Zum Inhalt der Seite

Corvus et Vulpes

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Aranea

Der Dezember ging eisig zu Ende und mit ihm fanden auch alle Feierlichkeiten am Grimmauld-Place ihr Ende; Jiang Li war bereits am Abend nach dem Weihnachtstag abgereist, gefolgt von Snape, Mrs Figg und zwei, drei anderen. Die Übrigen feierten auch noch Silvester in London und führten den vergeblichen Kampf gegen Fäulnis, Schmutz und dumpfe Muffigkeit weiter.

 

„Sev?“

Hier in Snapes Wohnung, die in Höhe der Kerker lag, drang kein Strahl des klaren, frostigen Neujahrsmorgens herein. Die einzigen Lichtquellen bestanden aus zwei bis unter die Decke reichenden, schmiedeeisernen Röhren, von kunstvollen Mustern durchbrochen, durch die der Schein zweier armdicker Feuersäulen drang. Es hätte sehr romantisch sein können, wenn Jiang Li an diesem Morgen romantisch zumute gewesen wäre.

„Mmh?“

„Schläfst du?“

Severus Snape öffnete mühsam erst das eine, dann das andere Auge. Sich schlafend zu stellen war jetzt sicher auch nicht mehr sehr sinnvoll, so gut kannte er Jiang Li immerhin schon.

„Hm. Nein. Jetzt nicht mehr.“

„Schön.“

Mit einer eleganten Bewegung zündete sie sich eine Zigarette an und ignorierte sein gequältes Aufstöhnen.

„Es ist so heiß hier drin!“

Nach einem kurzen, gereizten Schnippen rollten sich die Decken artig zur Seite und sie machte es sich gemütlich, den Kopf bequem auf seiner Brust. Die kraftlosen Proteste nahm sie nicht einmal zur Kenntnis, reichte ihm dafür aber ein Päckchen Bertie Bott’s Bohnen.

„Sev, ich habe nachgeforscht. Vielleicht erinnerst du dich, dass ich dich einmal nach Geomantie gefragt habe …?“

Er blinzelte zwar kurz, zuckte dann aber mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Willst du jetzt mit einer Wünschelrute nach Wasseradern suchen oder was?“

„Komm mir bloß nicht so blöd, Sev. Ich kaufe dir nicht ab, dass du auf dem Gebiet so wenig weißt, wo du doch sonst immer in allen Dingen so beschlagen bist!“

„Du täuscht dich, Jiang Li, und abgesehen davon solltest du dich langsam mal auf wirklich wichtige Dinge konzentrieren. Oder hast du schon alle Informationen über die Unternehmung in Bangor beisammen?“

Eiskalt erwischt. Nachdenklich schwieg sie für einen Augenblick und zog die Unterlippe zwischen die Zähne.

„Warum willst du mir eigentlich nicht zuhören, Liebling?“, meinte sie schließlich ruhig, fast gleichmütig. „Es ist schon auffällig, wie gerne du ablenkst, wenn ich über dieses Thema reden will. Vor allem, wo ich, so glaube ich jedenfalls, eine Art Durchbruch erzielt habe!“

„Ach ja? Und was für ein Durchbruch soll das sein?“

„Ich sehe langsam die Zusammenhänge, Severus, Zusammenhänge, von denen anscheinend niemand sonst etwas weiß, obwohl mich das fast wundert … Egal. Denn es ist eigentlich ganz einfach, mein Schatz.“

Jiang Li steckte sich mit einer fahrigen, aufgeregten Bewegung eine neue Zigarette an, sie fing bei diesem Thema sichtlich Feuer; Severus dagegen schien im Gegenzug dazu immer weiter abzukühlen und hob nur leicht die Augenbraue, während er sich mit unbeeindruckter Miene eine giftgrüne Bohne in den Mund schob.

„Also, hör zu. Ich habe einige Zeit gebraucht, um alle Puzzleteile an ihren Platz zu bringen und natürlich gibt es da auch noch fehlende Teile, aber im Großen und Ganzen … Hörst du mir zu, Sev? Es geht um – also, Voldemort will“, sie wollte eine dramatische Effektpause einlegen, ließ es anhand Snapes wiederholtem Gähnen allerdings bleiben, „die Macht über die unterirdischen Ströme. Geomantie! So einfach, aber ich bin nicht drauf gekommen, und sonst wohl auch keiner, verflixt noch mal! Wenn Voldemort es schafft, die Energieströme zu kontrollieren, dann hat er den Schlüssel zur Beherrschung der Welt in der Hand! Stell dir das mal vor, Sev! Durch das Lenken der tellurischen Energieströme der Welt wären die totale Kontrolle über Gegebenheiten wie Wetter, Bodenschätze, Wachstum und ich weiß nicht was noch alles möglich! Er könnte unermessliche Reichtümer anhäufen, das Erdklima verändern – das Einzige, das jetzt noch wichtig ist, besteht darin, seine Pläne zu kennen, sein eigentliches Ziel zu wissen – dann könnten wir –“

„Das ist doch alles nur illusorischer Quatsch, Schätzchen.“

Snape hatte es tatsächlich geschafft, bei ihren leidenschaftlichen Worten ruhig zu bleiben, ja, es spielte sogar ein leicht herablassendes Lächeln um seine schmalen Lippen.

Diese wenigen Worte reichten aus, um ihr jegliche Lust am Weitersprechen zu rauben; ernüchtert rückte sie ein Stück von ihm ab.

„Das meinst du jetzt nicht im Ernst, oder?“

„Liebling, ich bewundere deine blühende Phantasie, ehrlich. Aber du wirst selbst zugeben müssen, dass das alles – und verzeih mir bitte die Unhöflichkeit – im Großen und Ganzen nichts weiter ist als sinnloses Geschwafel. Wer weiß schon, ob Voldemort wirklich nach den Erdströmen oder was auch immer sucht? Ich wüsste jedenfalls nichts davon und du wirst zugeben müssen, dass ich doch um einiges näher in Kontakt mit ihm stehe als du. Abgesehen davon befürchte ich ganz einfach, dass du in den letzten Monaten durch die Arbeit in den Bibliotheken ein klein wenig weltfremd geworden bist.“

Eine kalte Dusche hätte kaum schlimmer sein können. Jiang Li erhob sich mit einem Ruck und schnippte nach ihrem Bademantel, verwirrt und wie vor den Kopf geschlagen. In ihrem Inneren herrschte Aufruhr. War es denn tatsächlich möglich, dass sie sich so sehr getäuscht hatte? Dass ihre Entdeckung nicht das Geringste wert war?

Liege ich denn wirklich so falsch?

„Komm doch wieder ins Bett, Liebling“, hörte sie Snape hinter sich sagen und das dumpfe Geräusch, als er mit der flachen Hand auffordernd neben sich klopfte, doch noch nie hatte sie weniger Lust dazu verspürt, in seiner Nähe zu sein, als in eben diesem Augenblick.

 

***

 

„Hast du heute schon den Tagespropheten gelesen?“

„Wahnsinn, oder? Verdammt noch mal, als die Post kam, dachte ich im ersten Moment an einen miesen Scherz, ich meine, so was kann doch irgendwie gar nicht wahr sein …“

Hogwarts glich an diesem Samstagmorgen einem Bienenschwarm, in den man mit einem Dutzend spitzer Stöcke hineingestochert hatte; Lehrer und Schüler überboten sich gegenseitig mit den aufregenden Neuigkeiten, schrieen und deuteten wild durcheinander. Jiang Li kam wie üblich spät zu Tisch, eigentlich hatte sie das Frühstück ja ganz ausfallen lassen wollen. Seit ihrem Streit mit Snape eine Woche zuvor fühlte sie sich nicht so ganz auf der Höhe, obwohl sie es eigentlich niemandem zeigen wollte. Ihre schmalen Augen verengten sich zu gereizten Schlitzen, als sie das Durcheinander sah.

„Was ist da los?“

„Den Propheten noch nicht gelesen?“

Dohosan Brant grinste sie mit seinem makellosen Gebiss an und reichte ihr mit einem strahlenden Zwinkern eine bereits reichlich zerfledderte Zeitung über den Tisch. Er wirkte wie ein aufgeregter kleiner Schuljunge, die Wangen rot gefleckt, die Augen vor lauter Begeisterung glänzend. Jiang Li nahm den Tagespropheten in die Hand und strich das schmuddelige Papier glatt. Gleich auf der Titelseite sprang ihr ein siegessicher grinsender Lucius Malfoy geradezu ins Gesicht.

 

FREISPRUCH FÜR LUCIUS MALFOY

 

„Was?“, entfuhr es ihr leise und sie hob völlig entgeistert den Kopf. „Das kann doch nicht wahr sein!“

„Glauben Sie es ruhig“, kam es trocken von Snape, der sich inzwischen unbemerkt auf seinen Platz zu ihrer Rechten gesetzt hatte.

Jiang Li überging seinen Einwurf mit einem Achselzucken und wandte sich wieder dem Artikel zu.

 

In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages wurde der ehemalige Schulbeirat Sir Lucius Malfoy aus der Untersuchungshaft in Azkaban entlassen. Bereits seit über sechs Monaten harrte der Familienvater dort in einer kleinen Zelle geduldig auf Gerechtigkeit.

„Oft war die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit meiner geliebten Frau Narcissa und meinem Sohn das Einzige, das mich während dieser schweren Zeit aufrechterhielt. Ich möchte selbstverständlich nicht negativ gegen unser Rechtssystem sprechen, doch ich denke, solche betrüblichen Umstände, aufgrund derer ich wegen einer simplen Verwechslung über einen so langen Zeitraum in Azkaban festgehalten wurde, sollten in Zukunft einfach nicht mehr vorkommen, wofür ich mich auch tatkräftig einzusetzen gedenke.“

Lucius Malfoy war im Sommer aufgrund einer peinlichen Verwechslung für einen Todesesser gehalten und daraufhin inhaftiert worden; wie sich erst jetzt herausstellte, handelte es sich bei den übrigen Angeklagten, die weiterhin auf ihren Prozess warten, zwar um Mr Malfoy näher bekannte Personen, doch hatte ihn lediglich ein unglücklicher Zufall in der besagten Nacht in das Ministerium für Magie geführt.

„Ich hatte einige wichtige Dokumente vergessen und wollte diese, da ich einerseits ein Nachtarbeiter und andererseits sehr pflichtbewusst bin, an diesem Abend aus dem Ministerium holen. Als ich mich auf dem Rückweg nach draußen befand, hörte ich aus dem Atrium entsetzlichen Lärm und eilte ohne viel Federlesens dorthin; da es an jenem Abend stark nach Regen ausgesehen hatte, trug ich einen schwarzen Regenmantel, der mich im Endeffekt auch in die missliche Lage brachte, da ich mit einem der Todesesser, der allerdings flüchten konnte, verwechselt wurde …“

Mr Malfoy konnte seine Verteidigung anschaulich belegen und wird daher auch vollständig rehabilitiert werden; alle Ämter und sonstige Funktionen werden ihm in der nächsten Zeit rückerstattet.

 

„Schlag mich, Sev, das kann doch nur ein Witz sein.“

Jiang Li wusste nach diesem Artikel nicht wirklich, ob sie lachen oder weinen sollte. Wie, beim Barte des Merlin, hatte es dieser Teufelsbraten nur schon wieder geschafft, mit einer so fadenscheinigen Geschichte seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen?

„Nun, Jiang Li, ich denke, Sie sollten nicht über Dinge urteilen, von denen Sie keine Ahnung haben“, antwortete Snape mit kühler, überlegener Miene und brachte sie damit von einer Sekunde auf die andere in die Realität zurück. Für einen Augenblick hatte sie doch tatsächlich vergessen, dass ihre Beziehung in der Schule nicht unbedingt bekannt werden sollte.

„Nun, Severus, ich denke einmal doch, dass ich nicht erst seit gestern auf die Erde gefallen bin und deswegen doch etwas mehr davon verstehe“, äffte sie ihn übellaunig nach und drehte sich dann, ohne seine Antwort abzuwarten, demonstrativ zur Seite, während sie lauter als nötig mit der Zeitung raschelte.

Sie war schon die ganze Woche über so ziellos, so wütend, so entsetzlich verletzbar und geriet schon bei dem puren Gedanken an Snape in Zorn. Ihre letzte Diskussion über Geomantie, bei der er sie wie ein dummes kleines Mädchen abgekanzelt hatte, lag ihr immer noch wie ein Stein im Magen und gab ihr das Gefühl, von innen heraus langsam zu erfrieren. Nachts geschah es ihr jetzt schon zum vierten oder fünften Mal, dass es sie um etwa drei Uhr ruckartig aus dem Schlaf riss und die Schatten in ihrem Zimmer zu höhnischen, geradezu bedrohlichen Fratzen gerannen, die ihr eine solche Angst einjagten, dass sie eine Zeitlang wie gelähmt dalag und nicht einmal Atem zu holen wagte. Danach konnte sie sich nur noch schwer beruhigen und nutzte die verbliebenen Stunden bis zum Morgengrauen meistens dazu, weitere und genauere Informationen über Geomantie aus den zahllosen Büchern, die sie sich mittlerweile aus den verschiedensten Bibliotheken geholt hatte, zusammenzusuchen, um ihre Hypothese zu untermauern. Snape würde sie nie wieder wie ein Kind behandeln, dafür würde sie schon sorgen. Abgesehen davon war sie sich gar nicht mehr sicher, ob es überhaupt noch Sinn hatte, eine Beziehung mit ihm aufrechtzuerhalten.

Nahm er sie überhaupt wahr? War sie ihm denn eigentlich wichtig, nahm er sie ernst? Sie brauchte keine Liebesschwüre, Ehrlichkeit genügte völlig. Aber war er denn ehrlich zu ihr?

In diesen finsteren Nächten, in der Stunde des Wolfes, konnte es ihr unmittelbar geschehen, dass sich ihr das Herz so fest zusammenkrampfte, dass sie minutenlang nur ganz flach nach Luft schnappen konnte und sich fühlte wie ein Planetoid aus purem Eis, der in völliger Einsamkeit auf ziellosen Bahnen durch den stillen Weltraum zog.

 

***

 

Drei Wochen später war sie sich hinsichtlich ihrer Gefühle für Snape noch immer nicht völlig im Klaren. Zwar hatte sich die gereizte Stimmung zwischen ihnen etwas gelegt und Jiang Li freute sich auch auf ihre gemeinsamen Stunden, das wollte sie ja gar nicht abstreiten. Trotzdem hatte sich seit ihrem Streit am Monatsanfang eine Bruchlinie auf der dünnen Haut ihrer Beziehung gebildet, ein fadendünner Riss nur; trotzdem fehlte nicht viel, um alles augenblicklich in Trümmer fallen zu lassen. Der Anlass war lächerlich gewesen, doch die Wunde, die Snape mit seiner herablassenden Bemerkung geschlagen hatte, reichte tief und Jiang Li fragte sich manchmal, ob sie überhaupt jemals heilen würde. 

Vielleicht lag es auch daran, dass sie sich ihm nicht ganz ebenbürtig fühlte. Jedes Mal fürchtete sie sich davor, etwas Unbeholfenes zu sagen und dann dafür von ihm ausgelacht zu werden – er meinte es gewiss nicht böse, doch es war eben so – stand Severus Snape denn dafür, dauernd mit diesem Gefühl der Unzulänglichkeit leben zu müssen?

Oft, meistens geschah es mitten in einer Unterrichtsstunde, wollte sie am liebsten aufspringen und ihm klarmachen, dass es so nicht weiterging. Dass sie auch ein Mensch war und so behandelt werden wollte. Dass sie viel zu oft davor Angst hatte, den Mund aufzumachen, weil er jeden ihrer Fehler gnadenlos ans Licht zerrte.

 

„Jiang Li? Ist Ihnen nicht gut?“

Ceallach Earnan stand auf einmal vor ihr und sah sie mit einer so besorgten Miene an, dass Jiang Li beinahe einen Schrecken bekam. Sah sie denn schon so bemitleidenswert aus? 

„Geht schon, vielen Dank, Ceallach.“

Die zierliche Rothaarige überlegte einen Moment und warf dann rasch einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr.

„Meine nächste Unterrichtsstunde beginnt erst nach der Mittagspause. Möchten Sie vielleicht auf eine kurze Kaffeepause zu Rosmerta?“

Keine Frage, Earnan wollte mit ziemlicher Sicherheit ein etwas ernsteres Gespräch mit ihr führen. Jiang Li hatte einerseits zwar eigentlich keine Lust dazu, sich ausfragen zu lassen, andererseits sehnte sie sich danach, endlich mit jemandem reden zu können. Sich mal so richtig auszuheulen, gewissermaßen von Frau zu Frau.

 

Im Drei Besen konnten sie gerade noch einen kleinen Ecktisch ergattern, alle anderen Sitzgelegenheiten waren bereits besetzt. Offensichtlich aßen viele Einwohner Hogsmeades um Punkt zwölf Uhr zu Mittag.

Nachdem sie beide Platz genommen und bei einem gestressten Aushilfskellner ihre Bestellungen aufgegeben hatten, sah ihr Ceallach fest in die Augen.

„Nun?“

„Was?“

„Jiang Li, reden wir nicht um den heißen Brei herum, ich bin nicht der diplomatische Typ. Normalerweise wäre ich auch nicht so unverschämt neugierig und direkt, aber Ihnen ist der Kummer ja wirklich überdeutlich anzusehen.“

Überraschenderweise drängten bereits diese wenigen Worte Jiang Li beinahe an den Rand der Tränen und sie musste kräftig schlucken. Dann schien etwas in ihr zu brechen.

„Sie wissen von mir und Snape, Ceallach?“

„Natürlich, das ist doch wohl offensichtlich“, gab die Lehrerin für Alte Runen mit einem trockenen Lachen zurück und erinnerte Jiang Li in diesem Augenblick stark an McGonagall.

„Na, großartig. Ich frage lieber nicht, wer es sonst noch gemerkt hat.“

Wieder lachte Ceallach und schüttelte ihre langen Haare nach hinten.

„Die Frauen am ehesten, würde ich sagen. Männer haben in der Hinsicht nur dann den Durchblick, wenn sie nicht entweder völlig uninteressiert oder hoffnungslos eitel sind, daher haben Sie in Hogwarts nicht viel zu befürchten.“

Jiang Li lächelte schwach und senkte den Kopf. Es dauerte lange, bis sie etwas über die spröden Lippen brachte, ihre Kehle war wie ausgedörrt.

„Na ja, was soll ich groß sagen. Es ist eben alles nicht so einfach. Am Anfang war ich froh, aber jetzt – und überhaupt glaube ich, es wäre sowieso das Beste, man zieht einen Schlussstrich – aber es war sowieso klar, ich meine – er braucht eben – ich bin eben nicht auf seinem Niveau, und allein deswegen –“

„Soll das jetzt eine Selbstmitleidstour werden, oder wie ist das?“, unterbrach Ceallach das wirre Gestammel mit hochgezogenen Augenbrauen. „Von wegen „Niveau“ und so weiter – was meinen Sie damit?“

„Ich bin ihm eben nicht gut genug!“, brach es beinahe verzweifelt aus Jiang Li heraus und sie fuhr sich mit beiden Händen wild durch die Haare. „Zu dumm, zu naiv, zu ungeschickt, ganz egal! Ich werde nie perfekt sein. Ich werde immer Fehler machen. Ich möchte manchmal einfach nur wegrennen und woanders neu anfangen. Es ist nur – es tut mir jedes Mal wieder weh, obwohl ich es ja schon gewohnt sein müsste, wenn er – wenn ich eben etwas Dummes mache und – wissen Sie, Ceallach, andere Männer, die ihre Freundinnen wirklich gern haben, die würden doch wenigstens manchmal ein Auge zudrücken und sie nicht immer wie die letzten Idioten dastehen lassen, oder?“

„Also möchten Sie jemanden, der Sie bedingungslos anhimmelt?“, warf Ceallach fragend ein und nahm einen großen Schluck Tee.

„N-Nein“, Jiang Li fühlte sich in ihrem Redefluss unterbrochen und wurde plötzlich unsicher. Welchen Eindruck vermittelte sie denn da?

„Ich will – natürlich einen Mann, der auch kritisch ist. Sonst könnte ich mich ja gar nicht mit ihm unterhalten. Nein, nein, das ist es nicht. Aber ich will mich nicht für jede Aussage rechtfertigen müssen oder – was viel schlimmer ist – für Dinge, die ich nicht in der Hand habe oder die mir ganz einfach peinlich sind. Was zum Beispiel meinen Körper betrifft. Oder die Frage, ob es normal ist, dass Frauen genauso Brust- oder Barthaare wachsen wie Männern.“

Ceallach konnte nicht anders, sie warf den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen.

„Darüber redet ihr im Bett? Nein, köstlich!“

Womit sich auch die Frage, wer nun wem zuerst das Du-Wort anbot, erübrigte.

„Das ist gar nicht lustig, Ceallach. Gerade diese Frage war mir so was von – verflucht peinlich, am liebsten –“

„Verstehe ich, verstehe ich vollkommen, Jiang Li“, beeilte sich Ceallach, immer noch mit Lachtränen in den Augen, zu versichern. „Noch dazu, wo dieses kleine Problem sogar gewisse Schönheitsköniginnen betrifft – abgesehen von uns Durchschnittsfrauen, was?“

Seltsamerweise fühlte sich Jiang Li dadurch tatsächlich etwas getröstet.

 

Zwei Tage später landeten zwei Briefe auf ihrem Schreibtisch; einer davon war auf teurem, dicken Pergament geschrieben und wies als Absender das Ministerium für Magie auf, der andere wurde ihr von einer äußerst misstrauischen kleinen Eule erst dann zögernd übergeben, als sie sich zweifelsfrei als Jiang Li identifiziert hatte.

 

Am Fest der Hekate zur neunten Stunde p.o.s.

 

Mehr stand nicht auf dem schmalen Papierstreifen, aber es genügte. Jiang Li lächelte gelassen in sich hinein, während ihr Herz vor Freude riesige Sprünge tat; endlich war es soweit. Der Orden hatte ihr einen offiziellen Auftrag gegeben. Und obwohl es gefährlich war und mit den schlimmsten Folgen enden konnte, wünschte sie sich mit aller Macht den Tag herbei.

Sie lächelte immer noch, als sie die Nachricht aus dem Ministerium öffnete und während ihre Gesichtszüge langsam zu Eis gefroren, nahm sie äußerlich schweigend zur Kenntnis, dass Lucius Malfoy mit aller Dringlichkeit darauf bestand, bei ihrer Anhörung am 22. Februar anwesend zu sein.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück