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Die Chroniken der Tierdämonen

Eine Sammlung der Legenden Rerutias
von

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Die Legende des Schwarzen Sees

Manchmal beginnt das größte Übel an den unscheinbarsten Orten. Strohgedeckte, gutbäuerliche Stuben, die zum Herd von Großbränden werden, malerische Flüsse, die von den Geistern der Natur beflügelt, ganze Landstriche verschlingen, Studierzimmer, die der Grund sind, auf dem Kriege erblühen und auch der schwarze See ist ein solcher Ort. Das Gewässer selbst mag verhältnismäßig harmlos erscheinen und ist es auch, wenn der Betrachter von vielen tückischen Stellen absieht, die unvorsichtig Reisende in Sicherheit wähnen, nur um sie anschließend auf ewig in den kalten Tiefen der Fluten zu verschlucken. Besonders Schatzsucher, die von Gerüchten über seltene Erzvorkommen im und um den See angelockt werden, finden so ein meist stilles und unrühmliches Ende. Jedoch ist nicht dies der Grund, aus dem die Wölfe, furchtlose Bewohner des Landes Miyerrenèn den See und selbst die umliegenden Gebiete nur ungern betreten. Es ist vielmehr die Geschichte dieses Ortes, eine unausgesprochene Drohung und mahnende Weissagung, die über Jahrhunderte bis heute Unwohlsein und Vorsicht bei vielen Bewohnern Rerutias schürt.
 

Erbarmungslos prasselte schneidender Regen vom Himmel herab, als die Wagen des Rudels, gezwungen durch die Unebenheiten des Bodens, zum Stehen kamen. Sie waren seit den frühen Morgenstunden unterwegs, hatten bereits die letzten Tage unter diesen Umständen reisend verbracht und langsam machte sich allgemeine Unzufriedenheit unter den Anwesenden breit. Auch Finch, ein Jäger des Rudels, der gerade seinen neunundzwanzigsten Lenz erlebte, rümpfte die Nase und versuchte mit allen Mitteln, sich und seine wenigen Habseligkeiten möglichst trocken zu halten. Das nasse Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht, während er versuchte, in der Luft, die vom Geruch nassen Büffels und dem aufgeregten Geschnatter der Jungen und Alten des Rudels geschwängert war, die einzelne Stimme glockenhelle Stimme des Alphaweibchens auszumachen. Mit mäßigem Erfolg gesegnet, lehnte er sich schließlich erschöpft an eins der Gefährte. Irgendwann würden Aniks Befehle ihn auch von ganz allein erreichen. Er selbst war bereits den ganzen Tag im hinteren Teil der Kolonne neben den massiven Karren her getrottet und nach herannahenden Gefahren Ausschau gehalten.

In diesen Gefilden konnte selbst eine Schlange, die eins der Zugbüffel verängstigte, eine Gefahr darstellen und die Weiterreise gefährden und so war es seit jeher die Aufgabe der Jäger gewesen, die sichere Weiterreise für alle zu gewährleisten. So gut dieses Unterfangen auch heute geklappt hatte, trug seine Position nicht gerade dazu bei, dass er etwas von den Plänen der Rudelführung erfuhr, auch wenn ihn die Hoffnung auf längere Rast mindestens so sehr tränkte, wie es die Kühle des Regens tat. Anik musste nach einem solchen Tag einfach klar sein, dass das Reisen unter diesen Umständen mehr Schaden als Fortschritt mit sich brachte. Wie oft waren die breiten Räder der Wagen allein heute im unwegsam gewordenen Erdboden verschwunden und hatten sie zum Halt gezwungen? Wie viel Schaden hatte der Regen wohl an ihren Vorräten oder am Zustand der Gebrechlicheren angerichtet? All dies waren Dinge, die sie sicherlich nicht übersehen würde. Außerdem lag das Smaragdmeer, der größte See des Reiches, in greifbarer Nähe. Das fruchtbare Land würde viele grasende Beutetiere angezogen haben und Finch war sich sicher, dass er es mit einer Gesandtschaft einiger Jäger sogar schaffen konnte, den See selbst binnen einer Tagesreise in tierischer Form zu erreichen und das Rudel mit Fisch zu versorgen. Vielleicht würden sogar diese schrecklichen Regengüsse endlich ein Ende finden. Vielleicht würde er dann endlich wieder schlafen können…

Noch immer ermüdet, schloss der Wolf die Augen und verschränkte die Arme vorm Oberkörper, um wenigstens die letzten kläglichen Reste von Körperwärme bei sich zu behalten. Solch starker Regen zu dieser Jahreszeit war nichts Normales. Er erinnerte sich noch genau daran, wie das Rudel schließlich die Schamanin befragt hatte, als die unaufhaltsamen Güsse ihren Hochpunkt erreichten. Finch war nie besonders spirituell gewesen, hatte die zuverlässige Klinge eines Jagdmessers und die warmen Nächte am Lagerfeuer mehr geschätzt als Gewäsch über Geister und Omen. Doch selbst ihm hatten die Worte der Geisterfrau und Heilerin ein unangenehmes Kribbeln bereitet.

Noch genau zeichneten sich die verrunzelten Hände der Frau vor seinem inneren Auge ab, wie sie aus Walknochen geschnitzte Runen über die drohende Glut tanzen ließen. Die Armreife der Alten klapperten noch immer in seinen Ohren, während ihre bereits gebrochene Stimme versuchte, sich voll aufrichtiger Besorgnis über den allgegenwärtigen Regen zu erheben. „Die Geister haben gesprochen und mich vor großem Unheil gewarnt. Einem Unheil, das den Tag verdunkeln und unsere Seelen so durchdringen wird, wie die Fluten des Himmels es nun mit unseren Körpern tun.“ Geraune, voller Angst und teils Skepsis, hatte sich unter den Anwesenden ausgebreitet, während die Alte sich wieder in ihr Zelt zurückzog, um mit Anik allein über die Vision der Runen zu sprechen. Er selbst hatte zunächst zu letzterer Gruppe gehört. Ein Übel solchen Ausmaßes hatte sich seinem Verständnis entzogen. Was sollte sie auch auf diese Weise heimsuchen? Was die Alte gesagt hatte, hatte eindeutig nach Magie geklungen und jeder wusste, wie weit sie von Magiern entfernt waren. All das war einfach unwirklich erschienen, klang aber auch zu beunruhigend, um es vollends zu ignorieren. Auch wenn es ihm nicht behagte, wusste er, dass diese Möglichkeit eine Gefahr für alle, die ihm wichtig war, bedeutete, wenn sie denn wirklich. Finch war recht sicher, dass er nicht der einzige war, der seit diesem Moment keine Nacht mehr wirklich ruhig verbracht hatte. Versuche des Alphaweibchens, die Angst der Rudelmitglieder zu tilgen, zeigten sich wenig erfolgreich. Wenn das Wetter sich allerdings beruhigte, ohne dass das prophezeite Unheil eintrat, würden sie sicher sein, sagte sie. Die Schamanin schloss diese Möglichkeit nicht aus und so hofften alle auf ein nahes Ende des Regens, der ebenso wie die Prophezeiung auf die Gemüter der Reisenden drückte.

Lärm aus den vorderen Teilen der Karawane riss den Jäger aus seinen Gedanken und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse. Anik hatte endlich einen Beschluss gefasst. Selbst die Alten reckten angesichts dieser Veränderung ihre Köpfe aus den wetterfest gemachten Karren und versuchten, einen Fetzen ihrer Worte zu erhaschen. „Hört mich an, Mitglieder des Rudels. Die Nacht ist noch weit aber wir werden trotzdem hier unser Lager aufschlagen. Der Regen macht die Weiterreise im Moment unmöglich und wie es aussieht ist eine Achse des Versorgungskarrens gebrochen.“ Unzufriedenes Murmeln breitete sich aus, schwoll aber sofort wieder ab, als die klare aber deutlich ermüdete Stimme der Anführerin einfach durch es hindurch schnitt. „Es sieht aus als müssten wir länger hier bleiben, um die Schäden zumindest notdürftig zu versorgen. Wir beginnen nun mit dem Aufbau des Lagers. Ich bitte die Jäger, sich danach bei mir zu melden. Wir müssen die Nachtwache und die Jagdpatrouillen für die kommenden Tage einteilen.“ Zwar konnte er sie nicht sehen, jedoch war Finch sich sicher, dass sie gerade die vorderen Teile des Konvois mit einer wedelnden Geste ihrer Rechten entließ, wie sie es immer tat. Gehorsam, wenn auch träge, stieß er sich nach einem Moment vom Karren ab und erledigte die Aufgaben, die ihm beim Aufbau des heutigen Lagers genauso zufielen, wie es schon bei allen früheren der Fall gewesen war.

Die Dunkelheit hatte sich wie ein schützender Mantel aus Kälte um das mit Regen getränkte Land gehüllt, als die letzten Zelte aufgebaut und die Fackelanlagen um die Lagergrenzen gesteckt waren. Auch Finch betrachtete sein Werk zufrieden. Das Zelt, das er sich mit seinem Mitjäger Sos, einem eher einfachen und recht furchtsamen jüngeren Wolf, teilte, stand sicher an Ort und Stelle und würde selbst bei diesem Wetter so schnell nicht vom Wind davongetragen werden. Der Andere war schon mit einigen Jägern zu Anik gezogen, als Finch noch beschäftigt war, Teile seines Hab und Guts zu prüfen. Nun zog aber auch er durch das Lager und beobachtete im Vorbeigehen auf dem Weg zum Zelt des Alphaweibchens Eltern, die ihre widerwilligen Sprösslinge vom Spielen im Regen in die Sicherheit ihrer Zelte zu ziehen versuchten. Die meisten der Kleinen waren vom langen Stillsitzen im Wagen noch aufgedreht und so gestaltete sich das Einfangen nicht in jedem Fall als einfaches Unterfangen. Ab und an ließ der ältere Wolf gegenüber den Jüngeren ein paar mahnende Worte fallen, während er sich zufrieden zum Zelt im Zentrum des Lagers begab.

Als er schließlich unter die Plane des Aufbaus huschte, erwartete ihn bereits ein glühendes Paar gelber Augen mit gewisser spielerischer Strenge. „Du brauchst wie üblich sehr lang.“ Die einfache Feststellung der Höhergestellten ließ ihm keine Gelegenheit für Ausreden, auch wenn er wusste, dass sie kein Vorwurf war. „Naja du weißt, was das bedeutet. Die Anderen haben ihren Platz in der Einteilung. Wer zuletzt kommt, muss die übrigen Positionen ausfüllen. Du wirst heute die Wache um Mitternacht übernehmen. Morgen wirst du dann mit Sos und Deja in Richtung des Smaragdmeers aufbrechen. Ich fürchte, dass der Regen unseren Vorräten zugesetzt hat. Wenn ihr entsprechend Fisch mitbringen würdet, wäre das also äußerst willkommen.“ Zu diesen Anweisungen gab es nicht mehr viel zu sagen und wenn er vor seiner Wache noch etwas Schlaf bekommen wollte, hatte er nicht mehr viel Zeit. Mit einer freundlichen Verbeugung leitete er dementsprechend seinen Abgang ein. „Klar Anik. Ich werd mich drum kümmern. Bin echt froh, dass wir mal wieder irgendwo bleiben.“ Mit müdem Schritt entfernte Finch sich vom Zelt der Befehlshabenden, um sich in seinem eigenen etwas Ruhe zu gönnen, bevor er wieder mit seinen Aufgaben konfrontiert werden würde.

Es vergingen nur wenige Stunden, ehe der Platz des Jägers nicht mehr unter seinen behaglich warmen Decken aus Fell, sondern am Rande des Lagers war. Die vorherige Wachschicht hatte ihn geweckt, damit er gemeinsam mit Deja, sie hatte anscheinend nur kurz vor seinem Auftreten das Zelt verlassen, seine Schicht wahrnehmen konnte. Deja war keine besonders gesprächige Zeitgenossin und so blieb nichts Anderes übrig als stumm auf die Steppe hinauszuschauen und um seine Hälfte des Lagers zu patrouillieren. Vermutlich hätte die räumliche Entfernung zwischen beiden gemütliche Unterhaltungen sowieso zunichte gemacht. Leichter Nieselregen ergoss sich unentwegt über dem Lager, während er also versuchte, seine Aufmerksamkeit auf die Landschaft zu lenken. Ruhe war scheinbar allgemein eingekehrt, nächtliche Wanderer des Rudels waren auch zum Schlafen gekommen und allgemein wirkte die Situation erholsam sicher.

Seine Schicht war bereits nah ihres Endes, als diese trügerische Sicherheit schließlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen, gefolgt von einem unerwarteten Erzittern der Erde ihr Ende fand. Instinktiv wanderte seine Rechte zur Armbrust an seiner Hüfte, auch wenn er wusste, dass diese das Erdbeben wohl kaum beeindrucken würde und für einen Moment schien es, als ob sich ein Leuchten in der Steppe ausbreitete. Noch bevor er sich jedoch Gedanken über seinen Ursprung machen konnte, forderten andere Umstände seine Aufmerksamkeit. Die Erde bebte weiterhin und es schien als wären einige der Fackeln umgefallen und nun dabei, Teile der Zeltanlage in Brand zu stecken. Panik machte sich unter den Erwachten breit, die ihre Zelte jedoch aufgrund des Bebens, das selbst dem erfahrenen Jäger fast den Boden unter den Füßen weggerissen hätte, nicht verließen. Einzig und allein die erwachten Jäger und Anik wuselten gemeinsam mit den beiden Nachtwachen wie geschäftige Ameisen durch das Lager, verhinderten Brände oder erstickten jene, die bereits angefangen hatten. Schließlich war es nur noch das Licht des fahlen und vollen Mondes, das das Lager mittlerweile nicht mehr bebende erhellte und die Gesichter der Versammelten in Zwielicht hüllte. Die Jäger hatten sich versammelt, hatten die Umstände nicht ignorieren wollen und warteten vor dem Zelt der Anführerin auf eben jene. Diese ließ nicht lang auf sich warten und bedachte die Anwesenden mit wissenden Blicken, ehe sie geistesgegenwärtig Anweisungen an die Versammelten weitergab. Scheinbar waren einige der Zelte durch das Beben zusammengefallen und mussten neu aufgebaut werden, außerdem standen noch weitere Sicherungsarbeiten an. Auch wenn ihn der Zustand seiner Lieben beunruhigte, gelang es Finch jedoch nicht, wirklich anwesend zu bleiben.

Viel zu sehr hatte sich das geisterhafte Leuchten in seinen Geist eingebrannt. Weit entfernt war es nicht gewesen und auch der zarte Nieselregen hatte seitdem nicht mehr gestoppt. Was nun dort lauerte, konnte eine viel größere Gefahr sein als das Beben. Mit Mut, den er später bereuen würde, erhob er das Wort über das sorgenvolle Raunen der anderen Wachen, sah direkt in die Augen seiner noch in ihre Reisekleidung gehüllte Anführerin. „Anik, ich weiß, dass hier gerade wichtige Arbeiten anstehen. Ich hab aber etwas gesehen, was vermutlich gefährlich sein könnte. Kurz nach dem Anfang des Bebens hat es in der Steppe zu Glühen begonnen. Ich hab keine Ahnung, was da los ist aber ich will nachsehen, ob es uns gefährlich werden kann.“ Die ernste Entschlossenheit in seinem Blick und die ungläubigen Gesichter der Anderen trafen sich in einem Duell, dessen Ausgang schließlich nach einigen stillen Momenten von den Worten der Anführerin entschieden wurde. „Unter normalen Umständen würde ich dir das Ganze nicht erlauben. Leuchten hin oder her, wir brauchen hier jeden Mann und jede Frau. Wenn ich aber daran denke, welche Omen wir in letzter Zeit erhalten haben und wie selten Erdbeben normalerweise sind… ändert sich mein Bild der Lage. Erwarte deswegen aber nicht zu viel Hilfe. Wie gesagt brauchen wir hier jeden. Wenn du gehst, gehst du allein.“ Der Ernst ihrer Worte stellte sich ihm herausfordernd entgegen. Es brauchte einen Moment, ehe Finch sich dazu in der Lage sah, seine endgültige Entscheidung mitzuteilen. Ihm war klar, dass dieser Ausflug seinen Tod bedeuten konnte. Ebenso gefährlich war es jedoch, die Sache nicht untersucht zu lassen. Mit von Angst getrübter Entschlossenheit im Blick rang er sich zu einem Nicken durch. „Ich weiß und das werde ich.“ Einhändig entzündete er eine der verbliebenen Ersatzfackeln am Lagerfeuer im Zentrum und wandte sich bereits zum Gehen. „Sollte ich bis zum Morgengrauen nicht wieder da sein, packt ihr alles so schnell ihr könnt ein und verschwindet. Ich will mein Leben nicht umsonst riskieren.“

Der Jäger war sich nicht sicher, wie viel Marsch bereits zwischen ihm und dem Lager lag, fest stand jedoch, dass er mit jedem Schritt, den er sich von den schützenden Zelten des Rudels entfernte, nervöser wurde. Es war töricht anzunehmen, dass die dünnen Tierhäute ihn vor einem magischen Etwas schützen konnten, das dazu in der Lage war, ein Erdbeben zu verursachen und das wusste er. Nicht einmal die kühnsten Geschichten, die man sich über die Füchse erzählte, beinhalteten eine solche Form von Macht. Vorsicht war also geboten, das war ihm klar und so entzündete er vorsichtshalber, die zweite Fackel, die er mit sich trug, bevor der Nieselregen die kläglichen Überreste der Ersten endgültig zum Erlöschen bringen würde. Die neuerlich aufflammende Wärme des kleinen Feuers gab ihm Kraft, motivierte seinen müden Körper zum Weitermachen und nahm die Angst und Kälte, die seine Begleiter auf dieser Reise ins Ungewisse waren, von ihm.

Fast wäre er in seinem Eifer doch tatsächlich in das monumentale Loch gefallen, das sich mit einer Plötzlichkeit vor ihm auftat, mit der man der geographischen Gegebenheit fast schon Heimtücke unterstellen konnte. Im letzten Moment jedoch spürten seine geübten Füße das abfallende Terrain und begaben sich mit einem reflexartigen Schrei ein paar Schritte zurück. Als sein beschleunigter Puls sich langsam zu beruhigen begann und Finch sich sicher war, dass der Boden unter ihm an Ort und Stelle bleiben würde, begann er, sich vorsichtig mit dem schwachen Licht der Fackel am Rand des Loches entlangzutasten. Wie es aussah gab es trotz des stark abfallenden Grundes flachere Stellen, die er vorsichtig dazu nutzte, weiter ins Zentrum der Seltsamkeit vorzudringen.

Bereits nach kurzer Erkundung des Ortes, machte sich ein ungutes Gefühl in ihm breit. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass er von einem Ort wie diesem noch nie gehört hatte und etwas Derartiges auch auf keiner Karte eingezeichnet war. Sicher war, dass die scheinbar bodenlose Tiefe der unerreichbaren Teile ihm Unbehagen bereitete. Mit gewisser Erleichterung im Herzen wollte er sich schon auf den Rückweg machen, als dem Jäger schließlich klar wurde, was genau das Problem war. Der Boden, auf dem er sich bewegte, war trocken. Mit beschleunigendem Puls hielt er bei diesem Gedanken inne. Sicherlich hatte das Nieseln der letzten Stunden seine Spuren hinterlassen aber der Boden war weitgehend trocken, auf jeden Fall nicht so durchweicht und durchnässt wie die Gefilde, die er auf dem Weg hierher durchquert hatte. Wie um seine Erkenntnis zu bestätigen, schwoll ein Grollen aus den Tiefen des Dunkels an, während ein Gedanke in seinem Kopf wie ein wütender Schwarm Bienen laut wurde und die Ereignisse der letzten Stunden in einen sinnvollen Rahmen rückte. „Das hier… Das hier ist kein Loch. Es ist ein Krater. Und er ist neu.“ Mit mittlerweile rasendem Herzen wandte Finch seinen Blick in Richtung des Kraters und des Grollens. Panik füllte seine durch die Kälte bleiern gewordenen Glieder, als sich ungeahnt zwei purpurn glimmende Schlote aus den Tiefen erhoben und in der Nacht verschwanden. Der Jäger gab sich selbst keine Zeit, um über den Ursprung der seltsamen Augen nachzudenken und flüchtete mit neu erwachten Kräften und der Angst, sein Rudel niemals wieder zu sehen. Was auch immer aus dem Krater gekrochen war, es war groß und mächtig genug, um nicht nur sie, sondern das ganze Reich von der Landkarte zu tilgen.
 

Tatsächlich sollte das Wesen, das in dieser Nacht den Kontinent Rerutia betrat, nicht allein bleiben. Schon kurz darauf sollte noch ein zweites dieser Wesen die Welt betreten. Die Tiedämonen bezeichneten sie als Sternendrachen, nannten sie bei den Namen Rhydwyn und Lekashir und lernten früher oder später, sie für das, was sie waren, zu fürchten. Gemeinsam lösten beide schließlich einen Krieg aus, der Rerutia wie kein anderes Ereignis erschütterte und auf allen Seiten zahlreiche Leben forderte. Nur mit vereinter Macht aller vier Völker sollte es schließlich gelingen, diese Gefahr zu bannen. Der Krater sollte von diesen Geschehnissen in naher Zukunft nicht allzu viel mitbekommen. Der Regen, der weiterhin prasselte als habe er darauf gewartet, einen zweiten Ozean zu füllen, und Zuflüsse vom benachbarten Smaragdmeer sorgten dafür, dass er sich im Laufe der Jahre mit Wasser füllte und zu dem wurde, was heute als Schwarzer See bekannt ist.



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