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The Rain People

von

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Route 119 bedeutete Regen, wusste jedes Kind in Hoenn. Wusste auch Ruby.
 

Aber was bedeutete Regen, an sich? Wusste das eigentlich noch jemand? Wie häufig dachten Kinder in Hoenn darüber noch nach?
 

Meteorologen hielten tausende langweilige Erklärungen für Regen für sie bereit. Daher verloren die Kinder das Interesse am Regen. Kaum jemand fragte seine Eltern mehr danach.
 

Dieses Unwissen über den Regen war etwas, was Hoenn schon einmal an den Rand des Unterganges brachte.
 

Ruby aber war in einer Regennacht geboren. Er träumte häufig vom Regen. Er konnte Wasser in jeglicher Form, auch als See oder Ozean, stundenlang beobachten. Schweigend, mit unerklärlicher Ehrfurcht.
 

Oder war diese Ehrfurcht, die Ruby beim Betrachten des Ozeans empfand, nicht doch etwa einfach erklärbar? Spürten nicht alle Lebewesen Ehrfurcht vor ihrem Ursprung, dem Ozean?
 

Vielleicht besaßen Zellen noch das Gedächtnis von ihrem ursprünglichen Zustand. An ihre ersten Tage. Als sie vereinzelt im Wasser dahintrieben. Vielleicht wollten sie dorthin zurück.
 

Rubys Traum war es, einmal den Ozean zu erforschen. Daher wurde er Trainer. Er wollte die Erlaubnis, Surfer, Kaskade und Taucher zu benutzen. Dann könnte er mit seinen Pokémon den Ozean zurückerobern.
 

Zurückzuerorbern? Ja. Ruby glaubte daran schon als Kind, im Urlaub. Der Ozean um Hoenn gehörte jemandem, dem er nicht gebührte. Als hätte eine feindliche Präsenz den Ozean durchtränkt.
 

Route 119 bedeutete aber erst einmal Regen, keinen Ozean. Hohes, dichtes Gras schoss ungebändigt aus dem lehmigen Boden. Den Landstrich durchzogen Wasserfälle, brüllend. Sie stürzten hinab von den Höhen der Berge, ihre Lebendigkeit tränkte den Lehm. Sie ließ hier einen Dschungel sprießen.
 

Wo Wasser ist, ist auch Leben. Wo Wasser im Übermaß fließt, kann man sich vor Leben kaum retten. Ruby war es Leid, auf Myrapla zu treten. Seine Beine juckten vor Stachelsporen. Seine Kleidung war von Dreck unerkennbarer Farbe. Ruby war müde - und zufrieden.
 

Er hatte es nämlich. Er hatte endlich ein Barschwa an der Angel. Bald, stellte Ruby sich vor, besäße ein Milotic, wie auch sein Idol, der Arenaleiter Wallace. Damit würde er den Ozean erobern. Auch mit siebzehn trieb ihn diese Vorstellung an. Man belächelte Ruby dafür.
 

Ruby zog seine Angel ein, an der er kurz zuvor voller Glück ein Barschwa sah. Sein Fahrrad stand kurz darauf bereit. Das Fahrrad hatte sich kurz zuvor selbst aufgebaut, aus einem federleichten Metallteil. Ruby trat hastig in die Pedalen. Er wollte noch vor Dämmerung Route 119 verlassen und Baumhausen erreichen. Der Regen schellte ihm ins Gesicht. Doch diese Wetterlage war ihm nie unangenehm gewesen. Er liebte das Fahrradfahren, im Regen genoss er es noch mehr.
 

Mehr Sorgen bereiteten ihm wilde Pokémon. Je tiefer er in den Dschungel vordrang, desto mächtigere Biester lauerten in dessen Gräsern und Flüssen. Voll ausgewachsene Voltenso und Geradaks hatte Ruby schon gesehen. Die unumstrittenen Herrscher dieses Dschungels aber, das waren die Tropius.
 

Eine Herde Flugsaurier spreizten ihre Flügel aus Blättern in der Ferne, auf dem Wasserfall. Ein exotischer Anblick, der gefährlich werden konnte. Es war nicht ratsam, näher zu fahren. An der Quelle hatten die intelligenten Biester eine Art Plantage errichtet.
 

Ruby hatte ohnehin nicht vor, den Tropius ihr Gebiet streitig zu machen. Sein Superschutz würde nicht mehr lange wirken. Ruby fuhr schneller. Er wollte sich Gefechte mit wilden Pokémon ersparen, die schwer und unnötig waren. Er erinnerte sich an Sapphire. Sie hätte sich jetzt sicherlich mit den Tropius angelegt.
 

Er und Sapphire - sie waren Regenmenschen.
 

Das Leben galt als beschwerlich, als zerbrechlich. Aber sie beide wuchsen heran, ohne Sorge und Not. Wie Myrapla unter dem Regen gedeihten sie im behüteten Wurzelheim. Verschont von allem, was die große weite Welt um ihren Schlaf brachte. Rubys Vater war Arenaleiter. Sapphires Eltern Professoren. Sie hatten für ihren Wohlstand ausgesorgt, noch ehe sie Kinder bekamen. Einzelkinder, natürlich, denen alle Aufmerksamkeit zukam, die sie wünschten.
 

Ruby und Sapphire konnten sich, bis sie zehn waren, nicht vorstellen, dass es eine Welt außerhalb von Wurzelheim gab. Mit Kriegen, Leid und Hunger. Doch auch diese Erkenntnis hielt sie nicht ab, als sie ihre jungen Köpfe heimsuchte.
 

Kaum klopfte die riesigen Welt an ihren kleinen Häuschen, rebellierten sie gegen ihre Eltern. Ruby und Sapphire verließen Wurzelheim, damals nur von ihren Startern begleitet. Um ausgerechnet jene Welt zu sehen, vor der ihre Eltern sie behütet hatten. Aus Trotz, oder aus Sehnsucht nach der großen Ferne. Sapphire wollte jedenfalls leuchtende Großstädte sehen. Und Ruby den Ozean. Aber nicht den Ozean, den Urlauber sahen, sondern den richtigen, tiefen Ozean.
 

Nur die wohlhabendsten Kinder konnten es sich leisten, aus Spaß zu reisen. Und auch nur dann, falls ihre Eltern es goutierten. Als Ruby und Sapphire vierzehn waren, ging es für sie los. Metarost, Faustahaven, Graphitport, Malvenfroh, Bad Lavastadt ...
 

Bald würde auch die Route 119 in Rubys Reiseerfahrung eingehen. Nur noch eine Meile. Die Arenaleiterin von Baumhausen galt als Schönheit. Sein Barschwa - erst gerade gefangen, nicht gerade rücksichtsvoll - sollte dringend ins Center.
 

Die schillernden Speichen von Rubys Rad rotierten durch den Regen, der hier Tage anhalten konnte. Eine Hängebrücke zeigte sich. Laut PokéNav die einzige Verbindung zwischen Dschungel und Festland.
 

Ruby erinnerte sich nicht, jemals schneller gefahren zu sein. Wie konnte es jetzt also geschehen, dass jemand ihn überholte?
 

Ein Mädchen, noch dazu? Er sah langes, braunes Haar flattern, vom Regen gepeitscht. Die Fahrerin überholte ihn nicht nur, sie bog ab und versperrte die Brücke. Eine Frechheit! Rubys Kampfgeist war geweckt. Er beschleunigte, bis er die Figur einholte.
 

Abrupt drückte Ruby durch - aber die Bremse, nicht das Gaspedal. Die Verkehrssünderin hatte blaue Augen, erwies sich. Trug einen roten Regenmantel und schwarze Shorts. Ihre sportliche Figur veranschaulichte, wie sie Ruby überholt hatte. Sapphire! Rubys Herz wagte einen Sprung.
 

Hier? Auf Route 119? Ja.
 

Sapphire nahm ihren Helm ab, der sie zuvor unerkenntlich machte. Der Regen rann ihre Haare herunter. Sapphire ließ sie nicht länger, als bis zu ihren Schultern wachsen, obwohl sie dick und kräftig waren - ja nicht zu weiblich aussehen! Ihre graublauen Augen blitzten. Vergnügt, herausfordernd. Natürlich würdigte Sapphire Ruby keines unmittelbaren Blickes.
 

"Sapphire", sagte Ruby.

"So heiße ich", sagte sie.

"Was machst Du hier?" Nach einer kurzen Pause, in der Ruby Atem holte: "Sage bloß, du hast fünf Orden. Nein. Oder? Du hast keine fünf Orden. Du weißt nicht einmal, was ein Normal-Typ ist."

"Genau. Von anderen Typen ganz zu schweigen", Sapphire lachte, dann, aufsehend: "Dein Vater ließ Grüße ausrichten. Er sagte übrigens auch, ich hätte eindeutig mehr Talent, als du."

"Das sagt er jedem", seufzte Ruby.
 

Ruby fragte sich in dem Moment, weswegen sie nicht zusammen reisten. Wenn sie stets dieselben Orte besuchten. Mit vierzehn hatten sie sich freilich noch davor geschämt. Aber jetzt, mit siebzehn Jahren?
 

"Dann finden wir es doch heraus?"

"Was finden wir heraus?", horchte Ruby auf.

"Wer mehr Talent hat."

"Ich weiß nicht, ob ich bereit für einen Kampf bin."

"Natürlich bist du bereit", entschied Sapphire.
 

Kämpfe waren aufregend, aber auch anstrengend. Wie auch Sapphires gesamtes Wesen, für das selbst ihre Eltern mit "anstrengend" beschrieben.
 

Ruby amüsierte die Einsicht, Sapphire wäre anstrengend, als wäre sie etwas Neues. Vielleicht war er aber auch einfach froh, sie zu sehen.
 

In Rubys Handschuh expandierte ein Pokéball. In ihm ruhte das Potenzial, den Kampf zu eröffnen.
 

Der Regen fiel weiter.



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