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Ich lasse dich darum flehen!

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Butterfly!

Alles, alles Gute zu deinem Geburtstag!!!

Viel Spaß beim Lesen!

Liebe Grüße
Deine Traumfänger Komplett anzeigen

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Lass dich retten!

18. Kapitel

Lass dich retten!
 

Die Wölfin Noir hob den Kopf, sie hatte ruhig auf ihrem Platz gelegen, doch nun spürte sie die Anspannung in ihrem Freund. „Wie darf ich das verstehen?“ Fragte er unwissend und bemerkte noch immer nicht die Spannung, die in dem nun halb russischen Magier herrschte. „Heiler werden in Hospizen ausgebildet und unterliegen einer strickten Lehre. Ihr Wissen entspricht der magischen Heilung von Wunden, sie müssen sich aber auch mit magischen Unfällen, Zaubertränken, Kräutern und dunkler Magie auskennen.“ Begann er und gewann seine Fassade wieder. Langsam drehte er sich um, sah in das offene Gesicht des sonnengebräunten Aurors. „Ein Heiler ist ein „guter Mensch“, der gewissen Gesetzen unterliegt. Ein Kräuterkundiger ist frei darin sein Wissen zu nutzen und zu helfen. Wenn er will, kann er es auch lassen. Madam Pomfrey ist eine Heilerin.“ Er schwieg kurz und versuchte ein Beispiel zu finden. „Wenn du es am gröbsten Beschreiben wolltest, Madam Pomfrey würde ihre Fähigkeiten niemals freiwillig einsetzen um einem Menschen Schmerzen zuzufügen, auch wenn es notwendig wäre um zum Beispiel an Informationen zu kommen.“

Nun wirkte der Schwarzhaarige angespannter, er ließ den letzten Teller sinken, den er gerade abtrocknete. „Und du würdest es tun?“ Wieder flackerte die Unsicherheit in den grauen Augen auf und kurz leckte sich Draco über die schmalen Lippen. „Wenn es sein müsste.“ Begann er und setzet dann ein perfektes, unschuldiges Lächeln auf. „Keine Sorge, ich habe bisher eher geholfen, als geschadet. Diese Welt hat schon genug Leid, es muss nicht noch verschlimmert werden.“ Kurz schmunzelte Harry und nickte. Er stellte den Teller auf die beiden anderen neben sich und griff nach dem Besteckt. Er lehnte leicht an der Spüle und fragte dann. „Wie kamst du dazu?“
 

Noir richtete aufmerksam die Ohren dem Gespräch zu und langsam wurde deutlich, dass sie unter der Schnauze und dem Bauch heller war. Ihre gelbbraunen Augen fixierten den ehemaligen Slytherin, der seine Maske nun perfektioniert hatte. „Ist das nicht offensichtlich? Bedank dich bei der alten Hexe hier. Sie fand mich damals und flickte mich wieder zusammen. Irgendwas musste ich ja machen und so habe ich von ihr gelernt, was ich lernen konnte. Irgendwann stieß ich im Wald auf einen kleinen Jungen, vielleicht 10 Jahre alt. Die Menschen, die in den angrenzenden Dörfern leben, wissen von ihr. Das hier ist das Ende der Welt, hier gibt es nichts und schon gar keine medizinische Versorgung. Wer wirklich Hilfe braucht, versucht sie zu finden. Die meisten sterben auf dem Weg dahin.“

Bei Harrys Entsetzen konnte er nur flüchtig schmunzeln, doch er ging nicht weiter darauf ein und führte seine Erzählungen weiter. Nun lehnte er am Tisch, verdeckte damit jedoch auch die Hexe, die sich als Baba Jaga bezeichnete. „Seine Schwester war schwanger und fieberte. Ich stellte mich ihm als Gregory vor und er fragte mich, ob ich den Wald kennen würde, ob ich ihn zu ihr bringen könnte.“ Kurz hielt der Blonde inne, hatte die Arme nun vor der Brust verschränkt und warf einen Blick über die Schulter. „Grins nicht so, du hättest sie sterben lassen. Beide! Den Jungen und seine Schwester, also, warum hätte ich ihn zu dir bringen sollen?“ Kurz hörte Harry ein kaltes Lachen und dann blickten ihn die grauen Augen wieder an.

„Sie hatte sich am Oberschenkel verletzt, ähnlich wie du, und die Infektion klang nicht ab, weil sie unter der Haut weiter wucherte. Sie war durch die Schwangerschaft zu geschwächt um sich gegen die Infektion zu wehren. Ich habe erst die Wunde versorgt, ihre Abwehrkräfte aufgebaut und dann sank auch das Fieber. Leider spricht sich so etwas herum, so war ich als der Kräuterkundige Gregory bekannt und ich darf helfen, wenn sie mit ihren eigenen Mitteln nicht weiter kommen.“ Aus dem ersten Entsetzen war ein ungläubiges Staunen geworden und dann schüttelte der Schwarzhaarige den Kopf. Er schien diese Geschichte kaum glauben zu können. „Ein Slytherin, ein Malfoy als Wohltäter und Helfer? Jetzt fehlt nur noch, dass du auch noch ihr Kind auf die Welt gebracht hast!“
 

Sein Lachen verklang, als Harry den ernsten Blick in den grauen Augen erkannte und das kühle Schmunzeln. „Es gibt Dinge, die sich nicht beeinflussen lassen. Ich kann mir ihrer ewigen Dankbarkeit sicher sein.“ Nun entglitten dem Auror wirklich die Gesichtszüge und er legte das Geschirrtuch zur Seite. „Du willst mir erzählen, dass du… dass du wirklich…“ Doch er konnte den Satz nicht zu Ende bringen.

Hinter der kalten Fassade aus Überheblichkeit brach die Unsicherheit mit einer Mischung aus Panik die innere Stärke in kleine Splitter auf. Weder im Blick noch in jeder Regung des ehemaligen Suchers konnte man diese Angst erkennen, doch sie brodelte wie Gift tief in seiner Seele. „Ja, ich erzähle dir wirklich, dass ich in den letzten drei Jahren fünf gesunde Kinder auf die Welt gebracht habe und das auch noch ausschließlich von Muggelfrauen!“ In seiner Stimme war die innere Zerrissenheit nicht zu hören und nun stand Harry der Mund offen. Er hob die rechte Hand, öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, schwieg dann aber wieder.

„Puh… ok… und ich dachte, es wird nicht schlimmer!“ Gab er zuerst von sich, fuhr dann mit beiden Händen durch seine schwarzen, wilden Haare. „Dafür musst du mir eine Weile geben. Ich meine, also… nicht dass… es ist nur so… irgendwie warte ich noch auf den Moment, an dem du mir erzählst, dass das ein ebenso dummer Scherz ist, wie mit dem Brief heute Morgen.“ Stammelte er verwirrt und stieß noch einmal die Luft aus, während er die Hände im Nacken verschränkte. „Das ist kein Scherz oder?“ Sah er noch einmal bedeutend zu dem Blonden.
 

„Nein, das ist keiner.“ Die Kälte konnte er immer schwerer nach außen hin verbergen, die sich als schützende Schicht aus Eis über seine Seele legte. Er selbst kam mit der Reaktion nicht zurecht, die ihm nun entgegen getragen wurde. Kurz leckte er sich über die Lippen, sein Kopf schien leer. „Wäre es dir lieber, wenn ich weniger Leben retten würde und sie eher umbringen?“ Fragte er nun provokant und die aufgewühlten Gefühle entzogen sich dem Ton. Selbst Harry bemerkte jedoch nun die verletzte Distanz in diesen Worten. „Nein, nein! Auf keinen Fall! Ich finde es gut! Ich meine, wenn es etwas ist, das dir Freude bereitet, dann ist das gut! Ich… ich kann es mir nur wirklich nicht vorstellen.“ Kurz holte der sonnengebräunte Auror Luft und fügte noch an. „Wir haben uns das letzte Mal zu Schulzeiten gesehen und da warst du der arrogante, reinblütige Mistkerl, der schon mit „Schlammblütern“ nicht zu Recht kam und jetzt rettest du das Leben von Muggeln! Das ist ein…“ Er holte Luft, gestikulierte mit den Händen, als könnte er mit den Fingern die richtigen Worte aus dem Raum fischen. „… es ist ein großer Unterschied und ich versuche schlicht zu begreifen, dass ich wirklich nichts über dich weiß.“

Sein Lächeln blieb ein kläglicher Versuch und verlegen rieb er sich mit der rechten über den Nacken. „Ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen, es ist nur…“ Er wich dem Blick des anderen aus, der so bohrend und kalt wirkte. „… gerade von dir hätte ich das nicht erwartet. Aber so, wie du gestern meinen Arm verbunden hast, sollte mich das gar nicht so überraschen.“ Ein sanfter Ausdruck trat plötzlich in sein Gesicht und dann fand er den Mut und sah wieder hinüber zu dem Mann, in den er sich trotz all der damaligen Bosheiten verliebt hatte.
 

Eine andere Stimme unterbrach ihn und Harry blinzelte verwirrt. „Nun ist aber gut. Lassen wir mal den ganzen Tratsch. Ich hatte nicht vor ewig zu bleiben und du hast da noch etwas von mir, Prinzesschen!“ Trotz ihrer Art hatte diese Stimme etwas Anziehendes und ohne es verhindern zu können trat der Schwarzhaarige näher an den Tisch, seitlich zu Draco. „Ich?“ Fragte er irritiert, an die weibliche Bezeichnung hatte er sich schon gewöhnt. Die graubraunen Augen funkelten und ihr altes, faltiges Gesicht verzog sich, dass die Vertiefungen im Kerzenlicht zu feinen, pechschwarze Schatten wurden. „Ja, du musst noch meine Kette haben, mein Armband.“

„Oh…“ Kam von ihm und mit dieser Erinnerung stießen die Worte Bellatrix wieder in ihm auf. Doch dieses Mal flüsterte sie ihm zu, wie er nur glauben könnte, dass sie noch irgendetwas gemeinsam hatten. Er war Auror, er war der Tod im Auftrag des Ministeriums, denn mehr war dieser Beruf in diesen Jahren nicht. Draco hingegen rettete Leben, tötete sie nicht, so wie er. Dummer Junge! Flüstere sie ihm zu und ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Dennoch entgegnete er selbstsicher. „Sie müsste noch oben im Zimmer liegen. Ich hatte sie ja verloren.“

Die Aufgabe folgte direkt und sie hob ihre mit Flecken übersäte Hand, die vielen Armbänder klirrten leise. „Na, dann auf, auf und hol sie mir!“ Die alten Augen funkelten und sie trugen eine seltsame Art Schalk in sich. „Ähm… ja, klar, kann ich machen.“ Gab er nur verwirrt und leicht überfordert von sich. Noch immer hatte ihn das Geständnis des anderen so aus der Bahn geworfen, dass er keinen Widerstand dagegen aufbaute.
 

Mit einem Nicken ging er zur Tür und als er sich noch einmal flüchtig umdrehte, fraß sich die Intuition wie ein lechzendes Feuer in die aufgewühlte Leere seiner Gefühle und brannte sich in seinen Verstand. Nachdenklich griff er nach der Klinke, warf noch einen Blick über seinen Mantel, der neben dem schwarzen Umhang hing. Dieser schien feucht und kurz fragte er sich, wann Draco draußen gewesen war. Anscheinend hatte er sich an diesem Morgen noch einmal auf den Weg gemacht, an einen Ort, der ebenso ein Geheimnis blieb, wie die vielen unbekannten Stücke seines Lebens.

Schweigend zog er die Tür hinter sich zu und wartete. Das war nicht fair. Er wollte das nicht. Aber eine seiner großen Gaben, seine größte Fähigkeit war immer seine Intuition gewesen. Sie machte ihn zu einem so guten Auror. Mit zitternder Hand griff er nach seinem Zauberstab und mit bebenden Lippen sprach er lautlos den Zauber. Er drehte sich nicht um, er konnte nicht. Die Tür hinter ihm war durch keine magischen Vorkehrungen geschützt und so legte sich der Lauschzauber auf das Holz.
 

„Ich frage jetzt nicht, wie es dir geht. Sag mir einfach, wie beschissen es ist.“ Es war die Alte, sie schien den Geräuschen nach aufzustehen. Das Schaben der Holzfüße über den Boden erklang. Einen Moment herrschte Schweigen, nur ihre schweren Schritte waren zu hören und dann sprang der Wolf auf. Er gab ein Winseln von sich und schien kurz darauf seinen Kopf an den Stoff von Dracos Kleidung zu schmiegen.

„Irgendwo zwischen „Bring mich auf der Stelle um“ und „Ich will schreiend davon rennen“!“ Antwortete der Blonde nun und das Zittern seiner Stimme war so deutlich. Angst klang in seinen Worten mit, Angst, die Harry nicht verstand. „Warum?“ Schwer sog Draco bei seiner eigenen Frage die Luft ein und dem schluchzenden Geräusch nach zu urteilen mussten ihm Tränen über die Wangen laufen. „Ich wollte nicht, dass er hier ist. Ich… ich weiß ja nicht einmal… ich meine… ich… ich habe keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll!“ Brachte er regelrecht gequält von sich und innerlich erschüttert presste Harry die Hand auf seinen Mund. Was bitte geschah da auf der anderen Seite der Tür?

„Ich bin so wütend, ich bin so unglaublich wütend! Ich will ihn verletzen, ich will ihn für all das bestrafen, was er getan hat! Ich will ihn dafür leiden sehen, dass er mich nie hat gehen lassen! Ich will ihn dafür leiden lassen, dass er einfach so hier aufgetaucht ist. Aber… er… ich… ich liebe diesen verfluchten Kerl noch immer!“
 

Jetzt war sich Harry sicher, dass der Blonde weinte und schwer schnappte dieser nach Luft. Er war aufgewühlt, völlig überfordert mit der Situation und in seiner Stimme klang all dieses mit. „Ich weiß, dass ich kein Recht dazu habe! Ich kann nicht eifersüchtig sein! Wie denn? Ich bin gegangen! Ich bin gegangen und habe gesagt, dass ich nie wieder komme! Ich hatte nicht einmal den Mut ihm offen meine Liebe zu gestehen! Und jetzt kann ich es auch nicht! Stattdessen werfe ich ihm Dinge vor, für die er nichts kann, versuche ihn von mir zu stoßen und belüge ihn.“ Bebend ließ Harry den Zauberstab sinken, drehte sich langsam zum Holz der Tür um. Das dämmrige Licht fiel aus einem Fenster über der Haustür in den Flur und aus dem angrenzenden Salon, welcher unverändert offen stand.

„Sch… das weiß ich doch alles. Atme tief durch, beruhige dich. Jetzt kannst du eh nichts mehr ändern. Er ist hier. Er weiß von dir.“ Sie sprach sanft und mit mütterlicher Stimme, als beruhigte sie einen kleinen Jungen. Wütend biss sich Harry auf die Unterlippe und legte seine linke Hand auf das Holz. Nie hatte er sich so weit von ihm entfernt gefühlt. Diese Grenze zwischen ihnen, dieses einfache Portal aus Brettern wirkte wie eine Dimension, wie eine gesamte Welt, die sich zwischen sie geschoben hatte.

„Ja, er ist hier und ich habe das Gefühl ihn jeden Augenblick mehr zu verlieren! Du hast gesehen, wie er reagiert hat und dabei weiß er nur das Gute über mich. An meinen Händen klebt mehr Blut, als ich jemals abwaschen kann. Ich bin kein guter Mensch! Ich…“ Doch ihre Stimme unterbrach ihn bestimmt. „Nein, du fängst nicht auf diese Weise damit an! Er ist Auror, glaubst du wirklich, dass er keine Leichen im Keller hat? Er ist mit für den Tod von Bellatrix verantwortlich!“
 

Immer weniger verstand der Schwarzhaarige und doch wünschte er sich nichts sehnlicher als das. Zitternd verstaute er seinen Zauberstab, lehnte sich mit der Stirn an das Holz und schloss die Augen. Warum war er so weit von ihm entfernt? Warum konnte er ihm nicht helfen? Warum konnte er ihn nicht beschützen? Warum war er in diesem Märchen nichts weiter als die dumme Prinzessin, der man offenbar nichts zutraute, der man nichts erzählte, die einfach nur gut aussehen durfte und dann abgeschoben wurde?

„Und was bin ich?“ Donnerte nun die völlig aufgewühlte Stimme auf der anderen Seite und die Wolfsdamme stieß ein bellendes Heulen aus. „Sag mir, was ich bin! Wenn du dir so sicher bist, dass ich im Unrecht bin, dann sag es mir! Dann sag mir, was ich bin!“ Verwirrt hob Harry den Kopf. Die Art, wie Draco diesen Satz wiederholte, schreckte etwas in ihm auf. Da war ein Unterton, eine Verzweiflung, die mehr zu sein schien. Gleichzeitig wurde ihm die Fragestellung bewusst, nicht „wer“ ich bin, sondern „was“ ich bin!

„Du bist kein schlechter Mensch! Du bist ein Kräuterkundiger, du bist Draco Malfoy!“ Entgegnete sie ihm mit fester Stimme und ließ sich nicht einschüchtern. „NEIN!“ Wut, Verzweiflung und eine Art der Abscheu klangen in diesem geschrienen Wort mit. Harry wich von der Tür zurück, sein Instinkt hatte ihn gewarnt ohne zu sehen, was dort geschah. Ein lautes Geräusch hatte selbst die Wölfin aufgeschreckt, als wäre der Tisch über den Boden geschlittert und Stühle umgefallen. „Das bin ich nicht! Das weißt du genau!“ Doch seine Gegenwehr wurde bedächtig geringer. Nun schien er seine Kraft in diesem Poltern erschöpft zu haben und doch war er immer noch aufgewühlt. „Du bist ein guter Mensch, Draco Malfoy! Das werde ich dir so lange sagen, bis du es mir glaubst. Du kennst mich, du weißt, was ich getan habe. Also, sag mir, kannst du es mit meinen Taten aufnehmen?“ Nun war es ein provokanter Zug, der in ihrer Stimme lag.
 

„Nein, мастер! Das kann ich nicht.“ Die Resignation war deutlich zu hören, als wäre ein Teil in dem Blonden gebrochen, als wäre er aller Kraft beraubt. Nun war es wieder der mütterliche Ton, der ihn aufzubauen versuchte. „Beruhige dich, atme tief ein und aus. Du kannst nichts an der Situation ändern. Gib ihm die Chance selbst zu entscheiden. Zeige ihm, wer du bist und warte ab, ob er geht oder bleibt!“ Was auch immer sie damit meinte, es war ein zerfressendes Gefühl, die Unwissenheit, die Verständnislosigkeit, die er nun empfand, zerrissen seine Seele beinahe. Welches Geheimnis trug der Mann in sich, dass er es ihm verschweigen „musste“? Was bewegte ihn so sehr, dass er sich dafür schämte, dass er Angst hatte, dass der Mann wieder gehen würde, der ihn so viele Jahre gesucht hatte? Von all diesen Zweifeln, Fragen und Ängsten beseelt umklammerte er den Türgriff und konnte sich nur schwer zurückhalten. Er wollte dahin, er wusste wissen, was da drüben geschah!
 

Schließlich fasste er einen Entschluss. Er musste wissen, was da drinnen geschah! Er musste wissen, wie es Draco ging! Mit einem Ruck drückte er die Tür auf und trat so ruhig wie möglich ein. Der Tisch war bis vor den Schrank gerückt, aus dem er vorhin Teller und gestern den Whisky geholt hatte. Die meisten Stühle waren umgefallen und der Wolf lag auf dem Boden vor Dracos Füßen. Als sich die Tür öffnete, hob sie gleich den Kopf und gab ein kehliges Knurren von sich. Draco stand mit dem Rücken zu ihm und mit nur mäßig fester Stimme fragte der 25 Jährige. „Was willst du mir nicht sagen?“

Ein Zucken ging durch den schlanken Körper, kurz schien er zu erstarren und die kalten Augen der alten Hexe fixierten Harry, der noch am Eingang stand. Jedoch würde ihm Draco auch dieses Mal wieder nicht antworten, denn ohne ein weiteres Wort löste sich der Blonde einfach auf und verschwand. „Nein!“ Rief er noch, doch da war der Mann disapperiert. Verschwunden! Einfach so! Wieder! Entsetzt starrte Harry auf die Stelle, an der noch eben der Mann gestanden hatte, nach dem er sich all die Jahre sehnte.

Nun starrte der Auror in das verstimmte Gesicht der alten Frau, die kräftig die Luft ausstieß. Sie wirkte aufgebracht und wütend, griff mit ihren Händen nach dem Stuhl, der als einziges noch stand. Als sie sich setzte, schien all diese Anspannung zu fallen und ein müder Ausdruck breitete sich in ihrem Gesicht aus. Die Wölfin hatte sich erhoben, schwer, ihr linkes Hinterbein rutschte auf den Fliesen immer wieder fort und dann setzte sie sich auf den Boden neben den Stuhl, legte den Kopf auf den Schoß der alten Frau.
 

„Hohl den Whisky und stell die Stühle wieder ordentlich hin, Prinzesschen…“ Brummte sie zu Harry hinüber, der noch immer zu keiner weiteren Reaktion fähig war. Blinzelnd warf er noch einmal einen Blick über die verschobenen Möbel und schweigend trat der Schwarzhaarige ein. Ein Schauer lief über die Arme des jungen Mannes, als er nach dem Tisch griff. Es war nicht einfach dieses wuchtige Stück wieder an seinen angestammten Platz zu schieben und innerlich war er zu erschüttert um wirklich zu begreifen, was hier geschehen war. Noch immer hörte er die fordernde Stimme des ehemaligen Slytherin, der unentwegt verlangte: „Sag mir, was ich bin!“

Es gab mehr Fragen, als er in diesem Moment erfassen konnte und mit einem Schlucken griff er nach dem nächsten Stuhl. Wo war der Kerl jetzt schon wieder hin und käme er wieder?
 

Wie lange er brauchte, wusste er nicht. Mürrisch stellte er zwei Gläser auf den Tisch und füllte sie. Eines schob er zu ihr hinüber und mit einem Nicken bedankte sie sich. Sie griff nach ihrem und leerte es beinahe mit einem Schluck ganz. Der Auror hingegen hielt sich eher an seinem fest, betrachtete die goldene Flüssigkeit darin, in der sich das Licht der Kerzen brach.

Eine ganze Weile verging, doch die Alte schwieg. Schließlich hob er den Blick um ihr mit Falten überzogenes, bleiches Gesicht zu mustern. „Was hat er damit gemeint? Was wollte er… was konnte er mir nicht sagen?“ Fragte er unsicher und sie griff nach der Flasche. Unter dem wollenen Ärmel der Stickjacke kamen wieder ihre vielen Armbänder zum Vorschein. „Oh, das ist schwer in nur einem Satz zu sagen.“ Brummte sie und zog den Korken heraus. Sie schenkte sich noch einmal ein, die goldbraune Flüssigkeit stürzte gluckernd in das kleine Glas und fasziniert beobachtete Harry, wie der stete Strom schwappte und immer weiter an der Gefäßwand empor stieg.

„Lass mich darum etwas weiter ausholen.“ Müde stützte sie sich mit beiden Ellenbogen auf den Tisch und die Wölfin legte sich mit gespitzten Ohren neben sie auf den Boden. Der Auror hatte noch nichts von seinem Glas angerührt. „Als ich Draco fand, war er mehr tot als lebendig! Bellatrix hatte ihn niedergeschlagen, gefoltert, den Rücken zerfetzt und ihm das Dunkle Mal aus dem Arm gebrannt. All das sind Dinge, die ich heilen kann! Sehr gut sogar!“ Sie schwenkte die Flüssigkeit in ihrem Glas und ein Glitzern breitete sich auf dem Tisch aus. Die kleinen Lichtfunken kreisten tanzend auf dem Holz und Harrys Blick wurde von ihnen gefangen.
 

„Aber sie hat ihm etwas genommen, das ich als Glauben an sich selbst bezeichne. Es ist mehr als Selbstvertrauen, mehr als ein Selbstwertgefühl. Es ist das eine, das was uns bestimmt, das Tiefste, das Reinste, der Grundstein unserer selbst.“ Sie hielt kurz inne und erkannte in dem Blick der grünen Augen, dass er nicht verstand. „Dieses Weib muss erfahren haben, dass er in dich verliebt ist. Sie hat es wahrscheinlich in den Stunden trauter Zweisamkeit aus ihm heraus geprügelt. Wirf dieser Frau viel vor, aber niemals, dass sie dumm ist! Ihr war bewusst, dass sie euch beide damit erwischen kann. Wenn sie Draco ermordet und seinen Kopf vor eure Füße legt, hat sie dich und deinen Lehrer gleich mit. Das Severus Snape es war, der den Dunklen Lord umbrachte, weiß sogar hier jeder.“ Sie gackerte kurz, als sie das Missverstehen in seinen Augen aufblitzen sah.

„Draco entkam ihr, weil ein anderer Auror Bellatrix entdeckt hatte. Anscheinend war dieser ihrem Partner Rudolphus gefolgt. Eine Frau wie sie unterscheidet ab einem gewissen Punkt nicht mehr, ob sie tötet oder nicht. Wenn sie weiß, dass der Schaden groß genug ist und sie schon ausreichend gequält hat, überlässt sie das auch jemand anderem. Sie ließ das Gerücht verbreiten, dass sie einen großen Schatz versteckt hätte und dieser auf den Kopf deines Freundes ausgesetzt wäre. Wenn man ihn umbrächte, würde man alles erfahren, um an diesen Berg aus Gold zu kommen. Gold ist das Mittel, mit dem man als Verfolgter am meisten anfangen kann. Genügend Gold öffnet dir Tür und Tor.“ Sie setzte ihr Glas noch einmal an und nachdenklich schloss Harry die Augen. Er hatte nie etwas davon gehört. Er hatte nie etwas der Gleichen erfahren.
 

„Niemand würde dir das sagen, Prinzesschen, nicht solange der Kerl noch lebt!“ Sie gackerte so kalt, dass dem Auror ein Schauer über den Rücken jagte. Er blickte sie an und wieder war da diese seltsame Mischung aus grausamer Frau und liebevoller „Großmutter“? Schweigend schob er sein noch immer volles Glas ein Stück auf den Tisch stieß langsam die Luft aus.

„Sie kamen und ich tat etwas, dass vielleicht falsch gewesen ist. Das Bürschchen hatte Angst! Schreckliche Angst und doch kämpfte er dagegen. Er zwang sie zurück, stellte sich ihr. Zu Anfang konnte er nicht einmal mit dem Rücken zur Tür stehen. Wer weiß schon, wer alles überraschend den Raum betritt. Er umklammerte seinen Zauberstarb, wenn er schlafen ging.“ Die alte Stimme hatte einen belegten Klang angenommen und ihre graubraunen Augen wirkten plötzlich matt. „Ich lehrte ihn alles, was ich ihn lehren konnte und er sog das Wissen beinahe wie ein Schwamm auf. Ich lehrte ihn Wunden zu heilen, zu versorgen, Brüche zu richten, Knochen wachsen zu lassen, Fieber zu senken… und ich lehrte ihn zu kämpfen. Ich lehrte ihn sich zu verteidigen! Und er lernte zu töten!“

Erstaunt hob Harry den Blick und fragte beinahe reflexartig. „Wie bitte?“ Sie grinste und ihre schiefen Zähne kamen zwischen den schmalen, trockenen Lippen zum Vorschein. Das Funkeln in ihren Augen hatte etwas Spöttisches. „Ja, du hast richtig gehört. Zu Beginn versuchte er seine Verfolger, und es waren viele, abzuschütteln, er versteckte sich, floh vor ihnen und versuchte alles, um sie von seiner Spur abzubringen. Nachdem er ungefähr ein Jahr bei mir war muss er zu dem Entschluss gekommen sein, dass sie immer wieder kommen werden. Es gibt nur eine Alternative.“
 

Jetzt griff Harry doch nach seinem Glas und setzte es an. Er nahm einen kräftigen Schluck und der warme Whisky brannte in seinem Rache, sickerte feurig hinab in seinen Magen und er verzog das Gesicht. Kalt schmeckte er besser. „Er hat sie alle umgebracht!“ Ein Kratzen in seiner Kehle breitete sich aus, wurde zu einem Husten bei ihren Worten und dann klang das herablassende Lachen in seinen Ohren.

„Der Junge, der dich zurückließ, ging damals um Leben zu beschützen! Jetzt tötet er sie! Menschen sind nicht dafür geschaffen! Es zerreißt ihre Seele und besonders eine so empfindsame wie die Dracos!“ Ungläubig starren die grünen Augen sie an, doch er wollte sie nicht unterbrechen. „Verstehst du das immer noch nicht? Seine Seele ist in zwei Stücke zerrissen, eine gute und eine schlechte! Draco ist als Malfoy geboren und als Slytherin aufgewachsen. Wie soll ein solcher Mensch akzeptieren, dass er nun Heiler ist, dass er Menschen, dass er Muggel rettet, sich um sie sorgt, sich um sie kümmert, ja, dass er ihnen hilft ihre Kinder auf die Welt zu bringen? Er verabscheut sich dafür, er hasst sich dafür! Wie aber soll ein sanftmütiger Kräuterkundiger, ein Heiler verstehen, dass an seinen Händen Blut klebt? Er bringt Menschen um, er schneidet ihnen hinterrücks die Kehle auf und in seinen Augen ist kein Gefühl, wenn sie röchelnd vor ihm in die Knie gehen. Als wäre er ein gänzlich anderer Mensch!“
 

Noch immer konnte er nicht verstehen, was sie ihm da sagte. Sein Verstand begriff es, doch er wollte es nicht akzeptieren. „Der Glauben an uns selbst sorgt dafür, dass wir unser Handeln in einen Einklang bringen. Man kann Auror sein und für den Tod von Menschen die Verantwortung tragen, aber dennoch ein liebevoller Familienvater sein. Dieser Glauben an uns selbst lässt das zu. Es erklärt unsere Handlungen und macht uns klar, dass die Toten ein Übel sind, dass nicht verhindert werden kann.“ Sie grinste, doch ihre Augen waren von einem Schleier aus Trauer überzogen. Harry schluckte.

„Draco kann das nicht. Er kann nicht verstehen, wie er Menschen rettet und gleichzeitig tötet. Diesen Zwiespalt versucht er mit sich zu vereinen, indem er aus seinem notwendigen Decknamen eine eigene Person geschaffen hat. Draco Malfoy repräsentiert all das Böse, das Grausame. Gregory hingegen darf Schwäche zeigen, Mitgefühl empfinden und ihm können die Unterschiede zwischen Magiern und Muggeln egal sein.“

Während sie erneut nach der Flasche griff, starrte der Schwarzhaarige in sein noch immer nicht leeres Glas. „Er weiß nicht, wer er ist. Es ist manchmal beängstigend. In einem Augenblick schneidet er einem Mann gefühllos die Kehle durch und wenige Momente später wird ihm übel und er muss sich übergeben, weil ich einem Hasen das Genick breche, um ihm das Fell über die Ohren zu ziehen. Er kann nicht einmal Speck essen!“ Wieder lachte sie und kurz sah Harry zu ihr auf. „Dann… dann war es Draco, der mir den Brief heute Morgen hinterlassen hatte und Gregory, der eben… der eben davon gelaufen ist?“
 

Kurz hielt sie inne, ihre krummen Finger drehten den Korken bevor sie ihn wieder auf den Hals der Flasche steckte. „Ja, so kann man das ausdrücken. Dieser Dummkopf weiß schlicht nicht, wie er sich dir gegenüber verhalten soll. Bei mir ist es egal, er weiß genau, dass ich ihn nehme, wie er ist und dass ich ihn schon auf die passende Größe stutze, wenn er es übertreibt. Aber bei dir hat er keine Ahnung. Er konnte nicht zu dir zurück, weil er nicht weiß, wer dir gegenüber stehen würde.“

Verwirrt setzte sich der Schwarzhaarige auf. „Das ist doch aber völliger Schwachsinn!“ Protestierte er und die weißen Augenbrauen hoben sich. „Sag das nicht mir! Ich weiß das! Draco weiß es auch! Aber seine eine Seite kann die andere nicht akzeptieren und umgekehrt! Ich habe versucht, was ich konnte, aber nichts hat geklappt. Er ist sich dessen bewusst, dass Draco und Gregory ein und die selbe Person sind. Es gibt keine zwei Persönlichkeiten. Es ist eine Schutzmechanismus, den unser Gehirn nutzt, wenn es mit etwas wirklich Traumatisierendem nicht zurechtkommt. Dann schafft der Verstand eine Persönlichkeit, die stärker, erwachsener ist, um die Situation zu verarbeiten. Das ist etwas, dass nie wieder rückgängig gemacht werden kann. Es ist das gleiche Prinzip, aber es ist keine so endgültige Trennung. Ich kann ihm nur nicht weiter helfen.“

„Das ist nicht alles oder?“ Fragte Harry plötzlich, dessen Intuition wieder wie ein Feuer in ihm aufbrannte. Eine unangenehme Hitze kroch seinen Rücken mit einem grausamer Schauer der Vorahnung empor und als er ihr Nicken sah, ergriff ihn ein flüchtiges Beben. „Was denkst du, sieht Draco Malfoy ohne seinen Schutzzauber? Was zeigt ihm dieser Wald? Was ist seine größte Angst?“
 

Die Kälte hatte ihn längt ergriffen, die Flocken aus Schnee bildeten einen leichten Nebel, der die Sicht erschwerte. Die kahlen Bäume waren nur noch Schatten, sie ragten mit ihren langen, dürren Ästen wie Skelette aus dem schummrigen Licht. Er stand wieder hier, hier an dem Ort, an dem er zum ersten Mal diesen Wald betreten hatte. In den letzten Jahren war er kein einziges Mal zurück gekehrt. Er mied diesen Platz, wie der Teufel das Weihwasser! Schon jetzt waren seine Lippen leicht bläulich, in Russland fielen die Temperaturen im Winter grausam tief. Er trug nur einen Pullover, seine Stiefel boten ihm wenigstens ausreichend Schutz. Seine Wangen brannten unter der Kälte, die Tränen waren erfroren. Er wusste, dass er da war. Er war immer da! Er hatte ihn nie verlassen… er war immer geblieben.

Der Atem gefror in der Luft, wurde zu kleinen, weißen Wolken. Mit zitternder Hand schob er den Stoff seines Ärmels in die Höhe und die bunten Linien kamen zum Vorschein. Er legte seine Linke auf die schwarze Tätowierung und die Angst stach aus den grauen Augen hervor. Tief sog er die Luft ein, spürte den stechenden Schmerz in seinen Lungen. Sie war zu kalt. Lautlos sprach er die Worte, die den Zauber wieder lösten und die Linien verblassten. Nur die farbigen blieben zurück. Er konnte ihn spüren, er konnte seinen Atmen hören.

Lautlos bewegte sich das Tier durch den Schnee und das Gold seines Geweihes glitzerte. Langsam kam er näher, der Hirsch setzte majestätisch einen Schritt vor den anderen, den Kopf erhoben. Sein weißes Fell ging in den Flocken beinahe unter, doch die grünen Augen starrten ihn an. Es waren die gleichen Augen, die ihn noch vor kurzem so voller Wut, Angst und auch voller Sanftmut angesehen hatten. Voller Dankbarkeit, voller Freude und voller Schmerz. „Nein…“ Flüsterte er und Tränen stiegen in die von Panik glänzenden Augen. „Nein….“
 

„Er ist nicht wie du. Du musst immer kämpfen. Selbst deine größten Ängste bieten dir die Möglichkeit auf einen Kampf. Du hast vor so vielem Angst, du siehst so viel und der Wald weiß gar nicht, was er dir alles zeigen soll, weil er so viele Möglichkeiten hat. Draco hingegen… er hat nur eine Angst. Er sieht nur eines immer und immer wieder.“

Erstaunt blinzelte Harry und die Antwort kam so schnell, dass er von sich selbst überrascht war. „Der Hirsch mit dem goldenen Geweih!“ Die Alte nickte und doch verstand der Auror den Zusammenhang nicht. „Was macht dieser Hirsch, dass Draco solch eine Angst vor ihm hat?“ Doch ihrem Blick folgte ein kalter Schauer der Vorahnung und Harry schluckte. „Wer ist dieser Hirsch?“

Ihr Lachen erfüllte die Luft. „Musst du das wirklich fragen, Harry Potter?“ Sie griff nach ihrem Glas und lehnte sich zurück. Von ihrem Platz funkelte sie ihn aus ihren alten Augen wissend an. „Wer hat als Patronus einen Hirsch? Ein Tier, welches als der König der europäischen Wälder angesehen wird, mächtig, stark, anmutig. Lange Jahre hin ohne einen Gegner und selbst die Wölfe, die ihm zur Gefahr werden könnten, scheuen sein mächtiges Geweih, seine harten Tritte, denn er kann sie töten. Doch sein Wesen ist ruhig, stolz und gelassen, freundlich und sanftmütig. Und ein Hirsch wie dieser mit goldenem Geweih, als wäre es die Krone der Welt, mit weißem Fell, als wäre seine Seele so rein wie der Schnee, so unschuldig wie die eines neugeborenen Kindes…“
 

Mit festen Schritten kam das Tier näher. Die grünen Augen musterten den Mann, dem die Tränen über die Wangen liefen. Der große Kopf beugte sich vor, die warme Zunge leckte über die kalte Haut. Er war nie gegangen, er hatte ihn immer begleitet, auch wenn der Blonde ihn nicht sah. Er war immer da!

Aufmunternd stieß die Schnauze des Tieres gegen die Brust des Mannes, der völlig unfähig zu einer Reaktion war. „Nein….“ Schluchzte er und dann knickten seine Knie ein. Er fiel in den Schnee und seine Stimme brach sich schreiend in der Luft. Lautlos fiel der Schnee zu Boden und die grünen Augen musterten ihn sanft. Die zitternden Hände verbargen das blasse Gesicht und alle Kraft wich aus dem bebenden Körper. Draco war am Ende, er konnte nicht fliehen, er konnte nicht glauben, er konnte nicht hoffen. Er würde es niemals schaffen. Er würde niemals stark genug sein! Niemals!

Fell zog sich über die immer kleiner werdende Gestalt, die sich nun unter Schmerzen zusammenkauerte. Seine Stimme war erstickt, die Tränen versiegt, weißes Fell überzog den kleinen Nager. Mit solch einer unerschütterlichen Wärme sah der Hirsch auf das kleine, weiße Frettchen herunter, welches sich bebend und zitternd zusammen rollte. Langsam ging das majestätische Tier zu Boden und legte sich neben den kleinen Fellball. Der Hirsch bettete seinen Kopf dicht neben den Nager, zog ihn so näher an sich, um ihn zu wärmen.
 

„Aber… was… wenn ich dieser Hirsch sein soll und wenn ich nichts tue, dass ihm weh tut, wovor hat er dann Angst?“ Etwas schnürte Harry die Brust zu, ließ ihn ahnen, dass die Antwort schrecklich sein musste. Warte, hatte Draco vorhin nicht gesagt, dass er ihn leiden sehen wollte, weil er ihn nie frei gelassen hatte? Meinte er das damit?

„Dieser Hirsch ist immer da, will ihm immer helfen, ihn immer beschützen und sieht in ihm einen Partner, einen Freund, einen Gleichgesinnten. Das Grausame an dieser Angst ist nicht der Hirsch, es ist seine Existenz und es ist das, was Draco noch sieht.“ Langsam wurde Harry unruhig, was bitte sollte das sein? Was verschwieg sie ihm? Aufgebracht stieß er den Stuhl zurück und schlug mit beiden flachen Händen auf den Tisch. „Was ist es? Wovor hat er solche Angst?“

Ihr Lachen war so unpassend und doch war ihm klar, dass sie sich über ihn lustig machte. Er verstand nicht und sie glaubte, dass es offensichtlich war. „Es gibt keine Welt, es gibt keine Zeit und es gibt kein Universum, in dem ein Hirsch wie dieser, ein solche mächtiges, wunderbares Tier auf der gleichen Ebene steht wie ein winziges, erbärmliches Frettchen, ein Räuber, ein Fleischfresser, der die Nester kleiner Tiere plündert und ihre Kinder frisst. Ein kleiner Aasfresser, der nur Gnadenhalber als „Raubtier“ gilt, der in der Dämmerung herumschleicht und den man wegen seines Fells im Winter erschlägt und im Sommer einfach so, weil man Freude daran hat. Er glaubt, dass er es niemals wert sein wird von dir geliebt zu werden. Seine Angst beruht auf dem Hass, den er sich selbst gegenüber hegt, den er aus seiner Zerrissenheit nicht überwinden kann und mit deinem unerschütterlichen Glauben an eure Liebe nährst du seine Angst jeden weiteren Herzschlag.“
 

Ihre Worte verklangen in der Luft und die grünen Augen starren sie an. Eine Weile schwieg er, als müsste er erst verstehen, was genau sie ihm da sagte. Draco hasste sich und war der Meinung, dass er so wertlos war, dass er seine Liebe nicht verdient hatte? Doch bevor all dieses tief in seinen Verstand gesickert war, sprach sie weiter. „Ich habe jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder bringe ich dich um und warte darauf, dass seine Wunden wieder heilen werden oder ich vertraue darauf, dass du das Unmögliche wahr machst und ihn liebst, mehr als ein Mensch zu lieben fähig ist. Dass du ihm mehr Geduld schenkst, als ein Mensch aufzubringen in der Lage ist und dass du ihm mehr vergibst, als ein Mensch zu vergeben fähig ist. Wenn du dich für ihn entscheidest, werden die schwarzen Tage kommen. Es werden kleine dunklen sein, sie werden schwärzer sein, als du sie dir vorzustellen vermagst. Er wird dich hassen, er wird dich verletzen, er wird dich verstoßen und ich kann dir nicht versprechen, dass diese Tage jemals enden werden.“

Schwer sog er die Luft ein und Dracos Worte klangen in seinen Ohren wider. Er musste akzeptieren, dass die Baba Jaga immer Recht hatte! Sie würden kommen, diese schwarzen Tage und er konnte sich nicht einmal vorstellen, wie sie sein würden! Angst ergriff sein Herz und alles schrie in ihn auf, dass sie log! Doch etwas wusste, dass sie die Wahrheit sprach. Bellatrix hatte diesen Mann zerrissen und er konnte nicht einmal sagen, ob er ihn noch… nein, warte…

Sie hatte ihm vorgeworfen, dass er seinen Kopf entscheiden ließ. Aber sein Herz… sein Herz liebte ihn noch immer! Sein Herz fürchtete sich nicht vor den schwarzen Tagen, sein Herz fürchtete sich davor ihn zu verlieren! Er kannte diesen Mann nicht, aber er WUSSTE, dass sein Herz noch immer das selbe war! „Wo ist er?“
 

Die alte Hexe zuckte mit den Achseln und deutete zum Fenster hinaus. „Irgendwo da draußen.“ Antwortete sie ihm und nur einen Augenblick später hatte er den Stuhl umgeworfen und umrundete den Tisch. Schnell griff er nach seinem Mantel, der an der Innenseite der Küchentür hing. Er warf ihn förmlich über, zerrte den Schal aus der Tasche heraus und wickelte ihn nur flüchtig um seinen Hals. Dann packte er schon den Umhang des anderen, um den Schritt zur hinteren Tür zu leiten.

„Noir! Such ihn!“ Die Wölfin riss den Kopf in die Höhe und ohne noch einmal zu zögern oder zu der alten Hexe aufzusehen, die diesen Befehl erteilt hatte, schlitterte die Wölfin über den Boden. Ihre Hinterbeine kamen nicht mit, so zog sie ihren gesamten Körper über die Fliesen. Harry hatte die Tür schon geöffnet und dort fanden ihre Krallen an der Bodenschwelle endlich Halt. Kaum hatte der Schwarzhaarige die Außentür geöffnet, als die Wölfin hinaus jagte. Im Schnee schien sie eine andere zu sein. Der schwarze Wolf raste, jagte wie ein Räuber über die Decke aus Flocken und nur schwer kam der Auror hinter her. „Lumos!“ Rief er und die Kugel aus Licht entstand am Ende seines gezogenen Zauberstabes. Er würde ihn nicht verlieren! Nicht noch einmal!
 

Mit klopfendem Herzen und unglaublicher Angst presste er den Umhang an sich, rannte durch den hohen Schnee immer dem schwarzen Fleck hinter her. Manchmal blieb die Wölfin stehen, legte den Kopf in den Nacken und heulte, als wollte sie den Mann noch weiter antreiben. Sie schien zu wissen, wo er war. Sein heißer Atem gefror in der Luft und teilweise konnte er kaum etwas sehen. Dennoch, er würde ihn nicht verlieren! Es war ganz gleich, was sein würde, was käme, wenn er ihn jetzt verlöre, wäre es für immer vorbei!

Die kahlen Bäume rissen mit ihren trockenen Ästen an seinem Mantel, immer wieder gab der Boden unter seinen Stiefeln nach, denn er war zu Eis gefroren. Die Schneeflocken fielen noch immer, wenn auch weniger als bei seinem Erwachen an diesem „Morgen“. Keuchend schnappte er nach Luft, die sich schmerzend in seinen Lungen ausbreitete. Er musste weiter!
 


 

Zwischen einigen Bäumen türmte sich ein kleiner Hügel aus Schneeflocken. Noir war zu ihm gerannt und ihr Kopf schmiegte sich an diesen. Sie gab ein bellendes Knurren von sich, scharrte mit ihren Pfoten den Schnee herab. Wie lange sie bis hier her gebraucht hatten, konnte Harry nicht sagen. Zu lang, war sein einziger Gedanke. Der Schmerz in seinen Knien verblasste sofort, als er sich neben das zusammengekauerte Bündel Menschlein fallen ließ und Draco an sich zog. Der Körper des ehemaligen Slytherin war kalt, die Lippen blau gefroren und der schwache Atem war kaum noch zu erkennen.

Wimmernd sprang die Wölfin von einer Seite zur anderen, wollte helfen und wusste doch nicht wie. Sie winselte und kauerte sich dann auf den Boden vor den beiden, ihre gelben Augen wanderten immer wieder von dem blassen, weißen Gesicht zu Harry hinauf und wieder zurück. „Komm her, Noir.“ Meinte er so ruhig er konnte, streckte seine Hand nach dem Wolf aus und sah noch einmal zu dem Mann, den er so gut es ging in seinen Umhang gewickelt hatte. „Vergiss es Draco, ich lasse nicht zu, dass du hier draußen stirbst!“ Kaum war die Wölfin nahe genug und schmiegte sich an ihn, als die drei im Nichts verschwanden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leserinnen und Leser!

Dieses ist ein kleines… oder eher großes Geburtstagsgeschenk für unsere little_butterfly!

Hm, sind jetzt auch über 6.000 Worte geworden. Q.Q

Zwei ganz wichtige Dinge für euch!

1. Draco hat sich nur unterkühlt und es geht ihm den Umständen entsprechend gut!

2. Es kommt jetzt ganz viel Glückseligkeit und wir erinnern uns, oder eher ich, wieder den Anfang der Geschichte. Die war ja mal als Lemon begonnen. ^.~

Also, ich hoffe, ich hattet nicht so viel Herzklopfen und es war verständlich, von welchem Zwiespalt unser guter Draco gefangen gehalten wird.

Liebe Grüße
Eure Traumfänger Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Amunet
2016-11-05T11:19:16+00:00 05.11.2016 12:19
Hallo again, meine liebe Traumfänger! ^^

Dieses Kapitel war grandios!!! Ich bin total geflasht und fast sogar sprachlos, weil ich das Kapitel total stimmig war. <3

Die Unterhaltung von Baba Jaga mit Harry war informativ, sehr gefühlvoll und die parallel gezeichnete Szene mit Draco (auch als Frettchen) und dem Hirsch war ebenso traurig wie schön.

Mir fehlen die Worte, ich kann nur sagen: "Mega Kapitel!"

Liebe Grüße
deine Amunet
Antwort von:  Traumfaengero_-
21.11.2016 21:54
Liebe Amunet,

ich bin sehr, sehr erleichtert! Ich war unglaublich gespannt auf eure Meinung zu Dracos Werdegang und vor allem der Begründung, warum er sich Harry nie gestellt hat. Immerhin wollte der Kerl ihn einfach wieder weg schicken!

Daher von mir zu deiner „Sprachlosigkeit“: DANKE!!! DANKE!!! DANKE!!!

Ganz liebe Grüße
Deine Traumfänger
Von:  little_butterfly
2016-09-14T10:16:09+00:00 14.09.2016 12:16
Ahh ich freu mich so!! X3
Es ist ein tolles kapitel, in dem man soo viel über draco und seine zeit bei bellatrix und der baba jaga erfährt und warum er ist, wie er ist! ^^
Er steckt in einer verdammt schwierigen Situation und ich hoffe sehr, dass harry es schafft ihn aus seinem loch zu ziehen...

Ich freu mich schon tierisch auf das nächste kapitel! ^^
Antwort von:  Traumfaengero_-
14.09.2016 21:11
Liebe Butterfly,

es freut mich sehr, dass dir dieses, für deinen Geburtstag extra vorgenzogene Kapitel so gut gefallen hat!

Ja, ich schuldete euch ja eine Erklärung und ich wollte euch ein paar Hintergrundinformationen geben. Obwohl ich mich hier mit Bella sehr kurz gehalten habe. Da müssen wir, denke ich, auch nicht darauf eingehen.

Ist es zu viel verraten, wenn ich sage, dass es ein gutes Ende geben wird? Wir steuern übrigens darauf zu! Oh Himmel, so lang ist die Geschichte gar nicht mehr. Da kommen gar nicht mehr sooo viele Szenen!

Das nächste Kapitel wird kommen. Lassen wir den anderen aber erst einmal Zeit, dass sie etwas lesen können. Getippt wird schon nebenher immer wieder. Bis zum 25.09. musst du dich aber noch gedulden.

Ganz liebe Grüße
Deine Traumfänger


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