Zum Inhalt der Seite

Von Vögeln mit gebrochenen Flügeln

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Feuer knisterte im Kamin. Warm und hell machte es das kleine Haus am Dorfrand, dessen Bewohner abends gerne hier saß und durch die alten Fensterscheiben beobachtete, wie der Wald und das Dorf in der Nacht versanken. Häufig war es dann still bis auf das Rascheln der Blätter, aber ebenso häufig erfüllte Lachen das Haus, wenn die Kinder des Dorfes zum Spielen kamen, so wie heute.

„Du kannst mich nicht besiegen, Knappe! Ich bin viel stärker als du!“ „Ich bin kein Knappe! Ich hab' doch gesagt, ich will Ritter sein!“ „Ich bin schon Ritter!“ „Dann will ich Krieger sein!“ „Du kannst kein Krieger sein! Frag Großvater!“

Lächelnd beobachtete der alte Mann das Spiel. Das Mädchen wandte sich an den Schiedsrichter. „Großvater, warum kann ich kein Krieger sein?“ Jetzt hörten auch die anderen auf zu spielen und kamen näher. „Krieg ist kein Spiel.“, sagte er ernst. „Hab ich dir doch gesagt!“, triumphierte ihr Spielpartner. „Ihr könnt beide Ritter sein“, erklärte der alte Mann, „und zusammen in einer Burg dienen.“ Ein einstimmiges „Nein!“ war die Antwort.

„Dann bin ich Soldat!“, rief das Mädchen aus. „Soldat? Was ist das?“ „Ein Held!“, antwortete sie. Der alte Mann sah sie nachdenklich an. „Sagt meine Mutter zumindest“, ergänzte sie etwas schüchterner, als sie merkte, wie alle sie anschauten. „Großvater, du warst doch auch Soldat“, sprach Nell, seine Enkelin, mit fragendem Unterton. „Wie wird man Soldat?“, fragte ein Junge. Der alte Mann seufzte.
 

„Indem man nachhause kommt nach der Arbeit. Meine Mutter saß da, etwas Gemüse, dass sie nicht verkaufen konnte, neben sich auf dem Boden, der Dorfvorsteher ihr gegenüber, Tee stand auf dem Tisch, Besorgnis ihnen ins Gesicht geschrieben und er sagte, Junge, wir erwarten eine Meldung, es ist schon in aller Munde. Es hilft nichts mehr.

Und ich, ich verstand nicht gleich, ich sah erst ihn, dann meine Mutter an, und sie hatte Tränen in den Augen. Ich hatte meine Mutter noch nie weinen sehen, nicht, als mein Onkel, ihr Bruder, starb, nicht, als mein Vater krank wurde, nicht nach den Missernten in den letzten Jahren. Da verstand ich, dass etwas Schlimmes passiert war. Aber ich wusste nicht, was. Also schaute ich den Dorfvorsteher wieder fragend an, und er sagte, mein Junge, die Vögel zwitschern es von den Dächern, die Händlerinnen flüstern es mit vorgehaltener Hand, ja, selbst die Schlangen zischen es auf dem Boden. Du wirst es bald mit eigenen Ohren hören. Es ist eine wehmütige, klagende Melodie, auf der man singt: Ein Krieg ist erklärt worden, ein Krieg wird ausbrechen.

Ich habe ihn damals nicht verstanden, Kinder, ich rief: Warum schaut ihr so drein? Unser Vaterland ist in Gefahr, wir werden es verteidigen! Sie wollen uns die ganze Zeit vernichten, sie hassen uns! Nichts und niemand gefährdet ungestraft mein Vaterland!

Ach, hätte ich gewusst, welch Melodie ich nachträllerte. Ich habe sie nicht verstanden.

Die Woche darauf riefen sie überall zum Dienst, und ich bin gefolgt. So wurde ich Soldat.“
 

Die Kinder sahen ihn an. Bei sich wusste der alte Mann, dass sie ihn nicht verstanden, aber er wollte hoffen, dass etwas hängenblieb. „Dann bin ich Oberritter!“, rief das Mädchen, und der darauf folgende Tumult löste die Stille wieder auf. Der alte Mann sah ihnen zu, lächelte, schwieg, und dachte nach.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  KradNibeid
2016-02-10T23:22:55+00:00 11.02.2016 00:22
Ein wirklich gelungener, schöner Einstieg in die Geschichte!

Mir gefällt der Kontrast zwischen der Ruhe und der Reife, die alles ausstrahlt, was mit dem Großvater zu tun hat, und der ungebändigten Freude und Lebenslust, die die Kinder ausstrahlen, und dabei noch gar nciht verstehen und hören, was der Mann ihnen eigentlich sagt.
Ich finde es auch schön, dass sie dabei - wie es Kinder eben tun - manche Dinge einfach annehmen und umsetzen, ohne sie zu vertehen, wie eben, dass Krieger zu sein nichts erstrebendwertes ist.
Ich bin schon sehr gespannt auf den Fortgang dieser Geschichte.
Von: abgemeldet
2016-01-30T18:37:22+00:00 30.01.2016 19:37
Das ist richtig toll geschrieben, finde ich! Ich bin kein Experte oder so, aber solche Umschreibungen und die Wortwahl hat ja schon Bernhard Hennen-Klasse, würde ich sagen! Aber man merkt auch, wie ein eigener Stil durchkommt und zwar sehr deutlich. Am meisten werden mir die Übergänge von der lustigen Szene in die Vergangenheit des Mannes und umgedreht in Erinnerung bleiben. Das war echt heftig.

Bei "Besorgnis ihnen ins Gesicht geschrieben..." fehlt glaube ich ein "stand"?
Antwort von:  Flying-squirrel
30.01.2016 23:02
Danke! Bernhard Hennen musst ich erstmal nachschlagen, aber es freut mich, wenn dir der Stil gefällt und die Übergänge gut sind- genauso sollten sie nämlich sein.
Und nein - "Tee stand auf dem Tisch, Besorgnis ihnen ins Gesicht geschrieben" - das Verb wird quasi doppelt benutzt, wie "Sie ging rechts, er links".


Zurück