Das Gebäck-Verbot
Minako verkroch sich auf der Toilette. Sie schloss die Kabine ab und setzte sich auf den Klodeckel, während die Tränen stets über ihre Wangen liefen und einfach nicht versiegen wollten. Sie biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte somit ein lautes Schluchzen.
All die Liebe, die sie über die Jahre für ihn empfunden hatte, hatte gegen ein kleines Liebesgeständnis von irgendeinem Mädchen verloren. Dabei gestand sie ihm seit Jahren fast jeden Tag ihre Liebe, nur eben ohne viele Worte. Warum sah er das nur nicht? War es nicht offensichtlich? Sie hätte ihm ihre Gefühle offen anvertrauen sollen, aber sie hatte solche Angst gehabt, dass sie ihn dadurch verlieren würde. Das war wirklich Ironie des Schicksals, denn nun hatte sie ihn tatsächlich verloren. An ein anderes Mädchen. Nur weil sie selbst so feige war.
Minako riss sich ein langes Stück vom Klopapier ab, faltete es und schniefte hinein. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, doch es kamen immer wieder neue.
Minako verbrachte die ganze Mittagspause auf dem Klo. Erst als es klingelte, machte sie sich auf dem Weg in die Klasse. Hoffentlich sah sie nicht allzu verheult aus.
Vor dem Klassenzimmer sah sie Hina stehen. Bitte nicht. Sie wollte sich grade mit niemandem unterhalten. Am wenigsten mit ihr.
„Miyazawa, hey. - Oh, alles okay mit dir?“
Verdammt. Sie sah wohl doch ziemlich fertig aus.
„Eh, ja, geht schon.“
Hina nahm das nickend zur Kenntnis und hackte nicht weiter nach. Warum sollte es sie auch interessieren, wie es Minako wirklich ging? Hina schien sich nur für sich selbst zu interessieren, dachte Minako etwas gehässig. Und außerdem war es ja nicht so, dass sie Freundinnen waren. Sie waren nur Klassenkameraden.
„Ich wollte kurz mit dir reden.“
Minako seufzte innerlich. Sie hatte wirklich keinen Nerv ausgerechnet mit ihr zu reden. Aber sie nickte höflich und wartete auf Hinas Anliegen.
„Würdest du es bitte unterlassen, Yoshiro Gebäck mitzubringen? Ich weiß ja, dass du das ziemlich oft machst, aber da ich jetzt seine Freundin bin, ist das etwas blöd, wenn du ihm immer was mitbringst.“
Minako spürte einen erneuten Anflug von Tränen. Dabei dachte sie, sie hätte keinen Tropfen mehr übrig. Doch diesmal hielt sie den Impuls zurück und schluckte den Kloß im Hals hinunter.
„Aber ich bin seine beste Freundin“, erwiderte sie. Es sollte nicht trotzig klingen, aber in ihren Ohren hörte es sich ziemlich scharf an.
Hina fixierte sie mit ihren hübschen, aber in diesem Moment sehr ernsten Augen.
„Und ich bin seine feste Freundin!“ Hinas Gesichtsausdruck entspannte sich im nächsten Augenblick wieder. „Ich will mich nicht mit dir streiten. Ich weiß, dass ihr euch super versteht, aber... ich muss zugeben, ich sehe dich als Konkurrenz. Deswegen halte dich bitte etwas fern von ihm, okay?“
Sie lächelte und ließ Minako allein im Flur stehen. Minako konnte es einfach nicht fassen. Sie sollte die Finger von Yoshiro lassen? Sie kannte ihn seit Jahren! Was bildete sich diese Hina nur ein?! Das konnte sie doch nicht ernsthaft von ihr verlangen! Außerdem war sie nur mit ihrer Hilfe mit Yoshiro zusammen gekommen. Sie sollte ihr also dankbar sein! Wütend presste sie die Lippen aufeinander und betrat die Klasse. Zum Glück war der Lehrer noch nicht da, sonst hätte es sicher Ärger gegeben.
Minako ging geradewegs auf ihren Platz zu und ließ sich erschöpft nieder. Die ganze Sache mit Yoshiro und Hina ließ sie sich ziemlich ausgelaugt fühlen.
Warum ist Yoshiro nur mit Hina zusammengekommen? War das wirklich nur, weil sie es ihm geraten hatte? Hätte sie gewusst, dass es um Hina ging, hätte sie nie so etwas gesagt. Oder war er doch mit ihr zusammen, weil er heimlich für sie schwärmte?
Minako biss sich auf die Unterlippe. Ihre Welt legte sich in einen Schleier und sie sah auf einmal alles verschwommen. Wo kamen bloß die ganzen Tränen her? Sie blinzelte sie weg und spürte stattdessen, wie sich ihr Innerstes zusammen zog.
Als Frau Mayoka, die Englischlehrerin, das Klassenzimmer betrat, setzten sich die letzten Schüler auf ihre Plätze und sie nahm den Unterricht auf. Minako konnte sich kaum konzentrieren. Alles, woran sie denken konnte, war Yoshiro und daran dass er, ohne es zu wissen, ihr Herz gebrochen hat.