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My Dear Brother 2

The Humans
von

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Rüge

Es dauerte nicht lange, da rief Mom uns zum Essen. Mittlerweile saßen wir ratlos auf meinem Bett, durchforsteten das Internet nach Infos.

»Es sind tatsächlich nur Vampire«, murmelte ich vor mich hin. Alle Schüler unseres Internats. Und alle von diesem einem Tisch, wo Tina dran saß.

»Mit Sicherheit haben die krumme Sachen gedreht. Allein, dass sie Jiro einfach so mit zu sich genommen haben.«

»Du meinst, dass es eine Hunterstrafe war?«

»Anzunehmen.« Kiyoshi schien richtig aufzublühen, je mehr er sich der Sache annahm. Als könne er damit Vincent auf die Spur kommen. Und ihn zur Strecke bringen.

»Kommt ihr endlich? Das Essen wird kalt!«, rief Mom durch die Tür und hämmerte dagegen.

»Ja-ha!«, rief ich zurück und seufzte sofort entnervt auf. Ich hatte null Hunger. Trotzdem nahm ich die silberne Pillendose an mich und steckte sie Kiyoshi zu.

»Ich lenk sie ab ... du steckst mir heimlich die Pillen ins Fleisch, okay?«, schlug ich vor. Kiyoshi nickte sofort und grinste.

»Wird hoffentlich so gut schmecken wie das Chili.«

»Mit Sicherheit«, grinste ich und nahm Kiyoshi an die Hand. Unüberlegt gingen wir aus meinem Zimmer zu Mom an den Tisch. Die hob nur eine Augenbraue und starrte auf unsere Hände. Räuspernd ließ ich meinen Bruder los.

»Lecker sieht das aus, Mom«, lobte ich sie, wo es gerade wieder passte ein Lob anzubringen.

»Setz dich einfach und iss, du Heuchler«, brummte sie mir zu. Ich sah an ihren Mundwinkeln, dass sie das nicht ernst meinte. Trotzdem ließ es mich wissen, dass ich es auch nicht übertreiben sollte.

»Kiyoshi, ich war mir nicht sicher, ob du ... das Steak essen kannst... ich habe es mal fast roh gelassen, aber wenn du nicht magst, lass stehen.« Da kam sie wieder raus, die liebliche Mutterstimme.

Doch Kiyoshi nickte eifrig. »Doch, esse ich gerne. Ich habe hier meine Tabletten, wenn ich die dazunehme... kann ich eigentlich fast alles essen.«

»Oh, wirklich?« Da wurde sie hellhörig. »Fast alles?«

»Ja«, nickte Kiyoshi eifrig, auf einmal der absolut brave Sohn. »Es verfärbt sich... wohl dann nur rot.«

Da schluckte meine Mutter. »Ach, verstehe. Solche Tabletten sind das.« Sie machte eine Handbewegung, als solle sich Kiyoshi nicht davon abhalten lassen, zu essen.

Nur mir warf sie wieder einen bösen Blick zu.

»Iss«, befahl sie.

»Ja, ja.« Vorsichtig nahm ich das Besteck in die Hände und schnitt das zarte Fleisch klein. Es gab Gemüse dazu, das würde sich natürlich als schwieriger herausstellen zu essen, doch hey ... wer nach Erde schmeckendes Bier saufen kann, kann auch nach Erde schmeckendes Gemüse essen. Als ich mir das erste Fleischstück in den Mund schob, war ich positiv überrascht, dass man sogar ein wenig das Blut herausschmeckte. Gar nicht so erdig.

»Ach, Mom... ich hol mir noch eine Cola zum Essen, magst du auch eine haben?«, fragte ich höflich, doch sie negierte.

»Nein, danke, Schatz. Trink nicht so viel Cola.«

»Sicher, sicher ...«, damit stand ich auf und zwinkerte hinterm Rücken meiner Mutter Kiyoshi zu. Als ich in der Küche stand, kramte ich ein Glas raus und tat so, als wüsste ich nicht wo die Cola stände. »Haben wir keine Cola mehr?«, rief ich dümmlich und schob einige Plastiktüten über die Colaflaschen.

»Doch, neben dem Kühlschrank«, antwortete meine Mutter.

Seufz, steh doch endlich auf...

»Hä, ich find keine«, jaulte ich und raschelte mit dem Fuß in den Plastiktüten. Da müsste ich mir vorher andere Sachen überlegen, wie ich sie von meinem Essen weglocken könnte.

Doch da stand sie entnervt auf und kam auf mich zu. »Mensch, Hiro, da sind sie doch!« Sofort bückte sie sich neben den Kühlschrank und zog eine Flasche heraus.

»Ach so, hab ich gar nicht gesehen«, murmelte ich und nahm sie dankend an. Als sie schon wieder den Rückweg antreten wollte, hob ich noch die Hand. »Äh, Mom!«

Sie blieb stehen und horchte auf. »Ja?«

»Wir, äh... sind heute Abend wohl auch wieder unterwegs. Einen alten Kumpel besuchen, ist das okay?«

Sie zuckte die Schultern, als wäre meine Frage völlig sinnlos gewesen. »Natürlich. Du fragst mich doch sonst nie um Erlaubnis.«

»Ja, puh, ich dachte nur, weil ... da gestern in der Innenstadt ein bisschen Radau war.«

»Radau? Hab ich gar nicht mitbekommen.« Ihre Ohren wurden spitz. »Da hast du aber nicht deine Finger drin gehabt, oder?«

»Nein, nein. Ausnahmsweise nicht, haha«, scherzte ich und winkte ab. Also bis zum Mord würde es noch ein weiter Weg sein, dachte ich.

Da hörte ich Kiyoshi sich räuspern. Ein Zeichen, dass wir wieder kommen könnten. Perfekt!

»Ja, gut«, sagte ich salopp, zuckte mit den Schultern und ging wieder ins Wohnzimmer. Mom folgte. Und sofort sah ich kleine Einschnitte in meinem Steak aus denen etwas Blut quoll. Aber nicht auffällig. Eher ... appetitlich.

»Guten übrigens«, wünschte ich allen einen guten Appetit und schnitt mir das blutunterlaufene Steak zurecht, sodass ich es Mundgerecht essen konnte. Auch Kiyoshis Steak blutete wie ein gerade abgeschlachtetes Rindvieh. Doch wir genossen das. Mom hingegen bediente sich ihrer Schuhsohle.

»Hiro, dein Steak sieht noch so blutig aus. Soll ich es noch einmal anbraten?«

»Nein«, kam wie aus der Pistole geschossen. »Es ist perfekt. Richtig schön saftig... « Mit diesen Worten steckte ich mir noch ein lecker schmeckendes Stück Fleisch in den Mund. Ich glaubte, mein Leibgericht gefunden zu haben.

Moms Blick hingegen sah etwas angewidert in meine Richtung. »Sicher? Es ... ist fast so blutig, wie das von Kiyoshi. Haha, du bekommst aber nicht wieder deine ... Anwandlungen?«

Ich hielt inne. »Was für Anwandlungen?«

»Oh, bitte! Erinnerst du dich noch, wo ich dich hinterm Haus erwischt habe, wie du mit Jiro zusammen dem schwarzen Herrn einen Igel oder so opfern wolltest? Ihr habt... Blut getrunken und solche Sachen!«

»Ach ja, ich erinnere mich«, gab ich kurz zurück. Die Aktion bescherte mir zwei Sitzungen beim Jugendpsychologen. »Nein, solche Anwandlungen habe ich nicht mehr, keine Angst. Es schmeckt einfach gut.«

Kiyoshis Blick hingegen haftete wie Sekundenkleber an mir. Seine Augen fragten ein deutliches »Du hast was getan?«.

»Na, schön ... «, gab Mom recht mulmig zu verstehen. Dann ließ sie mich essen.

Sie konnte es nicht abstreiten. Niemand konnte das. Auch in mir schlummerte lange Zeit das Gen der Blutsauger.

Auch ich hatte immer eine ganz besondere Bindung zum Blut. Zum Lebenssaft der anderen.

 

Als wir aufgegessen hatten und ich das Gemüse zwischen den Fleischstücken zwischengequetscht hatte, half Kiyoshi noch mit abräumen. Mom hatte sich derweilen kurz zurückgezogen, weil ihr Diensthandy klingelte und wohl ihr Typ verlangt wurde.

In der Küche kicherte Kiyoshi auf einmal auf.

»Dem dunklen Herrn, so, so.«

»Ist lange her, okay? Ich war jung und verwirrt.«

»Das bist du doch immer noch.« Kiyoshi sah mich mit einem breiten Grinsen an.

»Vielleicht verwirrt, aber nicht mehr jung!«, gab ich zu meiner Verteidigung zu verstehen und knuffte Kiyoshi in die Seite. Als wir uns noch ein wenig amüsierten, bedankte ich mich bei meinem Liebsten für die Hilfe beim Essen.

»Selbstverständlich«, antwortete er und küsste meine Wange. Ein sanftes Nasestreicheln folgte. Irgendwann spürte ich dann seine kalten Hände an meiner Brust.

»Kiyoshi, benimm dich«, scherzte ich und küsste ihn kurz auf den Mund.

»Ich benehme mich ... ich taste nur ab, ob es dir gut geht oder ob der dunkle Herr dich schon vereinnahmt hat.«

Da musste selbst ich lachen, als Kiyoshi meinen rechten Brustmuskel knetete. »Red dich nur raus, du Biest.«

 

»Ihr beiden«, räusperte sich meine Mom. »könnt ruhig ins Zimmer gehen, ich mach das.«

Mit diesen Worten scheuchte sie uns aus der Küche und hob nur beide Augenbrauen, als wir uns ein Grinsen unterdrücken mussten. Sorry, Mom. Wir sind zwei frisch verliebte Idioten... Da kann man nicht lange ernst bleiben.

Doch umso besser, dass wir ins Zimmer gingen, denn so hörte ich mein Handy vibrieren. Es war Jiro.

»Jiro? Hi!«, ging in ran. Es raschelte und dauerte einen Moment, bis Jiro sich meldete.

»Jo, Hero. Habt ihr heute Nachmittag Zeit? Wir wollten Grillen gehen und... die anderen wollen dich mal wieder sehen.«

»Oh«, bekam ich nur raus. Natürlich ... die anderen.

»Keine Zeit oder keine Lust?«, hakte Jiro meinem "Oh" nach, als wäre schon klar, dass es eine Absage war.

»Wann trefft ihr euch denn?«, stellte ich die Gegenfrage und blickte in Kiyoshis eher lustloses Gesicht.

»So um 5 oder 6. Nicht so früh.«

»Ach so, okay. Ich denke so um 6 klingt gut.« Ich würde es dann einfach auf gekonnte 7 schieben. Dann wäre die Sonne bereits so stark gebrochen, dass wir ohne Schutz herumlaufen könnten. »Aber die anderen ... wegen Kiyoshi... «

»Bring ihn doch einfach mit, Hero. Die anderen werden dir schon nicht den Kopf abreißen, dass sie nicht die ersten waren, die es erfahren haben.« Jiro klang irgendwie genervt. Nicht so lustig drauf, wie er sonst war.

»Okay, ich bring ihn mit. Wird schon, hast ja Recht.« Ich seufzte leise, Jiro tat es mir gleich.

»Hoffentlich geht es am See gut...«, murmelte er.

»Wieso?«

»Da ist heute auch irgendwas ... Roku hat's mir erzählt, der wohnt ja da in der Nähe. Irgendein Fest. Aber wir verziehen uns in eine dunkle Ecke.«

»Der See ist groß, da wird uns schon keiner Stören.«

»Du weißt, was ich meine ...«

Jiro hatte Angst vor einem Anschlag. Er schien sichtlich darunter zu leiden, dass eine Frau, mit der er noch geflirtet hatte, nur rund 3 Stunden später abgemurkst wurde. Zudem wusste er ja nicht einmal die Tatsachen, die Kiyoshi und ich kannten.

»Es wird nichts passieren. Wieso sollte jemand an einer Pfütze Amok laufen?«

»Keine Ahnung, ist eben so ein Fest in der Nähe. Ich weiß selber, dass ich übertreibe.«

»Bisschen«, gab ich kichernd zu. Jiro seufzte dann verlegen und lachte, verabschiedete sich und legte auf.

»Grillen? Wir haben doch jetzt erst Fleisch gegessen«, fragte Kiyoshi und sah mich mit großen Augen von meinem Bett aus an. »Außerdem wollten wir Alexander suchen.«

Ich verdrehte die Augen und setzte mich neben Kiyoshi, umarmte seine hagere Figur und küsste seinen Nacken. »Alexander läuft nicht weg. Notfalls wissen wir ja, wo er im Norden wohnt. Wir werden ihn schon finden... Und Fleisch... kann man nie genug essen.«

»Du Tier!«, spaßte Kiyoshi und versuchte sich aus meinem Griff zu winden.

»Sagt der Richtige!«

 

Natürlich hatte Jiro irgendwo Recht. Es war gefährlich. Aber nicht, weil da ein Fest war, sondern weil zwei Vampire, die auch noch offiziell gesucht wurden, sich unter Menschen begaben. Was auch immer in diesem Club vorgefallen war, es sollte nur so aussehen, als wäre einer der Gäste Amok gelaufen.

In Wirklichkeit war es wohl eher ein Mord. Entweder es war einer der Gäste oder jemand von außen schlachtete die Vampire ab. Dass Alexander nicht unter den Toten war ließ auf zwei Dinge schließen: Entweder er war nicht mehr anwesend oder nicht in eine Straftat verwickelt gewesen, sodass er verschont blieb. Denn nicht alle Vampire wurden getötet. Rose und Sam waren ebenfalls nicht bei den Toten dabei gewesen.

 

Kiyoshi und beschlossen noch etwas zu dösen, bis wir losgehen würden. Eingekuschelt in mein Bett, lagen wir im Halbschlaf mit der Decke bis unters Kinn gezogen noch für einige Minuten still. Irgendwann tastete Kiyoshi meine Haut ab.

»Hiro?«, flüsterte er in die Stille.

»Mh?«, brummte ich als Antwort und öffnete ein wenig meine Augen.

»Ich hab ein ungutes Gefühl wegen heute Abend.«

Sofort öffnete ich meine Augen ein Stück mehr. Kiyoshi lag an meiner Brust und sah mich nervös an. »Als würde uns diese Gestalt finden, sobald wir das Haus verlassen würden.«

Zähneknirschend nickte ich und streichelte über Kiyoshis knochige Schulter. »Kann schon sein. Aber wir können nicht unser Leben in dieser Wohnung verbringen.«

»Aber hast du denn keine Angst, dass es Vincent sein könnte?«

»Wenn er es wäre... hätte er uns nicht schon längst in unserer Wohnung besucht, um uns abzumurksen? Wieso sollte er auf einmal Fair Play heucheln?«

Kiyoshis Aufregung schien mit diesem einen Satz verflogen zu sein. Er wurde nachdenklich, sah an mir vorbei und knabberte kurz an seinem Finger, welchen er wie ein Kleinkind am Mund hatte.

»Hast ja Recht ... hoffentlich passiert nichts.«

»Wir haben Jiro dabei«, spaßte ich. »Der verteidigt uns.«

»Jiro wäre doch innerhalb einer Sekunde tot!«

Da verdrehte ich die Augen. Ja, sicher, Kiyoshi. Es war auch nur ein Witz.

 

Zaghaft klopfte es an unser Zimmer. Hellhörig setzte ich mich ein bisschen auf. »Ja?«

»Seid ihr beiden wach?«, fragte Mom sehr zaghaft.

»Ja, doch ...«, murmelte ich und stand auf, schlurfte zur Tür und öffnete sie. Vor ihr stand sie mit dem Telefon in der Hand.

»Euer Vater würde euch gerne sprechen.«

»Dad?« Verwundert nahm ich den Hörer in die Hand. Und erst, als ich seine dunkle Stimme, die Kiyoshis so ähnlich war, hörte, fing ich das Zittern an. Das erste Mal ein Telefonat mit ihm.

»Hallo? Hiroshi?«

»Dad, hi«, begrüßte ich ihn, bemüht um einen lockeren Tonfall. Doch der meines Vaters wirkte nicht ansatzweise so locker, wie meiner. Ganz im Gegenteil: Er schien gereizt.

»Hallo Hiroshi. Schön dich zu hören. Ist Kiyoshi bei dir?«

»Äh, ja. Sitzt neben mir.«

Vorsichtig ließ ich mich neben meinem Bruder nieder, der neugierig auf das Telefon starrte. Mom blieb an meiner Tür stehen. Etwas verloren sah sie zu uns. Als hätte sie Angst, es würde aus dem Ruder laufen.

»Dann kann er mich ja hören.«

»Ich denke.« Ein Blick zu Kiyoshi zeigte mir ein deutliches Nicken.

»Dann fackel ich auch nicht lange rum: Eure Mutter hat mir erzählt, was ihr beiden so treibt und ich glaube mich deutlich genug ausgedrückt zu haben, was eure Beziehung anging.«

Ich schluckte. Natürlich ... wieso sollte er auch sonst anrufen.. Bestimmt nicht, um einfach nur zu fragen, wie es uns ging.

»Dad, das -« Doch er ließ mich nicht ausreden.

»Ai hat mir erzählt, dass ihr beiden euch offiziell dazu geäußert habt, miteinander«, da seufzte er, als wäre es eine Schande für ihn, ein solches Wort überhaupt in den Mund zu nehmen, »geschlafen zu haben. Ich hoffe, ihr beiden wisst, dass das Inzucht ist.«

»Wissen wir«, gab ich kleinlaut, ja, fast heiser von mir. Wir sind ja nicht blöd. Aber hallo? Wer sucht sich denn aus, in wen er sich verliebt? Klar, die Gedanken kamen mir auch oft. Vielleicht war es nur eine Phase. Vielleicht war es die typische Jugenddummheit. Aber vielleicht eben auch nicht.

Vielleicht war es Liebe. Und zwar eine ernst gemeinte.

Kiyoshi sah mich traurig an, drückte sofort meine Hand, um zu zeigen, dass er mir beistand.

»Dann wisst ihr auch, dass das keine Zukunft haben wird. Ai beteuerte mir, dass ihr versprochen habt, es nicht öffentlich zu machen. Natürlich können wir nicht mehr tun, als euch davon abraten, die Beziehung weiterzuführen.« Vaters Ton klang gereizt, wütend, sauer und nicht minder enttäuscht von seinen eignen Söhnen. »Als eure Eltern versuchen wir Entscheidungen der Kinder zu respektieren, aber das geht eindeutig zu weit. Ai ist am Ende ihres Lateins und ich bin kurz davor Kiyoshi wieder hierher zu holen.«

»Nein! Bitte!«, rief ich ins Telefon. »Bitte nicht, Dad!«

Da verstummte er. Meine Stimme zitterte, ich klang verzweifelt und wahrscheinlich für ihn kurz vor den Tränen. »Ich brauche Kiyoshi hier... und er braucht mich. Seitdem wir uns haben, geht es uns gut. Besser denn je... niemand muss sich mehr wehtun. Und wir schaden doch niemandem mit unserer Beziehung ... oder etwa doch?«

Er schwieg weiterhin. Kiyoshi legt unterdessen seinen Kopf auf meine Schulter und drückte mich feste an sich. Mir war von Anfang an klar, dass das keine einfache Beziehung werden würde. Nicht nur, weil Kiyoshi ein Vampir, etwas launisch und depressiv war, sondern auch, weil er mein Bruder war. Mein Zwilling noch dazu.

Vater schien keine weiteren Worte für mich übrig zu haben und forderte energisch meine Mutter zurück ans Telefon. Die stand das ganze Gespräch über am Türrahmen und bangte mit. Aufgewühlt nahm sie das Telefon wieder entgegen und hauchte Vaters Namen ins Mikrofon. Dann seufzte sie laut und schloss meine Tür, obwohl ich noch vor ihr stand.

Ein Telefonat, was mich und Kiyoshi wohl nichts anging. Eltern eben.

»Oh je«, seufzte mein Bruder und spielte an seinen Haaren. »Das hörte sich nicht gut an.«

»Kein Elternteil hört gerne Inzucht«, murmelte ich vor mir hin, während ich noch vor der Tür stand und versuchte einzelne Wortfetzen von Mom zu erhaschen. Sachen wie »Ich hab dir doch gesagt, dass es ihnen ernst ist« und »Keine Ahnung, was wir tun können« zeigten deutlich, dass Mom sich nicht gegen uns stellte. Ganz im Gegenteil: sie kämpfte wie immer für die Liebe. Ihr Job war ihr Lebensinhalt. Ihre Mission. Und wie schon erwähnt: ich war das erste Mal in meinem Leben froh, dass sie in einer Beratungsstelle arbeitete und die Arbeit mit in mein Privatleben zog.

»Machen wir uns fertig, oder?«, fragte ich rhetorisch und begann bereits Handy, Schlüssel und Portemonnaie in meine Hose zu stopfen. Kiyoshi blieb jedoch regungslos auf dem Bett sitzen.

»Was ist?«, fragte ich und sah in sein betrübtes Gesicht.

»Wir machen irgendwie allen nur noch Sorgen ... Von wegen, niemand nimmt Schaden. Seitdem wir beide uns kennen«, doch da verstummte er. Sah nur noch traurig auf den Boden und zuckte mit den Schultern, als sei alles gesagt.

»So darfst du nicht denken. Klar, hier und da haben wir ein bisschen Mist gebaut, aber ...«, und damit kniete ich mich vor seine Beine, »... ich bin glücklicher, als ich es je war. Manchmal muss man Opfer bringen ... um das wahre Glück zu finden.«

Ein zartes Lächeln umspielte Kiyoshis Lippen. Vorsichtig und ganz zärtlich strich er über meine Wangen, beugte sich vor und küsste meine Lippen. So kalt und weich. Wie immer. Wie immer perfekt, dachte ich.

Der Kuss intensivierte sich, wurde verlangender und lustvoller. Kiyoshis Zunge glitt in meinen Mund und suchte meine. Ich richtete mich ein Stück auf und umarmte seinen schmalen Körper, strich über das herausstehende Rückgrad.

Doch als meine Leidenschaft anfing mir ins Ohr zu stöhnen und begann mit den Händen in meine T-Shirtöffnung zu fahren, hielt ich ihn auf Abstand.

»Wir wollten los«, brach ich die Stimmung, sodass Kiyoshi nur missmutig losließ.

»Du bist so ein Stimmungskiller«, raunte er mir entgegen und erhob sich. »Ich frage mich, wann du mal auf mich zukommst.«

»Du musst mir nur eine Chance geben, wenn wir auch Zeit dafür haben«, zwinkerte ich ihm zu. Sobald wir nur fünf Minuten für uns hatten, klebten seine Hände doch schon an meiner Haut. Aber ich verstand was er meinte. In letzter Zeit gestaltete sich die Liebe eben schwieriger. Wir konnten froh sein, dass wir überhaupt zusammen sein durften.

Es hätte auch anders laufen können.

 

Eine gewisse Unruhe machte sich in mir breit, je länger wir an der Haltestelle standen. Die Straßenbahn hatte Verspätung und zum Laufen wäre der See zu weit entfernt gewesen. Also standen wir wie zwei Schwerverbrecher auf der Flucht am Bahnsteig und sahen uns verstohlen um.

»Hörst du was?«, fragte mich Kiyoshi im Minutentakt. Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Natürlich hörte ich hier und da Vögel zwitschern oder Schritte anderer Menschen, aber es waren nicht die Laute, die mich sonst erschaudern ließen. Es war ein ganz bestimmter Flügelschlag und ein ganz bestimmter Schritt, die mich in Rage versetzen.

Die Menschen um uns herum mieden uns ebenfalls wie Aussätzige. Sie spürten unsere Aura; und wahrscheinlich unser Unbehagen. Als nach fast 7 Minuten Verspätung die Straßenbahn einfuhr, war sie selbstverständlich brechendvoll.

»Das wird... eine sehr lange... und sehr unangenehme Fahrt«, murmelte ich vor mich hin.

»Hiro, das können wir nicht bringen ...« Kiyoshi zog an meiner Lederjacke. Wir ließen die Leute um uns herum als erstes einsteigen, dann folgte ich.

»Wir schaffen das.«

»Kann uns Mom nicht fahren?«, fragte Kiyoshi nervös. Er schien der Sache weniger gewachsen zu sein als ich. Oder ich überschätzte mich wie immer.

»Ich ... äh...«

Je länger ich überlegte, desto unruhiger wurde es um uns herum. Ich ließ von der Tür ab, die zuging und schlussendlich mit der Straßenbahn aus unserem Blickfeld verschwand.

»Fragen wir Mom ...«, murmelte ich. »Dann müssen wir es aber auf dich schieben.«

»Das ist schon okay. Hauptsache nicht in diese volle Bahn.«

Ich nickte.

 

Während ich den Schlüssel zur Tür für den Wohnkomplex suchte, lehnte sich Kiyoshi an mich.

»Wollen wir da wirklich hin?«, fragte er erneut.

»Quengelst du etwa?«, fragte ich amüsiert, während ich die Tür aufschloss und uns Einlass gebot.

»Mein Gefühl ebbt eben nicht ab.«

»Ja, ich weiß, was du meinst ... Vielleicht kann ich Mom überzeugen, dass sie uns das Auto sogar gibt. Dann sind wir nicht auf andere angewiesen und können fahren, wann wir wollen.«

Kiyoshi stutzt und blieb auf der Treppe stehen. »Du hast einen Führerschein?« Seine Augen wurden rund wie Kugeln und starrten mich interessiert an.

»Ja ...?«, fragte ich unsicher und klimperte mit meinen Schlüsseln. »Hatte vor nem Jahr einen guten Job. Hab da einiges angespart gehabt, sodass ich ihn letztes Jahr machen konnte.«

Kiyoshi blieb immer noch bewundernd an der Treppe stehen. »Cool! Ich will mal mit dir Fahren!«

Immer noch leicht verunsichert lächelte ich. »Das wird sich bestimmt einrichten lassen.« Er schien wohl keinen Führerschein zu haben. Sicherlich sah Vater darin keinen Nutzen. Mamoru würde ihn überall hin fahren.

Als wir oben ankamen, hörte ich meine Mom wieder laut diskutieren.

»Fudo, ich will die ganze Wahrheit! Nicht deine aufgetischte Halbwahrheit«, schrie sie. Wahrscheinlich ins Telefon. Ich seufzte und drehte mich zu Kiyoshi, der nur die Schultern hochzog.

Schlechter Moment, hm? Aber wer kam denn gestern in einem noch schlechteren Moment nach Hause? Pah!

Ohne zu zögern schloss ich die Tür auf und trat ein. Mom stand am Balkonfenster und hielt das Telefon nah an ihren Mund, das Gesicht wütend verzogen.

»Wenn ich das weiter machen soll, dann-« Da verstummte sie. Sah zu uns rüber und schien überrascht, dass wir wieder an der Tür standen.

»Alles okay?«, fragte sie sofort, als sei etwas passiert. »Nein, nicht du, Fudo, die Jungs stehen gerade wieder an der Tür, warte mal kurz.«

Damit kam sie zu uns und musterte eindringlich unsere Figur.

»Äh ... wir wollten fragen, ob du uns fahren kannst... zum See... weil die Straßenbahn sehr voll war und«, damit drehte ich mich zu Kiyoshi, »wir das lieber nicht riskieren wollen.«

Mein Bruder senkte den Blick, als täten ihm die Umstände leid. Wir waren schon zwei Lügner ... Und Vater, wie es aus dem Gespräch herausging, ebenfalls. Es lag einfach in der Familie.

Ich konnte mir auch schon denken, worum es ging. Millionen Fragen von Mom. Wieso Kiyoshi eigentlich da war. Wieso ich mein blutiges Steak genoss. Wieso keiner ein Wort darüber verlor, dass auch ich mich nur zu dunklen Zeiten raustraute und meine Haut trotzdem an Glanz gewann.

»Zum See?«, wiederholte sie und raunte auf, als wäre es ihr nicht gerade Recht zu Fahren.

»Du kannst uns auch den Schlüssel geben, ich fahr-«

»Nein.«

Sofort presste ich die Lippen aufeinander und formte eine strenge Linie. War ja klar. Einmal durfte ich fahren. Mit ihr nebenan. Seither nie wieder.

»Fudo? Ich ruf dich später zurück, ich muss die Jungs kurz fahren. Ja... Hm... Ja, da kannst du drauf wetten!«

Schlussendlich legte sie genervt auf, warf das Telefon auf den Tisch und zog sich stöhnend die Schuhe an.

»Ist das ... wirklich okay?«, fragte ich räuspernd, während sie hektisch ihre Schlüssel beisammen suchte und angespannt zur Tür rannte.

»Ja, schon okay. Macht es dann aber nicht zu spät!«

»Zurück können wir ja... mit der Bahn«, murmelte Kiyoshi, um nicht ganz aus der Sache gerissen zu werden. Doch alles, was er als Antwort bekam, war ein böser Blick meiner Mutter. Wahrscheinlich wollte sie um jeden Preis verhindern, dass er einen Menschen anfiel.

Dabei wäre wahrscheinlich ich wieder derjenige, der sich nicht zusammenreißen könnte.

Ob sie mich auch so widerwärtig und abfällig behandeln würde wie Kiyoshi? Wenn sie es herausfindet?

 

Die Autofahrt verlief regelrecht mit einer Totenstille. Mom raste wie ein Verrückte über die Straßen und schenkte uns keinen Blick durch den Rückspiegel. Ich saß neben Kiyoshi und hielt seine Hand. Wahrscheinlich missfiel ihr auch das.

»Hast du Streit mit Dad?«, fragte ich schließlich in die Stille, als wir kurz vor dem See waren.

»Nein, nur ein bisschen Diskussion.«

»Wegen uns?«

Da knirschte sie mit den Zähnen, als wolle sie eher nicht drüber reden. »Ein bisschen.«

»Verstehe. Ist wohl 'ne Sache zwischen dir und ihm, hm?«

»Ja«, antwortete sie knapp und fuhr auf den Schotterparkplatz, wo eine Menge Autos parkten. »So viele Autos? Ist heute irgendwas?«

»Anscheinend eine Feier. Jiro hatte davon berichtet«, klärte ich sie auf, während ich mich abschnallte.

»Na gut ... passt auf euch auf.« Dabei schenkte sie mir einen vielsagenden Blick, dass ich eher auf Kiyoshi als auf mich selber aufpassen sollte.

»Machen wir.« Mit einem kurzen Lächeln bedankte ich mich für's Fahren und schloss die Autotür.

Winkend sahen wir sie weiterfahren.

»War sie sauer?«, fragte Kiyoshi, nahm meine Hand und setzte sich mit mir in Bewegung.

»Ja, ein bisschen. Wahrscheinlich kriegt sie langsam spitz, dass wir ihr alle etwas verschweigen.«

»Dass du ein Vampir bist«, gab mein Bruder nickend zu und seufzte traurig. »Was sie wohl machen wird, wenn sie es herausfindet?«

»Böse sein, weinen und dann wieder böse sein. Dann wird sie sowohl dir als auch mir die Schuld geben, dann sich selber und dann wird sie wohl damit leben.«

Kiyoshi lachte amüsiert auf und drückte meine Hand. »Das kann ich mir gut bei ihr vorstellen.«

 

Das Ufer des Sees war in der Tat recht befüllt. Das Stück Wasser schimmerte silbrig im faden Licht. Man konnte gut an das andere Ende sehen, trotzdem bettete er sich in große Grünflächen mit ein paar Bäumen. Die Feier, oder mehr Veranstaltung, schien noble Gäste zu empfangen. Viele liefen mit Champagnergläsern oder Weingläsern rum, unterhielten sich rege und trugen teure Kleidung. Hier und da spielten Kinder auf dem Rasen, schrieen.

Nur vereinzelte Leute, die auf ihren Handtüchern saßen, schienen normale Besucher des Sees zu sein und genossen die sanfte Jazz Musik, die aus den Lautsprechern der kleinen Bühne tönte.

Am Ende des Rasenstücks, bevor der See seine Rundung machte, sah ich unsere Leute. Alle waren versammelt, ein riesiger Pulk. Fast so, als wäre die Klasse anwesend.

 

Und nicht nur die.

 

Ein Vogel kreiste über den See. Flügelschläge.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und morgen gleich noch eins! Dann - eeeendlich - geht's in die Action und unsere zwei Liebchen werden ein bisschen rumgescheucht ;-) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Veri
2015-10-08T05:42:03+00:00 08.10.2015 07:42
Yeaiiiiiiii *q*

Ich kann's kaum abwarten ❤️
Von:  hayamei
2015-10-07T21:38:30+00:00 07.10.2015 23:38
Ich finde das Kapitel klasse ^^
Klar mag ich viel Action. *wenns bei Hiro mal so richtig los geht XDD*
Aber die Ruhe vor dem Strum und das ganze Beziehungsgeflecht um die Familie und die Zwillinge, mag ich auch sehr gerne ;)
Ich finde einfach das dass dazugehört und weniger, das die Geschichte sich dadurch in die Länge zieht :)

freu mich auch schon riesig auf morgen ^^ nach der Arbeit hänge ich mich gleich ans Kapitel *hihihi*
Von:  KarliHempel
2015-10-07T19:48:58+00:00 07.10.2015 21:48
Ich finde deinen Schreibstil so toll. Ich weiß gar nicht, was ich machen soll, wenn du mit der Story durch bist 😱
Von:  ellenorberlin
2015-10-07T18:07:29+00:00 07.10.2015 20:07
ahh ich warte schon jeden abend sehnsüchtig aufs neue kapi :D
leider war dieses wenig spektakulär, aber ich warte ja noch auf ein kapi, das wieder etwas blutiger wird *~* Hiro kann auch mal die sau raus lassen und seiner neuen Natur nachgeben :D
Antwort von:  ellenchain
07.10.2015 20:43
jaaa, ich weiß, es zieht sich grade ein wenig... :D deswegen gibts auch morgen direkt das nächste, damit sich das ganze nicht wie Kaugummi wird :D


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