlossen.

„Keru“, murmelte sie, legte den Löffel in die Eispackung und griff nach seiner Hand. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen und lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Habe ich mich eigentlich jemals bei dir bedankt?“

„Wofür denn?“, fragte er verständnislos.

„Dafür, dass du einfach du bist. Dass ich mich immer auf dich verlassen kann, trotz allem, was vorgefallen ist. Dass zwischen uns schon Dinge passiert sind, die andere Freundschaften bestimmt getötet hätten. Aber irgendwie haben wir es immer wieder geschafft, uns aufzurappeln.“ Sie schloss die Augen und lächelte ein ganz klein wenig, als sie Takerus typischen Duft wahrnahm. Er war so vertraut und sein Körper so warm. Sie spürte, wie sein Daumen sanft über ihren Handrücken strich. „Weißt du, was ich manchmal glaube?“

„Was denn?“, flüsterte er.

„Dass ich, egal wen ich heirate, niemanden so lieben könnte wie dich. Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der dir das Wasser reichen kann.“

 

Es war Morgen, als Hikari langsam die Augen öffnete. Wann war sie denn eingeschlafen? Sie musste ja ewig geschlafen haben. Müde blinzelte sie ein paarmal und entdeckte Takeru. Er lag auf der Seite mit dem Gesicht zu ihr und hatte einen Arm über sie gelegt. Er schien noch zu schlafen, denn seine Augen waren geschlossen und sein Atem ging gleichäßig. Hatte er die ganze Nacht in ihrem Bett verbracht? War er die ganze Zeit bei ihr geblieben, um sie nicht allein zu lassen?

Vorsichtig richtete sie sich ein wenig auf. Der ganze Süßkram, den er gestern mitgebracht hatte, lag auf dem Boden verstreut. Die Eispackung war nur halb leer gegessen und das restliche Eis bestand nur noch aus einer dicken Suppe. Hikari legte sich wieder hin, hatte jedoch durch ihre Bewegung Takeru geweckt. Er seufzte leise und schlug die Augen auf. Als sein Blick auf Hikari fiel, lächelte er müde.

„Bin ich gestern eingeschalfen?“, fragte Hikari leise.

„Mhm.“ Er nickte.

„Ich dachte, ich könnte gar nicht schlafen. Ich glaube, es liegt an dir.“

„Ich bin also so langweilig, dass du in meiner Gegenwart einschläfst?“, schlussfolgerte Takeru gähnend.

Hikari musste schmunzeln. „So meinte ich das nicht. Ich habe echt gut geschlafen.“

„Freut mich“, murmelte er lächelnd.

Schweigend sahen sie sich in die Augen, betrachteten das Gesicht des jeweils anderen. Takeru hatte noch keine Anstalten gemacht, seinen Arm zurückzuziehen. Hikari drehte sich auf die Seite und strich ihm ein paar wirre Haarsträhnen aus der Stirn. Sie ließ ihre Hand auf seiner Wange liegen und schluckte, als sich ihre Blicke erneut begegneten.

Ein Klopfen an der Tür zerstörte die Stimmung und augenblicklich ließen sie voneinander ab. Hikari kletterte aus dem Bett und ging zur Tür. „Mann, wer kommt denn um die Uhrzeit? Wie spät ist es überhaupt?“

Sie öffnete die Tür einen Spalt breit und versteckte sich halb dahinter, da sie noch immer nur ein T-Shirt und einen Slip trug. Im Flur stand Willis und lächelte sie an.

„Guten Morgen, schöne Frau. Ich hab‘ Frühstück mitgebracht“, begrüßte er sie und hielt zwei Becher Kaffee hoch.

„Willis!“, sagte Hikari überrascht und öffnete geistesabwesend die Tür komplett.

„Warum so überrascht?“, fragte er und ging an ihr vorbei ins Zimmer. Wie angewurzelt blieb er an Ort und Stelle stehen, als er Takeru erblickte, der sich inzwischen aufgesetzt hatte. „Was…“ Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden und fragend sah er zu Hikari.

„Ich… ähm… er kam gestern überraschend vorbei“, erklärte Hikari kleinlaut. Diese Situation musste auf Willis wirklich äußerst seltsam wirken.

„Er hat hier geschlafen?!“, rief Willis entgeistert. „Während du so angezogen warst?“ Er deutete auf ihre nackten Beine.

„Er kam gestern spontan vorbei und… wir haben nur ein bisschen geredet und dann bin ich eingeschlafen“, murmelte Hikari und kratzte sich am Kopf. Dabei merkte sie, wie zerzaust ihre Haare waren.

Willis musterte sie mit vorwurfsvollem und verständnislosem Blick. „Und mich schickst du weg? Mir hast du gestern gesagt, du wolltest allein sein.“

„Wollte ich ja auch. Willis… ich… das ist echt nicht so, wie es aussieht.“

„Ich habe mich praktisch aufgedrängt“, kam Takeru ihr zu Hilfe und erhob sich vom Bett.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen, die sein Misstrauen zur Geltung brachten, sah Willis zwischen ihnen hin und her. „Kari, ich verstehe das nicht. Ich hätte doch auch bei dir bleiben können.“

„Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll“, erwiderte sie hilflos. „Manchmal braucht man einfach jemanden, der nicht direkt beteiligt ist, zum Reden. Das sollte wirklich nicht hinterhältig wirken. Wir haben nur geredet und sind dann einfach eingeschlafen.“

Einen Augenblick musterte Willis Hikari noch, als suchte er in ihrem Gesicht nach irgendetwas, das ihm sagte, dass sie log, doch dann nickte er zögerlich. „Okay.“

„Ich gehe dann mal“, murmelte Takeru und ging an beiden vorbei zur Tür. „Wir sehen uns.“ Er und Hikari tauschte einen letzten Blick, dann verschwand er aus ihrem Zimmer.

Willis musterte sie mit einem Blick, der von Schmerz gezeichnet war. „Ist er der eigentliche Grund, warum du die Hochzeit absagen willst?“

Erschrocken sah Hikari ihn an, bevor sie den Kopf schüttelte. „Du weißt doch, dass er mein bester Freund ist. Ich brauche ihn.“

„Und wen brauchst du mehr? Mich oder ihn?“

Verdutzt schwieg sie und wandte den Blick ab. War das eine Fangfrage? Was sollte sie darauf antworten?

Er ging zum Schreibtisch, stellte die beiden Kaffeebecher ab und seufzte. Er starrte aus dem Fenster und hatte ihr den Rücken zugewandt. „Entschuldige. Ich wollte dir kein Ultimatum stellen.“

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Willis, ich habe mein totes Baby zur Welt gebracht. Das ist der Grund, warum ich jetzt nicht heiraten und so tun kann, als wäre…“

„Ich habe auch ein Kind verloren!“ Er hatte sich ruckartig zu ihr umgedreht und sah sie wütend und verletzt an. „Du bist nicht die Einzige, die damit fertig werden muss! Wir sollten das zusammen durchstehen, er war unser Kind. Deswegen verstehe ich nicht, warum du so dringend mit anderen darüber reden musst, mit mir aber nicht. Und dann schläft er auch noch in deinem Bett!“

„Das war nicht geplant“, verteidigte Hikari sich verzweifelt. „Er stand einfach vor meiner Tür und… ich weiß auch nicht.“ Sie dachte daran, wie geborgen sie sich bei Takeru gefühlt hatte. Er war einfach für sie da gewesen. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie ihn bei sich hatte haben wollen, aber nicht Willis.

Er seufzte und fuhr sich durch die Haare, als müsste er angestrengt nachdenken. „Ich… Mann, Kari, ich will mich nicht streiten. Wir haben echt Wichtigeres zu tun.“

„Ich will mich auch nicht streiten“, murmelte sie.

„Du bist also immer noch dabei, dass du die Hochzeit verschieben möchtest?“, wechselte er dann das Thema.

Sie nickte zögerlich. „Ja.“

„Sei ehrlich. Möchtest du überhaupt noch heiraten?“, fragte er dann und sah sie durchdringend an.

Statt einer Antwort biss sie sich auf die Unterlippe und senkte den Blick.

„Verstehe“, knirschte Willis.

„Ich… wir sind noch so jung. Ich habe mich auch für ein Baby zu jung gefühlt. Und so ist es auch mit dem Heiraten. Ich wollte heiraten, weil ich denke, dass eine Ehe für ein Kind besser ist. Aber jetzt, da es kein Kind mehr gibt…“

Sie konnte sehen, wie sein Kiefer sich anspannte, als er langsam nickte. Er musste ziemlich verletzt sein.

Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. „Es tut mir so leid, Willis. Ich fühle mich einfach nicht bereit für das alles. Es ging alles so schnell und kam so plötzlich. Und dann die Totgeburt. Das ist so viel auf einmal.“

Sie spürte, wie er sich neben sie setzte und mit einer Hand ihren Rücken streichelte. „Mir tut es leid, dass ich dich so angefahren habe.“

Wie waren sie nur an diesen Punkt geraten? Wie hatte es passieren können, dass sie von einer glücklichen Beziehung in diese Krise gerutscht waren, in der auf einmal keiner von ihnen mehr glücklich war? Natürlich mussten Beziehungen auch Krisen überstehen, um dann gestärkt daraus hervorzugehen. Aber würden sie das? Oder würde dieser Schicksalsschlag ihnen das Genick brechen?

64. Kapitel, in dem Hikari keine Heilige ist

„Was? Ihr habt die Hochzeit abgesagt?“ Ungläubig starrte Taichi sie an. Die Familie Yagami saß gemeinsam im Wohnzimmer, weil Hikari um ein Treffen gebeten hatten. Auf dem Couchtisch stand ein Teller mit selbst gebackenen Karottenkeksen von Yuuko, die bisher niemand angerührt hatte.

„Mhm“, machte Hikari und nickte beklommen. Sie und Willis hatten gestern, fünf Tage vor der Hochzeit, gemeinsam beschlossen, vorerst nicht zu heiraten.

„Wieso denn das? Habt ihr euch getrennt?“, fragte Taichi weiter und machte große Augen.

„Nein“, antwortete Hikari.

„Das klingt aber nicht sehr überzeugt“, stellte er fest und musterte sie mit kritischem Blick.

„Ich habe mir sowas schon gedacht“, sagte Yuuko und streichelte ihr den Arm. Sie wirkte in der Tat wenig überrascht.

„Was echt?“, fragte Taichi verwirrt.

„Tja, so eine Totgeburt ist eine schlimme Erfahrung“, erklärte sie mitfühlend. „Ich denke, das kann niemand nachempfinden, der das nicht erlebt hat. Ich kann Kari verstehen, dass ihr jetzt nicht nach einer Hochzeit zumute ist.“

„Oh Mann“, murmelte Taichi und kratzte sich am Kopf.

„Wir kontaktieren heute noch die restlichen Gäste“, sagte Hikari betrübt. „Willis‘ Familie kommt natürlich trotzdem nach Tokio. Sie unternehmen dann etwas anderes.“

„Ja, sie werden sich ihre Zeit schon vertreiben können“, meinte Yuuko abwinkend. „Darüber würde ich mir keine Sorgen machen.“

„Wollt ihr die Hochzeit auf einen anderen Tag verschieben?“, fragte nun Susumu.

„Erst mal nicht“, gab Hikari zu und senkte den Blick. „Vorerst haben wir sie einfach abgesagt.“

„Hm“, er verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust, „ehrlich gesagt fand ich diese Hochzeit sowieso ein bisschen überstürzt. Du bist immerhin erst einundzwanzig.“

Hikari entging der warnende Blick nicht, den Yuuko ihm zuwarf.

„Ja, fand ich auch“, stimmte Taichi ihm jedoch zu.

Hikari starrte nur auf ihre Hände, die auf ihren Knien lagen. Wenn sie ihre Familie so reden hörte, konnte sie nicht anders, als irgendwo in der hintersten Ecke ihres Herzens ein klein wenig Erleichterung zu empfinden. Nicht, weil sie ihr Kind verloren hatte, oh nein. Sondern eher, weil ihr Leben nun erst einmal doch so weiterlaufen würde wie bisher. Aber das schloss ja auch mit ein, dass sie ihr Kind verloren hatte! Sie kaute auf ihrer Unterlippe und fühlte sich auf einmal schrecklich.

„Aber ihr zieht trotzdem noch zusammen, oder?“, riss Yuuko sie wieder aus ihren Gedanken.

Der Umzug! Hikari neigte dazu, den Umzug ständig zu verdrängen. Im Moment standen einfach wichtigere Dinge im Vordergrund. Auch der Umzug in eine gemeinsame Wohnung hatte nur wegen des Babys stattfinden sollen. Aktuell fühlte sie sich nicht stark genug für einen Umzug. Sie wäre wesentlich weiter weg von der Uni als jetzt. Und von Takeru. Dafür natürlich jeden Tag mit Willis zusammen.

„Ich… ja“, murmelte sie zögerlich.

„Immerhin bleibt ihr ja auch trotzdem noch ein Paar. Da könnt ihr also auch zusammenziehen“, meinte Taichi nachdenklich. „Lang kannst du ja eh nicht mehr im Wohnheim bleiben.“

 

Den Abend des nächsten Tages verbrachte Hikari bei Takeru. Sie sahen sich auf seinem Laptop irgendeine willkürliche Komödie an und aßen nebenbei Chips. Willis hatte sie davon nichts erzählt. Sie war sich sicher, dass er es nicht gern hören würde, dass sie schon wieder einen Abend mit Takeru verbrachte. Er schien noch immer ein wenig angefressen zu sein, weil Takeru bei ihr übernachtet hatte. Hikari befürchtete, dass er jetzt eine andauernde Eifersucht auf Takeru entwickeln könnte.

Noch einmal hatte Hikari mit Takeru über ihren verlorenen Sohn geredet. Dann hatte sie von dem gestrigen Nachmittag bei ihrer Familie berichtet.

„Ich vergesse ständig, dass ich bald umziehe“, murmelte Hikari ein wenig amüsiert. „Ganz schön dämlich, oder?“

„Hm… nein. Du hast eben gerade andere Dinge im Kopf und kannst dich nicht auf einen Umzug konzentrieren“, meinte er sachlich. „Ich schätze, das ist bei so einem Erlebnis normal.“

„Aber ich fühle mich ein bisschen schlecht deswegen“, nuschelte Hikari und schob sich eine weitere Handvoll Chips in den Mund.

„Willst du denn… überhaupt noch umziehen?“ Sie saßen nebeneinander auf Takerus Bett, mit dem Rücken an der Wand lehnend, und er musterte sie von der Seite. Hikari starrte weiter auf den Laptop, der zwischen ihnen stand.

„Ich… naja, es gibt ja eigentlich ohne Baby keinen Grund mehr zum Zusammenziehen“, stammelte sie. „Also ich meine… unsere Beziehung hat ja auch so gut funktioniert, ohne dass wir zusammenwohnen. Vielleicht tun sich ja auch neue Probleme auf, wenn wir jetzt zusammenziehen und dann gefährdet das unsere Beziehung. Es ist ja seit der Geburt und der Absage der Hochzeit sowieso schon schwierig.“

„Das klingt nicht, als würdest du es wollen“, stellte Takeru nüchtern fest.

Hikari spielte nervös an ihren Fingern. „Ich weiß es nicht“, seufzte sie.

„Du solltest es nicht überstürzen“, meinte er ernst.

„Aber… wenn ich ihm jetzt sage, dass ich erst mal nicht mit ihm zusammenziehen will, denkt er vielleicht, irgendetwas würde mit uns nicht stimmen“, widersprach sie.

„Bist du denn sicher, dass zwischen euch alles stimmt?“

„Jetzt frag‘ doch nicht so viel.“ Sie verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.

„Mann Kari, du sollst es einfach nicht überstürzen. Wenn du dir nicht sicher bist, dass du das willst, solltest du es lassen.“

„Aber dann gibt es wieder Stress.“

„Du hast viel mehr Stress, wenn du etwas tust, was du nicht willst.“

„Keru“, seufzte sie schwer und lehnte den Kopf gegen die Wand.

„Schon okay, ich sag‘ nichts mehr“, erwiderte er.

Eine Weile verfolgten sie schweigend den Film, lachten jedoch an den witzigen Stellen nicht. Hikari war ohnehin so sehr in Gedanken an den Umzug versunken, dass sie kaum etwas von der Handlung mitbekam.

„Würdest du denn beim Umzug helfen?“, fragte sie schließlich.

„Klar“, antwortete er ohne zu zögern.

„Und würdest du uns auch ab und an besuchen kommen?“

„Hm“, er schien einen Augenblick nachzudenken, „ich denke, das kann man arrangieren.“

„Oh Keru“, seufzte sie und drehte den Kopf zu ihm. „Ich weiß echt nicht, womit ich dich verdient habe. Und was ich ohne dich machen würde.“

Er erwiderte ihren Blick. „Ich schätze, du wärst total aufgeschmissen ohne mich. Wahrscheinlich wärst du nicht mal so alt geworden ohne mich.“

Sie lächelte leicht. „Jetzt übertreibst du aber.“

„Ach ja?“ Er hob spielerisch eine Augenbraue. „Und was ist mit dem Tag, an dem du zum ersten Mal deine Tage bekommen hast? Ohne mich wärst du doch auf dem Klo verblutet.“

Sie konnte nicht anders. Sie musste leise lachen. „Du bist echt dämlich. Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Das hat mich eben traumatisiert. Oder erinnerst du dich an Makoto und dein erstes Mal mit ihm? Ohne mich wärst du jetzt wahrscheinlich immer noch bei ihm.“

„Ja, klar. Ich wäre natürlich bei ihm eingezogen vor lauter Verzweiflung“, murmelte Hikari sarkastisch, konnte sich jedoch ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

„Und ohne mich hättest du auch gar nicht gewusst, was du bei deinem ersten Mal machen musst“, redete er weiter. Er machte ein gespielt selbstüberzeugtes Gesicht. „Ich bin schon ziemlich toll für dich.“

„Und ohne dich hätte ich wohl immer noch Angst vor Sex“, fügte Hikari flüsternd hinzu.

Er presste die Lippen aufeinander und gleichzeitig verwünschte Hikari sich selbst, dass sie dieses Thema wieder angesprochen hatte. Das war doch inzwischen ewig her und sie hatten nicht mehr darüber geredet.

„Ähm… ich sag‘ ja. Aufgeschmissen“, nuschelte er.

Langsam näherten sich ihre Gesichter einander an. Hikaris Blick wanderte von seinen tiefblauen Augen zu seinen Lippen, die leicht geöffnet waren. Sie erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, ihn zu küssen.

„Vielleicht ein bisschen“, hauchte sie.

Noch näher kamen sie sich. Sie konnte ein paar einzelne Sommersprossen auf seiner Nase erkennen. Sie spürte bereits seinen warmen Atem auf ihren Lippen. Seine Hand berührte ihre Wange und strich ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr. Von dort wanderte sie in ihren Nacken und zog sie sanft an sich. Er legte den Kopf ein klein wenig schief, bevor sich seine Lippen auf ihre legten.

Ein Kribbeln breitete sich in Hikaris Magengegend aus und sie schloss genüsslich die Augen. Auf einen kurzen Kuss folgte ein zweiter, ohne dass ihre Lippen sich zwischendurch voneinander trennten. Beim dritten Kuss öffnete Hikari ihre Lippen ein wenig und er tat es ihr gleich. Sanft vertieften sie den Kuss und Hikari vergaß alles um sich herum. Es gab nur noch sie und ihn hier auf seinem Bett. Alles andere war komplett ausgeblendet. Für einen kleinen Augenblick befanden sie sich in einer völlig anderen Welt und alle Sorgen und Ängste waren vergessen.

Doch dann lösten sie den Kuss und Hikari sah ihn erschrocken an. „Wir dürfen das nicht!“, keuchte sie. „Ich bin vergeben. Hätte fast geheiratet! Das geht nicht!“

„Scheiße, tut mir leid“, erwiderte Takeru stirnrunzelnd und wandte den Blick ab.

Sie biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe und starrte wieder den Bildschirm des Laptops an.

 

Zwei Tage später hatte Hikari beschlossen, Willis von dem Kuss mit Takeru zu erzählen. Vor lauter schlechtem Gewissen hatte sie in den letzten zwei Nächten kaum schlafen können. Der Kuss mit Takeru hätte nicht passieren dürfen, doch sie hatte sich einfach hinreißen lassen. Es hatte sich einerseits so falsch und andererseits wie das einzig Richtige angefühlt. Willis würde sauer auf sie sein, dessen war sie sich sicher. Vor allem, da er ohnehin schon eifersüchtig auf Takeru war. Streng genommen hatte sie ihn nun mit ihrem besten Freund betrogen. Mit dieser Last auf ihrem Gewissen würde sie keine Beziehung weiterführen können. Schon gar nicht, wenn sie irgendwann heiraten wollten.

„Worüber wolltest du mit mir reden?“, fragte er, während sie auf seinem Bett saßen, und musterte sie mit seinen hellblauen Augen.

„Ich muss dir was erzählen“, begann sie kleinlaut.

„Das klingt nicht gut“, stellte er trocken fest.

„Ist es auch nicht.“

Er seufzte und hob eine Augenbraue. „Schieß‘ los.“

„Ich habe… T.K. und ich haben… naja…“ Hikari zögerte, weil sie nicht wusste, wie sie sich ausdrücken sollte. Gab es eine Formulierung, die das, was sie getan hatte, weniger furchtbar klingen ließ?

Willis schloss die Augen und schüttelte ganz leicht den Kopf. „Oh Kari. Bitte nicht.“

Hikari biss sich betreten auf die Unterlippe.

„Bitte sag‘ mir nicht, dass du mit ihm geschlafen hast“, fuhr Willis fort und sah sie wieder an. Auf seiner Stirn hatte sich eine senkrechte Falte gebildet. Sein Blick sprach nur so von Schmerz. Wie relativ oft in letzter Zeit, wenn sie sich sahen.

„Ich habe nicht mit ihm geschlafen!“, widersprach sie heftig.

Er öffnete die Augen wieder und sah sie an. „Sondern?“

Sie holte tief Luft. „Wir haben uns nur geküsst.“

Er stöhnte, stand auf und raufte sich das Haar, bevor er sich zu ihr umdrehte und sie fassungslos anstarrte. „Nur?! Nur geküsst?“

„Es ist einfach so passiert“, erwiderte Hikari.

„Wie kann ein Kuss bitte einfach so passieren? Seid ihr gestolpert und zufällig mit den Mündern aufeinander gefallen?“, fragte er wütend.

Sie schwieg und presste die Lippen aufeinander.

„Kari, ernsthaft. Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll. Erst diese Nacht, jetzt das…“ Er ging zum Fenster und starrte nach draußen.

„Willis“, murmelte sie, stand nun ebenfalls auf und ging langsam auf ihn zu. „Es tut mir leid. Das war nicht geplant.“

„Ja, das hast du auch letztes Mal schon gesagt. Es war nicht geplant“, knirschte er, ohne sie zu beachten.

Sie legte eine Hand auf seinen Arm. „Ich weiß, dass das furchtbar von mir war.“

„Ganz ehrlich“, sagte er, schüttelte ihre Hand ab und starrte sie an, „was lief zwischen euch, als er in deinem Bett geschlafen hat?“

„Nichts!“, rief Hikari schrill.

„Wie soll ich dir das glauben, nachdem du mir jetzt von diesem… Kuss erzählt hast?“, fuhr er sie an.

„Eben weil ich es dir erzählt habe, solltest du mir glauben!“, rief sie.

„Oh wow. Möchtest du eine Urkunde dafür haben, dass du mir deinen Betrug gestanden hast?“ Seine Stimme triefte nur so vor Hohn. „Oh heilige Hikari, womit habe ich so eine ehrliche, vertrauenswürdige Person wie dich verdient?“

Erschrocken starrte sie ihn an. Seine Worte trafen sie tief. Natürlich hatte sie einen Fehler gemacht, aber was er ihr da an den Kopf warf, war einfach nicht fair.

„Wen liebst du mehr? Mich oder ihn?“

„Ich… das kann man überhaupt nicht vergleichen“, antwortete sie abweisend.

„Ach nein?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich denke, das kann man sehr gut vergleichen und ich glaube, du hast eine Wahl getroffen.“

„Ich habe die Wahl getroffen, es dir zu erzählen, weil ich nicht will, dass irgendetwas zwischen uns steht!“, verteidigte Hikari sich verzweifelt. Sie spürte bereits Tränen in ihren Augen brennen.

„Zwischen uns steht nicht irgendetwas, sondern jemand“, zischte Willis, wurde dann jedoch ruhiger. „Du solltest jetzt gehen.“

„Aber Willis, wir müssen doch…“

„Wir müssen gar nichts“, unterbrach er sie. „Geh‘ jetzt einfach.“

„Es sollte doch aber niemand zwischen uns stehen“, murmelte Hikari aufgelöst.

„Dann hättest du es verhindern sollen.“

„Willis…“

„Bitte geh‘.“ Er wandte ihr nun den Rücken zu. Das Gespräch war damit für ihn beendet und Hikari hatte keine andere Wahl, als sein Zimmer zu verlassen.

65. Kapitel, in dem nichts geht

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66. Kapitel, in dem alle die wahre Liebe finden

Zwei Monate später hatte Hikaris Situation sich wieder ein wenig beruhigt. Der Sommer stand vor der Tür und mit den Temperaturen war auch ihre Laune ein wenig gestiegen. Sie redete nicht mehr jeden Tag über den Verlust ihres Sohnes und schien auch über die Trennung von Willis hinweg zu sein, auch wenn dieser seitdem kein Wort mehr mit ihr gesprochen hatte.

Sie waren gerade auf dem Weg zu Takerus Eltern, die vor einer Woche überraschend zusammengezogen waren. Dafür hatte Hiroaki seine Wohnung aufgegeben und sie lebten nun in der von Natsuko. Um das zu feiern, hatten sie ihre Söhne inklusive Anhang zum Essen und Feiern eingeladen.

„Ich finde es immer noch einfach unglaublich, dass deine Eltern jetzt zusammenwohnen“, sagte Hikari kopfschüttelnd.

„Ich habe es auch noch nicht ganz gerafft“, gab Takeru mit einem Grinsen zu. „Da fällt mir ein… ich habe dir nie erzählt, dass ich sie vor ein paar Monaten beim Sex erwischt habe.“

„Du hast was?!“, rief Hikari und blieb wie angewurzelt stehen. „Nicht dein Ernst!“

„Doch.“ Er drehte sich mit gequältem Blick zu ihr um. „Da wollte ich sie besuchen und kam eher als geplant. Sie waren auf der Couch im Wohnzimmer zugange.“

„Oh mein Gott!“ Sie machte große Augen. „Warum hast du mir das nicht erzählt?“

„Weil es mir total peinlich war! Und ihnen auch.“

„Aber sowas musst du mir doch erzählen! Das ist echt unglaublich!“

„Zu dem Zeitpunkt waren sie aber noch nicht zusammen. War alles irgendwie heimlich.“

„Mein Gott, wie zwei Vierzehnjährige.“ Hikari lachte.

„Wem sagst du das?“

„Aber umso besser! Dein größter Wunsch ist in Erfüllung gegangen, T.K.! Ihr seid wieder eine Familie.“ Sie strahlte und setzte sich endlich wieder in Bewegung.

„Ja naja… ich weiß noch nicht so richtig, was ich davon halten soll“, gab Takeru schulterzuckend zu.

„Wieso nicht? Genau das hast du doch immer gewollt“, erwiderte Hikari verwirrt.

„Was, wenn es wieder schief geht? Sie haben sich getrennt, weil mein Vater so wenig Zeit für die Familie hatte und er arbeitet jetzt nicht weniger als vor zwanzig Jahren.“

„Aber jetzt haben deine Eltern keine kleinen Kinder mehr zu Hause, um die sie sich neben der Arbeit kümmern müssen“, gab Hikari zu bedenken. „Das ist doch eine ganz andere Basis als damals. Jetzt kann deine Mutter sicher eher damit leben, wenn dein Vater mal wieder wochenlang zu viel arbeitet.“

„Vielleicht hast du Recht“, meinte er nachdenklich. Schließlich funktionierte diese Beziehung der beiden ja nun schon seit fast einem Jahr. Er hoffte einfach, dass seine Mutter andernfalls schon gemerkt hätte, dass es wieder nichts werden würde.

„Natürlich habe ich Recht. Und jetzt lass‘ uns mal einen Zahn zulegen, sonst kommen wir noch zu spät.“

Yamato, Sora und Yuki waren schon da, als auch Takeru und Hikari endlich eintrafen. Yuki war inzwischen eineinhalb Jahre alt, lief relativ sicher durch die Gegend, konnte kurze Sätze sprechen und war gerade Hiroakis und Natsukos Mittelpunkt. Die beiden saßen auf dem Boden und halfen der Kleinen, mit Bauklötzen einen Turm zu bauen. Takeru und Hikari bekamen nur ein Lächeln zur Begrüßung, bevor sie sich wieder ihrer Enkelin zuwandten.

„Prima machst du das!“, quietschte Natsuko und klatschte in die Hände, als Yuki gerade einen Baustein auf den Turm gelegt hatte. „Du bist wirklich clever. Wer ist mein cleveres Mädchen?“

Takeru warf Yamato und Sora, die auf der Couch saßen und das Geschehen beobachteten, einen verstörten Blick zu. „Was ist denn mit denen nicht richtig?“

Yamato verdrehte zur Antwort die Augen. „Wir wurden genauso begrüßt. Oder auch nicht begrüßt.“

„Das ist ganz schön deprimierend“, grummelte Sora mit einem genervten Gesichtsausdruck.

„Ja. Bekommt bloß niemals Kinder. Sie beachten dich dann einfach nicht mehr.“ Yamato verschränkte die Arme und musterte seine Eltern mit gehobenen Augenbrauen.

„Mama“, sagte Yuki da, rappelte sich vom Boden auf und brachte Sora mit strahlendem Lächeln einen Baustein.

„Danke, Süße“, sagte Sora und nahm ihr den Stein aus der Hand.

„Auch“, quietschte Yuki, griff mit ihren kleinen Fingern nach Soras Hand und zog daran. „Auch!“

Sora seufzte mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. „Das Schöne ist, für das Kind bleibt man die Nummer eins.“ Sie stand auf und setzte sich zu Yuki, Natsuko und Hiroaki auf den Boden.

„Aber auch nur, wenn man die Mama ist“, murmelte Yamato, sodass sie es nicht hören konnte.

„Schon mal was von Geschlechtsumwandlung gehört?“, fragte Takeru ihn grinsend.

„Danke, ich verzichte.“

„Vielleicht solltest du mal genauer darüber nachdenken.“

Hikari kicherte und Natsuko stand endlich auf. „Ich gehe mal das Essen vorbereiten. Komm‘ mit, Takeru, bevor du weiter komische Ratschläge erteilst.“

„Das hast du gehört?“, fragte Takeru ungläubig. „Ich dachte, du hast noch gar nicht bemerkt, dass ich hier bin.“

„Halt‘ mich nicht für blöd, klar?“ Sie gingen in die Küche und Hikari setze sich neben Yamato auf die Couch.

Takeru und Natsuko machten sich daran, das Abendessen aufzutischen. Der Großteil war schon vorbereitet. Natsuko hatte verschiedene kleine Speisen zubereitet, sowohl japanische als auch französische Gerichte, und begann, sie auf Tellern anzurichten.

„Kari sieht wieder besser aus“, bemerkte sie wie beiläufig.

„Oh, du hast gemerkt, dass sie auch hier ist?“, witzelte Takeru.

Sie warf ihm einen genervten Blick zu. „Nun ist es aber gut, sonst gibt’s kein Essen für dich.“

„Ja, es geht ihr ganz gut“, meinte er nun ernst.

„Das freut mich. Ich habe mir wirklich Sorgen um sie gemacht“, erwiderte Natsuko. „Sie war schon immer so zart und empfindlich und dann passiert ihr auch noch so etwas.“

„Sie ist stärker, als sie aussieht“, widersprach er.

„Ja, sie ist erwachsen geworden. Ihr seid beide erwachsen geworden.“ Sie sah ihn vielsagend an. „Wie sieht es denn aus? Hast du eine Freundin in Aussicht?“

„Ähm…“ Verwirrt hielt er inne, Baguette in Scheiben zu schneiden. „Nicht wirklich.“

„Hm. Nicht mal in Aussicht“, murmelte Natsuko nachdenklich vor sich hin.

„Ja und?“, erwiderte er ein wenig gereizt.

„Naja, du bist fast dreiundzwanzig. Das ist durchaus ein Alter, in dem man den Partner fürs Leben kennenlernt“, erklärte sie langsam.

„Ich bin in fast einem halben Jahr dreiundzwanzig“, entgegnete Takeru genervt. „Soll ich mir jetzt etwa irgendeine von der Straße aufsammeln, nur damit ich in einer Beziehung bin?“

„So meine ich das doch gar nicht“, seufzte Natsuko resigniert. „Ich meine nur, dass ich nicht verstehe, warum ein hübscher, netter junger Mann noch nie für längere Zeit eine Freundin hatte.“

„Mama…“

„Nicht schon wieder in diesem Ton!“, wies sie ihn zurecht. „Ich meine es doch nur gut mit dir.“ Sie drehte sich zu ihm und sah ihn durchdringend an. In ihren Augen erkannte Takeru seine eigenen Augen wieder. „Takeru…“, begann sie verheißungsvoll und legte eine Hand auf seinen Arm.

„Ja?“ Argwöhnisch erwiderte er ihren Blick.

„Ich möchte, dass du weißt, dass wenn du… also… wenn du Männer lieber hast als Frauen, dann ist das völlig in Ordnung. Das musst du nicht geheim halten. Für mich und Papa wäre das total okay.“

Einen Augenblick lang war Takeru sprachlos. „Tja, also… cool, dann kann ich es ja jetzt sagen. Ich habe seit sechs Jahren einen Freund und habe mich nur nie getraut, ihn euch vorzustellen. Aber jetzt, da ich euren Segen habe, werde ich ihn euch morgen vorstellen.“

Nun war es Natsuko, der die Worte fehlten. Mit offenem Mund starrte sie ihn an und schien zu überlegen, was sie erwidern sollte.

„Das war ein Scherz“, sagte Takeru trocken. „Ich bin nicht schwul, Mama. Ich bin sehr sicher nicht schwul.“

Sie brauchte noch einige Sekunden, doch dann lachte sie ein wenig hysterisch. „Okay. Wenn das so ist, dann… okay. Schön.“

Takeru verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Was hatte diese seltsame Unterhaltung denn nur zu bedeuten?

„Aber dann verstehe ich trotzdem nicht, warum du keine Freundin hast“, sagte Natsuko nun und machte sich wieder an die Arbeit.

„Es war eben noch keine Passende dabei“, grummelte er und zuckte mit den Schultern. Wenn seine Mutter wüsste, wie viele Mädchen er schon getestet hatte…

„Das heißt, du hast aber wenigstens ein paar Verabredungen?“, mutmaßte sie.

„Könnte man so sagen.“

„Gut.“ Sie nickte und schien endlich so zufrieden zu sein, dass sie das Thema wechselte. „Wie läuft es mit deinem Buch?“

„Ganz gut soweit. Es hat sich ein Verlag gemeldet, der die Geschichte so verlegen würde, wie sie ist“, antwortete Takeru.

„Oh, wirklich?“, erwiderte Natsuko überrascht. „Mit dem Ende?“

„Ja. Und so schlimm ist das Ende nun auch wieder nicht“, murmelte er ein wenig gereizt. Er verstand nicht, dass sowohl Yamato als auch seine Mutter sich ständig über das Ende ausließen. Es war doch nicht Takerus Schuld, dass im Leben der beiden doch noch alles glatt gelaufen war in Liebesdingen. Deshalb galt das noch lange nicht für alle anderen Menschen. Und es wäre doch ziemlich daneben, nur Bücher zu veröffentlichen, an deren Ende alle glücklich waren.

„Es ist nicht schlimm. Nur ein wenig… unbefriedigend“, kommentierte Natsuko nachdenklich. „Aber es freut mich, dass es jetzt veröffentlicht wird. Du solltest dich viel mehr darüber freuen!“

„Ich freue mich doch“, erwiderte er. „Ich kann es nur noch nicht so ganz glauben.“

„Ich auch nicht. Das ist wirklich eine große Sache“, meinte sie euphorisch. „Vielleicht startest du jetzt eine ganz neue Karriere.“

„Oder es floppt total“, seufzte Takeru.

„Ach was, es floppt bestimmt nicht. Du wirst schon sehen. In zwei Jahren bist du Millionär.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter und grinste ihn an.

„Haha“, machte er trocken.

„Abwarten, mein Lieber.“ Sie zwinkerte verschwörerisch. „So und jetzt habe ich langsam echt Hunger.“

 

Es wurde ein überaus angenehmer Abend voll guter Laune und mit etwas zu viel Alkohol. Die kleine Yuki wurde am Abend in ihr Reisebett gepackt und würde die Nacht bei ihren Großeltern verbringen, worüber vor allem Yamato sich freute. Er hatte Takeru in einer ruhigen Minute zu verstehen gegeben, dass sein Liebesleben unter dem Kind litt und dass dies seine erste Nacht mit Sora ohne Yuki war.

„Ich liebe die Kleine über alles, aber in der Hinsicht ist es echt anstrengend“, murmelte er.

„Aber sie ist doch noch so klein, dass sie eh nichts mitbekommt“, antwortete Takeru ein wenig verständnislos.

„Trotzdem fühlt man sich beobachtet und muss sich zurückhalten, damit sie nicht aufwacht“, grummelte Yamato mit finsterer Miene.

„Danke, dass du mir einen Einblick lieferst, wie ihr die Nacht verbringen werdet.“

Nun lachte er und verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter. „Ach komm‘ schon. Du bist doch kein Kind mehr.“ Ein dreckiges Grinsen schlich sich auf seine Lippen, sodass Takeru schon skeptisch die Augenbraue hob. „Als ob du und Kari die Nacht anders verbringen würdet.“

„Alter, wenn du jetzt wieder damit anfängst…“, fing Takeru mit drohender Stimme an, doch Yamato machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Jaja, schon gut. War ja nur ein Witz. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass ihr es doch irgendwann mal auf die Reihe bekommt.“

Takeru wusste nicht, was er von dieser Bemerkung halten sollte. Natürlich hatte sein Bruder ihn immer damit genervt. Wie oft hatte er ihm Tipps geben wollen, wie aus ihm und Hikari doch noch etwas werden konnte? Wie oft hatte Takeru ihm klar gemacht, dass das keinen Sinn hatte und wie oft war Yamato das egal gewesen? Und nun glaubte selbst er nicht mehr daran.

„Kein Grund, gleich so ein Gesicht zu machen“, meinte Yamato und stieß mit dem Ellbogen gegen seinen Arm. „Das Mädchen deiner Träume kommt schon noch. Und bis dahin lässt du einfach deinen Trieben freien Lauf.“

„Matt, du bist echt dämlich“, murmelte Takeru, sodass Yamato erneut lachte.

„Aber jetzt mal im Ernst“, sagte er dann und wurde tatsächlich ernst. „Tai und ich hatten letztens so eine Idee.“

„Aha?“ Argwöhnisch hob Takeru eine Augenbraue.

„Wir dachten uns, wir könnten mal wieder etwas zu viert unternehmen. Das haben wir doch schon ewig nicht mehr gemacht.“

„Ja…“

„Und wir dachten da eventuell ans Rock in Japan.“

Überrascht sah Takeru ihn an. Das Rock in Japan war ein beliebtes Festival in Hitachinaka, ganz in der Nähe von Tokio. Dort traten hauptsächlich nationale Rock- und Popbands auf, jedoch auch einige internationale Künstler. Das Festival ging über drei Tage und fand Anfang August statt.

„Wir dachten, es könnte vielleicht witzig werden und bestimmt würde es Kari gut tun, mal ein bisschen die Sau rauszulassen.“ Sie sahen beide zu Hikari, die sich gerade mit Sora und Hiroaki unterhielt.

„Klingt eigentlich gar nicht schlecht“, meinte Takeru nachdenklich. Es würde ihnen sicher allen gut tun, mal raus zu kommen und ein paar Tage lang den anstrengenden Alltag komplett zu vergessen.

„Dann bist du also dabei? Super.“ Yamato grinste. „Wir könnten Kari ja damit überraschen. Wir tun einfach so, als würdest du mit ihr einen Ausflug machen und dann landet ihr zufällig beim Festival.“

„Hm.“ Takeru überlegte, ob Hikari sich über so eine Überraschung wohl freuen würde. Wahrscheinlich schon. Sie hatte öfter erwähnt, dass sie es schade fand, dass sie gar nichts mehr zu viert unternahmen und sie die alten Zeiten vermisste. Also sollte diese Idee sie eigentlich begeistern. „Ich glaube, das könnten wir so ins Auge fassen.“

67. Kapitel, in dem Japan rockt

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68. Kapitel, in dem der Zauber verfliegt

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69. Kapitel, in dem Takeru ein Schwächling ist

Zwei Wochen nach dem Festival klingelte es Sturm an Takerus Zimmertür. Verwirrt und ein wenig verärgert über den aggressiven Besucher öffnete er die Tür.

„Was zum…“ Verwirrt sah er Hikari an, als sie auch schon wortlos an ihm vorbei in sein Zimmer lief. „Komm‘ doch rein.“

„Du musst mir mal was erklären!“, verlangte sie, griff in ihre Tasche und zog ein Buch heraus. Sie hielt es ihm vor die Nase und musterte ihn vorwurfsvoll. Es war sein Buch. „Was hat das zu bedeuten?“

„Ähm…“

„Du hast ein Buch geschrieben?“, fragte sie, bevor er eine richtige Antwort geben konnte. „Und es wurde auch noch veröffentlicht?“

„Ähm…“

„Und du hast mir nichts davon gesagt?“ Geräuschvoll ließ sie das Buch auf seinen Schreibtisch fallen, stemmte die Hände in die Hüften und fixierte ihn mit strengem Blick.

„Hika, das war alles so unsicher. Ich wusste lange Zeit noch nicht mal, dass ich es überhaupt an Verlage schicken würde“, murmelte er und kratzte sich am Hinterkopf.

„Aber wieso hast du mir nicht mal erzählt, dass du an einem Roman schreibst? Ich meine, das ist doch eine große Sache!“, rief sie und gestikulierte mit den Händen. „Ich gehe heute nichts ahnend in die Buchhandlung, weil ich schon lange nicht mehr dort war, gucke in die Abteilung mit den Neuheiten und lese dort deinen Namen. Ich dachte erst, das kann ja nur ein Zufall sein, dass da einer so heißt wie du. Aber nein, hinten ist ein Foto von dir und sogar ein kleiner Text über dich! Ich dachte, ich spinne!“

„Kari, es war nicht so, dass ich es geheim halten wollte. Es war halt… einfach irgendwie meins. Ich habe es nur meiner Mutter und Matt zum Lesen gegeben“, erklärte er ruhig.

„Was? Und mir nicht?“ Verletzt starrte sie ihn an. „Warum durfte ich das nicht wissen? Warum erfahre ich das erst durch Zufall?“

„Hast du die Inhaltsangabe gelesen?“, fragte er.

„Natürlich! Immerhin ist es ein Buch von dir! Da interessiert es mich doch brennend, worüber du schreibst!“, erwiderte sie energisch.

„Und trotzdem fragst du?“

Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Ich weiß nicht, was du meinst. Was soll das, Takeru? Ich dachte, wir können über alles reden und erzählen uns alles. Und dann startest du so eine Riesensache hinter meinem Rücken. Warum durfte ich davon nichts wissen?“

„Ich habe es nicht gemacht, um dich zu verletzen, okay?“, entgegnete er nun etwas verärgert.

„Weswegen denn dann? Wenn du nämlich sowas abziehst, denke ich, dir liegt nichts mehr an unserer Freundschaft!“

„Das ist totaler Schwachsinn und das weißt du auch. Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun.“

„Ach ja, weiß ich das? Ich dachte auch, das mit uns wäre was Besonderes. Eben weil es das immer war. Vor allem in den letzten Wochen und nach dem Festival. Aber wenn du mir von so einer lebensverändernden Sache rein gar nichts erzählst, muss ich mich fragen, ob du mir überhaupt vertraust. Immerhin war ich dir ja nicht wichtig genug, dass du mir sowas erzählst!“, rief sie erhitzt.

Etwas Besonderes. Ja, das war es wohl gewesen und sie erwähnte es sogar. Nur waren sie in den letzten zwei Wochen so miteinander umgegangen, als wären sie ganz normale Freunde, zwischen denen nie etwas passiert war, sodass Takeru gedacht hatte, sie würde es wieder verdrängen wollen.

„Ich frage mich gerade, ob du in den letzten Jahren überhaupt irgendwas verstanden hast!“, fuhr er sie an, sodass sie erschrocken zusammenzuckte. „Verdammt, ich war so verliebt in dich! Du hast mir mehr als einmal klargemacht, dass das nichts wird und das war auch okay für mich! Echt, ich konnte damit leben! Als du mit Willis ankamst, wurde es ziemlich schwer und ich habe mit dem Schreiben angefangen! Das hat mir einfach geholfen, mit mir selbst klarzukommen. Das und der Kontakt zu irgendwelchen Mädchen, die mir nie was bedeutet haben, weil ich dich einfach nicht aus dem Kopf kriegen konnte, egal wie sehr ich es auch versucht habe. Aber es war in Ordnung für mich. Ich wollte deinem Glück nie im Weg stehen und irgendwie mochte ich Willis sogar. Er war besser als die, die du davor hattest. Dann wollte ich es doch noch mal versuchen und du erzählst mir, dass du schwanger bist. Für mich war das schlimm, weil ich wusste, dass ich dich wohl für immer aufgeben muss. Zumindest in dieser Hinsicht. Das Schreiben hat mir in der Zeit so viel geholfen, mit all dem fertig zu werden. In den Hauptfiguren steckt so viel von dir und mir drin. Ich habe das gebraucht, um es zu verarbeiten. Verstehst du jetzt, warum du nicht die richtige Person warst, um darüber zu reden?“

Schließlich war auch dieses Geheimnis aus dem Weg geräumt. Nun war ihr Blick schmerzerfüllt und ihre Augen glänzten feucht. „Keru…“ Sie kam einen Schritt auf ihn zu, doch er wich zurück.

„Nein, tu‘ das nicht“, sagte er leise.

„Es tut mir…“

„Nein!“

Sie kam weiter auf ihn zu, er konnte nicht mehr zurückweichen. Er lehnte bereits mit dem Rücken am Schrank.

Er wollte ihr Mitleid nicht. Sie sollte ihn nicht wieder umarmen und ihm sagen, wie leid es ihr tat, dass aus ihnen nichts wurde. Das würde er nicht aushalten. Nicht schon wieder.

„Kari, hör‘ auf“, murmelte er mit gesenktem Blick.

Schließlich kam sie vor ihm zum Stehen, sah zu ihm auf und tat etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn zärtlich. Takeru war vor Überraschung wie erstarrt. Was war das jetzt? Ein neues Level der Friendzone? Würden sie sich ab jetzt immer küssen und miteinander schlafen, wenn sie sich trösten wollten oder ihnen einfach langweilig war? Freundschaft plus plus?

Er verspürte den Drang, sie von sich zu stoßen. Sie ließ nicht locker, küsste immer wieder sanft seine Lippen und seine Mundwinkel, bis er sich endlich doch darauf einließ. Er verschränkte die Hände in ihrem Lendenbereich und zog sie ein wenig näher an sich. Ihr süßer Geschmack auf seiner Zunge war mittlerweile so vertraut. Zu oft hatten sie diese Zärtlichkeiten inzwischen schon ausgetauscht, als dass er ihren Geschmack jemals wieder vergessen könnte. Was war er doch für ein Schwächling.

„Takeru, ich liebe dich“, flüsterte sie schließlich.

Er öffnete die Augen und sah sie an. „Was?“

„Ich liebe dich“, wiederholte sie und sah ihm dabei fest in die Augen. „So sehr.“

„Verarschst du mich gerade?“ Das war nicht gerade eine passende Antwort auf so ein Geständnis, doch er wusste nicht, ob er ihr glauben sollte, was sie da gerade sagte.

„Nein. Schon so lange“, nuschelte sie.

Seine Beine gaben nach und er rutschte langsam an seinem Kleiderschrank herunter. Hikari ließ sich von ihm mitziehen und sie landeten auf dem Boden.

„Kannst du mir verzeihen, dass ich so lang total bescheuert war?“, murmelte sie und lehnte sich gegen ihn.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte er leise.

„Ich dumme Kuh bin schon eine gefühlte Ewigkeit in dich verknallt, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Ich dachte, wenn wir irgendwas Ernstes miteinander anfangen würden, gefährdet das unsere Freundschaft und ich wollte dich auf keinen Fall verlieren. Deswegen habe ich das die ganze Zeit verdrängt“, stammelte sie.

Takeru erinnerte sich, dass sie ihm schon einmal gesagt hatte, dass sie Gefühle für ihn hätte, aber ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen wollte.

„Ich war einfach viel zu feige gewesen die ganze Zeit“, sagte sie.

„Seit wann?“, fragte er knapp.

„Hm“, sie schien einen Augenblick nachzudenken, „ich glaube, als wir unseren Abschlussball hatten, ist mir das erste Mal aufgefallen, wie gut du eigentlich aussiehst. Und ab da muss das so langsam angefangen haben.“

„Das ist fast viereinhalb Jahre her.“

„Ich sag’s ja: Verdrängung.“ Sie seufzte leise. „Ich dachte einfach, wir würden als Freunde viel besser funktionieren als als Paar. Aber irgendwie… ich meine, ich war auch wirklich in Willis verknallt. Aber es war trotzdem ganz anders als bei dir.“

Er nickte langsam. Noch immer konnte er nicht so ganz glauben, was sie ihm gerade erzählte. Es fühlte sich an wie ein Traum.

„An diesem Abend, als du zu mir kamst und mich gebeten hast, mich von Willis zu trennen… erinnerst du dich?“

„Ja.“ Wie konnte er das jemals vergessen?

„Wäre ich nicht schwanger gewesen, hätte ich es gemacht“, gestand sie. „Aber dein Timing war echt Mist.“

„Naja… es ist nicht gerade die feine Art, seine beste Freundin zu bitten, sich von ihrem Freund zu trennen. Ich glaube nicht, dass es dafür überhaupt einen guten Zeitpunkt gibt“, meinte er.

„Wenn man es aus Willis‘ Sicht betrachtet wohl eher nicht“, gab sie zu.

Sie schwiegen einen Augenblick und noch immer versuchte Takeru, zu verarbeiten, was er in den letzten Minuten gehört hatte. Es erschien ihm alles nicht real. Wahrscheinlich würde er gleich aus einem Traum erwachen.

„Tut mir leid mit dem Buch. Dass ich es dir nicht erzählt habe, meine ich“, sagte er.

„Nein, schon gut. Ich verstehe deine Gründe“, erwiderte sie und schüttelte den Kopf. „Und außerdem bin ich die Einzige, die sich entschuldigen muss. Dafür, dass ich so lange gebraucht habe, um zu kapieren, dass du eigentlich der Richtige bist.“

Er wusste nicht, was er sagen sollte, sondern schüttelte einfach nur den Kopf. Sie brauchte sich doch nicht zu entschuldigen. Sie hatte eben einfach Angst gehabt, das konnte er verstehen.

„Doch. Du bist immer für mich da gewesen und ich habe immer meinen ganzen Müll bei dir abgeladen. Egal, was war, ich kann mich immer auf dich verlassen. Das war schon immer so. Und ich habe den Eindruck, dass ich immer nur an mich gedacht habe. Dabei muss es manchmal echt scheiße für dich gewesen sein.“ Ihre Stimme war mit jedem Satz leiser geworden.

„Hör‘ auf damit“, erwiderte er nachdrücklich und lehnte seinen Kopf gegen den Schrank hinter sich. „Ich habe mich nie als Mülleimer gefühlt.“

Sie richtete sich auf und kletterte über ihn hinweg, sodass sie nun vor ihm kniete. Liebevoll legte sie ihre Hände an sein Gesicht und sah ihm in die Augen.

„Diese Nacht auf dem Festival war so unglaublich schön“, flüsterte sie. „Und der Morgen danach.“

„Ja, fand ich auch“, erwiderte er lächelnd.

„Weißt du, wie sehr mich deine Weibergeschichten genervt haben?“, fragte sie nun und runzelte die Stirn.

„Warst du wirklich eifersüchtig?“, fragte er ungläubig.

„Total. Ich sag‘ doch, dass ich total bescheuert bin.“

Er lachte leise. „Irgendwie schon, ja.“

„Willst du mich trotzdem noch?“, fragte sie und wurde auf einmal wieder ernst. Ihr Blick war fast schon ein wenig ängstlich.

„Hika“, murmelte er und strich ihr durchs Haar, „ich glaube, es gibt nichts, was ich lieber will.“

Sie lächelte erleichtert. „Ich liebe dich, Keru.“

„Ich liebe dich auch.“

Und wieder küssten sie sich zärtlich und für Takeru fühlte es sich plötzlich an wie der Himmel auf Erden. Sie löste so viele starke Gefühle in ihm aus, dass er dachte, er würde explodieren. Ihre Berührungen hinterließen ein Kribbeln auf seiner Haut und ihr Geschmack in seinem Mund ein Prickeln. Seine Hand lag auf ihrem Po und drückte sie ein wenig näher an sich. Schon spürte er wieder diese unglaubliche Erregung in sich aufsteigen.

Doch war das jetzt die richtige Gelegenheit für so etwas? Sollten sie nicht lieber erst einmal über all das sprechen, was sie sich in den letzten Jahren verschwiegen hatten? Hatte das nicht erst einmal Vorrang vor dem körperlichen Aspekt?

Ein wenig widerwillig löste Takeru den Kuss, legte seine Hände auf ihre Schultern und schob sie sanft von sich. Verunsichert sah sie ihn an.

„Ähm… also machen wir jetzt was Offizielles draus?“, fragte er zögerlich.

Sie lächelte leicht und nickte. „Das wäre schön.“ Schon setzte sie wieder dazu an, ihn zu küssen, doch er hielt sie auf.

„Warte mal. Gibt es da nicht noch ein paar Sachen, über die wir reden müssten?“

Einen Augenblick lang sah sie ihn nachdenklich an. „Ja“, murmelte sie und zog ihr Oberteil aus.

Verwirrt und gleichzeitig amüsiert beobachtete Takeru, wie sie es achtlos zu Boden gleiten ließ. „Ich glaube, zum Reden muss man sich nicht ausziehen.“

„Stimmt“, gab sie ihm Recht, sah ihm in die Augen und öffnete ihren BH. Auch dieser landete auf dem Boden und entblößte somit ihre Brüste.

„Kari, ich mein’s ernst“, sagte er lachend, konnte jedoch nicht leugnen, dass sie ihn erregte.

„Ich auch“, schnurrte sie und ihre Hände wanderten zu seiner Hose. Gleichzeitig legte sie sanft ihre Lippen wieder auf seine und diesmal wehrte Takeru sich nicht. Na schön, dann würden sie eben danach reden. Der Tag war noch lang genug.

Ach was, Tag. Nun, da sie endlich offiziell ein Paar waren, hatten sie noch ihr ganzes restliches Leben Zeit, über alles zu reden, was sie jemals beschäftigt hatte und je beschäftigen würde. Zweiundzwanzig Jahre hatte es gedauert, bis sie beide begriffen hatten, dass sie zueinander gehörten. Dass aus Freundschaft Liebe werden konnte. Dass aus etwas Perfektem etwas noch Perfekteres werden konnte. Was war da schon ein einziger Tag?

Natürlich hätte es schon vor Jahren klappen können, wenn sie beide mutiger gewesen wären und sich ihren Gefühlen gestellt hätten. Doch irgendwann würde wohl immer das zusammenkommen, was zusammen gehörte. Und noch hatten sie alle Zeit der Welt, ihre Beziehung zu genießen.

70. Kapitel, in dem Takeru und Hikari ihr Studium abschließen

Es war Ende März und Takeru und Hikari hatten endlich ihr Studium beendet. Alle Studenten, die in diesem Semester den Masterabschluss erhalten hatten, trafen sich zu einer riesigen Party in einer extra zu diesem Anlass gebuchten Festhallte. Auch Familienmitglieder waren eingeladen. Die Frauen trugen kurze Kleider und auch die Männer kleideten sich in Hemden. Es war nicht ganz so glamourös wie zu ihrem Abschlussball, aber dennoch festlich. Die Halle war passend zum Anlass geschmückt mit Blumen und Girlanden.

Hikari war, wie schon zu ihrem Abschlussball, mit ihren Eltern, Taichi und Mimi gekommen. Auch Takerus Eltern, Yamato und Sora waren mit Yuki da. Sie alle wollten sich das Abschlussfest nicht entgehen lassen.

Hikari und Takeru waren nun schon seit sieben Monaten ein Paar und noch immer hatte Hikari das Gefühl, sie könnte nicht glücklicher sein. Seit Anfang März wohnten sie sogar zusammen. Sie waren aus dem Studentenwohnheim ausgezogen und hatten sich eine eigene kleine Wohnung gemietet. Immerhin wären sie jetzt sowieso rausgeschmissen worden. Außerdem hatten beide schon einen Job sicher. Hikari würde an einer Grundschule in Tokio als Lehrerin anfangen und sie würde sogar schon Klassenlehrerin einer ersten Klasse werden. Sie war unheimlich aufgeregt. Takeru würde im April bei einem Sportsender anfangen, wenn auch vorerst eher im Hintergrund. Nebenbei wollte er jedoch weiter Bücher schreiben. Sein erster Roman hatte ihn zwar nicht reich gemacht, war aber dennoch gut angekommen und hatte sich öfter verkauft, als er erwartet hatte. Sogar den ein oder anderen Leserbrief hatte er erhalten und mit Spannung und Stolz gelesen. Auch Hikari war unglaublich stolz auf ihn. Natürlich hatte auch sie sein Buch gelesen, nachdem sie es gekauft hatte, und war begeistert gewesen von seinen Schreibfertigkeiten. Für die Geschichte selbst hätte sie sich jedoch ein anderes Ende gewünscht.

Mit ihrer ganzen Familie saßen sie an einem Tisch und genossen die ausgelassene, fröhliche Stimmung. Sie plauderten und lachten, tranken Bier, Wein und Sekt und planten ihre Zukunft.

Irgendwann machte Hikari sich auf zu Kazumi und Momoko. Auch die beiden hatten ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. Hikari redete eine Weile mit ihnen und fühlte sich allmählich von dem vielen Wein, den sie nebenbei trank, ziemlich benebelt. Sie würde wohl erst einmal auf Wasser umsteigen, bevor sie die Veranstaltung noch vorzeitig verlassen musste.

Sie leerte ihr Glas, entschuldigte sich bei ihren Freundinnen und machte sich auf zur Bar, um sich ein Wasser zu bestellen. Während sie dort stand und auf ihr Getränk wartete, gesellte sich jemand zu ihr, was sie nur aus dem Augenwinkel mitbekam. Sie warf einen kurzen Blick auf denjenigen und erstarrte für einen Moment, als sie Willis erkannte.

„Hey“, begrüßte er sie mit einem angedeuteten Lächeln.

„Hi“, erwiderte sie überrascht. Seit ihrer Trennung hatten sie nicht ein Wort persönlich miteinander gesprochen. Sie hatten kurz darauf noch ein paar Nachrichten geschrieben, doch auch das hatte sich schnell erledigt. Willis war zu verletzt gewesen und Hikari konnte es ihm nicht verübeln. Immerhin hatte sie ihm sehr wehgetan.

„Wie geht’s dir?“, fragte er höflich.

„Ähm… gut, danke. Und dir?“

„Ja, auch. Da haben wir es also beide geschafft, was? Unser Studium, meine ich.“

„Ja. Ich kann es ehrlich gesagt kaum glauben. Es fühlt sich an, als wäre es nur ein Jahr gewesen“, sagte Hikari.

„Geht mir auch so. Die Zeit ist irgendwie vorbeigeflogen.“

Der Barkeeper stellte Hikaris Wasserglas vor ihr ab und verschwand wieder. Willis hob erstaunt die Augenbrauen.

„Wasser? Wir feiern unseren Abschluss“, sagte er spöttisch.

„Ich hab‘ schon zu viel Wein getrunken“, gestand sie schief lächelnd.

„Wein? Was ist denn aus der coolen Biertrinkerin von damals geworden?“, fragte er grinsend.

Hikari kicherte. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie Willis damals im Studentenclub kennengelernt hatte. Damals hatte er ihren Bierkonsum kommentiert. Damit war sie ihm positiv aufgefallen. „Die hat heute Pause. Heute muss ich mal so tun, als wäre ich eine feine Dame.“ Sie deutete einen albernen Knicks an, sodass er leise lachte.

„Du siehst übrigens sehr gut aus“, sagte er und musterte bei der Gelegenheit ihr schwarzes Kleid.

„Danke, du auch“, erwiderte Hikari lächelnd. Er trug ein bordeauxfarbenes Hemd und eine schwarze Hose. Seine hellblauen Augen blitzten nur so aus seinem Gesicht hervor.

Für Willis wurde ein Bier auf dem Tresen abgestellt und er schnappte sich das Glas. „Wollen wir uns irgendwo hinsetzen?“

Sie suchten sich eine freie Tischecke und ließen sich auf zwei Stühlen nieder. „Also, erzähl‘ mal. Hast du schon einen Job?“

„Ja. Ich werde im neuen Schuljahr an einer Grundschule anfangen“, erzählte Hikari vorfreudig.

„Echt? Das freut mich für dich. Du wirst bestimmt eine super Lehrerin“, antwortete er.

„Das hoffe ich.“ Sie redete eine Weile über ihre Schule und er fragte immer wieder nach. Es war wirklich ein angenehmes Gespräch mit ihm, was Hikari nicht erwartet hätte, nachdem er an der Bar plötzlich neben ihr gestanden hatte. Von der anfänglichen Steifheit war nichts mehr übrig und es war, als würde sie sich mit einem guten Freund unterhalten. Fast so, als hätte es diese lange Funkstille zwischen ihnen nie gegeben. „Und wie sieht es bei dir aus? Hast du etwas bekommen?“

„Ja. Ich werde als Bilanzbuchhalter in einer Firma anfangen, die Züge baut“, erklärte er.

„Wow, klingt interessant. Und kompliziert“, sagte Hikari und hob die Augenbrauen.

„Naja, man muss eigentlich nur mit Zahlen umgehen können“, meinte Willis abwinkend.

„Damit hätte ich schon ein Problem.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Und wo ist die Firma?“

„Ähm… in Denver.“

Einen Augenblick lang sah sie ihn sprachlos an. Sie öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, was sie erwidern sollte. „Oh.“

Er nickte langsam.

„Du ziehst also wieder zurück zu deiner Familie?“, fragte sie nach einer Weile.

„Ja. Ich glaube, es wird langsam Zeit. Ist ja auch nicht schlecht, in der Nähe seiner Eltern zu wohnen.“

„Naja oder zumindest nicht zwölf Flugstunden entfernt.“

„Genau.“ Sie redeten ein wenig über seine Firma, wie er an den Job gekommen war und wo er wohnen würde. Dann wurde Hikari bewusst, dass es jetzt vielleicht das letzte Mal war, dass sie Willis sah. Wer wusste schon, ob sie sich noch einmal begegnen würden, wenn er erst einmal in den USA wohnte und sie in Japan?

„Hast du Lust zu tanzen?“, fragte er schließlich und sah sie auffordernd an.

Hikari war dankbar über den Themenwechsel. „Klar.“ Sie gingen zur Tanzfläche und mischten sich unter die tanzenden Paare. Als sie noch in einer Beziehung miteinander waren, hatten sie nicht einmal wirklich zusammen getanzt. Hikari war überrascht, dass er sich beim Discofox so gut anstellte.

„Warum waren wir als Paar eigentlich nie zusammen tanzen?“, fragte Willis, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Das habe ich mich auch gerade gefragt“, entgegnete Hikari lachend.

„Dabei sind wir echt gut“, bemerkte Willis und hob anerkennend die Augenbrauen.

„Finde ich auch“, stimmte sie ihm fröhlich zu.

Es tat gut, so unbeschwert mit ihm umzugehen, nachdem sie monatelang kein Wort miteinander geredet hatten. Sie hatte schon geglaubt, er würde ihr nie verzeihen können. Als Freund hatte sie ihn wirklich vermisst. Er war ein netter, witziger Mensch, mit dem man sich ohne Probleme stundenlang unterhalten konnte. Doch sie wusste, dass es schwierig war, nach einer gescheiterten Beziehung befreundet zu bleiben. Aus Takeru und Mimi waren bis heute keine Freunde mehr geworden. Sie verstanden sich zwar einigermaßen gut, doch das war auch schon alles.

„Und was ist sonst so los bei dir? Hast du jemanden?“, fragte er zögerlich.

Hikari überlegte kurz, ob sie lügen sollte, um ihn nicht zu verletzen. Wenn er hörte, dass sie jetzt mit Takeru zusammen war, wäre er bestimmt nicht begeistert. Doch sie entschied sich dagegen. Takeru hatte es nicht verdient, verleugnet zu werden. „Ja.“

Er nickte. „Takeru?“

Sie sah ihn erstaunt an. „Also…“

„Also ja“, sagte er. „Guck‘ nicht so erschrocken. Das war nicht so schwer zu erraten.“

„Willis…“

„Nein, schon gut. Ist doch okay“, meinte er und zuckte leicht mit den Schultern. „Solange du glücklich bist.“

Sie lächelte verlegen. „Und wie sieht es bei dir aus? Hast du denn jemanden?“

„Nichts Festes“, meinte er locker. „Hätte sich ja auch sowieso nicht mehr gelohnt. Ich schaue mich dann in Colorado um. Obwohl ich ja mehr auf Japanerinnen stehe.“ Er grinste schief.

„Ich bin sicher, dort gibt es ein paar ausgewanderte Japanerinnen“, meinte sie zuversichtlich.

„Ja, vielleicht. Ich werde Japan trotzdem ziemlich vermissen“, sagte er und wirkte wehmütig.

„Du kannst ja jederzeit wieder auf einen Besuch vorbeikommen.“

„Das werde ich sicher hin und wieder mal machen. Ist ja irgendwie sowas wie meine zweite Heimat geworden.“

Sie tanzten das Lied zu Ende und ließen dann einander los.

„Ich gehe mal wieder zurück zu meiner Familie“, erklärte Hikari. „Die fragen sich bestimmt schon, wo ich bin.“

„Alles klar. Wir sehen uns.“ Er küsste sie flüchtig auf die Wange, bevor sie sich umdrehte und zurück zu ihrem Tisch ging.

Takeru warf ihr einen finsteren Blick zu, als sie sich näherte, und nippte an seinem Getränk. Hikari setzte sich mit ihrem Wasserglas in der Hand neben ihn und sah ihn fragend an. „Was ist?“

„Du hast Willis getroffen“, sagte er trocken.

„Na und?“ Erstaunt sah sie ihn an. Seine blauen Augen musterten sie durchdringend.

„Ihr habt euch ja anscheinend ganz schön vermisst.“

Hikari hob eine Augenbraue. „Ja, das haben wir. Er hat mir erzählt, dass er auswandert. Und weißt du was? Ich habe gerade beschlossen, dass ich ihn begeleiten werde, weil ich ihn so doll vermisst habe. Das macht dir doch nichts aus, oder? Wir können Freunde bleiben.“

Takerus Augen weiteten sich und er runzelte fast schon angewidert die Stirn. „Kari, das ist sowas von daneben.“

Ja, in seinem Blick konnte sie erkennen, dass sie ihn mit diesem Blödsinn tatsächlich verletzt hatte. Anscheinend hatte ihn das Erlebnis mit Mimi doch ziemlich geprägt, selbst nach all den Jahren noch. Vielleicht würde er niemals darüber hinwegkommen. „Ich wollte dir nur klarmachen, wie unangebracht und unsinnig Eifersucht hier ist.“

„Wenn man einmal total verarscht wurde, ist man eben misstrauischer“, nuschelte Takeru und wandte den Blick von ihr ab.

„Keru“, sagte sie, legte die Hände an sein Gesicht und zwang ihn somit, sie wieder anzusehen. Vorsichtig legte sie ihre Stirn an seine. „Was soll ich denn mit irgendwem anders, wenn ich dich haben kann?“

„Diese Frage stelle ich mir seit Jahren“, murmelte er.

Hikari lächelte und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Ich will mit dir alt werden und irgendwann neben dir im Schaukelstuhl sitzen und unseren zehn Enkelkindern beim Spielen zugucken. Du bist alles, was ich mir wünsche und seit ich das verstanden habe, interessieren mich überhaupt keine anderen Männer mehr.“

„Bist du gerade dabei, mir einen Heiratsantrag zu machen?“

„Was?!“ Sie ließ ihn los und sah ihn entsetzt an. „Nein! Das überlasse ich gern dir für später.“

Er grinste und küsste sie auf die Wange. „Vielleicht mache ich das tatsächlich irgendwann mal.“

Epilog, in dem ein Kind bleibt

Leise stöhnte Hikari auf und verzog das Gesicht vor Schmerzen. Takeru presste die Lippen aufeinander, als er sie beobachtete. Ihre Hand umklammerte seine so fest, dass es schon weh tat, doch das bemerkte er kaum. Mit der freien Hand streichelte er ihr über den Handrücken.

„Du machst das super“, sagte Kayoko, die Hebamme, und streichelte Hikari über das angewinkelte Knie. „Du darfst nur noch nicht pressen.“

Hikari nickte langsam und sah zu Takeru. Schweiß benetzte ihre Stirn und in ihrem Blick lag Verzweiflung. „Ich hab‘ solche Angst.“

„Das brauchst du nicht“, sagte er und bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. „Alles wird gut. Es ist alles in Ordnung.“

Er fühlte sich ein wenig schuldig an der aktuellen Situation. Immerhin hatte er sie vor knapp einem Jahr dazu überredet, ein Kind zu bekommen. Es war nicht so, dass sie keine Kinder gewollt hatte, doch nach der Totgeburt war sie so verängstigt gewesen, dass sie eigentlich nicht noch einmal hatte schwanger werden wollen. Doch Takeru hatte es geschafft, sie umzustimmen, sodass sie sich von ihrer Ärztin hatte beraten lassen, das Internet durchwühlt und schließlich eingewilligt hatte, es mit einem Kind zu versuchen. Sofort beim ersten Versuch war sie schwanger geworden und alles war von Anfang an besser gelaufen als bei ihrer ersten Schwangerschaft. Zwar war ihr auch einige Wochen lang übel gewesen, jedoch war es nach ihrer Aussage nicht so schlimm wie beim ersten Mal. Auch dem Baby ging es gut. Alles war genau so gewesen, wie es sein sollte. Und doch war Hikari immer nervöser geworden, je näher der Geburtstermin gerückt war. Nicht weil sie Angst vor der Geburt an sich oder den Schmerzen hatte, sondern weil sie befürchtete, sie könnte wider ein totes Kind zur Welt bringen. Jede Kleinigkeit – sei es ein Ziehen im Bauch, eine bisher unbekannte Bewegung des Babys, Kopfschmerzen oder eine Erkältung gewesen – hatte sie nahezu panisch zum Arzt rennen lassen.

Und nun lag sie hier und hatte trotz ordnungsgemäßen Herzschlags des Babys Angst vor einer Totgeburt. Behutsam strich Takeru ihr durchs Haar.

„Denk‘ an was Schönes. Wenn es Laufen lernt. Oder Sprechen. Der erste Tag im Kindergarten. Die Einschulung. Irgendwas.“

Erneut nickte Hikari und stöhnte wieder auf, als eine weitere Wehe sie erfasste. Takeru küsste ihren Handrücken. Er konnte es kaum erwarten, das Baby endlich in seinen Armen zu halten. Sie hatten sich nicht sagen lassen, was es wurde. Sie wollten diesen neuen Lebensabschnitt völlig unbefangen antreten.

„Ich hoffe so sehr, dass es gesund ist“, seufzte Hikari atemlos.

„Wird es“, erwiderte Takeru überzeugt. „Ich bin mir ganz sicher.“

„Mit dem Baby ist alles in bester Ordnung. Und mit der nächsten Wehe kannst du pressen“, mischte Kayoko sich ein.

Hilfesuchend sah Hikari zu Takeru, der schief lächelte. „Besser raus als rein.“

„Nicht hilfreich“, grummelte sie.

Und dann ging es los. Die nächste Wehe ließ sie kurz wimmern, doch dann kniff sie die Augen zu und presste. Es war so anders, als es immer überall gezeigt und erzählt wurde. Hikari gab keinen Mucks von sich. Keine Spur von schmerzerfüllten Schreien und wilden Anschuldigungen Takeru gegenüber. Dafür zerquetschte sie seine Hand. Doch sie japste, als sie wieder Luft holen konnte.

„Du machst das super. Schön neue Kraft sammeln. Es geht gleich weiter“, wies Kayoko sie an.

Hikari rang nach Atem und Takeru streichelte beruhigend ihren Arm. Hikari musste schon ziemlich erschöpft sein und er hoffte, dass sie noch genügend Kraft übrig hatte. Immerhin waren sie schon seit fünf Stunden im Krankenhaus.

Die folgenden Minuten schienen sich ewig hinzuziehen. Unter Kayokos Anweisung presste Hikari, holte keuchend Luft und presste wieder. Takeru fühlte sich unterdessen vollkommen hilflos und unnütz. Er konnte nichts machen, als dort an ihrem Bett zu sitzen, ihre Hand zu halten und ihr hin und wieder mit einem feuchten Tuch die Stirn abzutupfen.

„Ich kann schon das Köpfchen sehen!“, rief Kayoko freudig.

Hikari gab einen wimmernden Laut von sich und Takeru machte Anstalten, nachzusehen, doch sie hielt seine Hand fest und zog ihn zurück.

„Du hast… es versprochen“, keuchte sie.

Schon Wochen vor der Geburt hatte er ihr schwören müssen, nicht hinzusehen, da sie Angst hatte, es könnte ihn traumatisieren und anschließend würde er sie abstoßend finden. Er hatte versucht, ihr zu erklären, dass das Blödsinn war, doch davon hatte sie nichts hören wollen.

Erneut presste Hikari und ein breites Grinsen legte sich auf Kayokos Lippen.

„Der Kopf ist da“, sagte sie freudestrahlend. „Gleich hast du es geschafft. Ich muss es nur ein wenig drehen.“

Auch Takeru konnte nun nicht anders als zu grinsen. Endlich war es soweit. Hikari hingegen schien noch nicht nach Freude zumute zu sein. Ihr Gesicht war noch immer schmerzverzerrt und sie seufzte leise.

„Noch einmal pressen, dann haben wir es“, feuerte Kayoko sie an.

Und Hikari presste ein letztes Mal mit zusammengekniffenen Augen, ein Ruck ging durch ihren Körper und der erste Schrei des Babys ertönte.

„Geschafft!“, rief Kayoko erfreut, die das sich beschwerende Baby in den Händen hielt und sogleich auf Hikaris Brust legte. „Es ist ein Mädchen.“

Geräuschvoll keuchend legte Hikari die Hände auf das winzige Mädchen, das eine graublaue Hautfarbe hatte. Hikari wirkte völlig erschöpft. Tränen liefen ihr über die Wangen, doch ein erleichtertes Lächeln lag auf ihren Lippen.

Überglücklich küsste Takeru sie auf die Stirn und streichelte seinem Baby vorsichtig über das kleine Köpfchen. „Das hast du super gemacht.“

„Möchtest du die Nabelschnur durchschneiden?“, fragte Kayoko lächelnd an Takeru gewandt und hielt ihm eine Schere entgegen.

Seine Hände zitterten, als er seine Tochter von ihrer Lebensader trennte, die sie nun, da sie endlich auf der Welt war, nicht mehr brauchte. Anschließend, während Hikari versorgt wurde, entfernte Kayoko sich mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm und Takeru auf den Fersen, um das Baby zu untersuchen, zu säubern und anzuziehen. Takeru sah aufmerksam dabei zu, wie seine winzige, sich beschwerende Tochter gemessen, gewogen, gewaschen und gewickelt wurde. Er durfte helfen, sie anzuziehen, wobei er Angst hatte, ihr wehzutun. Kayoko jedoch bestand darauf, dass er es selbst machte und gab ihm gut gelaunt Anweisungen. Schließlich steckte die Kleine in ihrem ersten Strampler und Takeru trug sie behutsam zurück zu Hikari. Lächelnd nahm sie das Baby in ihre Arme und Takeru ließ sich wieder neben ihr auf dem Hocker nieder. Verliebt betrachteten sie beide das Leben, das sie erschaffen hatten.

„Wie soll sie denn heißen?“, fragte Kayoko und musterte alle drei erwartungsvoll.

Takeru tauschte einen Blick mit Hikari, bevor sie gleichzeitig antworteten. „Sumiko.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hat noch irgendjemand als Kind bestimmte Wörter, die er irgendwo aufgeschnappt und nicht verstanden hat, einfach in bekannte Wörter umgewandelt und die Tatsachen verdreht? :D
Ich erinnere mich noch an folgende Situation: Meine Eltern erklärten mir eines Tages, wir ginge unser Grundstück ansehen. Klein-Juju denkt sich: Grundstück? Was soll das denn sein? Dann habe ich das Wort so lang umgeformt, bis ich "Rummel" erhielt und der Überzeugung war, wir gingen auf einen Rummel. Die Enttäuschung war groß, als wir vor einem Stück leerem Acker standen mit unfertigen Häusern um uns herum. :D Laaaaangweilig war das.
So viel also zur Einbringung eines persönlichen Erlebnisses.

Ach und irgendwie hat Animexx mir anscheinend zwei Kommentare zum ersten Kapitel gelöscht. :( Ich habe sie gelesen, doch irgendwann waren sie nicht mehr da. Leider habe ich mir nicht gemerkt, wer sie geschrieben hat. Also ihr lieben unbekannten Kommentarschreiber, wenn ihr das jetzt lest, müsst ihr wissen, dass ich eure Kommentare nicht gelöscht habe! Ich lösche grundsätzlich keine Kommentare, egal, wie schön sie sind oder wie sehr sie mich aufregen. Eure waren natürlich schön und haben mich gefreut. Umso trauriger, dass sie jetzt verschollen sind. :/ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Haha okay. Das Kapitel ist eigentlich nur dazu da, um die Beziehung der vier ein bisschen zu verdeutlichen. Daher etwas nichtssagend. :P
Das nächste kommt bald. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Weiter gehts. Ein kleiner Einblick in das Yagamische Familienleben. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hätte auch gern große Brüder. :P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es geht langsam, ganz langsam voran. xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ist jemandem aufgefallen, dass ich den kurzen Dialog aus der ersten Folge von 02 übernommen habe? :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe eine Weile nichts von mir hören lassen, da ich letzten Monat umgezogen bin und viel um die Ohren hatte. Jetzt ist es hier ein bisschen ruhiger geworden und Internet hab ich auch endlich, also gibt es ein neues Kapitel. :D
Aber ich habe noch eine kleine schlechte Nachricht für die Kommentatoren, obwohl es ja gar nicht so viele gibt moment. :P Das Beantworten von Kommentaren nimmt leider ziemlich viel Zeit in Anspruch und momentan ist bei mir die Zeit etwas knapp und wird es auch in den nächsten Monaten sein. Deshalb bitte seid mir nicht böse, wenn ich nicht mehr alle Kommentare einzeln oder nicht sonderlich ausführlich beantworte. Ich freue mich natürlich über jedes einzelne Kommentar sehr und grinse immer übers ganze Gesicht, wenn was kommt, aber oft weiß ich ohnehin nicht, was ich antworten soll und würde meine freie Zeit lieber dafür verwenden, an den Geschichten selbst zu schreiben.
Also ich hoffe, ihr habt Verständnis. :') Sollte es Fragen geben, werden diese natürlich beantwortet, sofern ich nicht spoilern muss und sicher werde ich hin und wieder auch so mal einen Kommentar beantworten, aber eben nicht mehr alle einzlen. Tut mir sehr leid. :( Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liest hier überhaupt noch jemand? :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank für all eure süßen Kommentare. :) Freut mich, dass es hier ja doch ein paar Leser gibt. Ich will auch jetzt mal den Hochladerhythmus verschnellern. Hab so viele Kapitel in petto.
Das Kapitel hier hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. xD Ich mag es, über Dinge zu schreiben, über die man normalerweise nicht schreibt, obwohl sie so alltäglich sind bzw. obwohl jeder sie kennt. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Weiter geht's! :)
Vielen Dank mal wieder fürs Lesen und die Kommentare. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier das nächste Kapitel. Ich wollte doch öfter hochladen. ò.o
Vielen Dank mal wieder für die Kommentare. <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Oh mein Gott, ich gebe zu, ich habe dieses Kapitel jetzt erst noch eingefügt, weil mich die Leser darauf aufmerksam gemacht haben, dass im vorigen Kapitel der Bandwettbewerb angesprochen wurde, den ich schon wieder total vergessen hatte. xD Aber wie ihr seht, hat Yamato da sowieso nichts gewonnen. Deswegen habe ich ihn wohl auch vergessen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und das nächste Kapitel. Nur ganz kurz, aber das nächste kommt dann auch bald. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Naaaa, wer weiß, was Takeru da auf einmal für ein Problem hatte? ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Teenagerzoff. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dramarama und am Ende ist Takeru doch der Beste. :P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, ihr seid alle gut durch dieses schreckliche Wochenende gekommen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und wieder sind mehr Tage ins Land gezogen, als ich wollte.
Ich bedanke mich mal wieder bei allen Lesern und den fleißigen Kommentarschreibern. :> Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Mütter haben ja schon genervt, nun ist es der große Bruder. :D
Ich bedanke mich mal wieder bei allen Lesern und Kommentarschreibern. :> Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Naaa, wer mag nur dieses hübsche Mädchen sein. ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kurz vor Weihnachten noch schnell das nächste Kapitel und ich denke mal, das nächste kommt schon irgendwann während der Feiertage. Das hier ist ja nur ganz kurz. :>
So, alle, die Mimi in Verdacht hatten, haben Recht. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, ihr hattet alle ein paar schöne Weihnachtsfeiertage, die ihr mit euren Liebsten genießen konntet! :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ohoh, schlimme Neuigkeiten für Takeru? Und wen liebt Hikari nun wirklich? ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Da habt ihr Karis Reaktion auf Takerus erstes Mal und dazu auch noch die Trennung von Matt und Sora. :P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel hier war ein bisschen peinlich zu schreiben. Zumindest der Anfang... :D

Vielen lieben Dank für die tollen Kommentare! :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel dann ein bisschen Ball. ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Weil das letzte so kurz war, kommt das neue gleich hinterher.

Anscheinend wurde mein gestriges Kapitel viermal hochgeladen. Ich habe keine Ahnung, was da passiert ist. Animexx hat mir einen Fehler angezeigt und daraufhin hatte ich das Hochladen eigentlich aufgegeben. :'D Also tut mir leid, falls sich jemand zugespamt gefühlt hat. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dümdümdüüüüüüm! Ich glaube, die wenigsten Leser haben Mimis und Takerus Beziehung unter einem positiven Stern gesehen. :'D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Haha und jetzt ist es Mimi, die Schluss macht. :D Plottwist. Ich habe mit Absicht die ganzen Schlussmach-Klischees ("Es liegt nicht an dir, sondern an mit", "Lass uns Freunde bleiben") hier reingepackt. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mal ein paar Nebeninfos, falls das nicht so ersichtlich war oder jemand den Überblick verloren hat: Takerus Geburtstag ist am 10. Oktober und die Trennung von Mimi ist jetzt über drei Monate her. ;) Ach und er feiert seinen 17. Geburtstag. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war also das Dramakapitel. :x Ich muss sagen, Kari hat mir beim Schreiben sehr leidgetan. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hach, das Kapitel hat irgendwie Spaß gemacht. Ich mag solche Takari-Gespräche. :>

Vielen lieben Dank mal wieder an alle lieben leser und Feedbackschreiber. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das mit den Süßkartoffeln ist irgendwie so ein Japanding. :D Aber ich mag sie auch ganz gern. Nur das mit der Suppe hab' ich noch nicht so raus...
Wie sieht es bei euch aus? Mögt ihr Süßkartoffeln? :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mal wieder was zu Sora. Von der haben wir ja schon ne Weile nichts mehr gehört. :D Und das Kapitel passt wirklich super in die Jahreszeit... nicht. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Beim Titel des Kapitels könnte man denken, Yamato wird schwul. ;)

Ich wollte hier noch etwas sagen. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass es wohl Leute gibt, die sich darüber aufregen, dass ich nicht mehr alle Kommentare beantworte. Ich hatte zwar schon einmal erklärt, warum das so ist, doch ich erkläre es noch einmal:
Ich habe einfach nicht so viel Zeit und das Beantworten von Kommentaren nimmt einfach zu viel Zeit in Anspruch. Deswegen nutze ich die Zeit, die ich habe, lieber dafür, an meinen Storys zu schreiben oder zu zeichnen oder, oder, oder und beantworte Kommentare nur noch gelegentlich. Dennoch lese ich mir trotzdem natürlich alle Kommentare durch und freue mich wahnsinnig über jedes Einzelne. Ich kann verstehen, wenn jemand keine Lust mehr hat, Kommentare zu schreiben, wenn sie nicht beantwortet werden. Das ist sein gutes Recht. Dennoch wäre es schön, wenn man mir trotzdem meine Entscheidungen lassen würde und nicht hinter meinem Rücken über mich redet. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier bin ich wieder.
Ich hoffe, ich komme in der nächsten Zeit mal öfter zum Schreiben, auch wenn ich nicht weiß, ob hier überhaupt so viele lesen. :'D Aber ich habe jetzt keine Unterrichtshospitationen mehr und so ein bisschen mehr Freizeit. Zumindest planmäßig. Man weiß ja nicht, was noch so passiert. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Abschlussball ist nun auch vorbei und die beiden sind endlich aus der Schule raus. :D Hab gefeiert, als ich mit dem Schulkram fertig war. Jetzt Uni und Studium. :P
Vielen lieben Dank für die Kommentare! :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hach, irgendwie machen diese kitschigen Textteile ja total viel Spaß. <3 Den armen Takeru hat es also ganz schön erwischt. :D Ob es Kari wohl genauso geht?

Das Spucketraume ist übrigens Realität. -_- xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
BÄM! Geständnis. :D

Ich gebe zu, ich spreche hier teilweise echt Themen an, über die man eigentlich nicht so schreibt. Kotzen, Periode und es kommen auch noch so ein paar Sachen dazu. x'D Aber mir macht das Spaß.
Ich bin mal gespannt, was ihr zu diesem und zu den nächsten Kapiteln sagt.
Ich habe die FF jetzt auch schon fast zu Ende geschrieben. Bald ist es also (endlich?) vorbei. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war also der nächste Tag. Einige haben ja schon getippt, dass Takeru sich wahrscheinlich an nichts erinnern kann. So ist es auch. :D Und Kari macht natürlich keine Anstalten, ihn aufzuklären. Tja... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Schon wieder ein Weihnachtskapitel? Und diesmal im Juni?
Ja! :D Ich gebe zu, mein Timing ist doof, aber es gibt in dieser Story nun einmal große Zeitsprünge und deswegen haben wir nun einmal Weihnachten im Juni. :P
Ist es bei euch auch gerade total heiß? Ich wohne irgendwie in einer Region Deutschlands, in der es so gut wie nie regnet. Wir bleiben hier von all den Unwettern verschont und dürfen die schönen Seiten des Sommers genießen. :> Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass die Geschichte inzwischen auf meinem Laptop fertig geschrieben ist? Ein bisschen traurig bin ich ja, aber auch froh, wieder was abgeschlossen zu haben. :> Es dauert allerdings noch ein bisschen, bis auch hier alle Kapitel online sind.

Vielen Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben,
so eine lange Pause war gar nicht geplant. Ich hatte einfach so viel zu tun in der letzten Zeit, dass ich zu Hause keine Lust auf irgendetwas hatte. Die letzten Tage war ich nicht mal am Computer. :'D Ich bin wirklich froh, dass die Kapitel schon vorgeschrieben sind. Ansonsten würde es hier wohl sehr langsam vorangehen...
Eure Kommentare lese ich natürlich trotzdem alle immer mit Freuden. :> Vielen lieben Dank! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich glaube, ich lade die Kapitel mal ein bisschen schneller hoch, damit die FF dann auch bald beendet ist. ;)
Hier also der Morgen danach, der leider nicht so abläuft, wie man sich das als Takari-Fan vielleicht gewünscht hätte. :/ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Upsi. Jetzt habe ich mich irgendwie viel zu lange nicht gemeldet. War sehr mit einer Hausarbeit beschäftigt und anschließend im Urlaub. :'D Aber jetzt bin ich wieder da. Und weiter geht's - und das gleich mit der Neuigkeit, dass Matt Vater wird. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn zwei Feiglinge aufeinandertreffen...
Hikari will das Risiko nicht eingehen und Takeru hat einfach nicht die Eier in der Hose, zu sagen, was er denkt und fühlt. Wenn er doch nur ein bisschen hartnäckiger wäre... und Hikari ein bisschen risikofreudiger... Die beiden könnten es so einfach haben, aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Takari-Fans, es tut mir total leid. D: Bestimmt werde ich jetzt mit Steinen beworfen.
Aber was ich so aus den letzten Kommentaren herausgelesen habe, mögt ihr Takeru eh alle nicht mehr, weil er so weichlich ist und nich für das kämpft, was er will.
Wie man sieht, hat Willis es da faustdick hinter den Ohren. Der traut sich was. :P

Natürlich vielen lieben Dank für eure Kommentare, vor allem in Bezug auf T.K. Das finde ich wirklich sehr interessant. ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Uhhh es ist passiert, Kari ist offiziell mit Willis zusammen. :'D Und Takeru ist nicht begeistert... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das letzte Kapitel ist schon wieder eine Weile her. Ich danke euch für eure Kommentare. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein paar Leser hatten ja schon befürchtet, dass Kari jetzt schwanger oder Takeru Vater werden könnte... bitte, da habt ihr's. :'D Ich gehe dann mal in Deckung und mache mich auf fallende Favoritenzahlen gefasst... x'D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war das letzte Kapitel.
...
Nein, war es natürlich nicht. :D Zehn Kapitel kommen noch. Und Kari hat gleich den nächsten Knaller auf den Tisch gepackt: sie wird Willis heiraten. Der arme Takeru hat es hier wirklich nicht leicht. ;_;
Und da wir gerade bei Takeru sind: Seht euch den neuen Tri-Film an! Und wenn ihn jemand schon gesehen hat, sagt mir, was ihr davon haltet. :D
VIelen Dank auch für eure Kommentare zum letzten Kapitel. Da habe ich ja auch schon einige ziemlich geschockt.

Und nun noch etwas anderes.
In den Kommentaren wurde nun schon öfter erwähnt, dass meine Story hier anscheinend einer Story von Tasha88 ähnelt, weshalb ich mich gezwungen sehe, das nun endlich mal anzusprechen.
Ich schätze Tasha als Autorin und mir ist nicht entgangen, dass ihre Storys gut ankommen und sehr beliebt sind. Sonst würden wohl nicht so viele darüber sprechen. Doch wie ihr meinen Worten bereits entnehmen könnt, habe ich bisher leider keine ihrer Storys gelesen. Jegliche Ähnlichkeiten und Parallelen sind also zufällig und absolut unbeabsichtigt. Es kommt mir nämlich langsam so vor, als würde man mir unterstellen, ich ließe mich etwas zu sehr von Tasha inspirieren.
Ich würde mal behaupten, dass die meisten Takaris sich ziemlich ähnlich sind, denn die Grundidee ist oft dieselbe: langjährige Freunde verlieben sich auf einmal ineinander. Diese Idee ist so alt wie Digimon-FFs selbst. Deshalb ist es kein Wunder, dass viele Takaris sich ähneln. Weder Tasha noch ich haben diese Idee also erfunden.
Ich sehe kein Problem darin, sich Inspiration von anderen Autoren zu holen, das mache ich auch oft, allerdings eher bezogen auf kleinere Dinge. Wenn das der Fall ist, erwähne ich es jedoch irgendwo. Seit über zehn Jahren schreibe ich nun schon Digimon-FFs und habe seitdem viel an meinem Schreibstil, meinem Ausdruck und meinen Charakterentwicklungen gearbeitet. Daher macht es mich etwas traurig, falls andere denken sollten, ich würde "klauen".
So, ich hoffe, das ist jetzt ein für alle mal geklärt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt, ich komme zur Zeit nicht so zum Beantworten von Kommentaren. :( Lesen tue ich sie aber alle mit Vergnügen, wie immer. Vielen lieben Dank. <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ooooookeeeee, ich gebe zu, ich habe keine Ahnung von Totgeburten/stillen Geburten. Ich habe ein wenig im Internet recherchiert und das zusammengeschrieben, was ich herausbekommen habe. Falls irgendjemand Informationen hat, die nicht nur von Wikipedia und Co. stammen, möge er sie mir sehr gern zukommen lassen. Grobe Fehler tun mir sehr leid und ich bin offen für Verbesserungsvorschläge und Korrekturen.

Ansonsten ja... sehr düsteres Kapitel. ;( Ich wünsche es wirklich niemandem. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß nicht, was ich noch groß dazu sagen soll. Ich denke mal, das Kapitel spricht für sich. :D
Nach stressigen zwei Wochen habe ich jetzt Herbstferien, yay!
Und die Story ist auch bald zu Ende, yay!
Danach lade ich ich bei Ein Leben wie dieses weiter hoch, yay! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen lieben Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel. :)

Und ganz ehrlich, ich kann eure Antipathien gegenüber Willis wirklich nicht verstehen. Mir tut er einfach nur leid, weil ich schon finde, dass Kari sich ihm gegenüber nicht gerade fair verhält. :D Natürlich kann sie nichts für ihre Gefühle, aber trotzdem... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
... bis auf T.K. und Kari natürlich. ;)
Ich hatte viel Spaß beim Schreiben dieses Kapitels. Ich liebe witzige Dialoge einfach. :D Ich hoffe, ich bin nicht die Einzige, die sie witzig findet.
Rock in Japan ist tatsächlich ein Festival in Japan übrigens, das in Hitachinaka stattfindet. ;)
Sooo und denjenigen, die am 31.10. ebenfalls frei haben, wünsche ich einen schönen Feiertag. :> Und vielen lieben Dank an die fleißigen Kommentatoren, die wirklich jedes Kapitel kommentieren. Ihr seid großartig. <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So viel Schnulz in einem Kapitel. :D Aber es wurde ja auch mal Zeit.

Es tut mir wirklich leid, dass es jetzt so lang gedauert hat mit dem neuen Kapitel. Aber ich war total im Prüfungsstress und jetzt bin ich im Bewerbungsstress. Und das alles kurz vor Weihnachten. :'D Ich möchte die Geschichte dennoch dieses Jahr noch fertig bekommen und es fehlt ja nun auch echt nicht mehr viel. Ein Kapitel und eventuell noch ein Epilog. Ist ja auch wirklich lang genug geworden. <_< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Uff. Ich glaube, ich hatte mal den Plan gehabt, die Geschichte noch 2016 abzuschließen. Naja.
Ich bin in den letzten Wochen und Monaten tatsächlich so gut wie nie zum Schreiben und Zeichnen gekommen und wenn ich mal Zeit hatte, dann hatte ich irgendwie keine Lust und konnte mich nicht motivieren. D:
Mein Leben stellt sich gerade von grundauf auf den Kopf, alles ändert sich, alles wird neu, 2017 wird ein krasses Jahr für mich. Deswegen weiß ich nicht, ob ich in der nächsten Zeit mehr zum Schreiben oder Zeichnen kommen werde. Ich finde es selber schade, dass ich das so vernachlässige. Ich habe diese beiden Hobbys doch so geliebt. :'(
Aber jetzt bin ich erst mal froh, dass ich hier ein neues Kapitel hochladen konnte. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
BAM! Die Geschichte ist endlich zu Ende!!!!!! :D
Das wars und alle sind glücklich. Wenn ihr wüsstet, wie ich das Ende zuerst geplant hatte. Ich hatte nämlich tatsächlich überlegt, Kari am Ende doch noch mit Matt zusammenkommen zu lassen und Takeru ist dann auf ewig der beste Freund in der Friendzone. Und Kari hätte dann doch noch ihre große erste Liebe bekommen. Das wäre krass gewesen, ich weiß. Aber mein Takari-Herz hätte das wohl nicht verkraftet.
Wie auch immer, ich danke allen, die trotz der großen Pause jetzt zwischendurch am Ball geblieben sind und immer wieder Kommentare geschrieben haben. Natürlich geht auch ein fetter Dank an alle stillen Leser und Favos raus. Ich habe mich wirklich sehr gefreut. :)

Ob und wann es eine neue Takari geben wird, kann ich gerade noch nicht sagen, aber meine Leser sind sowieso rückläufig, daher weiß ich nicht, ob das überhaupt noch jemanden interessiert. :'D Bin aber auch echt selbst schuld mit meiner Inaktivität. Allerdings steckte ich in den letzten Monaten in den Prüfungen und habe nun einen neuen Job angefangen und bin obendrein auch noch im 5. Monat schwanger. :D Ja, jetzt kann ich es hier ja auch sagen. Bei mir gehts also momentan drunter und drüber, weshalb mein Onlineleben gerade ein bisschen leidet. Mal sehen, ob und wann es wieder besser wird. Vielleicht ja im Mutterschutz. :P
Falls hier Leser von "Ein Leben wie dieses" dabei sind: Diese FF geht demnächst weiter und wird natürlich auch noch beendet. Ansonsten... bis bald! Komplett anzeigen

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Von:  UrrSharrador
2018-07-30T00:55:37+00:00 30.07.2018 02:55
Puuh, so ... Ich gestehe jetzt, dass ich echt Angst vor dem Kapitel hatte :D Das war auch der Grund, warum ich die FF noch unbedingt schnell zuende lesen musste, bevor ich letzte Woche meinen Kurzurlaub angetreten habe. Obwohl ich davor und danach eher wenig Zeit hatte. Ich hab mich einfach vor dem Ende gefürchtet und konnte die Ungewissheit nicht aushalten, weil ich (halte mich bitte nicht für verrückt^^) befürchtet habe, dass du Hikari am Ende bei der Geburt ihres Kindes sterben lässt D:
Vielleicht liegts daran, dass ich das leidige Talent habe, mir Worst-Case-Szenarien auszumalen xD Ich meine, es war klar, dass Hikari am Ende ein Kind kriegt, und zumindest ich hab auch erwartet, dass es von Takeru ist (bis zu jener Zeit, wo sie zum ersten Mal schwanger wurde). Ich fand das Kapiteltitel toll, es hatte so eine leicht wehmütige, bittersüße Aussagekraft ... Man stellt sich vor, dass sich wirklich der Kreis schließt, von ganz am Anfang, wo Hikari selbst gerade mal Laufen lernt, bis zum Epilog, in dem eben ein Kind bleibt ... hach ja. Der Titel hat was.
Dann kam die Sache mit Hikaris Totgeburt, und ich dachte mir plötzlich so, hm, wer sagt mir eigentlich, dass du nicht aus dazu bereit bist, einen der Hauptcharaktere sterben zu lassen? Plötzlich hatte der Kapiteltitel eine Doppelbedeutung. Takeru, der es sich die ganze Zeit ersehnt, mit Hikari zusammenzukommen (mehr nämlich als sie selbst, weil er einfach viel länger und für uns Leser viel klarer erstichtlich in sie verliebt ist) ... Dann hat er es endlich geschafft, sein Ziel erreicht ... und im Epilog bleibt dann ein Kind. Es bleibt ein Kind von ihrer Beziehung und von all seinen Träumen, weil Hikari stirbt ... In solcherlei Bahnen haben sich da meine Gedanken bewegt. Takeru bleibt allein mit einem Kind zurück, nach allem Hoffen und Sehenn :( Ich fand den Gedanken total schlimm. Und es wurde nochmal ärger, als er zwei Kapitel vorher denkt, dass sie ja nun so lange Zeit haben, gemeinsam zu leben und alles, und ich war mir nicht sicher, ob das wirklcih der Fall sein wird, und ... ahh xD
Tja, kann sein, dass ich wirklich merkwürdige Gedangengänge habe, oder ich war beim Lesen einfach gerade komisch drauf und mir ist deshalb dieser Gedanke gekommen. Jedenfalls danke, dass du mir diese Gefühle und diesen Nervenkitzel beschert hast :) Ist lange her, seit ich mal so auf ein bestimmtes (nämlich glückliches) Ende hingefiebert habe. Ich habe echt gefeiert, als es gut ausgegangen ist. Es ist also alles gut gegangen, und man hat auch wirklich die Freude gemerkt, die sie beide empfinden :) Ich finde es jedenfalls gut, dass du den Epilog auch noch online gestellt hast, weil er, wie gesagt, einen schönen, runden Abschluss bietet. Wie gesagt, ein tolles Ende. Und ich glaube (hoffe^^), deinen Schreibstil hab ich im Verlauf der Kapitel auch ausreichend gelobt, vor allem was dein Talent für Dialoge und Gefühle angeht :)
Zu deinem Nachwort wollte ich eigentlich noch fragen: Dein Ernst? :D Yamato und Hikari?^^ Ich dachte beim ersten Mal Lesen, naja, das war sicher so eine ursprüngliche Idee, iwann in den Anfangsstadien der Geschichte. Aber einer Kommentarantwort von dir in den letzten Kapitel entnehme ich, dass du das bis knapp vor dem Ende geplant hattest? Was der Grund war, warum du die letzten drei Kapitel oder so umgeschrieben hast? :O Jetzt bin ich total neugierig, wie du das ursprünglich hattest. Yamato war da ja eigentlich längst glücklich mit Sora zusammen und die beiden haben ein Kind :D
Ach ja, und wegen dem Namen wollte ich noch fragen - er bezieht sich auf den Titel? ... Schnell gegoogelt - alles klar B-) (Und ich Depp hab's zuerst einfach mal in den Google-Übersetzer eingegeben. Ja, es ist schon spät. Aber Takerus und Hikaris Kind hätte da halt einfach mal "Nachnahme" geheißen.)
Danke nochmal für die tolle FF :) Jetzt werd ich dann wohl noch schnell zu Ein Leben wie dieses springen ;D Jetzt bin ich schon seit anderthalb Stunden dabei, Kommis zu schreiben. Ich schreibe wohl echt langsam ...
Antwort von:  Juju
30.07.2018 21:51
Ohhhh du bist ja schon durch! Vielen Dank für all deine Kommentare zu unchristlicher Zeit. :D Warum darfst du denn so spät nicht schlafen, wenn ich fragen darf?
Ich habe auf jeden Fall wie immer sehr gern gelesen. :) Freut mich, dass du sogar ein Lieblingskapitel hast und dich auch so über das Ende freust. Aber oh mein Gott, was denkst du von mir? Kari bei der Geburt sterben lassen? Ich glaube, du verwechselst mich da mit dir selbst, Mr. Ich-lasse-meine-arme-Hauptfigur-zur-Belohnung-dass-sie-die-ganze-FF-leiden-musste-auch-noch-am-Ende-​sterben. xD Nein, also wirklich, dieser Gedanke war mir überhaupt nicht gekommen. Aber jetzt, wo du es erwähnst... es wäre schon irgendwie ein passendes Ende gewesen. Aber ich glaube, das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Freut mich jedenfalls, dass du so erleichtert warst. :D
Haha und nein, der Grund, warum ich die letzten Kapitel umgeschrieben habe, war ein gaaaaanz anderer... xD Die Idee mit Matt und Kari habe ich dann doch eher verworfen. Spätestens, als Matt ein Kind mit Sora hatte, war der Zug dann wirklich abgefahren. xD
Von:  UrrSharrador
2018-07-30T00:24:10+00:00 30.07.2018 02:24
Ich hätte echt nicht erwartet, dass Willis nochmal vorkommt. Aber es ist ein schöner Abschluss von seiner und Hikaris Beziehung, sozusagen, dass sie nochmal miteinander reden können und sich verzeihen. Und Willis zieht also wieder nach Amerika zurück. Naja, dieses Freunde-bleiben haut ja meistens eh nicht hin :,D Dabei fällt mir ein, wenn sie noch zusammen (und verheiratet) wären, würde sie wohl tatsächlich mit ihm nach Amerika gehen und könnte Takeru kaum noch sehen ... Aber wie gesagt, so ist es ein schöner, runder Abschluss, wie sie miteinander quasi abschließen xD
Ich finde es aber realistisch, dass Takeru dieser Scherz doch verletzt. Man muss ja nicht über alles blödeln :D Und die Sache mit Mimi damals hat ihm eben doch eine Wunde beigebracht.
Ahh ich hatte mich schon gefragt, ob du auf den Titel der FF auch noch mal eingehst. Da haben wir es jetzt also :) Aber, da du geschrieben hast, du wolltest ursprünglich ein anderes Ende (und ich weiß ja mittlerweile auch schon, welches), frage ich mich, wie du ursprünglich geplant hattest, den Titel unterzubringen^^
Von:  UrrSharrador
2018-07-30T00:16:38+00:00 30.07.2018 02:16
Hikari ist ja ziemlich erbost wegen der Sache mit dem Buch^^ Fand ich übrigens toll, dass Takerus Buch jetzt quasi den Ausschlag dafür gibt, dass sie zusammenfinden :D Toll, dieses Fast-schon-Streigespräch der beiden.
Und ich sag mal, es wird auch Zeit, dass sie es sich und ihm endlich eingesteht, dass sie ihn liebt. Nach der Trennung von Willis hatte sie ja wohl mehr als genug Gelegenheit dafür und keinen Grund dagegen - schön, dass es endlich was geworden ist :D
Witzig, dass ich mich bei dem Kapitel auch an den Abschlussball erinnert habe, wo es zum ersten Mal so richti geknistert hat zwischen ihnen (glaube ich). Noch dazu hatte ich auch den Effekt, dass das schon ewig lang her ist, weil es wirklich schon eine Weile her ist, seit ich die entsprechende Passage gelesen habe^^
Ein perfektes Ende eigentlich. Alles sind glücklich, endlich wurde es was mit Takari, und sie haben "alle Zeit der Welt, ihre Beziehung zu genießen." So ein Ende wünscht man sich :D Genau darum bin (war) ich auch so nervös, dass es noch zwei Kapitel gibt xD Aber dazu später mehr.
Von:  UrrSharrador
2018-07-30T00:10:01+00:00 30.07.2018 02:10
Glaubst du mir, wenn ich sage, dass ich erleichtert bin? Bei dem Kapiteltitel hab ich eher was in der Richtung erwartet, dass die beiden es tatsächlich mal ernsthaft miteinander probieren, dann aber eben der Zauber verfliegt und es nichts wird und ... tja. Dabei sind sie einfach wieder an die Ausgangssituation zurückgekehrt. Damit kann ich leben B-)
Aber von vorn. Herrlich, wie sie sich gegenseitig "ablenken" xD Und natürlich müssen Taichi und Yamato beide dämlich grinsen. Das erwartet man ja von ihnen :D Ich glaube, die beiden sind ganz zufrieden mit der Entwicklung^^
Tja und wie es im letzten Kapitel mit der Urlaubsstimmung war ... so spürt man hier diese wehmütige Melancholie, als das Wochenende endet. Gefällt mir, auch wenn ichs traurig finde^^
Und Takeru kriegt mal wieder den Mund nicht auf! D: Wobei, wie gesagt, back to square one, könnte schlimmer sein.

PS: Dachte ichs mir doch, dass das letzte Kapitel relativ lang war im Vergleich zu den anderen^^
Von:  UrrSharrador
2018-07-30T00:02:23+00:00 30.07.2018 02:02
Aufs Festival bezogen macht der Titel natürlich Sinn^^ Ich dachte bei der Kapitelübersicht ja, sie sind einfach mal aus irgendeinem Grund froh, Japaner zu sein xD
Hikari nimmt also schon fest an, dass Takeru iwas Romantisches mit ihr vorhat. Gut, kann man bei ihrer gemeinsamen Vergangenheit eigentlich auch nachvollziehen.
„Bevor ich dich verscharre, bringe ich dich aber noch um.“ xD Ich hab auch nicht bemerkt, dass dieser doch sehr logische Schritt in ihrer Vermutung gefehlt hat xD
Und man kann auch eindeutig sowas wie Enttäuschung herauslesen, als Kari sieht, dass es "nur" Rock in Japan ist. Hach, die zwei. Warum machen sie es sich nochmal so schwer? Warum machst du es ihnen so schwer? ;P
Die Dialoge waren übrigens mal wieder einsame Spitze :D Ich denke so selten dran, das zu erwähnen, aber hier ist es mir mal wieder stark aufgefallen :)
Ich kann mir die vier echt gut vorstellen, wie sie da gemeinsam am Festival entspannen. Jetzt hab ich irre Lust, was über Taichis und Yamatos Leben in dieser FF zu erfahren. Ob und wie sie miteinander was unternehmen und alles, so als junge Männer mit sozusagen eigenem Haushalt - falls du also mal eine Idee für einen Spin-Off brauchst ... ;)
Hikari kann ja echt quengelig sein xD Frag mich nicht, warum, aber die Szene hat mich ein wenig an die aus der Serie in Devimons Haus mit Tai und Agumon erinnert haha. Und ja, offenbar muss man eher afupassen, dass Takeru nicht weggefangen wird^^
Das Geschehen am Festival konnte ich mir richtig gut vorstellen, wie das Wetter zwar immer schlechter wird, aber jeder super drauf ist. Schreibst du da aus Erfahrung bei der Sache mit dem verregneten Festival? :D
Und schließlich knistert es mal wieder zwischen ihnen, mitten im Regen. Die Szene konnte ich mir auch super vorstellen :) Und dann ab ins Zelt, Festival-Sex, yay! Und Kari hatte selbst sicherheitshalber Kondome mitgenommen - so schließt sich der Kreis, siehe den Anfang meines Kommentars^^
Ich glaube, das ist eines einer Lieblingskapitel :) Keine Ahnung, wieso, vielleicht wegen der urlaubshaften Stimmung, die du echt super rübergebracht hast. Es reißt einem weg von allen Alltagsproblemen, genauso wie Takeru und Hikari, und ist natürlich wie geschaffen dafür, um Sommer gelesen zu werden :)
Von:  UrrSharrador
2018-07-29T23:43:15+00:00 30.07.2018 01:43
Ich bin das Hikaris Meinung, was Takerus Eltern angeht. Sie müssen sich ja jetzt wirklich um keine Familie mehr kümmern, es ist alles ein wenig unverbindlicher, und sie können, sagen wir mal, ihre Zweisamkeit sorgsam dosieren xD Also ich hab iwie auch ein gutes Gefühl. Ich glaube, wenn man mal Großeltern wurde, so wie die beiden, ist alles ein wenig chilliger^^ Hehe, sogar Sora ist genervt, weil sie ignoriert wird xD Wie Yuki sie holen kommt, ist aber echt niedlich :)
Hach ja, und Natsuko, die sich Sorgen um Takerus Liebesleben macht. Und nichts von seinen diversen Liebschaften ahnt und schon mal vorsichtig anfragt, ob er vielleicht schwul ist xD Seine Antwort ist super. Ja, ich schätze, so kann man seine Mutter auch schocken.
Was mich ein wenig verwirrt - erzählt Takeru ihr nun nicht die Wahrheit wegen seinem Roman, oder hat er eine weitere Zusage von einem Verlag bekommen, der das Ende so drucken will? Letzteres, oder?
Ich frage mich gerade, ob ich von Rock in Japan nicht schon mal iwann was gehört habe ... Ist aber eine coole Idee von den beiden, dass sie zu viert da hin gehen wollen :)
Von:  UrrSharrador
2018-07-29T23:33:23+00:00 30.07.2018 01:33
Ich weiß, ich schreibe mal wieder Kommentare zu einer absolut unchristlichen Zeit, aber ich muss heute wahrscheinlich noch lange wach bleiben und naja, ehe es morgen wieder stressig wird, ist jetzt wohl die beste Gelegenheit^^
Dein Vorwort hat mich doch direkt erschrocken, auch wenn ich es erst gelesen habe, nachdem ich das Kapitel schon gelesen habe xD
Hikari und Willis haben sich nun also getrennt. Das musste ja so kommen. Mehr oder weniger war es also nur ein kurzer Abstecher auf Hikaris Lebensweg mit einigen unschönen Erlebnissen. Jetzt wäre doch wohl eigentlich Zeit und Gelegenheit für Takari, aber noch scheint sich in der Richtung nichts zu tun.
Und T.K.s "bestes Stück wollte anscheinend nicht mehr." xD Fand ich iwie witzig. Das heißt wohl, dass es nur mehr Kari für ihn gibt, was? ;) Und oho, wie ist sie denn drauf?^^ Ihre SMS klingt ja regelrecht aggressiv. Tjaa vielleicht ist das auch so was wie Eifersucht, oder bild ich mir das nur ein? Und hinterher ist sie ja auch ziemlich fies zu ihm^^
Und er bekommt eine bedingte Zusage - ist doch schon mal toll :) Kann aber das Dilemma nachempfinden, dass er das Ende nicht ändern will xD Schließlich ist es seine Geschichte, und sein Ende.
Von:  UrrSharrador
2018-07-18T18:38:54+00:00 18.07.2018 20:38
Witzig, wenn man sich zwischendurch fragt, wie das Kapitel nochmal heißt, und dann Willis den Spruch mit der heiligen Hikari loslässt^^ Ja, da wusste ich es wieder. Praktisch. Aaalso das waren wohl die zwei anderen Sachen, die nun nach der Sache mit dem Baby nach und nach verschwinden: Heirat und Zusammenziehen. Für Willis ist es sicherlich hart, wenn sie nun weder das eine noch andere will, aber bei Hikari ist es absolut nachvollziehbar, da wir ja wissen, dass ihr Herz nicht ganz bei Willis ist. Und ihre Gedanken. Und ihre Lippen sowieso nicht :D Aber es gefällt mir, dass Willis die Sache entsetzt, aber im Endeffekt eher ruhig auffasst. Er hätte ja auch komplett ausrasten können nach allem, was passiert ist. Ich schätze, er wäre theoretisch eh ein guter und netter Junge. Jetzt tut er mir auch langsam leid. Aber naja, Hikari hat ihn wohl eher als unbewussten T.K.-Ersatz zum Freund genommen^^
„Wie kann ein Kuss bitte einfach so passieren? Seid ihr gestolpert und zufällig mit den Mündern aufeinander gefallen?“ <-- Ich hab an der Stelle genau dasselbe gedacht xD
Antwort von:  Juju
20.07.2018 10:41
So jetzt antworte ich mal hier ein bisschen, bevor ich bei dir weiter kommentiere. xD So viel zu "Ich mache auf Animexx nichts außer bei dir kommentieren und deine Kommentare beantworten".
Also vielen lieben Dank für deine ganzen Kommentare. Auch wenn ich sie nicht alle einzeln beantworte, lese ich sie liebend gern und mit Freuden. Ich muss auch immer wieder lachen. :D
Der Film, von dem du geschrieben hast, klingt tatsächlich so ähnlich wie meine Geschichte hier, ist ja verrückt. O.o
Das mit Willis' Großmutter habe ich mir ausgedacht. Ich habe leider keine Ahnung, ob sie Japanerin ist. Aber irgendwelche japanischen Wurzeln muss er ja haben, sonst könnte er sich ja nicht mit den DigiRittern unterhalten. :D Ich glaube, ich hatte auch gegooglet, aber nichts gefunden.
Und ansonsten... mir hat diese FF hier wirklich Spaß gemacht mit dem ganzen Drama und Hin und Her zwischen T.K. und Kari. xD Aber nun bist du ja bald durch.
Von:  UrrSharrador
2018-07-15T22:58:52+00:00 16.07.2018 00:58
So, ich konnte es nicht so einfach bei dem letzten Kapitel belassen, auch wenn es jz schon wieder so spät ist^^ Es ist nun also mehr als eine Woche her. Willis drängt wirklich ganz schön mit der Hochzeit - ich meine, vielleicht könnten wir ihn besser verstehen, wenn wir über seine Gedanken so wie über Karis und Takerus lesen könnten, aber so wirkt er eher ... ich weiß nicht, aufdringlich?^^ Ich meine, ja, sie sind ein Paar, aber seien wir uns ehrlich: Jeder von uns hält das nur für einen temporären Zustand ;)
Man merkt dann auch gut, wie wie harmonischer alles mt Takeru ist. Er ist echt total nett, was er ihr alles mitbringt und so. Und ihre Aussage, bevor sie einschläft ... die sagt ja echt schon eine Menge aus. Eigentlich ist sie ja die Antwort auf all die Fragen, die die zwei im Moment noch umgeben.
Als Willis dann das zweite mal daherkommt, ist er schon wieder ein Störfaktor^^ Das wäre gerade ein wichtiger Moment zwischen Takari gewesen. Und dann ... Eifersucht und Streit, oder so ähnlich. Immerhin scheint man mit Willis reden zu können, wenn du weißt, was ich meine. Aber ich halte die Hochzeit auch für eine blödsinnige Idee, nach allem, was passiert ist.
Zu deinem Nachwort ... Yay, vor nicht allzu langer Zeit konnte ich noch damit prahlen, dass ich noch so viele Kapitel von dieser FF zu lesen habe :P Jetzt sind nur mehr ein paar davon übrig -.- Viel zu schnell verflogen, das Ganze ;)
Von:  UrrSharrador
2018-07-15T22:25:46+00:00 16.07.2018 00:25
Puh ... so. Hier schreibe ich nun live während des Lesens mit. Aus folgendem Grund, weil ich nämlich Schlimmes ahne :(
Kurze Vorgeschichte: Da ja im Epilog dann "ein Kind bleibt", dachte ich mir, dass sich der Rest der Geschichte nun während Hikaris Schwangeschaft abspielt. Sie kommt iwie mit Takeru zusammen, bekommt das Kind, und die beiden ziehen es dann auf. So was in der Art.
Aber dann kommt der Titel hier. Der kann ja streng genommen alles Mögliche bedeuten, aber da ich in den ersten Zeilen lese, dass es Februar ist, und im Februar ja das Kinde kommen soll ... (Einwurf: Habe eben nochmal nachgelesen, im Februar ist der Hochzeitstermin. Aber das ändert nichts an meiner Vorahnung, weil es dann ja noch viel mehr "zu früh" ist^^ Also es bestätigt eher die Vorahnung, die eine falsche Erinnerung in mir ausgelöst hat. Ergibt das Sinn?^^) Kann sein, dass ich in dem Moment auch schon was von Schmerzen in dem Text herausgelesen habe, als ich die Seite betrachtet habe.
Ich habe mir nach den letzten Kapiteln den Kopf darüber zerbrochen, wie man die nahende, vermutlich nicht wünschenswert-perfekte Zukunft von Hikari (nämlich vor allem von ihr, damit steht und fällt ja im Prinzip gerade alles) noch abwenden oder verändern könnte. Weißt du, das ist auch der Unterschied zwischen deinen Geschichten und meinen :D Wenn meine Charaktere mal wieder so richtig hoffnungslos in der Klemme sitzen, kann ich einen Action-Twist oder einen unerwarteten Retter oder einen schlauen Plan einbauen, und alles renkt sich wieder ein. Aber bei deiner FF gibt es einfach keinen Ausweg, ein Kind kann ein wahrer Segen sein, aber es krempelt einem einfach das Leben um, und das kann man nun mal nicht aufhalten. Es gibt also keinen Ausweg, außer! dass! sie! das! Kind! verliert! D: Wahrscheinlich ist es mir in den Sinn gekommen, weil ich unlängst einen Film gesehen habe, in dem auch so was vorgekommen ist. Es war zwar nicht direkt ein Liebesfilm, aber die männliche Hauptperson hatte Gefühle für ein Mädchen und umgekehrt, nur war sie dann schwanger von einem anderen, der sie daraufhin heiraten und für das Kind sorgen wollte (im Setting des bäuerlich-ländlichen Lebens um 1960, glaube ich). Dann hatte das Mädchen eine Totgeburt, somit verband sie und den anderen nichts mehr und sie haben die Verlobung aufgelöst. Sie kam schließlich mit der Hauptperson zusammen. War total dramatisch und tragisch ;_;
Und wegen dem Titel, dem Februar und dieser Vorahnung fürchte ich nun also, dass Hikari dasselbe bevorsteht D:
Puh, richtig dramatisch, Karis Aufwachen und Auf-den-Gang-taumeln. Takeru war in dem Kapitel wirklich der strahlende Engel, wenn du mich fragst. Einfach weil er da war und sie sich auf ihn verlassen konnte. Auch wenn ich wohl eher den Notarzt als ein Taxi gerufen hätte, aber vielleicht sind die erwarteten Fahrtzeiten in der Großstadt ja anders xD
Zwischendurch habe ich dann nochmal Hoffnung geschöpft. Es könnte ja vielleicht alles gut gehen, auch wenn es wirklich verdammt früh ist. Hikari könnte im Schlusskapitel noch ein Kind mit Takeru bekommen und dann ziehen sie halt zwei Kinder auf. Aber als die Krankenschwester das Kind so "anstarrt" ... Das verheißt schon mal nichts Gutes :/
*tief durchatme* Es ist passiert. Ich hab's erwartet, dann befürchtet, jetzt ist es eingetreten. Es ist tot :( Und das schon seit Tagen! Das ist verdammt furchtbar. Ich meine, das Baby war es, das in den letzten Kapiteln zwischen Takari gestanden ist, aber ... meh :/ Ich bringe jz gerade kein Shipper-tum mehr auf.


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