Zum Inhalt der Seite

Corvus et Vulpes

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Halloween

In den folgenden Tagen taten sie alle beide so, als hätte es einen derartigen Vorfall nie gegeben. Trotzdem war eine gewisse Veränderung spürbar; zwar nicht sehr auffällig, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl doch das eine oder andere bemerkt.

Snape vergaß sich am Freitagmorgen und schob ihr mit einem beinahe höflichen Gruß den Stuhl zurecht, als sie wieder einmal zu spät in die Große Halle hetzte. Im nächsten Moment biss er sich ärgerlich auf die Lippen und löffelte missmutig das Frühstück in sich hinein.

Jiang Li hingegen wusste, wie gerne er Zimt auf seinem Porridge hatte, und schob ihm unaufgefordert das kleine Schälchen hinüber, ehe sich ihr morgenlahmes Gehirn einschaltete. Dann hätte sie sich am liebsten selbst einen Tritt verpasst.

Warum achtete sie überhaupt auf diesen Schwachkopf, dachte sie mürrisch und schielte unauffällig zur Seite. Die Wunde schien bereits verheilt zu sein, soweit man das überhaupt beurteilen konnte. Unter dem weiten Ärmel der Robe war ohnehin kein Verband zu erkennen.

Als hätte er ihren Blick bemerkt, hob er den Kopf; ihre Blicke kreuzten sich kurz, blieben für den Bruchteil einer Sekunde aneinander hängen und glitten schlagartig auseinander, als hätten sie sich beide plötzlich verbrannt.

                

„Bitte setzen Sie sich. Heute befassen wir uns“, begann Jiang Li mit erhobener Stimme und wartete, bis sich die laut durcheinander schnatternde Horde gesetzt und etwas beruhigt hatte, „mit den verbotenen Dämonenbeschwörungen.“

Schlagartig wurde es still und die Slytherins spitzten die Ohren. Lediglich aus der hintersten Bankreihe erhob sich beinahe sofort eine durchdringende näselnde Stimme.

„Wir werden aber keine Dämonen beschwören, nicht wahr?“

Jiang Li unterdrückte ein leichtes Seufzen, fixierte den blassen Jungen mit dem spitzen Kinn scharf und verschränkte tief durchatmend die Hände hinter dem Rücken.

„Was denken Sie, Mr Malfoy, könnte es möglicherweise einen Grund geben, warum diese Beschwörungen verboten genannt werden …?“

Einige der Slytherins lachten unterdrückt auf, verstummten aber hastig, als Malfoy einen wütenden Blick in die Runde warf. Er strich sich das weißblonde Haar ruckartig nach hinten und richtete sich etwas gerader auf.

„Wie sollen wir dann bitte einen Eindruck von solchen Dingen erhalten, wenn man sich keine Dämonen dienstbar machen darf? Abgesehen davon sehe ich gar nicht ein, warum das überhaupt unter unerlaubte Magie fällt.“

Als er geendet hatte und sich wieder in den Sessel zurückfallen ließ, erhob sich ein zustimmendes Murmeln. Draco Malfoy verzog seine fahlen Lippen zu einer Art müden Triumphlächelns und sah sie herausfordernd an, als wäre dieser Umstand allein ihre Schuld.

Seit sich sein Vater in Azkaban befand, hatten sich um seine kalten grauen Augen tiefe dunkle Ringe gebildet; die von Natur aus ohnehin bleiche Haut wirkte matt und kraftlos, in den Mundwinkeln nistete ein bitteres Lächeln. Man sah ihm den Kummer deutlich an, so sehr er ihn auch zu überspielen suchte.

Während sie ihn so betrachtete, empfand Jiang Li beinahe etwas Mitleid mit dem Jungen. Aus dem Tagespropheten wusste sie, dass Lucius Malfoy für seine Aktivitäten als Todesesser angeklagt und ins Gefängnis gesteckt worden war; er wartete nun schon seit Monaten auf den Prozess. Für die Familie bedeutete das natürlich den totalen Gesichtsverlust in der Öffentlichkeit, obwohl Jiang Li insgeheim den Verdacht hegte, dass es Malfoy zu gegebener Zeit gerissen wie immer schaffen würde, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Trotzdem musste die ganze Situation den Jungen schwer belasten, daher ließ sie die Provokation mit einem Schulterzucken an sich vorüberziehen und schwang statt einer saftigen Antwort ihren Zauberstab mit einem lässigen Ruck in Richtung Tafel. Augenblicklich erschien eine ganze Reihe von gleich großen, in Kreise eingebetteten Symbolen.

„Wir beginnen mit dem Kitab Al’Azif, hierzulande eher unter dem Namen „Necronomicon“ bekannt. Der arabische Titel bedeutet „vom Heulen der Wüstendämonen“, während sich der uns bekannte zuerst aus den griechischen Worten „nekros“, also Leichnam, „nomos“, Gesetz und „ikon“, Bild, sinnhaft etwa mit „Vorstellung von den Gesetzen der Toten“ übersetzbar, entwickelte. Lateinisch wäre das Ganze dann „necare“, töten, zusammen mit „nomen“, Name, also in etwa „ich töte durch Benennung“ oder das „Buch der toten Namen“. Es entstand vermutlich vor über 1300 Jahren in Damaskus, geschrieben von Abd Al’Azrad, den man auch den „wahnsinnigen Araber“ nannte.“

Jiang Li sah sich in der Klasse um. Es war totenstill geworden, die Schüler hingen ausnahmslos an ihren Lippen; selbst Malfoy hatte sich leicht nach vorne gebeugt und der blasierte Gesichtsausdruck, den er für gewöhnlich zur Schau stellte, war einem Hauch von Interesse gewichen.   

Sie lächelte flüchtig und fuhr mit gleichmütiger Stimme fort.

„Abd Al’Azrad stammte ursprünglich aus Sanaá, der heutigen Hauptstadt der Republik Jemen, und suchte bereits im Alter von etwa zwanzig Jahren die Ruinen von Babylon und die unterirdischen Geheimnisse von Memphis auf. Nachdem er sich zehn Jahre lang in völliger Einsamkeit in der großen südarabischen Wüste Roba el Khaliyeh aufgehalten hatte, schrieb er der Überlieferung nach das Necronomicon mit menschlichem Blut auf Menschenhaut nieder.

Heute sind allerdings nur noch streng limitierte Abschriften des Necronomicon erhalten. In England existieren beispielsweise nur fünf Exemplare dieses Buches; das Ministerium hält es für das Beste, wenn Gefahrenquellen wie diese von Anfang an so gut wie möglich unter Verschluss gehalten werden. Es geschah von Zeit zu Zeit immer wieder, dass auch Muggel in den Besitz einer originalen Abschrift gelangten; daher kam Theodorus Philetas um das Jahr 950 herum auf die Idee, in Konstantinopel eine griechische Übersetzung in Manuskriptform anzufertigen, die so gut wie nichts mehr mit dem Original zu tun hatte.“

Sie räusperte sich und schnippte kurz; den Bruchteil einer Sekunde später erschien ein Glas mit kühlem Wasser auf dem Lehrerpult. Ihre Zuhörerschaft scharrte ungeduldig mit den Füßen; die Slytherins waren offensichtlich völlig in den Bann ihrer Erzählung geraten.

Eine Hand fuhr nach oben.

„Al’Azrad muss doch also Dämonen beschworen haben, sonst würde sein Buch nicht zu den großen Werken der Schwarzen Magie zählen, nicht wahr? Und er ist anscheinend mit heiler Haut davongekommen.“

Jiang Li ließ sich mit der Antwort Zeit und nahm erst einmal einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. Die Klasse wurde noch unruhiger und vereinzelt war ein leises, aufgeregtes Tuscheln zu hören.

„Miss Parkinson, ich bin mir nicht sicher, ob Sie die Geschichte Al’Azrads zu Ende kennen. Nachdem er die „Karmesinrote Wüste“, ebenfalls bekannt als „Leerer Raum“, bereist hatte, war er nicht mehr voll bei Verstand. Zwar blieb er bis zum bitteren Ende – das ihn übrigens in Gestalt eines unsichtbaren Dämons, der ihn auf offener Straße und am helllichten Tag vor einem Haufen von Muggel zerriss, ereilte – ein ausgezeichneter und mächtiger Hexenmeister. Dennoch konnte er dem Druck auf Dauer nicht standhalten und in den wenigen persönlichen Briefen, die von ihm erhalten oder bekannt sind, klagt er von Dämonen und selbst Göttern, die ihn jagen und ihm nach dem Leben trachten … Und denken Sie daran, Miss Parkinson, welchen Preis diese – Dienstleistungen – kosten … das war mit ein Hauptgrund, weshalb die meisten der Dämonenbeschwörungen ein so schreckliches Ende nahmen und daraufhin verboten wurden.“

Pansy Parkinson wollte offensichtlich noch etwas einwerfen, doch Jiang Li drehte sich einfach zur Tafel hin und wies mit dem Zauberstab auf das erste Symbol. Es wuchs rasch, rückte in die Mitte und füllte zu guter Letzt beinahe die ganze Fläche aus.

„Wir beginnen mit Marduk, dem mächtigsten der fünfzig Geister des Necronomicon. Seine Kräfte sind zwar unvorstellbar, doch Al’Azrad warnt ausdrücklich davor, ihn jemals zu rufen. Viele Hexen und Zauberer hielten sich nicht an diesen Rat und bezahlten mit dem Leben; dieser Dämon ist außerdem sehr rachsüchtig, und so fielen schon viele Unschuldige durch eine unbedachte Beschwörung seiner Unerbittlichkeit zum Opfer …“

So ging es über eine ganze Weile hinweg, bis sie gegen Ende der Stunde zum zweiundzwanzigsten Dämon des Necronomicon kamen.

„… trägt den Namen Zahrim. Dieser Geist tötete in der Schlacht gegen die „alten Götter“, wie Al’Azrad schreibt, zehntausend Feinde. Ein Krieger gegen Krieger. Mit ihm kann eine ganze Armee zerstört werden.“

Jiang Li unterbrach sich, als die Glocke schrillte, und wischte mit einem Ruck des Zauberstabes die Tafel leer.

„Bis nächste Woche erwarte ich von Ihnen einen ausführlichen Aufsatz von mindestens einer Rolle Pergament über die folgenden, noch nicht besprochenen zehn Dämonen. Sollten Sie Zusatzmaterial aus der Verbotenen Abteilung benötigen, kommen Sie zu mir und erklären mir genau, was und wozu Sie es brauchen. Ich werde Ihnen dann gegebenenfalls eine Erlaubnis für Madam Pince ausstellen.“

Die Slytherins packten aufgeregt durcheinander plappernd ihre Sachen zusammen und drängelten bis auf Malfoy und seine beiden ständigen Begleiter durch die Tür nach draußen. Die zwei bulligen Jungen hielten einen Respektabstand von einem Meter, als der blasse Junge zu ihr an den Lehrertisch kam.

„Mich würde interessieren“, begann er gedehnt, „welchen Zauberergrad diese Art von Magie erfordert. Wäre theoretisch also auch ein Schüler dazu in der Lage?“

Jiang Li verstaute einige Papiere in den Schubladen, bevor sie sich aufrichtete und ihn mit gerunzelter Stirne musterte.

„Vergessen Sie’s, Mr Malfoy. Selbst wenn Sie sich in die Materie einlesen und versuchen würden, einen der Fünfzig zu beschwören, es wäre ein sinnloses und gefährliches Unterfangen. Im günstigsten Fall, und ich denke, bei Ihrer derzeitigen Ausbildungsstufe würde es dabei bleiben, erscheint der Dämon gar nicht erst. Im schlimmsten Fall bemerkt er Ihre Unerfahrenheit und zerreißt Sie auf der Stelle. Abgesehen davon würde Sie das Ministerium entweder sofort nach Azkaban bringen oder suspendieren; das kann es ein dummer Schülerstreich doch gar nicht wert sein, oder …?“

Malfoy zuckte leicht zusammen und funkelte sie wütend an.

„Meine Frage war lediglich hypothetisch gemeint“, schnarrte er nach einer Schrecksekunde kalt, drückte das Rückgrat steif durch und verschwand eilig mit seinen Freunden, die sich hinter seinem Rücken gegenseitig unsichere Blicke zuwarfen. Jiang Li schüttelte sinnend den Kopf und schnaubte abfällig, vergaß den Vorfall aber fast sofort wieder. Die Schüler konnten schon ziemlich anstrengend sein; zum Glück musste sie sich im Gegensatz zu den Hauslehrern nicht darum kümmern, was außerhalb ihrer Unterrichtsstunden geschah.

 

***

 

Dohosan Brant lächelte ihr wieder einmal huldvoll zu. Das traditionelle Halloween-Bankett war in vollem Gange; Schüler und Lehrer schlugen sich mit Enthusiasmus die Bäuche voll.

„Probieren Sie doch einmal den Kürbiskuchen, er ist wirklich exzellent!“ Brant hielt ihr eine silberne Platte vor die Nase und ließ seine ebenmäßigen Zahnreihen schimmern.

Jiang Li bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Snape mürrisch zu ihnen hersah.

„Nein, vielen Dank. Ich muss später noch nach London fliegen, davor graut mir schon.“

„Ah ja, die Ministeriumsfeier – da bin ich auch eingeladen. Wollen Sie sich vielleicht einen Besen mit mir teilen, meine Liebe?“

„Nein, danke.“ Sie fühlte ganz deutlich, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Während Brant ihre Antwort mit einem Achselzucken abtat und sich mit seinem Kuchen zu der neben ihm sitzenden Madam Hooch drehte, wagte Jiang Li wieder einen Blick zur rechten Seite. Snape senkte zwar gleich den Kopf, doch nicht schnell genug. Seine finstere Miene war nicht zu übersehen gewesen. Jiang Li seufzte tief auf und rieb sich die Schläfe. Das konnte ja noch ein heiterer Abend werden.

 

Wie befürchtet, entwickelte sich der Flug zu einem regelrechten Albtraum; hätten sich Professor Flitwick und Ceallach Earnan ihrer nicht erbarmt und sie fürsorglich in die Mitte genommen, wäre Jiang Li wohl schon über Leeds vom Besen gefallen. Wie ein nasser Sack hing sie mit zusammengekniffenen Augen auf dem unbequemen Stiel, krallte sich krampfhaft fest und war nur froh, dass ihr lautes Wimmern im Heulen des Windes unterging.

Als sie schließlich den kleinen, verwilderten Park erreicht hatten, von dem aus sie direkt ins Ministerium apparieren wollten, ließ sie sich zitternd zu Boden gleiten und knickte in die Knie. Flitwick lachte piepsig und klopfte ihr tröstend auf die Schulter.

„Machen Sie sich nichts draus! Ich mag das Fliegen ja eigentlich auch nicht so gerne, aber manchmal muss es eben sein, nicht wahr?“

Ihr war speiübel, daher öffnete sie den Mund lieber erst gar nicht. Ceallach nahm ihr den Besen aus der Hand und verschwand damit; vermutlich verstaute sie ihn mit den Restlichen für den Rückflug. Jiang Li fuhr sich schwach über die Augen und stöhnte verhalten. Daran mochte sie lieber gar nicht denken.

„Also los! Wer zuerst bei den Getränken ist!“, ließ sich Brant volltönend vernehmen, lachte ausgelassen und verschwand mit einem lauten Knall. Die anderen Zauberer folgten nach und nach seinem Beispiel, Professor Flitwick packte Jiang Li vorsichtig am Arm.

„Schaffen Sie das?“

Sie nickte schwach und seufzte. „Keine Sorge. Ich muss mich nur konzentrieren, dann geht’s schon.“

Der kleine Magier lächelte ihr aufmunternd zu, tätschelte ihr noch einmal kurz die Hand und apparierte. Jiang Li atmete tief durch und nahm sich zusammen. Sie wollte nicht noch länger allein in diesem dunklen Park festsitzen.

 

Das Atrium schimmerte im Glanz unzähliger Kerzen, die hoch unter der pfauenblauen Decke mit den unzähligen goldenen Symbolen schwebten, und bot einen atemberaubenden Anblick. Zu Feier des Halloweenfestes ließ man, ähnlich wie in Hogwarts, Tausende von Fledermäusen zwischen den verzauberten Kerzen schweben. Sie glänzten, als wären sie aus schwarzem Opal und die Flammen brachen sich in ihren Körpern; das alles warf ein zauberhaftes Licht auf die dunkel getäfelte Halle. Dumbledore erwartete sie bereits vor dem großen goldenen Doppeltor und schmunzelte aufgeräumt.

„Willkommen! Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug“, meinte er heiter und wandte sich mit leicht besorgtem Gesichtsausdruck an Jiang Li, die mit weichen Knien hinter den anderen hergeschlichen kam. „Fehlt Ihnen etwas, meine Liebe?“

„Wer … wer hatte denn die Idee mit dem Herfliegen?“, fragte sie schwach und ahnte die Antwort schon.

„Ich dachte, es würde Ihnen Spaß machen“, antwortete Dumbledore mit ahnungsloser Miene und rückte seinen spitzen Hut zurecht. „Sie kommen ja sonst so wenig an die frische Luft.“

Spaß, soso.“ Sie ließ sich nicht weiter darauf ein, sondern winkte einen der zahllosen Hauselfen, die große runde Silberplatten mit einer ansehnlichen Auswahl an erlesenen Spirituosen trugen, zu sich.

Gerade als sie sich ein Glas Scotch Whisky ausgesucht und den ersten Schluck zu Gemüte geführt hatte, hörte sie undeutlich jemanden ihren Namen sagen. Sie drehte sich um.

„Miss Lian? Ich möchte Ihnen gerne den Minister vorstellen.“

Dumbledore lächelte nicht mehr. Neben ihm stand ein kleiner, untersetzter Mann in einer dunkelblauen Nadelstreifrobe. Jiang Li erkannte ihn sofort, was kein Wunder war, denn von Cornelius Fudge prangte beinahe jeden Tag ein halbseitengroßes Foto im Tagespropheten.

Der Minister sah nicht sehr begeistert aus, als er ihr mit förmlicher Miene die Hand hinstreckte und sie nach dem obligatorischen Schütteln unauffällig an seiner Robe abstreifte. Seine zwei Begleiter blieben gleich stocksteif hinter ihm stehen und machten erst gar keine Anstalten, sie zu begrüßen.

Jiang Li fühlte sich durch die unverhohlene Ablehnung schwer gekränkt und spürte, wie ihr die Wut kochendheiß in die Kehle schoss. Am liebsten hätte sie eine spitze Bemerkung gemacht, doch dazu fiel ihr auf die Schnelle nichts Passendes ein.

Fudge musterte sie von oben herab und verzog die Mundwinkel zu einem halbherzigen, gönnerhaften Lächeln.

„Also Sie sind jetzt die neue Lehrerin in Hogwarts. Tja. Jaja.“ Er hüstelte pikiert und zog die Augenbrauen hoch, während er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, an Dumbledore wandte.

„Ich wusste ja schon immer, dass Ihr Geschmack – nun – eigenwillig ist, lieber Albus. Wie geht es ihr denn so beim Unterrichten? Kommt sie auch gut mit den Kindern zurecht?“

Sein blasiert-herablassendes Schnauben gab Jiang Li den Rest. Sie senkte den Kopf wie ein wütender Stier, holte tief Luft und trat ruckartig so weit nach vorne, dass ihre Stiefelspitzen nur noch einen Zentimeter von Fudges schwarzen Lackschuhen entfernt waren.

Was denken Sie –“

Dumbledore packte sie mit einer verblüffenden Geistesgegenwart am Arm, nutzte den Schwung ihres Schrittes aus und bugsierte sie mit Eleganz aus dem Gefahrenbereich.

„Ich komme gleich zu Ihnen, Cornelius!“, rief er freundlich über die Schulter zurück und winkte dem Minister zu. Jiang Li riss sich los und funkelte ihn wütend an.

Sie –“

„Seien Sie um Himmels willen nicht unvorsichtig. Cornelius Fudge kann sehr unangenehm werden, wenn man ihn reizt.“ Der weißhaarige Zauberer lächelte bei diesen warnenden Worten, als würde er ihr gerade ein charmantes Kompliment machen. Ihr aufgebrachter Gesichtsausdruck schien ihn dabei nicht im Geringsten zu stören.

„Ich verstehe Sie ja“, schnitt er ihr eilig das Wort ab, als sie zum zweiten Mal den Mund öffnete, „aber ich muss Sie leider bitten, dieses Mal in den sauren Apfel zu beißen. Erinnern Sie sich, letztes Jahr konnte Fudge von seiner obersten Untersekretärin noch nach Lust und Laune jederzeit einen Schulerlass nach dem anderen anordnen lassen und heute muss er Hogwarts wohl oder übel in Frieden lassen, weil er unsere Hilfe gegen Voldemort braucht. Verhalten Sie sich bitte still, Jiang Li. Sie sind eine vernünftige Frau und werden sicher einsehen, dass Fudge nur aus Rachlust provozieren will.“

Sie knurrte gereizt, nickte aber widerwillig. Natürlich hatte Dumbledore recht. Trotzdem trieb ihr die ungerechtfertigte Provokation beinahe die Tränen in die Augen und sie presste das Whiskyglas so fest in ihrer Faust, dass es Sprünge bekam.

 

Von diesem Zeitpunkt an war der Abend gelaufen. Im Inneren tobend vor Zorn suchte sie eine der bequemen Sitzecken, die man überall im Atrium aufgestellt hatte, auf und nahm einem Hauselfen gleich das ganze Tablett ab.

Die Leute hier waren ja alle so verlogen. Misstrauisch betrachtete sie jeden Einzelnen, der an ihr vorüberkam, ließ die Asche ihrer unzähligen Zigaretten sorgfältig zu Boden fallen und rieb sie mit dem Stiefelabsatz fest in den blankpolierten Boden. Zwar schadete sie damit eigentlich nur den unschuldigen Hauselfen, doch nach dem vierten Green Spot Whiskey gönnte sie es ihnen. Sie gönnte es eigentlich der ganzen Welt, unglücklich zu sein. Daher ließ sie gleich auch noch das halbgefüllte Glas fallen und trat ärgerlich darauf herum, als es nicht gleich zersprang. Die angerichtete Schweinerei erfüllte sie mit einem flüchtigen Gefühl der Befriedigung und sie kicherte hämisch.

„Sehr hübsch, Jiang Li. Sie genießen die Feier, wie ich sehe.“

Eine dunkel gekleidete Gestalt ließ sich mit einem unterdrückten Stöhnen neben ihr nieder und stützte die Ellbogen erschöpft auf den Knien auf. Sie wandte nicht einmal den Kopf; Snape war leicht zu erkennen.

„Green Spot?“

Er griff schweigend zu und goss sich das Glas mit einem einzigen großen Schluck die Kehle hinunter.

„Zigarette?“

Er nahm sie und rauchte schweigend, bis Jiang Li den Kopf zur Seite drehte und ihn langsam musterte. Snape war blass und sah müde aus; seine pechschwarzen Augen wirkten verschleiert und über die rechte Schläfe zog sich ein langer, schlecht verheilter Kratzer.

„Schweren Tag gehabt?“

Er zuckte mit den Achseln und ließ sich in das weiche Sofa zurücksinken. Jiang Li tat es ihm gleich und nahm einen tiefen Lungenzug. Eine der verzauberten Fledermäuse verlor die Orientierung und taumelte von der Decke in Richtung Boden; bevor sie aufschlagen konnte, schwang Snape kurz den Zauberstab, den er aus den Tiefen seiner schwarzen Robe hervorgekramt hatte, und ließ sie auf seiner Handfläche landen.

Aus der Nähe betrachtet schillerte das Tier, als wäre es vollständig mit Perlmutt überzogen, und fiepte leise. Snape betrachtete die erschöpfte Fledermaus nachdenklich und strich ihr behutsam über den Kopf.

„Sie waren schon als kleines Mädchen eigenartig. Ich weiß noch, ich sah Sie da zwischen den anderen Erstklässlern und dachte mir, die Kleine passt da gar nicht hin.“ Er legte den Arm über die Rückenlehne und drehte das Gesicht zu ihr hin.

„Aber jetzt … Sie sind immer noch anders als die anderen.“ Mit der linken Hand nahm er sich noch ein Whiskeyglas und nippte langsam daran. Jiang Li schwieg und schloss die Augen, während sie sich allmählich gegen seinen Arm sinken ließ. Snape packte ihre Schulter und zog sie vorsichtig näher an sich heran. Ihre Gesichter waren sich auf einmal ganz nah.

„Es tut Ihnen auch weh, anders zu sein, nicht wahr?“ Seine Stimme war zu einem bitteren Flüstern geworden. Jiang Li musste lächeln, so sehr sich ihre Kehle auch zusammenkrampfte.

„Daran habe ich mich schon gewöhnt.“

„Das klingt nicht gerade überzeugend.“ Er strich ihr mit einer sanften Handbewegung über die Wange und nahm dabei eine ihrer langen, schwarzen Haarsträhnen zwischen die Finger. Ohne es zu wollen, stiegen Jiang Li an diesem Abend zum zweiten Mal die Tränen in die Augen und diesmal gelang es ihr nicht ganz so gut, sie zurückzuhalten.

Die Fledermaus schwirrte mit einem hohen, sirrenden Ton in die Höhe und verschwand unbeachtet in der Dunkelheit. Snape ließ seinen Kopf gegen den ihren sinken und küsste vorsichtig ihre Schläfe. Sie hob die Hand und fuhr mit den Fingerspitzen sachte seine Backenlinie entlang.

„Wirklich schon immer bewundernswert …“, murmelte er leise und küsste ihre Lippen. Jiang Li war erstaunt, wie heftig sie ihn begehrte, und zog ihn mit einem Ruck näher an sich heran. Sein Körper fühlte sich schmal und sehnig an; sie ließ ihre Finger am Halsausschnitt unter die Robe gleiten und umfing seine Schulter mit einem festen Griff.

Er keuchte auf und ließ seine Lippen über ihren Hals und Nacken wandern. Jiang Li packte noch fester zu und schob ihn bedauernd ein kleines Stück von sich.

„Wir sind hier immer noch im Ministerium, Severus“, erinnerte sie ihn etwas außer Atem und strich sich das Haar glatt. „Am Besten, wir …“

Eine laute Stimme, die rasch näher kam, unterbrach sie schlagartig. Wie auf frischer Tat ertappt, fuhren sie auseinander und Snape rückte eilig seine Kleidung wieder gerade. Jiang Li stand auf, zündete sich mit unsicherer Hand eine Zigarette an und trat hastig aus dem Schatten der Pflanzen, die rund um die Sitzecke gruppiert waren. Snape blieb sitzen und sah den Ankömmlingen mit seiner gewohnt missmutigen Miene entgegen.

Dumbledore näherte sich mit schnellen Schritten in Begleitung von Arthur Weasley und einer schwarzhaarigen Hexe, schenkte Jiang Li, die so tat, als würde sie die Blüten einer riesigen Kletterrose bewundern, ein warmes Lächeln und wandte sich mit sanfter Stimme an Snape.

„Severus, wenn es Ihnen nichts ausmacht – Ms Jones und Mr Weasley würden Sie noch einmal gerne sprechen.“

Jiang Li sah so unauffällig wie möglich zu ihnen hin und fühlte plötzlich einen heftigen Stich in der Brust. Wozu hatte sie diesen „bindenden magischen Vertrag“, wie es so hochtrabend geheißen hatte, denn überhaupt unterschrieben, wenn sie doch sowieso weder Informationen noch Aufgaben bekam. Sie wusste ja gar nicht einmal, wie viele Mitglieder der Orden des Phönix’ eigentlich hatte oder wie es im Kampf um Voldemort stand. Nach der Vertragsunterzeichnung hatte sie kein Wort mehr in diese Richtung gehört, es war, als würde der Orden gar nicht existieren. Oder vielleicht traute ihr bloß keiner etwas zu, war ja auch möglich. Jiang Li schielte so lange zu den Vieren hin, bis ihr die Augen wehtaten, und spitzte die Ohren, doch es half ihr nichts. Snape erhob sich langsam, warf ihr noch einen kurzen, schwer zu deutenden Blick zu und entfernte sich mit der Gruppe in Richtung des Goldtores.

Jiang Li biss sich auf die Lippen und schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Abgesehen davon, dass sie den Alkohol jetzt immer stärker spürte und bezweifelte, auch nur gerade gehen zu können, musste sie sich scharf überlegen, wie sie um den Besenflug herumkam. Nach den ersten unsicheren Schritten ließ sie sich einfach schwer zu Boden plumpsen und kroch in eine Ecke. Sie fühlte sich einsam, ausgebrannt und tat sich selbst sehr, sehr leid. Ein vereinzelter Hauself schlurfte müde vorüber und überließ ihr gnädig eine Flasche Wein, mit der sich Jiang Li die Zeit vertrieb, bis schließlich Professor Flitwick vorbeikam und sie nach einer ordentlichen Standpauke mit einem Schwebezauber abtransportierte.

 

Zwar musste sie in dieser Nacht nicht mehr fliegen, dafür aber (zum Nachdenken, wie Flitwick sagte) im Fahrenden Ritter neben Stan Shunpike sitzen und sich den ganzen Weg nach Hogwarts sein munteres Geplapper anhören, während es ihr bei jedem Ruck den Magen umdrehte. Im Stillen schwor sie sich immer wieder, das Ministerium nicht noch einmal zu betreten, geschweige denn auf eine Feier zu gehen. Die unangenehmen Erfahrungen dieses Abends genügten ihr hinlänglich, wobei sie über Snape noch gar nicht nachdenken wollte. Das hatte erst mal Zeit bis morgen.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück