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Der Fliegende

— Haruka und die Sterne
von

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Altair

Haruka erwachte mit dem Morgengrauen. Draussen jaulte eine Autoalarmanlage und durch die halb geöffnete Balkontüre konnte sie das leise Dudeln eines Radios hören — vielleicht hatte einer der Nachbarn auch das Fenster offen. In der Küche war es noch zu dunkel, um wirklich gut sehen zu können, aber ihr gefiel die Stimmung, die mit dem fahlen Licht kam. Noch hingen die Sterne am Himmel und obwohl der Horizont über dem Hafenbecken bereits hell wurde, konnte sie sich einbilden, dass sie über das nächtliche Strahlen von Tokyo hinweg Sternbilder erkennen konnte.

Das war natürlich Schwachsinn, in der Stadt war es nachts viel zu hell als dass man irgendetwas erkennen könnte, aber sie versuchte sich an die Position der Konstellationen zu erinnern, die Hotaru ihr am Vorabend mit sehr viel Begeisterung erklärt hatte.

„Schau, Papa, wenn wir die Sterne sehen könnten, wäre dort drüben der Adler!“ Ein kleiner Kinderfinger hatte unsichtbare Linien in das Dunkle gezeichnet und Haruka hatte, mit viel Wohlwollen, das Grundgerüst für einen Vogel erkannt. Wie die Menschheit, sowohl hier als auch im Westen, Sternbilder bestimmt hatte, das war ihr immer noch nicht ganz klar. Alles was sie sah war Linien und Punkte. Aber vielleicht war ihr Gehirn schlichtweg nicht für solche Gedankenspiele gemacht. „Du bist furchtbar unromantisch, Haruka“, hatte Michiru sich mit einem Lächeln beschwert, als sie früher versucht hatte, ihr die Sterne, ihre Namen und Geschichten beizubringen.

Aus irgendeinem Grund hatte sie der Himmel nie wirklich interessiert. Sie konnte Helikopter fliegen, klar, aber das hatte sie mehr aus praktischen Gründen gelernt. Und weil es sich gut anfühlte, einen Motor unter den Fingern zu haben. Aber die Wolken waren für sie immer nur genau das gewesen: Wolken. Verdunstetes Wasser, das sich in der Atmosphäre sammelte, um irgendwann als Regen zurückzukommen. Das sogenannte unendliche Blau über ihrem Kopf war endlich, das wusste sie. Es war Physik, Lichtbrechung, irgendwo würde auch der Himmel sein Ende finden. Für Haruka war das über ihrem Kopf etwas wie das Daheim ihrer Kindheit. Sie kannte es, es war so vertraut, dass es zu alltäglich wurde, um ihm noch wirklich Beachtung zu schenken. Vielleicht hatte sie sich deshalb nie wirklich mit den Sternen auseinandergesetzt.

Als Hotaru sich aber mit ihrer selbstgezeichneten Karte neben sie gesetzt und damit angefangen hatte, ihre Adoptivmutter über die Konstellationen der nördlichen Hemisphäre im Sommer aufzuklären, hatte sie zugehört. Anfänglich aus Höflichkeit, wenn sie ehrlich mit sich sein wollte. Aber irgendwann hatte sie sich dabei ertappt, wie sie die Augen zusammenkniff, um genauer sehen zu können, was ihre Tochter ihr da zeigen wollte.

„Papa, du bist Altair“, hatte Hotaru mit der Zuversicht aller Fünfjährigen gemeint, die in ihren Eltern immer Götter auf Erden sah. Ihre Hände hatten einen Kreis um einen unsichtbaren Stern gemalt, ein zufriedenes Nicken die Situation unterstrichen.

„Oh? Wieso denn“, hatte Haruka nachgehakt. Das Mädchen hatte es sich auf ihrem Schoss bequem gemacht und liess sich die Haare bürsten. Bisher war sie mit wenig Anteilnahme zufrieden gewesen, einem „Mhm“ hier und einem „Aha“ dort. Die Bemerkung hatte den Rhythmus gebrochen und Haruka fühlte sich etwas, als wäre sie ins kalte Wasser fallen gelassen worden. Was sollte sie denn schon sagen? Sie wusste, was Altair war — Alpha Aquilae, 5.13 Parsecs von der Erde entfernt, Teil der G-Cloud, der zwölfhellste Stern am Himmel. Aber alles das, so nahm sie an, war ihrer Tochter wahrscheinlich herzlich egal. Höchstens vielleicht…

„Weil Altair Hikoboshi aus der Tanabata-Sage ist?“ Fragte sie sanft zurück. „Dann ist Michiru Vega, oder?“

Hotaru hatte gelacht und den Kopf vehement geschüttelt, als wäre das eine vollkommen abwegige Aussage. Haruka hatte die Bürste ganz schnell weggezogen; nicht, dass sich die Haare der Kleinen am Ende noch darin verhedderten.

„Nein, Papa, nicht doch! Mama Setsuna hat gesagt, der Name Altair ist arabisch und heisst „der, der hoch am Himmel fliegt“. Und das bist du.“

Haruka war etwas baff gewesen und hatte für einen langen Augenblick bloss verwirrt Hotarus zufriedenes Gesicht betrachtet. Es war, technisch gesehen, gar nicht mal so unlogisch. Sie war die Hüterin von Uranus, dem Planeten des Windes. Bei den Göttern, ihr Nachname wurde als „König des Himmels“ übersetzt! Aber nachdem sie die Sterne so lange mit Ignoranz gestraft hatte, fühlte sie sich fast etwas unwürdig, einen Vetter im All zu haben.

Ihr hatten zahlreiche weitere Fragen auf der Zunge gebrannt, doch dann hatte Michiru aus dem Bad gerufen, dass es höchste Zeit für Hotaru war, sich fertig fürs Bett zu machen. Die Jüngste der vier Damen im Hause hatte ein „okay“, zurückgegeben, das Haruka vermuten liess, dass sie sich dabei noch etwas mehr Zeit nehmen würde, als dass Michiru billigen würde und war von ihrem Schoss gerutscht. „Danke fürs Haare bürsten, Papa“, hatte sie mit einem breiten Lächeln gesagt. Dann war sie, ihre Karte an die Brust gepresst, aus der Küche gehopst und hatte Haruka mit einem Strudel an Gefühlen, von denen sie nicht mal wusste, woher sie kamen zurückgelassen. Und einer kalten Tasse Tee.

Tee machte sich Haruka auch jetzt, ungefähre sechs Stunden später. Ihre Finger trommelten zum Lied im Radio auf dem Küchentresen mit und sie versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, wo das Sommerdreieck genau gewesen war. Vega, Deneb, Altair. Lyra, Cygnus, Aquila.

Und so albern es auch klingen mochte, sie fühlte sich dem Himmel etwas näher. So, als wäre sie nach Jahren auswärts endlich wieder daheim und in ihrem Kinderzimmer, umgeben von blassen Erinnerungen und alten Freunden. „Hallo, Altair“, grüsste sie leise und griff nach der Dose, in der sie in der Wohnung den Schwarztee aufbewahrten. „Wie ist dein Flug heute?“

„Mit wem redest du da?“ Setsuna stand in der Tür, etwas verschlafen und das lange Haar in einem Zopf. Haruka grüsste sie mit einem Nicken. „Hotaru hat mich gestern den Sternen vorgestellt. Magst du Tee haben?“

„Kaffee, bitte.“ Setsuna liess sich auf einem der Stühle am Küchentisch nieder, ihre Bewegungen ruhig und graziös. Wie sie das schaffte, das wusste Haruka nicht. Sie selbst war auf dem Weg zum Bad vor einer Weile erst mal auf die Nase geflogen und hatte Michiru dabei fast geweckt.

„Und? Wie haben dir die Sterne denn gefallen?“ Das Lächeln der Älteren war enigmatisch; so, als wüsste sie etwas das Haruka erst noch herausfinden würde. „Gut, denk ich“, antwortete diese, während sie im Schrank nach dem Kaffeepulver suchte.

„Es war ein bisschen wie alte Bekannte neu kennenlernen.“

„Das ist schön.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Kim_Seokjin
2016-07-09T07:59:02+00:00 09.07.2016 09:59
Die Geschichte ist einfach nhr Zucker. Für dich ist es ja kein Geheimnis, dass die Outer Senshi meine Lieblinge sind und ich stelle mir das Zusammen leben einfach toll vor, auch wenn es vollkommen unkonventionell ist. Little Hotaru die Haruka die Sterne erklärt! <3 Papa Haruka <3 und natürlich Setsuna, die wue immer geheimnisvoll und elegant ist.
Von:  Emerald_Phoenix
2016-07-07T18:10:44+00:00 07.07.2016 20:10
„Es war ein bisschen wie alte Bekannte neu kennenlernen.“
Das passt irgendwie total zu Haruka. Sie ist ja so das Sinnbild für Herausforderung finde ich und ist als Pilotin dem Himmel so nah, dass er für sie zum bloßen Hintergrundrauschen verkommt, bis Hotaru die nackten, physikalischen Gesetze und Tatsachen quasi aufbricht, damit Papa (ich mag das, herrlich XD ) endlich mal wieder RICHTIG hinguckt. Wunderschönes Stück Alltag. Das mit Harukas Morgensturz fand ich sehr gut. XD
Antwort von:  karlach
07.07.2016 22:06
Manchmal vergisst man die schönsten Dinge am eigenen Job, weil sie zu einer Selbstverständlichkeit werden, nicht? Ich glaube, Hotaru weiss zwar, dass sie Papa da einen Gefallen getan hat, aber wie wichtig das wahr merkt nicht mal sie c;
Haruka ist in meinem Kopf so früh am Morgen erst funktionstauglich, wenn sie ihren Tee hatte xD Vorher geht da nix.
Von:  CharleyQueens
2016-07-07T13:45:38+00:00 07.07.2016 15:45
Wirklich knuffig. Hotaru und Haruka und ihre Beziehung zueinander ist wirklich süß.
Und ich find's auch toll, dass Haruka Papa heißt. ♥
Antwort von:  karlach
07.07.2016 18:20
Ja, zuckrig aber leicht <3
Freut mich zu hören, hat dir die Geschichte gefallen! :3
Von:  _Delacroix_
2016-07-07T13:32:56+00:00 07.07.2016 15:32
Ohhh, süß und du hast sogar Tanabata eingebaut bekommen, das finde ich wirklich toll. ❤
Hotaru ist richtig knuffig und Haruka fand ich auch sehr gut gelungen. Und die Beziehung zwischen den Beiden ist ja eh herzallerliebst. 
Antwort von:  karlach
07.07.2016 18:19
Haha, danke! Es hat sich so schön angeboten, da konnte ich nicht anders.
Und ja, die zwei sind sehr knuffig. Etwas Fluff schadet ja bekanntlich keinem :3
Von: abgemeldet
2016-07-07T13:11:24+00:00 07.07.2016 15:11
„Schau, Papa, wenn wir die Sterne sehen könnten, wäre dort drüben der Adler!“
Ostfriesische Nationalflagge: Weißer Adler auf weißem Grund. Spontane Assoziation.
 
„Nein, Papa, nicht doch! Mama Setsuna hat gesagt, der Name Altair ist arabisch und heisst „der, der hoch am Himmel fliegt“. Und das bist du.“
Unerwartete Begründung. Das macht sie noch besser.
 
Wunderschönes Ende. Eigentlich mag ich Sailor Moon nicht, zumindest nach dem, was ich noch an Erinnerungen hab, aber diese Geschichte ist toll.
Antwort von:  karlach
07.07.2016 18:15
Oh, das wusste ich gar nicht! Und wieder was Neues gelernt!
Und ich dachte auch, eine etwas "wissenschaftlichere" Erklärung würde besser in die Geschichte passen |3

Ich freue mich sehr zu hören, dass dir die Geschichte trotzdem gefallen hat! <3
Von:  Puppenspieler
2016-07-07T09:39:53+00:00 07.07.2016 11:39
Das ist niedlich. Ich mag sentimental endende Geschichten. ♥ Sehr liebenswert!
Und Sterne sind eh immer gut!

Und ich mag es, dass Haruka Papa und nicht Mama die Dritte(?) ist. Und trotzdem einfach sie selbst.
Antwort von:  karlach
07.07.2016 11:49
Danke, das freut mich sehr zu hören! <3
Sterne sind immer super, ja, und Altair ist mein Lieblingsstern. Da konnte ich die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen xD
Ja, das Bisschen Trivia hatte mir eine Freundin vermittelt. Ich finde es auch sehr liebenswert; es passt gut zu Haruka und es ist auch passend, dass Hotaru sie so nennt. Papa Haruka erzählt in meinem Kopf auch die besten Gutenachtgeschichten.


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