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For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky

von

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Cullen

„Kommandant Cullen?“

Cullen sah nicht sofort auf, sondern las erst die Nachricht zu Ende, die Leliana ihm geschickt hatte. Dann griff er nach der Feder und verfasste ein kurzes Antwortscheiben, das er dem wartenden Boten überreichte, der sich nach einer knappen Verbeugung unverzüglich wieder auf den Weg machte.

Nachdem der Bote verschwunden war, wandte Cullen sich schließlich seinem Besucher zu – und hob überrascht die Augenbrauen, als er Dorian erblickte, der sich interessiert im Raum umsah.

„Nett habt Ihr es hier“, kommentierte der Magier, während sein Blick über das Chaos aus Landkarten, unsortierten Bücherstapeln, Rüstungsteilen und Kisten mit persönlichen Besitztümern schweifte, bevor er an dem Loch in der Decke hängenblieb, in dem sich einst eine Falltür befunden haben musste. „Sehr rustikal.“

„Ich hatte bisher noch nicht die Zeit, mich häuslich einzurichten“, entgegnete Cullen knapp und mied seinen Blick.

Seitdem sie die Festung erreicht hatten, hatte er sich verbissen in die Arbeit gestürzt – zum einen, weil es tausend verschiedene Dinge gab, die erledigt werden mussten, seitdem die Inquisition die Himmelsfeste zu ihrer neuen Heimat erklärt hatte, und zum anderen auch, weil es das Band zu Dorian erträglicher machte, wenn er sich gedanklich auf andere Dinge konzentrierte.

Der Rauschzustand, den Varric ihm beschrieben hatte, hielt noch immer an, auch wenn er mittlerweile etwas nachgelassen hatte. Dennoch gruben sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handinnenflächen, während er den Impuls unterdrückte, näherzutreten und Dorian zu berühren, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und mit dem Daumen über diesen lächerlichen, wundervollen Schnurrbart zu streichen.

„Das sehe ich“, meinte der andere, doch seine Stimme war warm und es war kein Spott darin.

„Was ist dort oben?“, fragte er dann und gestikulierte zu dem Loch in der Decke hinauf.

Cullens Augen folgten seinem Blick.

„Vermutlich ein alter Lagerraum“, sagte er. „Die Treppe, die einst hinaufführte, ist verrottet, darum konnte ich mich noch nicht dort umsehen.“

Er hatte den Turm vor allem wegen seiner Lage zu seinem Arbeitszimmer auserkoren. Der Raum war über die Wehrmauern von allen Seiten aus gut zu erreichen und thronte zudem über dem Haupttor der Himmelsfeste, so dass Cullen stets sehen konnte, wer die Festung betrat oder verließ.

„Warum nehmt Ihr keine Leiter?“

Cullen blinzelte. „Wie bitte?“

„Eine Leiter“, wiederholte Dorian geduldig. „Leichter zu bauen, weniger Aufwand. – Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber mich würde es wahnsinnig machen, wenn über mir ein Loch in der Decke wäre und ich nicht wüsste, was sich dahinter befindet.“

„Hm“, machte Cullen nur. Der Vorschlag war nicht schlecht. Sobald der nächste Bote ihres neuen Quartiermeisters eintraf, würde er ihm eine entsprechende Nachricht mitschicken. Vielleicht konnte er den Raum über seinem Arbeitszimmer nicht nur als Abstellraum nutzen, sondern auch als Schlafraum. Bisher hatte er auf einem provisorischen Lager zwischen all den Kisten geschlafen, doch das war kein akzeptabler Dauerzustand. Die Kopfschmerzen waren schon kaum zu ertragen, er musste sich nicht auch noch mit Rückenschmerzen herumärgern.

„Verzeiht mir die Frage, Serah Pavus“, sagte er dann und zwang sich, Dorian ruhig anzusehen, „aber Ihr seid sicher nicht nur hergekommen, um den Zustand meiner Räumlichkeiten zu kommentieren. Gibt es etwas Bestimmtes, was Ihr von mir wolltet?“

„Ah“, entgegnete Dorian. „Gewiss.“

Er trat einen Schritt näher und es kostete Cullen alle Willenskraft, stehenzubleiben und nicht zurückzutreten, um wieder etwas Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

Bei Andraste, das Band wird dir noch den Verstand rauben.

„Minaeve und ich überlegen schon seit einigen Tagen, im Rundturm eine Bibliothek einzurichten“, erzählte Dorian. „Sie konnte zahlreiche Bücher aus der Bibliothek von Haven vor der Vernichtung bewahren und sucht nun nach einem geeigneten Platz dafür. Und wenn die Inquisition zukünftig weitere Werke erwerben sollte, wäre dies der beste Ort, sie zu sammeln, so dass alle davon profitieren und sich neues Wissen aneignen können.“

Cullen nickte.

„Ein sinnvoller Vorschlag“, meinte er.

„Ich weiß“, entgegnete Dorian und rümpfte die Nase. „Er stammt schließlich von mir.“

Cullen verschränkte amüsiert die Arme vor der Brust.

„Und wie kann ich Euch dabei weiterhelfen?“, fragte er.

„Wir haben eine Reihe alter Regale in den Kellerräumen unter der Festung gefunden, die wir für diesen Zweck verwenden wollen“, sagte Dorian. „Was wir brauchen, sind Helfer, die sie in den Turm hinauftragen. Falls Ihr also einige Eurer Rekruten für ein paar Stunden entbehren könntet...“

„Natürlich.“ Cullen nickte. „Das sollte kein Problem sein.“

Würde er nicht bis zum Hals in Arbeit stecken und würde Dorians Nähe es nicht so schwer machen, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, dann würde er ihm auch persönlich seine Hilfe anbieten.

Doch das Lächeln, das der andere ihm schenkte, als er seine Worte hörte, entschädigte Cullen für die verpasste Gelegenheit.

„Ich danke Euch“, entgegnete er. „Ihr werdet diese Entscheidung nicht bereuen.“

Das hatte ich auch nicht vor, dachte Cullen, während er Dorian anstarrte und sich fragte, wie es sich wohl anfühlen würde, mit den Fingerkuppen über die kurzgeschorenen Haare an der Seite seines Kopfes zu fahren.

Zum Glück hatte sich der andere bereits zum Gehen gewandt und bemerkte seinen Blick nicht.

„Wir wollen morgen nach dem Frühstück mit dem Umräumen beginnen“, sagte er, während er die Hand auf den Türgriff legte.

„Ich werde meinen Leuten Bescheid sagen“, versprach Cullen.

Dorian nickte ihm zum Abschied zu, dann verließ er den Raum.

Cullen atmete langsam aus und spürte, wie dabei die Anspannung aus seinem Körper wich. Seine Handflächen schmerzten von dem Druck, den seine Fingernägel auf sie ausgeübt hatten, und hätte er keine Lederhandschuhe getragen, würden sie nun zweifellos bluten.

Verdammt, dachte Cullen und schloss die Augen. Verdammt, verdammt, verdammt.

 

Die Zeit verging wie im Fluge und es war bereits eine Woche vergangen, als Cullen das nächste Mal an sein Gespräch mit Dorian denken musste.

In Zusammenarbeit mit der Schmiede hatte Ser Morris, der Quartiermeister der Himmelsfeste, auf Cullens Bitte hin eine Leiter anfertigen lassen, die ihm den Zugang zu dem oberen Turmzimmer ermöglichte.

Der Raum war wie erwartet eine Rumpelkammer, in der zahllose alte Möbelstücke gelagert waren, darunter ein wuchtiger Schreibtisch, den Cullen später nach unten transportieren lassen würde, da er ihn bei seiner Arbeit gebrauchen konnte. Er entdeckte auch einen Bettkasten, den er in eine Ecke des Raumes schob, fort von den Ranken, die an einer Wand emporwuchsen.

Wären die Bretter, die dem Raum als Decke dienten, nicht an manchen Stellen heruntergefallen, wäre es wohl vollkommen dunkel gewesen, da die schmalen Fenster völlig verdreckt waren. Cullen sah nachdenklich zur löchrigen Zimmerdecke hinauf. Es wäre kein großer Aufwand, die Bretter wieder anzunageln, doch irgendwie hatte der verstreute Lichteinfall, der ein sich stetig veränderndes Muster aus Hell und Dunkel auf den Boden warf, einen ganz eigenen Charme.

Und solange sein Bett an einer Stelle stand, wo die Decke noch intakt war, so dass er nach einem nächtlichen Regenschauer nicht völlig durchnässt sein würde, sah Cullen keinen akuten Veränderungsbedarf.

Außerdem würde er sich eh nur zum Schlafen in diesem Raum aufhalten. Er hatte viel zu viel zu tun, um mehr als seine – in der Regel kurzen, unruhigen – Nächte hier zu verbringen.

Für einen Augenblick musste er wieder an Dorian denken, und er fragte sich, in welchem Teil der Festung sich der Magier eingerichtet hatte. Die Himmelsfeste war so unvorstellbar groß, dass sie im Moment nicht genug Leute hatten, um jeden Raum zu besetzen, und es gab ganze Teile der Festung, insbesondere die Keller tief unter der großen Halle, die noch immer nicht vollständig erkundet worden waren. Wer konnte sagen, was sie noch alles in den Tiefen des Berges entdecken würden...?

Eigenartig, dass wir seit Jahrhunderten die ersten sind, die sie besetzen, dachte er.

Nur wenige Kilometer entfernt führte eine Handelsstraße durch das Gebirge, die zwar wenig, aber regelmäßig genutzt wurde. Die Kundschafter der Inquisition hatten bereits mit einigen der durchreisenden Händler Kontakt aufgenommen, und diese hatten ihnen erzählt, dass sie sich zwar immer der Existenz der Festung bewusst gewesen waren und sie in der Ferne gesehen hatten, sie aber für eine Ruine gehalten hatten. Sie alle waren sehr überrascht gewesen zu hören, in welch gutem Zustand sie sich noch befand.

Cullen vermutete, dass dies kein Zufall war und möglicherweise ein Zauber auf der Festung gelegen hatte, die sie vor Wegelagerern bewahrt hatte, aber er konnte dieses Gefühl nicht begründen.

Fest stand jedoch, dass es etwas gab, das die Himmelsfeste zu einem ganz besonderen Ort machte. Die Luft hier war wärmer, als sie es so hoch in den Bergen hätte sein dürfen, und auch dass der Garten so zahlreiche verschiedene Pflanzen beherbergte, von denen viele in dieser Region nicht heimisch waren, war sehr ungewöhnlich.

Doch falls Magie auf der Festung lag, dann war sie sehr alt, denn der Schleier war hier nicht dünner, als an den meisten anderen Orten in Thedas auch. Wäre es anders, dann hätten die Magier der Inquisition schon längst darauf hingewiesen, und Cullen hätte sich Gedanken darum machen müssen, wie man sie vor Dämonen beschützen konnte.

Und das wäre nur der Anfang einer Reihe weiterer Probleme gewesen, denn derzeit herrschte ein Ungleichgewicht von Magiern und Templern in der Inquisition, und wenn Cullen eines unter allen Umständen vermeiden wollte, dann war es, Zirkelverhältnisse herzustellen.

Er hatte sich geschworen, nie wieder Teil jenes Systems zu werden.

Zum Glück war Ser Barris klug genug gewesen, seine Templer in dem Turm der Festung unterzubringen, der am weitesten von der neu eingerichteten Bibliothek entfernt war – dem Ort, an dem sich viele der Magier nun tagsüber aufhielten, um ihren Recherchen nachzugehen. Er und Cullen würden mit der Zeit gemeinsam nach einer Möglichkeit suchen, wie beide Fraktionen miteinander arbeiten konnten, ohne dass es zu unschönen Vorfällen kam, doch vorerst würde es das Beste sein, sie räumlich voneinander zu trennen.

Während er die restlichen Möbel begutachtete, die er im Dachzimmer vorgefunden hatte – größtenteils Truhen und Regale, die er in seinem Arbeitszimmer aufstellen würde – fiel sein Blick auf einen Sessel, dessen einst herrliches Polster schon vor langer Zeit dem Schimmel zum Opfer gefallen war. Das Holz darunter war jedoch noch immer in einem guten Zustand, und mit neuem Polster und Bezug würde es zweifellos eine äußerst komfortable Sitzgelegenheit abgeben.

Das brachte Cullen auf eine Idee.

Es würde ein paar Tage dauern, jemanden zu finden, der auf solche Arbeiten spezialisiert war, und eine nicht unbeträchtliche Geldsumme erfordern, um die notwendigen Materialien heranzuschaffen, aber mit etwas Geduld würde er seinen Plan in wenigen Wochen in die Tat umsetzen können.

Die Frage war nur, ob er es auch sollte.

Was würde Dorian von ihm halten, wenn er jemals davon erfuhr...?

Doch er erlaubte es sich nicht, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Stattdessen trat ein grimmiger Ausdruck auf Cullens Gesicht.

Dorian würde nicht davon erfahren, ganz einfach.

 

„Eigenartig“, sagte Dorian. „Sehr eigenartig.“

„Habt Ihr das Rätsel um Euren Sessel noch immer nicht lösen können?“, fragte Varric.

„Nein.“ Dorian schüttelte den Kopf. „Die Inquisitorin meinte, er wäre das Geschenk einer orlaisianischen Dorfgemeinde gewesen. Dabei muss allein der Bezug ein Vermögen gekostet haben...“

Varric nahm einen Schluck von seinem Bier.

„Vielleicht war er ein Erbstück“, meinte er schließlich.

Dorian dachte einen Moment lang darüber nach, doch schließlich zuckte er mit den Schultern und griff nach seinem Weinkelch.

„Vielleicht.“

Ein Lächeln spielte um seine Lippen.

„Meine Kehrseite hat jedenfalls keine Beschwerden.“

Varric begann zu lachen.

Er und Dorian saßen einen Tisch weiter beim Abendessen zusammen, und Cullen musste angestrengt hinhören, um ihre Worte zu verstehen. Er hätte sich vermutlich nicht die Mühe gemacht, wenn Ellana ihn unter dem Tisch nicht mit dem Fuß angestoßen und ihm einen vielsagenden Blick zugeworfen hätte.

Die Inquisitorin – wie nun ihr offizieller Titel war – war ihm bei der Umsetzung seines Plans eine große Hilfe gewesen. Cullen hatte sie anfangs nicht einweihen wollen, doch da es niemanden sonst gab, dem er in dieser Sache vertrauen konnte, hatte er sich schließlich dazu entschieden, sie nicht nur um Hilfe zu bitten, sondern ihr auch von seinem Band zu Dorian zu erzählen.

Es war befreiend gewesen, das Geheimnis um seinen Seelenpartner endlich jemandem anzuvertrauen, und das nicht nur, weil Ellana mit Solas in einer ähnlichen Lage war, wie Cullen. Die junge Frau hatte stundenlang in Cullens Arbeitszimmer gesessen und seine Sorgen und Ängste angehört, und sie hatte ihm dabei mehrfach versichert, dass er jederzeit mit ihr über diese Dinge sprechen konnte.

In den Tagen danach hatte sie sich weiter um die Wiederherstellung des Sessels gekümmert, da Cullen zu beschäftigt gewesen war, und sie war auch diejenige gewesen, die ihn schließlich mit der Hilfe einer der Wachen in die Bibliothek getragen hatte. Cullen war nicht dabei gewesen, doch Lavellan hatte ihm im Nachhinein ausführlich den verzückten Gesichtsausdruck beschrieben, den Dorian gemacht hatte, als er sich zum ersten Mal auf das Polster hatte sinken lassen.

„Ich stehe nie wieder auf“, hatte er verkündet und mit einem Seufzen die Augen geschlossen.

Das war alles, was Cullen hatte hören wollen, und mit neuer Hoffnung im Herzen hatte er auf den Namen herabgesehen, der warm auf seinem Handgelenk pulsierte.

Dass Dorian es jemals in Betracht ziehen würde, eine Beziehung mit ihm anzufangen, blieb weiterhin Wunschdenken, doch wenn Cullen die Möglichkeit hatte, dem anderen, der so unendlich weit von seiner Heimat entfernt war und zweifellos viel hinter sich gelassen hatte, das Leben in der Inquisition angenehmer zu machen, dann würde er sie nutzen.

Und vielleicht würde es genug sein. Vielleicht würde er sich damit zufriedengeben, dem anderen ein Freund zu sein, und nicht mehr.

 

Doch Cullen war schon immer gut darin gewesen, sich selbst zu belügen.



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