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Vergissmeinnicht

Angelina x George
von

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Abendwind

-Stonehaven, Aberdeenshire; Schottland-

 

Bis auf das sanfte Rauschen des Meeres und das Kreischen einiger Möwe war es friedlich und still um sie herum. Angelina saß mit geschlossenen Augen im Sand und genoss den letzten Abend in ihrem persönlichen kleinen Paradies und atmete die Seeluft tief ein.  Sie war alleine und wusste, dass sie heute Abend auch niemand stören würde. Katie war bei Marcus und auch sonst war niemand hier. Das Cottage lag verlassen auf dem Küstenhügel über ihr. Der Wind ließ ihre Locken tanzen und die Sonne begann gerade, sich über den Horizont zu senken. Morgen Abend würde sie nach London zurückkehren und dann wieder arbeiten müssen. Morgen Abend musste sie zurück in ihr altes Leben.  Sie blendete das jetzt allerdings noch aus, denn sie wollte dem Augenblick nicht die Leichtigkeit nehmen; sie würde die Kraft, die sie in den letzten drei Wochen hier gewonnen hatte, brauchen. Natürlich war ihr klar gewesen, dass es so nicht ewig weitergehen konnte. Sie konnte nicht ewig vor George und ihren Problemen davon laufen. Aber diese Pause hatte ihr gut getan. Wenn sie heute an Fred dachte, dann sah sie ihn lachen und erinnerte sich an sein Leben, nicht an seinen Tod. Sie vermisste ihn schrecklich und sie trauerte um ihr Baby, das noch nicht mal ein richtiger Mensch gewesen war, als es diese Welt schon wieder hatte verlassen müssen. Aber sie wusste jetzt, dass der Schmerz mit der Zeit weniger schlimm, dass er erträglicher werden würde. Endlich konnte sie wieder einigermaßen klar denken. Nun galt es, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und herauszufinden, was sie eigentlich wollte. Sie musste George sehen und hoffte, dass sie dann wissen würde, was sie tun oder lassen sollte.

 

Sie war ganz in sich selbst versunken und genoss die letzten Sonnenstrahlen, als ihr jemand plötzlich eine Decke über die Schultern legte. Erschrocken riss sie die Augen auf und wollte sich umdrehen, als sie die Hände auf ihren Schultern erkannte und kurz erstarrte. Sie drehte den Kopf, leicht zitternd, und sah altbekannte rote Haare in der Abendsonne aufblitzen; sie erblickte ebenmäßige, vertraute Gesichtszüge und durchdringende blaue Augen. Angelina brachte kein Wort heraus, sondern sah ihn nur unverwandt an. Er setzte sich neben sie in den Sand und legte ihr wie selbstverständlich den Arm um die Schultern. Dann zog er sie sanft zu sich heran, sagte aber nichts. Stattdessen lächelte er  und schaute dann entspannt in den Sonnenuntergang. Angelina brauchte einige Sekunden, bis sie ihren Schock überwunden hatte.

 

Dann, ganz langsam, entspannte ihr Körper sich und schmiegte sich an den Mann neben ihr. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie genau darauf die ganze Zeit unterbewusst gehofft hatte. Sie hatte sich nach ihm gesehnt, auch wenn ihr schlechtes Gewissen es ihr ausgeredet hatte.

Die beklemmende Scheu fiel von Angelina ab. Jetzt, nachdem sie es sich selbst eingestanden hatte, gab es keinen Grund mehr dazu. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Sein unverwechselbarer Geruch ließ das Lächeln auf ihre Lippen zurückkehren. Sie hatte ihn vermisst, sehr vermisst. Seine großen Hände lagen warm und ruhig auf der Haut ihrer rechten Schulter und strichen sanft darüber. Ein paar seiner roten Haarsträhnen kitzelten sie im Gesicht und sie zog die Nase kurz kraus. Er lachte leise auf, sagte aber immer noch nichts und küsste sie sanft auf die Stirn, bevor er wieder aufs Meer hinaussah. Sie genoss seine Nähe in vollen Zügen und diesmal schämte sie sich nicht mehr dafür. Irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein schlichen sich jetzt einige Gedanken in ihren Kopf, die nicht mehr wichen. Du musst das alles nicht alleine durchstehen. Du hast ein Recht darauf, dass dein Leben weitergeht und dass du irgendwann wieder wirst unbeschwert lachen können. Angelina wusste nun, Fred wäre der Letzte gewesen, der sie hätte unglücklich sehen wollen.

 

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Also Angelina erwachte, dämmerte gerade der Morgen. Sie lag, immer noch in die Decke gehüllt, auf dem Sofa in Katies kleinem Cottage. George musste sie hierher gebracht haben. Wie viele Stunden sie am Abend zuvor am Strand gesessen hatten, konnte sie nicht mehr sagen. Sie hatten keine Worte gesprochen, sondern einfach nur die Gesellschaft des anderen genossen. Irgendwann, lange nachdem die Sonne untergegangen war, musste sie wohl eingeschlafen sein. Doch jetzt war George nicht mehr da. Diese Erkenntnis hatte den faden Beigeschmack eines Déjà vus, denn es war nicht das erste Mal, dass sie nach einem denkwürdigen Abend mit George Weasley alleine aufwachte.

 

Doch diesmal war es anders. Sie hatte im Gefühl, dass er wieder kommen würde. Sie wusste es einfach. Angelina fühlte sich nicht so erbärmlich egoistisch wie an jenem Sonntag drei Wochen zuvor. Sie hatte Angst davor gehabt, ihm in die Augen zu sehen. Sie hatte befürchtet, ihn wiederzusehen würde in peinlicher Stille oder in einem Streit enden. Sie hatte gedacht, sie würde an ihren Selbstvorwürfen ersticken. Es stand immerhin die unumstößliche Tatsache im Raum, dass sie miteinander geschlafen hatten.

Nein, nicht nur das. Etwas viel Schwerwiegenderes; wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie eingestehen dass es eindeutig nicht nur Sex gewesen war. Sie hatten sich geliebt. Und diese kleine, feine Nuance Unterschied konnte keiner von ihnen beiden ignorieren.

Doch es war ganz anders gekommen am gestrigen Abend. Georges Anwesenheit weder peinlich noch seltsam noch schwierig gewesen. Im Gegenteil, sie hatte sich leicht gefühlt.  Sie wollte mehr davon.

 

Heute würde ein besonderer Tag werden. Sie hatte noch etwas zu erledigen, das sie die ganzen letzten drei Monate aufgeschoben hatte. Doch heute fühlte sie sich stark genug dafür; sie musste es endlich tun, es war längst überfällig.

Angelina wickelte sich langsam aus der Decke und ging die Treppe hinauf, um sich umzuziehen. Sie wählte ein blaues Kleid, das Fred sehr gemocht hatte. Mit leicht zittrigen Fingern schloss sie die Knöpfe ihres Reiseumhangs, denn der junge Morgen war noch kühl, und kämmte ihr Haar, so dass ihr die Locken über die Schultern fielen. Alles tat sie mit besonderer Sorgfalt. Es war schließlich ein besonderer Ort, den sie besuchen wollte.

 

Es war noch dunkel, als sie aus dem Haus trat. Sie apparierte mit Absicht nur an den Rand des kleinen Waldes, so dass sie die letzten zwei Kilometer zu Fuß zurücklegen musste. Die Sonne begann gerade, den Horizont rötlich zu verfärben, als sie das eiserne Tor durchschritt. Die gesamte Lichtung war noch in Nebelschwaden gehüllt, aber sie konnte dennoch die in säuberlichen Reihen angelegten Gräber erkennen. Der uralte Friedhof lag still und friedlich da. Er wirkte beinahe unwirklich schön, so als ob es sich dabei einfach nur um eine idyllische Waldlichtung im Morgentau handeln würde. Langsam passierte sie Reihe um Reihe, bis sie ganz hinten unter den Kronen einer alten Eiche und einer Blutbuche zum Stehen kam. Die Bäume standen in voller Blätterpracht da, kraftvoll und voller Leben, als wären sie die Wächter dieser letzten Ruhestätte.  

Der noch frische Erdhügel vor ihr war immer noch mit Unmengen von Blumen und Kränzen bedeckt, von denen einige schon anfingen zu welken, andere jedoch noch ganz frisch zu sein schienen. Vielleicht war es auch nur ein geschickter Zauber. Ganz oben lag ein immergrüner Kranz mit sieben einzelnen gelben Lilien, der mit den Namen aller Familienmitglieder beschriftet war. Eine der Lilien war verwelkt. Es wirkte, als wären seit Freds Beerdigung erst einige Tage vergangen. Ein schlichtes Holzkreuz stand am Kopfende.

 

Angelina wurde schwindelig und sie spürte einen Stich im Herzen. Sie hatte es damals, am Tag seiner Beerdigung, nicht über sich gebracht, hierher zu kommen. Zu viel Angst hatte sie vor dem Blick in Georges Augen, vor dem Schmerz seiner Mutter und dem Anblick der ganzen Freunde und Verwandten gehabt. Ganze dreizehn Wochen hatte sie gebraucht, bis sie soweit gewesen war. Drei Wochen hatte sie in Schottland die Kraft gesammelt, um jetzt einen Fuß vor den anderen zu setzen; um genau hier her zu kommen.

Jetzt, da sie hier stand, vor diesem endgültigem Ort, durchzuckte sie die Trauer wie schon so oft in den letzten Monaten wie ein glühendes Schwert. Fred... Doch es war etwas anders als zuvor. Eine einzelne Träne lief ihre Wange hinab.

 

Vor seinem Grab zu stehen bedeutete, mit eigenen Augen zu sehen, dass er wirklich tot war. Dass er hier unter der Erde lag, nur noch eine Hülle seiner selbst. Der Mann, den sie geliebt hatte, war nicht mehr hier. Er weilte nicht mehr in dieser Welt. Nicht mehr bei ihr.

Regungslos stand sie einfach nur da und weinte stille Tränen. Es war nichts mehr Hysterisches dabei wie an den ersten Tagen nach seinem Tod, nichts mehr Taubes oder Erdrückendes wie in den Wochen danach. Es war die gemeinsame Zeit, die sie nicht mehr haben konnten, die Angelina in diesem Moment beweinte. Und dennoch fühlte sie sich getröstet an diesem Ort. Die Tränen befreiten sie Stück für Stück ein bisschen von der bedrückenden Enge in ihrem Inneren.

Sie nahm in diesem Moment Abschied von ihm. Sie wusste jetzt, dass sie ihn gehen lassen musste. Sie durfte ihn nicht an diese Welt binden, denn er musste den Weg weitergehen. Vorrausgehen dorthin, wohin sie ihm alle eines Tages würden folgen müssen. Doch noch war es nicht so weit. Nicht für sie und auch nicht für George.

 

Wie lange sie so an diesem Ort der Erinnerung gestanden hatte, konnte sie nicht sagen. Irgendwann versiegten ihre Tränen und sie blickte nur noch stumm auf den Erdhügel. Die Augustsonne schien ihr bereits erstaunlich warm in den Rücken. Es mochte vielleicht mittlerweile sechs Uhr morgens sein, sie wusste es nicht genau. Ganz langsam hob sie ihre Hände und öffnete die lange silberne Kette im Nacken, die unter dem Kleid und Mantel verborgen war und die sie seit über vier Jahren ständig trug. Der silberne Anhänger lag schwer in ihrer Hand. Es war ein wunderbar filigran gearbeiteter Knoten aus verschiedenen Silberfäden, in dessen Mitte ein winziger Smaragd glitzerte. Ihr Talisman, der sie bisher nur an einem einzigen Tag vor drei Monaten im Stich gelassen hatte. Es war ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Sie tippte leicht mit dem Zauberstab an den Anhänger. Langsam wie kleine Schlangen wandten sich die Silberfäden und der Knoten löste sich. Dann teilte sich das Silber auf und synchron entstanden zwei neue, identische Knoten, in die sich die Silberfäden kunstvoll verwebten. Der Smaragd brach mit einem Klicken entzwei und die beiden Stückchen fanden jeweils einen neuen Platz, schwebend in der Mitte der beiden entstandenen Schmuckstücke.

Angelina trat einen Schritt vor und ging in die Knie. Sie fädelte einen der beiden Knoten langsam wieder auf die Kette und legte sich diese um den Hals. Dann schloss sie kurz die Augen, berührte den zweiten Knoten flüchtig mit den Lippen und legte ihn dann in eine kleine Mulde, die sie mit der anderen Hand in die Mitte der Graberde gedrückt hatte. Bedächtig bedeckte sie den Knoten wieder mit der Erde und stand auf.

Sie fühlte sich erleichtert und musste lächeln, als sie daran dachte, was Fred in diesem Moment gesagt hätte. Er hätte angemerkt, dass ihm Silber nicht stand. Eine letzte Träne rollte ihr über die Wange, aber diesmal blieb ihr Lächeln.

 

» Ich habe dich geliebt, Fred Weasley, Merlin weiß, wie sehr. Aber wo du hingegangen bist, kann ich dir nicht folgen. Ich weiß jetzt, ich muss dich gehen lassen und ich hoffe, es geht dir gut, wo auch immer du bist. Vergib mir, dass ich weiterlebe. Ich werde dich niemals vergessen…«

 

Sie berührte ein letztes Mal das Kreuz und drehte sich dann um. Mit einem letzten Blick über die Schulter auf die unwirklich sonnenbeschienene Szenerie hinter ihr ging sie weiter in Richtung der großen Bäume hinter dem Grab. Hier begann direkt der Wald. Sie ging noch ein Stück tiefer hinein, hielt ihr Gesicht in die Sonne und genoss das Rauschen der Blätter im Sommerwind.

 

Das plötzliche Quietschen des Eisentores in einiger Entfernung ließ sie zusammenzucken. Jemand hatte den Friedhof betreten und sie hörte, dass Schritte näher kamen. Sie versteckte sich schnell hinter dem Stamm eines großen Ahorns und spähte dann vorsichtig um den Baum herum. Als sie George erkannte, stand er bereits genau an der Stelle, an der Angelina selbst gerade einmal zwei Minuten zuvor selbst gestanden hatte. Irgendetwas hinderte sie daran, zu ihm zu gehen. Sie verharrte in ihrem Versteck und wagte kaum zu atmen. Er hatte sie nicht bemerkt.

 

Sie sah, wie George sich bückte und etwas auf das Grab legte und es einige Sekunden in die richtige Position brachte. Genau konnte sie es nicht erkennen, da die Blumen und Kränze ihr die Sicht versperrten. Dann zückte er seinen Zauberstab und schwang ihn einmal kurz, bevor er wieder aufstand. Er berührte das Holzkreuz und blickte einige Minuten stumm auf die Erde hinab.

 

Dann blickte er plötzlich auf und seine Lippen verzogen sich zu dem typischen weasleyschen Grinsen, das sie so sehr liebte, wenn es auch seine Augen nicht vollkommen erreichen konnte. Er begann leise, beinahe im Flüsterton, zu sprechen. Der Sommerwind trug seine Worte zu Angelina. Sie konnte ihn so deutlich hören, als stünde sie neben ihm.

 

Hey Freddie, wie geht’s dir heute? Vermutlich langweilst du dich tierisch, ist ja nicht viel los hier… Wie hältst du das nur aus?“ 

 

Er grinste noch etwas breiter, dann wurde George wieder ernst.

 

„Ich hab heute noch etwas mitgebracht, ich denke, du wirst nichts dagegen haben wenn es hier steht und brennt. Ist ja genug Platz für euch beide, nicht wahr?“

 

George schluckte schwer. Es dauerte einige Sekunden, bevor er weiterreden konnte.

 

„Weißt du, Bruderherz, die Wohnung ist immer noch verdammt leer ohne dich. Ich hab keine Ahnung, was ich mit all dem Platz machen soll. Und alleine zu trinken ist auf Dauer auch keine Lösung… Noch dazu kann ich mit deinem widerlichen Gin einfach nichts anfangen, wie kriegst du dieses Zeug nur runter?

Tja, ich hatte gehofft, es würde mit der Zeit besser werden, aber bisher tut sich wenig. Du würdest sagen, dass ich mich nicht so anstellen soll, ich weiß. Aber es ist verdammt schwer so verdammt alleine auf der Welt zu sein, Fred. Einfach richtig beschissen. Du hast dich klammheimlich aus dem Staub gemacht, und ich kann jetzt sehen was ich mache. Das ist wirklich nicht die feine Art von dir. Mom und Dad und der Rest schauen mich immer noch jedes Mal so an, als wäre ich gestorben und nicht du. Und glaub mir, es gibt sie immer noch oft genug, diese Momente, in denen ich mir wünsche es wäre so.“

 

Er machte eine kurze Pause und holte Luft.

 

„Ich weiß, ich wollte gestern schon vorbeischauen, aber ich hatte etwas zu erledigen. Hör zu, Freddie, ich muss dir was gestehen und das hätte ich schon vor Jahren tun sollen. Aber es war einfach unmöglich damals. Ich erinnere mich noch an den Tag als wäre es gestern gewesen. Sie hat so gestrahlt als du sie zum Ball geführt hast, als sie die Treppe herunter kam in diesem atemberaubenden Kleid und dir in die Arme gefallen ist. Als du mir am nächsten Morgen mit diesem breiten Grinsen im Gesicht erzähltest, dass du sie endlich erobert hättest, wie hätte ich dir sagen können, was dabei in mir vorging? Ich wollte nur, dass sie glücklich ist. Schon seit ich sie kenne wollte ich das.

Und dann warst du derjenige von uns, der sie glücklich gemacht hat. Wer wäre ich gewesen, euch im Weg zu stehen? Also hab ich mich schließlich damit abgefunden, dass sie niemals mir gehören würde. Und wenn es in meiner Macht stünde, ich schwöre es dir bei meinem Leben, ich würde mit dir tauschen, damit ihr beide wieder eine Zukunft hättet.

Doch schau dir an, was von mir übrig ist. Ein Häufchen Elend bin ich. Du bist fort und alles, was mir jemals wichtig war, erscheint mir jetzt so nichtig, so banal. Ich hab einiges versucht, um mich abzulenken, aber keine der Ablenkungen war gut genug als dass ich hätte vergessen können, Bruderherz.“

 

George lächelte, denn er wusste genau was Fred dazu sagen würde.

 

„Jaja ich weiß, ich soll hier nicht so gefühlsdusselig rumschwafeln. Übrigens, der Laden läuft so perfekt wie eh und je, keine Sorge. Ron macht sich erstaunlich gut im Verkauf. Allerdings ich kann einfach nichts Neues fürs Sortiment mehr entwickeln. Ich krieg das nicht ohne dich hin, Freddieboy. Es ist alles eine verdammte Scheiße!

Ich weiß, dass du mich wahrscheinlich auslachen würdest, weil ich mir so einen Kopf mache. Du warst schließlich noch nie der nachtragende und schwermütige von uns beiden…

Wie auch immer, ich komme vom Hundertsten ins Tausendste… Hör zu, Freddie, in den letzten Wochen ist mir bewusst geworden, dass mir von all den Dingen in meinem erbärmlichen Leben nur eines immer noch wirklich wichtig ist.

Ich möchte immer noch, dass sie glücklich ist.

Ich möchte sie wieder lachen sehen, unbeschwert, so wie früher. Verdammt, Freddie, ich kann nicht ertragen wie sie leidet! Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, wenn ich versuchen werde, ihr ihr wundervolles Lächeln wieder ins Gesicht zu zaubern.

Ich brauche sie mindestens genauso sehr, wie du sie gebraucht hast, großer Bruder. Ich habe lange mit mir gekämpft und ich glaube nicht mehr, dass du etwas dagegen haben würdest. Allerdings kannst du ja von hier auch kaum etwas dagegen tun, nicht wahr, alter Junge? Naja, du könntest dafür sorgen, dass mich der Blitz trifft.“

 

Ganz kurz blitze der alte schelmische Ausdruck in Georges Augen auf, bevor er sich räusperte und das Holzkreuz losließ.

 

„Ich hoffe, du bist ok, Freddie. Sei nicht zu streng mit mir. Ich hab wirklich getan, was ich konnte, und das waren auch einige ziemlich dämliche Dinge, aber ich kann sie einfach nicht vergessen. Ich zeige es dir.“

 

Mit diesen Worten schwang er kurz wortlos seinen Zauberstab und in silbrig-weißen Schwaden brach etwas aus der Spitze hervor. Langsam sank der weiße Nebel zu Boden und nahm Gestalt an. Ein großer, ehrwürdig aussehender Tiger schlich auf leisen Tatzen um das Grab herum und blickte majestätisch in die Ferne, bevor er sich neben George setze und sich nicht mehr rührte.

 

„Du siehst, ich kann es nicht verleugnen. Aber ich bin sicher, du kannst mich verstehen, schließlich kennst du sie mindestens genauso gut wie ich, nicht wahr?“

 

Angelina war erstarrt, als der Patronus Gestalt angenommen hatte. Sie traute ihren Augen nicht. Georges Patronus war immer eine Hyäne gewesen, der von Fred ein Kojote.

 

Wie in einer Art Trance begann ihr Körper, aus seiner Starre zu erwachen und sich zu bewegen. Während sie aus ihrer Deckung hervortrat, bewegte sich ihr Zauberstab wie von selbst und eine elegante Tigerin brach daraus hervor, die bedächtig neben ihr herging und ihre Katzenaugen unverwandt auf George gerichtet hatte. Endlose Sekunden lang sah sie in seine tiefblauen Augen, während sie auf ihn zuging. Er brach ihren Blickkontakt nicht ab, obwohl er ziemlich geschockt schien, sie zu sehen. Er hatte wohl mit vielem an diesem Ort gerechnet, aber am wenigsten mit ihr.

 

Als sie neben ihm zum Stehen kam, war sie immer noch unfähig etwas zu sagen. Ihre Tigerin umkreiste lautlos Georges Tiger und schmiegte dann ihren Kopf an dessen Schnauze, woraufhin der Tiger die Augen schloss. Sekundenbruchteile später waren die beiden Patroni verschwunden; nur noch George und Angelina standen sich still gegenüber, in den Augen des jeweils anderen gefangen.

George hob langsam die Hand und berührte ihre Wange. Angelina schloss die Augen für einen Moment. Als sie sie wieder öffnete, fiel ihr blick auf das Grab. In der Mitte hatte George die Blumen und Kränze beiseite geräumt.

An der Stelle, an der auch ihr Liebesknoten liegen musste, waren jetzt Vergiss-mein-nicht eingepflanzt. In ihrer Mitte brannte eine kleine, filigrane Kerze, umfasst von den blauen Blüten der Blume. Als sie auf das marmorierte Wachs der brennenden Kerze blickte, verlief es ein wenig und ein Schriftzug entstand in glühenden Buchstaben auf der Außenseite.

 

* 02. Mai 1998 †

 

In Angelinas Augen sammelten sich erneut Tränen. Sie war völlig überwältigt.

 

„Keine Angst, Angie, nur du und ich können es sehen.“

 

Jetzt liefen ihr die Tränen stumm über die Wangen. Was sie in diesem Moment empfand, die tiefe Dankbarkeit für das, was er gerade für sie getan hatte und die Fülle an Gefühlen, die sie für ihn hegte, machte sie unfähig, irgendetwas zu tun oder zu sagen.

George trug ihr Geheimnis mit ihr. Sie war nicht mehr alleine.

George verstand sie und er kämpfte sich durch dieselbe dunkle Nacht wie sie. George liebte sie.

 

Sie hätte all das niemals in Worte fassen können. Aber sie war sich sicher, dass er all die Dinge, die sie ihm hätte sagen wollen, in ihren Augen lesen konnte, denn er lächelte.

Ganz langsam stellte sie sich schließlich auf die Zehenspitzen und wie in Zeitlupe näherte sie ihre Lippen seinem Gesicht. Als sie sich endlich berührten, fühlte sich Angelina wie eine Ertrinkende, die endlich den Strand einer rettenden Insel im weiten Ozean vor sich sehen konnte. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und George zog sie eng an sich.

 

Endlich, nach drei endlosen Monaten in der Dunkelheit, zog die Dämmerung wieder herauf und färbte Angelinas Horizont mit strahlendem Morgenrot.

 

~~~


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, wir haben es geschafft :) Finito!

Mit diesem Kapitel ist Vergissmeinnicht beendet, es folgt noch der Epilog (in ein paar Tagen).
Eine kurze Anmerkung: Ich weiß, dass J.K. Rowling in einem Interview erklärt hat, George wäre nie
mehr in der Lage gewesen, einen Patronus zu erzeugen. Aber ich fand, dass es hier so wunderbar
gepasst hat, dass ich nicht darauf verzichten wollte :) Ich bin ansonsten immer (zumindest nach bestem Gewissen) Canon-treu geblieben und lege auch Wert darauf.

Ich hoffe, es hat euch gefallen und sage noch einmal ganz dick Danke fürs Lesen. Vielleicht mag ja noch der
ein oder andere Leser seine Meinung kundtun ;) Ich wünsche euch tolle Feiertage und eine schöne Restadventszeit.

Vielleicht bis zum nächsten Mal,

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