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Schrumpfhörniger Schnarchkackler

zu Gast im Hause Lovegood
von

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1996

Der Stuhl scharrte in einem leisen, unauffälligen Kratzen über den Boden, bis Luna ihn so dicht an den Tisch gezogen hatte, als benötige sie keinen Platz mehr zum Atmen. Dass sie sich unter einem zufriedenen Summen kerzengerade aufrichtete, war nicht weiter ungewöhnlich, denn ihre blanken Füße zappelten unter der Holzplatte einfach weiter. Früher hatte ihre Mutter immer behauptet, in ihrem Hintern säßen kleine Wichtel fest, aber inzwischen war sie alt genug, um zu wissen, dass blaue Kobolde sich für ganz andere Dinge interessierten. Porridge zum Beispiel! Deshalb legte sie vorsorglich einen Arm um die Schüssel, welche in silbernen, roten und gelben Mustern leuchtete. Ein wenig langweilig für ihren Geschmack, aber ein Tag wie dieser durfte auch völlig gewöhnlich anfangen.

Vergnügt und stumm bewegten sich ihre Lippen, während ihre freie Hand durch eine Ausgabe des Klitterers blätterte. Zwischen den gestapelten Tellern, dem Spiegelei und einer Phiole mit Baumschlangenhaut sollte sie eigentlich auf anderes achten, aber dafür war auch noch später Zeit. Kurz nach Sonnenaufgang, wenn das Licht an den Butzenscheiben kratzte und milchig gegen die Türen drang, musste man einfach Prioritäten setzen! In ein paar Stunden würde sie die aufregendste Reise des Sommers beginnen! Seit sie Hermines Behauptung weitergegeben hatte, dass ein Muggel in einem Zug die ungewöhnlichsten Dinge erlebte - und die junge Hexe hatte bei ihren ZAGs geschworen, dass der Hogwartsexpress alles andere als gewöhnlich sei -, war ihr Vater besessen davon, es ebenfalls zu versuchen.

Man wusste immerhin nie, wann einem die nächste, magische Kreatur über den Weg lief.

Kurz sah Luna auf, und ihr Blick flog an dem Sammelsurium aus Marmeladen und Sandwiches vorbei, um an den Roben von Xenophilius Lovegood, seines Zeichens Herausgeber des Klitterers und todernster Leser der monatlich erscheinenden "Phantastische Tierwesen und wie man sie überlebt"-Morgenlektüre, hängen zu bleiben. Die Zeitung hatte er ordentlich aufgeschlagen und dreimal um die eigene Achse gedreht, bis er die Seite knickte und den verborgenen Inhalt gegen das Licht zu lesen versuchte. Auf seiner Stirn prangte seit einigen Minuten eine angestrengte Falte, daher ging sie davon aus, dass die Menschen nichts geschrieben hatten, was wirklich interessant und faszinierend war. Das geschah oft.

"Ich habe nachgedacht", begann Luna.

"Worüber?", fragte es hinter den daumendicken Druckbuchstaben, die vor der Flamme eines Peruanischen Vipernzahns davonliefen.

"Über unsere Reise nach Schweden."

"So?"

"Ja, wenn wir alle Galleonen ausgeben, die uns der Tagesprophet bezahlt hat, um das Interview mit Harry selbst abdrucken zu können, stehen wir wieder vor demselben Problem. Findest du das nicht bedenklich?"

Der Zauberer, der in einen sandfarbenen Stoff gehüllt war, auf dem regebogenfarbene Streifen verliefen, lugte hinter der Papierkante hervor. "Selbstverständlich", murmelte er dann. "Diese Verrückten sind nicht ganz bei Trost, wenn sie uns so viele Münzen in die Hand drücken, statt sich den ganzen Posteulenwechsel zu ersparen. Es ist nicht so, dass uns der Junge, der überlebt hat, gehören würde. Ich habe jedenfalls noch nie Geld dafür bezahlt, dass ein anderes Blatt meine Theorien zitieren darf." Kopfschüttelnd schnalzte Xenophilius mit der Zunge, ehe er eine Augenbraue fast bis zur Mitte seiner Stirn emporzog. Die feinen Härchen in der schwungvollen Linie waren genauso blass wie die seiner Tochter, aber deshalb knibbelte sie bestimmt nicht an ihrer Unterlippe. "Luna?"

"Ich habe an etwas anderes gedacht, als das." Vielsagend atmete sie ein, was ihr den Ausdruck einer asthmatischen Veela bescherte. Sie wusste zwar nicht, was "asthmatisch" bedeutete, aber einige muggelstämmige Ravenclaw-Schülerinnen hatten das getuschelt, als die Austauschschülerinnen um Fleur Delacour aus Beauxbatons durch die Große Halle geschwebt waren. So hübsch war sie zwar nicht, aber sie wollte eh nicht auffallen. Auf Reisen musste man stets mit den Schatten verschmelzen, daher hatte sie sich auf das Nötigste beschränkt: Ihr Zauberstab klemmte als Bleistift bemalt hinter dem linken Ohr, die Halskette aus Butterbierdeckeln war auf ein neues Band gezogen worden und ihr hüftlanges Haar so oft gebürstet, dass ihr am Ansatz nur die Hälfte der üblichen Strähnen abstand. Nur ging es ihr darum gar nicht: "Wenn wir alles ausgeben, musst du die Auflage des Klitterers wieder senken. Stell dir vor, was passiert, wenn wir den Schrumpfköpfigen Schnarchkackler finden und es niemand lesen kann!"

"Luna, ich-"

"Keine Sorge, ich weiß, was du sagen willst." Die blonde Hexe umklammerte einarmig ihre Porridge-Schüssel, als ginge es um Leben und Tod. "Ich sollte darauf vertrauen, dass es Professor Trelawney in ihren Kaffeesätzen bereits vorhergesehen hat. Wenn sie es im Unterricht nach den Ferien erwähnt, weiß es bald jeder. Das wäre auch nur gerecht, nachdem jeder in Hogwarts den Schrumpfköpfigen Schnarchkackler leugnet. Außer Harry, seitdem ihm die Nargel bereits eine Schreibfeder gestohlen haben." Luna fand, damit hatte es der Gryffindor noch gut getroffen. Ihr war viel mehr abhanden gekommen. Besonders ihre gestreifte Socke fehlte ihr, aber ihr Vater nickte langsam und das tröstete sie.

"Es ist bedauerlich", hakte Xenophilius ein, während er mit seinem Zauberstab schlenkerte und ein Gurken-Kresse-Sandwich in die Luft stieg, "dass es kein anderer Ravenclaw glaubt. Es ist nicht immer leicht, einen weiten Horizont zu besitzen. Zu meiner Zeit nahmen es nur wenige Ernst und man nannte mich bis zu den ZAGs Xenophilius, der Träumer."

"Und später?"

"Ich erinnere mich nicht. Deine Mutter hat einen meiner Kritiker verhexen wollen, aber ich stand im Weg, nachdem ich zufällig um die Ecke des Gewächshauses bog." Der Schlag aus roten Funken hatte ihn unter einem Krachen nach hinten geschleudert und die Beule war zwei Wochen lang eher größer als kleiner geworden. Sehr verrückt, aber wenn er sich Lunas erstauntes Gesicht betrachtete, schien es ihm eine gute Sache gewesen zu sein, auf diese Weise Pandora Lovegood besser kennen gelernt zu haben. Mutter und Tochter waren sich sehr ähnlich, auch wenn er hoffte, dass seine Luna irgendwann erwachsen genug wäre, um die Butterbierdeckel gegen soetwas wie Feuerwhiskeykorken einzutauschen. Xenophilius seufzte, als er die Zeitung wieder in Augenschein nahm. "Mitschüler sind wie das Zaubereiministerium. Wenn sie etwas absurd finden, pochen sie auf die Regeln, die sie sonst nicht interessieren. Besonders auf Logik!"

"Oh, ich kann mich nicht beschweren. Sie sind nicht gemein, nur sehr weltfremd. Aber alles, was im Klitterer steht, wird oft und gerne von ihnen erzählt. Sie machen sich lustig darüber, weil ihnen ihre Eltern und Großeltern nie von den zauberhaften Wesen erzählt haben." Luna lächelte so ätherisch, als wäre sie doppelt so alt wie Nicholas Flamel. "Wie könnte ich ihnen böse sein? Ich hatte Glück, und was man nicht weiß, kann man lernen. Solange sie lesen können, steht ihnen auch offen, etwas über deine Schrumpfköpfigen Schnarchkackler zu erfahren. Wir müssen sie nur finden. Ich bin schon sehr gespannt, wie sie aussehen. Aber wenn sie ein Zauberer entdeckt, dann du. Das steht so felsenfest wie unsere Reise unter Muggeln."

Mit einem unbekümmerten Gesichtsausdruck sah Luna zurück auf ihr Porridge, während ihr Vater erst ein ungläubiges Stutzen und dann ein warmes Schmunzeln zeigte. Nach einigen Momenten des einträchtigen Schweigens überließ er ihr sogar den Teil der Zeitung, den er noch nicht gelesen hatte - und das tat er sonst nie.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein (fast) normaler Tag im Hause Lovegood. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit. Bis zum nächsten Mal!
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2016-04-08T20:13:59+00:00 08.04.2016 22:13
Auch diese Geschichte hat etwas an sich, das mich sagen läßt: Paßt zu den Büchern. Es ist sehr lange her, daß jemand zu den beiden etwas schrieb und neben der (wiederholt gelungenen) Aufmachung mit Char-Files, Beschreibung und Themenzuordnung, brilliert Luna. Ich gestehe, du hattst mich ein paar Mal an der Angel. In einer Minute hielt ich sie für vernünftig, als sie von den Konsequenzen sprach, in der nächsten redet sie wieder in ihrer wirren Logik. Daß du ihre Optik drin hast, sowie erweitert, ihre Art zu reden und die aufmerksame, entwaffnende Unbeschwertheit war sehr, sehr gut umgesetzt.
Ich hab mich glatt was in die Art verliebt, mit der sie ihre Umgebung bewertet. Die war sehr plastisch und kauzig. Cool.
Xeno erwies sich als Zausel, wobei die Feststllung, daß Harry ihm nicht gehöre und keiner Galleonen wolle, um ih zu zitieren, der Kracher war. Viel Erfolg beim Wettbewerb. War 'ne Sahneschnittengeschichte. ;-)

Cheers, Reik (KomMissionHelfer)
Von: abgemeldet
2016-04-02T18:59:51+00:00 02.04.2016 20:59
Eine schöne und warmherzige Geschichte. Obwohl der Spannungsbogen gleichförmig verläuft, ist es unterhaltsam und ein gelungener Einblick an den chaotischen Tiscg der Lovegoods. Ich fand die Einbindung der Tierwesen originalgetreu. Die Zeitung war der Knüller. Gab es die auch in den Büchern? Ich erinnere mich nicht ...
Was die beiden unter normal einstufen, ist kurios und liebenswürdig verpackt worden. Lunas Mama mochte ich in Xenophilius Gedanken sehr. :)

Viel Erfolg beim Wettbewerb!
Cary
Antwort von:  Jaq
03.04.2016 12:52
Vielen Dank für deinen Kommentar! Ich habe mich sehr gefreut dass jemand Luna und ihrem Vater im Alltag über die Schulter sehen wollte. Es ist nicht sehr ereignisreich, da hast du recht! Ich denke, sie hatten in den Büchern viel Action und fand den Gedanken auch ganz, ganz spannend, worüber sich die beiden beim Frühstück unterhalten. :)
Die Zeitung habe ich mir ausgedacht. Es gibt nur das Buch "Phantastische Tierwesen", das musste als Inspiration herhalten. Ich war nicht sicher, ob er die Hexenwoche oder sowas lesen würde ...

Ich wünsche dir einen fabelhaften Sonntag =)


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