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Bloody Eternity

von

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Mylady

Aiden, den das Wetter irgendwie an ein schlechtes Omen erinnerte, war nach ihrem Ausflug noch ein wenig in seinem Zimmer geblieben und hatte den Regen beobachtet, der die Straße in einen Sturzbach verwandelte. Nach einer Weile schüttelte er aber den Kopf, raffte sich auf und ging Jane suchen, die im Wohnzimmer fernsah. Kommentarlos ließ er sich neben ihr nieder. Wie normal es in letzter Zeit geworden war, Zeit miteinander zu verbringen… Aiden warf einen Blick zu seiner Sitznachbarin und fragte sich, was sie tun würde, wenn er ihr von seinen Erkenntnissen bezüglich Nathaniel erzählen würde. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft hätte sie nicht gezögert, ihn zu töten, das wusste er – sie hatte ja noch nicht mal so einen triftigen Grund wie den Mord an ihrem Vater gebraucht, um Aiden umbringen zu wollen. Doch jetzt hatten sie mehr Zeit sich besser kennengelernt, zusammengearbeitet und waren dabei, sich anzufreunden. Es fiel Aiden schwer, sich vorzustellen, dass Jane so einfach die Hand gegen ihn erheben würde. Doch das konnte natürlich genauso gut Wunschdenken sein, geboren aus seinen Gefühlen für die junge Frau.

Diese entwickelten sich in eine Richtung, die den Vampir beunruhigte. Vor allem seit Halloween drifteten seine Gedanken immer öfter in eine unangebrachte Richtung, so sehr er sich wieder und wieder vorsagte, dass sie noch ein Kind war im Vergleich zu ihm und dass er schon mal eine Beziehung mit einer Menschenfrau versucht hatte, die genau an dieser Andersartigkeit gescheitert war.

Wenn sie ihn nur nicht genau hier geküsst hätte vor nicht mal zwei Wochen...

Weil er gerade daran gedacht hatte, wie sie sich zu ihm gebeugt hatte, um die Lippen auf seine zu legen, zuckte Aiden zurück, als er plötzlich den Kopf seiner Sitznachbarin an der Schulter hatte. "Jane...? Willst du nicht ins Bett gehen...?", fragte er verlegen, als er merkte, dass sie einfach nur eingenickt war und sonst nichts passieren würde. Was hatte er denn gerade bitte erwartet?

Jane wachte jedoch nicht auf, auch nicht, als er sie nochmal ansprach, und schließlich gab Aiden auf. Er versuchte noch eine Weile, sich auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren, beschloss dann aber, die junge Frau ins Bett zu bringen. Vorsichtig hob er sie hoch, trug sie in ihr Zimmer und strich eine Strähne aus ihrem Gesicht, nachdem er sie ins Bett gelegt hatte. Wahrscheinlich war sie erschöpft von ihrem Ausflug.

"Gute Nacht", flüsterte er, dann zog er sich leise zurück.

Die Nacht schlug Aiden sich in seinem Zimmer um die Ohren, obwohl er lieber draußen gewesen wäre. Er hörte Elizabeth nach Hause kommen, hatte aber kein Bedürfnis, mit ihr zu sprechen. Die Ärztin hätte gemerkt, dass etwas in ihm vorging, und er wollte nicht, dass sie Jane nochmal auf ihn ansetzte. Gott, dieses Gespräch im Waschkeller… Er wollte gar nicht daran denken.

Schließlich ging die Hausherrin zu Bett und Stunden später flaute endlich der Regen ab. Sobald es trocken war, verließ er das Haus und kehrte erst am Vormittag zurück. Jane wartete schon, um mit ihm zur Uni aufzubrechen, wo sie einen ruhigen Tag verbrachten. Als die Studenten abends zurückkehrten, bereitete die Hausherrin bereits das Abendessen vor. Aiden begrüßte sie und unterhielt sich höflich mit Elizabeth, wobei er sich jedes Mal zwingen musste, ihr in die Augen zu sehen. Es fiel ihm so schwer, mit ihr zu reden, seit er wusste, dass er ihren Mann getötet hatte, viel schwerer als bei Jane. Das mochte daran liegen, dass er die Tochter für robuster hielt als die Mutter oder daran, dass Jane ihn von Anfang an nicht hatte ausstehen können, während Liz ihm gegenüber immer freundlich gewesen war. Er kannte den Grund nicht, aber es machte ihm zu schaffen. Von allen Lebewesen dieser Erde hatte er am wenigsten Recht darauf, so offen von den McCollins-Damen behandelt zu werden, und doch hatten sie ihn hier aufgenommen, Elizabeth war bemüht, mehr über ihn zu erfahren und es ihm angenehm zu machen und Jane verbrachte sogar ihre Freizeit mit ihm. Es gefiel Aiden, bei ihnen zu leben, und er schämte sich dafür.

Jane war direkt in ihr Zimmer gegangen, um ihre Sachen abzulegen, während ihre Mitbewohner sich unterhielten, und kehrte jetzt zurück. Als sie wenig später zum Abendessen am Tisch saßen, fiel ihr wohl etwas ein, denn sie wandte sich an ihren Haus-Vampir.

"Ich werde heute im Zirkel trainieren", informierte die Vampirjägerin ihren Mitbewohner, ehe sie ihrer Mutter etwas vom Auflauf auf einen Teller tat, den sie ihr reichte. "Kommst du mit oder hast du schon etwas Anderes vor?“

Der Vampir musste leicht schmunzeln, egal, was die sonstige Situation war. Ob Jane überhaupt bewusst war, wie es aussah, wenn sie ständig mit ihm an ihrer Seite in der unterirdischen Stadt auftauchte? Die Gerüchte, was ihre ´Beziehung` betraf, hatten sich zwar wohl nach Janes resoluter Klarstellung verlaufen. Dass er aber ihr Partner war oder werden könnte, stellte sich durch ihr Verhalten schon ziemlich deutlich dar. Immerhin war er selbstständig kein Zirkelmitglied und hatte prinzipiell nichts dort unten zu suchen.

Da er aber mitkommen wollte, sah er davon ab, Jane durch diese Tatsache zu reizen, sondern sagte einfach, dass er noch nichts anderes vorhatte und sie gerne begleiten würde. So machte er sich fertig und saß wenig später neben seiner Mitbewohnerin im Auto.

"Übrigens gibt es dort auch Parcours und Trainingsgeräte für Vampire. Du könntest dich dort also austoben", erklärte sie Aiden, womit sie seinen Gedanken von ihrer ´Zusammengehörigkeit` auf professioneller Ebene nur noch weiter unterstützte.

Mit einem schlecht verhohlenen Grinsen nickte er. "Gute Idee. Aber darf ich das überhaupt? Immerhin bin ich kein Mitglied des Zirkels", erinnerte er sie trotzdem, immerhin war es schon ungewöhnlich genug, dass man seine Anwesenheit dort unten zuließ, obwohl er keinen Auftrag mit Jane erledigte.

"Klar. Bisher hat niemand etwas gesagt. Sollte es Probleme geben, werde ich mich einmischen. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass es einen gewissen, älteren Herren freuen wird, wenn man dich dort herumturnen sieht", erwiderte sie, nachdem sie kurz fragend die Stirn gerunzelt hatte.

Mal wieder eröffneten Janes Beziehungen zum Anführer des Zirkels ihr - Und somit wohl auch Aiden - gewisse Vorteile. Nun, in diesem Fall würde er sich sicher nicht beschweren, und zu sehen, wie Jane jemanden zusammenstauchte, der versuchte, ihn zu verscheuchen, hätte sicherlich etwas. Bei dem Gedanken grinste er, hielt sich jedoch mit Kommentaren zurück, als Jane parkte und sie sich auf den Weg zum Zirkel machten. Sie betraten gemeinsam den Aufzug, der sie unter die Oberfläche brachte, sodass sie direkt den großen Sport- beziehungsweise Trainingsplatz ansteuern konnten.

Wie es aussah, hatte Aiden sich wirklich mal wieder zu viele Gedanken gemacht, denn niemand hielt ihn auf, als er mit seiner Partnerin (Ob sie sich jetzt selbst als solche sah oder nicht) das weitläufige Trainingsgelände betrat, auf dem bereits einige Zirkelmitglieder verschiedener Rassen trainierten. Wie er bereits erwartet hatte, erregte seine Anwesenheit ein bisschen Aufmerksamkeit, aber er ignorierte sie, als er Jane, die sich im Gehen das Haar zu einem Pferdeschwanz hochband, zu ihrem Trainingsbereich begleitete.

"Kann ich dir irgendwie helfen?", erkundigte er sich, während er die offensichtlich für den menschlichen Gebrauch gedachten Geräte begutachtete. Andere Teams trainierten bereits zusammen, die Frage war nur, ob sie bereit war, ihn so offen in ihre Vorbereitungen mit einzubeziehen. Am letzten Nachmittag hatte ihre Zusammenarbeit auf einer ähnlich spielerischen Ebene ziemlich gut geklappt. Aber wenn sie das nicht wollte, wäre es ok, dann würde er eben mit den anderen anwesenden Vampiren sprechen und die für seine Art ausgelegten Vorrichtungen benutzen, die ihn sehr interessierten.

Doch Jane deutete auf einen speziellen Parcours für gemischtrassige Teams, der über die ganze Länge des Trainingsplatzes führte. Dieser beinhaltete zwei Laufstrecken, mit unterschiedlichen, teilweise plötzlich auftauchenden Hindernissen. Der Clue dabei war allerdings, dass gewisse Barrieren nur mit der Hilfe des Partners überwunden werden konnten. Dazu musste der eine zum Beispiel einen Schalter betätigen, der an einem Seilende in einer unglaublichen Höhe befand oder sich hinter einer Mauer versteckte. Wenn man wollte, konnte man die Zeit stoppen, wobei die Zeit erst angehalten wurde, wenn beide Personen das Ziel erreicht hatten.

"Lust, das auszuprobieren?", wollte die Brünette wissen.

Wie man schon bei ihrem Besuch im Freizeitpark gemerkt hatte, war so etwas genau sein Ding, sodass Aiden selbstverständlich zustimmte. Die beiden begaben sich an den Startpunkt, wo sie etwas warten mussten, bis zwei andere Teams fertig wurden, dann kam bereits der Startschuss für sie.

Der Anfang von Aidens Strecke führte unter einem Stacheldraht durch, bevor er auf einer scheinbar leeren Fläche landete. Erst, nachdem er sich kurz umgeblickt hatte, sah er über sich ein frei hängendes Seil, das etwa drei Meter über ihm baumelte. Er duckte sich leicht, bekam das Ende zu fassen und hangelte sich empor, bis er an einen Kopf gelangte. Dieser setzte eine Mauer auf Janes Bahn in Bewegung, die deren Weg blockiert hatte. Er wartete, bis sie das Hindernis überwunden hatte, dann schaukelte er ein wenig an dem Seil hin und her, bis er über ihrer Bahn war, und ließ sich auf die wieder ansteigende Mauer fallen.

Nach dieser etwas angeberischen Stunt-Einlage folgte er Jane, die inzwischen einen kleinen Vorsprung hatte. Er grinste entschuldigend, als sie ungeduldig zu ihm zurück blickte, weil sie bereits ein Hindernis für ihn beseitigt hatte, aber nicht weiter kam, bis er dieses passiert hatte. Na gut, dann eben keine Spielchen.

Der nächste Teil der Übung war für Aiden schon deutlich unangenehmer, da die Übungsgeräte scheinbar zumindest zum Teil mit Silber ausgekleidet waren. Es war nicht so, dass er richtige Schmerzen hatte, mehr wie ein latenter Kopfschmerz, der ihn ablenkte, als er in einer komplizierten Vorrichtung fünf Meter über dem Boden eine fünfzehn Meter lange Strecke zurücklegte. Dabei musste er zusätzlich Jane für eine gewisse Zeit an genau der richtigen Stelle halten, damit sich der Rest des Weges öffnete. Jedenfalls war Aiden froh, als er dieses Gerät hinter sich lassen und silber-frei weiter machen konnte.

Da er den Rest des Parcours ein wenig ernster nahm, meisterten sie auch diesen ziemlich gut. Trotzdem grinste er breit, als sie am Endpunkt angelangt waren und er sogar ein bisschen außer Atem geraten war. "Das macht Spaß", zeigte er dann doch wieder seine fehlende Seriosität, den Blick zurück auf den Hindernislauf gerichtet, als würde er ihn gleich nochmal durchgehen wollen.

Etwas atemlos wandte sich Jane an ihren ständigen Begleiter, wobei sie schmunzelte und sich die Haare hinters Ohr strich. "Die ändern den Parcours einmal die Woche. Genügend Spaß wäre von daher also vorhanden", erklärte sie ihm, ehe sie ein wenig zur Seite ging, da gleich hinter ihnen ein weiteres Team folgte und sie nicht im Weg stehen wollte. Während sie das folgende Paar beobachtete, die das ganze natürlich routinierter angingen als Jane und Aiden, schnappte die junge Frau sich eine Flasche Wasser und trank einen großen Schluck davon.

Während sie dem anderen Team zusahen, fragte Aiden, ob es so einen Kurs für Solo-Jäger gab, wie dieser aufgebaut war, ob die Schwierigkeit schwankte und dergleichen mehr. Man merkte ihm deutlich an, dass er sich in diesem Bereich des Zirkels wohl fühlte, was in den anderen Gegenden, die er bisher gesehen hatte, nicht der Fall gewesen war. Sowohl im Rüsthaus als auch im Hauptquartier und sogar in der Einkaufsmeile hatte er sich sehr dicht bei seiner Begleitung gehalten, aber hier streunte er ein wenig herum, um sich alles anzusehen.

Dabei wurde er von zwei Vampiren abgefangen, die ihn neugierig befragten, wie zur Hölle er es geschafft hätte, Jane dazu zu bringen, mehr als das Nötigste mit ihm zu reden.

„Das frage ich mich ehrlichgesagt auch“, gestand er schmunzelnd, und die beiden lachten.

„Sie sind natürlich alle störrisch und glauben, sie hätten die Weisheit mit dem Löffel gefressen“, seufzte der brünette, weibliche Vampir. „Aber was man so hört, soll dieses Exemplar besonders halsstarrig sein. Aram wollte sie mal irgendwas administratorisches fragen, und sie muss sich einfach umgedreht haben und gegangen sein, ohne zu antworten, nur, weil er ein Vampir ist.“

„Unhöfliche Kinder. Man fragt sich wirklich, wieso Eldric sich so etwas bieten lässt“, stimmte ihr schwarzhaariger, männlicher Artgenosse zu.

In Gedanken bei seinem Gespräch mit dem Zirkeloberhaupt, beobachtete Aiden seine Partnerin, die gerade Bankdrücken machte. Die beiden hatten Recht, mit dem, was sie über Jane sagten, doch zudem war sie zielstrebig, selbstsicher, (meistens) intelligent, unabhängig, mutig und aufopfernd. Sie wusste, was sie wollte, und wie sie es bekommen konnte. Dass sie dabei anderen auf den Schlips treten konnte, war ihr eben egal. Natürlich konnte sie ein unglaublich verwöhntes Gör sein, doch das war wohl ihrer Jugend geschuldet. Insgesamt war Jane, zumindest in Aidens Augen, eine durchweg faszinierende Frau.

Als die anderen Vampire ihn fragend ansahen, zuckte er nur lächelnd die Schultern, meinte: „Ich kann nicht für Eldric sprechen“, und wechselte das Thema. Als würde er über sein 'Frauchen' lästern, pf...

Dieses gesellte sich wenig später wieder zu ihm, deutete auf eine abgeschlossene Anlage und verlangte: „Lass uns das machen.“

Ein kurzer Blick zeigte dem breit grinsenden Aiden, dass es sich um eine Paintball-Arena handelte. Das wurde ja immer besser! Er verabschiedete sich von seinen Gesprächspartnern, um mit der Jägerin zu dem gesonderten Bereich zu gehen, vor welchem sie Helme und Schutzbrillen bekamen. Um sich nicht die Kleidung zu ruinieren, nahm er die Schutzausrüstung, die ihm gegeben wurde, dann ließ er sich kurz die Funktion der Spielzeugwaffe erklären und schon fand er sich zusammen mit seiner Partnerin und vier anderen Teams auf dem Platz wieder.

Auf der Anlage roch es betäubend nach dem Schweinefett, mit dem die Farbpatronen gefüllt waren. Aiden rümpfte die Nase, als er sich hinter eines der Hindernisse duckte und darauf wartete, dass es losging. Er fragte sich flüchtig, ob der Gestank beabsichtigt so stark war, um es Vampiren schwerer zu machen, ihre Gegner zu wittern, dann ertönte das laute Signal und er lauschte auf Geräusche, die andere Teilnehmer machten. Er nahm eine winzige Bewegung wahr und duckte sich in die andere Richtung weg. Vorsichtig blickte er um seinen Heuhaufen und erspähte die Kante eines Helmes. Ohne wirklich mit einem Treffer zu rechnen legte er an, zielte bedächtig und feuerte. Wie erwartet traf er nicht, aber immerhin brachte er so das Spiel ein wenig in Fahrt.

Die Helmkante verschwand wieder, dafür huschte ein anderer Spieler schattenhaft über das Gelände. Aiden folgte ihm mit den Augen, blieb aber, wo er war, da er durch das Sichtfeld des Helms hätte laufen müssen. Stattdessen suchte er nach einer geeigneteren Stelle, um die Lage zu überblicken, und wich auf dem Weg dorthin mit einer Rolle seitwärts ein paar Geschossen aus. Seinem Grinsen nach zu schließen hätte man meinen können, das hier wäre ein lustiges Brettspiel, aber als er einem Gegner von hinten ins Kreuz schoss, revidierte das dieses Bild irgendwie. Er sah aus dem Augenwinkel, wie Jane einen Gegner erledigte, konnte sie aber selbst nicht treffen, ohne sich anderen Spielern zu offenbaren, also blieb er lieber erstmal in Deckung und wartete auf einen besseren Moment.

Ganz in der Nähe spielte sich ein Schusswechsel ab, der Aiden tiefer in den Schutz seines Plastikquaders zurückweichen ließ. Fasziniert sah er zu, wie bunte Farbpatronen umherflogen, zu schnell für Menschenaugen, doch für ihn geraden noch zu sehen. Kurz darauf entfernte sich eine enttäuschte Jägerin vom Spielfeld. Er sah der Frau einen Moment zu lange nach und hätte das fast damit bezahlt, selbst erwischt zu werden. Gerade noch konnte er sich hinter ein zylinderförmiges Kunststoffhindernis retten, das er austestend ein wenig anhob. Es war zwar schwer, ließ sich aber bewegen.

Mal wieder zögerte er kurz, aber es hatte ja niemand gesagt, dass man das Spielfeld nicht mit einbeziehen durfte. Also fing er an, den Zylinder vorwärts zu rollen, erst langsam, dann schneller, je mehr Fahrt er aufgenommen hatte. Dabei klatschten einige Geschosse gegen das Hindernis, konnten ihr Ziel logischerweise aber nicht erreichen. Aiden sprang hinter dem Zylinder weg und ließ sich auf einen Heuballen krachen, hinter dem ein sichtlich erboster weiblicher Vampir hervor sprang, den er bei der Gelegenheit gleich mal abfeuerte. Der Heuballen war nur noch ein Häufchen Stroh, was hoffentlich keinen Ärger geben würde.

Seine Schuldgefühle hielten sich aber in Grenzen und flauten völlig ab, als kurz darauf das letzte Mitglied eines anderen Teams das Spielfeld verlassen musste, nachdem Jane ihn getroffen hatte.

Jetzt waren sie also alleine.

Ein Grinsen schlich sich auf seine Züge, das nicht mit dem sonstigen, warmen Lächeln zu tun hatte, dass er Jane gegenüber anschlug. Das Spiel und wer am Ende gewann war ihm völlig egal, aber er liebte die Herausforderung. Und Jane war tatsächlich eine Herausforderung, wenn sie richtig bewaffnet war.

"Du kannst noch aufgeben, weißt du", schlug er ihr über das Spielfeld hinweg laut vor, wofür gleich mal ein Schuss in seine Richtung abgegeben wurde. Das hieß wohl nein.

"Dass ich nicht lache! Du weißt ganz genau, dass du keine Chance gegen mich hast, wenn es darum geht, mit Waffen zu kämpfen!", rief sie ihm laut entgegen, scheinbar nicht beeindruckt davon, dass er hier ohne weiteres die Einrichtung demolierte.

Den Rücken an die Holzwand gepresst, schlich er sich zum Rand des Versteckes und witterte, was jedoch wegen des Fettes schwer war. Sie würden wohl oder übel aus ihrer jeweiligen Deckung kommen müssen, sonst saßen sie hier noch den ganzen Tag. Um wenigstens eine bessere Position zu haben, hechtete er von der Wand weg zu den Resten des Heuballens und dem Zylinder. Mit den Augen suchte er die Umgebung ab und da, endlich, nahm er ihren Geruch ganz schwach wahr. Ohne nochmal nachzudenken, feuerte er einfach drauf los und nach kurzem Zögern erwiderte Jane die Salve aus ihrem Versteck.

Es war unmöglich, zu sagen, wer wen zuerst getroffen hatte. Als ihre Projektile leer waren, waren sie beide völlig eingesaut mit bunten Farbkleksen und zumindest Aiden strahlte übers ganze Gesicht. Sie verließen die Anlage wieder und gaben die dreckige Schutzkleidung ab.

"Hier können wir echt öfter herkommen", sagte er begeistert, bevor sie ein paar Strategien durchgingen, die beim Kampf hätten nützlich sein können, immerhin war das gerade nicht nur ein Spiel, sondern Training gewesen – obwohl es Aiden dafür vermutlich ein bisschen zu viel Spaß gemacht hatte.

Sie diskutierten noch, als über das Feld hinweg jemand: „Jane!“, rief. Es war eine Jägerin, etwas jünger als Jane – Aiden schätzte sie auf 18 oder 19 – mit kurzen, roten Haaren voller Gel, die auf das Team zulief und ihre Kollegin begrüßte, bevor sie dem Vampir eher knapp zunickte. „Hast du gerade Zeit? Ich hätte etwas, über das ich unter vier Augen mit dir sprechen müsste.“

Die Brünette zögerte kurz, ehe sie nickte. An Aiden gewandt sagte sie: „Tob dich ruhig weiter aus“, dann folgte sie der Jüngeren ein gutes Stück über die offene Trainingsanlage.

Er schmunzelte, als Jane ihn ´entließ`, folgte aber ihrem Vorschlag und sah sich auf eigene Faust noch ein wenig um. Er unterhielt sich mit ein paar Leuten, blieb dann aber stehen, um einen Übungskampf zwischen zwei Vampiren zu beobachten, der einen großen Teil des Trainingsplatzes beanspruchte. Man sah den Kontrahenten an, dass sie wussten, was sie taten und höchst konzentriert vorgingen.

Zusammen mit einem kleinen Publikumskreis sah Aiden zu, wie die Kontrahenten sich durch die Gegen warfen, als wögen sie nichts, und wieder aufsprangen, als wäre es eine kleine Ungeschicklichkeit, zehn Meter ungebremst über den Boden zu schlittern. Das war etwas, das er mit seiner Partnerin nicht machen könnte, und er brannte darauf, sich einen Artgenossen zu suchen und sich mit ihm oder ihr zu messen.

Dazu kam es allerdings nicht, denn der Kampf der beiden Vampire wurde beendet, indem einer von ihnen den anderen am Bein packte, sich ein paar Mal um sich selbst drehte und ihn wie einen Diskus quer über den Platz schleuderte. Dabei prallte das ´Wurfgeschoss` mit voller Wucht gegen eine Säule, welche ein ungesundes Knacken vernehmen ließ. Der geschleuderte Vampir sah etwas verwirrt aus der Wäsche und wurde von ein paar Kollegen aus dem Weg gezogen, als die Säule sich bedrohlich in seine Richtung neigte.

Aiden, der das ganze eher interessiert als besorgt verfolgt hatte, ließ den Blick etwas schweifen - Und erstarrte, als er sah, wer genau in Fallrichtung der Säule stand. Jane. Noch bevor sich irgendein Gedanke geformt hatte, rannte er bereits los, ohne zu wissen, was er tun wollte, nur sicher, dass er etwas tun musste, um Jane zu beschützen. Genauso gedankenlos löste sich der Schrei aus seiner Kehle.

"Mylady!", rief er, als die Säule mit einem dumpfen Dröhnen auf dem Boden aufschlug. Ohne anzuhalten lief er durch den aufgewirbelten Staub und sah, Gott sei Dank, Jane unversehrt auf sich zu stapfen. Es war ihr dank ihres hervorragenden Trainings wohl gelungen, noch rechtzeitig zur Seite zu springen. Das Ganze war jedoch so knapp gewesen, dass sich sämtliche Anwesenden in der Sporthalle nach ihnen umsahen und nach und nach mit bleichen Gesichtern auf den Ort des Geschehens zuströmten. Stimmen riefen nach einem Arzt, doch Aiden sah, dass die Jägerin unversehrt war.

"Bist du in…?", fing er trotzdem an, als sie vor ihm stand, wurde jedoch von ihrer scharfen Frage plötzlich unterbrochen.

Der Aufruhr um sie herum ignorierend zischte die Vampirjägerin wütend: "Was hast du gesagt?"

"In Ordnung?", fuhr der Vampir sichtlich verwirrt fort, da er gar nicht gemerkt hatte, was er da in seinem Schreck gerufen hatte. Erst, als er darüber nachdachte, zuckte er schuldbewusst zusammen und sah zur Seite. Unbehaglich verschränkte er die Arme vor der Brust, der ganze Körper war angespannt, eine reine Abwehrhaltung. "Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht", erwiderte er ausweichend. Er wollte nicht darüber reden, dieses Thema war gerade in Bezug auf Jane so sensibel und er vertraute sich selbst nicht, nicht schon wieder wütend zu werden. Sie war offensichtlich bereits geladen, und er wusste ja, dass sie es drauf hatte, bei ihm gewisse Hebel umzulegen. "Das ist auch nicht wichtig. Geht es dir gut?", beharrte er auf seiner Frage.

"Nenn mich nie wieder so. Ich bin nicht sie", ignorierte die Vampirjägerin mit schneidendem, eisigem Unterton in ihrer Stimme Aidens Versuche, das Thema zu wechseln.

Er kam nicht mehr dazu, noch etwas zu sagen, bevor andere Zirkelmitglieder sich um sie versammelten und ihre Anteilnahme beziehungsweise Neugierde bekundeten. Es war sogar ein Sanitäter geholt worden, der Jane gegen ihren Willen zwang, sich zu setzen, um sie zu untersuchen. In dem Aufruhr wurde Aiden immer weiter abgedrängt, bis er schließlich am Rande einer aufgeregten Gruppe stand, die sich um seine Partnerin scharte. Stimmen wirbelten durcheinander, die beiden Vampire entschuldigten sich mehrmals, man beklagte die schlechte der Bauart der Säule und die Unvorsichtigkeit der jungen Jägerin, doch das alles brandete über einen teilnahmslosen Aiden hinweg. Aus dem Kontext erschloss er zwar, dass seine Partnerin in Ordnung war, aber diese Erkenntnis beruhigte ihn im Moment wenig.

Schweigend wartete er ab, während ihre Kollegen sich um die junge Frau scharten, die den Unfall als Lappalie abtat, was er selbstverständlich nicht gewesen war. Sie hätte sterben können, Herrgott nochmal... Aiden selbst blieb, entgegen seines immensen Drangs, einfach abzuhauen. Er wollte sie nicht sehen und daran erinnert werden, dass sie eben nicht Jane Grey war, dass sie eben nicht zu ihm gehörte und das nie tun würde.

Aber er wollte eben auch sicher gehen, dass sie nach dem Zwischenfall sicher nach Hause kam und sich kein verspäteter Schock einstellte. Wortlos schüttelte Aiden den Kopf, als Jane fragte, ob er noch bleiben wollte, also verließen sie den Zirkel und fuhren nach Hause. Dort angekommen sprach er nicht, wie es sonst seine Art gewesen wäre, das Problem offen an, sondern zog sich auf sein Zimmer zurück, sobald es die Höflichkeit zuließ. Er hielt es einfach nicht mehr in Janes Nähe aus, aber die Einsamkeit machte es nicht besser.

Auf seinem Bett sitzend presste er die Handflächen gegen seine Schläfen und wippte vor und zurück, alles nur, um die Gedanken loszuwerden, die sich mit aller Macht in sein Bewusstsein drängten, Gedanken, mit denen er sich auseinanderzusetzen jetzt schon seit Monaten vermied. Wie erwartet hatte schon das Anschneiden dieses sensiblen Themas Aiden unruhig gemacht, wenn nicht sogar wütend. ´Mylady`… Wie hatte er so dumm sein können, sie mit dieser altertümlichen Anrede anzusprechen? Aber es war ja nicht so, als hätte er Jane im normalen Gesprächsverlauf so genannt oder würde es ständig tun. Er hatte es einfach nicht kontrollieren können in seiner Angst um sie... Vielleicht machte es das umso schlimmer, offenbarte dieses Verhalten doch, dass er sie unterbewusst immer noch mit seiner Geliebten in Verbindung brachte, während er ihr oberflächlich etwas anderes vorgespielt hatte.

Diese Kritik an sich selbst wollte er aber im Moment nicht zulassen, weil es viel einfacher war, wütend auf Janes Selbstgerechtigkeit zu sein, als sich für etwas zu entschuldigen, das er seiner Meinung nach sowieso nicht ändern konnte.

´Ich bin nicht sie.`

Das wusste er. Er wusste es, und doch war er aus schlechtem Gewissen gegenüber Lady Jane noch hier. Er benutzte Jane McCollins, um sein eigenes Versagen zu kompensieren. Wie sonst hätte er erklären können, dass er sich zwischen sie und jeden tödlichen Feind warf, ohne darüber nachzudenken, wie das für ihn selbst ausgehen könnte? Das war bei dem jungen Vampir in der Disco so gewesen, bei Richard, bei der Vampir-Mutter und zuletzt an Halloween. Er hätte sterben können, jedes einzelne Mal, und er hatte nicht eine Sekunde gezögert, sich für Jane zu opfern.

Aber sie war nicht seine Geliebte. Sie war so halsstarrig, stolz und verschlossen, dass er sie manchmal am liebsten geschüttelt hätte, und das, wo es ihm hätte egal sein können, so lange sie ihn bleiben ließ. Aiden Schultern sackten ein wenig in sich zusammen, als er sich den Zusammenhang dieser kleinen Tatsache, dieses ´Sie, in all ihren Unterschieden zu meiner Jane, ist mir nicht egal`, vor Augen führte. Bisher hatte er nicht darüber nachgedacht, weil er die beiden Frauen gedanklich so sehr vermischt hatte, aber als er jetzt bewusst auf eine Differenzierung achtete, wurde ihm klar, dass er sie als eigenständige Person schätzte.

Er mochte ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstständigkeit, ihm gefiel ihre Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit und er fand ihre Fähigkeit, sich selbst über ihre eigenen Gefühle zu täuschen, eher niedlich als frustrierend. Und dann waren da noch die kleinen Dinge, wie sie sich durchs Haar fuhr, wenn sie gestresst war, wie sie grinste, wenn etwas nach ihrer Nase lief, aber vor allem ihr Lächeln. Viel zu genau sah er ihr erstes, ehrlich gemeintes Lächeln vor sich, noch vor ihrer ersten gemeinsamen Jagd, als er ihr erzählt hatte, dass er für sie aufgehört hatte zu Töten. Und seither hatte alleine der Gedanke, sie zufrieden zu stellen, sie stolz zu machen, ihn bei der Jagd auf Kurs gehalten, sogar, als nicht sicher war, ob sie jemals wieder miteinander sprechen würden. Er hatte wirklich keinen Menschen mehr getötet, für sie.

Der Druck von Aidens Handballen an seinen Schläfen wurde stärker, aber er konnte diese Erkenntnis nicht unterdrücken.

Er mochte Jane McCollins.

Mit einem tiefen Atemzug versuchte er, diese Tatsache nüchtern zu betrachten. Das war nicht schlimm. Im Gegenteil, eigentlich war es sogar natürlich, dass er Sympathien für jemanden entwickelte, der aussah wie die Liebe seines Lebens. Wenn er es schaffte, es bei freundschaftlicher Zuneigung zu belassen, wäre doch wohl alles in Ordnung.

Und was, wenn er das nicht konnte? So sehr er dagegen ankämpfte, er musste immer weiter darüber nachdenken, und er kam zu dem Schluss, dass sich absolut nichts ändern würde. Sie hatte selbst gesagt, dass sie sich im besten Fall an ihn ´gewöhnen` könnte, und diesen Zustand hatten sie, wenn auch nur unterbewusst, bereits erreicht. Und selbst wenn er gar nicht mehr wünschen wollte, so stellte sich ihm unweigerlich die Frage, ob dieser Zustand ihm auf Dauer genügen würde. Er konnte ja jetzt schon kaum aufhören, daran zu denken, wie ihre Lippen auf seinen geschmeckt hatten, wie ihr Körper sich an seinem angefühlt hatte...

Und dann waren da immer noch die Tatsachen, dass er sowohl ihren Vater getötet hatte, als auch potentiell gefährlich für sie war. Ihr Blut hatte er, wenn auch nicht aus freiem Willen, ein Mal gekostet - Wer sagte, dass es nicht wieder passieren würde? In einem Moment der Schwäche könnte er das Kostbarste zerstören, das er im Moment besaß - Wobei er damit nicht sie als Person meinte, sondern ihre bloße Gegenwart. Das zu Hause, das sie ihm gegeben hatte, die Freundschaft und das geregelte Leben.

Aber früher oder später würde sie Logan erhören. In letzter Zeit waren die beiden Studenten sich nähergekommen, und Aiden hielt es nur noch für eine Frage der Zeit, bis der junge Mann den Mut aufbringen würde, Jane seine Gefühle zu gestehen. Fraglich war, ob sie dasselbe empfand. Wobei der Vampir glaubte, dass sie ihren Kommilitonen mochte, es sich bisher nur nicht eingestanden hatte. Immerhin hatte sie unter Einfluss des Vampirgiftes von ihm phantasiert. Aber selbst wenn es nicht Logan wäre, würde irgendwann ein anderer kommen. Irgendein Mensch würde schon gut genug für sie sein, denn der wäre frei von dem Makel, den Aiden sich für eine andere Frau selbst aufgebürdet hatte.

Sein eigener Tod und der Tod ihres Vaters. Die beiden Makel an sich selbst, die er nicht mal für Jane beseitigen könnte.

Und dann war da noch, dass er sie gar nicht wollen durfte, wie er mit schneidend schlechtem Gewissen feststellte. Er schämte sich wahnsinnig, erst jetzt darauf zu kommen, aber wie kam er überhaupt auf die anmaßende Idee, ein Mädchen zu wollen, das seiner richtigen Frau das Gesicht ´gestohlen` hatte? Es war, als hätte er sich in ihre Schwester verl...

Aiden verbat sich selbst, dieses Wort auch nur zu denken. Er mochte Jane, das war alles. Punkt.

Und er brachte sie damit in Gefahr. Je länger er hier blieb, desto größer war nicht nur die Gefahr, dass er die Kontrolle über sich selbst verlor, sondern auch die, dass andere Vampire auf seine Verbindung zu ihr aufmerksam wurden. Sie lebte sowieso schon gefährlich genug, aber jetzt, wo sich langsam herum sprach, dass sie enger miteinander zu tun hatten - Denn die Gerüchte stoppten sicher nicht an dieser Aufzugtür zum Zirkel - Stieg von Minute zu Minute die Gefahr, dass jemand es speziell wegen ihm auf sie absehen könnte. Er war keine feste Größe in London, hatte kein Revier, weil er nicht dauerhaft hier lebte, und so gesehen war er für die ansässigen Vampire natürlich eine Bedrohung. Immerhin hätte er auf die Idee kommen können, jemandem sein Jagdgebiet abspenstig zu machen. Da er an nichts hing, außer an diesem Menschenmädchen und vielleicht noch an ihrer Mutter, wären sie das einzige Druckmittel gegen ihn.

Er sollte sowieso nicht mehr hier sein, dachte Aiden, zuerst nur resigniert wie schon die letzten Monate über immer Mal wieder, doch dann, angestachelt von seinem sowieso schon nervösen Gemüt, mit wachsender Panik. Inzwischen hielt er sich bereits fast neun Monate in London auf. Ein dreiviertel Jahr, und alleine in den letzten drei Monaten hatte er sich auffällig verhalten wie ein bunter Hund. Wie er schon festgestellt hatte; die Gerüchte würden nicht im Zirkel aufhören, und niemand könnte sagen, wer letztendlich von seinem Aufenthalt in der Hauptstadt erfuhr.

Schon seit einer Weile war er unruhig durch das Zimmer gestromert, doch bei diesem Gedanken beschleunigten Aidens Schritte sich nochmal. Hatte er wirklich über vier Jahrhunderte lang auf der Flucht gelebt, um sich jetzt wegen einer lächerlichen, winzigen, unerhörten Schwärmerei festnageln zu lassen? Er konnte nicht zulassen, dass er sich fast ein halbes Jahrtausend an sein Leben geklammert hatte und es jetzt verlor wegen irgendeines Mädchens. Nein. Egal, was er für Jane empfand oder sich einbildete, für sie zu empfinden. Denn es konnte gar nichts sein, er gehörte einer anderen, so lange er lebte. Das ´für immer`, das er Jane Grey geschworen hatte, hatte er genau so gemeint gewesen.

Viel zu lange schon hatte er sich von dem Schein der Wiedergeburt seiner Geliebten dazu verleiten lassen, in der Stadt zu verweilen. Und das, wo es so einfach war. Er musste gehen. Das war sein Schicksal in dieser Existenz - Denn, da hatte Jane schon Recht gehabt, auch wenn er es vor ein paar Wochen nicht hatte hören wollen; konnte man es wirklich ´Leben` nennen, wenn man weder ein zu Hause hatte, noch Personen, die einem etwas bedeuteten?

In diesem Moment der Melancholie vergaß Aiden völlig, dass er inzwischen ja zumindest zwei Menschen hatte, die ihm wichtig waren. Vielleicht verdrängte er es, weil er nicht das Gefühl hatte, es wert zu sein, ein Teil des Lebens dieser beiden Frauen zu sein. Trotz allem, was er ihnen angetan hatte, hatten sie sich ein glückliches Leben aufgebaut. Woher nahm er das Recht, sich in dieses zu schleichen wie ein Parasit?

Seine vorige Aufregung war wie weggespült von der plötzlichen Leere, die er empfand, als er seine Wanderung durch das Zimmer beendete und träge den Koffer unter dem Bett hervorzog, den er vor einigen Wochen leer hierher gebracht hatte. Quälend langsam legte er alles, was er mit Jane gekauft hatte und was sich sonst so angesammelt hatte in das Behältnis. Als er fertig war, starrte er entsetzt auf den winzigen Inhalt seines ganzen Lebens. Seine ganze Persönlichkeit passte in einen mittelgroßen Reisekoffer...

An der Tür hielt er kurz inne, aber es war so spät, dass die Hausbewohnerinnen schon zu Bett gegangen waren. Lautlos, so, wie er hier aufgetaucht war, schlich er sich aus dem leeren Zimmer. Er wagte nicht mal einen letzten Blick auf Janes Zimmertür, war sie es doch gewesen, die ihn bei seinem letzten Beinahe-Aufbruch durch ihre bloße Anwesenheit aufgehalten hatte. Hätte er es doch schon damals über sich gebracht, sie endlich in Ruhe zu lassen. Sie wäre froh, ihn los zu sein, das hatte sie letztens erst wieder gesagt.

Im Erdgeschoss überlegte er kurz, Jane und Elizabeth einen Brief dazulassen, aber ihm fielen keine Worte ein, die seinen Dank gebührend ausdrücken oder seinen langen Aufenthalt in ihrem Haus entschuldigen könnten. Also legte er einfach den Schlüssel, den sie ihm geliehen hatten, auf den verwaisten Küchentisch, bevor er mit seinem Koffer in die Nacht verschwand, nicht sicher, wo er überhaupt hin wollte, nur mit der Gewissheit, dass er hier nicht bleiben konnte.

Aiden war sich noch immer nicht sicher, wo er hin sollte, als er in der Underground Richtung Flughafen saß. Seine Gedanken kreisten wirr in alle Richtungen, die er sich in den letzten Stunden zusammengereimt hatte, so lange, bis keine davon mehr Sinn machte, aber das änderte nichts an dem übermächtigen Verlangen, einfach weg zu kommen.

Vor Erschöpfung war er auf dem Sitz der U-Bahn eingeschlafen und erwachte erst kurz vor der Endstation aus seinen wirren Träumen. Ziemlich benebelt wankte er durch das verhältnismäßig leere Terminal zum Schalter, wo eine schlecht gelaunte weil übernächtigte Angestellte ihn mürrisch fragte, wo er denn hin wolle.

Wenn er das mal gewusst hätte...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben, und willkommen zum letzten Kapitel - des ersten Teils!

Ich kann nicht glauben, dass wir an diesem Punkt sind, aber es hat unglaublich Spaß gemacht - auch dank eurer Lieben Kommentare. Ich hoffe, ihr hattet so viel Spaß wie ich, und seid beim Epilog auch noch dabei.
Zeitgleich mit dem Epilog werde ich das erste Kapitel des zweiten Teils hochladen und für euch verlinken. Wenn ihr also Lust habt, Aidens uns Janes Geschichte weiter zu verfolgen, würde ich mich sehr über eure Favs freuen. :3

lG Und bis zum nächsten mal,
yM Komplett anzeigen

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