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No Princess

von

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Anna und Akira

„Ah, ich geh' hier schon raus.“ ertönte Akiras Stimme plötzlich. Sie waren eine Haltestelle von Annas entfernt. Der Junge packte seine Sporttasche und hievte sie sich über die Schulter, ehe er zu Anna ging. „Du kommst mit.“ Verwundert sah Anna ihn an, wollte sich gerade weigern, wurde aber erneut unterbrochen: „Keine Widerrede. Wir müssen reden.“ Er hielt Anna seine Hand hin. Im Gegensatz zu den letzten paar Malen, wo er sie einfach gepackt hatte, schien er dem Mädchen diesmal tatsächlich eine Wahl zu lassen. Widerwillig nahm sie sein Angebot an und die beiden stiegen aus.

„Wieso sind wir hier schon ausgestiegen?“ fragte Anna letztendlich, als sie den Bahnhof verließen.

„Wie gesagt, wir müssen reden. Ich dachte ein Spaziergang eignet sich für sowas.“ Er lief ein paar Schritte vor ihr. Sie musterte den breiten Rücken, die Tasche, die an seiner Schulter hin und her schwang.

„Worüber willst du denn reden?“ fragte Anna schließlich nach und ließ den Blick auf ihre Blume sinken. Eigentlich hatte sie ihm nichts zu sagen. Akira verfiel in ein Schweigen. Es dauerte ein paar Meter, bis er sich ans Herz fasste.

„Wegen der Sache mit deinem Tattoo-“ begann er und Anna schien zu wissen, was er sagen wollte.

„Du bist also nicht mehr interessiert?“ Sie klang abweisend. Akira blieb stehen und drehte sich um. Die goldenen Augen waren gefüllt mit Bedauern und Mitleid. Annas Herz sank ihr in die Hose. Sie biss sich auf die Unterlippe und starrte ihre Blume wieder an. Also doch.

„Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dir Angst gemacht habe.“ brachte Akira endlich hervor und starrte ebenfalls Richtung Boden, aber auf seine Sneaker. „Ich bin zu weit gegangen.“

„Ja.“ antwortete die Königin knapp. „Ich hab' nicht mal was getan und dann willst du mich gleich umbringen.“

„Das wollte ich ganz sicher nicht.“ erwiderte Akira sofort und schien wieder wütend zu werden. Er ging einen Schritt auf Anna zu. „Ich war wütend, ja. Aber nur weil du dieses scheiß Ding geküsst hast. Weißt du, was passieren könnte? Du könntest auch ins Koma fallen, vielleicht sogar noch schlimmer.“ Er senkte seine Stimme wieder und starrte Annas Blume an. Wieder war Akira Anna so nahe, dass es ihr unangenehm wurde. Unmerklich zog sie ihre Arme an ihren Körper. Alle Muskeln spannten sich an.

„Hast du jetzt Angst vor mir?“ fragte der Rotschopf leise. Anna sagte nichts. Ihr Stolz verbot es ihr, Angst einzugestehen, aber sie konnte auch nicht lügen. In diesem Moment hatte Akira ihr Angst gemacht. Warme Hände legten sich auf Annas Wangen und führten ihr Gesicht nach oben. Das Mädchen konnte nicht anders, als vor dieser liebevollen Berührung zusammen zu zucken.„Sieh' mich an.“ Akiras Stimme war so zärtlich und liebevoll, dass sie sich kaum wehren konnte.

„Ich wollte dir keine Angst machen. Und dein Tattoo ist mir egal. Egal, ob es winzig klein ist oder ob es riesig groß ist. Es ist mir egal, okay?“ Seine Stimme war zu einem Flüstern geworden. Annas Augen wanderten unwillkürlich von Akiras Gesicht weg. Wieso konnte sie ihm nicht glauben? Egal, wie schmerzerfüllt oder liebevoll er sie ansehen würde, in diesem Moment konnte sie ihm einfach nicht glauben.

Seine Lippen weckten Anna aus ihren Zweifeln. Sie berührten ihre Wange, ihre Stirn, ihre Nase. Annas Augen verschlossen sich, als würden sie sich weigern, das Gesehene zu glauben. Dann kam es: Das Gefühl seiner Lippen auf ihren. Warm, sanft, zärtlich küsste er sie, genau so wie an ihrem Geburtstag. Dann erneut. Heute hatte sie kein Fieber, keine Schmerzen, dennoch wurden ihre Knie wieder so weich, wie an eben jenem Tag. Sie krallte ihre Hände in den Ton des Topfes, so sehr, dass sie beinahe daran zerbrachen. Akira ließ nicht von ihr ab. Er küsste sie erneut. Und erneut. Seine Zunge trennten die versiegelten Lippen mit leichter Gewalt. Seine Arme zogen ihren schmalen Körper näher an sich heran, drückten ihn an sich. Der Blumentopf bohrte sich schmerzhaft in Annas Magengrube, bis er es schließlich nicht mehr tat. Akira nahm ihr das Ding aus der Hand, ohne sich von ihr zu lösen, und zog ihren Körper nun so nahe an seinen, dass kein Millimeter Luft mehr zwischen sie passte. Annas Hände suchten seine Brust, hielten daran fest. Sein Herz schlug so schnell, dass es ihres ansteckte. Er schmeckte heute nicht nach Himbeeren und Schokolade, er schmeckte eher nach Pfefferminze und Pfeffer. Ungewöhnlich scharfe Kombination. Akiras Hand vergrub sich in Annas Nacken. Sie hielt das Mädchen so stark fest, als hätte er Angst, sie würde sich sonst in Luft auflösen.

Endlich. Nach einigen Minuten, die wie eine Ewigkeit schienen, hörte Akira auf Anna zu küssen. Er streichelte immer noch die nun glühende, rote Wange und starrte sie mit seinen zum Verlieben schönen Augen an. Anna wusste gar nicht mehr, worüber sie eigentlich gesprochen hatten. Ihre Füße fühlten sich merkwürdig leicht an.

„Ist das okay für dich?“ fragte der Junge dann leise.

„Was?“ Anna brachte nicht mehr als ein Flüstern hervor.

„Mich zu küssen.“ antwortete Akira. Anna hätte ihm am liebsten dafür geschlagen, wie ruhig er das einfach sagen konnte. Die Scham, die er nicht verspürte, spürte sie nun doppelt so sehr. Knallrot verzog sie die Mundwinkel. Eigentlich war es nicht okay. Aber würde sie das sagen, würde er sie vielleicht nie wieder küssen. Aber wollte Anna das überhaupt?

„Ist es okay für dich, wenn ich keine Königin bin?“ fragte sie kleinlaut zurück. Akira schnaufte kurz. Ein Blick verriet Anna, dass er erleichtert war. Seine Hand rutschte von ihrer Wange zu ihrer Hand, hielt sie fest und zog sie hinter sich her, als beide weiter Richtung Zuhause liefen.

Doch die Antwort fehlte. Anna traute sich, noch einmal nach zu fragen. Sie wollte den Moment nicht zerstören. Zögerlich ließ sie die sanfte Berührung an ihrer Hand zu. Ab und zu streichelte er mit seinem Daumen über ihren Handrücken und ließen heiße Spuren zurück. Sie gingen ein paar Schritte.

„Du hast mir immer noch nicht erklärt, wieso du eigentlich so sauer warst… Dass du sogar Kai so würgen würdest.“ brachte Anna schließlich hervor. Sie hatte Angst, er würde seine Hand bei diesen Worten zurück ziehen und drückte sie noch ein bisschen fester.

„Ich finde es nicht okay, wenn du alles und jeden küsst.“ gab er schroff zu, ließ die Hand jedoch nicht los. „Es ist nicht nur deine Kraft. Deine Lippen sind auch kostbar. Stell dir vor, jeder deiner Küsse wäre wie Sex. Mit wievielen Menschen und Dingen hättest du jetzt schon geschlafen?“ Er klang nicht belustigt. Er klang sehr ernst.

„Das ist doch kein Vergleich.“ gab Anna gezwungener Maßen zurück, konnte jedoch nicht das Bild von sich schütteln, mit Shiro geschlafen zu haben. Es war zu komisch.

„Für mich ist es so.“ beendete Akira seine Erklärung und erneut trat Stille ein.

„Sag mir nicht, du bist eifersüchtig...“ rutschte Anna heraus und Akira blieb stehen. Erst nach einigen Sekunden drehte er sich um und schaute Anna über seine Schulter hinweg an, musterte sie, drehte sich dann wieder weg und schwieg weiterhin. War das ein Ja? War das ein Nein? Wieso konnte sie ihn nicht durchschauen?

„Du hast mir auch noch nicht gesagt, was du eigentlich bist.“ fiel dem Mädchen dann ein und starrte auf den Hinterkopf, der sie nicht in seine Gedanken ließ.

„Ist leider immer noch nicht an der Zeit.“ erwiderte Akira daraufhin.

„Wie … Wie ist eigentlich Eve so?“ wollte Anna als nächstes wissen.

„Sie ist okay. Langsam hat sie so ziemlich jeden der Klasse unter ihrem Pantoffel.“ Akiras Desinteresse verdiente einen Nobel-Preis.

„Meinst du, wir müssen uns Sorgen machen? Sie hat ein Tattoo. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los...“ begann die Blondine, doch Akira beendete ihren Satz:

„...Dass sie eine Königin ist? Das selbe habe ich auch schon überlegt.“ Annas Herz verkrampfte sich schmerzhaft. „Und? Wen küsse ich und von wem lasse ich mir Löcher in den Bauch fragen?“ fügte er grinsend hinzu und zog an der Hand, die er hielt, um Anna neben sich laufen zu lassen. Sie verfiel in ein beschämtes, angenehmes Schweigen. Es war anscheinend nicht so, dass jede Königin herhalten konnte.

„Komisch ist es aber schon. Es sollte eigentlich keine zwei Königinnen geben.“ murmelte der junge Mann daraufhin.

„Weiß nicht, kam noch nie vor, so weit ich weiß.“ Auch für Anna war Eves Erscheinen suspekt. „Ich meine, sie zeigt nicht besonders viel Macht oder so...“

„Wirklich?“ fragte Akira verwundert. „Ich finde es schon merkwürdig, dass sie so schnell jeden auf ihrer Seite hat. Keinen scheint es zu stören, dass sie so autoritär ist. Sie ist sogar dabei, sich für die Wahl zum Schülerpräsidenten aufzustellen.“ Anna blickte ihre Begleitung verwundert an. War das sein Ernst?

„Wieso sollte sie so etwas tun? 'ne Schule zu beherrschen ist nicht das selbe, wie die ganze Welt zu beherrschen.“ erwiderte Anna überrascht.

„Ich weiß es nicht, aber es ist mir auch egal. Solange sie keine Probleme macht, braucht es uns nicht zu interessieren.“ Doch Anna interessierte es.

„Meinst du, sie hat einen Shiki?“ fragte sie nach einigen Sekunden hoffnungsvoll. Erneut jagte sie sich einen musternden Blick von Akira ein.

„Schätze schon. Willst du ihn nach Adam fragen?“ Anna nickte. Vielleicht hatte Eves Shiki ja eine Ahnung, was mit Adam passiert war.

„Ich glaube nicht, dass es viel bringen würde, Eve oder ihren Shiki danach zu fragen.“ enttäuschte Akira sie. „Wir können ziemlich fest von der Annahme ausgehen, dass Eve keinerlei Absichten hat, dir irgendwie zu helfen. Ihr seid Rivalen.“

„Sie scheint nicht besonders böse zu sein.“ erwiderte Anna überrascht und dachte an die Momente zurück, die sie mit Eve verbracht hatte. Sie hatte jetzt nichts böses per se gesagt.

„Du bist naiv, wenn du das glaubst. Findest du das Timing nicht komisch? Das Schattenvolk will dich festhalten, hat Adam und verschwindet plötzlich, obwohl sie der Königin ewige Loyalität geschworen haben. Dann verschwindet Mika und eine neue Königin taucht auf. Meinst du nicht, da ist was faul?“

Anna musterte Akiras Gesicht. So weit hatte sie nicht gedacht. Tatsächlich kam es ihr jetzt so vor, dass sie sich mit ihren Sorgen die ganze Zeit im Kreis gedreht hatte.

„Und dass wir Mika nicht finden können, liegt daran, dass…?“ begann sie und Akira seufzte.

„Vielleicht wird sie versteckt. Aber wir können es nicht mit Sicherheit sagen, oder? Immerhin hat Eve nichts getan. Noch nicht.“

Die beiden liefen eine Zeit lang schweigend nebeneinander her. Immer noch Händchen haltend. Langsam spürte Anna, wie ihre Hand zu schwitzen begann und es war nicht nur die Schuld der Septemberhitze. Akira ließ sie einfach nicht los. Sie kamen am Haus der Königin an. Ihre Mutter begrüßte ihre Tochter mit einer stürmischen Umarmung:

„Akira hat angerufen und gesagt, du wärst krank geworden!“ heulte sie besorgt. Das Mädchen blickte aus den Augenwinkeln zum Rotschopf, der ein entschuldigendes Grinsen auf den Backen trug. Schnell ließ sie seine Hand los.

„Ja, aber mir geht’s schon wieder besser. Mach' dir keine Sorgen.“ seufzte Anna, drückte ihre Mutter fest an sich und trennte sich von ihr. „Ich hol' eben meine Sachen, warte kurz.“ erklärte sie dann anschließend Akira und verschwand im Haus. Auf dem Weg in ihr Zimmer konnte Anna noch hören, wie sich ihre Mutter bei Akira bedankte und ihm einen Kaffee anbot.

Auf dem Weg zur Schule hatten die beiden keinen Körperkontakt. Die Blume hatte Anna vorsichtshalber im Zimmer abgestellt, genau so wie ihren Stein, auch wenn sie sich immer noch nicht im Klaren war, was der Stein eigentlich für sie oder ihre Situation tun würde. Auch Akira war sich nicht sicher, was Mirai damit beabsichtigt hatte. Kurz vor dem Schultor dann wartete schon wieder der Alltag – und mit ihm Eve. Sie trug wieder ihr liebstes Lächeln.

„Hey Anna, hey Akira. Ihr kommt zusammen zur Schule?“ fragte sie und ihr Lächeln wurde noch breiter. Machte sie sich über Anna lustig? Die Blondine erwiderte die Begrüßung mit einem halbherzigen Lächeln.

„Hey, Eve.“ grinste Akira unbeeindruckt. Und erneut wollte Anna ihm dafür einen Preis verleihen.

„Hast sie also doch rumgekriegt? Auch wenn's nicht die richtige ist...“ seufzte das Mädchen schamlos. Einer ihrer Finger legte sich nachdenklich an ihr Kinn, während sie Anna musterte. Diese wurde zunehmend irritierter. Anna wusste nicht mal, über welchen Punkt dieser Aussage sie zuerst diskutieren sollte.

„Was meinst du mit 'nicht die richtige'?“ schaffte sie schließlich hervor zu bringen. Eve grinste noch mehr. Wie weit konnte sie ihre Mundwinkel wohl noch Richtung Ohrläppchen befördern?

„Du hast mein Tattoo doch gesehen oder?“ flüsterte sie in einer kleinen, boshaften Melodie.

„Also willst du mir erzählen, dass du auch eine Königin bist?“ hakte Anna skeptisch nach und sie konnte nicht umhin, ihre Zweifel zu zeigen. Wusste Eve überhaupt, was eine Königin war?

„Eine Königin? EINE?“ lachte das Mädchen. Jeglicher Liebreiz an ihr fiel ab, wie alte Farbe. Sie legte eine Hand auf Annas Schulter, als würde sie das Mädchen bemitleiden.

„Du verstehst mich nicht. Ich bin DIE Königin. Du kannst dir nicht mal vorstellen, wie weit meine Mächte reichen. Du weißt nicht, was ich alles schon getan habe und was ich tun werde. Dass du plötzlich in meinem Leben auftauchst ist nur eine von vielen Herausforderungen, die ich bisher schon gemeistert habe. Du wirst kein Hindernis für meinen Weg zum Thron sein.“

Anna starrte Eve an. Ihre schwarzen Auge glühten wie Opale in ihren Augenhöhlen. Sie hatte kein Wort gesagt und doch hallten ihre Wörter so laut in Annas Ohren wieder, dass ihre Trommelfelle zu platzen drohten. Die blonde Königin schwieg. Eve fuhr fort. Ihre Gedanken machten keinen Halt mehr.

„Wie kann es nur sein, dass all' diese liebreizenden Dämonen und Götter dir zu Füßen fallen? Was hast du schon? Blondes, schmutziges Haar. Vielleicht ein hübsches Gesicht. Doch du bläst dich auf, als könntest du alles. Hast du jemals etwas erreicht, außer Menschen zu verletzen? Und du bist ihnen nicht einmal dankbar. Du bist nicht einmal deiner Familie dankbar dafür, dass sie dich erträgt. Oh, wie geht’s eigentlich deinem 'Bruder' ? Habe gehört, er sei bei Verwandten, aber das ist nicht ganz die Wahrheit oder? Lügst du eigentlich jeden an?“ Annas Herz gefror. Woher wusste sie all das? „Adam ist schon ein außergewöhnlich starker Shiki. Aber du nutzt nicht mal sein Potential – das einzige, was er für dich tun soll, ist normale Menschen zu verprügeln. Schämst du dich nicht, ihn für so eine Schandtat auszunutzen? Wieso ist er überhaupt bei dir? Du bist nichts, als eine Fälschung. Und dann kriegst du so einen Shiki ab? Und ich muss mich mit Jiro rumschlagen? Aber vielleicht ist Adam ja auch gar nicht so toll. Anstatt sich um seine 'Königin' zu kümmern, lungert er irgendwo herum und macht sich 'nen schönen Tag. Oder vielleicht hat er auch nur die Schnauze voll von dir? Kein Wunder.“

Ehe Anna ein weiteres Wort vernahm, schepperte es. Ihre eigene Hand riss sie aus den Wortschwall von Eves Gedanken. Ihre Finger klebten noch auf der Wange der Schwarzhaarigen, ihre Haut wurde langsam rot. Auch Annas Fingerkuppen pochten schmerzhaft. Sie hatte Eve einfach eine gescheuert, ohne es recht gewollt zu haben. Akira starrte die beiden Mädchen an.

„Sag mal, geht’s noch?“ fragte eine passierende Schülerin und stellte sich zu Eve. „Hey, alles in Ordnung?“

„Was ist passiert?“ fragte ein anderer Schüler.

Anna fand sich vor dem Schultor wieder. Die Realität, die wie ausgeblendet gewesen war, kehrte zurück. Die Dunkelheit, die sie umgab, wurde heller und zu einem Tuscheln. Geflüster. Beschwerden. Dann laute Stimmen. Immer noch geschockt zog Akira Anna von Eve weg.

„Entschuldige dich gefälligst!“ schnauzte eine weitere Stimme. Die Blondine wurde geschubst. Sie drehte sich um, nur um zu erkennen, dass sie von Schülern umzingelt gewesen war. Seit wann?

Eve erhob ihre Hand. „Schon okay. Ist nichts passiert.“ keuchte sie schmerzhaft und rieb sich über ihre Wange. Annas Augen wanderten auf ihre Schuhe. War das ihr Ernst?

Wortlos, ohne einen Funken Schuld zu zeigen, begann Anna los zu gehen. Sie bohrte sich einen Keil durch die Menschenmenge und bahnte sich den Weg zum Hauptgebäude. Vielleicht mag es so aussehen, als hätte sie kein Recht dazu gehabt, Eve eine zu klatschen. Aber Eve hatte bestimmt kein Recht gehabt, so über ihre Familie zu reden.
 

Immer noch fassungslos erreichte Akira den Raum des Schülerrats. Ren und Mirai waren bereits dort und diskutierten etwas. Seufzend ließ sich der Rotschopf auf einen der Stühle fallen. Ihr Kreis schien zu schrumpfen.

„Wo ist Kai?“ fragte er genervt und unterbrach den Drachengott und Affenkönig.

„Keine Ahnung. Ist auf dem Weg nach Hause verschwunden. Hat gesagt, er hätte etwas zu tun.“ erklärte Mirai schroff. Anscheinend war er immer noch sauer, dass Akira mit Anna abgehauen war. Akira ließ ein lautes Stöhnen von sich und mit einem „Na gut, dann erzähl ich's ihm später“ erklärte der Rothaarige den anderen, was gerade vorgefallen war.

„Also doch.“ seufzte Ren und rieb sich genervt die Augen. Dass Eve eine Königin war, schien ihn nicht zu überraschen. Dennoch machte er sich Sorgen – vor allem nun, da Anna an Kräfte verlieren zu schien. „Vielleicht sollten wir mit ihr reden. Wenn sie die rechtmäßige Königin ist, haben wir nicht viel an Anna zu gewinnen.“

Mirai schnaubte entsetzt. „Das kann nicht dein Ernst sein, Ren.“ sagte er fassungslos.

„Es ist mein Ernst. Würde ich mich in irgendeine Normalsterbliche verlieben wollen, hätte ich es schon getan. Doch was ich brauche ist Macht. Macht, die kein Mensch besitzen kann. Du doch auch oder? Wolltest du nicht die Königin heiraten, damit du endlich den Himmel erobern kannst?“

Mirai verstummte. Er blickte zu Akira.

„Schau' mich nicht so an.“ schnauzte dieser herablassend. „Egal, wie ich zu dem Thema stehe, ich entscheide nicht für dich. Aber eigentlich hatte ich das Gefühl, du würdest Anna gut leiden können?“

Mirai wandte den Blick von Akira wieder ab. „Das selbe könnte ich von dir behaupten.“ murmelte er leise.

„Ob sie oder Eve, das ist meine eigene Entscheidung.“ erklärte Akira sich belanglos.

„Wir sollten überhaupt erst einmal überprüfen, ob Eve noch zu haben ist.“ warf Ren ein. Die anderen beiden sahen überrascht aus. Daran hatten sie noch gar nicht gedacht.

„Stimmt, wenn Eve keine Jungfrau ist oder sich verliebt hat, bringt es uns nicht viel oder?“ überlegte Akira laut. „Ich frag' mich, welchen von den Deppen sie sich ausgesucht hat.“

„Wer steht denn zur Auswahl?“ fragte Mirai nach.

„Von dem, was ich so gesehen habe, hat sie folgende Leute in ihrem Gefolge: Shiki, Werwolf, Dämon, Tengu und den Mondgott.“ las Ren von einem Blatt Papier ab.

„Einen Mondgott?“ fragte Mirai verblüfft. „Woher weißt du das?“

„Ich bin ein Drachengott, Wukong. Ich erkenne einen Gott, wenn ich ihn sehe.“ schnauzte Ren genervt.

„Welcher von ihnen könnte es sein?“ säuselte Akira und begann in seinem Stuhl zu kippeln. Mirai seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Schweigen trat ein.

„Meint ihr, Kai würde Eve mehr Beachtung schenken, als Anna?“ schoss er dann plötzlich hervor. Akira und Ren schauten ihn verwundert an, dann prustete der Rotschopf und brach in ein herzliches Lachen aus.

„Kai? Der ist doch bis über beide Ohren in Anna verknallt.“ lachte er und zeigte mit einem Finger auf Mirais dummes Gesicht, als würde es lächerlich sein, dass er überhaupt darüber nachgedacht hatte. Dieser schien sichtlich genervt von Akira zu sein.

„Ganz ehrlich, Aki. Findest du es nicht komisch? Er stand vor einer splitterfasernackten Anna und hat nicht mal so getan, als hätte er sie angefasst. Er hat sich nicht an sie ran gemacht, wie er es bei anderen Mädchen tun würde. Und als sie mit Shiro aus dem Wald kam, war er nicht einmal wütend oder besorgt, dass sie weg gewesen war. Als wäre es ihm völlig egal gewesen.“ Mirai schien sehr skeptisch zu sein, was Kai an ging.

„Heißt das nicht einfach, dass sie ihm wichtig ist?“ wollte Akira im Gegenzug wissen.

„Wichtig? Dieser Blutsauger, der Frauen nur zum Vögeln und Trinken benutzt?“ lachte Mirai trocken auf. Ren räusperte sich.

„Gehen wir einmal davon aus, dass Anna keine Königin ist und Kai sie trotzdem lieben würde. Was würdet ihr tun?“ fragte er gelassen. Mirai verzog das Gesicht. Akira starrte weiterhin an die Wand.

„Was ich tun würde?“ fauchte der Affengott dann, fand aber keine Worte. Was WÜRDE er tun?

Seitdem wurde Kai nicht mehr gesehen.



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