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Einem fernen Tage

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Was bisher geschah...
Als sie nahe der nördlichen Grenze auf Sesshōmaru treffen, enttarnt Minoru die Gestalt des Fürsten als eine Illusion Shunrans.
Indes verliert Karan allmählich die Nerven und wird schließlich von Nobu, dem Anführer der Dosanko, getötet. Kōga und der Dosanko brechen auf, um die übrigen Panther aus dem Norden zu vertreiben, während Takeru von seiner Mutter Ayame nach Hause geleitet wird. Komplett anzeigen

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wie eine Flamme im Wind.

Minoru sah aus den Augenwinkeln, in welche Richtung diese Auseinandersetzung verlief, als Shunran Rin in die Höhe stemmte. Er war verloren, so oder so. Selbst wenn er hier lebend herauskam würde ihm spätestens jetzt der echte Fürst den Garaus machen. Er presste den Rücken an den kalten Stein und knurrte drohend. Davon ließen sich die Panther aber längst nicht mehr beeindrucken. Sie waren zu siebt, einfache Soldaten, die langsam bemerkten, dass neben Rin auch die beiden Yōkai keine ernst zu nehmenden Gegner waren, zumal sie den Jungen durch sein schwaches Yōki erst für einen gewöhnlichen Hund gehalten hatten und es nun schien, als vermeide er eigene Angriffe um jeden Preis. Inuyōkai waren bekannt für offensive und tödliche Techniken – ihm gingen diese Vorzüge ganz offensichtlich ab.

Minoru presste die Linke ununterbrochen an seine Seite, die Shunran ihm mit den Krallen perforiert hatte. Das Blut sickerte mittlerweile durch seine Finger und verklebte den Stoff von Tōtōsais dunkelgrünem Yukata. Wie auf ein stummes Kommando beendeten die drei Panther vor ihm ihr ruhiges, aber gehässiges Warten und griffen gemeinsam an. Minoru konnte in der Enge nur dürftig ausweichen, riss das Katana empor und parierte damit zumindest den Schwertangriff über seinem Kopf. Dann ließ er die Klinge des Gegners an seiner Waffe abgleiten und löste in höchstmöglicher Geschwindigkeit die humane Form auf, presste sich an den Boden, um den beiden Lanzen zu entgehen, die auf ihn zufuhren. Die eine verfehlte ihr Ziel, traf klirrend auf den Felsen hinter ihm, während die zweite sich unheilvoll tief in seine Schulter bohrte und den Knochen streifte. Er fiepte kurz auf, schnappte reflexartig nach dem Schaft der Lanze, als er die andere auf sich zustoßen sah. Er ließ sich zur Seite fallen, die Lanze in seiner Schulter riss in seinem Fleisch herum, bevor er sich herauswinden konnte und unbeholfen zwischen die Beine des Schwertkämpfers fiel, der, mittlerweile eher genervt, aus einer anderen Richtung ausholte, um das Schauspiel endlich zu beenden.

Minoru versteifte sich vollends und schickte ein Stoßgebet ins Nichts, als in seinen Augenwinkeln dunkle Schatten auftauchten und sich auf die Krieger der Panther stürzten. Schwertkämpfer und Lanzenträger wollten sich gerade überrascht umdrehen, als ein Rudel Wölfe sie unter sich begrub. Minoru wurde von einem im Nacken gepackt und kräftig geschüttelt. Die Haut, die über seinem Schulterblatt spannte, schickte brennenden Wellen durch das gesamte Vorderbein und so sehr er sich auch bemühte, den Wolf abzuschütteln, war er außer Stande mit der verletzten Schulter den nötigen Halt zu gewinnen. Er versuchte den Kopf zu wenden, um ihn am Fell zu erhaschen, aber auch das missglückte kläglich. Zwei der Soldaten versuchten zu fliehen, der Dritte war unter einem Pulk aus Wölfen verschwunden. Großteils waren es gewöhnliche Tiere, nicht einmal Yōkai, aber als agierende Einheit waren sie dennoch brandgefährlich.

Der Wolf presste Minoru mit aller Kraft an den Boden und nagelte ihn dort fest.

„Ich bin kein Feind!“, gab Minoru zischend zu verstehen. „Lass mich los!“

Rin schrie in der Nähe auf, aber Minoru konnte den Kopf nicht wenden, um nach ihr zu sehen. A-Un hatte einen Soldaten am Arm gepackt und schüttelte die Gliedmaße kräftig, bis diese nachgab. Dann wandte er sich dem Nächsten zu und verschwand aus Minorus Blickfeld. Während die Wölfe sich fletschend zwischen die Soldaten warfen, erschien eine große Anzahl Panther auf der Kuppe. Sie blieben einen Moment stehen, dann stürzten auch sie sich in die Schlacht. Der braune Wolf über ihm knurrte tief, als er die Verstärkung des Gegners bemerkte.

„Ich will nur zu Takeru, er –!“ Der Braune versenkte seine Zähne in Minorus angeschlagener Schulter, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er schrie auf, trat nach dem Wolf, aber der biss nur fester zu. Als er dabei den Kopf auch noch seltsam drehte, setzte bei Minoru das klare Denken aus. Sein Yōki reagierte eigenständig auf die bedrohliche Situation und die Schmerzen, versuchte aufzuwallen, riss ihn unfreiwillig in die humane Form, was auch den Wolf zurückzucken ließ. Es wollte weiter hinaus, aber schlug drohend zu ihm zurück, als sei es unglücklich abgeprallt. Er krampfte, rollte Luft schnappend über den Boden und versuchte das Gefühl des Berstens herunterzukämpfen – ohne Erfolg.

Der braune Wolf wich vor ihm zurück, wie er es auch vor einem siechenden Tier getan hätte und stürzte nach kurzem Zögern lieber an die Seite seiner Kameraden – sollte sich doch jemand anderes um dieses Ding kümmern.

Rin wusste nicht, was ihr lieber war: Die Katzen, die sie zumindest lebend haben wollten oder die Wölfe, die Shunran zugesetzt hatten, bis sie ihre menschliche Gefangene hatte zu Boden fallen lassen. Während sie sich nun vehement gegen die stoischen Tiere zur Wehr setzte, saß Rin auf dem Boden, hörte, die Hand an das Messer geklammert, die leidenden Schreie des Jungen und starrte einem sie umrundenden, besonders struppigen, grauen Exemplar von Wolf in die großen, gelben Augen. Warum unbedingt Wölfe? Konnten es nicht irgendetwas anderes sein – völlig egal was! Der Wolf legte die Ohren an und knurrte, bis ein anderer ihm die Schnauze in die Seite stieß und ihn von ihr wegdrängte. Sie blickte ihnen einen Moment ungläubig nach, dann besann sie sich und versuchte sich zu orientieren.

Die eben noch ruhige Senke hatte sich in ein wahres Schlachtfeld verwandelt. Shunran schlug mit bloßen Krallen auf die Wölfe ein, versuchte immer wieder einen Illusionswall aufzubauen, aber er wirkte stets schief und fiel bald in sich zusammen wie ein schlecht angeordnetes Kartenhaus.

Rin nutzte die unbewachte Minute, sprang auf und bahnte sich einen Weg zwischen den Felsen hindurch. Minoru klang unerträglich, mittlerweile beinahe nur noch heiser, aber in seiner Nähe war niemand. Shunrans Blut war auf seinem Gesicht bereits getrocknet, aber an seiner Seite sickerte ein hellroter Strom in den Boden. Auch seine Schulter sah böse aus, dennoch war er weit von jeder lebensgefährlichen Verletzung entfernt. Sie ließ sich neben ihm zu Boden fallen, fasste nach seiner unverletzten Schulter, um ihn ruhig zu halten, zog aber sofort die Hand zurück, als er auf die Berührung mit entsetzlichen Fauchen reagierte. Seine Augen glühten in einem vollkommenen Rot, wie sie es schon bei einigen Yōkai gesehen hatte – aber im Gegensatz zu ihnen, schien er darunter zu leiden. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, sah sich zu A-Un um, der sich seinen Weg durch die Soldaten etwas großflächiger bahnen musste, als sie es getan hatte und stand auf, als auf der Kuppe weitere Panther auftauchten. Zu einigen Dutzend standen sie dort, sahen sie einen Moment zögernd auf das Geschehen und wandten sich um, als fühlten sie sich verfolgt. Plötzlich begannen sie schreiend zu rennen und Rin begriff schnell, was sie so verängstigte. Hinter ihnen tauchte ein Luftwirbel auf, der ihr durchaus bekannt war und die Panther vor sich hertrieb. Direkte hinter diesem folgte Rins persönlicher Albtraum – ein Anblick, der ihr den Schrei im Halse gefrieren ließ. Selbst Sesshōmaru-sama wäre diesem Wolf nicht bis an die Schulter gereicht. Es war ein riesiges, sandfarbenes Ungetüm mit zwei Schwänzen. Seelenruhig und still lief er hinter Kōga. Sein Gewicht warf trommelnde Wellen an Rins Zwerchfell, jedes Mal, wenn er einen größeren Satz über Felsen machen musste. In seinem Maul baumelte eine leblose Gestalt zwischen den Zähnen und die Soldaten, die bereits vor ihnen flüchteten, verfielen in Panik, die um sich griff wie ein Lauffeuer. Während Minoru nur noch leise japste und auch das Glühen in seinen Augen verschwand, hoffe Rin, dass sie ihn irgendwie auf A-Uns Rücken schaffen konnte, wenn dieser bei ihnen angelangt war. Doch nicht allen Soldaten stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Ein Paar hatten Rin am Rand bemerkt und sich ihr zugewandt, weiterhin bereit, Shunrans Befehl zu folgen. Rin umklammerte das Messer nur härter und blieb stehen. Wenn es eins gab, das aussichtslos war, dann war es weglaufen und ihnen auch noch den Rücken zuwenden. Die zwei Panther bremsten einige Meter vor ihr scharf ab und weiteten die Augen, bevor ein grüner Lichtblitz sie über der Wiese verteilte.

Rin wandte sich erleichtert um und sah in das wenig entzückte Gesicht des Inu no Taishōs, der am restlichen Kampf ganz offensichtlich kein Interesse zeigte und lediglich die junge Frau vor sich mit einem ernsten Blick bedachte. Sie ließ sich von seiner strengen Miene und dem kaum merklichen Vorwurf darin nicht beeindrucken, lief auf ihn zu und umarmte ihn strahlend, wenn auch nur für die Dauer eines Wimpernschlages. Dann gab sie ihn sofort wieder frei, erleichtert, dass er sich nicht anders verhielt also sonst – also gar keine Reaktion zeigte.

„Dass wir hier sind ist meine Schuld!“, beteuerte sie als Erstes.

„Später“, gab er lediglich zurück, warf dem Jungen zu seinen Füßen einen undefinierbaren Blick zu und machte A-Un mit einer einzelnen Handbewegung den Weg frei. Der Reityōkai kam in angemessenem Tempo auf sie zu und schnaubte angestrengt, während der Fürst mit verengten Augen zusah, wie der Wolf einen leblosen Körper vor Shunran zu Boden warf und sie mit bedrohlichem Knurren darauf hinwies, dass dies nicht ihr Land sei. Die einst schöne und nun seltsame entstellte Pantherdämonin fiel vor dem Leichnam ihrer Schwester auf die Knie und begriff allmählich, dass der Plan von Beginn an vielversprechend, aber von einem viel zu hohen Risiko umsponnen gewesen war. Nicht einmal die nun endlich doch erfolgte Ankunft Sesshōmarus konnte darüber hinwegtäuschen. Selbst wenn die anderen Fürsten den Daiyōkai nun als die Bedrohung wahrnehmen würden, die er tatsächlich darstellte, und ihn aus dem Weg räumten würde dieser Triumph Karan nicht zu ihnen zurückbringen. Niemals wieder.

Die Schlacht endete ebenso plötzlich wie sie begonnen hatte und währte nicht einmal eine halbe Stunde. Kōga und seine Wölfe trieben die verbliebenen Panther gen Osten und auch Shunran ergriff die letzte Chance die ihr blieb und floh, ihre Schwester in den Armen, ohne dass eine der vielen Empfindungen wirklich an ihr rührte.
 

Als die Wölfe ringsum ein triumphales Siegesgeheul anstimmten, schepperten die Töne in Minorus Ohren wie ein schlecht geöltes Wagenrad. Wenn das die Unterwelt war, war sie genauso grausam, wie er sie sich vorgestellt hatte: Laut und furchtbar überfüllt.

Rin ging erneut neben ihm in die Knie, als langsam wieder Bewegung in ihn kam, hielt sich aber sicherheitshalber etwas auf Abstand. „Bleib noch etwas liegen“, sagte sie sanft. „Keine Eile. Es ist vorbei.“ Die Unterwelt war noch viel grausamer als er geahnt hatte!

„Sesshōmaru-sama“, erhob sich eine verzerrt knurrende Stimme und Minoru begann langsam daran zu zweifeln, dass er wirklich tot war. Die Chance, dass auch der Fürst in der Unterwelt herumspazierte war nicht sonderlich hoch.

Rin wich zurück und versuchte ihre Angst zu unterdrücken, als dieser Albtraum von einem Wolf sich ihnen näherte und auch noch sprach! Selbst wenn er gemächlich ging, wirkte diese Bestie noch beängstigend bedrohlich. Auch als er im Gehen in einer fließenden Bewegung diese Form aufgab und selbstbewusst auf den Inu no Taishō zusteuerte, löste sich ihre Schockstarre nur unwesentlich.

Selbst in seiner menschlichen Form war dieser Yōkai ein Koloss. Mindestens zwei Meter groß und mit erschreckend breiten Schultern ausgestattet, wirkte er eher wie ein Bär als ein Wolf. Er maß die Versammlung vor ihm mit seinem gesunden Auge ruhig, als er aus Höflichkeit mit einigem Abstand Halt machte. Das andere schien milchig trüb und Rin nahm stark an, dass er auf diesem Auge blind war. Sie hatte alte Menschen getroffen, die auf diese Weise ihr Augenlicht einbüßen mussten, aber nie gedacht, dass es auch bei einem Yōkai möglich war. Offensichtlich musste sie ihre Annahmen genauer überdenken. Wenn sie Fieber bekommen konnten, warum dann nicht auch solche Dinge und ganz anderes? Der Mann fuhr sich mit einer Hand durch das kurze, sandfarbene Haar, das, im Gegensatz zu seiner vorherigen Gestalt, jeglichen Graus entbehrte. Nachdem er einige Sekunden die Szene betrachtet und auch Minoru einen schnellen Blick zugeworfen hatte, nickte er Sesshōmaru grüßend zu.

„Taishō, es scheint mir, Ihr befindet Euch nicht innerhalb Eurer Grenzen oder habe ich etwas missverstanden?“

„Nobu-sama. Seid Ihr nun Herr im Norden? Reicht Euch diese kalte Insel nicht?“, gab der Fürst kühl, aber ebenso scharf zurück.

„Ich habe durchaus ein Interesse daran, dass dieses Land in seiner Gesamtheit bestehen bleibt – und wie Ihr hoffentlich erkennt, ist Kōga gerade anderweitig beschäftigt. Das tut im Grunde aber nichts zur Sache. Ihr solltet nicht hier sein. Wir benötigen Eure Hilfe nicht.“

Rin machte den Mund auf, um ihre Schuld an der Sache darzulegen – dass Sesshōmaru-sama die Grenze sicher nicht überschritten hätte, wenn sie nicht gewesen wäre. Aber als er sie ansah, erschrak sie und schwieg. Er lächelte lediglich gelassen.

„Schon gut, Kind. Wir werden keinen unnötigen Streit vom Zaun brechen wegen solcher Kleinigkeiten.“ Dann wandte er sich wieder an Sesshōmaru persönlich. „Ich habe Gerede gehört, aber glauben wollte ich es nicht. Ihr solltet besser auf sie aufpassen, wenn sie Euch am Herzen liegt.“

Ohne eine Reaktion des Fürsten abzuwarten, fiel sein Blick auf Minoru, der sich langsam aufsetzte und begriffen hatte, dass das hier alles zwar auch schrecklich laut und überfüllt, aber noch lange nicht die Unterwelt war. Er hatte überlebt. Wie auch immer er das geschafft hatte. Vermutlich hatte ihn das Glück nicht vollständig verlassen, wobei er nun nicht darüber nachdenken wollte, ob sein Ende nur verschoben worden war. Der Fürst war hier und er sah alles andere als zufrieden aus. Rin lebte, immerhin das, aber was war mit den Panthern? Er sah sich ein wenig irritiert um, aber dort waren nur einige Wölfe, die zwischen den Toten umherstreiften. Der Kampf musste vorbei sein. Er lehnte den Rücken an einen Felsen und atmete einen Moment durch, bevor er den Blick des Mannes bemerkte, der ihn interessiert betrachtete.

„Minoru“, sagte er mit einer fürchterlich rauen Stimme. „Ist das dein Name?“

Wer hatte da wieder geplaudert? Wusste denn niemand hier, dass man seinen Namen nicht in alle Welt hinausschrie, damit auch ja jeder beliebige Idiot mit Flüchen nur so um sich werfen konnte? Er brummte leise, dann raffte er sich auf und lehnte abermals den Rücken an den Felsen. Frei stehen wäre nun wirklich noch ein wenig viel verlangt.

„Ja“, antwortete er schließlich und versuchte den Fürsten zu ignorieren, der ihm einen scharfen Seitenblick zuwarf. Offensichtlich war eine lebende Rin noch keine Absolution.

„Bemerkenswert“, gab der Fremde ein wenig erstaunt zurück. „Ich dachte, du würdest größer, wenn du stehst, aber du bist tatsächlich klein. Wie alt bist du, Junge? Sechzehn?“

Er schwieg eisern und biss die Zähne hart aufeinander, aber der Mann ließ nicht locker, sah ihn abwartend an.

„Fünfzehn, schätze ich“, gab er beiläufig zurück, aber er konnte den leicht zerknirschten Unterton nicht unterdrücken. Was sollte dieser Unsinn? Er hatte noch jemandem mit einer so seltsamen Haarfarbe gesehen. Wie reifer Weizen. Sein Brustpanzer war aus eng anliegendem, schwarzen Leder gefertigt und die Schulterplatten aus einem so hellsilbernen Material geschmiedet worden, dass Minoru sich darin hätte spiegeln können, hätte man es nicht mit vielen, verschnörkelten Wirbeln verziert. Über seiner rechten Schulter lag ein dicker, hellbrauner Pelz, der sowohl über seinen Rücken als auch über seine Brust zu verlaufen schien, bevor er sich an seiner linken Seite – von einer großen, runden Brosche gehalten – wieder vereinigte und sich schließlich fächerförmig, das gesamte linke Bein verhüllend, zum Boden erstreckte. Er trug eine weite Hose aus schwarzem Stoff, deren Enden in den seltsamsten Schuhen steckten, die Minoru je gesehen hatte: Stiefel, halbhoch, mit vielen Bändern festgezurrt und offensichtlich aus sehr hartem Leder. All diese Dinge hatte er auch in den Städten der Menschen noch nie auf den Märkten gesehen. Auch die Waffe an seiner Seite, ein Schwert, so breit wie eine aufgefächerte Kinderhand, war ihm gänzlich unbekannt. Es sah nicht einmal wirklich scharf aus, wie ein Katana es stets tat.

Nobu grinste beinahe. „Fünfzehn“, wiederholte er belustigt. „Ein Fünfzehnjähriger, der mit bloßen Zähnen das hübsche Gesicht einer Pantherillusionistin in eine Ruine verwandelt und all ihr schönes Blendwerk verpuffen lässt, als habe das Nichts sich dessen bemächtigt. Wir sind dir zu Dank verpflichtet, Minoru. Vor allem dein einfältiger Freund. Es stünde nicht allzu gut um ihn, wenn die Dinge anders verlaufen wären.“

„Wo ist er?“, fragte Minoru ernst. Das Lob in allen Ehren, aber er war nicht gekommen, um etwas Nennenswertes zu tun, sondern alleinig, um Takeru zu folgen, wie er es versprochen hatte. Dass er jemanden dafür angreifen musste, war nicht geplant gewesen und auch alles, was danach gekommen war, war wenig ruhmreich verlaufen. Wären die Wölfe nicht eingeschritten, wäre er mit Sicherheit gestorben. Worin lag dann noch die Begründung für Lob? Es war ihm schlicht nichts anderes übrig geblieben als dieser törichte Angriff, wenn er vermeiden wollte, dass sie in einen Hinterhalt gerieten – und nicht einmal das hatte er wirklich abwenden können.

„Zuhause, nehme ich an. Wir haben ihn befreien können und zur Höhle zurückgeschickt. Eigentlich wollten wir diesem forschen Hund eine Lektion erteilen, aber er war sich erstaunlich sicher, dass du es warst, der diesen Lärm veranstaltet hat – und dass du eine Berechtigung hast, hier zu sein.“

Er war also wieder Zuhause. Minoru atmete vor Erleichterung einen Moment auf. Takeru hatte in den stillen Minuten stets unglücklich gewirkt, vor allem, wenn er sich unbeobachtet gefühlt hatte. Er war nie zufrieden damit gewesen, allein oder mit ihm durch die Weltgeschichte zu ziehen, ganz im Gegensatz zu Minoru. Wenn er nun wieder nach Hause konnte, war das noch tausend Mal besser, als wenn er nur die Unklarheit bereinigt hatte – auch wenn es hieß, dass Minoru bald wieder allein durch die Wälder streifen würde.

„Du scheinst erleichtert zu sein“, sagte der Mann nicht unfreundlich, wenn auch mit einem leisen Schnauben. „Wenn er mein Sohn wäre, hätte ich es ihm nicht so leicht gemacht. Aber die Umstände haben seine Eltern weich werden lassen. Hoffen wir, dass er letztlich aus dieser Torheit zumindest eine Lehre ziehen kann.“

„Woher wollt Ihr das alles wissen?“, fragte Minoru plötzlich scharf und ignorierte seine Anmerkung. „Als Shunrans Täuschungen fielen seid Ihr nicht in der Nähe gewesen.“

„Du bist ein ganz schön misstrauischer Bengel, nicht wahr?“, gab sein Gegenüber mit einem ebenso scharfen Ton zurück, aber das Lächeln, das dabei seine schmalen Lippen umspielte, verwirrte Minoru erheblich. „Nun, vielleicht ist das gerade gut. Ein gesundes Misstrauen ist zumindest keine schlechte Eigenschaft. Du bist voll von ihrem Blut und einige Nachrichten sprechen sich bei uns schneller herum, als mir selbst lieb ist. Ich bin kein Panther, wenn du das denkst und ich beabsichtige nicht, dich in irgendeiner Weise zu täuschen. Ich bin nur neugierig.“

„Neugierig?“ Minoru klang unbeeindruckt, aber im Grunde wollte er nichts lieber als fort, ein wenig Ruhe und irgendetwas, um diese widerlichen Schmerzen zu ersticken, die er mit viel Mühe herunter kämpfte. Sein Kopf war immer noch ein wenig benebelt. Dieser plötzliche, fehlgeschlagene Ausbruch seines Yōkis war in mehrfacher Weise überfordernd gewesen und diese Unterhaltung beanspruchte ihn nur noch mehr.

Nobu betrachtete ihn einen Moment still, dann nickte er lediglich, was die Frage nicht im Mindesten beantwortete, und wandte sich wieder an den Fürsten, der das Gespräch kommentarlos, aber durchaus aufmerksam verfolgt hatte.

„Darf ich Euch bitten, mir zu folgen? Da Ihr uns mit Eurer seltenen Anwesenheit ehrt, wäre es klug, die Gelegenheit zu nutzen und eine gewisse Rücksprache bezüglich der vergangenen Wochen und zukünftiger Absichten zu halten.“

Sesshōmaru musterte den Wolf streng. Dafür, dass Nobu mit seinen Männern lediglich zur Unterstützung der nördlichen Wölfe gekommen war, nahm er die Zügel hart in die Hand. Das war allerdings beim besten Willen nicht das Problem des Westens, sondern einzig und allein Kōgas. Wobei er bezweifeln wollte, dass es jemand wagte, dem letzten Daiyōkai der Ōkami solcherlei Machtspiele zu unterbinden.

Rin sah erstaunt auf, als Sesshōmaru nur stumm nickte. Wieso ging er darauf ein? Es war völlig untypisch für ihn, einer solchen Aufforderung nachzukommen, die, auch wenn so bezeichnet, unerhört wenig mit einer Bitte zu tun hatte.

„Kommst du zurecht?“, fragte Nobu nun an Minoru gewandt. Der brummte leise und stieß sich mit kalkulierter Vorsicht vom Felsen ab. Dieser Mann hatte vielleicht Nerven. Er würde zwar kaum auf vier Pfoten laufen können, aber seine Beine würden doch hoffentlich ihren Dienst nicht versagen. Musste dieser Fremde so überfürsorglich daherreden?

Nobu lächelte matt, während er Minorus wenig erfreute Miene studierte. War er doch ursprünglich davon ausgegangen, an diesem Tag die einmalige Begegnung eines Hundes ohne eine solche Ader machen zu können, musste er diese Vermutung nun revidieren. Ganz offensichtlich schlossen sich atypisches Bellen und Stolz in keinem Moment aus – dieser Junge schien lediglich zu wissen, wann es nötig war, diesen sonst oft so fatalen Stolz für einen Sekundenbruchteil herunterzuschlucken. Durchaus interessant. Vielleicht hatte sich die kleine Reise gen Süden doch mehr gelohnt, als Nobu zunächst angenommen hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2016-03-13T21:44:29+00:00 13.03.2016 22:44
Hallo!
 
Egal, wielange man auch pausiert, man ist nach den ersten drei Zeilen wieder so absorbiert, als seien keine fünf Minuten nach dem letzten Kapitel vergangen. Ich liebe deine Beschreibungen noch immer, wobei dieses Mal der Vergleich zum Wagenrad, die Anspielungen auf die Unterwelt und die einsilbige Antwort Sesshōmarus auf Rins Schuldbekenntnis zu meinen großen Highlights gehörten. Minoru schlug sich sehr tapfer, ich konnte ihn fast mit den Fängen knirschen hören und fand die Behauptung, er sei dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen, von Anfang bis Ende nur zustimmen. Genau so hat es sich gelesen! Seine Biestigkeit, die Beobachtungen und das Stolzschlucken haben ihm weitere Sympathiepunkte eingetragen.
Ein wenig Mitleid habe ich auch mit der Pantherillusionistin, denn sie nimmt durchaus Emotionen wahr, wenn auch höchst selbstsüchtige. Deren Rache dürfte haarig werden. Schade, dass der Inu no Taishō ihre Schwester SO wohl weniger wiederbeleben wird. Tja, so ist das Leben.
Oh, und ganz vergessen vor lauter Begeisterung: Nobu ist ein Knüller. Er hat etwas Väterliches an sich, wie Sesshōmarus Vater, und der ganze Absatz, indem du sein Äußeres beschrieben hast, war der helle Wahnsinn. Der Verlauf des sandfarbenen Pelzes hat mich ehrlich aus den Socken gehauen. So etwas Schönes kam mir noch nirgendwo bei einem Nebencharakter unter.
 
Viele Grüße, Morgi


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